Kursbuch Apotheke - Thomas Müller-Bohn - E-Book

Kursbuch Apotheke E-Book

Thomas Müller-Bohn

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Beschreibung

Wohin steuern die Apotheken? Apotheken stellen die Arzneimittelversorgung sicher und bieten qualifizierte Beratung. Eine stärker patientenorientierte Pharmazie macht allerdings noch mehr und wertvollere Leistungen möglich - aber im Alltag werden Apotheken zwischen ausufernder Bürokratie und unzureichender Honorierung aufgerieben Der Autor zeigt als intimer Kenner der Berufspolitik Zusammenhänge auf, und er liefert Argumentationslinien zu Zukunftsfragen rund um die Apotheke. Gleichzeitig vertieft er in diesem E-Book die Inhalte des ebenfalls von ihm verfassten und beim Hirzel Verlag erschienenen Manifests "Das Prinzip Apotheke", liefert Hintergründe und entwickelt Perspektiven.

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Vorwort

Wer mit den Apotheken und der Entwicklung der Apothekenlandschaft in Deutschland vertraut ist, kennt das große Dilemma dieses unterschätzten Teils der Gesundheitsversorgung: Die patientenorientierte Pharmazie verspricht vielfältige neue Leistungen zum Wohl der Patienten, aber im Alltag werden die Apotheken zwischen ausufernder Bürokratie und langfristig unzureichender Honorierung zerrieben. Große Teile der Gesellschaft wissen nicht einmal, was die Apotheken heute leisten und können umso weniger ermessen, welches Potenzial die patientenorientierte Pharmazie für künftige Patienten bietet. Doch wie ist es dazu gekommen? Warum haben die Gesundheitspolitik und die pharmazeutische Berufspolitik in den zurückliegenden 15 Jahren diese offenkundigen Probleme nicht gelöst? Was bietet die Zukunft? Was muss sich ändern, damit die Apotheken noch mehr für ihre Kunden und Patienten tun können? Dieses Buch gibt Antworten auf diese Fragen. Es vermittelt Zusammenhänge zwischen vielen Details der berufspolitischen Entwicklung und zeigt Argumentationslinien zu Zukunftsfragen rund um die Apotheken auf. Wer sich für bestimmte Fragen rund um die Apotheke interessiert, kann auch gezielt das jeweilige Kapitel aufsuchen.

Damit wendet sich das Buch sowohl an die Apotheker selbst als auch an Kenner der Apothekenlandschaft, seien sie Politiker, Journalisten, Beobachter aus anderen Teilen des Gesundheitswesens oder besonders interessierte Patienten. Das Buch soll Ideen vermitteln. Zu den Hintergründen dieser Ideen gehört bei einigen wichtigen Fragen der Blick zurück auf längere Entwicklungen und manchmal auch tief in Details. Betrachtet werden solche Einzelheiten, die für das Verständnis der Situation oder für den Weg zu einer sinnvollen Lösung wichtig erscheinen. Das „Kursbuch Apotheke“ ist damit zielgerichtet – es soll keine komplette Darstellung aller berufspolitischen Themen der Apotheker sein.

Das Buch soll auch angehenden Apothekern und Berufsanfängern die wichtigsten Aspekte aus der jüngeren Geschichte der Berufspolitik vermitteln. Damit soll es zum Einstieg in die Berufspolitik motivieren und dazu beitragen, dass junge Apotheker diese Arbeit künftig bereichern.

Das Buch wendet sich auch an Leser des Manifests „Das Prinzip Apotheke“. Die Zukunftsideen und die Probleme der Apotheken, die dort dargestellt wurden, werden hier vertieft. Wer das Manifest „Das Prinzip Apotheke“ gelesen hat und weitere Hintergründe sucht, findet sie hier. Wie man Apotheker wird, wie eine Apotheke funktioniert und wie die Preise für Arzneimittel gebildet werden, wird hier nicht mehr erklärt. Doch die anderen Kapitel des Manifests werden vertieft. Damit soll noch deutlicher werden, worin die Vorteile des „Prinzips Apotheke“ liegen und wie dies künftig noch mehr zum Nutzen der Patienten beitragen kann.

Süsel, im Frühjahr 2016

Thomas Müller-Bohn

Abkürzungen

ABDA

Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

AMG

Arzneimittelgesetz

AMNOG

Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts

ApBetrO

Apothekenbetriebsordnung

BVDA

Bundesverband Deutscher Apotheker

BVDAK

Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen

BVDVA

Bundesverband Deutscher Versandapotheken

BVKA

Bundesverband klinik- und heimversorgender Apotheken

DPhG

Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft

Dtsch Apoth Ztg

Deutsche Apotheker Zeitung

GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

Hrsg

Herausgeber

KBV

Kassenärztliche Bundesvereinigung

Pharm Ztg

Pharmazeutische Zeitung

PKA

Pharmazeutisch-kaufmännische(r) Angestellte(r)g

PKV

Private Krankenversicherung

PTA

Pharmazeutisch-technische(r) Assistent(in)

SGB V

Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs

VZA

Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker

WHO

World Health Organization, Weltgesundheitsorganisation

WIPIG

Wissenschaftliches Institut für Prävention im Gesundheitswesen

Einführung

Welches Potenzial für das Gesundheitswesen und für die künftigen Patienten steckt in den Apotheken? Was müsste geschehen, um die bestehenden Chancen optimal zu nutzen? Welche Probleme bestehen im Alltag der Apotheken? Wie funktioniert das Prinzip der freiberuflichen inhabergeführten Apotheken? Welche Vorteile bietet dieses „Prinzip Apotheke“ als Vorbild für andere Anwendungen? – Antworten auf diese Fragen vermitteln das Manifest „Das Prinzip Apotheke“ und dieses Kursbuch.

