Kurienreform - Johannes Schidelko - E-Book

Kurienreform E-Book

Johannes Schidelko

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Beschreibung

Als papst Franziskus exakt einen Monat nach seiner Wahl eine Reform der Römischen Kurie ankündigte, erntete er breiten Applaus. Beim Vor-Konklave 2013, nach dem Rücktritt von Benedikt XVI., war der Leitungsapparat nach manchen Missständen und Pannen in die Kritik geraten. Achteinhalb Jahre arbeitete ein exklusiver Kardinalsrat (ein "Rat von Outsidern"), unterstützt von einigen prominent besetzten Beratergremien an dem Reformprojekt. Was ändert sich mit der Konstitution "Praedicate Evangelium" PE im Vatikan und für die Weltkirche? Bringt sie mehr Transparenz und Effizienz in den Apparat? Leistet dieser nun den "Dienst", wie die Weltkirche ihn braucht? Lebendig und aufschlussreich geht das Buch - geschrieben von einem echten Insider und Kenner der Zusammenhänge und Hintergründe - diesen und anderen Fragen nach.

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Johannes Schidelko

KURIENREFORM

Hintergründe, Zuständigkeiten, Veränderungen.Alles, was man wissen muss.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Klimaneutrale Produktion.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier.

© 2022 Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigungdes Verlags wiedergegeben werden, denn es ist urheberrechtlich geschützt.

Bibelzitate wurden, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet,folgender Bibelausgabe entnommen:Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift,vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart.

Umschlaggestaltung: Melanie Schmidt, Bonifatius GmbH

Umschlagabbbildung: Iakov Kalinin/AdobeStock

Satz: Bonifatius GmbH, Paderborn

Druck und Bindung: Bonifatius GmbH

Printed in Germany

ISBN 978-3-89710-309-2

eISBN 978-3-89710-991-9

Weitere Informationen zum Verlag:www.bonifatius-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Vorwort

Einführung:Die Kurie und ihre Reformen

Die Kurie nach „Praedicate Evangelium“:Strukturen verbessern, Transparenz fördern, Mentalitäten ändern

Staatssekretariat

• Sektion für die allgemeinen Angelegenheiten:Das Päpstliche Sekretariat

• Sektion für die Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen: Erbauer von Brücken, Frieden und Dialog zwischen den Völkern

• Sektion für das diplomatische Personal des Heiligen Stuhls:Diplomatische und pastorale Mission

Dikasterium für die Evangelisierung:Aufbruch zu neuen Ufern – Die Liebe Christi für alle bezeugen

Dikasterium für die Glaubenslehre:Den Glauben fördern und schützen

Dikasterium für den Dienst der Nächstenliebe:Der verlängerte karitative Arm des Papstes

Dikasterium für die Orientalischen Kirchen:Reichtum in Verschiedenheit

Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung:Wo der Mensch mit Gott in Berührung kommt

Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse:Heroen aus der „Heiligenfabrik“

Dikasterium für die Bischöfe:Headhunter für kirchliches Führungspersonal

Dikasterium für den Klerus:Gemeindeleiter, Seelenhirte, Manager:Für alle Fragen rund ums Priesterleben

Dikasterium für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens:Avantgarde der Kirche und Seismographen der „Zeichen der Zeit“

Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben:„Privilegierte Beobachtungsstation“ für katholische Laienarbeit

Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen:Fünfzehn Dialoge für die Einheit

Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum:Unwiderruflich aufeinander angewiesen

Dikasterium für den interreligiösen Dialog:Den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen

Dikasterium für die Kultur und die Bildung:Für eine ganzheitliche Erziehung nach christlichen Werten

Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen:Dialog-Akteur für eine neue Vision von Entwicklung

Dikasterium für die Gesetzestexte:Dienstleister für Anwendung und Weiterentwicklung des Codex

Dikasterium für die Kommunikation:Multilinguale Informationsmittel

Die Organe der Gerichtsbarkeit:Pönitentiarie, Signatur, Rota

Wirtschaftliche Organe:Sagenhafte Schätze und knappes Budget

SCV – Staat der Vatikanstadt:Physische und territoriale Basis des Heiligen Stuhls

Bischofssynode: Ort der Kollegialität – aber weder Konzil noch Kirchenparlament

Vom Apostolischen Palast nach Santa Marta:Wo Päpste leben, arbeiten und regieren

Epilog

Chronologie:Reformen eines Pontifikats

Organigramm

Geleitwort

An Pfingsten 2022 ist die in der katholischen Kirche lange erwartete Kurienreform unter Papst Franziskus eingetreten. Bereits zu Beginn seines Pontifikats hatte der Papst angekündigt, Abläufe und Inhalte der römischen Arbeit zu aktualisieren. In einer Gruppe von Kardinälen aus allen Kontinenten (genannt C9) wurde die Reform zusammen mit dem Papst entwickelt. Es gab Entwürfe und Rückmeldungen, Ideen und nicht selten auch Stimmen, die zum Bewahren des Bisherigen aufriefen.

Die Apostolische Konstitution „Praedicate Evangelium“ von Papst Franziskus, die die Kurienreform beschreibt, ist ein mutiger Schritt. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie mutig diese Konstitution umgesetzt wird. Das Vielerlei von Behörden ist jetzt vor allem sprachlich auf eine Ebene gestellt worden, wenn Papst Franziskus von „Dikasterien“ spricht. Die Kurienreform wird dann ein Erfolg sein, wenn es gelingt, dass alle Behörden im Vatikan miteinander reden. „Interdikasterielle Treffen“ nennt man das, und der Papst möchte diese Form des Gesprächs umsetzen. Es ist ihm und der Kurie und damit der Weltkirche zu wünschen, dass untereinander in der Kurie und von der Kurie in die Ortskirchen stärker Brücken gebaut und der Dialog gefördert werden. Genau daran hängt der Erfolg der Kurienreform: Wird sie mit Leben gefüllt und das Gespräch gefördert? Es ist allen Beteiligten sehr zu wünschen.

Johannes Schidelko, der über Jahrzehnte als Leiter des Büros der Katholischen Nachrichten-Agentur in Rom Verantwortung getragen hat und der als Kenner von Kurie und Kirche gilt, hat sich die Mühe gemacht, „Praedicate Evangelium“ zu analysieren und den langen Weg der Reform nachzuzeichnen. In seinem jetzt vorliegenden Buch erläutert er die einzelnen Dikasterien, zeigt das Zu- und Miteinander auf und gibt in anschaulicher Sprache und feinsinniger Analyse einen Einblick in die Arbeitsweise des Vatikans. Dem Autor gebührt für diese Arbeit, die er aus seiner langjährigen römischen und vatikanischen Erfahrung speist, Anerkennung, denn er hilft – gerade in der Rezeptions- und Anwendungsphase von „Praedicate Evangelium“ –, historische Entwicklungen nachzuvollziehen und zum Verständnis des Vatikans, des Heiligen Stuhls und der Kurie beizutragen.

Bischof Dr. Georg BätzingVorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Vorwort

Der Vatikan ist im Wandel. An der Spitze der katholischen Weltkirche und des Vatikanstaats steht seit 2013 zum ersten Mal ein Papst aus der Neuen Welt, aus Lateinamerika. Er hat neuen Wind und neues Denken, einen neuen Arbeits- und Leitungsstil in das abendländische, von mediterraner Mentalität und auch von manchen höfischen Mustern geprägte Zentrum der Kirche gebracht. Er hinterfragt eingespielte Normen. Das auf die römische Kaiserzeit zurückgehende Staat-Kirche-Denken ist ihm fremd. Und mit dem Kolonialismus verbindet er andere Erfahrungen als die meisten seiner europäischen Vorgänger.

Aber während Franziskus in etliche Bereiche Bewegung bringt und für Umbrüche sorgt, bleibt er in anderen Fragen traditionell, beständig, beharrend, drängt auf weitere Vertiefung.

Mit der Kurienreform Praedicate Evangelium (im Folgenden: PE) hat Franziskus Kirchengeschichte geschrieben. Seit Beginn seines Pontifikats hatte er immer wieder Veränderungen in der Kirchenleitung angemahnt, mehr Effizienz und Transparenz gefordert und bereits zahlreiche Reformschritte eingeleitet. Zunächst schien fast alles zur Disposition gestellt. Aber im Laufe des fast neunjährigen Reformprozesses zeigten sich Grenzen.

Vorab ein sprachlicher Hinweis. Das Deutsche benutzt pauschal, aber unpräzise, den Begriff „Vatikan“ – und meint damit mal den „Heiligen Stuhl“ (also: den Papst und die in seinem Auftrag handelnde Kurie), und mal den 44 Hektar kleinen „Staat der Vatikanstadt“ (SCV), der nichts anderes ist als die territoriale Basis des Heiligen Stuhls. Da es sich um zwei verschiedene Größen handelt, ist im Zweifelsfall der exakte Begriff zweckmäßig.

