Land spielen - Daniel Mezger - E-Book

Land spielen E-Book

Daniel Mezger

4,6

Beschreibung

Eine junge Familie - zwei Erwachsene, drei Kinder - zieht aufs Land. Ausgelaugt vom intensiven Stadtleben erhoffen sich die Erwachsenen einen Neubeginn, auch für die etwas in Schieflage geratene Beziehung. Sie richten sich ihr bescheidenes Haus her, alle fünf versuchen im kleinen Dorf Anschluss zu finden. Aber sie können nicht fliehen, nicht vor sich selbst, nicht vor der Fremdheit, ihrer eigenen und derjenigen der Dorfbewohner. Der junge Dramatiker Daniel Mezger ("Balkanmusik", "Findlinge") präsentiert mit "Land spielen" ein virtuoses Romandebüt, das bereits im Sommer 2010 in Klagenfurt Aufsehen erregte. Im kleinen Haus, zuhinterst im Tal und weg vom Dorf, sucht die Familie ein neues Zuhause, ein neues Leben. Zunächst sind sie beschäftigt mit der Sanierung des Hauses, doch bald folgt der Wunsch nach sozialer Anbindung in der Dorfgemeinschaft. Die Kinder werden von den Mitschülern nicht akzeptiert und auch die Erwachsenen realisieren bald, dass es mit einem Besuch in der Dorfkneipe nicht getan ist. Ein wirklicher sozialer Kontakt entwickelt sich nur zu den beiden anderen Zugezogenen, dem Dorflehrer und seiner psychisch labilen Frau. Besonders gut scheinen sich ebendiese und der Familienvater zu mögen. Ausgelöst durch diese Spannung und durch die aufkeimende Freundschaft des ältesten Sohnes mit dem Försterjungen brechen alte und neue, innere und äußere Konflikte auf. Die Konstellationen kommen in Bewegung, plötzlich ist alles offen, alles möglich, nach oben, nach unten. Daniel Mezger gelingt es mit "Land spielen" sprachlich und formal grandios, diese Geschichte von der Suche nach dem Glück, von innerer und äußerer Fremdheit, modernem Zusammenleben und der Migration im Kleinen zu erzählen.

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Daniel Mezger

LAND SPIELEN

ROMAN

Inhalt

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

FÜNFEINHALB

Wir spielen Land. Sind hierhergezogen in dieses Haus, das eigentlich zu alt ist, um ernst genommen zu werden, wir reißen die alten Böden raus, ohne Geld für neue zu haben, es kommen Spanplatten rein, Spannteppiche drauf. Auf dem Dachboden stehen Flaschen vom Vor-Vorbewohner, wir bringen sie zur Glassammelstelle, die Dorfbewohner schauen uns zu dabei: »Noch nicht mal angekommen und schon solche Feiern?« Wir grüßen freundlich zurück und machen uns wieder an die Arbeit. Der Schreiner vom Dorf freut sich, als wir Bretter bestellen, Holztäfelung für viereinhalb Zimmer inklusive Zimmerdecken. Wenig Holz, weil die Räume klein sind. Aber viel Arbeit für einen Schreiner, denkt der Schreiner, doch der Schreiner freut sich nicht mehr, als wir das Holz ins Auto, das einem Freund gehört und das wir nur geliehen haben, stapeln, als er bar ausbezahlt wird, weil wir die Arbeit selbst machen. Wir hämmern tagelang im Erdgeschoss herum und taufen den Raum Wohnzimmer, wir hämmern nächtelang in den oberen Kammern, bis sie Schlafzimmer heißen dürfen, bis jeder von uns seine Luftmatratze auf dem eigenen Spannteppich im eigenen Zimmer aufblasen kann. Betten kommen noch, Geduld, erst gibt es noch Löcher im Flur zu stopfen, gemeine Fallen und Direktzugänge zum Keller zu verschließen – gewisse von uns sind noch klein, fallen durch Ritzen, über die andere spielend hinweggehen.

Linoleumrollen werden aus dem Auto geladen, werden in die Flure, in die Küche, ins Badezimmer gelegt, ausgerollt, festgeklebt. Vor dem Haus stapeln sich kaputte Stühle, morsche Dielenbretter, ein halber Tisch und ein schimmelnder Kühlschrank. Für die Treppe holen wir doch den Schreiner, er ist freundlich, er schaut diskret, schaut sich um und lehnt den Kaffee ab, den wir ihm anbieten. In seinen Pausen fährt er ins Dorf oder bleibt und tauscht stumme Blicke aus mit dem Bauer, der hier nebenan täglich die gemähte Wiese mäht, der mit dem Traktor herumfährt und schaut, wie alles gedeiht, sein Land, unser Leben.

Also setzen wir Grenzen.

Kleine Birken-, Haselnuss- und andere Zweige verlassen das Auto, das Budget ist längst überschritten, der Freund mit dem Auto hat auch schon schlechte Laune. Birken-, Haselnuss- und andere Zweige graben wir ein, die Grenze wird Hecke getauft und täglich begossen. Schon drei Tage nach der Taufe steht einer von der Gemeinde da, der Gemeindemann nickt höflich, nimmt das Angebot zum Kaffee an, entschuldigt sich, sagt, es habe Beschwerden gegeben. Haselsträucher, die wuchern, Birken wachsen hoch, Hecken hat man keine hier, aber Gesetze, die Hecken betreffen. Da brauche es eben einen gewissen Abstand. Die Zweige stünden zu grenznah, er könne das gerne mit uns abschreiten.

Also graben wir wieder im vom Bewässern noch feuchten Boden, also ziehen wir Haselnuss-, Birken- und andere Zweige wieder aus der Erde, machen zwei Schritte zurück und pflanzen sie wieder ein. Unser Reich ist nun verkleinert, aber ist unser Reich, ist immer noch groß genug, um Land zu spielen.

