Kurze Erzählung vom Antichrist - Wladimir Solowjew - E-Book

Kurze Erzählung vom Antichrist E-Book

Wladimir Solowjew

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Beschreibung

In seinem berühmtesten Werk beschreibt der russischer Philosoph und Schriftsteller Wladimir Solowjew den Aufstieg des Antichrists, der die Menschheit durch seine illusionären Versprechen von Freiheit und Glück in bedingungslose Unterwerfung und Untergang führen will. Er zeigt, wie der Antichrist in Form von Ideologien und Systemen auftritt, die sich gegen Gott und die moralischen Werte der christlichen Tradition richten. Durch die zeitlose Beschreibung der Verführungskünste und Wirkmacht des Antichrists bietet das Buch eine wertvolle geistliche Hilfestellung zur Unterscheidung gesellschaftlicher Phänomene. Die einzige Möglichkeit, den Antichrist zu besiegen sieht Solowjew in der Rückbesinnung des Menschen auf die Grundlagen der christlichen Lehre, um so eine spirituelle Wiedergeburt zu erfahren. Schließlich sollen durch die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen die zerstörerischen Kräfte des Antichrists überwunden werden. Die „Kurze Erzählung vom Antichrist“ ist den „Drei Gesprächen“ entnommen, die als eine der letzten Veröffentlichungen von Solowjew in den Jahren 1899–1900 geschrieben wurden. Zum besseren Verständnis wurde das Buch mit zahlreichen erklärenden Fußnoten versehen.

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Inhaltsverzeichnis

Kurze Erzählung vom Antichrist

Wladimir Solowjew

Kurze Erzählung vom Antichrist

Übersetzt von Karl Nötzel

Kommentiert herausgegeben

von

edition:nihil.interit

Kurze Erzählung vom Antichrist

In einer fernen Zeit lebte unter der kleinen Zahl der an den Geist Gläubigen ein merkwürdiger Mensch. Viele sahen ihn für eine Art von Übermenschen an, denn sowohl in seinen Gedanken, als auch in seinem Fühlen war er seinen Zeitgenossen weit voraus. Er war noch jung, doch schon mit 33 Jahren war er durch seine überragenden Fähigkeiten und Leistungen als Denker, Schriftsteller und sozialer Arbeiter zu großer Berühmtheit gelangt.

Aus eigenem Erlebnis wußte er um die ungeheure Macht des Geistes, darum war er Freund aller rationalen Begriffe. Sein Denken hatte die Wahrheit erkannt, daß der Glaube des Menschen sich dem Guten, Gott, dem Messias1 zuwenden müsse – ja, er war davon vollkommen überzeugt, doch seine Liebe galt – – nur sich selbst. Er glaubte an die Existenz Gottes, doch im Grunde seiner Seele war er von sich weit mehr überzeugt, auch wenn er sich darüber keine Rechenschaft gab. Er vertrat die Ideale des Guten – doch die allumfassende Weisheit des Ewigen wußte, daß dieser Mensch sich vor der Macht des Bösen beugen werde, sobald diese den Versuch machen würde, ihn zu gewinnen. Und dies nicht durch eine Verirrung der Gefühle oder der Leidenschaften, nicht einmal durch die Verlockungen der Macht, sondern einzig und allein durch seine maßlose Eigenliebe.

Doch diese Selbstliebe entstammte weder einem unwillkürlichen Instinkt noch einer sinnlosen Anmaßung, sie wurzelte vielmehr in seiner ganz besonderen Begabung, seiner Schönheit und seinem idealen Streben, und schien ihm vereint mit der Gesinnung eines Asketen und Menschenfreundes in der Ausübung der höchsten Enthaltsamkeit, Uneigennützigkeit und werktätigen Nächstenliebe vollkommen gerechtfertigt. Und wer wollte ihn auch anklagen, daß er alle diese Eigenschaften als besondere Zeichen eines ihm allein geltenden göttlichen Wohlgefallens deutete, und sich nächst Gott als den ersten, als den in seiner Art einzigen Sohn Gottes ansah? Er hielt sich dafür, um es mit kurzen Worten zu sagen, was nur einmal in der Welt – Christus – war.

Diese Anmaßung eines höheren Wertes ging jedoch nicht mit der Erkenntnis einer moralischen Verpflichtung gegen Gott und die Welt überein, sondern war allein nur das Bewußtsein des Vorrechts vor allen anderen, ja selbst vor Christus. Wohl hatte er anfangs keine ausgeprägte Feindschaft gegen Jesus, er wußte um seine Bedeutung und seine Sendung als Messias, aber zutiefst sah er in ihm nur seinen größten Vorgänger. Aber die Tat Christi und die Einzigartigkeit seiner Erscheinung waren diesem durch seine Eigenliebe verwirrten Geiste unverständlich. Er urteilte etwa so: „Christus war vor mir – ich komme als zweiter. Doch was in der Zeit als ein Späteres erscheint, ist ja seinem Wesen nach das Erste. Ich bin der Vollender und der Schluß der Weltgeschichte, weil ich der wahre und der endliche Erlöser bin. Jener Christus war mein Vorläufer, seine Aufgabe war es, vor mir herzugehen und mir den Weg zu bereiten.2“

In diesem Sinne wird der große Geist des fernen Jahrhunderts alles auf sich beziehen, was das Evangelium von der Wiederkunft des Herrn sagt. Und er wird dieses Kommen nicht als die Wiederkehr desselben Christus auslegen, sondern sagen, daß an Stelle des Christus, des Vorläufers, nun der wahre Heiland – – er selbst gekommen sei.

