Küstenglück und Weihnachtspunsch - H.C. Hope - E-Book

Küstenglück und Weihnachtspunsch E-Book

H. C. Hope

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Beschreibung

Weihnachtszauber auf Borkum Emilia arbeitet schon seit drei Jahren im Café Schönblick auf Borkum. Insgeheim wünscht sie sich nichts sehnlicher, als endlich ihren eigenen Cateringservice aufzubauen. Gerade in der stressigen Vorweihnachtszeit tut sich eine große Chance für sie auf. Aber dann erkrankt Café-Inhaberin Rita und die ganze Verantwortung lastet auf Emilias Schultern. Nicht nur der Organisationsstress für den Stand auf dem Adventsmarkt beschäftigt sie, sondern auch der mürrische Tierarzt Jasper, der wegen seines alten Onkels auf die Insel zurückgekehrt ist. Doch für die Liebe bleibt Emilia keine Zeit … oder?

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Küstenglück und Weihnachtspunsch

Die Autorin

H.C. Hope wurde 1988 in Oberschwaben geboren und entdeckte ihre Liebe zu Wort und Schrift schon im Grundschulalter. Als stetiges Hobby zog es sich durch ihre Jugend, bis sich 2019, neben ihrer Arbeit als Logopädin, der Traum vom ersten eigenen Buch erfüllte. Sie liebt es mit Cappuccino oder Tee durch neue Welten zu streifen, fantastische Geschichten zu verfolgen und romantische Schicksale zu erleben. Wenn sie nicht liest oder schreibt, dann verwandelt sie die Küche in ihr zweites kreatives Zuhause oder jagt mit Samtpfote Fips durch die heimische Natur.

Das Buch

Weihnachtszauber auf Borkum

Emilia arbeitet schon seit drei Jahren im Café Schönblick auf Borkum. Insgeheim wünscht sie sich nichts sehnlicher, als endlich ihren eigenen Cateringservice aufzubauen. Gerade in der stressigen Vorweihnachtszeit tut sich eine große Chance für sie auf. Aber dann erkrankt Café-Inhaberin Rita und die ganze Verantwortung lastet auf Emilias Schultern. Nicht nur der Organisationsstress für den Stand auf dem Adventsmarkt beschäftigt sie, sondern auch der mürrische Tierarzt Jasper, der wegen seines alten Onkels auf die Insel zurückgekehrt ist. Doch für die Liebe bleibt Emilia keine Zeit … oder?

H.C. Hope

Küstenglück und Weihnachtspunsch

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin November 2022© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrusISBN 978-3-95818-725-2

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Der kleine Wintermarkt am Meer

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Motto

Für jedes Leben.

Weil jedes wertvoll ist.

Menschen, Tiere und Pflanzen.

Kapitel 1

3. Dezember

Mein Blick schweift durch die Fensterfront des Gastraumes auf die schneebedeckten Dünen, die den Südstrand begrenzen. Die bunt gestreiften Strandkörbe sind allesamt verlassen. In der kalten Jahreszeit wirkt Borkum, als würde es Winterschlaf halten. Nur seine Bewohner nicht. Ich schaue zu Rita, meiner Chefin, die den einzigen und kleinen Gastraum des Cafés Schönblick liebevoll schmückt. Rote Hussen bedecken die weißhölzernen Stühle an der Fensterfront zum großen Freisitz. An den hellgrauen Lampenschirmen baumeln Holzengel und an der Wand neben der Garderobe hängt eine von Ritas selbst genähten Patchworkdecken mit roten Weihnachtssternen. Neben mir surrt die Lampe der Gebäckauslage, in der frisch gebackene Plätzchen, Quarkstollen und Lebkuchenschnitten präsentiert werden. Alles wirkt gemütlich und lädt zum Verweilen ein.

Ich senke den Blick auf meine mehligen Hände. Ich mag es, den Teig auf unserer Theke zu verarbeiten. So kann ich stets die Gäste sehen und leiste Rita Gesellschaft.

Ich drücke zwei Rosinen in das Gesicht des Hefeteig-Klaasohms, der vor mir auf dem Backblech liegt.

»Er wird mir jedes Jahr unheimlicher«, sage ich zu Rita. »Ich verstehe bis heute nicht, weshalb alle total aus dem Häuschen sind, wenn sie nur an den Klaasohm denken. Er sieht doch … gruselig aus, oder?« Ich forme Kuhhörner aus dem restlichen Teig und drücke sie seitlich an den Kopf des Hefegebildes. Der Klaasohm, halb Mensch, halb Vogel, ist das berühmteste, meist gefeierte historische Wesen auf Borkum. Alle Inselbewohner, klein und groß, feiern ihn am 5. Dezember, als gäbe es kein Morgen.

»Ach Emilia, wir finden ihn doch alle hässlich, aber die Geschichte, für die er steht, muss in Erinnerung bleiben.« Rita schmunzelt und bestückt die Tische des Cafés mit Reisigkränzen. »Wir sind eben ein traditionsverliebtes Völkchen.«

Ich drehe »Last Christmas« von Wham!, das in Dauerschleife im Radio gespielt wird, lauter. Ritas Lieblingssong. Leider.

Auch wenn mir der Song wieder einen stundenlangen Ohrwurm bescheren wird, untermalt er das weihnachtliche Flair im großen graugefliesten Gastraum. Rita hat sogar dicke Kuscheldecken mit Rentiermuster für die hartgesottenen Gäste auf dem hölzernen Freisitz draußen ausgelegt.

»Irgendwie ein verrückter Brauch, dass die Walfänger, nachdem sie von ihrer monatelangen Seefahrt zurückgekehrt waren, den Frauen die Insel erst wieder abjagen mussten, oder? Noch dazu in diesem merkwürdigen Kostüm.« Hübsch anzusehen ist die schwere hölzerne Maske wirklich nicht. Kuhhörner werden von Vogelfedern umrankt und eine ziemlich schiefe Nase thront mittig über einem grimmig verzogenen Mund.

»Ja, ein bisschen sonderbar ist das schon. Wenn man es genau nimmt, waren wir Frauen damals schon ziemlich emanzipiert. Ich meine, die haben ganz Borkum versorgt, während die Herren auf Walfang waren. Dass die Frauen dieses Privileg der alleinigen Inselherrschaft nicht kampflos an die Männer zurückgeben wollten, ist nachvollziehbar, oder?« Rita schmunzelt und zupft die rotgrünkarierten Tischdecken zurecht, bis sie keine Falten mehr werfen. Ich bewundere ihr Händchen für geschmackvolles Dekorieren, seit sie mich vor drei Jahren als Aushilfe im Café eingestellt hat.

»Irgendwie schon. Und den Herren fiel nichts Besseres ein, als sich gruselig zu verkleiden und die Frauen über die Insel zu jagen.« Ich wasche die letzten Teigreste von meinen Fingern. Mittlerweile ist mein Verhältnis zum Hefeteig gespalten. Jeden Dezember stelle ich ihn hundertfach her und bin ihn danach überdrüssig. Es sei denn, er wird zu Pizza verarbeitet. Davon kann ich nie genug kriegen.

»Na ja, mit Romantik wären sie bestimmt nicht weit gekommen.« Rita zuckt mit den Schultern und greift zu einem Karton mit roten Stumpenkerzen, die mit feinen golden glänzenden Linien durchzogen sind.