Das vorliegende Buch beschreibt, wie die Kurie arbeitet und wer dort arbeitet. Mit welchen Ämtern, Strukturen, Arbeitsnormen und mit welchem Personal der Papst seinen Leitungsapparat führt und die katholische Milliarden-Gemeinschaft zusammenhält. Es will zeigen, woran die Mitarbeiter des Papstes arbeiten und wie die Kurien-Behörden zusammenarbeiten. Es fragt, nach welcher Ordnung und welchen (geschriebenen wie ungeschriebenen) Regeln das System Vatikan funktioniert – der Heilige Stuhl wie auch der Vatikanstaat. Und wie das Umfeld den Arbeitsalltag bestimmt.

Denn auch wenn die Leitungsspitze der Kurie heute international besetzt ist, dominieren in den Ämtern, Büros und Arbeitsstätten weiterhin die Italiener. Der Apparat wird somit stark vom Lebensgefühl und Arbeitsrhythmus des umliegenden Landes geprägt, aus dem das Gros der Monsignori und Minutanten stammt und in dem die Laien-Angestellten mit ihren Familien leben. Deutsches oder angelsächsisches Effizienzbestreben trifft in diesem Umfeld auf völlig andere kulturelle Muster und Handlungsstrategien, neue Vorschriften und Verfahren lassen sich deshalb nicht immer rasch und konsequent umsetzen.

Der vor Gericht verhandelte Fall des angeblich in eine verlustreiche Immobilienaffäre involvierten früheren Innenministers und Kardinals Becciu zeigt, dass im italienisch geprägten Ambiente Familie, Freundschaft und Empfehlungen oft wichtiger sind als anonyme Staatsstrukturen und Rechtsnormen.

Wie funktioniert ein System, das einerseits archaische Bräuche nutzt und die Wahl seines Oberhaupts per Rauchzeichen kommuniziert, und andererseits über einen diplomatischen Dienst verfügt, um dessen Effizienz andere Staaten ihn weltweit beneiden? Das dabei mit einer dünnen Personaldecke und minimalem Budget haushalten muss. Und das die Zentrale einer religiösen Milliardengemeinschaft ist, sich zugleich auch auf einen winzigen Territorialstaat stützt.

Im System Kurie ist vieles anders als in einem normalen Regierungsbetrieb. Es kennt keine zeitlich begrenzten Legislatur-Perioden und keine Wahlkämpfe, aus denen eine neue Leitung mit neuem Programm und einer neuen Regierungsmannschaft hervorgeht. Der Papst wird im Konklave auf Lebenszeit gewählt – oder bis zu einem frei erklärten Amtsverzicht. Und auch die Ernennung und die Berufungszeit für seine „Minister“, die Kurienchefs, und für das übrige Personal folgen eigenen Regeln.

Was hat sich unter Franziskus geändert und was hat er mit der Kurienreform festgeschrieben? Wo hat Rom Macht abgegeben und wo neue Macht an sich gezogen? Hat die Kurie ihren Umgang mit den Ortskirchen und der Kirchenbasis verändert? Wo hakte es bei der Reform besonders, und welche Änderungswünsche waren nicht zu realisieren?

Das Buch ist keine Biographie von Papst Franziskus und es ist auch keine Chronik seines Pontifikats. Aber es wirft immer wieder Schlaglichter auf sein Amtsverständnis, sein Kirchenbild und seinen Führungsstil.

„Kurienreform“ stellt die verschiedenen Bereiche der römischen Kirchen-Zentrale vor, das Staatssekretariat, die Dikasterien, die kirchlichen Gerichtshöfe und die Finanz- und Wirtschaftsorgane. Es beschreibt ihren Aufgabenbereich, ihre Zuständigkeiten, ihre Arbeit und ihre Organisation. Für die Recherchen ließen nicht alle Behörden in gleichem Maße Einblick in ihre Arbeit zu. Einige wollten wegen der Umbau- und Aufbauphase überhaupt keine Auskünfte geben. Hier mussten andere Quellen herhalten.

Ergänzt wird die Beschreibung der Kurienämter durch Kapitel über die Bischofssynode – die nicht zur Kurie gehört, aber eine entscheidende Leitinstanz der Kirche darstellt. Dann über den Vatikanstaat, der im Umfeld des Reformprozesses ebenfalls ein komplett neues Leitungsgesetz erhielt. Und schließlich ist dem Leben des Papstes, seiner Wohnstätte und seinem Tagesablauf ein Abschnitt gewidmet.

Das Buch ist eine Momentaufnahme. Es zeigt die mit der Veröffentlichung von PE markierte Zäsur in der Römischen Kurie, die von etlichen personellen Veränderungen begleitet wurde und wird. Franziskus hat aber bereits deutlich gemacht, dass der Reformprozess noch nicht abgeschlossen ist: „Ecclesia semper reformanda“. Eine eigens der Kurienreform gewidmete Kardinalsvollversammlung, ein außerordentliches Konsistorium, warf Ende August 2022 einige Fragen auf, die noch eine Klärung verlangen.

Daten und Zahlen im Text sind dem vom vatikanischen Staatssekretariat herausgegebenen „Statistischen Jahrbuch der Kirche“ (ASE, Stand: 2020) entnommen. Ferner dem „Päpstlichen Jahrbuch“ (ANP, Stand: 2022), einem vatikanischen „Who is who“ mit zigtausenden Personal-, Orts- und Statistikangaben zur Universalkirche. Wenn mitunter aktuellere oder andere Daten verfügbar waren, ist das eigens vermerkt.

Eine wichtige Informationsquelle über den Vatikan ist seit einigen Jahren leider versiegt. Die Reihe „L’Attivita della Santa Sede“ (ASS – Die Aktivitäten des Heiligen Stuhls), in denen der Vatikan jährlich auf ca. 1.500 Seiten detaillierte Tätigkeitsberichte (fast) aller Behörden veröffentlichte, ist zuletzt für 2015 erschienen. Ob und wie sie wieder aufgenommen werden, ist unklar. Zwar haben in den letzten Jahren die meisten Kurienbehörden ihre Homepage modernisiert. Aber nur wenige Ämter stellen dort solche Berichte wie einst für die „Attivita“ ein.

Dieses Buch wäre nicht möglich geworden ohne die freundliche und großzügige Unterstützung von Kardinälen, Bischöfen, Prälaten und weiteren Mitarbeitern der Kurie, die mir im Rahmen ihrer Möglichkeiten den (Ein-)Blick in die geheimnisvolle Welt hinter den Vatikanmauern erleichtert haben. Ihnen gilt mein herzlicher Dank. Der gilt auch der vielfältigen Unterstützung von Kirchenvertretern und von Kollegen außerhalb der Vatikangrenzen. Auf Wunsch der Gesprächspartner hin habe ich meine Quellen in der Regel anonym gelassen. Und mit Blick auf anstehende Personalverschiebungen in der Kurie werden auch nur selten die Namen von Behördenleitern oder Mitarbeitern genannt.

Mein Dank gilt schließlich dem Bonifatius Verlag und vor allem dessen ehemaligem Leiter Rolf Pitsch, der bald nach Einleitung der Kurienreform hier ein Thema erkannte und das Buchprojekt über die lange Entwicklungszeit begleitet hat.

Abkürzungen

ANP

Annuario Pontificio – Päpstliches Jahrbuch (ital)

ASE

Annuarium Statisticum Ecclesiae – Statistisches Jahrbuch (lat – eng – frz)

ASS

Attivita della Santa Sede – Berichtsband über Vatikan-Einrichtungen (ital)

CCEO

Ostkirchlicher Rechtskodex, 1990

CIC

Codex Iuris Catholicum – Kirchliches Gesetzbuch, 1983

EG

Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ 24.11.2013 – „Pontifikatsprogramm“ von Papst Franziskus

LG

„Lumen gentium“ – Konzilskonstitution über die Kirche, 21.11.1964

NA

„Nostra aetate“ – Konzilserklärung über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, 28.10.1965

Pb

Apostolische Konstitution „Pastor bonus“, Kurienordnung 28.6.1988

PE

„Praedicate Evangelium“, Apostolische Konstitution über die Römische Kurie und ihren Dienst für die Kirche in der Welt, 19.3.2022

SC

„Sacrosanctum Concilium“ – Konzils-Konstitution über die heilige Liturgie, 4.12.1963

Einführung

Die Kurie und ihre Reformen

Genau einen Monat nach seiner Wahl, am 13. April 2013 kündigte Papst Franziskus das größte und wohl aufwändigste Projekt seines Pontifikats an: Eine Kurienreform. In einem knappen Kommuniqué teilte das vatikanische Staatssekretariat mit, der Papst habe eine Gruppe von acht Kardinälen der Weltkirche berufen, die ihn in der Kirchenleitung und insbesondere bei einer Revision der Kurienkonstitution „Pastor bonus“ von 1988 unterstützen sollen.

