Küss mich überall - Vanessa V Lau - E-Book

Küss mich überall E-Book

Vanessa V Lau

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Beschreibung

Ob heißblütiger Latin Lover, geheimnisvoller Orientale oder nordischer Eisprinz: Jeder von ihnen steht für eine verheißungsvolle weibliche Fantasie. Es ist das Unbekannte, Fremde, das uns magisch anzieht. Die Möglichkeit, Welten zu entdecken und dem Gewohnten zu entfliehen. Der coole amerikanische Staranwalt, der Champagner aus Stilettos schlürft; der charmante Chinese, der exquisite taoistische Liebeskunst lehrt; der leidenschaftliche Argentinier, dessen Blick beim Tango hypnotisiert. Es ist immer aufregend, sich auf jemanden aus einer anderen Kultur einzulassen. Doch das, was wir uns unter dem exotischen Liebhaber vorstellen, erweist sich in der Wirklichkeit nicht selten als etwas ganz anderes. Vanessa Viola Lau hat 33 Geschichten gesammelt, in denen sich abenteuerlustige Frauen auf internationales erotisches Terrain begeben. Freimütig und humorvoll berichten die Frauen von ihren Begegnungen mit den Männern einer anderen Kultur: Sie lassen sich von ihnen faszinieren und mitreißen, lernen sie kennen und lieben. Dabei werden Träume erfüllt, Hoffnungen enttäuscht und Entdeckungen gemacht. Denn manchmal hat der wilde Pirat mit der Augenklappe nur ein Gerstenkorn und der türkische Macho entpuppt sich als einfühlsamer Zen-Buddhist. Das, was die Frauen erleben, ist intensiv, wild, unerwartet und leidenschaftlich, aber niemals alltäglich!

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Seitenzahl: 267

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Vanessa Viola Lau

KÜSS MICH ÜBERALL

33 Frauen berichten von erotischen Begegnungen, grenzüberschreitenden Liebschaften und romantischen Abenteuern rund um den Globus

Schwarzkopf & Schwarzkopf

Vorwort

Warum hast du dieses Buch in die Hand genommen? Hast du einen Freund aus einer anderen Kultur? Träumst du von einer Affäre mit einem geheimnisvollen Fremden? Suchst du nach etwas Neuem, Aufregendem?

Dann lass dich mitnehmen auf eine Weltreise der besonderen Art. Einer Reise zu verborgenen Wünschen und Sehnsüchten. Denn dieses Buch hat sie alle: den geheimnisvollen Orientalen, den heißblütigen Latin Lover, den nordischen Eisprinzen.

Ich habe die Geschichten von Freundinnen und Fremden gesammelt. Sie haben sie mir bei einem Absinth-Cocktail in der New York Bar hoch über Tokio, bei einem Minztee im Suq von Hammamet oder bei einem Milchkaffee in meinem Berliner Wohnzimmer erzählt.

Vanessa Viola Lau

1. Griechenland

Thalatta, thalatta oder Hellenengötter küsst man nicht

Katja (22), Arzthelferin, Castrop-Rauxel, Deutschland, über Georgios (30), Mechaniker, Kassandria, Griechenland

Es waren gefühlte vierzig Grad im Schatten, ich lag matt auf meinem golddurchwirkten Filmdiven-Handtuch und las in einem erotischen Sommerroman. Mein iPod war am Vortag im Pool abgesoffen, und so musste ich ohne Musik auskommen.

Neben mir lagen Carla und Jessica, genau wie ich oben ohne und nahtlos braun. Beide ließen ihre Blicke schweifen, anstatt zu lesen. Sie suchten mit Kennerinnenparabel den Strandabschnitt ab und drehten sich alle zehn Minuten enttäuscht auf den Bauch, da wieder nur der Eisverkäufer, der bärtige Animateur oder der verheiratete Hotelchef seine Patrouille machte.

Carla war Kettenraucherin, anders hätte sie wohl kaum ihre Figur halten können, denn außer sich alle zehn Minuten umzudrehen, bewegte sie sich nicht. Carla richtete ihr Wort an mich. Man wolle sich gleich noch einmal erheben und vom Meer an den Pool umziehen. Ich machte eine rosa Riesenkaugummiblase und katschte zweimal laut als Zustimmung, ohne sie anzusehen.

Und trotz der Hitze am Strand ging es in meinem Buch wesentlich heißer zu. Die Protagonistin vergnügte sich in Südfrankreich auf der Fahrt durch Lavendelfelder mit ihrem Liebhaber auf dem Rücksitz, während ihr Ehemann den Wagen lenkte. Ich legte das Buch zur Seite, um an meinem französischen Mineralwasser zu nippen, als mein Blick durch die dunklen Sonnenbrillengläser auf das Ionische Meer glitt.

Die Wasseroberfläche glitzerte, wie sich das so für ein Meer bei Sonnenhochstand gehört. Im Wasser planschten ein paar Kinder. Davor war die Strandbar, an der sich Carlas Eroberung von letzter Nacht einen Tomatensaft hineinzwang und der Bärtige lässig in seinem Notizbuch schrieb. Langweilig. Mein Blick segelte zurück auf das Meer. Dort, wo gerade noch alles ruhig war, brach die gleißende Wasseroberfläche auf. Eine Gestalt tauchte auf. Sie strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht und watete langsam auf den Strand zu. Der Davidoff-Cool-Water-Jingle erklang plötzlich in meinen Ohren. Mein iPod war doch kaputt und diese Melodie hatte ich auch gar nicht gespeichert.