EINS

Wir spielen Land. Stehen vor dem fertigen Haus, neben dem eine Scheune steht. Heu muss da hinein, wenn da Tiere hineinsollen. Wiesen haben wir genügend und die Gräser konnten wachsen in den letzten Jahren. Wir lesen Bücher über die Heuernte, kaufen im Dorf eine Sense, einen Schleifstein, drei Rechen, zwei Heugabeln, ein Heunetz und eine Sennenkutte, weiß mit Kapuze, für den Heuträger. Wir tragen die Sachen zu Fuß nach Hause, der Freund mit dem Auto ist zurück in die Stadt gefahren, wir brauchen das Auto nicht mehr, brauchen die Stadt nicht mehr, brauchen keine Freunde, wir leben jetzt auf dem Land, stehen jetzt im hohen Gras, schwingen die Sense. Grashalm für Grashalm lässt sein Leben, bleibt nicht auf dem Schlachtfeld liegen, sondern wird weggerecht, er soll sich nicht an seine Kameraden klammern, soll frei und allein und gut verteilt zu liegen kommen, damit die Sonne ihn austrocknen kann, drei Tage lang soll schönes Wetter sein. Wir stehen schwitzend und niesend auf unseren Wiesen, der Sensenschwinger unterbricht das Sensenschwingen nur, wenn er die Sense nachschleifen muss. Der Schleifstein liegt im Plastikköcher, der Köcher ist wassergefüllt, der Köcher hängt am Gürtel des Sensenschleifers. Jetzt greift er nach dem Schleifstein, jetzt spielt er Musik auf dem Sensenmesser, tadang-tadang-tadang, das Geläut lässt uns tanzen, lockt die Dorfleute an, sie bleiben stehen auf der Straße, schauen uns zu, freuen sich, dass wir zu ihnen gehören wollen, dass wir alles falsch machen, dass wir spinnen, dass wir alles von Hand machen, dass wir Land spielen, ausgerechnet hier, wo sie arbeiten müssen. Wir haben uns fürs Land entschieden, sie haben keine andere Wahl. Die Felder, die sie geerbt haben, sind zu klein, ihre Schufterei bringt wenig ein, sie bräuchten mehr Freizeit, mehr Land, mehr Kühe, mehr Geld, aber niemanden, der sie schlecht imitiert.

Stumpen werden angezündet, gesagt wird nichts. Die Dorfstraße eingenebelt von den schweigenden Stumpenrauchern, wir im Pollentanz, ein Fest für Groß und Klein, drei Tage lang.

Drei Tage später ist die Sensenmusik verstummt, aber zu tun und zu schauen gibt es noch reichlich. Wir ziehen unsere Rechen über das Stoppelgras, türmen die ausgedorrten Grashalmleichen aufeinander, wir stechen mit den Heugabeln in den Heustapel, stapeln das Heu um und auf das ausgebreitete Netz. Anleitungen gab es keine im Dorfladen, aber ein Buch weiß Rat: Man muss den Stapel groß genug machen, dann die Enden des Netzes über dem Stapel in die Mitte bringen, die Seilenden durch die Holzschiffchen ziehen. Das hält, das lässt sich später von den Netzöffnern wieder öffnen. Aber erst muss der Netzträger die Sennenkutte anziehen, muss die Kapuze hochziehen, wir wollen uns nicht den Nacken zerstechen.

Aus dem Stumpennebelmeer von der Straße her erklingt ein raunendes Murren, als unser Netzträger vor dem großen, rund geschnürten Netz in die Knie geht, als er den Rücken dagegendrückt, als er ins Netz greift, es festhält und aufsteht. Atlas mit unserer neuen Welt auf der Schulter. Das Murmeln und Husten und Ascheabklopfen ist unser Applaus, wir umringen Atlas, lobpreisen seine Stärke, unser erster Ballen Heu wird wie eine Trophäe nach Hause getragen, nach Hause in die Scheune, an der eine große Leiter steht. Der Netzträger ist schwindelfrei, nur eine Hand ist noch am Netz, die andere an der Leiter, er nimmt Sprosse für Sprosse, wir jubeln ihm zu, immer hastiger und atemloser ziehen die Dorfbewohner an ihren Stumpen, bald ist der Akrobat oben, bald heißt es das große Netz in die kleine Luke unter dem Scheunendach zwängen. Die Stumpenwolke wird größer und größer, der Sommer hält den Atem an.

Das erste Geräusch, das wieder zu hören ist, stammt vom Heunetz, das im Scheuneninnern auf die noch leere Heubühne fällt. Ein knisternder Doppelschlag, es ist vollbracht.

Wir empfangen den Heuträger am Fuße der Leiter, die Kleineren von uns werden in die Scheune geschickt, mit geschickten Fingern müssen die Schiffchen wieder aus den Schlingen gezogen werden, das Netz wird ausgebreitet, Heugabeln stechen in den Heustapel, das Heu wird aufs Neue verteilt, diesmal auf dem nackten Holzboden der Heudiele. Jeder Grashalm soll etwas Luft bekommen und das restliche Wasser hergeben, das er bis jetzt in sich trug, nichts darf faulen, damit wir im Winter, wenn die Tiere da sind, leckeres Futter haben. Damit die Tiere kräftig und wohlgenährt werden. Damit wir sie erst streicheln und dann schlachten können. Leckere Würste gehören zum Landleben mit dazu.

*

Wir sind wir. Wir sind zu fünft. Wir sind der Größe nach: Moritz, Vera, Ralf, Fabian, Ada. Wir werden fünfeinhalb. Fünf reicht. Aber wir werden fünfeinhalb. Aber dazu später.

*

Unser Haus ist abgelegen. Wie alle Häuser hier abgelegen sind und verstreut über die Wiesen. Abgelegen ist die ganze Gegend, die »hier hinten« heißt, das Dorf eingekesselt von Hügeln und Bergen und nicht wirklich ein Dorf, eine Streusiedlung, ein Flecken höchstens, nicht mehr lange und es wird zusammengelegt mit dem Nachbardorf, dem angrenzenden Flecken, in dem wenigstens eine Fabrik und das Altersheim stehen. Aber auch das Nachbardorf ist abgelegen, es heißt »da vorne«. »Hier hinten« geht man »ins Dorf«, wenn man zum Dorfladen geht oder einen trinken, der Dorfkern, das sind das Gemeindehaus und der Hirschen und dahinter die Brücke über dem Dorfbach. Aber wenn der Hirschen woanders stünde, wäre auch der Kern an einem anderen Ort.

Im Hirschen pafft man Stumpenwolken und haut auf Tische, bestellt noch eine Runde. Wir sehen das Licht, wir hören die Stimmen, wir gehen am Hirschen vorbei und über die Dorfbachbrücke und dann erst die Straße und dann den Weg entlang zu unserem neuen Zuhause, wo wir zu Hause sind. Wir sind wir, wir sind uns einig, wir sind eins, haben uns geeinigt, dass wir uns genügen. Nebelmeere interessieren uns nicht, schon gar keine, die in dieser Gegend zu dieser Jahreszeit nur in Innenräumen zu finden sind.

