Kurswechsel - Gerd Eickhoelter - E-Book

Kurswechsel E-Book

Gerd Eickhoelter

0,0
0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Werk befasst sich mit den persönlichen Aspekten eines Wandels bis zum Bruch mit dem System in der DDR. Bilderbuchkarriere vom Abitur bis Einsatz als Chief auf großer Fahrt in allen Seegebieten der Erde. Bereits früh kollidierten die Gedanken mit der realen Politik in der DDR aber die Seefahrt entlohnte mit Freiheit der Persönlichkeit während der Abwesenheit. Die Konflikte kamen im Urlaub und als die DDR die Zügel anzog sowie von den Führungskräften totale Abschottung zum Westen verlangte. Keine Verwandtenkontakte und keine Kontakte zu Kollegen. Es folgte Berufsverbot durch Entzug des Seefahrtsbuches. In der Arbeit als Technologe und Haupttechnologe an Land kollidierten die eigenen politischen Auffassungen mit den Vorgaben des Staates. Der Weg den der Autor nahm, bis zu der Einsicht, dass er und die Familie nicht mehr in der DDR leben wollten und einen Antrag auf Ausreise aus der DDR sowie Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR stellten, war auch für ihn verwunderlich. Ihn selbst versetzte die Wandlung der Einstellung in Staunen. Was war da vorgegangen in ihm, in allen? Er schrieb alles nieder, um mit der Situation fertig zu werden. Die Zeit der Antragstellung wurde von ihm fast protokollarisch festgehalten und stellt heute einen Blick auf die Zeit und das Denken in der DDR kurz vor der Wende dar. Das Buch habt G.E. in den Jahren 1986 bis 1990 geschrieben, den Hauptteil während der Beantragung der Ausreise, noch in der DDR, zur Verarbeitung des Erlebten und als Dokumentation für die Familie, wobei er die ersten 100 Seiten nach Westberlin schmuggeln ließ, um sich abzusichern. Es war riskant. Die Zeit des geistigen Wandels im politischen Denken wurde durch die Taten der Staatsführung offengelegt. E. bewegt sich mit offenen Augen durch das System, es kommt zum offenen Bruch mit dem System .

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 361

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gerd Eickhoelter

Kurswechsel

Stationen einer Ausreise

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über das Buch

Wer bin Ich

Der Traum

Gedanken zum Landleben

Ausgetreten

Der Besuchsantrag

Die Unterlagenstory

Die Entscheidung ist gefallen

Festlegung

Der Antrag läuft

Aufforderung zum Gespräch

Dran bleiben

Alleinvertretung

Martins Reaktion

Autohandel

Hinterm Brandenburger Tor

Staatsverunglimpfung

Endlich Urlaub

Dringende Familienangelegenheiten

Ab jetzt ohne Job

Beschwerde

Ausbruch der Gefühle

Der Jugend Vertrauen

Fotofans

Arbeit, Recht und Meinungsfreiheit

Entspannung?

Zeichen des Fortschritts

Protest und Solidarität

Verladen

Beobachtungen

Veränderte Taktik

Traum und Wirklichkeit

Illusion

Ideen

Endspurt

Zwischenbetrachtung

Aufbruchsstimmung

Ein neues Kapitel

Wahnsinn

Es kam doch anders - Nachwort

Erläuterungen

Impressum neobooks

Über das Buch

Dieses Buch wurde in einer besonders schwierigen Lebenssituation verfasst.

23 Jahre bin ich zur See gefahren und habe die berufliche Entwicklung vom Maschinenwärter über die Seefahrtschule (Abschluss höchstes technisches Seefahrtpatent C6 später. CI) bis zum Chief auf Handelsschiffen (letzteres 7 Jahre auf Großschiffen) im wahrsten Sinne des Wortes durchfahren.

Chief ist der Leitende Schiffsingenieur, er ist verantwortlich für den Zustand des gesamten Schiffes als technisches Objekt (Schiffskörper, Ausbauten und allen technischen Anlagen)

Im Rahmen meiner gehobenen Stellung und Ausbildung versuchte ich damals, wie viele andere auch, mich mit meinem Umfeld so gut wie möglich zu arrangieren. Wir hatten einen bodenständigen Wohnsitz, Kinder, hatten das Geburtshaus meiner Frau 1978 von Grund auf saniert, wollten es nun 1986, drei Jahre nach meinem Berufsverbot als Seemann, verlassen und in den Westen ziehen – volles Risiko, mit dem Bewusstsein, dass wir das, was wir materiell hatten, möglicherweise nicht wieder erreichen werden. Ich war Abteilungsleiter Technologie / Technik der übergeordneten Unternehmensleitung von sechzehn regional eigenständigen Einzelbetrieben und nun stellte ich als staatlicher Leiter den Antrag auf Entlassung aus der Staatsangehörigkeit der DDR und Verlegung des Wohnsitzes nach Berlin (West).

Vorher war ich immer nur im Urlaub zuhause, wieder bei der Familie im eigenen Heim, da war alles rosig.

Der Weg den ich nahm, bis zu der Einsicht, dass wir mit unserer Familie nicht mehr in der DDR leben wollten und einen Antrag auf Ausreise aus der DDR sowie Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR stellten, war auch für mich verwunderlich. Mich selbst versetzte die Wandlung meiner Einstellung in Staunen. Was war da vorgegangen in mir, in uns?

Ich schrieb alles nieder, um mit der Situation fertig zu werden. Die Zeit der Antragstellung wurde von mir fast protokollarisch festgehalten und stellt heute einen Blick auf die Zeit und das Denken in der DDR kurz vor der Wende dar.

Das Buch habe ich in den Jahren 1986 bis 1990 geschrieben, den Hauptteil während unserer Beantragung der Ausreise, noch in der DDR, zur Verarbeitung des Erlebten und als Dokumentation für die Familie, wobei ich die ersten 100 Seiten nach Westberlin schmuggeln ließ, um uns abzusichern. Es war riskant.

Im Jahre 2011/12 überarbeitete ich diese Aufzeichnungen. Ich dachte, dass ich alles stärker bearbeiten müsse, aber an sich bin ich mit dem damaligen Werk zufrieden. Ich habe mir vorgenommen es inhaltlich zu belassen aber für eine Digitalisierung in einigen unklaren Punkten zu konkretisieren und Fehler zu kompensieren. Die ursprünglich aus Sicherheitsbedenken verwendeten Decknamen habe ich der Wirklichkeit angeglichen.

In der Erstfassung des Buches hatte ich meinen und einige Namen uns nahestehender Personen geändert und Pseudonyme verwendet, da die Übersiedlung nach Westberlin in die Phase des Aufbaus einer neuen Existenz, in einem total veränderten Umfeld erfolgte. Auch waren ja viele Freunde und Bekannte, die in den Aufzeichnungen vorkommen, in der DDR verblieben, die vor Benachteiligungen durch das System geschützt werden sollten. An die Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands war zur Zeit der Entstehung des Buches nicht zu denken. Die wirklichen Namen sind in der vorliegenden Fassung wieder vertreten, es wird kein Pseudonym verwendet.

Wer bin Ich

Nun sitze ich hier zuhause und denke über Vergangenes nach.

Hab‘ ich alles so gemacht, wie ich es mir vorgestellt habe? Mein Weg war vorgezeichnet, das Wasser zog mich an.

Wie viele andere auch, reizte mich das Meer, das Abenteuer Seefahrt.

Als Junge baute ich ein Modellboot, es musste immer etwas Besonderes sein.

Mit 15 sagte ich mir, ‘wenn sich Flugzeuge mit ihren Flügeln in der Luft halten können, dann muss gleiches auch für das Medium Wasser gelten, dann kann man auch Schiffe mit Tragflächen bauen‘.

Der Gedanke nahm technische Formen an und ich skizzierte ein Modell, das ich einmal verwirklichen wollte.