Anscheinend hört man aber auch Musik, wenn ein Adonis den Fluten entsteigt. Synästhesie nennt man so was. Wenn man zu einem Bild plötzlich die passende Musik hört. Eine Fusion von Schönheit und Schall.

Adonis schritt heran. Erfahrungsgemäß tendieren selbst Hellenengötter bei näherer Betrachtung zur Mittelmäßigkeit. Nicht so in seinem Fall. Ich blinzelte ungläubig. Wie konnte ich sichergehen, dass es sich nicht um eine Fata Morgana handelte?

Neben mir schlugen die Detektoren an. Carla warf sich die feuchten, sandigen Haare über die Schulter und über ihre Lippen huschte ein nervöses Zucken. Jessica hatte die größte Oberweite von uns und drückte schnell ihren Rücken durch, damit Adonis das nicht entging. Dabei knackte ihre vom Liegen eingerostete Brustwirbelsäule ein bisschen. Aber das hörte Carla neben ihr sicher nicht, denn ihre Ohren waren nach vorn geklappt wie beim Rottweiler meiner kurzsichtigen Tante Zilla. Sobald Adonis in Reichweite käme, würde sie anfangen zu sabbern.

Obwohl ich keine Chance gegen die erfahrenen Halbwelt-Chicks neben mir zu haben schien, versuchte auch ich, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Busen rausstrecken und Haare zurückwerfen waren bereits vergeben. Mir blieb also nur ein sommersprossiges Mädchenlächeln.

Adonis war jetzt nur noch zwei Meter entfernt, das an ihm abperlende Meerwasser und die feinen Härchen auf seiner Haut glitzerten um die Wette, sein Körper passte perfekt zur Davidoff-Werbung, das hatte mein Gehör genau richtig erkannt. Makellose Haut, Muskeln an den richtigen Stellen, schöne Hände und Füße, schulterlanges nasses Haar. Und dann geschah das Unfassbare. Er lächelte mich an. Na ja, es war ein sparsames Lächeln, bei dem er nur einen Mundwinkel verzog, aber es genügte, meine Konkurrenz zu erschüttern. Adonis ging weiter Richtung Pool.

Carla kratzte sich am Kopf und steckte sich eine neue Zigarette an, Jessica gönnte sich einen abschätzigen Blick auf meinen Busen und rollte sich dann in die Bauchlage zurück.

»Wolltet ihr nicht zum Pool?«, fragte ich, meinen seltenen Vorsprung auskostend. Ich bekam keine Antwort, nur den Anblick zweier makelloser Rücken mit einem String am unteren Ende.

Ich griff noch mal nach meiner Lektüre, aber die Aufmerksamkeit war Richtung Pool gewandert. Ich gab auf und folgte ihr.

Ich hatte Glück. Gerade wurden zwei Liegestühle frei. Da saß ich nun, allein am Pool. Eine einsame Jägerin. Adonis sah ich nirgends und kam mir blöd vor, als sich ein bauchiger Typ mittleren Alters auf den Liegestuhl neben mir schob und anfing zu labern. Die Sonne senkte sich, und ich unterhielt mich über Schnäppchen auf der Promenade und Frühbucherrabatte, bis der Bauch neben mir anfing zu knurren und sich auf den Weg zum abendlichen Buffet machte.

Unverrichteter Dinge trottete ich aufs Zimmer, meine Mädels hatten schon das Bad unter Dampf gesetzt und die Spiegel okkupiert. Ich cremte mir das Gesicht ein und wurde zurück an den Strand geschickt, um nach einem vergessenen Ohrring zu buddeln. Ich wollte protestieren, aber da ich froh war, das Schlachtfeld verlassen zu können, ging ich wieder zum Strand.

Er war jetzt fast leer. Die Letzten machten sich auf Richtung Hotel.

»Suchst du was?«, erklang eine Stimme neben mir. »Einen Ohrring«, antwortete ich, ohne hochzusehen.

»Kann ich helfen?« Jetzt schaute ich doch nach oben. »Ich bin Georgios.« Adonis hatte also schon einen Namen. Er trug jetzt eine Sonnenbrille im trockenen Haar und lächelte mich an. Diesmal gebrauchte er dazu sogar zwei Mundwinkel. Ich hätte froh sein sollen, dass er keine Gesichtslähmung hatte, und mich beruhigen, doch stattdessen pumpte mein Herz wie verrückt Blut durch meine Aorta. Das lag vermutlich an den Grübchen, die sich so exakt neben seinen Mundwinkeln postiert hatten, als wollten sie sagen: »Wir sind zu zweit. Du bist allein. Wir kriegen dich.« Dass die Grübchen in ein paar Jahrzehnten zu tiefen Kratern werden würden, wie bei Dieter Bohlen, war hier und jetzt uninteressant.