*

Einer von uns muss Geldverdiener sein. Nur zwei von uns müssen deswegen Strohhalme ziehen, beide ziehen den Kürzeren und machen sich auf die Suche nach einer jeweils halben Arbeit. Der Gemeindemann zuckt erst mit den Schultern, als der Möchtegerngeldverdiener ihn fragt, aber schon zwei Wochen später steht er wieder vor dem Haus, Telefon scheint hier nicht gebräuchlich zu sein, wir könnten uns das Geld für den Anschluss sparen und es wieder abmelden. Wir könnten uns bewerben, sagt der Gemeindemann, auf die Stelle des Gemeindeschreibers, die eben frei geworden sei. »Sie können doch schreiben, Sie haben doch studiert?« Die Gemeindeschreiberstelle ist nur zur Hälfte frei, auf der anderen Hälfte sitzt der alte Gemeindeschreiber, der den Teil nicht auch noch verlieren will, wo er eben erst die Kontrolle über seine linke Körperseite verloren hat. Der alte Gemeindeschreiber schreibt mit rechts, da kann kein Schlaganfall etwas dagegen tun, die linke Hälfte der Stelle bekommt der Älteste von uns, er ist noch jung, macht in der halben Zeit die doppelte Arbeit. Der rechte Gemeindeschreiber erklärt, wie es geht und was man darf und vor allem was nicht. Der linke macht die ganze Arbeit und bringt das Geld nach Hause. Es ist wenig, aber wenn wir das Brot selbst backen, reicht es. Und weil wir Zeit haben, backen wir gerne. Kleinere Brötchen, als man sie hier in der Gegend isst, mit weniger Butter darauf und noch ohne Fleisch, denn noch ist der untere Teil der Scheune leer. Erst oben ist es warm und weich. Am liebsten möchte man im Heu übernachten, am liebsten möchte man platzen vor Vorfreude. »Ich will ein eigenes Schaf«, sagen die einen von uns. »Du kriegst dein Schaf«, sagen die anderen.

Aber erst muss noch die andere Hälfte Geld verdient sein, Linoleum, Täfelung und Betten waren teuer, Schränke gibt es noch keine und erst einen Tisch. Also zieht auch die zweite Erwachsene los, fragt nach, was eine Krankenschwester in so einem Dorf zu tun kriegen könnte. Auf Krankenschwestern scheint man noch weniger gewartet zu haben als auf Studierte, als auf Leute, die den Hirschen meiden. Die Krankenschwester lässt sich nicht beirren, von einem früheren Freund mit Auto leihen wir uns Geld und kaufen ein rotes Mofa. Den Berg hoch fährt es Schritttempo, den Berg hinunter kracht und rattert es, wir befürchten Kolbenbrenner, Tankexplosionen, fürchten uns vor dem Bremsen und kommen doch heil an im Nachbardorf, wo auch Zugezogene alten Menschen den Hintern abwischen dürfen. Die alten Menschen fragen täglich, wer denn die Neue sei, und sie erklärt es ihnen Tag für Tag, rollt sie zur einen Seite, dann zur anderen, wechselt Leintücher und Windeln, wir sind ja auch Letzteres gewohnt, unsere Kleinsten waren ja auch nicht immer so groß wie jetzt.

*

Wir spielen Land. Der Sommer geht zu Ende, ein paar von uns müssen zur Schule, sie werden in die richtige Klasse eingeteilt oder werden eingeschult, wir werden zu Elternabenden eingeladen, wir lernen den Dorflehrer kennen. Der Dorflehrer ist auch ein Zugezogener, er lebt seit mehreren Jahren mit seiner Frau im Dorf, steht allein vor mehreren Klassen, lehrt gleichzeitig Lesen, das große Einmaleins und wie die Milch aus den Kühen kommt. Er spricht einen Dialekt, der uns vertraut ist und für den uns die Kinder der Stumpenraucher auslachen. Er wird unser erster Freund. Zusammen mit ihm und seiner Frau sitzen wir im nach frischer Farbe riechenden Wohnzimmer, und die größeren Gastgeber von uns sind froh, dass er Wein mitgebracht hat.

Wir erzählen ihnen unsere Pläne, sie erzählen uns ihre Sorgen. Wir trinken viel und reden laut, es gibt keine Nachbarn hier, keine, die in Hörweite wären, auch wenn man ihnen bei unseren Einkäufen im Dorfladen ansieht, dass sie sehr genau wissen, was hier besprochen wird, welche Orgien wir feiern. Sie haben uns zugeschaut, als wir nach der Heuernte ein Bier tranken, aber in den Hirschen sind wir nie gekommen.

Die Kleineren von ihnen werden vor den Kleineren von uns gewarnt, wir lernen unsere Mitschüler von nahem kennen, lernen uns zu verteidigen, lernen stolz zu sein auf unser Spiel. Wir wehren uns gegen Fußtritte und spielen dann doch gemeinsam Fußball. Bis der Dorflehrer die Pausenglocke läutet oder der Ball über den Zaun fliegt und den Abhang hinunterrollt. Wenn wir schnell sind, erwischen wir ihn noch, sind wir langsam, fischt ihn der Mitschüler, der ganz unten im Dorf wohnt, am Nachmittag aus einem Gestrüpp oder aus dem Bach. Ist der Ball weg, bleiben noch Spiele wie Verstecken oder Fangen. Auch Prügeln steht hoch im Kurs, wir wehren uns tapfer, verstehen, warum es gegen uns geht, und erzählen nichts zu Hause. Der Dorflehrer soll sich nicht einmischen, denn der Dorflehrer ist ein Verbündeter und wir wollen nicht mächtig sein.