Ein Jahr später wurden Versuche mit kleinen Tragflächenbooten, die ähnlich meinen Vorstellungen gestaltet waren, auch ohne mein Zutun, auf der Müritz unternommen.

Ich befand mich mit meinem Denken in der Realität, meine Wünsche und Ideen waren zu verwirklichen.

1957 baute ich das Modell des 10.000 tdw- Motorfrachters ‘MS Berlin‘ aus etwa 5.000 Streichhölzern. Im März 1959 erhielt es einen Glasvitrinenplatz in der Berliner Wassersportausstellung. Die Freitagausgabe der ‘Berliner Zeitung‘ vom 27.03.1959 brachte mein Bild mit dem Schiffsmodell – ich war stolz.

Später wollte ich einmal Schiffsingenieur werden. Dieser Berufswunsch wurde ein fester Bestandteil meiner zielgerichteten Entwicklung.

Chief auf einem großen Handelsschiff, das war mein Traum.

Zielstrebigkeit wird belohnt. Siebzehneinhalb Jahre später erfolgte 1976, nach kontinuierlicher Arbeit, die immer von dem Gedanken geleitet war, auch ohne Karrieresucht fachlich gute Arbeit zu leisten, die erste Reise als Chief auf einem Handelsschiff.

Nach weiteren sieben Jahren Seefahrt musste ich mein Glück an Land suchen Die Verbindung zu meinen Verwandten im Westen sollte ich abbrechen, dazu war ich nicht bereit. Nur ungern musste ich die Konsequenzen ziehen. Kein Sichtvermerk – kein Bordeinsatz mehr – Berufsverbot !

In der Betriebsleitung des VEB Schiffsreparaturwerften Berlin übernahm ich, nach erfolgreicher Bewerbung, eine Stelle als Gruppenleiter für Fertigungsvorbereitung. Meine Hauptaufgabe bestand in der Lösung maschinentechnischer Probleme.

Im nu wurde ich der Spezialist im Betrieb und war wegen meiner detaillierten sowie praxiserprobten Fachkenntnisse überall gut angesehen. Bereits nach neun Monaten bekam ich das Angebot zum Einsatz als Haupttechnologe. Ich sagte zu. Mein Gehalt stieg auf 1650,- Mark, denn ich erhielt fortan die höchste Gehaltsgruppe HF 5, ein Spitzenverdienst in der DDR. Als Chief an Bord und auf See hatte ich zwar 50% mehr, aber das war nun vorbei.

Gute Fach- und Menschenkenntnisse befähigten mich diesen Platz souverän zu behaupten. Beides hatte seine Vervollkommnung im harten Bordleben erlangt.

Genau 18 Monate Tätigkeit in dieser Position zeigten mir meine Grenzen. War ich fast 20 Jahre das territorial freie Bordleben gewöhnt, so wurde ich jetzt auf ein eingezäuntes Terrain beschränkt. Ein Zurück zur Seefahrt verhinderten die ideologisch begründeten, staatlich verordneten, politischen Schranken. Die Differenz meines Inneren ‚Ich‘ zu den Lebensformen des real existierenden Sozialismus prägten zunehmend mein Denken und Handeln.

Die Parolen, der gelenkte Zweckoptimismus, die Negierung der Schwierigkeiten und Missstände frustrierten mich. Aus Angst vor der Preisgabe der deklarierten Errungenschaften mauerte sich die DDR im wahrsten Sinne des Wortes ein. In der Auffassung der DDR- Staatsdoktrin nach Demokratie, bedingte eine Öffnung nach außen die gleichzeitige innenpolitische Abgrenzung und Eingrenzung der Menschen.

Nun stand ich vor der Frage: Kann ich zum heutigen Zeitpunkt mit meiner Familie die Fronten wechseln, von Ostberlin nach Westberlin?

Ich stand nie links. Mein Bestreben galt ein guter Fachmann mit wirtschaftlicher Denkweise zu sein. Im fachorientierten Leben an Bord eines Schiffes konnten die Beschlüsse von Partei und Regierung der DDR, auch durch mein Einwirken, teilweise liberalisiert, verwirklicht werden. Alles ist eine Frage der Argumentation in der Berichterstattung nach einer Reise. Mir gelang es stets einen Mittelweg zu finden.

Eingeschlossen in das Räderwerk eines sozialistischen Großbetriebes, mit seiner Augenwischerei und den ideologischen Zwängen, war dieses jetzt in meiner Landtätigkeit, unter direkter Kontrolle von Staatssicherheitsbehörden und Parteichef in der Vorstandsebene, nicht mehr zu verwirklichen.

Bisher hatte ich durch logische Kombination und fachliche Kompetenz alles erreicht. Momentan stand aber die Frage: ‘Wird mir mein Alter für einen Neubeginn keinen Strich durch die Rechnung machen? Man sagt, dass man mit Mitte 40 im Westen momentan kaum eine Berufschance hat - wird man mir eine geben? ‘

Wir verließen Haus und materielle Absicherung, geprägt von der Überzeugung, dass der Wohlstand nicht allein die Lebensqualität bestimmt. Letzteres, allein die Lebensqualität mit der inneren und äußeren Übereinstimmung, ist aber für uns ausschlaggebend.

Wie fing alles an?

Der Traum

Zielgerichtet bewarb ich mich 1959 bei der Deutschen Seereederei Rostock (DSR) als Maschinenassistent.

Die Abschlussnoten der elften Klasse waren gut und ich hatte alle Voraussetzungen, das Abitur mit gleichem Erfolg abzuschließen.

Mein Bruder fuhr als Koch zur See. Frühe Berührungspunkte waren somit gegeben und ich konnte mich von der Realität meines Traumberufes vorab überzeugen.

Von der Oberschule wurde für mich ein Direktstudium angestrebt. 80% unserer Abiturklasse sollten studieren, hatte doch Walter Ulbricht gesagt: ‚Der Arbeiter der Zukunft braucht das Wissen des Ingenieurs‘.

Ich wollte meinen Weg über die Praxis nehmen, denn nur die Kenntnis des Berufes kann mich zu einem guten Ingenieur werden lassen. Diese Einsicht war das Ergebnis zahlloser vorangegangener Gespräche mit meinem Vater und seinen Freunden.

Im September 1960 begann ich meine Berufsausbildung in der Volkswerft Stralsund. Ziel war der Facharbeiterabschluss als Maschinenschlosser.

Die Ausbildung erfolgte fremdbetrieblich für die DSR und war ausgerichtet auf den späteren Bordeinsatz. Fachliche Schwierigkeiten kannte ich nicht.

Bereits nach zwei Jahren erhielt ich mein Facharbeiterzeugnis im vorzeitigen Abschluss, eine Folge ausgezeichneter Leistungen.

Schon in dieser Zeit berührte mich ideologischer Zwiespalt.

Der in der Schule und Berufsausbildung klar umrissene Weg zum Kommunismus über den angestrebten Sozialismus, streng nach dem Vorbild der Sowjetunion, gemäß der Verfassung der DDR – Artikel 6 § 2 – war für mich in seiner Durchführung sowie seinem Ergebnis nicht so klar und unumstritten, wie er proklamiert wurde. Bereits früh wurden bei kritischem Blick Differenzen ersichtlich.

Gab es da nicht während meiner Lehrzeit die Aufstellung von GST- Ordnungsgruppen, denen im August 1961, während einer abendlichen Thälmann – Gedenkveranstaltung am Stralsunder Thälmann-Ufer, im Schein hunderter lodernder Fackeln, über Verstärker und Lautsprechersäulen, die Worte entgegen geschleudert wurden: ‚Wir haben jetzt genug geredet, es wird nicht mehr diskutiert, wer unseren Weg nicht beschreiten will, der ist gegen uns, den hau’n wir in die Schnauze!‘

Es war ein Tag, an dem die Mauer in Berlin gerade einige Tage alt war und die Emotionen im Lande ungezügelt waren. Deutschland war nun unüberwindlich geteilt.