Franziskus griff damit ein Anliegen des sogenannten Vorkonklaves auf. Die nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. irritierten Kardinäle suchten in ihren Diskussionen, die dem Konklave vorangingen, nach Gründen seiner Entscheidung, fragten, wie und warum das Amt den Pontifex derart aufgerieben hatte. Der Unmut der Eminenzen galt dabei auch etlichen Pannen im vatikanischen Leitungs- und Verwaltungsapparat des Papstes, der römischen Kurie. Da war die „Vatileaks“-Affäre von 2012, der Diebstahl und die Veröffentlichung geheimer Dokumente vom Schreibtisch des Papstes. Sie enthielten Vorwürfe von Korruption, Filzokratie und Ineffizienz im Vatikan. Dann das Verwirrspiel um die Rücknahme der Exkommunikation für vier Traditionalisten-Bischöfe, darunter den Holocaustleugner Williamson. Und ganz oben auf der Krisenliste standen die Missbrauchsskandale.

Die Reihe der Beanstandungen war lang: Die Kurienbehörden seien ungenügend miteinander verknüpft, es fehle an Transparenz, die notwendigen Informationen gelangten nicht immer rechtzeitig zu denjenigen, die sie brauchten. Die Personalführung und -rekrutierung sei ausbaufähig, ebenso die Binnenkommunikation und die Außendarstellung. Manche Ortskirchen murrten zudem über einen römischen Zentralismus, der seit dem letzten Konzil eher zu- als abgenommen habe. Sie kritisierten einen höfischen Stil und überholte Strukturen, die nicht mehr zur modernen Arbeitswelt, zu modernem Management und seinem Einsatz von Humankapital passten. Sie störten sich an einer Reglementierung durch manche Kuriale, denen es an Sensibilität und Dienst-Einstellung für die Lokalkirchen fehle. Zudem wurden die hohen Kosten des Apparats angesichts knapper Kassen zum wachsenden Problem.

Franziskus griff die Bedenken der Kardinalsversammlung rasch auf – und erhielt für sein Projekt einer Kurienreform breiten Applaus. Das Vorhaben galt von Anfang an als eine Art Lackmustest für den Reformwillen und den Erneuerungskurs des Pontifikats.

Das Ergebnis war eine Kurienreform in Etappen. Zwischen 2014 und 2022 setzte der Papst praktisch aus den laufenden Planungen heraus rund 50 höchst unterschiedliche Änderungen in Kraft (s. Kapitel Chronologie, S. 295). Aber erst der Abschluss der Arbeiten und die Veröffentlichung der Apostolischen Konstitution über die Römische Kurie und ihren Dienst für die Kirche in der Welt – „Praedicate Evangelium“ PE (Verkündet das Evangelium) – am 19. März 2022 erlaubte einen Gesamtüberblick über Linie, Logik und Leitmotiv: Wie Franziskus sich die Kirchenleitung und ihre Behörden vorstellt, nach welchen Kriterien und mit welchen Mitteln die Weltkirche geeint werden und wie der „Dienst“ der Kurie für den Papst und für die Ortskirchen aussehen soll.

Mit der Verkündung der Konstitution (am liturgischen Festtag des von Franziskus hochverehrten Heiligen Josef und am 9. Jahrestag seines offiziellen Amtsantritts) war der Reformprozess freilich noch nicht abgeschlossen. Die Umsetzung geht weiter, die einzelnen Behörden mussten und müssen neue Statuten, Geschäftsordnungen und Arbeitspläne erstellen. Franziskus und seine Berater werden weiter experimentieren, überprüfen, modifizieren und Ordnungen in Kraft setzen.

Reformen bereits unter Benedikt XVI.

Bereits Benedikt XVI. hatte eine ganze Reihe von Reformen in der Kurie auf den Weg gebracht. 23 Jahre lang hatte der deutsche Theologe Joseph Ratzinger aus der Warte des Präfekten der Glaubenskongregation die stark vom mediterranen Umfeld und dessen Handlungsmustern geprägte vatikanische Zentrale erlebt. Er habe sich, so war zu hören, an umständlichen und schleppenden Abläufen gestoßen, an historisch gewachsenen Zuständigkeiten, Dienstwegen und Arbeitsgängen – und später als Papst manches verändert. Aber eine systematische Kurienreform wollte er sich mit Blick auf sein Alter – bei der Wahl war er 78 – nicht mehr zumuten, wie er gestand. Allerdings häuften sich gerade in den letzten Monaten seines Pontifikats die Rechtsentscheide in Form eines „Motu proprio“ (auf eigenen Antrieb), mit denen er Änderungen in der Kurie verfügte.

So leitete er in seinem Pontifikat bereits eine gründliche Kontrolle und Sanierung der Vatikanfinanzen ein. Er errichtete die Finanzaufsicht AIF, um den Vatikan an internationale Standards im Kampf gegen Geldwäsche heranzuführen. Er ließ in der skandalumwitterten Vatikanbank IOR aufräumen. Vor allem aber ging er energisch gegen die Plage der Missbrauchsfälle samt ihrer Vertuschung durch Kirchenobere vor. Er erließ hierzu strengere Normen für die Unrechtsverfolgung, für Prävention und Opferbetreuung, und fasste vatikanintern die Zuständigkeiten neu.

Trotz etlicher Reformschritte und trotz Maßnahmen für mehr Transparenz und bessere Koordination kam es im Laufe des Pontifikats immer wieder zu organisatorischen Pannen. Es knirschte im Verwaltungsapparat, der Motor lief unrund – was zum Teil dem Kardinalstaatssekretär Bertone angelastet wurde. Dieser war ein treuer Gefolgsmann des Papstes aus gemeinsamen Zeiten in der Glaubenskongregation, und wie dieser ein profilierter Theologe. Aber er brachte nicht das organisatorische und diplomatische Talent seiner Amtsvorgänger Casaroli oder Sodano mit. Zudem besaß er im Vatikan nicht die nötige Vernetzung und Hausmacht. Benedikt XVI., der sich lieber der Glaubensverkündigung, der theologischen Forschung und der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist widmete, musste bei Organisations- und Kommunikationsproblemen persönlich eingreifen – und sich sogar für Pannen entschuldigen.

Die Päpste und ihre Helfer

PE ist erst die fünfte Gesamtordnung, die ein Papst für den römischen Leitungsapparat verfügt. Sein Mammutprojekt brauchte fast neun Jahre, länger als die letzten Revisionen von 1967 und von 1988. Die Reformphase verlief nicht reibungslos. Die ständigen Änderungen und Umstellungen lähmten zwischenzeitlich die Abläufe im Vatikan, verwischten Zuständigkeiten. Manches verzögerte sich oder blieb liegen. So wurden 2015 bis 2019 weder vatikanische Haushaltspläne noch Bilanzen, noch kuriale Arbeitsberichte veröffentlicht. Für zusätzliche Verunsicherung und Belastung sorgte die Corona-Pandemie mit Reisebeschränkungen und schweren finanziellen Einbußen für Kurie und Vatikanstaat.

Franziskus wusste, wie mühsam sein Unterfangen werden würde. In Rom Reformen durchzuführen heiße „gleichsam die Sphinx von Ägypten mit einer Zahnbürste zu putzen“, zitierte er einmal einen belgischen Kurienbischof, der sich im 19. Jahrhundert an einer ähnlichen Reformaufgabe versuchte. Es sei viel Geduld, Hingabe und Feingefühl nötig; denn die Kurie sei eine „alte, komplexe, ehrwürdige Institution, die sich aus Menschen verschiedener Kulturen, Sprachen und Mentalitäten zusammensetzt und die von ihrer Struktur her immer schon an die Primatialaufgabe des Bischofs von Rom in der Kirche gebunden ist“. Und Franziskus wollte nicht nur Strukturen, sondern vor allem auch Mentalitäten, Arbeitsstile und Formen der Zusammenarbeit ändern. – Bleibt die Frage, wieweit die römische Kurie überhaupt reformierbar ist, und ob eine komplette Neuaufstellung überhaupt möglich und durchsetzbar wäre.

Von Anfang an waren die Bischöfe von Rom auf Mitarbeit und Unterstützung angewiesen, auf Notare, Schreiber, Caritas-Helfer, auf Personen wie auf Einrichtungen. Zunächst betrauten sie Priester oder Diakone mit bestimmten Aufgaben, machten sie zu Legaten oder entsandten sie als ihre Vertreter zu Ökumenischen Konzilien. Zur Behandlung größerer Belange, für Lehr- oder Rechtsfragen, riefen sie die Bischöfe der römischen Kirchenprovinz zu gelegentlichen Synoden oder „Römischen Konzilien“ zusammen.