Ich scharrte weiter im Sand rum, während der Adrenalinpegel in meinem Blut sich langsam dem roten Bereich näherte. Georgios alias Adonis hockte sich neben mich und sah mich an. Er hatte diesen durchdringenden Dauerblick erfahrener Gigolos. Die Energie folgt dem Blick. Man(n) penetriert sozusagen visuell, damit sich die Frau schon einmal an das Gefühl gewöhnt. Ohne seine Augen von mir abzulassen, langte Georgios mit zielsicherem Griff in den Sand und hielt mir den Ohrring vor die Nase. Ich sagte »Oh!«, oder so was. Er legte den Ohrring in meine Hand und küsste sie. Dass die Hand zitterte, fiel kaum auf. Georgios hielt sie fest umfasst und tat freundlicherweise so, als sei meine Nervosität nicht existent.

Georgios nahm meine andere Hand und zog mich hoch. Er sagte noch ein oder zwei belanglose Sätze. Dann liefen wir am Strand entlang zu einem Boot. Seltsam fand ich das gar nicht. S0 was kommt vor bei Urlaubsbekanntschaften. Man trifft sich am Strand. Einer stellt sich vor, der andere vergisst es vielleicht, und dann sucht man sich ein stilles Plätzchen. Für Carla galt das freilich nicht, sie brachte ihre Männer immer mit ins Hotelzimmer, sodass Jessica und ich die ganze Nacht mit Billard und Kicker verbringen mussten.

Georgios sprang behände in das Boot und half mir von dort galant hinein. Wir setzten uns auf eine Decke oder etwas anderes Haariges und begannen zu knutschen. Der Hellenengott übersprang Taverne, Ouzo und Sirtaki und kam gleich zur Sache. Ich war etwas gehemmt, dachte an Jessicas Busen und an Carlas Haare. Jetzt erst recht, sagte ich mir und knutschte für die beiden mit. Es wäre doch passend gewesen, wenn sie mich in diesem Moment hätten sehen können. Die kleine Katja in den Armen eines Davidoff-Adonis im silbrigen Mondenschein. Endlich war ich mal dran. Carla hatte in diesem Urlaub schon drei Liebhaber gehabt, Jessica keinen, was aber nur daran lag, dass ihr Freund in Deutschland mit der endgültigen Trennung gedroht hatte, falls ihr noch ein Ausrutscher passierte. Das konnte sie sich nicht leisten, denn er war es, der ihren Busen, ihre Lippen, ihre Extensions und auch ihre regelmäßigen Sonnenbankbesuche finanzierte. Durch jahrelangen Anabolika-Missbrauch war er selbst kaum noch zu etwas zu gebrauchen, hatte Allergien, kaputte Gelenke und schlechte Leberwerte und war an fernen Ländern ohnehin nicht interessiert. Als Besitzer eines Sonnenstudios wähnte er sich das ganze Jahr über im Süden, und so ließ er Jessica ihre Schönheit spazieren tragen.

Braun gebrannt fand ich mich aber auch gar nicht so schlecht. Ich saß im Damensitz auf Georgios’ Schoß und meine braunen Beine passten perfekt zur Farbe seiner großen Hand, die langsam über meinen Schenkel strich. Georgios hielt inne und sagte: »Du hast schöne Augen.«

Ich knutschte schnell weiter, damit er nicht noch weitere gelogene Standardkomplimente herunterleiern konnte. Die Erotik der Parfüm-Werbestars wirkt ja schließlich eher nonverbal. Diese Typen präsentieren ihre Waffen und schenken der begehrlichen Zuschauerin gerade mal einen neckischen Seitenblick. Wenn man in einen Werbespot springt, dann sucht man sich die zu machende Erfahrung aus. Wenn ich quatschen will, tauch ich in einen Kaffeespot. Ich wollte aber nicht quatschen. Außerdem war es dunkel, wie konnte er da meine Augen sehen. Und überhaupt, das Knutschen fand ich ziemlich gut. Anschließend nagte er an meinem Hals. Das zog zwar ein bisschen, würde aber einen beneidenswerten Knutschfleck hinterlassen.

Georgios und ich wollten uns auf der abgewetzten Kuscheldecke so ins Boot legen, dass uns keiner sehen konnte. Schade eigentlich; wenn meine Mädels am Strand entlangkämen, würde ich ihnen schon einen Blick gönnen. Ich legte mich also auf den Rücken und sah, wie Georgios sich den Pullover auszog. Dabei kam es mir vor, als sei er ein Adler mit mehreren Metern Flügelspannweite. Seine Arme waren die eines olympischen Speerwerfers, seine Schultern sehnig und rund, sein Bizeps im Licht der Silbersichel noch knackiger als in der Spätnachmittagssonne und sein Waschbrettbauch war perfekt. Ich streckte meine Arme nach ihm aus und streichelte die verführerischsten Stellen seines Körpers.

Dann beugte er sich über mich, verdeckte den Mond und es wurde dunkel. Gleichzeitig gab es ein ungeheures Krachen und ich befand mich im freien Fall. So kam es mir zumindest vor, bis ich unsanft auf den Brettern landete. Georgios’ Oberkörper fand ich unabgefedert auf meinem Brustkorb dann doch nicht mehr so toll, und der tiefe Splitter in meinem Oberschenkel machte das Ganze nicht besser. Das Boot war wohl für sportliche Trockenübungen nicht geeignet und unter unserem Gewicht zusammengebrochen. So was nennt man dann wohl Koitus interruptus.