Das Manifest wendet sich auch an Leser1, die mit der Funktionsweise von Apotheken nur wenig vertraut sind und verzichtet zugunsten eines eher knappen Umfangs auf viele Details und Hintergründe. Genauere Antworten und Vertiefungen des Manifests enthält dieses „Kursbuch Apotheke“. Es wendet sich an Leser, denen die Grundlagen der Arbeit in Apotheken bekannt sind und die eine vertiefte Darstellung vorziehen. Für diese Leser wird das „Kursbuch Apotheke“ auch ohne Kenntnis des Manifests verständlich sein. Um beide Werke jeweils für sich allein „lesbar“ zu gestalten, müssen einige Gedankengänge wiederholt werden. Dabei werden hier jedoch gegenüber dem Manifest immer wieder zusätzliche Aspekte eingefügt. An einigen Stellen wird allerdings auf das Manifest verwiesen (jeweils mit dem Verweis „Manifest“ und der Nummer des Kapitels im Manifest).

Die »Kap. 1–4 des Manifests, in denen der Apothekerberuf und die Arbeit in der Apotheke vorgestellt werden, werden hier nicht mehr aufgegriffen. Die übrigen Kapitel des Manifests sind in folgender Weise den Kapiteln dieses Buchs zuzuordnen:

»

Kap. 5

des Manifests wird hier in

»

Kap. 1

ausführlicher dargestellt,

»

Kap. 6

des Manifests wird hier in

»

Kap. 2

–5 ausführlicher dargestellt,

»

Kap. 7

des Manifests wird hier in

»

Kap. 6

–13 ausführlicher dargestellt,

»

Kap. 8

des Manifests wird hier in

»

Kap. 14

–16 ausführlicher dargestellt,

»

Kap. 9

des Manifests wird hier in

»

Kap. 17

–22 ausführlicher dargestellt,

»

Kap. 10

des Manifests wird hier in

»

Kap. 23

ausführlicher dargestellt.

Genauere Zuordnungen ergeben sich aus den Verweisen im Manifest.

Hier sollen in erster Linie Zusammenhänge aufgezeigt werden. In diesem Buch geht es um langfristige Entwicklungen und grundsätzliche Argumentationsketten sowie um einige typische Beispiele. Doch das Buch ist keine Datensammlung und es geht nicht um eine vollständige Auflistung relevanter Quellen. Die Zusammenhänge wurden nicht aus mehr oder weniger zufällig ausgewählten Quellen nachträglich recherchiert, sondern die Entwicklung wird aus dem eigenen Miterleben des Verfassers in achtzehn Jahren als Redaktionsmitglied der „Deutschen Apotheker Zeitung“ nachgezeichnet. Viele Quellen sind Beiträge aus der „Deutschen Apotheker Zeitung“, in denen zum Teil auf Primärquellen weiter verwiesen wird. Wer noch mehr Details sucht, findet diese in den wöchentlich erschienenen Ausgaben der „Deutschen Apotheker Zeitung“ der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte. Die künftigen Ausgaben werden die weitere Entwicklung beschreiben.

1Für einen guten Lesefluss werden in diesem Buch männliche Bezeichnungen für Personengruppen verwendet, womit selbstverständlich auch Frauen gemeint sind, die beim Apothekenpersonal schon lange die Mehrheit bilden.

A. Die Idee

1

Der Apotheker als Problemlöser – oder: eine Anleitung zum Gebrauch der Apotheke

Wenn die einschlägigen Umfragen die Einschätzungen der Bevölkerung auch nur halbwegs zuverlässig beschreiben, schätzen die meisten Menschen „ihre“ Apotheke hoch ein und empfinden Apotheken als sehr nutzbringend. Dagegen wissen wohl die wenigsten Menschen, dass ihnen die Apotheken noch viel mehr bieten könnten. Für manche zusätzliche Leistungen müssten sich Strukturen im Gesundheitswesen ändern, doch vieles wäre schon sofort möglich, wenn die Apotheker und die Kunden dies wirklich wollten. Dazu müssten die Kunden die „richtigen“ Leistungen einfordern und sie dann auch honorieren. Die Apotheker müssten diese Möglichkeiten besser bekannt machen, klare Angebote formulieren und die Leistungen konsequent anbieten. Die »Kap. 1–5 sollen aufzeigen, was die Apotheken leisten könnten. Sie wenden sich gleichermaßen an Apotheker, Kunden, Politiker und die Gesellschaft insgesamt und sollen als Ratgeber zum sinnvollen Gebrauch der Institution Apotheke dienen, sozusagen als Gebrauchsanleitung für die Apotheke. In »Kap. 1 geht es um Leistungen, die heute zum Standardangebot der Apotheken gehören, die aber in ihren Details nicht allgemein bekannt sind und die wahrscheinlich auch nicht immer und überall in der bestmöglichen Qualität erbracht werden. Damit die Beratung gelingen kann, sollten die Patienten die Gesprächsangebote der Apotheken annehmen und sich auf diese Kommunikation einlassen. Wenn die Kunden ihre Apothekenwahl an diesen Leistungen ausrichten, fördert dies sinnvollen Leistungswettbewerb unter den Apotheken.