»Vermutlich. Wenn ich mir vorstelle, dass ich nachts vom Klaasohm überrascht werde, würde ich sogar meine geliebte Pizza opfern, um ihn loszuwerden. Ehrlich.« Ich nehme das Backblech mit den Hefeteigwesen, gehe in die angrenzende kleine Küche und schiebe es in den Ofen. Hoffentlich ist das die letzte Fuhre für heute. Zu Hochphasen verkaufen wir bis zu hundert Klaasohme täglich und das, obwohl jede Bäckerei auf der Insel diesen Hefekerl backt. Die Borkumer sind völlig verrückt nach ihm. Und nach ihren Traditionen.

Die Glöckchen über der Eingangstür bimmeln und die Tür schwingt auf. Ich gehe zurück an den Tresen.

»Redet ihr über das meistgeliebte Wesen Borkums?« Sören, unser pensionierter Fischer, streckt den Kopf über die Auslage, aus der mich die Hefeteig-Klaasohme anstarren.

»Ciao, Sören. Ja, wir bemängeln sein Aussehen«, sage ich und greife zur Gebäckzange. »Wie viele dürfen es sein?«

Diese Frage kommt mir schon automatisch über die Lippen. Es ist derzeit fast eine Sensation, wenn jemand unser Café Schönblick betritt und keinen gebackenen Klaasohm bestellt.

»Zwei Stück, bitte. Mein Neffe reist heute an, und du backst einfach die besten, Emilia.«

»Danke.« Ich lächle. Es war nicht leicht, sich neben Rita und Merle, beides begnadete Bäckerinnen und Köchinnen, auf der Insel einen Namen zu machen.

»Er kommt schon heute?« Rita schiebt sich mit dem Karton roter Stumpenkerzen neben Sören, während ich die zwei Klaasohme in die Bäckertüte lege.

»Ja, er wird eine Weile auf der Insel bleiben. Hat sogar einen Job angenommen.« Sören nickt geschäftig. »Hab ihn einige Jahre nicht gesehen, dat Keerlke.«

»Wie schön.« Ich reiche ihm die Gebäcktüte. »Bei dir ist er in besten Händen.« Und ich spreche aus Erfahrung. Sören hat mich bei meiner Ankunft vor drei Jahren unter seine Fittiche genommen, als ich am Hafen zufällig in ihn hineingestolpert bin. Damals war mein Deutsch eher schlecht als recht und Sören gab mir Starthilfe und regelmäßigen Deutschunterricht in seiner gemütlichen Stube bei Schwarztee oder auf seinem Fischkutter. Seit jenen Tagen verbindet uns eine tiefe Freundschaft.

Rita hebt verdutzt die Augenbrauen. »Ich hätte nicht gedacht, dass dein Neffe für längere Zeit zurückkommt. Hat er die Insel nicht extra verlassen, um seine Pläne auf dem Festland zu verfolgen?«

»Die Jugend. Ich bin gespannt, was er zu berichten hat.« Sören zuckt mit den Schultern und greift zur Tüte. Schmerz flackert für einen Moment über seine Miene, bevor er mit einer hölzernen Bewegung das Geld auf den Tresen legt.

»Gehst du noch zur Ergotherapie?«, frage ich, während Rita die Kerzen in die Reisigkränze stellt. Sörens Hand, die vor einem Jahr in die motorisierte Winde seines Fischkutters geraten ist, bereitet ihm wohl noch immer Schmerzen. Der Unfall bedeutete gleichzeitig das Ende seiner Karriere und damit kämpft er noch heute.

Sören schüttelt den Kopf. »Nein. Die Therapie bewirkt doch nichts mehr. Meine Finger werden so unbeweglich bleiben.« Seine Stimme bebt.

Ich wechsle einen besorgten Blick mit Rita. Sören ist nicht die Art von Mann, die sich hängen lässt. Im Gegenteil, er hat schon so viel durchgemacht. Vor vielen Jahren hat er seine Frau Edda verloren, als sie bei einer Wattwanderung mit ihrer Freundin vom auflandigen Nebel und der Flut überrascht wurde. Die beiden konnten nur noch tot geborgen werden. Einer dieser Schicksalsschläge, die die Seele brandmarken. Sören trägt seine Narbe nie offen zur Schau. Durch den Unfall mit der Winde musste er auch noch seine zweite große Liebe, den Fischfang, aufgeben und den Kutter einem Nachfolger übergeben. Und nun soll es die Hand sein, die seine Fröhlichkeit in die Knie zwingt?

Hoffentlich wird ihn sein Neffe zu einer weiteren Therapie ermutigen.

»Ich bin sicher, dass Clara noch eine Behandlungsmethode auf Lager hat.« Ich reiche Sören das Rückgeld und schaue ihn ernst an. »Wirklich!«

Clara ist vor einem Jahr als Neurologin auf die Insel gekommen und hat die Praxis des alten Inselarztes Dr. Kniepins übernommen. Ihre ärztliche Expertise ist ein Gewinn für jeden.

Sören nickt nur. »Vielleicht spreche ich noch mal mit ihr.«

»Bitte«, sage ich leise.

Er sieht mich ernst und beinahe schon etwas reumütig an. »Es fällt mir nicht leicht, Deern.«

»Das verstehe ich, Sören. Und trotzdem ist es wichtig!«, bekräftige ich. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Das ist nicht mehr der Mann, der mir kurz nach seinem Unfall schwor, das Beste aus seiner verletzten Hand herauszuholen.

Sören räuspert sich und bemüht sich um ein Lächeln. »Jetzt gehe ich erst mal meinen Neffen abholen. Tschüss, ihr zwei.« Er verlässt das Café und zieht seine Schiebermütze tiefer. Zartweiße Schneeflocken tänzeln an die Scheibe und verschlucken die Silhouette des alten Fischers.

»Das gefällt mir nicht«, murmelt Rita und fasst zwei Zimtstangen mit goldenem Draht zusammen, die sie dann auf den Reisigkranz steckt. »Sören wirkt unglücklich. Ihm fehlt eine Aufgabe. Seit wann geht er seinem Sanddornsaft-Hobby nicht mehr nach?«

»Ich weiß es nicht, Rita.« Sofort fühle ich mich schuldig, weil ich Sören schon länger nicht mehr nach seinen Keltereiversuchen gefragt oder den Sanddornsaft für neue Backkreationen geordert habe. Hier auf Borkum kümmert man sich umeinander. Das war die erste Lektion, die ich bei meiner Ankunft gelernt habe. Und Sören zählt zu meinen engsten Freunden, weil er seit der ersten Minute auf Borkum für mich da gewesen ist. Ich muss etwas unternehmen.

»Ich werde mit Clara reden. Wir wollen morgen Abend ihr Haus weihnachtlich schmücken«, sage ich gedankenversunken.

»Clara hat dich um Hilfe gebeten?« Rita lächelt.

Ich bin keine Dekoqueen, schon gar nicht im Vergleich zu Rita. Deshalb bin ich froh, dass sie ihr Café Schönblick selbst in ein nach Zimt duftendes Weihnachtsparadies verwandelt.

»Ja, Clara besteht darauf. Obwohl ich mit Henning ins Watt’n’Gin verduften wollte.« Die urige Inselkneipe mit Seemannsmusik ist der Kontaktknotenpunkt auf der Insel. Die Borkumer lieben die rustikale Einrichtung und das gemütliche Flair, und nicht zuletzt den Tratsch, den man dort aufschnappt.

»Die Kneipe ist die nächsten Tage tabu für uns Frauen. Dort werden wichtige Klaasohm-Details besprochen.« Rita reckt den Zeigefinger.