Georgios trug mich auf eine Bank am Pool und zog mir den Splitter aus der Haut. In dem Moment kamen Carla und Jessica um die Ecke. Das Bild, das sich ihnen bot, war sicher noch eindrucksvoller als eine heiße Sexszene am Strand. Fürsorglich hockte Georgios zu meinen Füßen und küsste mein geschundenes Knie.

»Ach hier bist du!« Carla trug eine getönte Sonnenbrille, obwohl es längst dunkel war, Jessica schaute auf ihre mit French Manicure perfektionierten Fingernägel.

Sie ging auf Georgios zu: »Ich bin Jessi. Katja, Carla hier und ich wollten gerade in die Disco, kommst du mit?«

Ich ärgerte mich über diese Anmache, aber Georgios tanzte den ganzen Abend nur mit mir. Auch den nächsten und den übernächsten.

Carla und Jessica platzten vor Neid.

2. Kroatien

Heldentod

Leonie (28), Literaturstudentin, Wien, Österreich, über Niko (40), Physik-Professor, Köln, Deutschland (und Zagreb, Kroatien)

Willst du meine Romanfigur sein?«, hatte ich Niko gefragt. Das war irgendwann in der Mitte. Mir schwebte dabei ein Format wie Der Schwarm von Frank Schätzing vor und Niko erschien mir als sexy junger Prof als Idealbesetzung. In erotisch aufgeladener Atmosphäre könnte ich einige seiner Ideen niederschreiben, mit Fachbegriffen, Formeln und wissenschaftlichen Utopien, und hätte gleichzeitig die Chance, ihn enger an mich zu binden, da so ein Projekt schon ein paar Jahre in Anspruch nehmen würde.

Während er die ersten Erfolge auf der Suche nach extraterrestrischem Leben oder bei der Erforschung des Marianengrabens verzeichnete, könnte ich ihn mit Fragen im Stil von »Haben Sie schon mal auf Koks gefickt, Nick?« konfrontieren.

Natürlich hielt ich mich trotz seines Bildungsvorsprungs für schlauer. Die Genialität eines zweiten X-Chromosoms konnte man auch in vierzig Jahren Lebens-, Forschungs- und sonstiger Erfahrung nicht imitieren, egal wie viel Zeit man im Labor oder auf Vortragsreisen verbrachte.

Niko wiederum hielt sich natürlich für schlauer als mich, was er mit seiner Herkunft begründete. Er komme aus dem Zagorje, jener Region in Kroatien, der angeblich die klügsten Menschen der Welt entstammen.

Meine Frage beantwortete Niko dann charmant manipulativ: »Hallo Tigerin, natürlich will ich dein Romanheld sein. Frag mich gern alles, was du wissen möchtest.«

Ich schmunzelte vor dem Bildschirm. Die »Figur« hatte er wie selbstverständlich in den »Helden« uminterpretiert, nicht ahnend, dass es bei mir immer nur Heldinnen gab. Aber damals stand ich immer noch sehr auf ihn und natürlich sollte er Held spielen dürfen.

Aber zurück zum Anfang. Niko war der große Bruder meiner Freundin Dragica. Er bezeichnete sich zwar als Kroaten, hatte aber einen rheinischen Einschlag in der Stimme und lebte auch dort. Das südländische Temperament war zweifelsohne durchgeschlagen und drückte sich in seinem Fall insbesondere darin aus, dass er konsequent bigamisch lebte. Zumindest solange eine seiner Freundinnen zugegen war. Er hatte beruflich immer viele Entscheidungen zu treffen und hielt außerdem nicht viel von Trennungen, sodass es vorerst bei dieser Konstellation blieb.

Klar flog er ab und zu auf, hatte dann schlechte Laune und jettete zu einer Exgeliebten nach Tripolis oder Chicago. Seit er die Professur innehatte, besuchte er dort nebenher einen Kongress oder Teilchenbeschleuniger und konnte so seine Entspannung auf die Spesenrechnung setzen.

Mir war von der ganzen Sachlage zum Kennenlernenzeitpunkt nur Unvollständiges bekannt, was daran lag, dass ich mich nur wenig für unbekannte Brüder interessierte, von denen ich noch nicht einmal ein Foto gesehen hatte.

Das war ein großes Versäumnis meinerseits. Hätte ich vorher gewusst, wie er aussieht, und ihn damit sogleich auf die »Never ever«-Liste setzen können, wären mir die fatalen ersten drei Sekunden erspart geblieben, die seither mein Schicksal bestimmen.

In den ersten drei Sekunden einer Begegnung entscheidet der Hypothalamus in streng geheimer Abstimmung mit der Amygdala und weiteren Hirnarealen, ob man jemanden mag oder nicht, ob man mit ihm ins Bett will, ihn heiraten will oder ob er einen kaltlässt. Hierbei kommt es häufig zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen, die dem Bewusstsein zuweilen erst mit jahrelanger Verspätung mitgeteilt werden.