Herr und Frau Lehrer sitzen am Abend im Wohnzimmer, die Weintrinker schicken die Fußballspieler, die Zurücktreter, die Sich-Verteidiger und Einmaleinslerner ins Bett, machen auch noch die zweite Dorflehrerweinflasche auf. Wir erzählen vom Sommer und wie die Hecke wächst und sagen, dass wir uns auf den Herbst freuen. Wir fragen Freund Dorflehrer, wo man Schafe kaufen kann und Hühner, der Dorflehrer weiß es nicht, wohnt schon lange hier, aber wohnt in einer Wohnung, hat nichts zu tun mit Tieren, hat nur den Kindern beizubringen, wie sie Milchmädchenrechnungen ausführen müssen. Hat nur zu kämpfen mit den depressiven Verstimmungen seiner Frau, sie hält das Leben im Dorf nicht mehr aus, das Leben in dieser Wohnung, den Lärm unterhalb der Wohnung, denn die Wohnung befindet sich oberhalb des Schulzimmers.

Wird der Lärm zu groß oder werden die Verstimmungen zu stark, klopft sie an die Schulzimmertür, man hört, wie sie leise auf ihren Mann einredet, sieht, wie der Lehrer auf seine Klassen zeigt, wie er hilflose Gesten macht. Manchmal gibt er dann Aufgaben, die wir auch zu Hause hätten machen können, und verschwindet. Manchmal machen wir die Aufgaben, manchmal geben wir uns auch den Rangeleien hin. Oder sprechen miteinander. »Was macht dein Vater?« »Warum macht ihr Heu, wenn ihr keine Tiere habt?« »Warum wollt ihr Tiere, wenn ihr keine Bauern seid?« Zu Hause müssen die Größeren von uns den Kleineren dieselben Fragen beantworten. Warum haben wir Heu gemacht? Sind wir jetzt Bauern? Wann kommen die Tiere?

Die Stadt vermisst trotzdem noch keiner, denn jetzt kommt der Herbst und mit dem Herbst kommt die Viehschau.

*

Jeder von uns hat seine Stärke, jeder kann etwas. Wie in einem Team. »Wir sind ein Team«, sagen diejenigen von uns, deren Stärke die Stärke ist. Sie heißen Vera und Moritz. Wir nennen sie die Entscheider, sie bringen das Geld heim, bringen die weniger Entschiedenen von uns zu Bett, erklären die Welt und das Landleben, das alle von uns verstehen.

Die Entscheider teilen sich in einen, der reden kann, und eine, die schweigen kann. Wir sind froh um beide Eigenschaften, es braucht jeden von uns im Team.

Es braucht auch Ralf, den Größten von den Kleineren von uns, er weiß Bescheid, seine Stärke ist die Erinnerung.

Ralf weiß noch, was Schulfreunde sind, dass es ein anderes Leben gab vor dem Landleben, er weiß, dass man dazugehören muss, und er erinnert sich daran, einmal dazugehört zu haben. Weil er sich immer daran erinnert, der Größte der Kleinen zu sein, erinnert er die Kleineren immer daran, dass er der Größte ist. Er spielt Entscheidungsträger und nimmt Verantwortung von kleineren Schultern, entscheidet, wer auf der Wiese den Rechen schwingen und wer Schiffchen aus Schlaufen befreien darf. Er erklärt den Größeren die Welt der Kleineren und den Kleineren die der Größeren. Wir sind froh, dass er mit uns hier auf dem Land ist, einer muss sich auskennen, muss sich vor die Kleineren stellen. Ralf weiß sich zu wehren in der Schulpause, er gehört auch da zu den Größeren, aber nicht zu den Größten der Größeren, also weiß er auch, dass man sich nicht immer dazwischenstellen kann, wenn die Kleineren drankommen. Sich wehren heißt auch sich nicht einmischen, heißt mitlachen, heißt andere Gegner finden für die potenziellen Gegner, heißt Schwächen finden bei Schwächeren und sich mit den Stärksten verbünden. Ralf erinnert sich an die komplizierten Handschläge, mit denen man sich nach Faustkämpfen beglückwünscht: Erst Handballen an Handballen, den Daumen des Händeschüttlers umfassen, dann nach vorne kippen, Daumen an Daumen, Zeige- und Mittelfingerkuppen übereinander, bereit zum Schnippen, ein kurzes Kräftemessen, bis Zeige- und Mittelfingerkuppen gegen die Handballen schnellen, dann schnell die Faust geballt, Knöchel schlägt gegen Knöchel. Und dann ist der Gruß noch nicht zu Ende, stundenlang wird weitergegrüßt, weiter beglückwünscht. Schultern prallen aneinander, der Nachmittag geht vorbei. Ellbogen werden ineinander verhakt, die blaue Stunde breitet sich aus. Man zieht weitergrüßend an jedem Finger einzeln, die Nacht bricht an. Die Fortsetzung bleibt für uns im Dunkeln, nur Ralf erinnert sich, wie es weitergeht. Ralf ist unser Gedächtnis, Ralf ist Teil unseres Teams.

Wie auch Fabian, der unser stärkstes Mitglied ist. Er tritt ein für unser Reich, schneidet im Wald mit der Säge, die Fuchsschwanz heißt, wie wir ihm erzählt haben, einen Baum, an dem er weitersägt, als dieser schon längst gefällt ist. Ast für Ast fällt auf den Waldboden, bis nur noch ein langer Stamm übrig bleibt. Mit dem Taschenmesser schnitzt der Starke dem einen Ende eine Spitze. Eine Lanze, mutmaßen wir, eine Palisade, falls er noch weiterrodet. Er fragt uns, ob er ein weißes Tuch haben könne, kann eines haben und knotet es an den Stamm, der jetzt Fahnenstange ist. Die Fahne wird gehisst und Spitze nach unten in den Boden gerammt, eingegraben mitten in der Wiese. Der Wind, der ihr entgegenweht, ist nicht eisig, es ist der warme Herbstwind, der erst mit der Flagge spielt und dann Fabians Statement, Fabians Standarte wieder niederreißt. Wir graben tiefer, versuchen es erneut und gemeinsam. Und jetzt hält unser Wahrzeichen. Die weiße Flagge verspricht Krieg mit denen, die den Krieg suchen. Die Dorfbewohner zucken mit den Schultern, Flaggen haben auch sie, aber keine davon ist weiß. Fabian kämpft für die Gerechtigkeit, notfalls auch mit friedlichen Mitteln.

Die größte Stärke in unserem kleinen Team hat die Kleinste von uns, die Ada heißt und deren Gabe das Sich-Verlieben ist.