Mit Beginn des zweiten Jahrtausends nahmen Einfluss und Bedeutung der Kardinäle zu, denen seit 1059 die Papstwahl vorbehalten ist. Schrittweise verloren damit die Römischen Synoden an Wichtigkeit. Ab dem 14. Jahrhundert behandelten die Päpste alle zentralen Angelegenheiten der Kirchenleitung gemeinsam mit den Kardinälen in Konsistorien. Bis sich die immer umfangreicheren Aufgaben nicht mehr in einer Konferenzrunde erledigen ließen, sondern eine strukturierte Arbeitsteilung verlangten. Ab 1542 entstanden einzelne Kardinalskommissionen, die etwa über den Glauben wachen oder die Trienter Konzilsbeschlüsse durchsetzen sollten.

Die eigentliche Geburtsstunde der Kurie schlug 1588. Mit der Konstitution „Immensa aeterni Dei“ errichtete Papst Sixtus V. 15 permanente Ressorts: sechs Dikasterien für den damals noch recht großen Kirchenstaat, neun für religiöse Belange. Das Kardinalskollegium wurde gleichsam in mehrere Kollegien unterteilt. Sie bestanden jeweils aus einigen Kardinälen mit weiteren Mitarbeitern, und waren für fest umgrenzte Sachbereiche zuständig. Die Konsistorien, an denen alle Kardinäle teilnahmen, verloren damit an Bedeutung.

Die Ordnung von Sixtus V. (er hatte sich auch als großer Stadtplaner Roms einen Namen gemacht und etwa den Obelisken aus dem Zirkus des Nero in die Mitte des Petersplatzes versetzt) galt für 300 Jahre. Der Untergang des Kirchenstaates – am 20. September 1870 besetzten italienische Truppen Rom und beendeten die weltliche Macht der Päpste – verlangte eine Revision der Kirchenverwaltung. Ebenso machte das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) neue Vorgaben.

Die Reform kam freilich erst 38 Jahre später. Pius X. organisierte 1908 mit der Bulle „Sapienti consilio“ den Apparat neu. Er reduzierte die Zahl der zuletzt auf 30 angewachsenen Kongregationen und schaffte etwa die für „Gewässer und Straßen“ oder die „Kongregation der Grenzen“ ab, die einst den Kirchenstaat militärisch verteidigen und vor der Ausbreitung von Seuchen schützen sollte. Die Kongregationen verloren ihre gerichtlichen Kompetenzen, waren nun vorrangig Verwaltungsorgane. Er reaktivierte die Rota als Kirchengericht und wandelte die furchteinflößende „Inquisitions-Kongregation“ zur „Kongregation des Heiligen Offiziums“ (Amt, Büro) um.

Neue Aufgaben nach dem Zweiten Vatikanum

Als Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wurde 60 Jahre später wieder eine neue Ordnung notwendig. Mit dem gewachsenen Selbstverständnis der Kirche und ihrer Öffnung zur Welt ergaben sich viele zusätzliche Aufgaben. Zur Begleitung von Ökumene und interreligiösem Dialog, zum Dienst für Frieden und Gerechtigkeit, für Laien und Familie brauchte der Papst neue Programme, Behörden und Experten.

Im Sommer 1967 (15.8.) erließ Paul VI. mit der Konstitution „Regimini Ecclesiae universae“ die dritte Ordnung für die Kurie. Diese war inzwischen internationaler, und nicht mehr nur eine Domäne der Italiener. Den zehn formal nun gleichberechtigten Kongregationen schaltete er das Staatssekretariat vor. Und seither können nicht nur Kardinäle, sondern auch Diözesanbischöfe als Mitglieder in die Dikasterien berufen werden – und sind dort stimmberechtigt.

Schon sein Vorvorgänger Paul VI. hatte festgelegt, dass seine Kurienreform nach einer Erprobungsphase aktualisiert werden sollte. Zudem trat 1983 das neue Kirchenrecht in Kraft. So gab Johannes Paul II. am 28.6.1988 mit der Apostolischen Konstitution „Pastor bonus“ eine vierte Kurienordnung heraus, auch wenn sie eigentlich nur ein Nach-Justieren der vorherigen war: Das Staatssekretariat wurde noch weiter aufgewertet und gleichsam zur Superbehörde. Die Kongregationen blieben fast unverändert. Und die bisherigen Kommissionen, Sekretariate und Komitees wurden in den einheitlichen Rang von Päpstlichen Räten erhoben – zuletzt waren es zwölf.

K9-Rat – ein Kreis von „Outsidern“

Papst Franziskus übertrug die Vorbereitung seiner Kurienreform einem zunächst aus acht Kardinälen bestehenden Kardinalsrat, der zu seinem wichtigsten Beratergremium wurde. Er berief Würdenträger mit unterschiedlichsten Erfahrungen aus allen Kontinenten. Er wolle sich dabei nicht auf die Stäbe des bisherigen Apparats stützen, sondern habe bewusst einen Rat von „Outsidern“ gewählt, sagte Franziskus bei seiner ersten Pressekonferenz im Juli 2013. Und er wollte damit ein Zeichen der Synodalität, also der gemeinsamen Entscheidungsfindung durch die Bischöfe der Weltkirche, setzen.

Franziskus überging die tonangebenden Männer der Kurie ebenso wie die Favoriten des Weltepiskopats. Einziger Italiener war der Chef der Regierung des Vatikanstaats, Bertello. Für Nordamerika kam nicht der in Rom bewunderte New Yorker Kardinal Dolan sondern O'Malley von Boston, ein Vorkämpfer gegen die Missbrauchsskandale. Als Vertreter Lateinamerikas berief er keinen der einflussreichen Brasilianer oder Mexikaner, sondern den emeritierten Chilenen Errazuriz Ossa, der als langjähriger Sekretär der Ordenskongregation den Vatikan gut kannte.

Für Mittelamerika wählte Franziskus den im Vatikan zuvor nicht überall beliebten Honduraner Maradiaga Rodriguez, und machte ihn zum Koordinator des Kreises. Aus Afrika, Asien und Australien nahm er dagegen bekannte „Schwergewichte“, die sich bereits bei Bischofssynoden hervorgetan hatten: Den auch politisch profilierten Kongolesen Laurent Monswengo Pasinya von Kinshasa, den Inder Oswald Gracias von Mumbai und George Pell von Sydney, der schon für ein Kurien-Amt im Gespräch war und 2014 erster Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats wurde. Aus Europa empfahlen sich zwei Kardinäle mit Kontinental-Kompetenzen. Franziskus entschied sich für den Münchner Sozialethiker Marx, Präsident des EU-Bischofsrates COMECE, und nicht für den romerfahrenen Kirchenrechtler Erdö aus Ungarn, Präsident des gesamteuropäischen Bischofsrates CCEE. Marx, der zuvor nur die üblichen Kontakte zur Kurie gepflegt hatte, wurde damit zu einer der zentralen Personen des Pontifikats. 2014 kam der neue Staatssekretär Parolin hinzu – und mit ihm mehr kuriale Erfahrung. Seither sprach man vom K9-Rat (oder C9). Zum Sekretär des Rates wählte der Papst Bischof Semeraro aus dem nahen Albano, den er aus einer engen Zusammenarbeit bei der Bischofssynode 2001 bestens kannte.

Die Erwartungen an dieses Gremium und überhaupt an die Kurienreform waren hoch, anfangs sogar zu hoch. Erste Spekulationen, die Neuordnung des Vatikan-Apparats sei eine Sache von wenigen Monaten, waren bald von der Realität überholt; ebenso die Vermutung, die Reform würde den Apparat komplett umkrempeln. Ab dem 1. Oktober 2013 trat das Gremium fünfmal pro Jahr zu meist dreitägigen Konferenzen mit sechs Sitzungen zusammen. Schließlich waren es 41 Konferenzrunden mit über 200 Sitzungen, unter Pandemiebedingungen manchmal auch als Videoschalte. Der Papst war fast immer mit dabei.

Zudem suchte man den Rat auswärtiger Experten. Zu mehreren Sachbereichen, zu Finanzen oder Medien wurden externe Prüfkommissionen gebildet, die Berichte und Gutachten anfertigten – natürlich nicht unentgeltlich. Die Reform hatte auch finanziell ihren Preis.

Allerdings kamen ab 2016 einige Mitglieder des exklusiven Zirkels ins Gerede, auch wegen angeblicher Verwicklung in Missbrauchsfälle. Im Sommer 2017 ließ sich Pell für einen Prozess in Australien beurlauben – letztlich wurde er freigesprochen. Auch gegen den Chilenen Errazuriz wurden Vorwürfe laut. Nach Ablauf von fünf Jahren verabschiedete der Papst Ende 2018 die beiden. Den Kongolesen Monswengo entpflichtete er aus Altersgründen, für ihn folgte sein Nachfolger in Kinshasa, Kardinal Ambongo Besungu. Der Rat bestand nun aus sieben Eminenzen.

