Kutterkorsaren - In geheimer Mission vor Frankreichs Küsten - Richard Woodman - E-Book

Kutterkorsaren - In geheimer Mission vor Frankreichs Küsten E-Book

Richard Woodman

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Beschreibung

Auf hoher See zur Zeit Napoleons – Nathaniel Drinkwater ist zurück! Wir schreiben das Jahr 1792: Nathaniel Drinkwater ist Leutnant in der Royal Navy, und segelt an Bord des 12-Kanonen-Kutters »Kestrel«, unter dem Kommando des rätselhaften Madoc Griffiths, über die sieben Weltmeere. Während Europa immer tiefer im Krieg versinkt, nimmt die »Kestrel« an den Kämpfen um die Vorherrschaft des Ärmelkanals teil. Dort begegnet Drinkwater zum ersten Mal dem verwegenen Kommandanten Edouard Santhonax, ein Intrigant, dessen Machenschaften das britische Empire bedrohen … Als die Royal Navy in eine Meuterei gerät, muss die »Kestrel« allein der niederländischen Flotte und dem drohenden Chaos standhalten … In der blutigen Schlacht von Camperdown kommt es zur finalen Konfrontation zwischen Drinkwater und seinem Gegenspieler – wessen Schiff wird siegen? »Woodman versteht sein Handwerk. Äußerst empfehlenswert!« Goodreads-LeserFesselnd und exzellent recherchiert – ein historischer Seefahrer-Roman für Fans von Patrick O'Brian und Mark P. Lorne.Alle Bände der Reihe: Band 1: Die Augen der Flotte – Feuertaufe auf der Fregatte Cyclops Band 2: »Kutterkorsaren – In geheimer Mission vor Frankreichs Küsten« Band 3: »Kurier zum Kap der Stürme – Auf Vorposten im Roten Meer« Band 4: »Die Mörser-Flottille – Die Schlacht von Kopenhagen« Band 5: »Die Korvette – Die Walfänger von Grönland«Die Bände sind unabhängig voneinander lesbar.

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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

TEIL EINS Im englischen Kanal

KAPITEL 1: Die Hand der Marionette

KAPITEL 2: Erster Blutzoll

KAPITEL 3: Enthüllungen

KAPITEL 4: Jagd auf den Jäger

KAPITEL 5: Zwischenfall bei Ouessant

KAPITEL 6: Nachtangriff

KAPITEL 7: Ein unwichtiger Kutter

KAPITEL 8: Der schwarze Wimpel

KAPITEL 9: Der Stern des Teufels

TEIL ZWEI In der Nordsee

KAPITEL 10: Der Apotheker

KAPITEL 11: Zeit der Prüfungen

KAPITEL 12: Wie ein Flächenbrand

KAPITEL 13 Ein schändliches Ende

KAPITEL 14: Ausgebootet

KAPITEL 15: Kampenduin

KAPITEL 16: Nachspiel

KAPITEL 17: Der Drahtzieher

Nachwort

Lesetipps

Über dieses Buch:

Wir schreiben das Jahr 1792: Nathaniel Drinkwater ist Leutnant in der Royal Navy, und segelt an Bord des 12-Kanonen-Kutters »Kestrel«, unter dem Kommando des rätselhaften Madoc Griffiths, über die sieben Weltmeere. Während Europa immer tiefer im Krieg versinkt, nimmt die »Kestrel« an den Kämpfen um die Vorherrschaft des Ärmelkanals teil. Dort begegnet Drinkwater zum ersten Mal dem verwegenen Kommandanten Edouard Santhonax, ein Intrigant, dessen Machenschaften das britische Empire bedrohen … Als die Royal Navy in eine Meuterei gerät, muss die »Kestrel« allein der niederländischen Flotte und dem drohenden Chaos standhalten … In der blutigen Schlacht von Camperdown kommt es zur finalen Konfrontation zwischen Drinkwater und seinem Gegenspieler – wessen Schiff wird siegen?

Über den Autor:

Richard Woodman (1944-2024) wurde mit 16 Jahren Fähnrich und fuhr auf einer Vielzahl von Schiffen, wo er vom Lehrling bis zum Kapitän aufstieg. Insgesamt verbrachte er über 30 Jahre seines Lebens auf hoher See. Neben seiner Arbeit als Seemann entdeckte er seine Leidenschaft für das Schreiben. Was mit kleinen Notizen in der Kajüte begann, entwickelte sich zu einer beeindruckenden Karriere als Autor. Er veröffentlichte über 50 Romane und 18 Sachbücher, darunter die gefeierte Seefahrer-Reihe um Nathaniel Drinkwater, die LeserInnen weltweit in den Bann zieht.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden Bände seiner Nathaniel Drinkwater Reihe: »Die Augen der Flotte – Feuertaufe auf der Fregatte Cyclops«, »Kutterkorsaren – In geheimer Mission vor Frankreichs Küsten«, »Kurier zum Kap der Stürme – Auf Vorposten im Roten Meer«, »Die Mörser-Flottille – Die Schlacht von Kopenhagen« und »Die Korvette – Die Walfänger von Grönland«.

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eBook-Neuausgabe Juni 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1983 unter dem Originaltitel »The King’s Cutter« John Murray (Publishers) Ltd., London.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1982 by Richard Woodman

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2000 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/AVA Bitter, 4Zevar, paseven und AdobeStock/lukaPixMedia

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ma)

ISBN 978-3-69076-066-9

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Richard Woodman

Kutterkorsaren - In geheimer Mission vor Frankreichs Küsten

Historischer Roman | Ein Nathaniel Drinkwater Roman 2

Aus dem Englischen von Klaus D. Kuntz

dotbooks.