»Ach, stimmt ja. Diese ultimativen streng geheimen Männergeheimnisse.« Tatsächlich kümmern sich die Männer der Insel um die Auswahl der sechs Kandidaten, die dieses Jahr den Klaasohm geben werden. Details über das Auswahlverfahren, das die Herren schon am Nachmittag der Klaasohm-Nacht in der Betriebshalle der inseleigenen Kleinbahn Emma durchführen, werden über Generationen hinweg nur an gebürtige Borkumer weitergegeben. Meine Versuche, Claras Mann Henning darüber auszuquetschen, der vor wenigen Jahren ebenfalls als Klaasohm über die Insel jagte, sind gescheitert.

»Wer weiß, vielleicht wirst du dieses Jahr von einem Klaasohm geschnappt. Eine junge, unverheiratete Frau wie du passt wunderbar ins Beuteschema.« Rita massiert sich das Steißbein. Sie übernimmt sich maßlos in der Weihnachtszeit, obwohl im Winter weniger Touristen ihren Urlaub auf Borkum verbringen als in der Sommersaison. Trotzdem kümmert sie sich jedes Jahr mit Hingabe um den Kaffee- und Gebäckstand auf dem Borkumer Weihnachtsmarkt. Außerdem versorgt sie das Altersheim auf der Insel mit Plätzchen und hält ganz nebenbei das Café am Laufen.

Ich nehme ihr den Karton mit den Kerzen ab und drücke sie sanft auf einen Stuhl.

»Zum Glück sind es nur sechs Klaasohme und ich verstecke mich hier hinter dem Tresen. Der beste Kidnappingschutz. Das hat die letzten beiden Jahre wunderbar funktioniert. Vielleicht nutze ich die Zeit, um schon mal ein Blech Moppe zu backen. Ich gebe mich mit Moppe zufrieden. Apropos, ich sollte dringend prüfen, ob wir alle Zutaten dafür dahaben. Ruh dich ein bisschen aus. Ich bringe dir gleich ein Tässchen Tee.«

Dankbar nickt mir Rita zu und ihr Blick verliert sich gedankenverloren im Schneegestöber am Fenster.

Ich platziere alle Kerzen in die Kränze, brühe Rita eine Tasse Schwarztee auf und eile dann in die Küche, um den Vorratsschrank auf Mehl, Zucker, Honig, Zimt, Nelken und Eier für das Honigkuchengebäck zu überprüfen, das die Klaasohme übermorgen an die Inselbewohner verteilen werden. Mein Tag morgen wird also nicht nur aus Hefeteigklaasen, sondern auch aus Moppeteig bestehen. Ich atme tief durch und notiere mir, dass wir mehr Eier brauchen. Nachdem ich die beim ansässigen Bauern geordert, den Gastraum, die Auslage und die Kaffeemaschinen gesäubert habe, überprüfe ich meine Frisur im Spiegel neben der Garderobe. Ein paar widerspenstige schwarze Locken haben sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst und stehen wirr ab. Ich streiche sie glatt. Vergeblich. Rita nennt mich oft schmunzelnd Schneewittchen, weil meine roten Wangen und die pechschwarzen Haare sie an die Märchenfigur erinnern. Dabei sieht man mir meine italienische Herkunft an. Ich seufze, streife meinen Wollmantel über und verlasse das Café. Rita ist schon längst nach Hause. Ich schulde meiner Mutter in Bologna endlich mal wieder einen Anruf. Aber über meine laute, chaotische und bevormundende Familie will ich jetzt ganz sicher nicht nachdenken. Nach der Klaasohmnacht melde ich mich, nehme ich mir vor und schwinge mich auf mein Rad.

Kapitel 2

4. Dezember

»Und das hier ist das beste Café auf Borkum. Die Inhaberin Rita Ülk ist ein Goldstück. Ach, was rede ich, lernen Sie sie selbst kennen.« Bürgermeister Tillmann schreitet geschäftig ins Café, gefolgt von einem jungen Mann, der sich voller Neugier über seinen hellblonden Bart streicht und den aufmerksamen Blick über die Auslage bis zu mir wandern lässt.

Nanu? Was hat sich unser rühriger Bürgermeister dieses Mal wieder ausgedacht?

Er tätschelt die Hand von Rita, die ächzend vom Stuhl aufsteht und die kleinen Pfützen Schmelzwasser auf dem Boden, die der Bürgermeister bei jedem Schritt hinterlässt, kritisch beäugt. Ihr Sauberkeitswahn verursacht ihr zusätzlichen Stress. Obwohl ich bei Schneefall zweimal am Tag wische.

»Ich freue mich, Herrn Störr vom Nordseeblatt vorstellen zu dürfen. Er wird uns über die Weihnachtszeit auf Borkum begleiten, um endlich meinen heiß ersehnten Image- und Heimatfilm für die privaten Sender voranzutreiben.« Bürgermeister Tillmann schiebt seine Hornbrille höher auf den Nasenrücken. »Das dürfte ganz im Sinne aller Borkumer sein, oder? Der Laden brummt nur mit genügend Touristen und die brauchen wir auch im Winter.« Er schenkt mir ein strahlendes Lächeln, das er ganz bestimmt vor dem Spiegel einstudiert hat. Das junge knutschende Paar an einem der Fenstertische unterbricht das Küssen für einen kurzen Augenblick, um den Bürgermeister skeptisch zu mustern.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Borkumer ihre wohlverdiente Winterpause dem Tourismus opfern wollen. Für Rita wäre es zu viel, auch noch im Winter unzählige Urlauber zu versorgen.

Sie reicht dem Reporter die Hand. »Es freut mich, Sie kennenzulernen. Nennen Sie mich Rita. Wie Sie sicher schon bemerkt haben, mögen wir auf Borkum dieses Siez-Gedöns nicht sonderlich.«

»Dann gerne Bennek für Sie, äh, dich«, antwortet Herr Störr.

»Das ist übrigens meine Aushilfe Emilia, ein Herz von Person.« Rita winkt mich heran und ich reiche Bennek die Hand. Er wirkt aufgeschlossen, mit diesem leichten Lächeln auf den Lippen und dem wachsamen Blick. Er scheint kein Typ zu sein, der viel Wert auf Äußerlichkeiten legt. Seine nussbraunen Haare sehen aus, als hätte er sie direkt nach dem Aufstehen mit den Fingern durchkämmt und sie sich dann selbst überlassen. Irgendwie sympathisch.

Er zückt Stift und Notizblock. »Wie lange arbeiten Sie, äh … arbeitet ihr beide schon zusammen?«

»Stolze drei Jahre«, antwortet Rita. »Und ich würde Emilia nicht um alles Geld der Welt hergeben.«

Mein Herz schlägt schneller. Rita ist mehr als meine Chefin. Sie ist Teil meiner Ersatzfamilie hier auf der Insel. Vielleicht fällt es mir deshalb so schwer, mich meinem Traum einer eigenen Cateringfirma zu widmen. Ihn anzupacken. Weil Rita mich braucht und ich sie nie im Stich lassen könnte. Mit ihren Steißbeinschmerzen schon gar nicht. Ich nicke Bennek freundlich zu.

»Sehen Sie, Herr Störr? Wir Borkumer haben das Herz am rechten Fleck.« Bürgermeister Tillmann tippt auf sein wollenes Revers. Er mag das Siez-Gedöns. Sehr sogar.

»Ein bisschen dick aufgetragen, Till, was?«, scherzt Rita und stöhnt. Ich schiebe ihr rasch einen Stuhl hin, auf den sie sich dankbar senkt.