Beratung zur Selbstmedikation

Die wichtigsten Aufgaben der Apotheken im Zusammenhang mit der Abgabe von Arzneimitteln gliedern sich in zwei grundlegende Fälle: die Selbstmedikation und die Belieferung von ärztlichen Rezepten. Hier soll zunächst von der Selbstmedikation die Rede sein. Immerhin sind etwa 45 % der Arzneimittelpackungen, die in deutschen Apotheken abgegeben werden, nicht verschreibungspflichtig. Sie können damit zur Anwendung in der Selbstmedikation genutzt werden, d. h. der Erkrankte stellt für sich selbst eine Diagnose und behandelt sich selbst ohne Mitwirkung eines Arztes oder ergänzend zur ärztlichen Behandlung und das oft ohne Wissen des Arztes. In solchen Fällen ist das pharmazeutische Fachpersonal, das das Arzneimittel in der Apotheke abgibt, die einzige qualifizierte Anlaufstelle für Fragen zum Arzneimittel und zu seiner Anwendung. Die Möglichkeiten zur Selbstmedikation nehmen tendenziell zu, denn es werden immer wieder ehemals verschreibungspflichtige Arzneistoffe aus der Verschreibungspflicht entlassen, während nur ganz selten Arzneistoffe nachträglich der Verschreibungspflicht unterstellt werden. In den zurückliegenden zwanzig Jahren sind dadurch viele wichtige Anwendungsgebiete für eine wirkungsvolle Selbstbehandlung zugänglich geworden, bei denen dies lange Zeit kaum vorstellbar schien. Das Potenzial der Selbstmedikation ist daher gewaltig und nimmt beständig zu. Die Selbstmedikation entlastet das Gesundheitssystem auch finanziell, denn die Kosten für das Arzneimittel tragen die Patienten selbst und auch der Arztbesuch entfällt. Dennoch sind die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel ein stagnierender Markt. Die Ursache dafür sehen Insider darin, dass die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) seit 2004 ärztlich verordnete, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel – von Ausnahmen abgesehen – nicht erstattet (»Kap. 11). Stattdessen können Ärzte in der Regel solche Produkte nur empfehlen. Dazu nutzen sie oft das „grüne“ Rezept, aber die GKV erstattet diese „Verordnungen“ nicht (Manifest »Kap. 3). Nach 2004 haben die vermehrten Selbstkäufe durch die Patienten aber die fehlenden Verordnungen zulasten der GKV nicht ausgeglichen. Insider vermuten sogar, dass manche Patienten, die sich Arzneimittel in der Selbstmedikation nicht leisten können, von ihren Ärzten stattdessen Verordnungen über verschreibungspflichtige Arzneimittel erhalten haben, obwohl es gute rezeptfreie Alternativen gibt. Wahrscheinlich hat die fehlende Erstattungsfähigkeit der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aber auch dem Image dieser Produkte geschadet. Manche Menschen meinen möglicherweise, dass solche Arzneimittel nicht gut wirken. Doch das ist falsch. Denn das maßgebliche Kriterium für die Verschreibungspflicht ist die Nutzen-Risiko-Abwägung. Rezeptfrei erhältliche Arzneimittel haben also ein besonders gutes Verhältnis zwischen ihrem Nutzen und den möglichen unerwünschten Wirkungen. Die Therapie mit diesen Arzneimitteln bedarf nicht unbedingt einer ärztlichen Überwachung, weil bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schwerwiegende Schäden sehr unwahrscheinlich sind. Doch diese Arzneimittel können sehr nützlich sein. Daher bietet die Selbstmedikation mit solchen Arzneimitteln bei vielen gesundheitlichen Problemen gute Erfolgschancen. Umso wichtiger ist der sachgerechte Einsatz dieser Arzneimittel, der durch die Beratung in der Apotheke sichergestellt werden soll.

Apotheker und ihr Personal dürfen keine Diagnose stellen. Dies ist den Ärzten vorbehalten – oder dem Patienten selbst, denn ohne eine zumindest vage Vorstellung von der Krankheit oder Befindlichkeitsstörung kann sich niemand selbst behandeln. Das Apothekenpersonal soll daher die Eigendiagnose des Patienten hinterfragen, heißt es in der einschlägigen Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Abgabe von Arzneimitteln für die Selbstmedikation. Dabei geht es nicht darum, eine Diagnose zu stellen wie der Arzt, sondern zu prüfen, ob die Sichtweise des Patienten plausibel ist. Dafür muss das Apothekenpersonal wissen, für wen das Arzneimittel bestimmt ist, welche Krankheitszeichen über welchen Zeitraum bestehen und was bisher dagegen unternommen wurde. Der erste Gedanke des Apothekenpersonals sollte dabei sein, ob das Problem einer Selbstbehandlung zugänglich ist oder ob der Patient sich unmittelbar bei einem Arzt vorstellen sollte. In den nächsten Schritten geht es darum, welches rezeptfrei verfügbare Arzneimittel am besten geeignet erscheint, welche weiteren Maßnahmen noch hilfreich sein könnten und wann im Fall andauernder Beschwerden ein Arztbesuch unumgänglich ist. Dies alles gilt prinzipiell unabhängig davon, ob der Kunde seine Symptome von sich aus beschreibt oder einfach nur ein bestimmtes Arzneimittel kaufen möchte. Im ersteren Fall kommt die Kommunikation zwischen dem Kunden und dem Apothekenpersonal „automatisch“ in Gang. Probleme bereitet eher der zweite Fall. Das Apothekenpersonal kann nicht erkennen, ob ein Kunde mit einem Arzneimittel wirklich vertraut ist oder es erstmals aufgrund einer Werbung kauft und möglicherweise falsche Vorstellungen vom Nutzen des Produkts hat. Die Apothekerorganisationen fordern ihre Mitglieder daher dazu auf stets nachzufragen, ob der Kunde das Produkt kennt. Doch auch Apotheker sind nur Menschen und trotz aller Bemühungen um professionelle Kommunikation gibt es dort, wo Menschen miteinander sprechen, auch Missverständnisse. Darum appelliert der Verfasser an die Apothekenkunden: Fragen Sie nach! Der millionenfach in der Werbung wiederholte Pflichtsatz aufgrund des Heilmittelwerberechts ist wirklich so gemeint: „Zu Risiken und Nebenwirkungen […] fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ Da die Selbstmedikation definitionsgemäß ohne Arzt stattfindet, bleibt dann nur der Apotheker. Der Pflichtsatz ist allerdings im pharmazeutischen Sinn unvollständig. Er sollte besser heißen: „Zu Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken fragen Sie …“ Denn zu allererst sollte bei jedem Arzneimittel die Wirkung interessieren. Die entscheidende Frage ist, ob das Produkt für die gewünschte Anwendung bei dem Patienten überhaupt geeignet ist. Kunden, die aus der Werbung, von Nachbarn oder Freunden von einem Arzneimittel erfahren oder sich grob an eine ähnliche frühere Anwendung erinnern, haben manchmal lückenhafte oder sogar falsche Vorstellungen von der Wirkung des Arzneimittels. Da sie nicht alle Konkurrenzprodukte kennen, wissen sie auch nicht, was möglicherweise viel besser zu ihrer Situation passt. Die professionell gestaltete Werbung der Pharmaindustrie suggeriert den Patienten allerdings mit den Mitteln des Marketings, das beworbene Präparat sei genau richtig für unzählige Anwendungsfälle. Diese Marketingwerkzeuge wirken oft überzeugender als die Beratung durch einen Apotheker, aber die Kunden sollten sich bewusst machen, dass Hersteller selbstverständlich ihr Produkt ins beste Licht rücken. Die beworbenen Arzneimittel können durchaus sehr gut sein, aber das muss nicht für jede Situation gelten. Auch das beste Arzneimittel ist sinnlos, wenn es für den falschen Zweck eingesetzt wird. Doch auch wenn das Anwendungsgebiet grundsätzlich stimmt, kann es Gründe geben, ein bestimmtes Arzneimittel nicht einzusetzen. Typische Fälle sind die Anwendung bei Kindern, Schwangeren, Stillenden, unerwünschte Wirkungen, die bei bestimmten Patientengruppen besonders bedeutsam sein können, und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln. Aus kommunikativer Sicht liegt ein tückisches Problem darin, dass sich viele Kunden des Gesprächsbedarfs gar nicht bewusst sind. Sie kennen das Problem gar nicht, das bei einer guten Beratung über das Arzneimittel zur Sprache kommen sollte, und präsentieren sich daher in der Apotheke als gut informiert.