*

Reden wir über die Frau des Dorflehrers. Sprechen wir über sie, nennen wir sie Christine oder Frau Lehrerin, obwohl sie keine Lehrerin ist und obwohl ein paar von uns sie lieber nennen würden, wie sie sie heimlich rufen: Heulsuse heißt sie dann. Oder Deprihaufen. Aber das sagen nur die Kleineren von uns, und nur, wenn die Größeren nicht in Hörweite sind. Sie sitzen mit der Frau des Dorflehrers im Wohnzimmer, gut, dass Herr und Frau Lehrer noch ein altes Sofa auf dem Dachboden hatten, zwei Stockwerke über dem Klassenzimmer, jetzt haben wir ein Sofa in der nicht mehr ganz so leeren Stube. Jetzt kann einer unserer Älteren mit Frau Lehrerin auf dem Sofa sitzen, er nennt sie Christine und hört sich mit unserer Schweigerin zusammen Fraudorflehrerinnensorgen an. Unser Redner gibt zu verstehen, dass es verständlich ist, dass es ihr nicht gut geht. All die Jahre in der leeren Wohnung über dem vollen Klassenzimmer, ganz allein ohne nennenswerte Hobbys und eben vor allem ohne Gesellschaft, sprich ohne Nachwuchs, der die zahlreichen Dorfschulkinderstimmen von unten hätte übertönen und oben die nicht ganz so zahlreichen, aber dennoch reichlich vorhandenen Kinderzimmer hätte füllen können.

Da gab es schon einmal Ansätze, die im Fraulehrerinnenbauch zu wachsen begannen. Schnell kündigte sie beim ersten Anzeichen von neuem Leben ihre Stelle als Kindergärtnerin und stellte sich auf das neue Leben als Mutter ein. Bis sich herausstellte, dass der potenzielle Nachwuchs nicht mehr weiterwachsen wollte und er den Lehrerinnenbauch nach dreieinhalb Monaten frühzeitig und unausgewachsen verließ. Die Frau Dorflehrerin wälzte sich weitere dreieinhalb Monate im Bett, kaufte neue Möbel, die alten wanderten erst auf den Dachboden und jetzt also Stück für Stück zu uns.

Auf ihrem neuen Wohnzimmerecksofa wälzte Christine sich damals noch ein paar weitere Tage, bis sie beschloss, nun doch wieder zu arbeiten. Aber während der Bauch sich unvorhergesehen vorzeitig geleert hatte, hatte sich die Kindergärtnerinnenleerstelle längst wieder gefüllt, die neue Frau Kindergärtnerin namens Anja hatte keine Lust, den Platz wieder herzugeben und sich in ihr Wohnzimmer zurückzuziehen, also blieb die Frau des Dorflehrers bloß noch das: Frau des Dorflehrers. Sie dachte daran, sich Hobbys zu suchen oder Freunde oder beides, fand beides nicht, kam aber drüber hinweg, ließ die Pille abgesetzt und wurde nach monatelangen verkrampften Versuchen endlich wieder schwanger.

Wir sitzen mit der Frau des Dorflehrers auf dem Sofa. Wir kennen die Geschichte. Wir wissen, dass Christine jetzt gleich weinen wird. Die Kleineren von uns sollen das nicht verstehen wollen müssen und sind längst ins Bett geschickt worden. Einer von uns legt seinen Arm um die Fraudorflehrerinnenschulter, die andere reicht Klopapier als Taschentücher und schielt heimlich auf die Uhr: Die Spätschicht sitzt noch im Nacken, die Frühschicht lässt nicht mehr lange auf sich warten. Aber bevor die Taschentuch-Reicherin und Alte-Menschen-im-Bett-Wenderin ihren Mann und die Frau des Dorflehrers auf dem geschenkten Sofa zurücklässt, hört sie sich auch noch die Stelle der Dorflehrersfraugeschichte an, an der ein zweiter Fötus frühzeitig den Ort des Wachstums verlässt. In diesem Teil der Geschichte sind zur Erholung bereits doppelt so viele Bett- und Wohnzimmerecksofaliegetage nötig. Und hier kommt auch die Passage, in der Schulferien um Schulferien geopfert wurden, um Abklärungen zu machen. Der Dorflehrer und seine Frau fuhren zum Hauptort ins Krankenhaus und wurden von da aus in die Stadt geschickt. Der Dorflehrerinnenbauch wurde von allen Seiten untersucht, aus- und inwendig. Zu finden gab es nichts, zu sagen viel. »Hören Sie, gute Frau, so etwas kommt vor, keine Angst, Sie sind noch jung, noch ist es zu früh, sich Sorgen zu machen, machen Sie sich keine Sorgen und nehmen Sie es nicht persönlich, es könnte ja auch am Mann liegen, Translokation heißt das, man könnte das abklären, es gibt Gentests dafür, aber entspannen Sie sich erst mal, fahren Sie aufs Land, legen Sie einfach mal die Füße hoch oder suchen Sie sich eine Ablenkung.«

Die Frau des Dorflehrers und der Dorflehrer fuhren zurück aufs Land und ins Dorf. Während er unten wieder Kindergeschrei zu dämmen und Kindergehirne zu füttern suchte, setzte sie sich wieder aufs Ecksofa, legte ihre Füße hoch und fand keine Ablenkung. Und dann immer dieses Kindergeschrei! »Die sollen nicht so schreien, die sollen etwas lernen!«, sagt Christine unter Tränen, wir haben unseren Arm immer noch um ihre Schultern gelegt. Wir wissen längst, dass dies ihr Übergang zum Refrain ist. Die Strophen ihres immer gleichen Liedes sind vorüber, der Abend ist spät. Diejenige von uns, die morgen arbeiten muss, muss jetzt dann ins Bett gehen. Sie muss keine Angst haben, dass unser Tröster aus seiner Rolle und über die Frau Dorflehrerin herfällt. Auch wenn die Frau Lehrerin gerne neben dem eloquentesten Mitglied unseres Teams sitzt. Auch wenn er ihre Sorgen jetzt nochmals auf den Punkt bringt und dabei den Arm auf ihren Schultern lässt. Jeder Schritt seiner Argumentation, der Christine von ihrem Sorgenberg wegführen soll, kann von jedem von uns in jedem unserer Zimmer verfolgt werden. Das Haus ist alt, die Wände und die Decken sind dünn. Jedes Schleichen über Schwellen ist hörbar, selbst Kussgeräusche würden zu uns vordringen.