»Papperlapapp, wir halten zusammen. Wir lieben und verfluchen uns. Wir packen an, sobald jemand in Not ist, und wir … na, wir wollen mehr Up-to-date werden. Neumodischer. Digitaler. Energiefreundlicher. Nachhaltiger und vernetzter«, setzt Tillman zu einer Rede an.

Bennek unterbricht ihn und schiebt der blassen Rita ihr Wasserglas zu. »Geht es dir gut?«

»Ja, danke. Es ist nur etwas viel Arbeit in der Vorweihnachtszeit. Das ist alles.« Sie wirkt abgeschlagen.

»Unsere Rita schafft das schon.« Bürgermeister Tillmann richtet sich peinlich berührt auf.

»Du scheinst eine fleißige Aushilfe zu haben.« Bennek zeigt auf die Hefeteigklaasen in der Auslage und pfeift anerkennend. »Wie viele verkauft ihr denn pro Tag?«

Noch bevor ich zu einer Antwort ansetzen kann, kommt mir der Bürgermeister zuvor.

»Im vierstelligen Bereich, natürlich. Sie müssen wissen, der Klaasohm ist die beliebteste Tradition auf der Insel. Und schon morgen ist es so weit. Sie sind sicher nervös, oder? Es erwartet Sie eine fulminante Nacht, das verspreche ich Ihnen. Das gibt reichlich Stoff, über den Sie berichten können. Sechs junge Männer im Kostüm früherer Zeiten. Wäre das nicht eine passende Schlagzeile? Diese Nacht ist magisch.« Galant bugsiert Bürgermeister Tillmann den überfordert wirkenden Bennek zur Tür des Cafés. Anscheinend soll nichts das perfekte Bild der Borkumer Vorweihnachtszeit trüben. Auch keine überarbeitete Rita.

»Wir ziehen dann mal weiter und bestaunen die Klaasohm-Masken. Allesamt Unikate. Bis bald, ihr Lieben.« Bürgermeister Tillmann schiebt Bennek aus dem Café und Rita brummt. »Lief wohl nicht so, wie er geplant hat, was? Der spinnt doch. Hefeklaasen im vierstelligen Bereich! Bennek sollte lieber über den ganzen Stress der Vorweihnachtszeit berichten. Wo bleibt denn da der Zauber?« Sie nippt verärgert am Wasser. Ich verstehe Rita. Trotz der wenigen Touristen auf der Insel arbeiten wir täglich ein ähnliches Pensum an Gästen ab wie über die Sommersaison hinweg.

Ich nicke. »Mir tut Bennek leid, der ihm wie ein Schoßhündchen am Hosenbein kleben muss. Und den Weihnachtszauber, liebe Rita, hast du hier perfekt eingefangen. Das Café sieht toll aus. Ehrlich.« Ich lächle ihr aufmunternd zu. Nicht nur die selbst genähte Patchworkdecke mit kunstvoll aufgestickten Sternen an der Wand und die kleine Nordmanntanne neben dem Tresen tragen ihre Handschrift, auch das liebevoll mit Weihnachtssternen bemalte Porzellan hat sie dem Café gesponsert. »Soll ich die restlichen Klaasohme ins Altersheim bringen? Dann kannst du dich etwas ausruhen?«, schlage ich vor, obwohl die nächste Fuhre Honiggebäck drängt. Trotzdem wiegt die Sorge um Rita, die die Weihnachtszeit eigentlich abgöttisch liebt, schwerer.

Sie nickt dankbar und schließt die Augen. »Du bist ein Engel.«

Ich befürchte fast, dass meine Chefin eine Auszeit braucht. Und zwar bald, bevor sie komplett ausgebrannt ist. Ich schlucke die Worte herunter. Rita würde diese Wahrheit nicht hören wollen. Keine Pause akzeptieren. Seit jeher wird sie für ihren Fleiß und ihr Organisationstalent bewundert. Welchen Schatten sie werfen, erkennen nur die wenigsten. Und ich bemühe mich, jeden Sonnenstrahl einzufangen, um Ritas Stimmung aufzuhellen. Doch es will mir nicht gelingen. Und das macht mir Angst.

»Vielleicht sollte ich mich wirklich ein wenig ausruhen.« Rita seufzt und steckt eine lose, grau melierte Strähne in ihren Dutt. »Dieser schreckliche Schmerz im Steißbein.« Sie massiert sich die Flanke.

Ich horche auf. »Soll ich Clara bitten, sich das mal anzusehen?«

In Ritas Blick flackert Sorge auf. »Vielleicht wäre es besser. So bin ich dir keine Hilfe, Emilia. Und einen Totalausfall will ich dir nicht antun. Nicht derzeit.«

Ich drücke ihre schwielige Hand. »Mach dir um mich keine Sorgen, Rita. Ich schaffe das schon. Deine Gesundheit hat Vorrang.« Mit ihren fünfundfünfzig Jahren ist Rita nicht mehr die jüngste Cafébetreiberin.

Schnell krame ich das Handy aus meiner Handtasche und wähle die Nummer der Inselpraxis.

Nur wenig später betritt Clara das Café.

»Okay, meine Liebe, dann beschreib mir deinen Schmerz. Auf einer Skala von eins bis zehn, wie doll zieht er?«

Rita reibt sich über die Stirn. »Ehrlich gesagt ist es eine satte Acht. Er strahlt vom Steißbein bis in die Beine aus. Manchmal vermag ich mich kaum zu bewegen.«

Clara nickt wissend. »Wie lange hast du die Schmerzen schon?«

»Seit einigen Tagen«, informiere ich Clara wahrheitsgemäß, weil ich ahne, dass Rita flunkern würde. Prompt ernte ich ihren entrüsteten Blick. »Sie kann kaum noch laufen«, schiebe ich hinterher und Clara öffnet ihren Arztkoffer.

»Verstehe.« Sie holt ein Spritzenset und eine Ampulle heraus.

»Du wirst mir sicher eine Zauberspritze verpassen und dann kann ich wieder arbeiten, richtig?« Hoffnung schleicht sich in Ritas Miene, die Clara aber mit einem Kopfschütteln vertreibt. Sie zieht die Spritze auf.

»Leider nicht, meine Liebe. Du wirst dich ausruhen müssen. Vermutlich hast du einen Hexenschuss. Und die meisten erholen sich erst nach einigen Wochen so richtig davon.«

»Was?«, entfährt es Rita entsetzt, und ich schlucke schwer, als mir bewusst wird, was das bedeutet.

Clara tätschelt Ritas Hand. »Es tut mir leid. Aber du wirst die nächsten beiden Wochen nicht arbeiten dürfen, und danach bewerten wir die Lage neu, ja? Ich spritze dir jetzt ein Schmerzmittel und fahre dich nach Hause.«

Rita gibt nur einen klagenden Laut vor sich, während Clara ihr sanft die Spritze verpasst.

»Kommst du zurecht?« Claras besorgter Blick wandert zu mir.

Ich nicke nur. »Natürlich.«

»Es tut mir so leid, Emilia. Dass ich dich jetzt mit der ganzen Verantwortung allein lassen muss …« Ritas blaue Augen füllen sich mit Tränen. »Das … war so nicht geplant, hörst du?«

»Das weiß ich doch, Rita! Werd du mir wieder gesund. Alles andere organisiere ich schon, ja?« Ich schenke ihr ein tapferes Lächeln. »Mach dir keine Gedanken.«

»Außerdem hat Emilia Merle und mich, wir werden ihr ein bisschen unter die Arme greifen«, verspricht Clara.