TEIL EINS Im englischen Kanal

KAPITEL 1: Die Hand der Marionette

KAPITEL 2: Erster Blutzoll

KAPITEL 3: Enthüllungen

KAPITEL 4: Jagd auf den Jäger

KAPITEL 5: Zwischenfall bei Ouessant

KAPITEL 6: Nachtangriff

KAPITEL 7: Ein unwichtiger Kutter

KAPITEL 8: Der schwarze Wimpel

KAPITEL 9: Der Stern des Teufels

TEIL ZWEI In der Nordsee

KAPITEL 10: Der Apotheker

KAPITEL 11: Zeit der Prüfungen

KAPITEL 12: Wie ein Flächenbrand

KAPITEL 13 Ein schändliches Ende

KAPITEL 14: Ausgebootet

KAPITEL 15: Kampenduin

KAPITEL 16: Nachspiel

KAPITEL 17: Der Drahtzieher

Nachwort

Lesetipps

TEIL EINSIm englischen Kanal

KAPITEL 1:Die Hand der Marionette

Oktober – November 1792

»Für uns«, sagte Lord Dungarth und unterstrich seine Worte mit ausholender Geste, »werden Sie so funktionieren wie die Hand einer Marionette. Sie kennen weder die Absichten des Vorführers, noch wissen Sie, wie die Drähte betätigt werden oder weshalb Ihre Befehle so lauten und nicht anders. Wie eine Hand erhalten Sie lediglich Anweisungen, die Sie buchstabengetreu erfüllen. Immerhin wurden Sie uns wegen Ihrer Tüchtigkeit empfohlen, Nathaniel ...«

Drinkwater blinzelte in das grelle Sonnenlicht, vor dem sich die beiden Lords nur als Silhouetten abhoben. Draußen vor den Fenstern sah er die dunklen Umrisse der Schiffe, die auf dem glitzernden Gewässer des Spithead verankert lagen: die Kanalflotte. Unter seinen Füßen spürte er, wie sich der plumpe Rumpf der Queen Charlotte nach dem Tidenstrom ausrichtete. Kurz dachte er über das Ansinnen nach, das hier an ihn gestellt wurde. Nach sechs Jahren Dienst als Zweiter Steuermann auf den Trinity-House-Yachten, welche die Seezeichen an Englands Küste warteten, kannte er zumindest den Kanal genau, auch wenn ihm der Auftrag, den der Kriegskutter Kestrel zu erfüllen hatte, schleierhaft blieb. Vor elf Jahren hatte er als Erster Offizier in der Kriegsmarine gedient und sich davon eine steile Karriere versprochen, aber inzwischen war er klüger geworden, verheiratet und fast schon zu alt, als daß er sich noch den schnellen Aufstieg bei der Royal Navy erhoffen konnte, der ihm einst so sicher erschienen war. Statt dessen hatte er beim Trinity House eine Arbeit gefunden, die ihn befriedigte. Trotzdem beschleunigte sich sein Puls, als Dungarth ihm erklärte, daß man ihn für den Sondereinsatz auf einem Kutter ausgewählt hatte, der unmittelbar dem Befehl der Admiralität unterstand. Die Bedeutung dieser direkten Zuordnung wurde von dem zweiten Mann im Raum nachdrücklich betont.

»Also, Mr. Drinkwater?« Earl Howes sonore Stimme riß Drinkwater aus seinem Grübeln; er hob den Blick zum großflächigen Gesicht des Oberbefehlshabers der Kanalflotte. Höchste Zeit, daß er sich zu einer Entscheidung durchrang.

»Es wäre mir eine Ehre, Herr Admiral.«

Lord Dungarth nickte zufrieden. »Freut mich, Nathaniel, freut mich sehr. Tat mir leid zu hören, daß Ihre Beförderung nicht bestätigt wurde, nachdem Hope gestorben war.«

»Besten Dank, Mylord. Ich muß zugeben, das war damals ein harter Schlag.« Im Versuch, die langen Jahre seit ihrem letzten Treffen zu überbrücken, lächelte er den Mann an, den er einst als John Devaux gekannt hatte, Erster Offizier auf der Fregatte Cyclops. Hatte er selbst sich ebenfalls so stark verändert? Es konnte nicht nur daran liegen, daß John überraschend den Grafentitel geerbt hatte; seine schwungvolle Spontaneität war ihm verlorengegangen. Diese ungewohnte Verschlossenheit mochte eine Auswirkung der Erhebung in den Adelsstand sein, das galt aber nicht für die Unversöhnlichkeit, die aus seinem Ton sprach; diese wirkte eher wie ein Resultat seines neuen, geheimnisvollen Aufgabenbereichs bei der Admiralität.

Einen Monat danach erhielt Drinkwater seine neuen Befehle und seine Bestallung. Der Abschied von Elizabeth fiel ihm sehr schwer. Mochte sie auch in großer Sorge sein ob seiner Versetzung auf einen Kriegskutter, so behielt sie ihren Kummer doch für sich und machte ihm nicht das Herz schwer. Es war nicht ihre Art, ihn von einer Aufgabe abzubringen, denn nicht zuletzt wegen seines zielstrebigen Eifers hatte sie sich seinerzeit in ihn verliebt; betrübt hatte sie diesen Elan schwinden sehen, als die Kriegsmarine Nat so bitter enttäuschte. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, daß ihr der Abschied Tränen in die Augen trieb.

Drinkwaters Anbordgehen vollzog sich so unauffällig, wie es sich seine Auftraggeber bei der Admiralität nur wünschen konnten. Es war spät im Oktober, die Marschen von Tilbury lagen im Nebel, als er, auf der Suche nach einem Boot, an der Stakenreihe entlang durch den Schlamm der Hochwasserlinie stapfte. Blasentalg, Stroh und verrottendes Holz erschwerten ihm das Vorankommen, ebenso die Abfälle, welche die Ufer der Themse säumten. In der Gegend von Hope fand er endlich einen Mann, der bereit war, ihn in seinem Boot überzusetzen; sie hielten auf den bleiern glatten Fluß hinaus, vorbei an einer von der Strömung umgurgelten Festmachertonne, von deren weißgekalkter Spiere sie einen Kormoran aufscheuchten. Allmählich drang blasses Sonnenlicht durch den perlmuttfarbenen Dunst und saugte ihn auf.

Wie ein Gespenst ragte plötzlich das Heck des Kutters vor ihnen aus dem Nebel, von den achteren Davits hingen Bootsfallen herab und trieben in der Tide. Drinkwater erhaschte einen kurzen Blick auf eine geschnitzte Heckreling und ein von Eichenlaub umrahmtes Namensschild: Kestrel. Dann kletterte er unter den gelangweilten Blicken einiger Freiwächter an Bord, fühlte einen riesigen Mast mit Baum und Gaffel über sich aufragen und sah die weiße Flagge mit dem St.-Georgs-Kreuz achtern schlaff herunterhängen. Ein kleiner, energischer Mann kam auf Drinkwater zu: etwa vierzig, mit buschigen Brauen und einem kurz angebundenen, aber nicht unhöflichen Gehabe. Er wirkte rundum tüchtig und zuverlässig.

»Was kann ich für Sie tun, Sir?« Aufmerksam huschten die blauen Augen über Drinkwaters Erscheinung.