Ich stand also vor der Wohnung, in welcher der berüchtigte und hartnäckig unverheiratete Bruder mit seiner Hauptfrau lebte, Dragica öffnete die Tür und ein verwuscheltes Geschöpf tappte hinter ihr durch den Flur. Ich befand mich zwar in seiner Wohnung, aber das konnte unmöglich der besagte Bruder sein. Der Bruder war ein Prof und damit alt. Außerdem war er Naturwissenschaftler und damit unsexy. Dieser Typ sah aus wie Eros Ramazzotti und war sicher Bildhauer, Maler oder irgendwas anderes Brotloses, aber Erotisches. Er hatte wilde Locken, trug eine etwas zu große Brille und war hoffentlich nur ein einsamer Single-Hausfreund, der hier auf mich gewartet hatte.

Als er mir die Hand reichte und sich vorstellte, dachte ich präzise ein Wort: Scheiße! Zu mehr war mein Verstand nicht mehr in der Lage, da meine Blutreserven gerade die Cardio-Thorax- und die Ovarial-Uteral-Region zu versorgen hatten.

Natürlich hielt der Schrecken nicht lange an und ich dachte mir »Wie gewonnen, so zerronnen«, setzte mich in die Küche, erzählte dem Freundinnen-Bruder beim Verzehr von Balkan-Spezialitäten und Anschauen von Urlaubsfotos meine Lebensgeschichte und hakte die Sache innerlich ab. Schließlich saß seine Freundin neben ihm. Ich hatte mich also an den interfemininen Ehrenkodex und damit zurückzuhalten. Diese Zurückhaltung galt allerdings nicht für den erfahrenen Schwerenöter, der meinen Stuhl zu sich heranzog und mir sogleich eine mit Zahlen und Diagrammen gespickte Datei präsentierte, die sein neues Forschungsprojekt beinhaltete. Dass ich nur Bahnhof verstand, tat nichts zur Sache. Hängen blieb nur der Begriff »Thermodynamik«. Das hatte was mit Wärme und Energie zu tun und wurde im Folgenden mit vollem Körpereinsatz in die Praxis transformiert.

Glücklicherweise war gerade Karneval und wir befanden uns in Köln und so stürzte sich die ganze Gesellschaft noch in den Trubel. Nachdem die Freundin das »Päffgen« in der Altstadt verlassen hatte, hing der inzwischen mit Kölsch gefüllte Latin Lover an meinem Hals. Wie gesagt, es war Karneval, es kannte mich keiner und es galt somit keinerlei Jungfernschaft zu verteidigen.

Gegen vier Uhr morgens verließen wir verschwitzt und zertanzt händchenhaltend die Location und knutschten noch ein bisschen im Schneeregen.

Niko meldete sich dann nach einer Woche aus Kroatien. Er lief unter südlicher Sonne zur Hochform auf und schrieb sexy-lustige E-Mails, die ich zickig beantwortete. Als Dritt-, Viert- oder Nebengeliebte wollte ich natürlich nicht enden. Die Beschimpfungen muss er umgedeutet haben in: »Sie reagiert – was sie schreibt, ist egal. Sie steht auf mich.« Damit hatte er zwar recht, aber einen Korb bekam er trotzdem.

Meine weibliche Intuition ließ mich nicht im Stich. Obgleich er mir kaum zutraute, einen Roman zu schreiben, schmeichelte die ihm zugedachte Hauptrolle seiner Eitelkeit zu sehr, als dass er nun von der Beute hätte ablassen können. Natürlich machte er seine Ankündigung wahr und kam wenig später nach Wien. Wenn es eine neue Liebschaft zu erobern gilt, muss man sich in regelmäßigen Abständen zeigen, das wusste schon Casanova. Sein Ururenkel musste das nicht erst lernen, er hatte einen natürlichen Instinkt dafür.

Ich lag gerade im Bett und mein »Masseur«, ein sinnlicher Freund mit magischen Händen, saß auf mir und streichelte meine Taille, da klingelte das Handy. Niko war in town und stand unangekündigt vor der Haustür. Der Gedanke, nicht zu öffnen, flimmerte kurz durch meinen Kopf, doch schon schwebte ich mit glasigem Blick und schwingenden Hüften zur Tür. Der Masseur war mein Nachbar und dadurch in der Lage, sich beim Klingeln an der Haustür in Luft aufzulösen, während ich den Türsummer betätigte. Wenn der Pharao kommt, muss der anheizende Eunuch verschwinden, das war schon bei den alten Ägyptern so.

Durch die erotisch aufgeladene Spannung und den Magnetismus, der vom Bett und der frisch massierten Diva im Kimono ausging, landeten wir alsbald im Schlafzimmer. Das war bereits von Opium- und Ylang-Ylang-Räucherstäbchen und einer roten Vulkanlampe in die richtige Puff-Atmo getaucht, sodass es nicht lange dauerte, bis Niko auf mir lag, den Gürtel meines Kimonos löste, während er mich unentwegt küsste, und zur Vertrauensbildung erst mal meinen Bauch zu streicheln begann.

Meine Hände wanderten ohne meine Erlaubnis über seinen Körper. Sie griffen gerade nach seiner Gürtelschnalle, da klingelte das rettende Telefon. Ich krabbelte unter ihm hervor. Sein Blick folgte meinem Körper in dem aufklaffenden Kimono. Ich ließ ihm einige Sekunden das Vergnügen und verließ dann den Raum. Das Telefon hatte aufgehört zu klingeln. Mit letzter Kraft sprang ich unter die kalte Dusche. Das zischte, wäre ich doch gerade beinahe im adriatischen Feuer verbrannt.