»Seid ihr sicher?« Rita schnäuzt sich lautstark.

»Si! Natürlich.« Ich nicke entschlossen.

»Und wenn es nun noch viel mehr Arbeit wird, weil Bürgermeister Tillmann …« Sie unterbricht sich und schlägt die Hände vors Gesicht.

Ich verstehe nicht ganz, was Rita meint. Denkt sie, dass der Bürgermeister nun ständig mit dem Reporter hier auftauchen wird? Oder ist sie nur von der Spritze verwirrt?

»Rita, du bist bestimmt erschöpft«, sage ich. »Ich bin sicher, dass der Bürgermeister mir nicht absichtlich mehr Arbeit machen wird. Mach dir deshalb keine Sorgen, ja?«

»Soll ich dir Norbert als Unterstützung schicken?« Sie sieht mich sorgenvoll an.

»Bloß nicht. Erinnerst du dich an die verbrannten Pfirsichtörtchen im Sommer?«, sage ich schnell.

Rita zieht eine Grimasse. »Was habe ich mir nur für einen Ehemann ausgesucht.«

»Einen, der unsere Kleinbahn bestens wartet«, erwidere ich. Norbert ist wirklich untalentiert, was Küchenangelegenheiten betrifft. Und er hätte den Ofen mit den Pfirsichtörtchen damals wirklich nach nur zehn Minuten ausschalten sollen. Aber dann war eine hübsche Kundin aufgetaucht, die ihn zwanzig Minuten über Borkums Sehenswürdigkeiten ausgequetscht hatte. Die Pfirsichtörtchen waren verbrannt und das ganze Café hatte nach Rauch gestunken. Norbert wäre mir jetzt keine Hilfe.

»In Ordnung. Dann bleibt mir jetzt nur noch der Abschied«, sagt Rita theatralisch und lässt sich von Clara aufhelfen.

»Ich rufe dich jeden Tag an und besuche dich regelmäßig, versprochen!« Ich kreuze den Mittel- und Zeigefinger.

Rita lächelt zaghaft und nur wenig später stehe ich allein im Café. Im Hintergrund dudelt ein weihnachtlicher Choral, aus der Küche duftet es nach Honigkuchen und mit ein, zwei Atemzügen senkt sich eine unsichtbare Last auf meine Schultern. Als würde die Verantwortung, die bisher vorwiegend Rita schulterte, auf mich übergehen. Atemzug für Atemzug.

Verdammt, wie soll ich die Klaasohm-Nacht nur ohne sie überstehen?

Später stehe ich mit einer Tüte Hefeteigklaasen im Vorgarten von Claras und Hennings Reethäuschen. Die Schneeflocken rieseln auf den braungrünen Rasen und hinterlassen eine feine weiße Schicht, die mich an die Puderzuckerhaube auf Butterkuchen erinnert. Der klirrend kalte Winterwind braust durch meine Locken. Odin, der riesige Wolfshund von Henning und Clara, springt mir entgegen und drückt seine nasse Schnauze gegen meinen Oberschenkel.

Brr.

Dieses kühle Nass ist jedes Jahr eine Herausforderung für mich. Obwohl ich mich an die steife Brise gewöhnt habe, vermisse ich ab und zu die heißen Temperaturen meiner Heimatstadt Bologna. Dafür genieße ich die Ruhe auf der Insel und die Herzlichkeit der Bewohner. Eine Wohltat im Gegensatz zu den überfüllten Straßen von Bologna, in denen man sich so oft gegenseitig auf die Füße tritt.

Eine Schneeflocke landet auf meiner Nasenspitze. Ich wische sie mit der behandschuhten Hand fort. Odin umrundet aufgeregt meine Beine.

»Ruhig, Süßer.« Ich ziehe den Handschuh aus und kraule sein borstiges Fell hinter dem Ohr. Ich halte die Tüte mit dem Gebäck so hoch wie möglich. »Das ist für Herrchen und Frauchen.«

Schnell versuche ich, mich an Odin vorbeizuschieben, doch seine beträchtliche Körpermaße versperrt mir den Weg. Er schnappt nach der Tüte.

Warum vergesse ich jedes Mal die Leckerlis, wenn ich Clara besuchen will?

Ich seufze. »Ich weiß, du hast mich furchtbar lieb. Ich dich auch, aber können wir uns darauf einigen, dass ich nicht jedes Mal um dich herum tänzeln muss, nur um zur Tür zu gelangen?« Ich streiche über seinen Kopf. Odins treuherziger Blick ringt mir ein Lächeln ab. Ich mag diesen Hund. Auch wenn er zu den gefräßigsten Tieren der Insel gehört. Seine Loyalität ist etwas ganz Besonderes.

Trotzdem will ich nicht länger als nötig in dieser nasskalten Abendluft bleiben. Graupel setzt ein und ich drücke die Tüte mit den Klaasen an die Brust. Ein aufgeweichtes Mitbringsel will ich meiner besten Freundin dann doch nicht antun. Ich visiere das Vordach am Eingang des Reethäuschens an.

»Odin, ich verspreche dir einen extragroßen Rinderknochen, sobald ich im Café Suppe koche, okay? Aber dafür lässt du mich jetzt vorbei, ja?«

Ich gehe langsam weiter und Odin folgt mir schwanzwedelnd zur Tür. Weihnachtliche Musik klingt gedämpft heraus und ich klingle, während ich die Gebäcktüte weiterhin vor dem Wolfshund verteidige.

Odin springt hoch und seine Pranken landen auf meiner Schulter. Gleichzeitig öffnet sich die Tür und ich stolpere direkt an Hennings Brust. Die Tüte entgleitet mir und fliegt in hohem Bogen davon.

»Okay, nicht so stürmisch, Emilia.« Henning schiebt mich mit verschmitztem Grinsen von sich.

Wie peinlich!

»Entschuldige, Odin hat es auf die Klaasohme abgesehen.« Ich ordne verlegen meine Locken.

Hinter Henning erscheint Clara, die entsetzt die zerrissene Gebäcktüte hochhält.

»Sag mir nicht, dass sich unser Hund gerade über die Klaasen hergemacht hat!«

Henning fährt herum und gibt den Anblick auf Odin frei, der im Hausflur sitzt und sich genießerisch die Schnauze leckt.

Liegt da eine Rosine neben ihm?

»Mist! Das tut mir leid. Dabei habe ich sie so eisern verteidigt.« Ich unterdrücke ein Schmunzeln.

Henning lacht. »Gönn ihm den Nachschlag, Schatz.« Er küsst Clara auf die Wange und schlüpft in seinen Parka. »Er fällt sonst noch vom Fleisch.«

Claras entrüstete Miene lässt mich dann doch schmunzeln.

»Wenn dieser Hund eines nicht ist, dann am Verhungern.« Sie sammelt die Papierfetzen auf. Odin schnüffelt interessiert an ihrem Haar und sie schiebt ihn von sich. »Du freche Motte!«

»Komm, Großer, bei den Damen wirst du heute kein Glück haben.« Henning hält Odin auffordernd die Haustür auf. Doch der regt sich nicht.

»Es graupelt«, informiere ich Henning und schäle mich aus dem Wollmantel.

»Ach, Odin ist kein Weichei, nicht wahr?« Henning klopft auf seinen Oberschenkel, doch Odin verharrt an Ort und Stelle.

»Na komm schon!« Clara stupst ihn an. »Geh mit Herrchen nach draußen.«

»Irgendwie kann ich euren Hund verstehen. Ich meine, wer will schon durch den Graupelschauer laufen, nur um zur trockenen Terrasse zu gelangen? Womöglich muss er danach die Fellfrisur neu ordnen?« Ich zwinkere Odin zu, der mir einen wissenden Blick schenkt.