»Guten Morgen. Ich bin Leutnant Drinkwater. Haben Sie ein Boot ausgesetzt?«

»Aye, Sir. Wir haben die Gig nach Gravesend geschickt, weil wir Sie erwarteten.«

»Ich habe meine Seekiste im Fort von Tilbury gelassen. Bitte sorgen Sie dafür, daß sie so bald wie möglich an Bord geschafft wird.«

Der Mann nickte. »Ich bin Jessup, Sir, der Bootsmann«, stellte er sich vor. »Und jetzt zeige ich Ihnen Ihre Kammer.« Breitbeinig ging er nach achtern und hüpfte gelenkig über das hohe Süll eines Kajütniedergangs. An seinem Fuß stand Drinkwater in einem winzigen Vorraum; aus dem Schatten hinter der Treppe schimmerten matt Tower-Musketen und Entermesser in einem Gestell. Fünf schmale Türen führten von dem Vorraum ab, und Jessup deutete auf die achterste. »Die Kapitänskajüte ... Er is’ grade an Land. Und das hier is’ Ihre Kammer, Sir.« Er öffnete eine Tür an Steuerbord und ließ Drinkwater eintreten.

Auf Kestrel lagen die Offiziersquartiere zwischen Laderaum und Ruderschacht. Zugänglich waren sie durch den eben benutzten Niedergang, der oben an Deck unmittelbar vor der Pinne hinabführte. Die große Achterkajüte, deren Tür dem Fuß der Niedergangstreppe gegenüberlag, nahm die ganze Breite des Hecks ein. Die vier anderen Türen führten in winzige Kammern, welche die Admiralität in ihrer Großzügigkeit für die Offiziere des Kutters vorgesehen hatte. Drinkwater stellte fest, daß die achteren zwei lediglich spitz zulaufende Verschläge waren, vollgestopft mit Gerümpel und eindeutig unbenutzt. Die beiden anderen wirkten wohnlicher. Die Backbordkammer, seiner eigenen gegenüber, war nach Jessups Auskunft »für Passagiere« gedacht. Mehr wollte er dazu offenbar nicht sagen.

Drinkwater schloß die Tür seiner Kammer hinter sich. Ein Stuhl war nirgends zu entdecken. An das Querschott aus Kiefernholz war ein kleines Bücherbord geschraubt, unter das ein winziger Klapptisch paßte, dessen Platte zugleich als Abdeckung für ein Schapp diente, das eine Pütz enthielt und wohl eine Art maritimen Nachtstuhls darstellte. Ein hölzernes Gestell für eine Flasche und ein Glas, die beide fehlten, und drei Kleiderhaken an der Innenseite der Tür – das war schon die ganze Einrichtung der Kammer. Drinkwater ging wieder an Deck.

Die Sicht war jetzt etwas besser, er konnte schon die niedrige Küstenlinie Kents erkennen. Als er Jessup auf dem Vorschiff entdeckte, ging er zu ihm und fragte ihn, ob die Gig inzwischen zurückgekehrt sei.

»Ist sie, Sir, und schon wieder weg nach Tilbury, Ihr Gepäck holen.«

Drinkwater dankte ihm und versuchte, die Neugier der Wachgänger vor dem Mast zu ignorieren. Er räusperte sich. »Vielleicht wären Sie so freundlich, mir das Schiff zu zeigen?« sagte er zu Jessup. Dieser nickte und schritt voran zum Bug.

Der lange bewegliche Bugspriet kam durch einen Eisenring am Stevenkopf binnenbords und ruhte mit seiner Hausung in der massiven Beting der Ankerwinde. Achtern davon führte ein Gang ins Vorschiff, einen langen, dunklen Raum, der bis zum Mast reichte. Der Mast selbst wuchs wie ein gewaltiger Baum aus dem Deck, umkränzt von seinen Nagelbänken, Belegnägeln, Umlenkblöcken und Tauwerkbunschen.

»Wieviel Mann Besatzung, Mr. Jessup?« erkundigte sich Drinkwater.

»Die Sollstärke ist achtundvierzig, Sir, aber im Augenblick sind wir nur zweiundvierzig ... Hier ist die Ladeluke, Sir, sie führt nur auf eine Plattform, ein richtiges Zwischendeck haben wir nicht. Wir benützen sie als Segellast und Laderaum und schlagen darin auch die Hängematten auf.« Jessup fuhr mit der Hand übers Dollbord der Backbord-Gig, die auf der Luke stand, und schritt nach achtern. Drinkwater fielen die zerschrammten Planken der Gig auf.

»Die Boote werden hart rangenommen, wie?«

Jessup lachte kurz und trocken auf. »Aye, Sir. Und wie!«

Achtern von der Hauptluke erhob sich der Kombüsenschornstein, dann kamen das Kajüt-Skylight und der von einem bronzenen Kompaßhaus überragte Niedergang. Das Achterdeck wurde von der gewaltigen, geschwungenen Pinne beherrscht, die, mit Bronzebeschlägen gehalten, auf dem Ruderkopf gelagert war; in den Pinnenknauf war ein Vogelkopf geschnitzt, zu Ehren des Turmfalken, der dem Schiff seinen Namen gab.

Mit Besitzerstolz streichelte Jessup den scharfen hölzernen Schnabel und nickte zu einer kleinen, mit Vorhängeschlössern gesicherten Luke hinüber, die von Grätings gerahmt war und offenbar in die Achterpiek führte.

»Unser Pulvermagazin.« Jessup deutete nach vorn auf die Kanonen. »Wir haben insgesamt zwölf, Sir, zehn Dreipfünder und vorn zwei lange Vierpfünder, das gibt eine Breitseite von zusammen neunzehn Pfund. Die Länge ist zweiundsiebzig Fuß, Sir, übers Batteriedeck gemessen, und sie verdrängt hundertfünfundzwanzig Tonnen ...« Er verstummte mißtrauisch, immer noch damit beschäftigt, den Neuankömmling auszuloten. »Sind Sie schon auf Kuttern gefahren, Sir?«

Drinkwater sah ihn an. Zu viel auf einmal zu erzählen, dachte er, war nicht ratsam. Jessup würde das alles noch früh genug erfahren. Bei der Frage nach seiner Vertrautheit mit Kuttern fiel ihm die Trinity-Yacht Argus ein; jetzt war es an ihm, ein Pokergesicht aufzusetzen.

»Du meine Güte, natürlich, Mr. Jessup. Ich habe lange auf Kuttern gedient, machen Sie sich nur keine Sorgen.«

Jessup schnaubte wortlos durch die Nase; irgendwie behielt er mit diesem Schnauben das letzte Wort, deutete damit ein geheimes Wissen an, das er mit Drinkwater nicht teilen konnte. Noch nicht.