Die Kunden sollten die Gelegenheit nutzen und in der Apotheke nachfragen. In Zeiten, in denen in fast allen Wirtschaftsbereichen Selbstbedienung üblich ist, haben viele Menschen dies vielleicht verlernt, aber in der Apotheke sollten sie die Möglichkeit zur Nachfrage umso konsequenter wahrnehmen, damit nicht eines Tages aus der Apotheke auch ein Selbstbedienungsladen wird. Darum seien hier zwei deutliche Appelle an die Apothekenkunden in der Selbstmedikation gerichtet: Erstens, fragen Sie nach, wenn Sie das gewünschte Arzneimittel nicht wirklich gut kennen. Fragen Sie Ihren Apotheker nicht nur, sondern fordern Sie Ihren Apotheker! Und zweitens, fühlen Sie sich nicht belästigt oder bedrängt, wenn das Apothekenpersonal sie fragt, ob Ihnen das gewünschte Arzneimittel vertraut ist. Wenn Sie dies versichern, wird das Apothekenpersonal sie in Ruhe lassen. Das System Apotheke beruht sogar wirtschaftlich darauf, dass nicht alle Kunden gleichermaßen ausführlich beraten werden wollen und müssen, denn andere Kunden erfordern dafür umso mehr Zeit.

Mit der Überprüfung der Eigendiagnose und der Auswahl eines geeigneten Arzneimittels ist ein Kundengespräch für die Selbstmedikation allerdings noch nicht komplett, jedenfalls nicht immer. Typischerweise sind dann noch ein paar Hinweise angebracht, wie, wann und wie lange das Arzneimittel angewendet werden soll. Dazu kursiert unter Apothekern die Geschichte von dem Kunden, der sich in einer Apotheke beklagte, dass die Zäpfchen so schlecht aus den Ohren zu entfernen wären und auch nicht geholfen hätten. Er hatte die Zäpfchen in die Ohren gesteckt, weil das darin enthaltene Schmerzmittel gegen Ohrenschmerzen helfen sollte. Dies ist nach Einschätzung des Verfassers keine Legende, sondern eine wahre Begebenheit. Daraus können Apotheker lernen, dass es keine Selbstverständlichkeiten gibt. Der Verfasser appelliert daher an seine Apotheker-Kollegen, auch dann nachzufragen, wenn auf den ersten Blick kein Bedarf für eine weitere Frage zu erkennen ist. Denn Kommunikation ist dann gelungen, wenn dabei auch abwegige Missverständnisse entlarvt werden. Politiker können daraus lernen, wie wichtig die Möglichkeit zur Beratung in der Apotheke auch bei scheinbaren Selbstverständlichkeiten ist (auch wenn die Beratung in diesem Fall nicht erfolgreich war). Patienten sollte diese Geschichte animieren, bei Unklarheiten nachzufragen. Dafür ist die Apotheke da, denn der Apotheker wird auch bei bestem Willen nicht jedes Missverständnis erahnen können.