Als er von mir elegant hinauskomplimentiert wurde, lächelte Niko selbstzufrieden. Anscheinend wähnte er sich seinem Ziel näher, was mir natürlich missfiel. Er sollte es erst mal rote Rosen regnen lassen, keine anderen Göttinnen neben mir haben, mich lieben und ehren … na ja, so einfach würde er mich jedenfalls nicht bekommen. Leider hielten mich die erotischen Träume, die mich nächtens heimsuchten, tagsüber von meiner Arbeit ab. Ich beschloss, den Romanhelden auf Seite 17 sterben zu lassen und schwor mir, dem habilitierten Ladykiller für alle Zeit aus dem Weg zu gehen.

Als ich mit Dragica in die Ferien auf die kroatische Insel Lošinj flog, hatte ich bereits einen neuen Verehrer und Niko schon fast vergessen.

Bis zu jener Nacht, in der ich plötzlich einen Hauch seines hypnotischen Duftes wahrnahm. »Wahrnahm« muss ich jetzt ein bisschen näher erklären, da sich der Geruchssinn ja im Schlaf ausstellt. Anscheinend wurden in der Triebzentrale meines Hirns die mit seiner Duftmarke verbundenen Reaktionen aber ebenso unwillkürlich ausgelöst wie beim pawlowschen Hund. Mir entwich im Halbschlaf und ohne meinen Willen, darauf lege ich großen Wert, ein lustvolles Stöhnen, ich bot ihm animalisch unwillkürlich meinen Hals an und öffnete meine Schenkel, woraufhin er seine Hand unter meinen Slip und einen Finger in mich hineinschob. Zu meinem Pech war ich feucht, was als Einverständnis gewertet wurde. Ich lag auf der Seite, er hinter mir und streichelte meine Brüste, während Zunge und Atem meinen Hals liebkosten. Er schob mein Haar zur Seite und blies mir in den Nacken, während seine Hand wieder an meinem Körper hinunterglitt, um meine Klit zu massieren.

Ich wollte »Nein!« sagen oder »Lass mich!«, aber ich konnte nicht. Ich war nicht damit einverstanden. Ich musste Nein sagen. Er würde mich sofort loslassen, wenn ich Nein sagte, das wusste ich. Deshalb nur noch einen Augenblick warten. Er hatte mich ja im Schlaf überfallen, es war also normal, wenn ich etwas brauchte, um auf das zu reagieren, was hier geschah. Er würde sich darauf nichts einbilden können und ich würde ihn später beschimpfen. Also noch einen Moment genießen. Gleich würde ich das Wort sagen, das Spiel beenden. Gleich. Nur einen Moment noch.

Mein Körper gehorchte mir nicht, begann sich unter seinen Händen zu öffnen, aalte sich unter seinen Berührungen, als wären sie die letzte Offenbarung. Mein Hintern presste sich an seine Lenden. Ich spürte, dass er steif war und dass ich es nicht mehr würde verhindern können. Dass mein Körper bereit war und er ohne Widerstand in mich hineingleiten konnte. »Nein«, rief ich laut- und atemlos, er konnte mich nicht hören. Er war in mir und stieß langsam und gleichmäßig zu. Ich spürte das heiße Pulsieren seines Gliedes und ergab mich in die rhythmischen Wellen der Leidenschaft.

Die Frequenz erhöhte sich, bis seine Kraft meinen ganzen Körper beherrschte und meinen Willen in sich verschlang. Er hatte die Energie eines 19-Jährigen, wohl wissend, dass das erste Mal mit dieser Frau auch das letzte sein könnte.

Seine Hand ruhte danach auf meiner Hüfte und mir war, als hätte ich aufgehört zu atmen. Er war noch da, er küsste meinen Hals und meine Schulter und flüsterte mir erotische Komplimente ins Ohr. Es dauerte, bis ich wieder ankam in diesem Raum, bis ich begriff, dass ich mich ihm völlig ausgeliefert hatte.

Auf das orgasmische Erwachen, das sich jede Frau wünscht, folgte damit sogleich die postkoitale Depression, die sich in meinem Fall so anfühlte wie damals, als ich mit sieben im »Mensch ärgere dich nicht« verloren hatte. Dabei war das Verlieren an sich gar nicht so schlimm. Vielmehr litt ich damals wie heute unter der diebischen Freude des Gegners über seinen Sieg: damals mein gleichaltriger Cousin, heute mein leidenschaftlicher Geliebter.

Beide spielten mit unlauteren Mitteln. Ich vermute bis heute, dass mein Cousin, als ich einmal weggeschaut hatte, die Figürchen verschob.

Erst jetzt war ich richtig wach und grübelte, wie ich, wenn ich schon diese seelische Niederlage erleiden musste, so doch wenigstens den physischen Genuss nun noch häufiger würde auskosten können. Mir fiel keine rechte Möglichkeit ein, wie ich meine Ehre retten und gleichzeitig den Liebhaber konservieren konnte. So ärgerte ich mich, anstatt wieder einzuschlafen, was dazu führte, dass ich am Morgen nicht gerade aussah wie die Schaumgeborene von Botticelli.

So erschien ich wenigstens provokativ oben ohne und in seinen Boxershorts zum Frühstück auf dem Balkon. Sollte er wenigstens glauben, dass ich ihn genauso als Trophäe sah.