Arbeitsschritte der Reform

Der Kardinalsrat tagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit, unter Leitung von Kardinal Maradiaga. Franziskus fehlte nur mittwochvormittags, wenn die Generalaudienz auf seiner Agenda steht. Über die Konferenzen, über das Konzept des Gremiums, über die Arbeitsverteilung und über zusätzliche Berater drang wenig nach draußen. Die dürren Vatikankommuniqués nach den Sitzungen waren wenig erhellend. Die Arbeiten begannen ohne genaue Zielvorgaben. Mitunter hätte man sich eine klarere Linie und mehr Entschlussfreudigkeit gewünscht, und vielleicht auch von Anfang an mehr Sachverstand von Mitarbeitern der Kurie, meinten Beobachter. Und auch Papst Franziskus hatte zu Beginn des Projekts nicht den Ein- und Überblick über die Kurie wie Paul VI. bei seiner Kurienreform 1967. Dieser hatte fast sein gesamtes Klerikerleben in der Vatikanzentrale verbracht.

Nach einiger Zeit nahm das öffentliche Interesse an der Kurienreform ab. Andere Themen wie die Familiensynoden, ihr Abschlussdokument „Amoris laetitia“, die Amazonas-Synode mit den Spekulationen über eine Aufweichung des Priesterzölibats (viri probati), das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ und die Papstreisen an die Peripherien der Welt rückten in den Vordergrund. Zudem erschütterten neue Missbrauchsskandale die Weltkirche und den Vatikan.

Innerhalb der Kurie sorgte das Reformprojekt zunächst für Verunsicherung. Immerhin ging es um die Zukunft des Leitungsapparats, um Einfluss, Karrieren und Arbeitsplätze. Denn sehr bald zeichnete sich ab, dass einige Behörden zusammengelegt und dabei vor allem Leitungsposten eingespart werden sollten. Als Franziskus nach zwei Jahren einen ersten Entwurf intern vorlegte, hagelte es Kritik; der Text musste stark überarbeitet werden.

Einiges deutet darauf hin, dass Franziskus zu Pontifikatsbeginn ein ambivalentes, von manchem Misstrauen geprägtes Verhältnis zur römischen Kurie mitbrachte. Die Ursachen dürften in früheren Erfahrungen als Diözesanbischof beim Umgang mit römischen Behörden gelegen haben. Dazu passt, dass er sich nicht immer von den Fachstellen des Apparats zuarbeiten ließ, sondern bis heute manches an Dienstwegen vorbei persönlich organisiert, und auch Rat von außen einholt. Aber mit der Zeit stützte er sich dann doch stärker auf den Dienst der Kurie und ihre Expertisen.

Auffallend häufig thematisierte Franziskus in seinen Ansprachen – insbesondere in den ersten Amtsjahren – die Tätigkeit der Kurie. Mit oft zugespitzten Formulierungen, die in der deutschen Übersetzung mitunter noch schärfer klangen, kritisierte er Missstände und ein mangelhaftes Dienstverständnis. Er wandte sich gegen Karrieredenken und Schlendrian, gegen Eitelkeit und Machtstreben, forderte zu Bescheidenheit und Demut, zu Umkehr und Änderung von Mentalitäten auf. Er geißelte höfisches Denken, Seilschaften, Intrigen, Tratsch, Günstlingswirtschaft und Bevorzugungen, Konkurrenzdenken und Komplizenschaft. Und er wandte sich gegen die „perverse Versuchung“ eines Klerikalismus: als würde Gott nur zu einigen wenigen sprechen, während die anderen nur zuhören und ausführen müssten.

Besonders verschreckte Franziskus seine Mitarbeiter und eine breitere Öffentlichkeit, als er der Kurie beim traditionellen Weihnachtsempfang 2014 anstelle eines freundlichen Jahresrückblicks einen Katalog von 15 Krankheiten vorhielt. Die Liste reichte von geistiger Versteinerung und Halsstarrigkeit bis zu „existentieller Schizophrenie“ und „geistigem Alzheimer“. Vor jeder Therapie sei es wichtig, eine gründliche Diagnose zu stellen, verteidigte der Papst seine direkten Worte. Und Offenheit und Klarheit scheinen dem Jesuiten-Papst aus Lateinamerika ohnehin wichtiger als Förmlichkeiten oder political correctness westlicher Prägung.

Im Jahresrückblick 2015 relativierte er dann seine Kritik vom Vorjahr, trug einen „Katalog von 12 Tugenden“ vor – und sparte nicht mit Anerkennung, Lob und Dank für seine treuen Mitarbeiter. Später legte er dann eine Art Roadmap mit zwölf Leitlinien für die künftige Kurie vor, die er in den Folgejahren immer weiter entfaltete.

Die Mitarbeiter der Kurie müssten „Sende- und Empfangsantennen“ sein, war sein Anliegen: Um den Willen des Papstes und der Oberen getreu weiterzuleiten, und um zugleich „Fragen, Anträge, Hilferufe, Freuden und Tränen der Kirchen und der Welt“ für den Papst entgegenzunehmen. Diese Empfangsfunktion sei wichtiger als Kontrollen oder das Erlassen von Vorschriften.

Die Zusammensetzung des Kardinalsrates signalisierte, dass Franziskus die Reform wesentlich am Kurienapparat vorbei konzipieren, dass er zumindest nicht ständig dessen Einfluss und Zugriff spüren wollte. Aber die Änderungen sollten und konnten nicht ohne die Betroffenen und erst recht nicht gegen sie erfolgen. Noch vor der konstituierenden Sitzung bat der Papst die Kurienchefs um eine Darstellung und Einschätzung ihrer Behörden und um Anregungen für Verbesserungen. Diese Dossiers lagen dem Kardinalsrat zu seiner ersten Konferenz vor, dazu rund weitere 100 Studien und Ratschläge von Bischofskonferenzen, Orden und auch von Einzelpersonen.

Bei jeder Konferenzrunde standen dann eine, zwei oder drei Kurien-Abteilungen auf dem Prüfstand, mitunter wurden die jeweiligen Präfekten oder Präsidenten geladen, um Aufgaben, Abläufe und Zuständigkeiten zu erörtern. Dann stellte der Papst das Projekt bei Konferenzen mit den Kurien-Chefs und auch bei einem der seltenen außerordentlichen Konsistorien des Kardinalskollegiums (Februar 2015) zur Diskussion.

Gegen Ende des Reformprozesses wurde der Text-Entwurf des Kardinalsrats nochmals allen Bischofskonferenzen zur Stellungnahme zugeleitet. Die Änderungsvorschläge wurden eingearbeitet, erneut von Experten durchgesehen – und so zog sich das Projekt in die Länge. Zuletzt verzögerten die Pandemie und 2021 auch ein Klinikaufenthalt und eine Darmoperation des Papstes den Abschluss.

In der Vergangenheit waren Kurienordnungen erst nach Abschluss aller Beratungen komplett veröffentlicht und in Kraft gesetzt worden. Die von Franziskus verfügte Reform in Etappen nahm von ihm und seinen Planern einen enormen Druck. Für die Fertigstellung des Gesamt-Projekts konnten sie sich mehr Zeit lassen. Denn besonders reformbedürftige Bereiche erhielten schon lange vor Abschluss des Gesamtpakets ihre neuen Strukturen und Vorgaben, insbesondere der Finanz- und der Mediensektor. Zudem entfalteten manche Reformschritte eine Eigen-Dynamik mit neuen Ideen und weiterführenden Modifizierungen, und erhielten somit eine erste Erprobungsphase.

Eine jüngste zusätzliche Maßnahme: Wenn in einer Behörde ein größerer Organisations- oder Personalwechsel ansteht, wird ein Funktions-Check, eine Evaluierung im Rahmen einer Visitation durchgeführt (zuletzt z. B. in den Ämtern für den Klerus, für Liturgie oder Entwicklung).

In der „Chronologie – Reformen eines Pontifikats“ (S. 295) sind Maßnahmen und Veränderungen aufgelistet, die bereits während des Reformprozesses in Kraft gesetzt wurden.

Die Kurie nach „Praedicate Evangelium“

Strukturen verbessern, Transparenz fördern, Mentalitäten ändern

Wie sieht nun diese Kurie nach „Praedicate Evangelium“ (PE) aus, mit der Franziskus den „Vatikan“ leiten, die Einheit der Universalkirche bewahren, die Ortskirchen unterstützen, deren Eigenverantwortung stärken und das Risiko von Organisations-Pannen in der Zentrale begrenzen will? Er selbst sieht die Konstitution in enger Kontinuität mit den beiden letzten Kurien-Erlassen, denen von Paul VI. (1967) und von Johannes Paul II. (1988).