Unser Redner macht seine Arbeit gut, wir hören es trotz Flüstern im ganzen Haus, sehen es nicht, aber können uns vorstellen, wie die Dorflehrersfrau und Freundin bald wieder lächelt unter den Tränen. Bald streichelt sie die Rednerhand, aber diese wird nicht zutraulicher, tut nichts, außer ein paar Mal aufmunternd die Dorflehrerinnenschulter zu kneten. Denn der Kneter und Redner und Tröster hat keine weitere Streichlerin nötig. Er hat eine Familie, hat eine Frau, die ihn liebt, und er liebt sie auch. Wir sind nicht aufs Land gezogen, damit hier einer sein Ding durchzieht, wir ziehen am selben Strick, haben nicht viel, aber haben mehr als Frau Lehrerin: Wir haben uns. So viel ist dem Sofasitzer klar. Auch wenn er sich seines Charmes bewusst ist. Auch wenn er sich fragt, warum sein Lächeln hier im Dorf mit so viel Argwohn beäugt wird. Warum seine Eloquenz höchstens mit einer weiteren Stumpenwolke beantwortet wird. Oder mit einem »Das macht dann achtzehn fünfzig, bitteschön.«

Von Christine hört er das nicht. Hier hört er, was wir alle hören, ein »Danke«, ein »Das hat gutgetan«, ein »Kommt doch auch einmal zu uns, wir laden euch alle zum Abendessen ein.« Dann hören wir trotzdem Kussgeräusche, leise, verhuscht und dreifach, die Art, wie man sich hier verabschiedet, wenn man es nicht macht wie die Dorfmenschen, die nie zu uns kommen, aber die wir aus der Ferne gesehen haben. Dort hält man sich Zeige- und Mittelfinger vor die rechte Augenbraue und verschwindet. Oder wenn man aufsteht vom Stammtisch, auf den man Karten geklopft oder mit der Faust gehauen hat, dann haut man mit der flachen Hand gleich noch einmal drauf, im Aufstehen schon. Wir sind nie am Stammtisch, denn wir sind nie im Hirschen, wir schauen nur verstohlen durchs Fenster, bewundern die Eingeborenen und überlegen uns, zu welcher Gelegenheit wir uns einmal zu ihnen setzen könnten. Wir beschließen, noch ein wenig an unseren Kartenspielfähigkeiten zu arbeiten, und da kommt es uns gelegen, dass unser Tröster, unser Verabschieder, unser Zur-Tür-Begleiter jetzt sagt: »Ja gerne, wir kommen gern. Wir könnten ja vielleicht auch mal gemeinsam Karten spielen.«

Christine kann nicht Karten spielen, aber gerne lässt sie es sich beibringen. Ihr Lehrerehemann hat es einmal versucht, war oberlehrerhaft und scheiterte. Aber unser Redner, unser Zuhörer, Grüßeausrichter, Hinterherwinker scheint geduldiger zu sein, von ihm lernt man gerne, von ihm lässt man sich gerne etwas sagen.

*

Am Tag vor der Viehschau sitzen die Jüngeren von uns in der Schule. Alle Klassen schreiben Aufsatz. Der Beruf des Vaters. Alle schreiben voneinander ab. Alle Väter sind Bauern, nur einer kümmert sich um Wald und Bäume.

Oben sitzt unser Geldverdiener neben der Dorflehrersfrau und lädt sie ein, mit zur Viehschau zu kommen, das reiße sie schon aus den Depressionen, aber sie ist schon rausgerissen, schaut dem Familienvater hingerissen in die Augen, während Ralf ein Stockwerk tiefer schreibt: »Zur Hälfte Gemeindeschreiber.« Während Fabian schreibt: »Meine Mutter hat auch einen Beruf. Sie ist Krankenschwester. Sie hat ein rotes Mofa. Wenn ich größer bin, fahre ich auch Mofa.« Während Ada aus dem Fenster schaut und an die Viehschau denkt und überlegt, was das wohl ist.

*

Braunvieh und Fleckvieh steht auf dem Hauptplatz des Hauptortes herum. Der Hauptort nennt sich Stadt, der Hauptplatz ist voll. Nur in der Mitte ist eine freie Fläche, da liegt Sägemehl. Überall sonst stehen die Kühe, stehen Schilder, auf denen steht, welcher Kategorie die Kühe angehören. Wir stehen im Kuhdreck herum, es macht uns nichts aus, wir spielen Land, spielen Viehschau, spielen Kuhexperten. Wir lesen die Schilder, lesen von fünf Abteilungen sowohl beim Braun- als auch beim Fleckvieh, wir versuchen zu verstehen und erklären es uns, als wüssten wir schon seit ewig: Es gibt Rinder, das ist die erste Kategorie, aber eigentlich die letzte, denn Rinder haben noch nichts getan, geben weder Milch noch hatten sie schon mal ein Kalb, hätten sie eins, wären sie in der zweiten Kategorie, dann wären sie Kühe, dann gäben sie Milch. Sie hießen Erstmelkkühe und würden zehn Monate lang gemolken, bis man ihnen zwei Monate Pause gönnte und sie wieder zum Stier schickte. Wir wissen, was das heißt, Groß und Klein sind aufgeklärt, Klein versucht, das Wort »Laktation« zu verstehen, Groß versteht es auch nicht, aber kann schon besser lesen, liest »Milchleistungsperiode«, und wir erklären uns weiter die dritte Kategorie, die mit der zweiten Laktation einhergeht. Hier sind die Kühe schon zweifache Mütter, die Kälber werden zum Schlachter gebracht oder zu Rindern herangezogen, die Milch wird weitergemolken. Oder der Stier kommt nochmals, dann rücken sie auf in die vierte Kategorie, die sich drei- und vierfache Mutterkühe teilen müssen. Am meisten wollen aber die von der fünften und letzten Kategorie beeindrucken. Diese Kühe sind dick und groß und hoffen auf den Siegerkranz. »Fünfte Laktation«, lesen wir und fügen an, was dahinter steht: »Dauerleistungskühe«.