Angesichts der großen Bedeutung der Beratung sollte der Leistungswettbewerb unter den Apotheken dafür sorgen, dass die Apotheken mit der besten Beratung Erfolg haben. Dies setzt Auswahlmöglichkeiten und damit auch eine gewisse Anzahl von Apotheken voraus. Kunden sollten diejenige Apotheke wählen, die ihnen die beste Beratung bietet. Dabei kann die Einschätzung, was eine gelungene Beratung ist, individuell verschieden sein. Darum ist es gut, dass Apotheken individuell geführt werden, durch ihren Inhaber geprägt sind und sich dementsprechend unterscheiden. Wenn aber der günstigste Preis, die geschenkte Packung Taschentücher oder die kürzeste Wartezeit über die Wahl der Apotheke entscheidet, führt dieser Wettbewerb eher nicht zur besten Beratung. Wenn Kunden sich ausführlich in der Vor-Ort-Apotheke beraten lassen, dann aber bei einer vermeintlich oder tatsächlich billigeren Versandapotheke im Internet kaufen, untergräbt dies langfristig das System. Das Ergebnis jedes Wettbewerbs hängt davon ab, auf welches Ziel er gerichtet ist. Wenn die Gesellschaft Beratung zu Arzneimitteln wünscht, muss auch der Wettbewerb entsprechend ausgerichtet sein.

Beratung zu verordneten Arzneimitteln

Dies gilt nicht nur für die Abgabe von Arzneimitteln zur Selbstmedikation, sondern entsprechend für das andere große Aufgabengebiet der Apotheken, die Abgabe ärztlich verordneter Arzneimittel. Auf den ersten Blick mag es einfach erscheinen, ein verordnetes Arzneimittel aus der Schublade zu nehmen und dem Patienten auszuhändigen. Doch dieser Schein trügt und das Bild vom Apotheker als „Schubladenzieher“ beschreibt in keiner Weise, was alles zu diesem Vorgang gehört. Auch hier können die Patienten eine qualitativ hochwertige Leistung der Apotheken erwarten. Dies wiederum sollte den diesbezüglichen Leistungswettbewerb der Apotheken vorantreiben.

Prüfung des Rezepts

Die Bearbeitung eines Rezepts in der Apotheke beginnt damit, die Daten der Krankenversicherung in den Apothekencomputer einzugeben, um zu prüfen, welche Rabattvertragsbedingungen für den betreffenden Patienten gelten. Wenn die Verordnung Rabattverträge berührt, ist dies für die weitere Bearbeitung entscheidend. Die weitreichenden Folgen dieser sozialrechtlichen Regelungen für die Patienten und die Apotheken werden insbesondere in »Kap. 14 und »Kap. 18 ausführlich dargestellt. Hier steht dagegen der Nutzen der Patienten im Mittelpunkt. Darum wird hier aus pharmazeutischer Sicht beschrieben, was zur Bearbeitung eines Rezepts gehört. Dabei steht an erster Stelle die Frage, ob das verordnete Arzneimittel klar bezeichnet ist oder ein Irrtum erkennbar ist. Dies mag auf den ersten Blick banal erscheinen, aber Rezepte sind keineswegs immer vollständig und fehlerfrei. Die Zeitschrift „PTAheute“, die sich an pharmazeutisch-technische Assistenten wendet, enthält seit vielen Jahren auf einer ihrer letzten Seiten die Rubrik „PTAallerlei“ – an der Stelle, an der bei vielen anderen Zeitschriften die „Witzseite“ erscheint. In jedem Heft werden dort aus Apotheken eingesandte Beispiele sonderbarer Rezepte abgedruckt, die für Insider komisch sind. Die Rubrik kommt offenbar so gut an, dass die Leser auch nach Jahrzehnten immer wieder neue Beispiele schicken. Die meisten Einsendungen betreffen witzige Schreibfehler bis zur vollständigen Verdrehung von Arzneimittelnamen, absurde Widersprüche zwischen Mengen- und Dosierungsangaben oder offensichtliche Computerpannen. Meist ist die richtige Verordnung für Insider dennoch erkennbar oder die Verordnung ist so verunglückt, dass selbstverständlich eine Rückfrage nötig ist. „Beliebte“ Pannen sind auch Angaben mehrerer Hersteller zu einem Arzneimittel oder die Verordnung eines Herstellernamens anstelle eines Arzneimittelnamens. Dies ist der komische Aspekt eines Themas, das auch eine ernste Seite hat. Um diese ging es in zwei Serien in der „Deutschen Apotheker Zeitung“. In den Jahren 2003 und 2005 rief die „Deutsche Apotheker Zeitung“ ihre Leser dazu auf, Fälle zu melden, in denen die Apotheke irgendwelche Fehler, Pannen oder Missverständnisse aufgedeckt und damit für die nötige Sicherheit im Umgang mit Arzneimitteln gesorgt hat2. Dabei ging es nicht um die selbstverständliche Arbeit der Apotheken, also um die regelmäßigen Hinweise, die im Vorfeld für den richtigen Umgang mit Arzneimitteln sorgen sollen, sondern um Fälle, in denen bereits etwas schief gegangen war oder schief zu gehen drohte. Ein großer Anteil der gemeldeten Fälle betraf Verordnungspannen. Die Serien ermöglichten aufgrund der Datenerhebung keine repräsentativen Analysen. Es ging nicht darum, die Häufigkeit der Probleme zu ermitteln. Die Beiträge zielten erstens darauf, die in der Öffentlichkeit oft unbemerkten Leistungen der Apotheken sichtbar zu machen, und zweitens, dem Apothekenpersonal, insbesondere Berufsanfängern, den Blick für solche Fälle zu schärfen.