»Hier kommt das Boot mit Ihren Plünnen, Sir.« Jessup trat an die Reling, um es anzupreien. Als wolle er seine durch den Wortwechsel bestätigte Überlegenheit unterstreichen, spuckte er kräftig in das schnellströmende Wasser der Themse.

Um die Mittagszeit des folgenden Tages kehrte der Kommandant auf sein Schiff zurück. Leutnant Griffiths nahm den Hut ab, blickte sich prüfend an Deck um und schnüffelte in den Wind. Drinkwaters militärische Begrüßung quittierte er mit einem Nicken. Der Mann war hochgewachsen, hielt sich aber gebeugt; das in traurige Falten gelegte Gesicht wurde von einer weißen Haarmähne gekrönt, die ihm etwas Patriarchalisches gab. Er stammte aus Wales, war aber ungewöhnlich schweigsam für einen Waliser und schien in Gedanken stets mit uralten Dingen beschäftigt, die keltischen, kymrischen oder gar mythischen Ursprungs sein mochten. Er war in Carnarvon geboren und hatte als Steuermann auf Sklavenschiffen gedient, mit Heimathafen Liverpool, ehe er in die Kriegsmarine gepreßt worden war. Dort hatte er es nur durch seine Tüchtigkeit weitergebracht, war vom Deckoffizier zum Offizier aufgestiegen, ohne sich dabei jene Überheblichkeit anzueignen, die viele aus dem Mannschaftsrang hervorgegangene Offiziere ihren früheren Messekameraden so verhaßt machte. Lord Howe hatte die Bestallung ausgesprochen und dabei erklärt, daß keiner in der Navy das Offizierspatent ehrlicher verdient hätte als Madoc Griffiths; dieser sei, so versicherte Seine Lordschaft in der ihm eigentümlichen, gestelzten Sprache, eine Zierde seines Berufes. Trotz seiner geschraubten Ausdrucksweise sprach der als »Black Dick« bekannte Lord damit zweifellos die Wahrheit. Wie Drinkwater bald erfahren sollte, gab es auf dem weiten Betätigungsfeld des Kutters Kestrel keine Ecken und Winkel, die Griffiths nicht gekannt hätte; stets blieb er Herr der Lage. Nats erster, oberflächlicher Eindruck, daß sein neuer Kommandant ein vergreistes Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen sei, erwies sich schnell als falsch.

Seinen neuen Ersten Offizier empfing Griffiths mit Zurückhaltung. In fast schon peinlichem Schweigen prüfte er Drinkwaters Papiere, dann lehnte er sich zurück und musterte den Mann vor ihm mit kühlen Blicken.

Kurz vor seinem neunundzwanzigsten Geburtstag war Drinkwater schlank, fast hager, und von mittlerer Größe; seine braune Haut war in vielen auf See verbrachten Jahren gegerbt worden. Die hellgrauen Augen wirkten hellwach und intelligent, verrieten Konzentrationsfähigkeit und Entschlußkraft. Die Krähenfüße in den Augenwinkeln und eine helle Narbe unter dem linken Auge ließen ahnen, daß dieser Mann schon allerhand erlebt hatte. Doch die Falten, die von der geraden Nase zu den Winkeln des gut geschnittenen Mundes verliefen, waren zu tief für Drinkwaters Alter: ein Zeichen, daß sich hier ein leidenschaftliches Naturell unter Kontrolle hielt.

Gab es auch Anzeichen von Schwäche? überlegte Griffiths und musterte die hohe Stirn und den dicken braunen Haarschopf, der im Nacken zu einem Zopf gebändigt wurde. Empfindsamkeit, ja, aber keine Sinnlichkeit, dazu war das Gesicht zu freimütig. Dann begriff er: In den tief eingegrabenen Mundwinkeln lauerte ein hitziges Temperament, genährt durch Enttäuschung und verlorene Illusionen; die kühlen Augen leugneten diesen Charakterzug, aber einen Waliser konnten sie nicht täuschen. Der Mann vor ihm hielt sich eisern unter Kontrolle, besaß aber eine latente Energie, deren Ausbruch zu fürchten sein mußte. Griffiths fand das ermutigend. Dieser Mann war eine Kämpfernatur, stellte er fest und entspannte sich.

»Nehmen Sie Platz, Mr. Drinkwater.« Griffiths’ tiefe, ruhige Stimme paßte zu seiner archaischen Erscheinung. Er sprach langsam, betont und mit der für viele Menschen keltischer Herkunft typischen Klarheit. »Ihre Personalpapiere stellen Ihnen ein gutes Zeugnis aus. Sie haben also ein Steuermannspatent und dienten gegen Ende des Krieges mit Amerika als Kapitänleutnant, obwohl Sie in dieser Funktion nie bestätigt wurden. Warum nicht?«

»Man ließ mich wissen, daß meine Bestallung Sir Richard Kempenfelt zur Unterzeichnung vorgelegt wurde, aber ...« Drinkwater dachte an die Versprechungen, die ihm Kapitän Hope gemacht hatte, als er das Linienschiff verließ, und zuckte die Schultern.

Griffiths sah hoch. »Das war die Royal George, wie?«

»Jawohl, Sir. Damals schien es mir nicht so wichtig ...«

»Aber zehn Jahre sind eine lange Wartezeit«, ergänzte Griffiths den Satz. Die beiden Männer lächelten einander an und spürten, daß eine Hürde genommen war. »Wie dem auch sei, Sie haben auf den Trinity-Yachten große Erfahrung erworben, nicht wahr?«

»Ich glaube schon, Sir.« Drinkwater merkte, daß sein Kommandant mit ihm zufrieden war.

»Zu meiner persönlichen Beruhigung, mein Sohn, müssen Sie mir schwören, daß nichts, was wir beide hier bereden, über diese Kajüte hinausdringt.« Griffiths sprach leise, aber nachdrücklich, und sein Blick wurde kalt. Drinkwater drängte sich eine böse Erinnerung auf, er mußte seine Phantasie bewußt zügeln. Doch der Gedanke an ein Geheimnis, das er vor langen Jahren erfuhr und das sich als todbringend erwiesen hatte, damals in den Sümpfen von Carolina, bedrückte ihn; er seufzte.

»Sie haben darauf mein Wort als Offizier«, sagte er und erwiderte Griffiths’ festen Blick. Diesem war der Schatten nicht entgangen, der kurz über Drinkwaters Gesicht gezogen war. Also auch Erfahrungen auf diesem Gebiet, dachte er zufrieden.