»Na schön. Er kann drinbleiben.« Clara seufzt. »Aber wehe, er nascht von meinem frisch gebackenen Weihnachtsbrot.«

Mein Blick schnellt zu Clara, die eigentlich niemals freiwillig einen Backofen benutzen würde.

»Du hast gebacken?«

Das ist eine kleine Sensation. Oder ein Liebesbeweis. Vermutlich beides.

Henning hüstelt. »Sie hat unser Borkumer Schwarzbrot aufgepimpt.«

»Ich bin gespannt«, sage ich und ahne Böses.

»Bis später, ihr beiden.« Henning zieht die Haustür hinter sich zu und Clara führt mich in die Küche. Odin folgt uns.

Auf einer roten Tischdecke liegt ein verformtes Brot auf einem Kuchengitter. Daneben eine getöpferte Butterdose, Teller, zwei Messer und Rentiertassen.

Clara knabbert nervös auf ihrer Unterlippe herum. »Ich weiß, es sieht nicht ansprechend aus.«

Ich mustere den verformten Brotlaib mit der aufgebrochenen Kruste, die sich merkwürdig einrollt.

»Hast du ein Muster mit der Gabel durch den Teig gezogen?«, frage ich vorsichtig.

Clara schüttelt den Kopf und stellt eine Thermoskanne, aus der es verführerisch nach Glühwein duftet, auf einen Holzuntersetzer.

Ich ziehe das Kuchengitter heran und schnuppere am Schwarzbrot. Es riecht säuerlich, wie üblich.

»Und wie genau hast du es aufgepimpt?« Ich kremple die Ärmel meines Jerseyshirts nach oben und schiebe das Brot auf ein Brettchen. Dann schneide ich es vorsichtig an. Die erste Scheibe plumpst auf das Holz.

»Ich habe Rosinen, Mandeln, Zimt, Nelken, Kardamom und Vanille untergerührt.« Clara gießt uns Glühwein ein, während sich Odin aus der Küche verzieht.

»Die typischen Weihnachtsgewürze.« Ich nicke, wenn ich auch nicht ganz überzeugt bin von der Kombination mit dem kräftigen Schwarzbrot.

»Aber?« Clara reicht mir eine Tasse Glühwein.

»Hm, ich bin mir nicht sicher, ob das zum Borkumer Schwarzbrot passt. Das ist eher säuerlich.«

Trotzdem freut mich Claras Backversuch irgendwie.

»Wir werden das testen.« Sie beißt entschlossen in die Brotscheibe und spuckt die Krümel sogleich wieder auf den Teller. »Scheußlich!« Sie zieht eine Grimasse. »Du bittest mich hoffentlich niemals um Hilfe beim Backen deiner Hochzeitstorte, okay?«

»Dazu bräuchte ich erst mal jemanden zum Heiraten.« Ich lächle ihr aufmunternd zu und nehme mir eine Scheibe. Aus Solidarität.

»Ach, da finden wir schon jemanden. Und bitte, du brauchst dir dieses furchtbare Brot nicht antun.«

Ich beiße tapfer in die Brotscheibe und eine herbe Mischung aus Sauerteig und Kardamom kriecht in meinen Gaumen. Ich huste. »Vielleicht etwas viel Kardamom.«

Sollte da nicht auch Zimt drin sein?

Egal, ich spüle die letzten Krümel mit einem Schluck würzigen Glühwein weg.

»Etwas?« Clara schmollt. »Das ganze Ding ist voll damit.«

»Du kannst trotzdem stolz auf dich sein. Immerhin hast du dich ans Brotbacken gewagt.«

Nachdem ich ihr wochenlang von meinem letzten Online-Brotbackkurs vorgeschwärmt habe.

»Vielleicht. Komm, lass uns das Ding verstecken, bevor Merle kommt. Sonst weiß die ganze Insel, dass ich beim Backen jämmerlich versage.«

Ich kichere. »In Ordnung.«

Merle ist ebenso begnadet als Bäckerin wie als Mutter. Ihr kleiner Samuel hält sie seit zwei Jahren auf Trapp und Ritas Blutdruck niedrig, weil Merle ihr zumindest auf großen Festivitäten keine Back-Rivalin mehr ist. Die Künste der beiden Frauen sind legendär. Da erscheint mir mein Traum, einen eigenen Cateringservice zu gründen, manchmal utopisch. Könnte ich es je mit Merles Sinn für Aromen und Ritas Händchen für ausgefallene Kombinationen aufnehmen? Ich bin nicht sicher. Und trotzdem ist es genau das, wofür mein Herz schlägt.

Kapitel 3

5. Dezember

– Klaasohm –

Ich hieve einen Sack Rüben aus dem Schuppen und ziehe ihn über den gefrorenen Innenhof der Farm zum Ziegenstall. Peters Meckern übertönt Wolkes um Längen. Die Ziegendame ist die sanftmütigere von den beiden. Wobei Wolke in der letzten Zeit einen guten Hunger an den Tag legt und Peter regelrecht vom Trog verdrängt. Ich weiß nicht, welche Revierkämpfe die beiden plötzlich austragen, doch der Ziegenbock erscheint mir seltsam unterwürfig. Und das passt nicht unbedingt zum aufsässigen Gemüt des dunkelbraunen Kerls.

Ich grinse, als ich die Stalltür mit dem Fuß aufstoße.

»Guten Abend, ihr zwei.« Peter schiebt seine schwarze Nase zwischen den Holzlatten der Box durch und rupft am Leinen des Futtersacks. Seine dunklen Augen blitzen empört.

Ich bin zu spät dran. Natürlich.

»Nicht so ungeduldig, junger Mann.« Ich stelle den Sack ab und zerschneide den Stoff mit dem Taschenmesser. Dann lege ich großzügig Rüben in den leeren Trog. Lächelnd sehe ich zu, wie sich die Ziegen hungrig darüber hermachen.

Wolke und Peter sind – zusammen mit vier Hühnern, zehn Heidschnucken, Collie Benno und den Kühen Tilda und Marie – meine Mitbewohner auf der kleinen Farm von Jella und Alrik, die nahe dem nordwestlichsten Punkt Deutschlands liegt. Das alte Ehepaar hat vor Jahren eine ehemalige Scheune in ein Wohnparadies umgebaut, das sie mir, dank Rita, für wenig Geld vermieten. Dafür helfe ich bei der Versorgung der Tiere mit. Für mein tierliebes Herz das beste Mietverhältnis der Welt. Die Farmarbeit ist neben dem Job im Café ein toller Ausgleich. Ich schöpfe Kraft aus der intensiven und freundschaftlichen Verbindung zu den Tieren. Im Sommer genieße ich es, an freien Abenden mit Wolke und Peter auf der Weide zu liegen, umgeben von Wildblumen und dem Geschrei der Möwen. Die raue Schönheit der Insel hält mich seit drei Jahren hier. Obwohl ich von zu Hause aufgebrochen war, um die Welt zu erkunden. Vielleicht auch um mir zu beweisen, dass ich keine zehnköpfige Familie mit Kontakten zur Mode-, Hotel- und Casinobranche brauche, um glücklich oder erfolgreich zu sein. Hier auf Borkum bin ich glücklich. Aber erfolgreich?

Eine Weile sehe ich den beiden Ziegen beim Fressen zu. Wolke hat wirklich zugelegt. Ob ihr Jella heimlich was zusteckt? Glauben würde ich es sofort.