Die aus den Apotheken berichteten Probleme bei den Verordnungen bestätigten die einschlägigen Erfahrungsberichte über Fehler im Medizinbetrieb. Als typische Probleme gelten Verwechslungen durch sogenannte „sound alikes“, also ähnlich klingende Namen für vollkommen verschiedene Produkte. Der Hintergrund kann dabei sein, dass der Patient beim Praxispersonal ein Wiederholungsrezept anfordert und der Arzneimittelname dabei falsch verstanden wird. Die ebenso oft thematisierten „look alikes“, also ähnlich aussehende Produkte mit unterschiedlichem Inhalt sind dagegen eher ein Problem bei der Arzneimittelanwendung, aber nicht beim Ausstellen von Verordnungen. Als weitere Fehlermöglichkeit galt früher die möglicherweise undeutliche Handschrift der verordnenden Ärzte, doch dies war für erfahrene Apotheker nur ein sehr kleines Problem im Vergleich zu den vielfältigen Fehlerquellen, die sich heutzutage aus dem Einsatz von Praxiscomputern ergeben. Denn das versehentliche Klicken auf eine falsche Zeile kann zu einer komplett falschen Verordnung führen. Dies ist erheblich schwieriger zu erkennen als ein Schreibfehler. Als extreme Fälle wurde über das Vertauschen von Verordnungen für verschiedene Patienten berichtet. Eine weitere Fehlerquelle sind Umstellungen der Medikation, bei denen die eigentlich abzusetzenden Arzneimittel dennoch weiter verordnet wurden. Solche Pannen führen manchmal zu fehlerhaften Angaben über die Stärken, Dosierungen oder Darreichungsformen (also Tabletten, Kapseln, Tropfen, Salben usw.), die dann aber helfen, Irrtümer zu entdecken, wenn sie nicht zu den verordneten Arzneimitteln passen. Das gemeinsame Problem solcher Fälle ist, dass die Verordnungen formal korrekt ausgestellt sind und damit vordergründig keinen Anlass zum Zweifeln geben. Selbstverständlich sollte der Arzt das Rezept vor der Unterschrift nochmals prüfen, aber auch Ärzte sind nur Menschen und bei Millionen von Rezepten gibt es dann doch irgendwann Fehler. Daher ist die Apotheke als zusätzliche Kontrollinstanz hilfreich und Apotheker sollten die Plausibilität von Rezepten hinterfragen. Die Einsendungen aus den Apotheken haben gezeigt, dass die Grenze zwischen technischen Pannen und inhaltlichen Problemen fließend verläuft. Manche Unklarheiten ergaben sich aus vielfältigen Produktvarianten und Umbenennungen von Arzneimitteln. Manchmal wurden aber auch relevante Besonderheiten der Patienten nicht berücksichtigt, beispielsweise altersadäquate Stärken für Kinder oder besondere Dosierungen für Patienten mit zusätzlichen Erkrankungen.

In den Serien ging es aber um weit mehr als nur um Pannen beim Ausstellen von Rezepten. Ein klassisches Problem in Apotheken sind Wechselwirkungen von Arzneimitteln, besonders wenn die verordnenden Ärzte nichts voneinander wissen. Offensichtlich informieren einige Patienten ihre Ärzte nicht über die Verordnungen durch andere Ärzte. In Apotheken können solche Probleme allerdings nur erkannt werden, wenn ein Kunde die Rezepte von mehreren Ärzten gleichzeitig einlöst oder die erhaltenen Arzneimittel in einer Kundendatei speichern lässt. Der letztere Fall weist auf »Kap. 3, das Leistungen beschreibt, die über eine einzelne Arzneimittelabgabe hinausgehen. Künftig soll dieses Problem durch einen Medikationsplan gelöst werden (»Kap. 3). Die Einsendungen aus den Apotheken haben auch gezeigt, dass manche Patienten sich überhaupt nicht über die möglichen Missverständnisse bei der Behandlung durch mehrere Ärzte bewusst sind. So können Ärzte wegen derselben Krankheit wirkstoffgleiche oder nahezu gleiche Arzneimittel verordnen, die aber unterschiedlich aussehen, und bei gemeinsamer Anwendung zu einer Überdosierung führen. Dies ist der klassische Fall einer sogenannten Doppelverordnung.

Als großes Problemfeld erwiesen sich bei den Einsendungen aus den Apotheken solche Arzneimittel, die mit technischen Hilfsmitteln angewendet werden müssen. Dies sind insbesondere Insulin für Diabetiker sowie inhalierbare Arzneimittel gegen Atemwegserkrankungen. Es wurde über Patienten berichtet, die mit technischen Tricks Insulin eines Herstellers in ein Applikationsgerät eines anderen Herstellers einsetzen, obwohl dies nicht dafür konzipiert ist. Das Insulin kann dadurch nicht mehr zuverlässig dosiert werden, aber gerade dies ist bei dieser Behandlung entscheidend. In solchen Fällen hat an einer Stelle die Kommunikation nicht funktioniert und der Arzt meint, der Patient habe ein Gerät des anderen Herstellers. Wenn Patienten dies nicht von selbst richtig stellen, bleibt zu hoffen, dass das Problem durch konsequentes Nachfragen in der Apotheke auffällt. Entsprechendes gilt für die Handhabung von Asthmasprays. Da nahezu jeder Arzneimittelhersteller eine andere Konstruktion für die Applikation seines Arzneimittels benutzt, müssen die Patienten jeweils in der Anwendung unterrichtet werden. Selbstverständlich schulen die Ärzte ihre Patienten entsprechend, aber die Erfahrung zeigt, dass viele Patienten wichtige Aspekte vergessen oder übersehen. Darum sollte sich das Apothekenpersonal bei jeder Abgabe eines solchen Arzneimittels vergewissern, dass der Patient den richtigen Umgang beherrscht.

Viele weitere Einsendungen aus den Apotheken zeichneten sich dadurch aus, dass sie nur schwer in eine Kategorie des Versorgungsablaufs einzuordnen sind. Die Leistung der Apotheke liegt in vielen Fällen gerade darin, schnell und flexibel auf unvorhersehbare Probleme reagieren zu können. Defekte Geräte, Lieferengpässe und Kommunikationspannen aller Art gehören zum Alltag. Es hilft den Patienten, wenn die Apotheken in solchen Situationen schnell und unbürokratisch Lösungen finden. Allerdings werden sie dabei zunehmend durch bürokratische Regelungen ausgebremst, die schon den normalen Alltag behindern und in außerplanmäßigen Situationen erst recht zu entscheidenden Hürden werden. Um diese bürokratischen Probleme geht es in »Kap. 6–22.