»Der Kutter steht unter dem direkten Befehl der Admiralität«, fuhr Griffiths fort. »Sie müssen wissen, daß wir, äh, ungewöhnliche Aufgaben haben. Wir werden zu bestimmten Zeiten an bestimmten Stellen der französischen Küste bestimmte Aufträge der Regierung ausführen.«

»Verstehe, Sir.« Aber natürlich verstand Drinkwater nichts. Um nicht völlig im dunkeln zu tappen, versuchte er es mit einer Frage. »Und Ihre Befehle kommen von Lord Dungarth, Sir?«

Wieder warf ihm Griffiths einen schnellen Blick zu, und Drinkwater fürchtete fast, zu weit gegangen zu sein. Das Blut stieg ihm in den Kopf, doch Griffiths sagte: »Ah, ich hatte ganz vergessen, daß Sie ihn noch von Cyclops her kennen.«

»So ist es, Sir. Er wirkte sehr verändert, aber schließlich hatte ich ihn viele Jahre nicht mehr gesehen.«

Griffiths grunzte zustimmend. »Und diese Veränderung erschreckte Sie, nicht wahr?« Drinkwater nickte, Griffiths hatte abermals seine ureigenste Empfindung in Worte gefaßt. »Sie müssen wissen, daß er seine Frau im Kindbett verloren hat«, sagte der Kommandant.

Drinkwater interessierte sich nicht für Gesellschaftsnachrichten, aber es war ihm nicht entgangen, daß Dungarth Charlotte Dixon geheiratet hatte, die vielbewunderte Tochter eines auf den Handel mit Indien spezialisierten, unermeßlich reichen Kaufmanns. Und er hatte gehört, daß sogar das von George Romney gemalte Porträt ihrer Schönheit nicht gerecht wurde. Allmählich begann er zu begreifen, daß der Tod seiner Frau den einst so hochgemuten Lord verbittert und zu einem Menschenfeind gemacht hatte. Wie zur Bestätigung schloß Griffiths nachdenklich: »Ich glaube, wenn er sich nicht dem Kampf gegen die neue französische Republik verschrieben hätte, wäre er wahnsinnig geworden ...«

Damit erhob sich der Alte und holte aus einem Schapp zwei Gläser und eine Weinkaraffe. Beim Eingießen wechselte er geschickt das Thema. »Das Schiff führt den passenden Namen, Mr. Drinkwater. Der Turmfalke, Falco tinnunculus, ist bekannt dafür, daß er lange über seiner Beute rüttelt und erst zustößt, wenn er sich des Erfolgs sicher ist. Er ernährt sich von Mäusen, Maulwürfen und Käfern, also von Kleinzeug, mein Junge; aber Käfer können Eichen verzehren und Mäuse eine Ernte ...« Er schwieg und trank sein Glas leer. »Verstehen Sie, was ich damit meine?«

»Doch, äh, gewiß, Sir.«

Drinkwater füllte Griffiths’ Glas.

»Ich erwähne diese Dinge aus zwei Gründen. Erstens hat Lord Dungarth eine hohe Meinung von Ihnen, weil er Sie von früher kennt und weil man Sie ihm bei Trinity House empfohlen hat. Deshalb verlasse ich mich darauf, daß Sie mein Vertrauen nicht enttäuschen. Sie werden für die Navigation an Bord verantwortlich sein. Meinungsverschiedenheiten vor einer Leeküste sind Gift bei Geheimoperationen. Verstehen wir uns?«

Drinkwater nickte, er war sich des Doppelsinns dieser Worte bewußt; sein neuer Kommandant wurde ihm immer sympathischer.

»Gut denn«, fuhr Griffiths fort. »Ihnen auch den zweiten Grund zu nennen, fällt mir etwas schwerer; ich spreche nur deshalb darüber, Mr. Drinkwater, weil die Möglichkeit besteht, daß Sie ohne Vorwarnung und vielleicht unter widrigen Umständen das Kommando übernehmen müssen ...« Drinkwater runzelte beunruhigt die Stirn, aber Griffiths sprach schon weiter. »Vor vielen Jahren holte ich mir an der Küste von Gambia eine Tropenkrankheit. Seitdem leide ich hin und wieder an Fieberanfällen.«

»Aber wenn Sie krank werden, Sir, dann ...«

»Kommt ein Ersatz für mich an Bord?« Unwirsch runzelte Griffiths die Brauen und wischte Drinkwaters Entschuldigung beiseite. »Hören Sie, ich habe in den letzten fünfzig Jahren kaum zwei Jahre an Land gelebt. Da werde ich mich jetzt, in meinem Alter, bestimmt nicht mehr ans Landleben gewöhnen.«

Zu Drinkwaters Erstaunen bekam der Alte plötzlich ein ganz wehmütiges Gesicht und schien sich in privaten Erinnerungen zu verlieren. Also leerte er sein Glas und erhob sich, ließ den Kommandanten in sein Weinglas starrend zurück und schloß leise die Tür.

Die weiße Nationalflagge über ihren Köpfen knatterte im frischen Wind, als der Kutter mit doppelt gerefftem Großsegel nach Luv bolzte. Die Toppsegelrah war zum Eselshaupt gefiert, die große Rah gut frei von der Fock und klar zum Fallen angebraßt. Auf halber Länge des starken Bugspriets stand der Sturmklüver so steif wie ein Brett und reflektierte, naß von Gischt, das bleierne Licht des schwindenden Tages, der sich hinter einer tintenschwarzen Kumuluswalze nach Westen zurückzog. Der Wind stand gegen den Ebbstrom und baute einen kurzen, steilen Seegang auf; grau-weiß zischten die Kämme vorbei und zerrten an dem Beiboot, das Kestrel nachschleppte. Doch zielstrebig schob der Kutter den runden Bug durch die Seen, dabei immer wieder Gischtflagen aufwerfend, die prasselnd über die Luvreling einkamen.

Nathaniel Drinkwater, kommissarischer Leutnant, drückte sich tiefer in seinen Ölmantel, weil ihm ständig Spritzwasser schmerzhaft ins Gesicht schlug und seine im kalten Wind erstarrten Wangenmuskeln malträtierte.