Es wurde mir bewusst, dass diese Menschen, die in der Öffentlichkeit solche Worte von sich gaben, zur führenden Kraft gehörten – die Macht besaßen. Diese Ausdrücke mit ihrer offenen Aufforderung zur Gewalt verurteilte ich entschieden.

Mir drängten sich Vergleiche zum Nationalsozialismus auf, wie ich sie Dokumentationen über das ‚Dritte Reich‘ entnommen hatte.

Ein weiteres Ereignis brannte sich gleichermaßen in meine Erinnerung ein.

Der Dienst in der Armee war freiwillig, der Wehrdienst existierte noch nicht. Im ganzen Land lief eine Kampagne der Verpflichtung des Einzelnen zum „ Ehrendienst in den bewaffneten Organen“. Es war dies eine Bereitwilligkeitserklärung zum dreijährigen Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA).

An einem Donnerstag, wenige Tage nach der ominösen Thälmann-Ehrung, wurden alle Lehrlinge meines Ausbildungsbetriebes, der Volkswerft Stralsund, zu einer Vollversammlung in den Speisesaal beordert.

Es sprach ein Genosse der SED Kreisleitung. Grund der Versammlung war, ausnahmslos von allen Versammelten die Bereitschaft zum dreijährigen Dienst in der Nationalen Volksarmee zu erwirken.

Im Saal waren etwa einhundertzwanzig Lehrlinge und Meister versammelt. Für die Versammlungsleitung verlief die Diskussion negativ, die Missbilligung durch den Redner war vorprogrammiert. Er versuchte mit allen Mitteln die Unterschriften der versammelten Lehrlinge vollzählig zu beschaffen. Er schimpfte, drohte und seine Ausführungen gipfelten in den Worten: “Es verlässt keiner den Raum, der nicht unterschrieben hat! “ Fast alle Jugendlichen unterschrieben daraufhin eingeschüchtert, wie bei allen derartigen Veranstaltungen, denn Nachteile in der Entwicklung wollte keiner einstecken. Die Kaderakte speicherte so etwas bis zum Rentenanspruch.

Es verblieben 10 Jugendliche, die nicht unterschreiben wollten. Von uns im Saal verbliebenen zehn wurde eine harte Diskussion über die Unzulänglichkeiten der praktizierten sozialistischen Politik geführt. Ich bin mir sicher, dass jeder seine Würdigung in der Kaderakte erhielt, die ihn fortan begleiten würde.

Ein Mitlehrling fragte den Redner sehr direkt: “Wenn Ihr die Mehrheit und den Willen aller verkörpert, warum führt Ihr keine geheime Wahl durch, warum wird die Wahlkabine abseits gestellt und deren Benutzung namentlich registriert?“

Der Genosse der Kreisleitung, durch die offene und teilweise provokante Diskussion aus dem Gleichgewicht gebracht, ließ sich mit überstürzender Stimme zu dem Ausruf hinreißen: “Denken Sie, wir wollen uns durch solch einen Kiki die Macht wieder aus den Händen nehmen lassen?“ -- Stille –

Zu einer sachlichen Diskussion war keine Seite mehr fähig. Der Versammlungsleitung fehlte es an Profil die Zügel wieder in die Hände zu bekommen, es wurde nur noch mit den Zukunftsaussichten jedes Einzelnen gedroht. Unser Ziel war erreicht, wir hatten nicht unterschrieben. Zehn Unterschriften fehlten dem Betrieb an der vollständigen Bereitschaftserklärung aller Lehrlinge, freiwillig drei Jahre in der Armee zu dienen. Ein fader Beigeschmack blieb.

Während der Wortwechsel hatte auch ich mein Argument zur Verweigerungshaltung genannt: “Was soll der Begriff freiwillig, wenn man auf diese Art Menschen quasi unfreiwillig freiwillig verpflichtet. Die ganze Erklärung wird zum Hohn degradiert. Warum führt man dann nicht gleich die allgemeine Wehrpflicht ein?“ Somit gehörte ich zu denjenigen in der Bevölkerung, die die Wehrpflicht ‘forderten‘. Bald darauf wurde sie auf 'allgemeinen Wunsch der Bevölkerung‘ von der Volkskammer beschlossen und eingeführt. Man hatte systematisch den Boden vorbereitet.

Während des ersten Lehrjahres konnten wir die Motorrad-Fahrerlaubnis erwerben, nach erfolgreichem Abschluss dann die Fahrerlaubnis für Lastkraftwagen. Das wäre der Einstieg in ein zweites Standbein, eine berufliche Erweiterung ganz im Vorbeigehen. Veranstalter war die GST.

Unmittelbar nach der Vollversammlung wurde mir eröffnet, dass ich an der Ablegung der Motorradprüfung nicht teilnehmen dürfe, da es sich um eine vormilitärische Ausbildung handele, ich aber den Ehrendienst in der Armee ablehne.

Diese Eröffnung warf mich nicht um, es war schade.

Selbst die Reaktion des Genossen Wagner vom Wehrkreiskommando, bei einem Gespräch mit meinem Freund Werner Harkner versetzte mir keine Angstschauer.

Werner und ich waren mit der Reinigung von Zylinderköpfen, im Rahmen einer Schiffsmotorenwartung beschäftigt. Wir standen in den Prüfungsvorbereitungen. Am Arbeitsplatz erschien der Genosse Wagner und rief Werner zu sich. Beide hatten in letzter Zeit des Öfteren gemeinsame Gespräche. Werner hatte sich verpflichtet und wollte drei Jahre zur Volksmarine, wenn er seinen Armeedienst ableisten müsse.

Ich arbeitete also allein weiter.

Nach geraumer Zeit gesellte ich mich zu den beiden, worauf mich der ‘Genosse‘ Wagner anfauchte: „Du brauchst Dich gar nicht hin zu setzen, mit Dir sprechen wir nicht mehr, Du kommst dahin, wo es knallt!“

Gemeiner als diese Retourkutsche war die folgende, kurz nach Lehrabschluss und meiner Arbeitsaufnahme an Bord des Tankers MT „ Leuna 1 “

Der Facharbeiterabschluss lag hinter uns. Im Oktober erfolgte unsere Übernahme in den Personalbestand der Reederei. Meine erste große Seereise sollte beginnen, ich war aufgeregt.

Eigentlich waren wir schon ausgelaufen, aber durch einen Grundlagerschaden am Motor mussten wir nochmals für die Reparatur vor Anker gehen, Die Reparatur hielt uns auf Reede vor Warnemünde zurück, die Reparaturgang des Motorenwerkes war an Bord.

Ein Telegramm der Kaderabteilung traf beim Kapitän ein: „Auslaufverbot für Eickhölter, sofort bei der Abteilung Kader melden.“

Meine Sachen packte ich wieder in den Seesack und fuhr mit dem angeforderten Lotsenboot zurück nach Warnemünde, dann mit der S-Bahn nach Rostock und weiter mit der Straßenbahn in die Lange Strasse zum Reedereigebäude. So lang war die Strasse nicht, dass ich lange über mein Auslaufverbot nachgrübeln musste.

In der Kaderabteilung lag mein Einberufungsbefehl. Allgemein wurden seiner Zeit die Seeleute von der Einberufung zur Armee befreit, Grund war der Arbeitskräftemangel. Den Antrag für meine Befreiung vom Wehrdienst hätte man versehentlich vergessen, teilte mir der Kaderleiter Genosse Möller ‘bedauernd‘ mit. Rückgängig ließe sich nichts machen, wen die Armee einmal in den Fängen hielte, den ließe sie nicht los.

So begann mein Dienst in der Armee.