Nachdenklich lege ich frisches Heu neben den Trog, ziehe dann die Stalltür hinter mir zu, schwinge mich auf mein Damenrad und radle vorbei am neuen Leuchtturm Richtung Kulturinsel. Die Straßen füllen sich mit Leben. Aus den Häusern strömen Menschen, überwiegend Frauen. In ihren Stimmen meine ich die Begeisterung zu hören, die mir für die heutige Nacht fehlt. Überall herrscht reges Geplapper, dampfende Blechbecher werden aneinandergestoßen und Weihnachtslieder angestimmt unter dem buttergelben Schein der Lichterketten an den Hausfassaden der Hauptstraße. Die meisten Männer sind noch in der Betriebshalle der Kleinbahn, um die sechs Herren festzulegen, die sich als Klaasohme verkleiden werden. Ein siebter Mann wird in das Kostüm des Wiefke schlüpfen, der eine Frau darstellt, die über die Insel gejagt wird.

Ich steige vom Rad und schiebe es durch die Menschentrauben. Die im Winter sonst so schläfrige Insel wird plötzlich von ihrem ureigenen Puls belebt: dem Zusammenhalt und der Feierlaune der Inselbewohner. Beinahe erinnert mich das an die feierwütigen Italiener in meiner Heimatstadt Bologna. Dort war selten an Ruhe oder Rückzug zu denken. Zumindest für mich. Wenn mich nicht gerade Mamma mit heiratswürdigen Kandidaten nervte, dann war es mein Papà, der mich unbedingt für die Arbeit im Hotel begeistern wollte. Der einzige Ort, an dem ich dort annähernd Begeisterung verspürte, war die Großküche.

Ich parke mein Rad auf dem Freisitz des Cafés. Drinnen brühe ich sofort frischen Kaffee auf und setze Glühwein und Punsch an. Dann vergewissere ich mich, genügend Pappbecher für die Heißgetränke vorrätig zu haben.

Ob ich noch eine kräftige Suppe kochen soll? Die steife Brise und die Kälte treiben sicher nicht nur durstige Gäste ins Café.

Ich durchforste den Gefrierschrank und stoße auf die Krabben von gestern. Eine würzige Krabbensuppe mit Dill und Tomate passt hervorragend zum frischen Weißbrot, das ich am Morgen gebacken habe. Außerdem lenkt mich das Kochen von dem Gedanken ab, diese Nacht ohne Rita durchstehen zu müssen.

Ich würfle Schalotten und Tomaten, wasche und pule die Krabben aus, zerkleinere das Suppengrün und röste alles in einem großen Topf mit Öl an. Es riecht köstlich. Schnell lösche ich das Gemisch mit Wasser ab und gebe Lorbeerblätter und Pfeffer dazu.

Nach einer Stunde Köchelzeit verfeinere ich den Fond mit Crème fraîche. Ich horche auf, als die Glöckchen im Gastraum bimmeln.

Merle zieht sich strahlend lächelnd die karminrote Wollmütze vom Kopf. »Es riecht himmlisch.« Sie platziert einen Korb mit selbst hergestelltem Weihnachtslikör auf dem Tresen und drückt mich. Ihr Vanilleduft hüllt mich ein. »Bereit für den großen Ansturm?« Sie schält sich aus dem Parka und ich nicke.

»Es fühlt sich merkwürdig an ohne Rita.«

»Ich weiß. Sie ist ein Urgestein und fehlt, nicht wahr?« Merle bestückt den Tresen mit Likörgläschen und fünf Fläschchen ihres Likörs, denen sie je ein Weihnachtsglöckchen umgebunden hat. Auffordernd reicht sie mir eine kleine Flasche. »Hier, probier mal. Dieses Jahr habe ich weniger Sanddorn reingetan.«

Ich lache auf. Merles Liebe zur orangefarbenen Beere ist berühmt. Sehr zum Leidwesen ihres Mannes Mattis, der Sanddorn nichts abgewinnen kann. Ihr gemeinsamer Sohn Samuel hingegen labt sich regelmäßig an meinen zuckerfreien Sanddornmuffins. Ich lasse mir von Merle großzügig den dickflüssigen Likör einschenken und nippe daran. Sofort streicht eine zimtige Note, gepaart mit Pflaume, einem Hauch Sanddorn und Vanille über meine Zunge.

»Sehr lecker. Ist da Pflaume drin?«

Merle nickt. »Exakt.« Dann checkt sie die Uhrzeit. »Okay, ich schätze, in genau fünfzehn Minuten wird es hier rundgehen. Dann sind die Klaasohme entfesselt. Die nächsten zwei Stunden gehöre ich ganz dir. Danach werde ich Clara ablösen, die auf Samuel aufpasst, und den jungen Mann ins Bett bringen. Mattis wird sicher die ganze Nacht unterwegs sein.«

Dankbar drücke ich Merles Hand. Sie und Clara sind meine beiden besten Freundinnen auf der Insel. »Zwei Stunden sind wunderbar, Merle.«

Das sind sie wirklich, denn ohne Merle würde ich den Ansturm nicht überstehen. Warum nur verdränge ich jedes Jahr aufs Neue, wie viele Menschen sich im Winter auf Borkum tummeln? Und sie alle schnuppern Klaasohm-Luft.

Auf dem Freisitz des Cafés wird gekreischt, getanzt und gelacht, trotz des leichten Schneefalls. Die Klaasohme jagen zusammen mit dem Wiefke über die Insel. Auch noch lange nach Mitternacht. Die Krabbensuppe ist schon aufgegessen und vom Weißbrot sind nur noch wenige Krümel übrig, als ich den letzten Glühwein ausgebe. Ich wische über die Düsen des Kaffeevollautomaten und lausche seinem Mahlen. Vermutlich werde ich heute Nacht keinen Schlaf finden. Mein Körper besteht sicher zu sechzig Prozent aus Koffein. Mindestens. Ich schäume Milch auf und schütte sie in meinen Espresso. Den brauche ich, um die nötige Energie für das Putzen des Gastraumes zu finden. Die feierwütige Menschentraube auf dem Freisitz zieht langsam weiter und ich atme erleichtert auf. Dann knipse ich das Radio aus und genieße für einen kurzen Moment die Ruhe. Ohne weihnachtliche Klänge. Ich schließe die Augen. Die erste große Hürde in der Vorweihnachtszeit ist geschafft. Ohne Rita. Ab morgen muss ich mich um das Gebäck für den Stand auf dem Weihnachtsmarkt kümmern, das ich in wenigen Tagen nach meiner Schicht im Café auf dem Weihnachtsmarkt verkaufen werde.

Ich atme tief ein und versuche, mich zu entspannen. Doch die Ruhe stellt mir meine To-do-Liste nur noch deutlicher vor Augen. Die Weihnachtsfeier im Altersheim steht an. Rita sponsert traditionell jeder Tischgruppe einen Christstollen. Die nun ich backen werde. Ich atme geräuschvoll aus und das leise Bimmeln der Glöckchen mischt sich unter mein Seufzen.

Moment mal …

Wer kommt denn jetzt noch?

Ich reiße die Augen auf und starre auf zwei rabenschwarze Löcher, die in die mit Möwenfedern umkränzte und kuhhorngekrönte Klaasohm-Maske eingelassen sind.

Das darf echt nicht wahr sein!

Was will der denn hier?