Noch einmal vergegenwärtigte er sich ihren Kurs über den Kanal, denn wenn er jetzt einen Irrtum beging, kostete ihn das bestimmt jede Chance auf die erhoffte Beförderung. Doch dann verscheuchte er diesen Gedanken und konzentrierte sich auf das Nächstliegende. Von Dover bis zu ihrem Ziel waren es fünfundsechzig Seemeilen, die sie zum Teil parallel zur französischen Küste zurücklegen mußten, einer Küste, die ihm durch die Horrorgeschichten über die blutrünstige Revolution unheimlich geworden war. Wenn es so weiterging, würden sie ihren Landfall bei Niedrigwasser machen, und das war, wie man Drinkwater eingeschärft hatte, von äußerster Wichtigkeit. Es blieb ihm ein Rätsel, warum Kapitänleutnant Griffiths diesen Punkt so beharrlich betont hatte. Obwohl sie bei dem Südwest ihr Ziel anliegen konnten, hatte Griffiths vor einer guten Stunde auf den anderen Bug wenden lassen, um mögliche Beobachter auf Gris Nez zu täuschen. Inzwischen verschwand dieses Kap achteraus im Dunst der Winternacht.

Drinkwater schauderte, teils vor Kälte, teils in einer schlimmen Vorahnung; entschlossen trat er ans Kompaßhaus. Im gelben Lampenlicht zeigte ihm die leicht schwingende Scheibe, daß ein mittlerer Kurs von Nordwest zu Nord anlag. Unter Berücksichtigung der Mißweisung segelten sie also West zu Nord. Zufrieden nickte er und ließ sich von der gedämpften Unterhaltung und dem hellen Gläserklirren, das aus dem Niedergang an sein Ohr drang, nicht weiter stören. Das seltsame Benehmen seines Kommandanten und ihres geheimnisvollen »Passagiers« konnte sein Selbstvertrauen nicht erschüttern.

Er ließ die Wache klarmachen zur Wende. Von unten klang Gelächter herauf. Griffiths hatte ihm nur die nötigsten Befehle erteilt und sich dann ganz von der Schiffsführung zurückgezogen; vielleicht wollte er seinen neuen Ersten auf die Probe stellen. Zunächst hatte Drinkwater sich brüskiert gefühlt, doch bald begriff er, daß dieses Benehmen für seinen Kommandanten typisch war. Außerdem sah der Mann, der in Deal an Bord gekommen war, nicht wie ein Spion aus. Mit seiner fülligen, untersetzten Gestalt, seinem roten Gesicht und jovialen Gehabe war er Griffiths offenbar schon seit langem ein Begriff; der Waliser bekam in seiner Gegenwart ungewöhnlich gute Laune. Was sie aber so zum Lachen brachte, konnte sich Drinkwater beim besten Willen nicht vorstellen.

»Klar zur Wende, Sir!«

Das war Jessups Stimme auf dem Vorschiff, und sie klang ein wenig herablassend. Drinkwater lächelte in die Dunkelheit.

»Pinne in Lee!« befahl er.

Mit donnerndem Großsegel luvte Kestrel an. Drinkwater spürte ein Vibrieren unter seinen Füßen, als der Klüver killte und den Bugspriet erzittern ließ. Dann griff der Wind in die backstehenden Vorsegel und drückte Kestrels Bug herum.

»Vorsegelschoten!«

Klüver und Fock knatterten laut im Wind, bis die Leeschoten dichtgeholt und die Vorsegel wieder gebändigt waren.

»Komm auf ... Vollhalten!«

»Ist voll, Sir.« Die beiden Rudergänger legten sich mit Macht ins Zeug, als Kestrel auf dem neuen Bug Fahrt aufnahm, wobei das Achterliek des Großsegels nur schwach zitterte.

»Welcher Kurs liegt an?«

»Süd zu West, Sir.«

Berichtigt war das Süd zu Ost, wenn er noch zwei Strich für die Mißweisung berücksichtigte. »Sehr gut, diesen Kurs halten.«

»Süd zu West liegt an, Sir.«

Der Ebbstrom setzte hier ziemlich genau parallel zur Küste, und ihr Aufkreuzen nach West sollte sie nun weit genug nach Strom- und Windluv gebracht haben, daß sie ihr Ziel mit reichlich Manövrierraum ansteuern konnten, selbst wenn der Wind inzwischen rückdrehte. Wenigstens hoffte Drinkwater das, denn andernfalls rückte seine Beförderung in unerreichbare Fernen.

Gegen Mitternacht krimpte der Wind tatsächlich und flaute etwas ab. Drinkwater ließ die Reffs ausschütteln, bis Kestrel mit unterschneidender Backbordreling nach Süden preschte. Mittlerweile war er rechtschaffen müde. Seit neun Stunden ging er nun Wache, aber Griffiths machte immer noch keine Anstalten, ihn abzulösen.

Kestrel hielt jetzt auf die französische Küste zu. Drinkwater glaubte, das Land voraus in der Finsternis fühlen zu können; zu sehen war es jedenfalls nicht. Die Ebbe mußte jetzt bald auf dem tiefsten Stand sein. Drinkwater biß sich auf die Lippen, seine Besorgnis wuchs. Bei der augenblicklichen Windrichtung mußten sie die Abdeckung der steilen Klippen zwischen Le Tréport und Dieppe spüren – wahrscheinlich als erstes Zeichen unmittelbarer Landnähe. Das zweite war vielleicht der Geruch.

Bei dieser Dunkelheit und hohen Fahrt mochte Kestrel schon in der Brandungszone sein, ohne daß ihnen Zeit für eine Halse blieb. Besorgt schritt Drinkwater nach vorn, um den Ausguck auf der Saling anzupreien: »Wer sitzt oben?«

»Tregembo, Sir.« Die Stimme des Mannes aus Cornwall beruhigte Drinkwater. Als einer von den sechs Leuten, die zur Komplettierung von Kestrels Besatzung vom Nore-Wachschiff abgezogen wurden, war Tregembo überraschend aus Drinkwaters Vergangenheit aufgetaucht. Er kannte ihn von der Fregatte Cyclops her, wohin Tregembo vor einer Kerkerstrafe wegen Schmuggels geflohen war. Daß er jetzt auf Kestrel fuhr, gehörte zu jenen Zufällen, die Drinkwater nur schwer als belanglos abtun konnte.

»Halt die Augen offen, Tregembo, hörst du?«

»Aye, aye, Sir.«

Drinkwater schritt wieder nach achtern und ließ den Kutter anluven, während gelotet wurde. Fünf Fadeni Wasser unterm Kiel. Kestrel fiel ab und nahm wieder Fahrt auf. An Deck herrschte nun eine gespannte Atmosphäre, in deren Mittelpunkt Drinkwater stand. Jessup hielt sich verdächtig dicht in seiner Nähe. Warum, zum Teufel, kam Griffiths nicht an Deck? Fünf Faden, das hieß, sie waren schon im Flachwasser; aber schließlich gab es hier meilenweit Flachwasser. Sie konnten Gott weiß wo vor der Somme-Mündung stehen. Drinkwater unterdrückte den Anfall von Panik und kam zu einem Entschluß: Er wollte noch ein oder zwei Meilen warten und dann wieder loten lassen.