Auf meiner Wehrdienstkarte stand: ‚Geeignet für Kommando Grenze‘.

Mir fielen die Worte des Genossen Wagner vom Wehrkreiskommando Stralsund wieder ein - „Du kommst dahin wo’s knallt“.

Meinen Wehrdienst leistete ich bei der Bereitschaftspolizei in Stralsund ab. Hier wohnte meine damalige Freundin und geknallt hat es da in anderem Sinne.

Nach der Grundausbildung benutzten wir, das waren alle zwölf Mann unseres Zimmers, die personelle Flaute mittlerer Dienste bei der Bereitschaftspolizei und meldeten uns zum Unteroffizierslehrgang. Grundbedingung war vordem, dass man sich für eine auf drei Jahre verlängerte Dienstzeit verpflichten sollte. Da aber kein Andrang war und sich keine Freiwilligen dafür drängten, wurde unsere bedingende Einschränkung kurz vor Auslaufen der Meldefrist akzeptiert – nur dienen, wie Pflichtwehrdienst, also anderthalb Jahre. Auf eine längere Dienstzeit ließen wir uns nicht ein.

Nach vier Monaten harter Ausbildung in Potsdam kamen wir an Körper und Geist gestählt - letzteres weniger - zurück in unsere Einheiten. Der neue Dienstgrad stattete uns auch mit neuen Privilegien aus. Wir wohnten zu viert im Unterführerzimmer, hatten Ausgang bis sechs Uhr früh, dreißig Mark mehr Sold, Marscherleichterung im Dienst und vieles mehr. Unser Verhandlungspoker hatte sich gelohnt.

Die Zeit verging und mein Traum fand 18 Monate später seine Erfüllung.

Mit der MS „Warnow“ liefen wir auf der Levante-Linie nach Alexandria (Ägypten) aus. Erste Eindrücke waren von dem starken Wohlstandsgefälle, dem heutigen sogenannten Nord-Süd-Gefälle und der ständigen Valutaknappheit des sozialistischen Seemanns geprägt.

Viele schöne gemeinsame Stunden mit westdeutschen, englischen und Seeleuten anderer Länder waren Bestandteil der damaligen Reisen. Man traf sich wieder in Alex, in Beirut – dem damaligen Paris des Orients -, in Piräus, Saloniki, Latakia, Famagusta, Limassol, die beide noch in einem geeinten Zypern lagen und in vielen anderen Häfen des Mittelmeeres. Es bildeten sich Bekanntschaften und mehr, etwas das später äußerst ungern gesehen wurde.

Besonders berührten mich die südeuropäischen Länder Italien, Griechenland und Zypern.

Die Romantik der Menschen, des jeweiligen Baustiles, die historische Kultur und Entwicklung der Länder sowie die südlichen Sonnenuntergänge machten mir die Seefahrt zu einem beeindruckenden, dauerhaften Erlebnis, gaben mir ein Gefühl der Freiheit, das mich nicht mehr los lies.

Erst heute merke ich, dass ich eigentlich nie richtig zuhause gelebt habe, dass mein Zuhause das Schiff war, dort fühlte ich mich frei, die Welt war weit, grenzenlos.

Zwei Jahre befuhr ich fast alle Anrainerländer des Mittelmeeres als Maschinenassistent. Von 1966 bis 1968 besuchte ich die Ingenieurschule für Schiffsbetriebstechnik in Warnemünde, die spätere Ingenieurhochschule für Seefahrt.

Das Jahr 1968 bescherte uns mit dem Zwischenabschluss, dem damaligen Übergangspatent C5. Unser Berufspraktikum als Ingenieur begann an Bord. Entsprechend unseren Leistungen und den fachlichen Einschätzungen erfolgte der Bordeinsatz als vierter oder dritter Ingenieur. Letzterer wurde bereits zum eigenverantwortlichen technischen Wachdienst eingesetzt.

Ich musterte als dritter Ingenieur auf dem MS „Anton Saefkow“ an, einem 10.000 Tonnen Stückgutfrachter im Afrikadienst. Mit der Musterung als dritter und kurz darauf als zweiter Ingenieur befuhr ich auf verschiedenen Großschiffen bis 1971 die Linien Afrika, Mittelamerika und zuletzt Asien.

Der zweite Studienabschnitt begann mit Abgabe der in den zwei Jahren erarbeiteten praktischen Unterlagen im Februar 1971 und endete im August gleichen Jahres mit dem Erwerb des höchsten technischen Patentes C6 und Übergabe des Diploms. Die Diplomarbeit war auch nicht von Pappe, aber praxisbezogenes und zielbewusstes Arbeiten hatten wir ja schon in unserem Einsatz an Bord gelernt.

Nach vierwöchentlicher Armeeausbildung an der Offiziersschule der Volksmarine erhielten wir den militärischen Rang ‘Unterleutnant der Reserve‘.

Unmittelbar nach Abschluss der Ausbildung und Erhalt meines Patentes flog ich nach Hanoi, um in Haiphong als zweiter Ingenieur auf das MS „Halberstadt“ aufzusteigen. Stolz hatte ich mir Ablichtungen meines frischen C6-Patentes machen lassen.

Die „Halberstadt“ war ein Schiff der ‘Frieden – Klasse‘, den ersten Seriengroßschiffen des DDR – Schiffbaues der Jahre 1956 bis 1961, entworfen von Flugzeugkonstrukteuren.

Auf diesem Schiff berührte uns der Vietnamkrieg hautnah. Ein Raketentreffer in den Laderaum fünf, unmittelbar vor den achteren Aufbauten, direkt vor meiner Kabine. Er verschaffte uns noch wenige Tage vor der Blockade des Hafens den sprichwörtlichen ‘Heimatschuss‘.

Die Besatzung des MS „Frieden“, die kurz nach uns in Haiphong mit ihrem Schiff eingelaufen war, verbrachte die gesamte Blockadezeit in dem vietnamesischen Hafen. Sie erlebte die Versenkung und Beschädigung anderer internationaler Schiffe aus nächster Nähe.

Beschädigt, für eine Überfahrt durch die Besatzung provisorisch repariert, verließen wir Vietnam. Das 10 qm große Loch in der Außenhaut war von uns mit Stahlplatten verschweißt und dichtgesetzt, elektrische und sicherheitstechnische Anlagen wurden zum Auslaufen notdürftig klar gemacht. Mit eigener Kraft fuhr unsere Schiff nach Singapur wo es in einer Werft nach drei Monaten seine Seetüchtigkeit wieder erlangte.

Die Hauptmaschinen waren in meiner Verantwortung und in der Werftzeit durfte ich alle Grund- und Pleuellager der 4 Hauptantriebsmotoren sichten, zum großen Teil wechseln und neu anpassen. Viele waren durch die Erschütterung der Explosion beschädigt.

Grund- und Pleuellager ‘einschaben‘ war meine Tagesaufgabe und ich wurde Profi in diesem Fach. Als Zweiter Ingenieur war ich verantwortlich für die Hauptantriebsanlagen und hatte somit den Hauptteil der Eigenarbeit zu bewältigen. Die Arbeit an den Lagern wollten wir nicht der Werft überlassen, da war Eigenkontrolle und eigene Qualität erforderlich – so sahen wir das.

Kurz nach Eintreffen in Singapur erfuhren wir, dass das polnische Schiff, das in Haiphong vor uns gelegen hatte, ebenfalls von einer Rakete getroffen wurde, der Arzt erlitt dabei tödliche Verletzungen. Wir hatten noch am Abend vor unserem Auslaufen aus Vietnam mit ihm bei einem Glas Wein zusammengesessen. Die Rakete hatte genau deren Brückenaufbauten getroffen, die Stelle, an der die Vietnamesen kurz zuvor eine Flak installierten und Abwehrfeuer schossen.