Auch Dauerleistungskühe scheinen dauernd zu scheißen, scheinen dauernd muhen zu müssen. Es ist ein Lärm und ein Dreck und wir wollen es schon gar nicht mehr so genau wissen, nur ein paar von uns wollen es uns nur noch so gerne vorlesen, wollen uns erklären, dass diese Kühe hier in der Abteilung Nummer fünf bis zum Alter von acht Jahren und drei Monaten mindestens fünf Kälber zur Welt gebracht haben müssen. Und eine gewisse Milchmenge sei auch noch entscheidend, sagt einer, der es wissen muss, den wir aber nicht gefragt haben. Er geht an uns vorbei, tut einheimisch wie wir, aber ist es wohl. Seine Wangen sind geröteter als unsere, und es wird nicht nur der Kaffee mit Schnaps sein, den hier alle trinken, sondern auch der Stolz, in dem sich jeder Kuhbesitzer suhlt. Auch wenn bis jetzt noch keine Preise verliehen wurden. Erst schreiten die Kuhbewerter bloß mit ihren Klemmbrettern die langen Kuhreihen ab. Lange Drahtseile sind gespannt, daran sind kurze Stricke geknüpft. Kuhbauch berührt Kuhbauch, und wir fassen ein paar Kühen ins Gesicht, streichen über die Stirn, bis lange Kuhzungen nach kleinen Händen schlecken, ein kleines Mädchen beginnt zu kreischen und hält die triefende Hand weit von sich, etwas ältere Jungs beginnen zu lachen, erwachsene Menschen würden gerne mitlachen, tun aber erwachsen, und wir suchen gemeinsam einen Brunnen. Ada darf ihre Hand ins Wasser tauchen, wir dürfen alle einen Schluck trinken und uns wieder den Kühen widmen. Nun wird ein Sicherheitsabstand eingehalten, Kühe sind doof, so viel ist schon mal geklärt.

Wir sind nun Kuhexperten. Sind ein wenig enttäuscht. Wir haben uns mehr versprochen, dachten, wir fänden auch kleinere Tiere. Dachten, wir kriegen Zuckerwatte oder dürfen auf Karussells fahren. Haben uns gefreut, dass wir uns in Kälber verlieben würden. Stattdessen stehen wir vor Verkaufsständen, aber statt dass wir uns mit Gürteln mit Kühen beschenken können, können wir nur sehen, was Kühen so um den Hals gelegt wird, womit Kühe so gestriegelt und gebürstet werden. Wir werden nichts davon kaufen, werden uns heute auch keine Tiere anschaffen, denn verkauft werden die Kühe nicht, sie werden bloß gezeigt und prämiert. Gerne hätten wir uns interessiert für die hohen Rücken, die ausgeprägten Beckenknochen, die riesigen, symmetrischen Euter, die runden Bäuche, die in acht Jahren und drei Monaten fünf Kälbern ein Zuhause waren. Wir hätten gerne weiter davon geträumt, in unserer eigenen Scheune ein eigenes dieser Prachtexemplare zu beheimaten. Wir hätten eigene Milch gehabt, eigene Kälber, eigene Butter und eigenes Fleisch aufs Brot. Aber diese Ungetüme sind uns ungeheuer. Wir wollen Land spielen, aber müssen uns nicht übernehmen. »Mit Hunden sollten wir anfangen«, schlägt Ralf vor. »Hunde kann man nicht essen«, weiß Fabian. »Katzen sind viel schöner«, fügt Ada hinzu. Und ein Erwachsener fragt: »Was haltet ihr von Schafen?«

Schafe sind schön, sind weich, sind flauschig, und Fleisch geben sie auch. Schafe blöken bloß und pflastern keine Hauptorthauptplätze mit braunen Ausscheidungen zu. Schafe kann man scheren und Geschorenes kann man zu Kleidungsstücken weiterverarbeiten, wer Schafe hat, muss nie mehr frieren. Nur hat es keine Schafe hier. Hier werden nur Kühe auf die Hauptplatzmitte geführt, damit Kühe und Bauern preisgekrönt werden können. Preisträger stehen stolz an der kurzen Leine, neben Preisträgerinnen, die ins Sägemehl scheißen, die sich zu freuen scheinen, dass ihnen ein Kränzchen gewunden wird. Blumen auf die Stirn und einen Wimpel unters Ohr: »Herbstviehschau 1. Rang«. Der Wanderpokal ist eine goldene Glocke. Die Wangen des Preisträgerinnenbesitzers röten sich, bis sie glühen. Er gewinnt zum dritten Mal, darf die Glocke behalten, darf sie der Preisträgerin um den Hals gurten. Sie soll den schweren Preis selbst tragen, soll allen zeigen, dass sie es allen gezeigt hat. Sie ist die Größte. Ist die Dickste, hat die höchste Hüfte. Schöner fanden wir die kleinen Kühe, die Rinder und überhaupt die verhuschten Tiere mit den weichen Formen. Große, dunkle Augen haben auch die, aber sie sind nicht so aufgebläht, so kraftstrotzend, so überfüttert, so Übermutter. Fünf Kälber in acht Jahren. »Dann müsstest du jetzt auch schon vier haben, Ada«, sagt Fabian. »Ich bin keine Kuh!«, sagt Ada. »Bist du doch!«, sagt Fabian. »Bin ich nicht!«, sagt Ada. Und Fabian setzt erneut an, aber ein Schlichter unterbricht, fragt, was sie denn lieber wäre. Wir wissen schon, was jetzt kommt, denn wir haben uns vorher schon geeinigt, welche Tiere die schönsten sind: Katzen sind in Ordnung, Hühner kann man ertragen, Kaninchenschlachten kann nicht so schwer sein, aber die besten Tiere sind die Schafe.

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Wir bereiten uns auf den Winter vor. Der Herbst ist schön hier auf dem Land, schöner als damals in der Stadt, finden alle von uns. Eine sitzt gerne vor dem Haus und tut nichts, außer sich zu freuen, dass man keinen Nebel sieht. Ein anderer geht durchs Haus, öffnet die Ofentür, versucht auch, einen Blick in den Kamin zu werfen. Die anderen spielen im nahen Wald Blätterwaten oder Sich-Vergraben. Einer erinnert sich ebenfalls an den Nebel, einer will Blätterburgen bauen und eine macht nicht mit, weil sie verliebt ist, in wen oder was könnte sie gar nicht sagen.