Erste Kommentare sprachen von revolutionären Veränderungen in den Kurien-Strukturen, andere fühlten sich eher an den kreißenden Berg erinnert, der die Maus gebiert.

Auf den zweiten Blick bleiben die Neuerungen in Strukturen, Zuständigkeiten und Arbeitsabläufen in vielen Fällen überschaubar, für manche Behörden ändert sich hier nur wenig. Aber in einigen Bereichen hat Franziskus tatsächlich Reformen vorgenommen und klarere Verhältnisse geschaffen, und manches davon zeigt bereits Wirkung. Freilich fanden sich etliche Vorgaben und Vorschriften bereits in der bisherigen Ordnung, wurden jedoch nur unzureichend umgesetzt – und erhalten nun neuen Nachdruck.

Die in fast neunjähriger Arbeit erstellte neue Kurien-Konstitution ist mit einer Länge von 112 Heftseiten um ein gutes Viertel länger als das 34 Jahre lang gültige Vorgänger-Dokument „Pastor bonus“. Anders als dieses verzichtet PE auf eine ausführliche historische Einleitung, fasst dann aber die Prinzipien, Kriterien sowie die allgemeinen Normen detaillierter, wenn auch nicht unbedingt immer präziser. Mitunter beschränkt sich PE auf die Empfehlung, dass ein Vorgang „in geeigneter Weise“ geklärt oder erledigt werden soll.

Die Aufgaben-Beschreibung der einzelnen Behörden schwankt zwischen einer und sechs Seiten. Manche Texte sind komplett neu, andere (z. B. für „Seligsprechungsprozesse“) scheinen komplett aus „Pastor bonus“ übernommen.

PE hat das Organigramm der Kurie gestrafft, die Zahl der zentralen Behörden von 21 auf 16 reduziert. Franziskus hat etliche Ämter zusammengelegt, deren „Aufgaben sehr ähnlich waren oder sich ergänzten“ (PE II,11), hat sie integriert, fusioniert, einige geschlossen, andere komplett neu aufgestellt. Eingespart wurden damit v. a. Leitungspositionen und Administrationen.

Zur Kurie gehören:

•das Staatssekretariat. Es fungiert mit seinen drei Abteilungen weiterhin wie eine Regierungszentrale und ist darin dem deutschen Kanzleramt (samt Innen- und Außenministerium) strukturell vergleichbar.

•16 Dikasterien – wie die bisherigen Kongregationen, Dikasterien oder Päpstlichen Räte nun einheitlich heißen; der Unterschied zwischen großen und kleinen „Ministerien“ fällt damit weg. Rechtlich sind sie gleichgestellt, sie haben weitgehende Eigenständigkeit.

•3 Gerichtshöfe (Organe der Gerichtsbarkeit: Pönitentiarie, Signatur, Rota)

•die Wirtschaflichen Organe, bestehend aus sechs Einheiten (Wirtschaftsrat, Wirtschaftssekretariat, Güterverwaltung, Generalrevisor, Kommission für vertrauliche Angelegenheiten, Investitionskomitee)

•3 Ämter (Präfektur, Zeremonienamt, Camerlengo)

•knapp 10 mit dem Heiligen Stuhl verbundene Institutionen: Archiv, Bibliothek, Dombauhütte von Sankt Peter, Kommission für Sakrale Archäologie, diverse Akademien, AVEPRO (Agentur zur Qualitäts-Evaluierung akademischer Einrichtungen), ASIF (Finanzaufsichts- und Informationsbehörde)

Die Bischofssynode ist weiterhin nicht Teil der Kurie. Allerdings sollen die kurialen Einrichtungen dem „Generalsekretariat der Synode“ (in PE fehlt der Wortteil „Bischofs-“) bei Bedarf zuarbeiten (PE 33).

Der Kardinalsrat wurde, anders als zunächst vorgeschlagen, nicht zu einem festen Kurien-Organ zwischen Staatssekretariat und den Dikasterien, sondern bleibt ein beratendes Gremium des Papstes.

Prinzipien, Kriterien, Normen

1. Im Dienst des Papstes

Die Kurie leistet in erster Linie einen Dienst für den Papst, der als Nachfolger des Apostels Petrus das „immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ ist (PE I,6). Sie ist „das Organ, dessen sich der Papst normaler Weise bei der Ausübung seines höchsten Hirtenamtes und seiner universalen Sendung in der Welt bedient“, schreibt PE 1.

Der Papst empfängt persönlich in Audienz die Leiter der Kurienbehörden, die ihm „regelmäßig und häufig“ über die laufenden Angelegenheiten, Tätigkeiten und Projekte berichten (PE 24). Alle Entscheidungen über wichtige Angelegenheiten bedürfen seiner Zustimmung (PE 31).

Kein Gesetz oder Dekret mit Gesetzeskraft darf ohne seine ausdrückliche Approbation erlassen werden (PE 30). Damit wird die einmalige Stellung des Papstes als Wahlmonarch mit absoluter, zentraler Macht, wie sie bereits das Erste Vatikanische Konzil 1870 festgelegt und das Zweite Vatikanum 1964 um Ausweitung bischöflicher Befugnisse ergänzt hat, erneut untermauert. Zugleich wird die Kurie stärker zum Dienst-Instrument ausgerichtet – womit sich ihre eigene Macht relativiert.

2. Im Dienst der Bischöfe

Die Kurie steht auch im Dienst der einzelnen Bischöfe und des Bischofskollegiums – als Nachfolger der Apostel. Sie steht nicht zwischen dem Papst und den Bischöfen, sondern sie stellt sich in den Dienst beider (PE I,8). Sie darf keine Trennwand, sondern muss ein Bindeglied sein.

3. Im Dienst der Weltkirche und der Bischofskonferenzen

Nachdrücklicher als frühere Ordnungen hält PE folglich die Vatikan-Behörden zur Zusammenarbeit, zu Dienst und Unterstützung für die Ortskirchen (in der Regel sind dies die Diözesen), die Bischofskonferenzen und Ordensgemeinschaften an. Sie müssten die ersten Nutznießer der Kurien-Tätigkeit sein.

PE zielt darauf ab, die Bischofskonferenzen „in ihrem Potenzial zu stärken, ohne dass sie als Zwischenglied zwischen dem Papst und den Bischöfen fungieren, sondern ihnen voll und ganz zu Diensten sind“ (PE I,9). Unbeschadet der Gewalt des Bischofs über seine Teilkirche seien sie „gegenwärtig eine der bedeutendsten Modalitäten, um der kirchlichen Gemeinschaft in den verschiedenen Gebieten zusammen mit dem Papst, […] Ausdruck zu verleihen und zu dienen“ (PE I,7).

Dieser Aufruf zu enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Ortskirchen und Bischofskonferenzen zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Konstitution und nimmt alle Kurienbehörden in die Pflicht – auch wenn die Forderung nicht komplett neu ist. Rom muss wichtige Vorgänge oder Dokumente, die bestimmte Länder oder Ortskirchen betreffen, mit diesen abstimmen. Generell ist der Ton der Konstitution freundlicher, verbindlicher. Hieß es früher, die Behörde sorge im Bedarfsfall „für geeignete Abhilfe“, so wird nun zu Dialog und einvernehmlicher Klärung angehalten. Bei Anfragen aus den Ortskirchen haben die Kurienbehörden den Empfang zeitnah zu bestätigen, sie mit Sorgfalt zu prüfen und so bald wie möglich eine angemessene Antwort zu geben, ordnet PE 36,3 an.

Ob sich damit die mitunter als römische Bevormundung oder Kontrolle empfundene Behandlung in der Zusammenarbeit ändert, bleibt abzuwarten.

4. Gesunde Dezentralisierung

Franziskus setzt dabei, wie er es seit Beginn seines Pontifikats angemahnt hat, auf eine „gesunde Dezentralisierung“ (PE II,2) – nach dem Prinzip der Subsidiarität. Der Papst möchte den Bischöfen in Ausübung ihres eigenen Lehramtes mehr Kompetenz und Befugnis in den Fragen überlassen, die sie gut kennen – und die die Einheit der Lehre, der Disziplin und der Gemeinschaft der Kirche nicht berühren. „Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen“, hatte Franziskus schon in seinem Pontifikats-Programm „Evangelii gaudium“ (EG 32) geschrieben – und in einem Motu Proprio vom 15.2.2022 ergänzt.