Unser Kapitän hatte dem Anliegen der Vietnamesen, eine Flak bei uns zu installieren nicht zugestimmt. Der Raketenangriff auf uns war eigentlich auf das Vorschiff eines längsseits von uns liegenden vietnamesischen Arbeitskutters mit Kran gerichtet, der kräftig von seinem Vorschiff aus, beim vorangegangenen Luftangriff, Abwehrfeuer geschossen hatte.

Der Kutter war gesunken, Von der Flakbesatzung war nur wenig übrig. Das Wenige klebte an der flussseitigen Bordwand bzw. lag auf unserem Hauptdeck. Die zweite Rakete war bei uns durch die geöffnete Luk 5 in den Laderaum gelangt, durch die Bordwand an der Seite zur Pier ausgetreten und auf einem Feuerlöschfahrzeug explodiert. Uns riss es das Loch in die Außenhaut und beschädigte Versorgungsleitungen im Laderaum. Die Feuerwehr, die im Schutze unseres Schiffes neben uns auf der Pier stand, war platt und im an den Laderaum grenzenden Maschinenraum hatten wir erheblichen Schaden.

Die Besatzung war wohlauf, allerdings hatte der Chief eine Wunde am Handgelenk. Ein feiner Splitter hatte seine Pulsader verletzt und das Blut pulsierte heraus. Ursache war eine Leichtfertigkeit.

Wir hockten hinter der massiven Bordreling und beobachteten den Luftangriff. Während ich mit einem sehenswerten Hechtsprung in den Aufbauten verschwand, hatte der Chief sich geduckt. Mit einer Hand an einem Entlüftungsrohr oben festhaltend, traf ihn der Stecknadelkopf große Splitter.

Es war faszinierend wie alles in Zeitlupe ablief, wie der Kranhaken des Auslegers auf dem Kutter ganz langsam fiel, die kleinen grauen Zellen arbeiteten in Höchstform. Meine Fenster zum Hauptdeck waren durchschlagen und auf meiner Koje lagen scharfkantige Stahlsplitter. Es war doch ganz gut, dass ich zu dem Zeitpunkt nicht auf der Koje lag und faulenzte.

Beim Besuch unseres Schiffes durch den Konsul am Folgetag zeigte dieser fast Enttäuschung, dass keine menschlichen Verluste zu verzeichnen waren. Der Anlass führte zu internationalen Verwicklungen, die ein kurzzeitiges Aussetzen der Luftangriffe zur Folge hatte. Die amerikanische Seite setzte ein Ultimatum von 48 Stunden, damit alle internationalen Schiffe den Hafen verlassen sollten. Das polnische Schiff und andere hielten sich nicht daran. Die Vietnamesen waren verständlich daran interessiert die Schiffe im Hafen zu behalten. Internationale Schiffe an der Pier bedeuteten Schutz.

Nach Rückkehr von dieser siebenmonatigen Reise waren wir medienwirksame ’Helden‘. Das Besatzungskollektiv erhielt den „Orden Banner der Arbeit“ und von den Vietnamesen den „Orden des Widerstandskampfes 2. Klasse“. Kollektivorden zur Beruhigung, als moralischer Anreiz gedacht.

Ich fuhr noch mit einigen Schiffen im Asiendienst, war kurzzeitig auf der Schwedenfähre MS „Rügen“ im Saßnitz – Trelleborg – Einsatz und erreichte 1976 mein Traumziel, ich wurde Chief auf einem Typ XD – Schiff mit Aut-24-Ausrüstung. Durch automatische Überwachung des technischen Betriebes konnten diese Schiffe mit verminderter Besatzung fahren. Der Maschinenbetrieb brauchte nicht 24 Std. ununterbrochen manuell gesteuert und überwacht werden, eine automatische 24-Stundenüberwachung war gewährleistet. Die anfallenden Arbeiten konnten in Tagesschicht abgearbeitet werden.

Die Kontaktfrage mit den Verwandten der westlichen Hemisphäre wurde immer problematischer bei den ständig wiederkehrenden Genehmigungsverfahren zur Erlangung des Sichtvermerkes im Seefahrtsbuch. Ohne Sichtvermerk war es nicht möglich die Seegrenze der DDR zu verlassen. Zuerst wurden die Kapitäne durch die Staatssicherheitsorgane überprüft. 1982 waren die nächsten Vertrauensebenen Funker und Chief an der Reihe. Von mir wurde die Aufgabe jeglicher Westkontakte gefordert, was ich strikt ablehnte. Keine Verwandtenbesuche, keine Briefkontakte, kein Telefongespräch mit Menschen der Bundesrepublik sowie des westlich orientierten Auslands. Ich lehnte die Unterschrift unter diese Erklärung ab.

Herr Pothmann, Kaderleiter des Flottenbereiches, meinte nur, dass ich dann die Konsequenzen ziehen müsse.

Ende 1983, fast ein Jahr nach diesem Gespräch, wurde mein Seefahrtsbuch eingezogen.

Was macht ein Seemann, der nicht mehr in den zum Grenzgebiet gehörenden Hafen darf um ein Schiff zu besteigen, er muss sich einen neuen Job suchen. Das Berufsverbot war perfekt. Ohne gültiges Seefahrtsbuch fehlte mir die Berufsgrundlage. Was nützte mir mein Patent, mit der Befähigung auf Schiffen unbegrenzter Leistung der Chief zu sein, wenn ich es nicht anwenden durfte, die Seegrenzen mir fortan verschlossen bliebe?

Bei der Einschätzung des sozialistischen Landlebens erlaubte ich mir eine gravierende Fehleinschätzung, die noch schwerwiegende Folgen haben sollte.

Ich sah alles nicht so sozialistisch, wie es sich mir in der Folgezeit darstellte. Ich behielt meine Einstellung, die ich an Bord in allen Ebenen vertrat, bei.

Der Seemannsberuf mit seinem bunten, abwechslungsreichen aber auch sehr arbeitsamen Leben und den wunderbaren Erlebnissen soll nicht Gegenstand dieser authentischen Darlegung sein. Den Gegebenheiten der Seefahrt und seiner Geschichten möchte ich ein gesondertes, abgerundetes Buch widmen, welches dem Leser das so viel besungene ‘lose‘ Leben an Bord und in den fremden Häfen näher bringen soll, aber auch die tapferen Ehefrauen und Kinder der Seefahrer die das Seemannslos teilen, in die Gedanken einbeziehen.

Gedanken zum Landleben

Meine ersten gravierenden Eindrücke an Land erlebte ich bereits in den ersten zwei Wochen nach meiner Wiedereingliederung in die sozialistische Arbeitsrealität.

Schon nach 10 Arbeitstagen wurde die erste gesellschaftliche Aktivität von mir erwartet, die Teilnahme an der Gedenkdemonstration anlässlich der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht , am 15.Januar des Jahres 1919.

65 Jahre später, am 15.01.1984, trafen sich die Kolleginnen und Kollegen unseres Betriebes um lt. Medienberichten mit 200.000 Berlinern in der jährlich wiederkehrenden Demonstration dieser Toten zu gedenken.

Der Sonntag war nasskalt. Schneetreiben mit Temperaturen um den Gefrierpunkt bestimmte das Wetter. Ein Tag, bei dem man sich infolge oftmaliger Wartezeiten Eisbeine holte.

Der Treffpunkt am Eiskaffee, nördlich des U-Bahnhofes Schillingstrasse, war passend. In der Toreinfahrt nebenan konnte man Grog kaufen, um sich ein wenig innerlich aufzuwärmen. Er war dünn aber heiß und das half für ein paar Minuten. Die miese Wetterlage drückte auf die Stimmung. Durch politische Witze versuchte man sich etwas aufzuheitern.

Um 08:45 Uhr hatten wir uns getroffen und eine viertel Stunde später ging es endlich los. In zwei Marschsäulen führte die Demonstration zur ‘Gedenkstätte der Sozialisten‘ in Friedrichsfelde.