»Brandung in Lee voraus, Sir!«

Drinkwater eilte nach vorn und sprang in die durchhängenden Backbordwanten. Angestrengt starrte er voraus, konnte aber nichts erkennen. Dann endlich sah er sie, die Flecken von hellerem Grau, und bekam Herzklopfen. Krampfhaft suchte er in seinem Gedächtnis, bis es ihm einfiel: Das mußten die Ridins von Tréport sein, eine vorgelagerte Untiefe, über der bei Ebbe nur wenig Wasser stand. Allmählich begann er zu begreifen, warum ihr Landfall unbedingt bei Niedrigwasser erfolgen sollte. Für seine geringfügige Kurskorrektur berücksichtigte er einen bereits östlich setzenden Tidenstrom, parallel zur Küste. Demnach waren es noch drei Meilen bis zu ihrem Ziel.

»Verständigen Sie den Kommandanten.« Er achtete darauf, daß seine Erleichterung nicht im Ton mitschwang.

Eineinhalb Meilen vor der Küste ließ der Seegang nach, und unmittelbar darauf sahen sie den dunkleren Streifen in der Nacht: Land. Wieder auf dem Vorschiff, spähte Drinkwater durch das Dollond-Fernglas. Was er sah, überstieg seine kühnsten Hoffnungen: Links senkte sich das Steilufer zu einem schmalen Flußtal herab, nach Westen stieg das Gelände zu einem Hügel an, dem Mont Jolibois. Schwach konnte er Holzrauch riechen, das mußte das Dorf Criel sein, das sich hinter den Hügel duckte, zu beiden Seiten der Straße von Tréport und Eu nach Dieppe, die hier den Fluß querte.

»Sapperlott, Mr. Drinkwater, das haben Sie gut gemacht.« Griffiths’ Stimme klang herzlich, und Drinkwater entspannte sich erleichtert. Offenbar hatte er die Probe bestanden. Nun gab der Kommandant leise die nötigen Befehle. Das Großsegel wurde skandaliert, die Fock backgesetzt. Sie holten das nachgeschleppte Beiboot längsseits und lenzten es trocken. Drinkwater stand an der Reling, als der in einen weiten, dunklen Umhang gehüllte britische Agent zu ihm trat und zum Land hinüber starrte.

»Ihr Glas, Sir, geben Sie mir Ihr Glas!« Die Stimme war befehlend, fast anmaßend, alle Bonhommie daraus verschwunden.

»Gewiß, Sir, sofort.« Er holte das Glas aus seiner Manteltasche und reichte es dem Mann. Der suchte schweigend den Strand ab und gab es dann zurück. Griffiths erschien.

»Sie übernehmen das Boot, Mr. Drinkwater, und setzen unseren Gast an Land.«

Es dauerte einen Moment, bis Drinkwater begriff, daß er immer noch nicht Feierabend machen konnte. Die Besatzung drängte sich schon in die längsseits dümpelnde Gig. Matt schimmerte Metall, wo Jessup Handwaffen ausgab. »Pistole und Entermesser, Sir.« Erfreut hörte Drinkwater aus seiner Stimme eine Wärme heraus, die früher nicht dagewesen war. Er nahm von Jessup eine Pistole entgegen, lehnte aber das Entermesser ab. Schnell hastete er noch einmal unter Deck, wobei er im gelben Lampenschein die Lider zusammenkniff, um seine Nachtsicht nicht zu verlieren, und stieß die Tür zu seiner Kammer auf. Dahinter ertastete er seinen französischen Degen. Den schnallte er sich um und eilte zurück an Deck.

Als sich das Boot dem Strand näherte, wuchs der Mont Jolibois immer drohender über ihnen empor. Links sah Drinkwater weißes Wasser, wo die Brandung um die Felsen von Muron schäumte. Jetzt war er dankbar, daß Griffiths auf einer Landung bei Niedrigwasser bestanden hatte. So wurden möglichst viele Gefahrenstellen erkennbar, konnten ihnen Deckung und einen gewissen Sicherheitsspielraum geben, falls sie strandeten. Vorn lotete der Buggast schon mit dem Bootshaken die Wassertiefe.

»Grund, Sir!« zischte er, und im nächsten Augenblick setzte das Boot auf, hob sich noch einmal und lief dann endgültig auf. Ohne daß der entsprechende Befehl fiel, kamen die Riemen leise polternd ein, und zu Drinkwaters Erstaunen sprang die gesamte Crew über Bord und stabilisierte das Boot. Dann hoben sie es in einem gemeinsamen Kraftakt an, dessen Perfektion nur langer Übung zu verdanken war, und drehten es mit dem Bug zur See. Drinkwater kam sich auf seiner Ducht wie ein überflüssiger Narr vor, als er so dasaß und wieder dorthin blickte, wo sie hergekommen waren.

»Fertig, Sir.« Die Stimme ließ ihn herumfahren. Hinter ihm erhob sich der Passagier und krabbelte auf den Rücken eines Seemanns, der daneben im Wasser stand. Ein kleiner Brecher hob das Boot noch einmal an und warf es krachend wieder auf den Sand. Mit dem Agenten auf dem Rücken watete der Seemann zum Strand; Drinkwater ließ sich nicht erst bitten, streifte seine Schuhe ab und folgte ihnen spritzend mit der Reisetasche. Oben auf dem Strand setzte der Seemann seine Last im Trockenen ab, und der Agent zupfte seinen Umhang zurecht.

»Reine Routine«, sagte er mit einem Anflug seines alten Humors und griff nach der Tasche. »Stiefel mit eingetrockneten Salzrändern haben die unangenehme Eigenschaft, die Herkunft ihres Trägers zu verraten.« Er hob die schwere Tasche an. »Also dann, bonsoir, mon ami, und vielen Dank.«

»Gute Nacht«, sagte Drinkwater zum Rücken der Gestalt, die schon in die dräuende Dunkelheit verschwand, hinter der sich das revolutionäre Frankreich verbarg. Eine Weile starrte er ihm noch nach, dann trottete er zum Boot.

Mit deutlicher Erleichterung pullte die Crew zum Kutter zurück – als hätte der Schatten der Guillotine sie gestreift, als wären sie dem Terror, der das nachtdunkle Land regierte, nur knapp entkommen. Müde kletterte Drinkwater an Bord und meldete sich bei Griffiths zurück.