Das gilt für bestimmte Lehrfragen, etwa für die Übersetzung liturgischer Texte oder auch für Disziplinar-Maßnahmen gegen Ordensleute, wenn sie sich mehr oder weniger offen über Gelübde, Gehorsamspflichten und andere Regeln hinwegsetzen. Weiter betrifft das die Gründung und Leitung von (interdiözesanen) Seminaren, die Priesterausbildung, wie auch die Ausarbeitung von Katechismen. Hier brauchen die Bischofskonferenzen keine Zustimmung (approvazione) des Vatikans mehr, sondern nur noch eine einfachere Bestätigung (conferma). In diesen Änderungen spiegele sich „die miteinander geteilte und vielfältige Universalität der Kirche wider, welche die Unterschiede umfasst, ohne sie zu vereinheitlichen“, hatte Franziskus in dem Motu proprio erklärt. Der Vatikan vertraue darauf, dass die einzelnen Bischöfe die Lage vor Ort besser einschätzen und somit unmittelbarer und rascher agieren oder reagieren können.

5. Internationale Besetzung

Die Kurie soll auf allen Ebenen die Universalität und Katholizität der Kirche widerspiegeln (PE II,10). Daher sollen die Bischöfe und Ordensgemeinschaften dem Papst qualifizierte Mitarbeiter aus unterschiedlichen Regionen und Kulturen für diesen Dienst zur Verfügung stellen.

Das wird freilich erschwert durch den Umstand, dass viele Diözesen angesichts eigener Personalengpässe ungern Kleriker nach Rom schicken. Zudem sind die vergleichsweise niedrigen Gehälter im Vatikan insbesondere für Laien aus wohlhabenden Ländern nicht unbedingt ein Anreiz für Rom-Bewerbungen. Folglich dominieren im Mittel- und Unterbau die Italiener oder Wahl-Römer.

6. Professionalität und Personalpolitik

Der Papst erwartet von seinen Mitarbeitern in der Kurie fachliche Qualifikation und Professionalität (PE II,7). Daher müsse „der Auswahl und Ausbildung des Personals sowie der Arbeitsorganisation und der persönlichen und beruflichen Entwicklung jedes einzelnen große Aufmerksamkeit“ gewidmet werden. Mit PE wurde im Wirtschaftssekretariat eine eigene Personalabteilung eingerichtet, die „Direktion für das Personalwesen des Heiligen Stuhls“ (PE 217), die sich um eine systematische Personalpolitik kümmern soll. Sie muss neue Wege der Personalplanung und -auswahl für die einzelnen Dikasterien entwickeln, sich um Weiterbildungsmöglichkeiten sowie um neue Formen einer leistungsorientierten Entlohnung kümmern, die Professionalität erhöhen, berufliche Perspektiven aufzeigen und die interne Mobilität fördern, wie Sekretariats-Präfekt Guerrero in einem Brief an die übrigen Kurienchefs erläuterte. Das Staatssekretariat, bei dem dieser Bereich bislang lag, betreut nur noch die päpstlichen Ernennungen – also die der Präfekten, Sekretäre, Mitglieder und Berater der Kurienbehörden sowie des diplomatischen Personals.

7. Spiritualität und persönliche Integrität

Neben Professionalität sollen die Mitarbeiter in der Kurie (Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien) auch kirchliche Spiritualität mitbringen (PE II,6). Sie sollen sich auszeichnen „durch geistliches Leben, gute pastorale Erfahrung, einfachen Lebenswandel und die Liebe zu den Armen, den Geist der Gemeinschaft und des Dienstes sowie durch Kompetenz in den ihnen anvertrauten Angelegenheiten und die Fähigkeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen“. Die Behörden sollen ein religiöses Gemeinschaftsleben pflegen mit gemeinsamem Gebet, geistlicher Erneuerung und regelmäßigen gemeinsamen Messfeiern. Neben dem Dienst in der Kurie sollten sich die Papst-Mitarbeiter möglichst auch seelsorglich betätigen, etwa in einer römischen Pfarrei oder ihrer (Ordens-)Gemeinschaft.

8. Fluktuation in Kurienämtern

Die Anstellungsdauer für die kurialen Mitarbeiter soll generell begrenzt werden. Zwar galten auch bisher Berufungen in der Regel für fünf Jahre, aber Verlängerungen, auch mehrmalige, wurden oft – aber keineswegs immer – großzügig gehandhabt. Kleriker und Ordensleute sollen künftig nach fünf Jahren in ihre Diözesen oder Gemeinschaften zurückkehren (PE 17). Der Papst will damit einem Abgleiten in Routine und einem Karriere-Denken gegensteuern. Er sieht die Fluktuation als Hebel, um Besitzstände und Dauerpfründe abzubauen, Verkrustungen aufzubrechen, um frisches Blut und neue Ideen einzubringen – und so schließlich eine Mentalitätsänderung anzustoßen. Allerdings sei für erfolgreiche Mitarbeiter eine Verlängerung um ein weiteres „Quinquennium“ (Fünfjahreszeitraum) möglich, heißt es in PE 17,4.

Da Rom sich aber heute schon schwertut, aus bestimmten Ländern genügend qualifiziertes Personal mit ausreichenden Sach- und Sprachkenntnissen zu finden, könnte sich die zeitliche Beschränkung als weiteres Rekrutierungshindernis erweisen. Denn die Einarbeitung am Vatikan braucht Zeit, in der Regel wenigstens ein Jahr – bis ein Neueinsteiger etwa einen Brief auf Italienisch in vatikanischem Stil schreiben kann. In manchen Spezialbereichen braucht der Einstieg noch länger. Ein häufiger Wechsel wäre dort also suboptimal.

Die Anstellung von Laien ist jeweils durch Verträge geregelt. Bei einer unbegrenzten Festanstellung ist allenfalls die Versetzung in einen anderen Bereich möglich.

9. Stellvertretungscharakter – Legitimation durch Auftrag des Papstes

Hohe Erwartungen und breite Zustimmung fand PE mit der Ankündigung, dass nicht nur Kardinäle, Bischöfe und Priester, sondern im Prinzip jeder Gläubige aufgrund seiner Taufe im Auftrag des Papstes eine Vatikan-Behörde leiten könne – Kompetenz und Qualifikation für die jeweilige Aufgabe vorausgesetzt (PE II,5). Denn die Leitungsgewalt erhält er hier nicht durch ein Weihesakrament, durch einen hierarchischen Rang oder den klerikalen Stand, sondern aus der Beauftragung durch den Papst – dessen Stellung damit nochmals unterstrichen wird. Noch „Pastor bonus“ (7) schrieb, gemäß dem Kirchenrecht (CIC 129), dass „alles, was die Ausübung von Leitungsvollmacht erfordert, denjenigen vorbehalten ist, welche die heilige Weihe empfangen haben“.

Diese Regelung war ein Hauptthema beim Kardinals-Konsistorium Ende August 2022, das zwei Tage lang über die Kurienreform diskutierte. Zum einen hat die neue Norm bereits die Praxis erreicht: Seit 2018 wird das Kommunikations-Dikasterium von einem Laien geleitet. Das könnte ähnlich für die Behörden für „Laien-Familie-Leben“, die Bibliothek oder für das Sozial-Dikasterium gelten, wo schon jetzt eine Ordensschwester Stellvertreterin des Präfekten ist. Zum anderen gilt es als wahrscheinlich, dass etwa die Dikasterien für Bischöfe und Kleriker, für Ostkirchen oder Ökumene auch künftig von einem Geistlichen mit hohem hierarchischem Rang (nicht zuletzt aus Repräsentationsgründen) geleitet werden. Im Nachklang zum Konsistorium wurde hier eine Klärung erwartet.

Aufbau der Kurien-Behörden

Leitungsstrukturen, Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe innerhalb der Behörden haben sich mit PE wenig geändert. Es bleibt bei der meist dreiköpfigen Leitungsebene.

•An der Spitze steht der Präfekt (oder eine gleichwertige Person), er wird vom Papst für fünf Jahre ernannt, mit der Möglichkeit der Verlängerung. Es muss nach PE nicht mehr ein Kardinal oder Bischof sein. (Ausdrücklich zugeschrieben wird der Kardinalsrang in PE nur dem Camerlengo [der während einer Sedisvakanz eine zentrale Rolle erhält], dem Präfekten der Signatur und dem Koordinator des Wirtschaftsrates.)

•Der Präfekt wird unterstützt von einem oder mehreren Sekretären und Untersekretären.

•Diesen „Superiori“ arbeiten Referenten/Beamte (PE 14,3) aus möglichst verschiedenen Weltgegenden zu – damit „die Römische Kurie die Universalität der Kirche widerspiegelt“. Diese Kleriker, Ordensleute und Laien erledigen die Sacharbeit in den römischen Behörden. Verlangt werden von ihnen theologische und fachspezifische Qualifikationen (mit Studienabschlüssen), Sprachkenntnisse – sowie Klugheit, Bildung und Erfahrung.