Am S-Bahnhof Frankfurter Allee formierte sich eine dritte Marschsäule aus dem Demonstrationszug - derjenigen, die dem Bahnhofsgebäude zustrebte. Ein Drittel hatte schon jetzt die Nase voll. Wir gingen weiter mit und benötigten fast zwei Stunden bis zur Ehrentribüne.

Als wir uns der Gedenkstätte näherten machte ich eine fast unglaubliche Beobachtung, die aber Bestandteil der Medienpolitik war.

Im Seitenflügel des Zentralfriedhofs, dem Teil in dem die Staatslimousinen abgestellt waren, befand sich eine besondere Stütze der Demonstration, wovon viele zusammengerollte Spruchbänder zeugten.

In regelmäßigen kurzen Abständen entrollten zwei Genossen ein Spruchband und reihten sich in den Demonstrationszug ein. Dieser Vorgang wiederholte sich jeweils nach etwa 30 Metern Vorbeimarsch.

Ich wollte meinen Augen nicht trauen! Gemeinsam mit uns demonstrierten uns unbekannte, vorbei an Fernsehkameras und der Ehrentribüne, in den Händen Transparente mit normierten Losungen - in unserem Namen!

Am Ausgang der Gedenkstätte wurden die Spruchbänder zusammengerollt und die Genossen betraten den Friedhof vom rechten Seitenflügel, überquerten diesen hinter der Tribüne um sich am linken Seitenflügel, nach einer kurzen Raucherpause wieder mit ihrem Transparent in die Demonstration einzugliedern.

Der Friedhof war abgesperrt, aber ein fünfzackiger großer roter Stern mit Hammer und Sichel am Revers angesteckt gestattete den Zutritt unbürokratisch und fließend.

Das ganze ähnelte einem Kinderspiel und doch war es sozialistische Wirklichkeit in der DDR.

Das Bestreben der DDR-Führung in allen Medien auch gute Ergebnisse zum Besseren zu retuschieren, kam hier prägnant zum Ausdruck. Keiner kann sagen, hiervon habe die Führung nichts gewusst. Sollte dieses aber trotzdem der Fall sein, dann muss man ihr Blindheit vorwerfen, sehenden Persönlichkeiten den Platz frei machen. Fast sieben Jahre später setzte sich diese Einsicht durch.

Ähnliche Erlebnisse bei staatlich organisierten Massendemonstrationen wurden mir später auch von aufmerksamen Beobachtern berichtet.

Die gesamte DDR-Politik war auf die Reaktion der übrigen Welt ausgerichtet, alles wurde zu einer Show nach außen gestaltet. Kritik von innen durch den politischen Phlegmatismus abgewürgt. Man hatte seine Ruhe, wenn man die allgemeine staatliche Meinung vertrat, das hieß die vorgeschriebene, vom Politbüro über Massenmedien und Parteileitungen oktroyierte Ansicht.

Bezeichnend ist, dass keiner meiner Mitarbeiter eine gleiche Beobachtung gemacht hatte. Erst als ich meine Nachbarn darauf aufmerksam machte, nahmen sie es wahr.

Die Blindheit zu den Retuschen der politischen Ereignisse war allumfassenden. Es wurde hingenommen und nicht einmal bemerkt, man ließ es ohne Registrierung über sich ergehen, eine bedenkliche Entwicklung.

Selbst mein Bericht für das Brigadetagebuch, der fast wörtlich hier niedergeschrieben wurde, erzeugte keinerlei Reaktion oder gar Diskussion.

Gute zwei Jahre arbeitete ich in der Betriebsleitung, achtzehn Monate davon als Haupttechnologe. Solch eine Arbeitsaufgabe, die technologische Entwicklung des Betriebes mit seinen sechzehn Einzelwerften zu bestimmen, reizte mich. Meine Ziele waren immer hoch gesteckt. Ich erreichte sie bisher immer ausnahmslos.

Beim Kadergespräch, das damals in Vorbereitung meines Einsatzes in die Leitungsfunktion geführt wurde, erklärte ich meinen Gesprächspartnern, dem Technischen Direktor und dem Kaderleiter: „ Wenn ich die Aufgaben in einem halben Jahr nicht packe und eine gewisse Routine erwerbe, dann ziehe ich die Konsequenzen, werfe das Handtuch. Entweder erfülle ich meine Aufgaben gut bis zur letzten Konsequenz oder ich muss mich nach einem neuen Aufgabengebiet umschauen.“

„Das schaffst du nicht in einem halben Jahr, zwölf Monate brauchst du bestimmt“, entgegnete Kaderleiter Müller.

„Ich will mich hier nicht um ein paar Monate streiten. Mir geht es allein um die Feststellung – und – dass ihr euch darauf einstellt“, war meine Schlussbemerkung.

Nun bewarb ich mich nach zwei Jahren wieder bei der Seereederei, Ich bin halt mehr Seemann als Landratte. Mir hatten ehemalige Kollegen den Bedarf an Schiffsoffizieren und eine mögliche Korrektur der Einstellungsrichtlinien, weg von der Ideologie, signalisiert. Ich wollte das mal am eigenen Beispiel überprüfen.

Die erzwungene Umstellung der Arbeitsweise eines leitenden Bordingenieurs auf eine leitende sozialistische Landtätigkeit bedeutete eine totale Umkehrung aller Vorstellungen und Praktiken meiner bisherigen anerkannten Arbeitsweise.

Intensität, Kontinuität und Qualität wirkten nur noch bedingt. Man versuchte geltende westliche Grundsätze in die Arbeit einzubeziehen, denen aber die Grenzen der Planwirtschaft gesetzt wurden.

Die Unzufriedenheit der Mitarbeiter wuchs, da die in den Medien propagierten Erfolge nicht mit den Realitäten übereinstimmten. Von den Leitungskräften musste ein ständiger Kompromiss zwischen aufgestelltem Plan, bestätigter Bilanzierungen für die Materialbestellungen und dem tatsächlichen Arbeitsvermögen gebildet werden.

Wir waren technokratische Artisten. Die Abforderungen von Stellungnahmen, Aktivitätenplänen und Rechtfertigungen stieg, ihre Abfassung erforderte immer mehr Arbeitszeit. Man konnte sich nicht mehr auf das Wesentliche konzentrieren oder eine klare Linie verfolgen, da ständig die verschiedenen Ebenen der politische Führung in interne technische und technologische Entscheidungen oder Maßnahmen einzuwirken versuchten.

Trotz allem wurden die Ergebnisse, infolge ständiger Anspannung und Improvisationsgeschick der Mitarbeiter von Jahr zu Jahr besser, die von der Partei gesteckten Ziele immer höher ohne dabei die Grundlagen zu verändern, und die Zahl der Stressgeschädigten wurde immer größer.

Durch die totale Einflussnahme der Partei auf die Wirtschaft entwickelten wir uns zum Plan- und Verwaltungsmonster. Im Gegensatz hierzu war die Arbeitsweise an Bord vergleichbar mit einem Privatbetrieb. Die Arbeit spielte unmittelbar in die Privatsphäre der Seeleute ein, das Schiff musste einsatzfähig bleiben. Alle Anstrengungen waren nur darauf gerichtet, denn für die Dauer der Reise ist der Arbeitsort das Zuhause des Seemanns.

Es gibt nichts, was nicht geht. Manchmal müssen Kompromisse geschlossen werden. Eine Kapitulation vor der Schwierigkeit bedeutet Selbstaufgabe, Sieg der Natur über das eigene Vermögen und nicht selten Verlust des Schiffes, möglicherweise des eigenen Lebens. Das hat jeder Seemann auf den Weltmeeren verinnerlicht.

Ganz andere Verhältnisse waren im sozialistischen Landbetrieb anzutreffen. Dieser Unterschied wird von Seeleuten besonders krass wahrgenommen.