Varianten der Beratung

Kommen wir nun zum Arbeitsablauf bei der Belieferung eines Rezepts zurück. Wenn die Verordnung selbst keinen Irrtum erkennen lässt und sich auch aus der Kundendatei keine Bedenken ergeben, die mit dem Arzt geklärt werden müssten, soll das Apothekenpersonal den Patienten über das Arzneimittel informieren. Wenn dieses erstmalig oder einmalig verordnet wird, soll das Apothekenpersonal den Nutzen des Arzneimittels vermitteln und die richtige Anwendung erläutern. Auch wenn der Arzt dies bereits getan hat, kann die Wiederholung nur hilfreich sein, denn doppelt hält bekanntlich besser. Neben der Vermeidung von Anwendungsfehlern geht es dabei um die Sicherung der Therapietreue. Viele Studien belegen, dass ein beträchtlicher Teil der verordneten und abgegebenen Arzneimittel nicht oder nicht konsequent angewendet wird (»Kap. 2). Dafür gibt es viele mögliche Gründe von Nachlässigkeit über fehlende Einsicht in den Sinn der Behandlung bis zur Sorge vor unerwünschten Wirkungen. Beim Arzt fehlt oft die Zeit, alle Fragen zu klären, oder die Fragen entstehen erst, wenn der Patient den Arztbesuch reflektiert hat. Darum ist das Gespräch in der Apotheke ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen Arzneitherapie. Dort kann der Patient seine Fragen und auch mögliche Ängste ansprechen. Wenn der Apotheker den Sinn der Behandlung vermittelt und erklärt, warum diese regelmäßig erfolgen muss, kann dies einen wesentlichen Beitrag zum Therapieerfolg leisten. Befürchtungen einiger Ärzte, die Apotheker würden in ihre Therapie hineinreden, sind unbegründet. Das Gegenteil ist richtig – wenn zwei Heilberufler dieselbe Botschaft verkünden, wird der Patient erst recht überzeugt sein. Sollte sich aber im Gespräch in der Apotheke ein bisher übersehener Aspekt ergeben, der den Sinn der Behandlung infrage stellt, kann eine Rücksprache zwischen Arzt und Apotheker nur zu begrüßen sein.

Etwas anders ist die Situation, wenn ein Patient zum wiederholten Mal ein bekanntes Arzneimittel erhält. Dann erübrigen sich meistens Erläuterungen zum Hintergrund der Therapie, aber das Apothekenpersonal sollte trotzdem nachfragen, wie der Patient mit dem Arzneimittel zurechtkommt. Bei manchen Arzneimitteln schleichen sich im Lauf der Zeit Behandlungsfehler ein. Im Gespräch lässt sich klären, ob der Patient weiß, worauf es bei der jeweiligen Therapie ankommt.

Dies alles gilt für jedes einzelne verordnete Arzneimittel. Wenn ein Patient mehrere Arzneimittel erhält, möglicherweise sogar von verschiedenen verordnenden Ärzten, ergibt sich zusätzlich die Frage, ob Wechselwirkungen zwischen den Arzneimitteln möglich sind. Allerdings ist nicht jede theoretisch mögliche Wechselwirkung praktisch relevant. In welchen Fällen Apotheker auf mögliche Wechselwirkungen hinweisen und in welchen Fällen Ärzte wegen einer solchen Möglichkeit eine Therapie umstellen, bleibt daher bis zu einem gewissen Grad eine subjektive Entscheidung des jeweils verantwortlich handelnden Heilberuflers. In vielen Fällen kann das Problem durch die Anwendung der betroffenen Arzneimittel zu unterschiedlichen Zeitpunkten gelöst werden. Ob solche möglichen Wechselwirkungen in der Apotheke überhaupt entdeckt werden, hängt einerseits davon ab, wie die Verordnungen in der Apotheke geprüft werden, und andererseits, ob der Patient über alle seine Arzneimittel berichtet. Im Idealfall hat ein Patient eine Stammapotheke, in der er alle Rezepte einlöst und die seine Daten in einer Kundendatei pflegt.

Von der Theorie zur Praxis

Alle Leistungen, die in diesem Kapitel beschrieben werden, sind heutige Realität und keine Zukunftsmusik. Es wird jedoch nicht alles in allen Apotheken für alle Patienten geboten. Das hat viele Gründe. Die vielfältigen Probleme des Apothekenalltags, von denen in »Kap. 6–22 die Rede sein wird, untergraben die Motivation mancher Apotheker. Durch den wirtschaftlichen Druck auf das System Apotheke fehlt manchmal das Personal bzw. die Zeit für langwierige Beratungen. Manche Kunden mit erheblichen Problemen erfordern so viel Zeit, dass diese bei vermeintlich oder tatsächlich unproblematischen Fällen eingespart wird. Kunden, die sich vorwiegend für die Preise von Arzneimitteln interessieren oder die offensichtlich in großer Eile sind, regen das Apothekenpersonal auch nicht zu vertieften pharmazeutischen Betrachtungen an. Kunden, die nicht ahnen, was das Apothekenpersonal ihnen zu sagen hätte, verweigern sich möglicherweise sogar einem Gesprächsangebot. In einer Festschrift zum 70. Geburtstag des Versorgungsforschers Prof. Dr. Gerd Glaeske hat ABDA-Präsident Friedemann Schmidt die praktischen Probleme sehr treffend zusammengefasst: „Die vollständige Umsetzung der Methodik der evidenzbasierten Pharmazie in der Versorgungspraxis der Apotheken würde nur mit einem Kollektiv idealer Patienten funktionieren. Ziel des praktisch tätigen Heilberuflers muss es aber sein, dem sich anvertrauenden Individuum und dessen Wertvorstellungen bestmöglich gerecht zu werden und jeder Praktiker weiß um das gelegentliche Scheitern seiner wissenschaftlichen Prinzipien angesichts eben dieser Individualität.“3 Doch falls Sie als Kunde solche Leistungen vermissen, sollten Sie diese einfordern, notfalls auch in einer anderen Apotheke. Das ist sinnvoller Leistungswettbewerb.