•Leitungs- und Entscheidungsinstanz des Dikasteriums sind die vom Papst für jeweils fünf Jahre ernannten Mitglieder (PE 15), meist zwischen 15 und 30. Dazu gehören Kardinäle und einige Bischöfe – und je nach Aufgabe der Behörde auch Priester, Diakone, Ordensleute sowie Laien – im Sinne des stellvertretenden Charakters der Römischen Kurie.

•Die Berater (PE 16) werden ebenfalls vom Papst für fünf Jahre berufen. Häufig sind es Professoren (auch Frauen), oft von römischen Universitäten, aber auch Experten aus aller Welt; denn Expertisen lassen sich in Internet-Zeiten auch digital austauschen.

•Das Technische Personal: Pförtner, Hausmeister, Boten, IT-Techniker, Verwalter, Büro- und Schreibkräfte. Die meisten sind Italiener.

Beobachter sind immer wieder überrascht, wie dünn die Personaldecke in vielen vatikanischen Stabsstellen ist. Im Dikasterium für den interreligiösen Dialog sind es vom Kardinal bis zum Pförtner gerade 15 Personen, im Justizministerium nicht einmal ein Dutzend, im Staatssekretariat, das Staatskanzlei, Innen- und Außenministerium in einem ist, sind es gerade 230 Mitarbeiter.

Ablauf-Strukturen:Zusammenarbeit innerhalb der Behörden

Auch der Arbeitsablauf und die Organisation innerhalb der Behörden hat sich mit PE nicht grundsätzlich verändert. Allerdings wurden geltende Vorgaben und Möglichkeiten bisher nicht immer ausgereizt und optimal genutzt.

•Der Congresso (PE 25) ist das (meist wöchentliche) Stabstreffen der Behördenoberen mit allen oder mit einigen Referenten – (das bleibt „im Ermessen des Leiters“) – zur Abstimmung und wechselseitigen Information der Arbeit. In der Vergangenheit bezogen die Superiori (vielleicht noch als Relikt höfischer Gepflogenheiten) ihre Beamten und Referenten in unterschiedlichem Maße (und nicht überall) in die Arbeit ihres Amtes ein. Der Informationsfluss wurde nach unten immer dünner. Teamgeist war nicht überall angesagt. Die Referenten hatten oft nur einen partiellen Einblick in die Tätigkeit ihres Amtes. – Über ihre Gehaltskürzungen im Zuge der coronabedingten vatikanischen Finanzkrise von 2021 etwa erfuhren viele zunächst über die Medien.

•Die Ordinaria, die Mitgliederversammlung MV (PE 26), die Konferenz der vom Papst berufenen Mitglieder, berät die Vorlagen und Arbeitsergebnisse des römischen Arbeitsstabs und der Consultori und erstellt daraus Empfehlungen für den Papst. Zur ordentlichen MV genügen die in Rom lebenden Mitglieder. Die Vollversammlung aller Mitglieder soll alle zwei Jahre stattfinden, ggf. auch als Videokonferenz. In manchen Behörden (für die Evangelisierung, die Bischöfe, die Heiligsprechungen) tritt die MV vierzehntäglich zusammen (von Oktober bis Juni), im Glaubens-Dikasterium monatlich, in anderen Behörden bei Bedarf.

•Die Consulta, die Konferenz der Berater (PE 27), besteht als festes Gremium nur in wenigen Behörden, etwa in denen für die Glaubenslehre, für Heiligsprechungen oder für Gesetzestexte. Ansonsten arbeiten die Berater nach Anfrage und Bedarf mit Kommentaren und Expertisen zu. In der Regel geben sie ihre Einschätzung schriftlich ab.

Ablauf-Gremien:Transparenz und Verzahnung zwischen den Behörden

Wunder Punkt in der Kurienarbeit und Anlass für (manche) Kritik und Klagen war in der Vergangenheit die unzureichende Vernetzung unter den Kurienbehörden. Es fehlte an einem effizienten und institutionalisierten Informationsaustausch unter den Ämtern. Anders als im säkularen Regierungsbetrieb tagen im Vatikan keine regelmäßigen „Kabinettsrunden“, in denen der Papst mit seinen Ressortchefs berät und Entscheidungen trifft.

Die einzelnen Dikasterien der Römischen Kurie genießen auch nach PE weitgehende Eigenständigkeit. Ihre Vorgänge werden auf der Stabsebene vorbereitet (ggf. im Congresso), dann von der Mitgliederversammlung der Kardinäle und Bischöfe (und weiterer Mitglieder) beraten und verabschiedet, und schließlich vom Behördenchef direkt dem Papst vorgelegt. Der trifft – ggf. bei einer Audienz für den Behördenleiter – die Entscheidung über die ihm vorgelegten Entwürfe, Dokumente und Maßnahmen.

Bislang wusste in der Kurie die Behörde A auf offiziellem Weg wenig über Themen, Planungen und Projekte von Behörde B. Zwar sind die Kurienpräfekten immer auch Mitglieder in zwei bis fünf weiteren Behörden, über die sie (bedingt) informiert sind, da sie zu deren Entscheidungskonferenz gehören. Aber über die laufende Arbeit der übrigen Dikasterien wussten sie von Amts wegen nichts. Damit waren Doppelungen und Überschneidungen unvermeidbar – und auch manche Lücken. Es haperte an einer systematischen Verzahnung, was mitunter zu Unstimmigkeiten und gelegentlich zu Pannen führte: wenn einer Behörde wichtige Informationen fehlten, die in einem anderen Büro durchaus vorlagen.

Entsprechend hoch waren und sind hier die Erwartungen an PE, das folgende Gremienformate vorsieht:

•Regelmäßige Audienzen des Papstes für die Dikasterien-Chefs (PE 24). „Die Leiter der Kurien-Einrichtungen oder an ihrer Stelle die Sekretäre werden vom Papst persönlich in der von ihm festgelegten Form empfangen, um regelmäßig und häufig über die laufenden Angelegenheiten, Tätigkeiten und Projekte zu berichten.“

•Regelmäßige Versammlungen aller Kurien-Leiter mit dem Papst (PE 34) – um „eine größere Kohärenz und Transparenz in der Arbeit der Kurie zu fördern“. Sie sollen vom Staatssekretär im Einvernehmen mit dem Papst regelmäßig zusammengerufen werden, „um gemeinsam die Arbeitspläne der einzelnen Institutionen und deren Durchführung zu erörtern, um ihre Arbeit zu koordinieren, um Informationen auszutauschen und um Angelegenheiten von größerer Bedeutung zu prüfen; um Meinungen und Vorschläge einzubringen; um Entscheidungen zu treffen, die dem Papst vorzulegen sind“.Solche Gipfeltreffen der Kurienleiter mit dem Papst hat es auch in der Vergangenheit in größeren Abständen gegeben. Sie galten aber meist bestimmten Einzelfragen und -problemen und weniger dem allgemeinen Austausch und Informationsstand.

•Konsistorium der Kardinäle (PE 35), das der Papst für „die wichtigsten Angelegenheiten allgemeiner Art“ (zusätzlich zu diesen Treffen mit den Kurienleitern) einberufen kann. Ordentliche Konsistorien finden (für die in Rom anwesenden Kardinäle) routinemäßig statt, um bedeutenden Entscheidungen, etwa der Erlaubnis zur Heiligsprechung einen förmlichen Rahmen zu geben. Zu außerordentlichen Konsistorien wird das gesamte Kardinalskollegium geladen, um gemeinsam über sehr wichtige Angelegenheiten zu beraten. Franziskus hatte solche „Gipfeltreffen“ 2014 und 2015, dann aber erst wieder 2022 anberaumt.

•Interdikasteriale und intradikasteriale Sitzungen für Fragen, Themen und Bereiche, die mehrere Dikasterien betreffen (PE II,9) – analog einem Corona-Kabinett oder Sicherheits-Kabinett. Sie werden vom Staatssekretariat einberufen.

•Gemeinsame Prüfung von Angelegenheiten, die in die gemischte Zuständigkeit mehrerer Dikasterien fallen (PE 28). Dafür sind selbst Details geklärt: Einberufen muss die Sitzung der Chef derjenigen Behörde, der die Arbeit zuerst zugewiesen wurde. Für Vorgänge, die häufige Beratungen erfordern, kann nach Zustimmung des Papstes eine interdikasterielle Kommission eingesetzt werden (PE 28,5).

Zudem muss eine Behörde ein allgemeines Dokument, bevor sie es dem Papst vorlegt, den anderen beteiligten kurialen Einrichtungen übermitteln, um eventuelle Bemerkungen, Abänderungen und Verbesserungsvorschläge entgegenzunehmen (PE 29,1). – Freilich wird noch zu klären sein, wie genau diese Zusammenarbeit aussehen und wie weit sie reichen soll.