Die politische Überprüfung aller verantwortlichen Leitungskräfte bezüglich ihrer Westkontakte und verwandtschaftlichen Beziehungen holte mich in meiner derzeitigen Tätigkeit ein, der sozialistische Kreislauf war geschlossen.

Im Mai 1985 wurde von mir eine internationale Zusammenkunft zwischen unserem Betrieb und polnischen Reparaturbetrieben in allen Fragen vorbereitet.

Zur offiziellen Vorbereitungsdelegation gehörte ich nicht, da die Bestätigung als Reisekader noch nicht vorlag. An allen Beratungen aber nahm ich teil und formulierte die Unterlagen von der Direktive bis zur Auswertung.

Sechs Monate später, im November gleichen Jahres, war unser Gegenbesuch in Polen fällig. Obwohl es sich um die Beurteilung und Übernahme von Technologien handelte, wurde meine Teilnahme abgelehnt. Wohlgemerkt, ich war der Haupttechnologe, verantwortlich für die Reparaturtechnologie in alle 16 Binnenwerftender DDR. Die Bearbeitung der Bestätigung als Reisekader war angeblich noch nicht abgeschlossen. Auf meine persönliche Frage an den Technischen Direktor, ob diese Aussage den Tatsachen entspräche oder ob nicht vielmehr meine Aussprache beim Parteisekretär vor zwei Monaten den Ausschlag für diese Ablehnung gegeben hätte, antwortete er:“ Wie kann man dem Manne gegenüber eine derart philosophische Ansicht äußern. Der hat doch nicht das Niveau, so etwas zu begreifen. Über derartige Dinge können wir uns unterhalten. Mir scheint sie sind ein bischen Greenpeace angehaucht. Na sie müssen wissen, was sie tun. Wir versuchen’s nächstes Jahr wieder, wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist.“

Was hatte ich im September so verwerfliches geäußert? Was hat die Kaderleitung dazu veranlasst, mir die Kompetenz der Vertretung des Betriebes im sozialistischen Bruderland, zu den Fragen meines Fachbereiches, abzusprechen?

Auf Anweisung der obersten Führung wurden für das zweite Halbjahr 1985 aussprachen mit jedem Leitungsmitglied geführt. Ich war nach meinem Studium für die Staatspartei geworben worden, da ich mitgestalten wollte und meinte, dass man den Einfluss nicht den vielen Schwachköpfen und Mitläufern überlassen dürfe.

Die Aussprachen im Betrieb sollten so geführt werden, dass nur Parteigenossen, die bedingungslos die Beschlüsse der Partei unterstützten, weiterhin als Mitglieder und Funktionsträger bestätigt werden.

Und so verlief seinerzeit die Aussprache des Parteisekretärs mit mir:

„Wie geht’s Genosse? Wir haben Planschwierigkeiten. Was hast du für Vorstellungen? Bist du mit der Führung der Parteiversammlungen einverstanden und wie ist deine Meinung über das Parteilehrjahr?“

Nach meinen kritischen Bemerkungen über die Umfunktionierung der Parteiversammlung in eine Produktionsversammlung mit zweifelhafter Interessenbekundung der Mitglieder kam er zum Kern der Sache: “Bist du damit einverstanden, die Funktion des Parteigruppenorganisators zu übernehmen?“

Jetzt war ich gefragt:“ Nun lass mich erst mal zum eigentlichen Sinn der Aussprache kommen. Anschließend wird die Frage steh’n, ob ich weiterhin in der Partei bleibe“, unterbrach ich seine Gedanken und ergänzte: „In den Medien wird ständig die bedingungslose Unterstützung der Parteibeschlüsse als Ziel der Aussprachen betont. Diese Anforderung kann ich nicht erfüllen. Ich wehre mich dagegen. Bei den Gruppengesprächen im Mai unter dem Motto: ‘Genosse! Wie sieht deine Tat als Kommunist aus? ‘ erklärte ich, dass ich kein Kommunist sei. Die angegebenen Tugenden, die einen Kommunisten in dieser Gesellschaft und letztens in unserem Betrieb auszeichnen sollten, sind ganz normale Arbeitsgrundsätze. Erst nach meinem Eintritt in die SED wurde zwanglos vom Mitglied der SED zur Bezeichnung Kommunist übergegangen“.

Ich legte weiterhin meine konträre Meinung zu Fragen der Medienpolitik, der Sicherheitspolitik, der Wehrpolitik, des Umweltschutzes, der Toleranzlosigkeit und der freien Meinungsäußerung dar.

Der Parteisekretär akzeptierte diesen Standpunkt nicht und widersprach: „ Jeder behält trotzdem seine Meinung. Wir wollen doch dass du sie sagst, sonst können wir uns nicht auf die Masse stützen. Eine gewisse Unterordnung wird natürlich verlangt. Es wird doch keiner bei uns zu etwas gezwungen. Nach einer so langen Mitgliedschaft - du hast jetzt fast 15 Jahre – trennt sich die Partei nicht so schnell von einem Kampfgefährten. Ja, wenn du zwanzig wärst, würden wir uns jetzt nicht mehr unterhalten.“

Das waren Phrasen. Ein Parteigenosse wurde nicht vor Gericht gestellt. Stand einer unter Anklage wegen irgendeines Vergehens, es konnte ein Autounfall sein, dann distanzierte sich die Partei als Institution. Während dieser Zeit ruhte die Mitgliedschaft. Bei Verurteilung erfolgte der Parteiausschluss.

Für Montag wurde ich zu einem weiteren Gespräch verdonnert. Ich hatte Zeit, die Sache zu überschlafen und den Austritt meinerseits in Erwägung zu ziehen. Während des gesamten Gesprächs lief ein Recorder. Ich hatte das Gefühl, dass mein Gespräch weiter geleitet wurde, denn eine Kassette war nicht eingelegt, aber die LED- Aussteuerung blinkte im Rhythmus der Sprachfrequenz. Da das Gespräch außerdem protokolliert wurde und ich aus meiner Meinung allgemein keinen Hehl machte, übersah ich die Tatsache. Man war ja an so etwas gewöhnt.

Zum Wochenende hatte ich mir das Statut der Partei ausgeliehen. Ganz kurz überflog ich es, an meiner differierenden Meinung konnte es nichts ändern.

Montag früh äußerte sich Genosse Plath und entschied: „ Wenn du nicht selber aus der Partei austrittst, begrüßen wir dich weiter als Mitglied. Die Frage deines Einsatzes als Parteiorganisator müssen wir zurück stellen. Wir kommen deiner Bitte nach, dich fachlich in deinem unterbesetzten Bereich zu festigen“. Das war’s und mehr nicht.

In meinen vorangegangenen Überlegungen wollte ich den Zeitpunkt meines Parteiaustritts selber bestimmen. Dieser war zum jetzigen Zeitpunkt äußerst ungünstig. Die bereits hohe Belastung würde durch weiteren enormen Stress hochgepuscht werden. Außerdem beschäftigte ich mich gerade sehr stark mit dem Gedanken einer Wiederbewerbung bei der Handelsflotte. Ich wollte mir später nichts vorwerfen, dass ich es nicht versucht hätte.

Würde das Vorhaben durch meine persönlichen verwandtschaftlichen Beziehungen und Kontakte nicht gerade verbessert, so wäre es durch einen Parteiaustritt aussichtslos.

Ich glaubte immer noch an die international geäußerten Worte zur Öffnung und Liberalisierung. Das waren aber Worthülsen und galten nur für die angekündigten Besuchserleichterungen. Letztere brachten zusätzliche Deviseneinnahmen, denn pro Tag zahlte der Besucher aus dem Westen 25 Deutsche Mark Gebühr für die Grenzpassage. Die DDR war ein Ausstellungsobjekt.