Die pharmazeutischen Angebote, die in diesem Kapitel beschrieben werden, in die Tat umzusetzen ist also hauptsächlich eine Frage des guten Willens bei allen Beteiligten – vorausgesetzt die Honorierung reicht aus, um dies zu finanzieren. Eine weitere Gemeinsamkeit aller Inhalte dieses Kapitels ist, dass diese Leistungen direkt mit der Abgabe eines Arzneimittels verknüpft sind. Was Apotheken darüber hinaus noch für die Patienten leisten könnten, ist das Thema im »Kap. 3. Dort geht es um mögliche Änderungen der gesetzlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen sowie um Leistungen, die sich auf die ganze Medikation eines Patienten beziehen. Zuvor soll »Kap. 2 den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergrund solcher Leistungen darstellen.

2Serie Arzneimittelsicherheit im Apothekenalltag im Jahr 2003: Müller-Bohn T. Verordnung falscher Arzneimittel – ein Problem mit vielen Gesichtern. Dtsch Apoth Ztg, 143: 2408–2411, 2003Müller-Bohn T. Falsche und skurrile Angaben auf Rezepten. Dtsch Apoth Ztg, 143: 2657–2660, 2003Müller-Bohn T. Die Beratung ist thematisch breit gestreut. Dtsch Apoth Ztg, 143: 2950–2953, 2003Müller-Bohn T. Chroniker brauchen schnellen und ortsnahen Apothekenservice. Dtsch Apoth Ztg, 143: 3229–3232, 2003Müller-Bohn T. Distribution – ist das wirklich nur „Schubladenziehen“? Dtsch Apoth Ztg, 143: 3509–3511, 2003Müller-Bohn T. Fehlanwendungen von Arzneimitteln – die Phantasie ist grenzenlos. Dtsch Apoth Ztg, 143: 3789–3792, 2003Müller-Bohn T. Blutdruckprobleme, unbekannte Pflanzen, Angst vor dem Arzt. Dtsch Apoth Ztg, 143: 4022–4026, 2003Serie Arzneimittelsicherheit im Jahr 2005:Müller-Bohn T. Verwechselte Arzneimittelnamen – ein Sicherheitsrisiko. Dtsch Apoth Ztg, 145: 4793–4797, 2005Müller-Bohn T. Erst die Dosis macht das Gift. Dtsch Apoth Ztg, 145: 5050–5055, 2005Müller-Bohn T. Von Kontraindikationen und Wechselwirkungen. Dtsch Apoth Ztg, 145: 5356–5361, 2005Müller-Bohn T. Warum doppelt nicht besser ist. Dtsch Apoth Ztg, 145: 5594–5597, 2005Müller-Bohn T. Insulin, Rezepturen und andere Problemfälle. Dtsch Apoth Ztg, 145: 5730–5734, 2005Müller-Bohn T. Arzneimittelversorgung – zwischen Beratung und Organisationsgeschick. Dtsch Apoth Ztg, 145: 6104–6107, 2005Müller-Bohn T. Hindernisse für die erfolgreiche Arzneimittelanwendung. Dtsch Apoth Ztg, 145: 6334–6337, 2005Müller-Bohn T. Schnelle Hilfe aus der Apotheke. Dtsch Apoth Ztg, 145: 6558–6561, 2005

3Schmidt F. In: Versorgungsforschung: Ansichten, Beispiele, Akteure. Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Gerd Glaeske, zitiert gemäß Berg C. Gerd Glaeske geht. Pharm Ztg, 160: 1964–1965, 2015

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Patientensicherheit – eine internationale Idee

Das renommierte US-amerikanische Institute of Medicine veröffentlichte im November 1999 einen Bericht unter dem Titel „To Err is Human: Building a Safer Health System“4. Darin verwiesen die Autoren auf Studien, nach denen mindestens 44 000, wahrscheinlich sogar 98 000 Menschen pro Jahr in den USA aufgrund eines Behandlungsfehlers sterben. Die Fehler sind damit in der Statistik der Todesursachen auf einem Niveau mit Verkehrsunfällen und Brustkrebs5. Solche Fehler können falsch ausgewählte Behandlungsmaßnahmen, Fehler in der Durchführung von Behandlungen oder Missverständnisse sein. Gelegenheiten dafür bestehen reichlich. Beispiele sind verwechselte Patienten, Verzögerungen in der Behandlung, technische Fehler bei Operationen oder vorhersehbare unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln. Die Folgen solcher Fehler müssen nicht immer tödlich sein. Doch wenn schon viele Patienten an solchen Fehlern sterben, liegt es nahe, dass noch viel mehr Patienten an etwas weniger schwer wiegenden Fehlern zu leiden haben. Die Veröffentlichung des Institute of Medicine kann im Nachhinein als Start einer Bewegung betrachtet werden, die das ganze Gesundheitswesen weltweit verändert. Es war eine Idee, deren Zeit gekommen war – und eine solche ist im Sinn eines berühmten Zitats von Victor Hugo nicht aufzuhalten.

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