Ich nahm einen tiefen Zug von seinem Joint, um Entspannung zu finden, und legte meine Beine auf seinen Schoß. Irgendwas an der Art, wie er mich ansah, machte mich wahnsinnig. Außerdem tat das Gras seine Wirkung und so schob ich meinen Fuß zwischen seine Beine und begann, ihn da zu streicheln. Er schloss die Augen und rekelte sich genießerisch. Er wusste, dass er die Schlacht gewonnen hatte.

»Nicht zu deinem Vergnügen, sondern zu meinem«, betonte ich schnell, damit nur ja keine Missverständnisse aufkamen. »Selbstverständlich, meine Königin«, antwortete der schöne Playboy in der geblümten Hollywoodschaukel, wobei mich der spitzbübische Ton aufregte. Ich hasste ihn leidenschaftlich. Lassen konnte ich es trotzdem nicht. Oder gerade deshalb. Seine magnetische Anziehungskraft kam geradezu einer ätherischen Gewaltausübung gleich. Ich wollte das nicht, was ich da tat, aber ich konnte nicht anders. Ich dachte darüber nach, ob man nicht das Gesetz für solche Fälle ändern sollte, während er mir zärtlich in den Fuß biss.

Eine Schlacht gegen mich kannst du gewinnen, den Krieg aber ganz sicher nicht, dachte ich insgeheim. Hier auf Lošinj hatte er ein Heimspiel. Dieser Sieg sei ihm gegönnt, versuchte ich mich selbst zu beruhigen.

Zu meinem Glück waren sämtliche seiner hiesigen Verflossenen bereits glücklich verheiratet oder abgereist, sodass mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit für den Rest des Urlaubs erhalten blieb. Wir liefen händchenhaltend durch die Straßen des malerischen Inselstädchens Mali Lošinj, küssten uns im Abendrot und aßen Sardinen auf der Hafenpromenade.

Es gab noch ein paar Anläufe, die aber kaum erwähnenswert sind, da wir nie allein waren und der vielbeschäftigte Mann schon bald wieder abreiste. So verbrachte ich die letzten Urlaubstage mit meiner Freundin und dem Nachschwingen der erotischen Energie.

Inzwischen hat sich vieles getan. Während Niko und ich noch über die künftigen Konditionen unseres Zusammenseins verhandelten, tauchten kompromittierende Fotos in den Postkästen seiner Frauen auf. Nach dem Eklat ist er jetzt Single und Münzsammler. Ein bisschen schmälert das schon seinen Appeal, gebe ich zu, denn sein Lebensstil gefiel mir zwar nicht, aber inspirierte mich doch in einem mir bis dahin unbekannten Maß. Die Erotik des Wettbewerbs und der Ungewissheit darf entgegen aller Moral keineswegs unterschätzt werden.

Was lernen wir daraus: Im Krieg und in der Liebe bleibt alles erlaubt, aber nicht mit jedem Sieg hat man etwas gewonnen. Doch. Eines: Der Held ist in der Krise, aber mein Roman schreibt sich umso besser.

3. China

Callboys und Koks

Christie (23), Designerin, Nashville, USA, über einen Callboy, Dongguan, China

Unsere Rucksackreise hatte was von einem Roadmovie. Meine Freundin Kim und ich waren vom visuell-olfaktorischen Kaleidoskop Hongkong ins chinesische Shopping-Mekka Shenzhen unterwegs. Dort ließen wir uns ganz posh Maniküre, Pediküre und Massage gleichzeitig verpassen.

Weiter mit dem Bus, dann mit dem Taxi fuhren wir breite, beschnittene Alleen entlang, im Gegensatz zum in die Höhe gebauten Hongkong war hier alles breit und großzügig angelegt, fast wie zu Hause in den USA.

Es war ein lauer Dezember und mehr zur Dekoration als zum Schutz vor der Kälte trugen wir unsere Bommelmützen. Der Taxifahrer saß im Käfig, zu seiner Sicherheit vor Räubern, und trug auch keine weißen Handschuhe wie in Shanghai. In Shanghai braucht man nicht zu löhnen, wenn der Taxifahrer seine Handschuhe nicht trägt, aber das ist ein anderes Thema.

Er fuhr uns zu einer Fabrik in Dongguan. Wir wollten Kims Freundin Neili überraschen, die hier die Spielzeugproduktion überwachte.

Neili war über unser Auftauchen wohl eher erschrocken als begeistert, aber ließ sich dies als Chinesin nicht anmerken. Sie führte uns und einige Kollegen erst mal in ein schickes Restaurant aus.

Danach checkte sie uns im luxuriösen Windsor Park Hotel ein und schritt am riesigen Weihnachtsbaum vorbei zu den goldenen Fahrstühlen. Nun waren wir einmal da und sie als unfreiwillige Gastgeberin verpflichtet, uns zu unterhalten. Sie wollte mit uns in einen bestimmten Club und rief dort an, ob heute offen sei.

Während Kim auf ihrem Bett lag und Neili im Sessel thronte, stand ich vor dem riesigen Spiegel und schminkte mich.