Neben den Einnahmen brachte auch jeder Besucher Genussmittel und andere Geschenke mit bzw. kaufte für die Verwandtschaft im Intershop für harte Westmark ein.

Die erste Teilablehnung meiner Bewerbung zur DSR erhielt ich als Neujahrsgeschenk im Jahre 1986, allerdings mit der Mitteilung, dass mein Einsatz möglich sei – Hoffnung - .

Ich solle die mitgelieferten Anträge zur Erteilung des Sichtvermerkes unverzüglich und vollständig ausfüllen und nochmals einreichen. Eigentlich lag ja alles vor. Ein Wochenende zur polizeigerechten Beschriftung der Formulare folgte. Der Staatssicherheitsdienst musste ja persönliche Angaben des Bewerbers den eigenen geheimdienstlichen Informationen gegenüberstellen.

Mit dem Ausfüllen der Vordrucke wurde ein großes Maß ganz persönlicher Daten erfasst, wie Angaben aller verwandten im Ausland incl. der Bundesrepublik, deren Adresse, Beruf, Arbeitsstelle und Tätigkeit sowie deren Parteizugehörigkeit und die Art der Kontakte. Bei letzterem war zu unterscheiden zwischen Besuchen, Briefwechsel, gelegentlichem Briefwechsel oder ohne Verbindung. Die persönlichen Angaben mussten eidesstattlich signiert werden.

Aus meiner früheren Tätigkeit hatte ich Durchschriften solcher Einreichungen zur Bestätigung des Sichtvermerkes. Ich hielt mich bei meinen Angaben an die damaligen Aussagen, die mit den Realitäten annähernd übereinstimmten.

Nach eintägiger (!) Bearbeitungszeit wurde mir mitgeteilt, dass nach eingehender Prüfung meiner Unterlagen keine weitere Bearbeitung erfolgen könne, da die daraus hervorgehenden Angaben nicht den Einstellungsrichtlinien entsprächen. Wer die Arbeit in den Behörden kennt kann sich vorstellen wie eingehend geprüft wurde. Allein die Auflistung der umfangreichen Verwandtschaftsbeziehungen stand einer Fortführung des Seemannsberufes im Wege. Im Innern hatte ich es ja gewusst, nur wollte ich es schwarz auf weiß sehen. Streng nach dem Motto, alle Möglichkeiten ausnutzen, wandte ich mich mit einer Eingabe an den zuständigen stellvertretenden Minister für Verkehrswesen. Ihm waren die See- und Binnenschifffahrt sowie Hafenwirtschaft unterstellt.

Einen ganzen Monat musste ich warten, dann traf die Antwort ein. Dr. Distler, Leiter der Hauptverwaltung Seeverkehr, teilte mir im Namen des Ministers mit, dass die vom Betrieb getroffene Entscheidung zu recht bestünde und nicht mehr korrigiert werden könne.

Meine Schuld, weshalb war ich nicht zum Mitläufer mutiert.

Ausgetreten

Lange genug hatte ich ihn erwägt, am 28. April 1986 war es soweit. Für ein Verbleiben in der Partei sprach die Tatsache, dass es Menschen geben musste, die die Veränderung von innen anstrebten. Gegen eine weitere Mitgliedschaft zielte der Gedanke, dass ich ein viel zu kleines Licht sei um hier überhaupt etwas ausrichten zu können. Mit meinem Austritt vergrößerte sich mein Meinungsspielraum, die berufliche Entwicklung aber wurde gestoppt. Ich war auch nicht bereit mit meinem Beitrag eine Politik zu unterstützen, die von mir ein bedingungsloses Vertreten von Beschlüssen verlangte, meine Interessen aber in keiner Weise wahrnahm.

Damals vor 15 Jahren hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt. Geworben wurden wir, mein Studienfreund und ich, seinerzeit von Dr. Jentsch und Dr. Herbronn, beides Dozenten der Ingenieurhochschule für Seefahrt. Unsere kritischen Ansichten zur Politik und Wirtschaft deckten sich. Beide Dozenten meinten, dass sie solche Menschen wie uns in der Partei brauchten um etwas bewegen zu können, eine Umwandlung der starren dogmatischen Vorstellungen zu bewirken - dabei blieb es dann auch.

Beim Bezahlen des Parteibeitrags kamen wir auf das Thema.

Genosse Müller, Kaderleiter und seit Jahresbeginn Parteisekretär, einer Funktion die ihm einmal die Funktionärsrente von 80% des Verdienstes der letzten 10 besten Jahre einbringen sollte, fragte mich was aus meiner Bewerbung zur Seereederei geworden sei.

Ich sagte, dass ich die endgültige Ablehnung erhalten hätte und dieses wiederholt ausgesprochene Berufsverbot nicht kommentarlos hinnehmen werde. Die Konsequenz sei für mich der Austritt aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland. Komisch – der Name der Partei beinhaltete die gesamte deutsche Nation, die sie so gerne teilen wollte.

Genosse Müller wurde nachdenklich und erwiderte mit einem Lächeln auf den Lippen: „Überlege dir die Sache genau, du warst 15 Jahre Mitglied unserer Partei. In deiner Position kann man nicht austreten. Ein solches Anliegen kann nur über ein Parteiausschlussverfahren geregelt werden. Wir haben gewisse Zwänge, an die wir uns halten müssen. An die Position des Haupttechnologen werden gesonderte Anforderungen gestellt, darin ist auch die Parteizugehörigkeit enthalten. Es gibt Gesetze, die wir erfüllen müssen und denen sich ein Parteimitglied unterzuordnen hat“.

Ich sagte ihm, dass ich gerade deshalb meinen Austritt in Erwägung gezogen hätte, weil ich fachlich und ideologisch eine Sache nur dann mit ganzem Herzen vertrete, wenn die innere Übereinstimmung hierzu vorhanden sei. Zu einem Ja-Sager eigne ich mich nicht.

„Die Partei ist kein Verein, in den man ein- und wieder austreten kann, wie man will,“ hielt mir der dicke Müller vor, „ die von dir angegriffene Sicherheitspolitik der Kontakteinschränkung bedeutet grundsätzlich eine Absicherung deiner selbst. Du weißt ja gar nicht, was drüben los ist, dort ist es viel schlimmer als bei uns. Du hast Recht, unsere Sicherheitspolitik richtet sich gegen das unberechtigte Verlassen der Republik. Wenn bereits Kapitäne und Leitende Ingenieure abhauen, dann ist das eine ganz andere Qualität, die uns da verlässt. Ich muss mit der Kreisleitung darüber reden, dass du austreten willst, dazu bin ich verpflichtet. Ich weiß nicht, wie wir uns da verhalten müssen. Du musst dir natürlich bei einem solchen Schritt im Klaren sein, dass das Auswirkungen auf deine gesamte Familie hat. In jedem Personalbogen, jeder Bewerbung deiner Frau, der Kinder und dir selbst für eine andere Tätigkeit ist dieser Austritt in der Kaderakte vermerkt. Dieser kleine Vermerk wird immer Voreingenommenheit schaffen und eine negative Beeinflussung bei der Befürwortung einer Studienbewerbung oder der Berufswahl deiner Kinder bedeuten. Du möchtest doch, dass deine Kinder einmal studieren.“

Ich entgegnete, dass ich zwanzig Jahre meine Loyalität unter Beweis gestellt habe und seine Ansicht in keiner Weise teile, ja – in meiner Auffassung noch bestärkt werde, da seine Worte das wahre Gesicht dieser Macht verdeutlichten.

Zuhause sprach ich alles noch einmal mit Gabi durch. Wir kamen zu keiner anderen Übereinstimmung. Unsere Schlussfolgerungen aus der Problematik entstammten keiner Spontanreaktion, sie waren wohl durchdacht und mit unserem Gewissen zu vereinbaren.