Noch aber hebt den „großen Menschen“ nichts aus der Masse des Volkes. Auch Mohammed betrachtete in ähnlicher Weise seine Beziehungen zu Christus3, und er war ein Mensch, der die Wahrheit liebte und keiner bösen Absicht geziehen werden kann.

In diesem Menschen aber wird die Erhebung des Ich, die ihn über Christus sich erhaben fühlen läßt, ihre Rechtfertigung in folgenden Überlegungen etwa suchen: „Christus predigte die Ethik des Guten und bestätigte seine Lehre durch sein Leben – er war ein Verbesserer der Menschheit. Ich aber bin berufen, ein Wohltäter dieser nur zu einem Teil gebesserten, zum Teil so unverbesserlichen Menschheit zu sein. Ich will allen Menschen das geben, was not ist. Christus schuf die Zwietracht unter den Menschen durch die Verkündigung des Guten und des Bösen – ich werde sie wieder vereinen durch das Heil, das in gleichem Maße den Guten und den Bösen not ist. Ich werde der wirkliche Abgesandte jenes Gottes sein, der die Sonne leuchten läßt über die Gerechten und die Ungerechten, dessen Regen sie beide erfrischt4. Christus brachte das Schwert5 – ich aber bringe den Frieden. Er bedrohte die Welt mit den Schrecken eines Jüngsten Gerichts6 – – aber der letzte Richter werde ich sein und mein Gericht wird nicht nur ein Gericht der Wahrheit, sondern ein Gericht der Gnade sein. Ja, mein Gericht wird auch die Wahrheit suchen, jedoch nicht die Wahrheit einer Vergeltung, sondern die Wahrheit, die belohnt. O, ich kenne sie alle, wie sie sind und ich werde einem jeden das geben, wessen er bedarf.“

In dieser inneren Bereitschaft harrte er des Rufes Gottes zu einer neuen Tat der Rettung der Menschheit, wartete er auf ein klares und wunderbares Zeugnis, daß er der ältere Sohn, der geliebte Erstgeborene Gottes sei. Diese Hoffnung in sich nährend im Bewußtsein seiner übermenschlichen Tugenden und Fähigkeiten vergingen seine Tage, denn wie schon gesagt, er war ein Mensch von untadelhaften Sitten und von einer ungewöhnlichen Genialität. So wartete er in seinem Stolz und im Bewußtsein seiner höheren Berufung, sein Werk, die Rettung der Menschheit zu beginnen – – doch er wartete vergeblich. Dreißig Jahre seines Lebens waren schon vergangen, und nochmals vergehen drei Jahre7.

Da – eines Tages durchzuckt ihn ein Gedanke und wie ein heißer Schauer durchdringt es ihn: „Wenn es nun doch so wäre? – wenn nicht ich – sondern jener – Galiläer8 – –, wenn er nicht mein Vorläufer, sondern der wahre, der erste und letzte wäre? Doch dann müßte er leben – – wo aber ist er??.... Und wenn er nun plötzlich zu mir käme – – sofort – hierher – – was würde ich ihm sagen? Ich müßte ja dann das Knie vor ihm beugen wie der letzte einfältige Christ und wie ein dummer Bauer zu ihm sprechen: „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner Sünden“9, oder ich werde wie irgendein bigottes Bauernweib auf der Erde liegen. Ich, der stolze Genius, der Übermensch! Nein – niemals!!

Und an die Stelle einer Verehrung und Anerkennung Gottes und Christi durch die Vernunft beginnt in seiner Seele mehr und mehr ein brennendes Gefühl des Neides und eines wilden atemraubenden Hasses um sich zu greifen, das sein ganzes Wesen langsam erdrückt:

„Ich, ich – und nicht er! – Er lebt nicht – nein, und er wird nicht leben! Er ist nicht auferstanden – – er ist niemals auferstanden! – er ist niemals auferstanden! Er blieb in der Höhle seines Grabes, wie der letzte–.“

Schaum vor dem Munde rast er aus dem Hause, aus dem Garten in die tote, finstere Nacht hinein auf einem schmalen Felsenpfad. Endlich schweigt diese Wut und macht einer Verzweiflung Platz, die so öde und schwer ist, wie diese Felsen, so finster, wie diese Nacht. Und er bleibt vor einem steilen Abgrund stehen – aus einer weiten Tiefe dringt das Geräusch eines Wassers, das über die Steine rauscht.

Eine unendliche Qual preßt sein Herz zusammen. Doch plötzlich wird etwas in ihm lebendig: „Soll ich ihn rufen und fragen, was ich tun muß?“ Und in der Finsternis steht vor ihm eine Erscheinung voll Sanftmut und Trauer.

„ER bemitleidet mich – nein, niemals! Er ist nicht auferstanden – er ist nicht auferstanden!“ und er stürzt sich vom Felsen herab.

Aber etwas Unfaßbares hielt ihn im Sturze auf und er fühlt eine Erschütterung, wie von einem elektrischen Schlag, und eine unsichtbare Macht wirft ihn zurück. Auf einen Augenblick verlor er das Bewußtsein – als er wieder zu sich kam, fand er sich auf den Knien liegend einige Schritte vom Abgrund entfernt. Da – aus dem Dunkel tritt eine Gestalt vor ihn, gehüllt in ein nebelhaft schimmerndes Leuchten, und zwei Augen durchdringen mit unerträglich bohrenden Blicken seine Seele. Er aber sieht diese beiden stechenden Augen und hört – aber er kann es nicht unterscheiden, ob in ihm selber, oder von außen eine Stimme zu ihm spricht – eine sonderbare Stimme, die dumpf, wie aus großer Qual und dennoch hell, metallisch und völlig seelenlos klingt.

---ENDE DER LESEPROBE---