Der Kapitänleutnant nickte. »Und jetzt sollten Sie ein bißchen Schlaf nachholen«, sagte er. »Übrigens, Mr. Drinkwater ...«

»Sir?« Drinkwater drehte sich im Niedergang noch einmal um.

»Da iawn, Mr. Drinkwater, da iawn.«

»Pardon, Sir?« Drinkwater kämpfte gegen seine Erschöpfung an.

»Gut gemacht, Mr. Drinkwater, sehr gut gemacht. Ich freue mich, daß mein Vertrauen in Sie nicht enttäuscht wurde.«

KAPITEL 2:Erster Blutzoll

Dezember 1792

Nicht alle ihre Einsätze liefen so glatt. Manche Nacht schien ihnen endlos, wenn sie am vereinbarten Treffpunkt vergeblich warteten, wenn das in Höhe der Wasserlinie abgebrannte Blaufeuer unaufhörlich prasselte und zischte, aber niemand erschien. Stundenlang starrten sie sich fast die Augen aus dem Kopf und setzten all ihre Kraft und ihr Können ein, um den Kutter vor der Küste stationär zu halten – ohne Erfolg. Sie froren und hungerten und unterdrückten nur mit knapper Not einen Wutausbruch. Einmal entstand unvermutet Aufregung, als Kestrel bei schlechter Sicht mitten im Kanal ein fremdes Rendezvous störte. Unter dem Geschrei französischer und englischer Stimmen strebten die beiden Boote eilig auseinander; schnittige Luggersegel stiegen ruckartig an den Masten empor, in der wachsenden Lücke zwischen den Booten platschte es wie von versenkten Fässern. Zum Schein feuerte Kestrel ihre Bugkanonen auf die fliehenden Schmuggler ab, um weiterhin die Rolle des Zollkutters zu spielen.

Einmal fuhren sie selbst einen zweifelhaften Einsatz. Griffiths schickte zwei Boote aus, die vor St. Valéry nach Markierungsbojen suchen sollten, während Kestrel draußen immer wieder anluvte und abfiel, von Griffiths geschickt und geduldig auf Position gehalten. Drinkwater saß in dem einen Boot und überprüfte mit Doppelwinkelpeilung zu zwei Kirchtürmen und einer Windmühle wiederholt ihren Standort, rief heiser seine Anweisungen zum zweiten Boot hinüber und wischte sich die vor Überanstrengung tränenden Augen, die abwechselnd die nahe Winkelskala und Jessups ferne Armsignale erkennen mußten. Stundenlang kämmten die beiden Boote mit ihren Suchankern den Meeresboden ab, bis sie endlich fündig wurden. Was die kleinen Fässer wirklich enthielten, bekam Drinkwater nie heraus. Griffiths grinste nur, als er ihm Vollzug meldete. Möglicherweise waren es einfach Cognacfässer gewesen; Griffiths war ein Mann, dem viele Geheimnisse anvertraut wurden, da mochte er einmal der Versuchung erlegen sein, persönlich davon zu profitieren. Schließlich war das nur beste Marinetradition, dachte Drinkwater, denn auch er selbst hatte der Handvoll Goldmünzen nicht widerstehen können, die er auf der im letzten Krieg eroberten Fregatte Algonquin fand. Irgendwie war es beruhigend, daß sogar Griffiths eine Schwachstelle hatte – abgesehen davon, daß er gern zur Flasche griff. Jedenfalls fehlte es auf Kestrel nie an hochprozentigen Muntermachern; Griffiths geizte auch nicht mit einem guten Schluck, im Gegenteil, er behauptete mit listig funkelnden Augen, daß eine volle Flasche einem Mann mehr Freude bereite als jede Frau.

»Eine Frau, mein Sohn, löst dir nie so die Zunge wie eine Flasche. Sie saugt dich aus, nicht umgekehrt. Eine Flasche dagegen macht dich voll, wärmt dir den Bauch ...« Er seufzte tief auf.

Drinkwater mußte lächeln. In den fünfzig Jahren, die der Ärmste nun zur See fuhr, hatte er nur die flüchtige Liebe von Hafendirnen kennengelernt. Er aber hegte stumm seine kostbaren Erinnerungen an Elizabeth und fühlte sich als Glückspilz. Trotzdem schlug er den Cognac nicht aus, der seit St. Valéry immer wieder aus der Versenkung erschien.

So ließen Griffiths auch die weiblichen Passagiere völlig kalt, Flüchtlinge, die Kestrel manchmal von französischen Fischerbooten übernahm und die unter der Kutterbesatzung eine Welle der Begehrlichkeit auslösten. Irgendwie schafften es diese jammervollen Kleiderbündel, die unter den spöttischen Blicken der Zuschauer schwerfällig über die nach Fisch stinkende Verschanzung in die wartenden Boote kletterten, die vorbildliche Disziplin auf Kestrel unweigerlich ins Wanken zu bringen. Einzig Griffiths blieb unberührt, sogar verächtlich, und freute sich, wenn die Frauen in England wieder ausgebootet wurden.

Während ihr Dienst sie von einem seltsamen Rendezvous und abgelegenen Landeplatz zum nächsten führte, arbeitete Drinkwater geduldig die Details seiner Navigation aus. Tidenkalender, Distanzen und die Unberechenbarkeit des Wetters hielten ihn auf Trab. Trotzdem beschäftigten die kurzen Einblicke in die Abgründe menschlicher Leidenschaften wie Angst, Haß und Gier seine Neugier und seine Phantasie. Denn all dies spiegelte sich in den Augen der französischen Fischer wider, wenn sie ihre lebende Fracht übergaben. »Wir stinken vielleicht nach Fisch«, sagte einmal ein riesiger Bretone zu ihm, »aber ihr stinkt nach Angst.«

Im Lauf der Zeit erwarb sich Drinkwater Schritt für Schritt ein aus den Vorgängen abgeleitetes Wissen, das über seine blinde Pflichterfüllung als Marionette hinausging. Nachdem er lange scheinbar sinnlos mit dem Mondkalender jongliert hatte, zeigte ihm Jessup eines Tages mit verschwörerischem Zwinkern eine Hummerreuse voller Tauben. Schweigend holte er eine davon heraus und deutete auf die kleine Messinghülse, die an einem Bein des Vogels befestigt war. »Ah, verstehe«, sagte Drinkwater und wußte die neue Information ebenso zu schätzen wie Jessups Vertrauensbeweis. Die Kette der Geheimnisse wuchs um ein weiteres Glied, als er sah, wie die Taubenreuse in der Bünn eines französischen Fischkutters verschwand, mit dem sie sich vor Dieppe getroffen hatten.