»Grundgütiger!« Ich drücke die Hand an meine Brust. Unter der Maske brummt es und der großgewachsene Kerl läuft zum Tresen. Er verströmt einen Duft nach warmem Leder. Ganze drei Jahre hat sich kein Klaasohm mehr ins Café verirrt. Und ich habe mich in trügerischer Sicherheit gewähnt. Das war vermutlich ein Fehler.

Verdammt!

»Ich äh, wollte gerade abschließen«, sage ich höflich.

Mit einem Ruck zieht sich der Kerl die Maske vom Kopf und legt sie auf den frisch abgewischten Tresen. Ein hellblonder, akkurat geschnittener Haarschopf kommt zum Vorschein. Einzelne Haarsträhnen fallen dem Mann in die Stirn und enden knapp über seinen grauen Augen.

Kenne ich ihn?

»Die Hitze unter dem Ding ist unerträglich«, knurrt er und lässt sich auf den Barhocker fallen.

»Das glaube ich.« Allein der Anblick der schrecklichen Maske auf meinem Tresen gruselt mich. Und die Tatsache, dass ich diesen Herren nicht kenne, macht die Situation nicht angenehmer.

Rasch gehe ich hinter den Tresen. Ich kann ihm unmöglich nichts anbieten. Also unterdrücke ich ein Seufzen.

»Möchten Sie etwas trinken?«

»Ein Versteck vor diesen Verrückten da draußen wäre mir lieber.« Sein grimmiger Blick aus taubengrauen Augen fasst mich ein. Mein Herz schlägt für einen winzigen Moment schneller. Ich kenne diesen Typ wirklich nicht. Eigentlich dürfen nur gebürtige Borkumer als Klaasohm über die Insel stürmen.

Wer ist dieser Fremde? Doch nicht etwa ein Krimineller, der diese besondere Nacht ausnutzt, um das Café zu überfallen?

Ich fahre diskret mit den Fingern in die Schublade der Kasse, um mich zu vergewissern, dass ich das Bargeld schon im Safe verstaut habe.

»Mit einem Versteck kann ich leider nicht dienen«, sage ich und überprüfe, ob mein Handy in meiner Gesäßtasche steckt. Fehlanzeige!

»Hier gibt es keinen Vorratsraum? Oder eine Küche, in der ich mich verkriechen kann?« Er mustert mich ungläubig und lässt seinen finsteren Blick zur Küchentür hinter mir wandern.

»Dort hat nur das Personal Zutritt! Wer sind Sie überhaupt?« Wo ist nur mein Handy abgeblieben? Fieberhaft überlege ich, wo ich es zuletzt gesehen habe, als sich der Kerl mit einem Ruck in Bewegung setzt und auf die Küchentür zuhält.

Scheiße!

»Bitte, ich halte diesen Mist nicht mehr aus.« Er faltet die Hände und steht mit dem nächsten Atemzug schon neben mir.

Heiliger Bimbam!

»Okay, jetzt wird es schräg. Wenn Sie nicht sofort wieder auf die andere Seite der Theke zurückgehen, rufe ich die Polizei.«

Ich kratze sämtlichen Mut zusammen und blitze ihn böse an. Dabei fühle ich mich wie ein Mäuschen, das sich vor einer hungrigen Katze versteckt.

Ein leichtes Grinsen legt sich auf seine vollen Lippen.

»Sie denken, ich bin ein Dieb, der sich eure geliebte Klaasohm-Maske unter den Nagel gerissen hat, um jetzt das Café zu plündern und damit das Geschäft seines Lebens zu machen?«

Ich halte seinem Blick stand.

»Irgend so was, ja.« Ich recke mein Kinn vor, und er läuft tatsächlich zurück zum Barhocker und setzt sich. Erleichterung durchflutet mich. Immerhin will er mich nicht ausrauben.

»Ich wäre bescheuert, wenn ich diese Maske klauen würde. Wer interessiert sich denn für das hässliche Ding außerhalb von Borkum? Wohl kaum jemand.«

Sein volles Timbre wird von einer Nuance Frust begleitet. Warum verkleidet er sich als Klaasohm, wenn es ihm offensichtlich nicht behagt?

»Ich dachte, dass die Klaasohme nur gemeinsam über die Insel fegen. Nicht einzeln.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. Die Tatsache, dass ich den Mann nicht kenne, gibt mir immer noch zu denken.

»Richtig. Haben Sie mal auf die Uhr gesehen? Ich habe den Spaß jetzt für sechs Stunden mitgemacht. Lauter irre, kreischende Menschen. Es genügt für heute.« Er reibt sich die Stirn. »Oder für immer«, setzt er leise hinzu. »Also bin ich abgehauen und suche nach einem Versteck, um dem grölenden Männerhaufen zu entgehen.«

Aha.

»Wie kommt es, dass ich Sie nicht kenne und Sie trotzdem als Klaasohm verkleidet sind?«, stelle ich endlich die Frage, die mir unter den Nägeln brennt.

»Vielleicht weil ich erst seit zwei Tagen auf der Insel bin, aber hier geboren wurde?«, antwortet er spitz.

Ich verstehe! »Dann sind Sie Sörens Neffe?«

»Jepp.«

»Und Sie sind wirklich auf Borkum geboren?«

»Richtig.«

»Besonders auskunftsfreudig sind Sie ja nicht.«

»Wären Sie es denn, wenn Sie schon bei Ihrer Ankunft mit Verpflichtungen überhäuft werden, auf die Sie keine Lust haben? Ihr Onkel aber praktisch darauf besteht, dass Sie die Traditionen ehren? Und auf Ihre Mündigkeit pfeift?«, murrt er und ordnet mit einer flinken Bewegung sein goldblondes Haar.

»Vermutlich nicht.« Ich unterdrücke ein Lächeln. Der Frust steht ihm ins Gesicht geschrieben, wie auch die Müdigkeit. Trotz seiner mürrischen Gesichtszüge wirkt er sympathisch. Fast tut es mir leid, dass er gegen seinen Willen und vermutlich Sören zuliebe dem Spektakel zugestimmt hat.

»Und dann besitzt das Schicksal auch noch die Frechheit, mich zum Klaasohm zu verdonnern.« Er seufzt und schüttelt den Kopf, als könnte er es selbst nicht glauben.

»Das klingt nicht nach dem von Ihnen erhofften Start auf der Insel.«

Ich öffne eine kleine Wasserflasche und schiebe sie ihm aufmunternd zu. »Geht aufs Haus. Die Kaffeemaschine habe ich leider schon ausgeschaltet. Oder hätten Sie lieber eine Cola?« Ich denke an Sören, der sicher wahnsinnig stolz auf seinen Neffen ist. Und das wird ihm den nötigen Auftrieb für die Feiertage geben. Für jeden Borkumer ist es eine Ehre, dieses Kostüm zu tragen.

»Wasser ist prima. Vielen Dank.« Der Mann leert die Flasche in einem Zug.

»Sie werden sich auf eine lange Nacht einstellen müssen. Vor dem Morgengrauen geht keiner der Klaasohme ins Bett«, informiere ich ihn. »Tradition bleibt Tradition.«

»Dann werde ich zumindest diese Tradition brechen«, erklärt er selbstsicher und lockert seinen weißen Hemdkragen. »Ich will keine Minute länger in diesem Ding stecken.«

»Ich denke nicht, dass Ihnen das gelingen wird. Die anderen werden die ganze Insel umkrempeln, um Sie zu finden.« Und ich fürchte, dass hier bald ein Suchtrupp auftauchen wird. Ob ich Mattis simsen soll, dass sich der Vermisste bei mir aufhält?