»What are you doing? You don’t need to dress up. We’re gonna pay for it.«

Mir fiel fast der Kajal aus der Hand. Die selbstbewusste chinesische Männerfresserin sah mich ungerührt an, den Glimmstengel zwischen den manikürten Fingernägeln in der einen, das glitterbunte Handy in der anderen Hand. Kim hatte mich gewarnt. Die Chinesinnen seien, bei näherer Betrachtung, alles andere als anschmiegsame Kätzchen.

So viel wusste ich schon und hatte auch schon so manche Klage meiner westlichen Kumpels über ihre chinesische Freundin gehört, wie schwierig die betreffende Dame doch sei. Oder aber auch den bewundernden Ausspruch, dass sie nun eben mal kompliziert sei.

Neili schien mir dennoch eine Ausnahme zu sein. Sie sprach akzentfreies Englisch und war zu allen Schandtaten bereit, bevorzugte sie doch selbst europäische Liebhaber. Warum, vermochte sie nicht genau zu sagen. Kim fragte sie daraufhin unverhohlen, ob es an der Schwanzgröße liege. Das verneinte Neili empört und konstatierte: »Du solltest chinesische Männer nicht unterschätzen.«

Mir war das Ganze ein wenig unangenehm. Für Sex bezahlen? Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Ich fragte Kim etwas gequält: »Würdest du das machen? Also dann auch mit dem schlafen?«

»Klar, wenn er mir gefällt.« Die Stimmung war schon sehr seltsam in diesem luxuriösen Hotelzimmer.

Wir waren alle Anfang zwanzig und fühlten uns plötzlich reich wie Paris Hilton. Das Gefühl, reich zu sein, zieht immer das Gefühl von Überlegenheit nach sich. Von Macht. Beide Frauen waren davon überzeugt, dass wir das Richtige tun. Dass wir unsere Jugend auskosten und die Gunst der Stunde nutzen sollten, egal, ob es unserem eigentlichen Lustempfinden entsprach, sondern einfach, weil wir es konnten. Weil sich die Gelegenheit bot, weil wir es uns leisten konnten und weil die Moral weit weg im amerikanischen Hinterland geblieben war.

Und so fuhren wir mit dem Taxi zum Club. Begrüßt wurden wir gleich von zehn jungen Männern, sogar ein Amerikaner arbeitete hier. Meine Knie wurden weich, ich wäre am liebsten gleich wieder verschwunden, aber das ging nicht. So wollte ich mich an das einzig Vertraute klammern, mich mit dem Amerikaner unterhalten, in der Hoffnung, dass »wir« es uns dann doch alsbald wieder anders überlegen würden und heimführen.

Meine Freundinnen dachten gar nicht daran und wirkten auf mich, als hätten sie den Wahlspruch »Callboys und Koks« unsichtbar auf ihre netzbestrumpften Innenschenkel tätowiert.

Kim zog mich weiter, wir setzten uns an einen Tisch und die Galane servierten uns kunstvoll dekorierte Drinks, stellten Obstteller dazu und flirteten mit uns, während wir die leicht bekleideten Tänzer auf der Bühne beobachteten. Einer der Tänzer gefiel mir. Er war Chinese, groß und sportlich, nicht zu muskulös, aber sehr attraktiv. Er wirkte sehr westlich von der Art seiner Bewegungen her. Auslandschinese, dachte ich. Ich lächelte freundlich nach links und rechts und trank mehr, als mir lieb war. Einer flößte mir den Alkohol ein, während ich von der anderen Seite mit Obst gefüttert wurde. So muss es im alten Rom gewesen sein, dachte ich.

Trotzdem fühlte ich mich unbehaglich, auch wenn ich durch den Alkohol langsam in eine andere Welt hinüberglitt. Solange meine Freundinnen am Tisch saßen, fühlte ich mich sicher, aber Neili war die erste, die – mit meinem amerikanischen Landsmann – verschwand.

Kim flirtete zwar heftig, schien aber nicht richtig in Stimmung zu sein, bis ein schmaler karamellfarbener Junge mit großen dunklen Glutaugen den Raum betrat und sich an die Theke lehnte. Ohne ihre Begleiter zu beachten, die nach wie vor Drinks und Obststücke reichten, stürmte sie los, auf den Jungen zu. Wie ich später erfuhr, war er Indonesier, genau wie ihre große Liebe. Er war ein Angestellter des Clubs und so verschwand auch Kim alsbald.

Nun war ich allein. Allein in der Fremde. Ich hatte die Visitenkarte meines Hotels im Portemonnaie, aber ansonsten war ich ganz auf mich gestellt. Mein Mut war dahin und es war ganz anders als in der Woche zuvor in Hongkong, wo ich unter Klatschen und Jubeln der Freunde auf der Bühne einen chinesischen Jungen, der Geburtstag feierte, entkleidet hatte. Das war Spaß gewesen, ein Spiel, aber jetzt …

Der Tänzer war inzwischen von der Bühne gestiegen. Er setzte sich zu uns an den Tisch. Mein Starren war ihm wohl nicht entgangen.

Im Nachhinein bin ich versucht, zu behaupten, mir hätte jemand etwas in den Drink gemischt oder die chinesischen Zigaretten seien mit mir unbekannten Opiaten versetzt gewesen, um aus der Sache halbwegs wieder rauszufinden. Ganz klar rekonstruieren kann ich das Geschehen dieser Nacht jedenfalls nicht.