Der Schornsteinfeger kommt vorbei, fegt den Schornstein zur Hälfte, macht Pause, und bevor er weiterfegt, schaut er sich den Ofen genauer an. Er runzelt die Stirn dabei, sagt, dass er das nicht verantworten könne, sagt, dass er da eigentlich nicht mehr weiterarbeiten müsse, sagt, wir bräuchten einen neuen Ofen. Wir sagen ihm, dass das nicht sein kann, denken, er ist Schornsteinfeger, nicht Kachelofenbeurteiler. Denken, dass wir daran nicht gedacht hatten, als wir das Haus gekauft haben, als wir die Bank baten, uns Geld zu leihen, damit wir unsere eigenen vier Wände und unser eigenes Dach über den eigenen Köpfen haben können, unseren eigenen Holzofen, der uns wärmen würde im Winter. Schön sieht er aus, der Ofen, wärmt das Herz beim bloßen Anblick, denken wir. Alt sieht er aus, der Ofen, sagt der Schornsteinfeger, außen antik und innen veraltet. Löcher an den falschen Stellen. »Sie wollen sich wärmen, wollen doch nicht, dass er explodiert?«

Wir laden den Ofenbauer zu uns ein, er soll Ofeninspektor spielen, soll uns gute Nachrichten verkünden. Er schaut sich im Haus um, zählt bloß eine Wärmequelle, schaut sich in der Wärmequelle um und erzählt, dass das gar nicht mehr gehe: Der Ofen sei ausgebrannt, da gäbe es Ofenbrände, und wo ein Ofen brenne, brenne bald das ganze kleine Holzhaus. Aber Glück hätten wir, die Rohre zum Schornstein seien noch in Ordnung, gut gefegt sähen die aus, und mit einem neuen Ofen hätten wir schon bald ein warmes Wohnzimmer. In den anderen Zimmern und den Fluren bleibe es allerdings sehr kalt, aber auch dafür gäbe es Lösungen, doch wir hören uns die Lösungen nicht an, unsere Geldzähler haben unser Geld gezählt und wissen, dass es gezählt ist. Der Ofenbauer bleibt auf einen Kaffee. Er schwärmt von Öfen, die man bauen könnte. Schwärmt von grünen und roten Steinen. Von weichen und harten. Er erzählt von der Wärme, die lange in diesen Steinen bleiben mag. Wir hören ihm mit offenem Mund zu, möchten auch in solchen Steinen leben, wo es immer warm ist. Möchten uns zumindest Kacheln leisten können, damit wir nicht erfrieren, wenn dann der Schnee kommt. »Wenn dann der Schnee kommt«, sagt der Ofenbauer, »sind Sie froh um einen rechten Ofen.« Kalt werde es hier auf dem Land, die Wände sähen alt aus, da finde der Wind immer seine Ritzen. »Haben Sie das selbst vertäfelt? Haben Sie auch isoliert? Wann wollen Sie einziehen?«

Unsere Geldzähler fahren in den Hauptort. Statt zur Bank zur Bibliothek. Diese ist klein, verleiht neben einer stattlichen Anzahl an Videos diverse Bücher über mysteriöse Mordfälle, etwas für kalte Wintertage, etwas für aufs Sofa, wenn draußen der Schnee treibt, etwas, zu dem man seine Füße am Ofen wärmen könnte, aber kein Buch darüber, wie man Öfen selbst baut.

Der Freund, der beim Umbau mit seinem Auto ausgeholfen hat, tut einen letzten Freundschaftsdienst und schaut sich in der Stadt um. Wir bleiben unterdessen auf dem Land, warten auf seine Büchersendung und finden, dass wir nicht untätig sein müssen. Bis das Buch kommt, können wir schon einmal anfangen, Holzvorräte anzulegen.

Wir zersägen und spalten Holz, das wir uns bringen lassen mussten. »Dürfen wir helfen?«, fragen die Kleineren, die auch gerne die große Säge bedient hätten. »Ihr könnt die Scheite stapeln, hier immer regelmäßig und da am Rand immer kreuzweise.« Das ist nur kurzzeitig lustig, sieht dann bald nach Arbeit aus, bald wird das Gestänker lauter als die Motorsäge, also macht Moritz den Scheiß allein, schickt die anderen von uns in den anderen Teil der Scheune, wir sollen lieber die Tiere füttern, sagt er, der unser letztes Geld in solche investiert hatte.

Der Briefträger kommt, wir begrüßen ihn freudig, er sagt, dass wir unseren Briefkasten beschriften sollen, und lässt uns mit einem Paket allein. Alle dürfen helfen, das braune Packpapier zu entfernen, die einen wollen Klebestreifen mit Kleinmädchenfingernägeln wegschaben, die anderen wollen das Papier zerfetzen und zerreißen, die dritten wollen den zweiten sagen, dass man vorsichtig sein soll, und die übrigen beiden lesen die Karte, die bei dem Gerangel zusammen mit einem Buch über Ofenbau auf den Boden gefallen ist. Der Freund ermahnt unfreundlich: »Bitte bald zurückschicken! Ist nur geliehen! Leihfrist ein Monat! Baut schnell, der Winter kommt bald!«

Die ersten Kapitel sind den Pizzaöfen gewidmet. Von Holzkonstruktionen wird geschrieben. Und Bilder sind zu sehen von Familien: Die Familien bestreichen die Holzkonstruktion mit Lehm, lassen den Lehm trocknen, einer zündet das Holz an und übrig bleibt ein Pizzaofen, den wir nicht brauchen und nicht haben wollen, wir suchen die Wärme und nicht den Luxus. Also lesen wir die hinteren Kapitel, da wird von offenen Kaminfeuerstellen berichtet. Die könnte man selbst mauern, aber die können wir hier nicht brauchen. Wenn nur ein Funke heraus- und auf den Spannteppich herüberspringen würde, hätten wir bald kein Haus mehr. Nur kurz wäre die Wärme, im hellen Schein unseres niederbrennenden Eigenheims könnten wir uns traurig anschauen und uns in Feuerwehrwolldecken einwickeln lassen. Später stünde da vielleicht noch der solide gemauerte Kamin, aber keine der Holzwände mehr, auch kein Holzdach, und also bauen wir auch keine Kaminfeuerstelle, sondern blättern ganz nach hinten, wo es für uns interessant wird.

Ein Ofen, wie wir ihn brauchen, ist nicht leicht zu bauen. Das Buch über den Ofenbau entpuppt sich als Buch, das hauptsächlich davon abrät. Von Mehrkosten durch staatliche Ofenabnahmen, von veralteten DIN-Normen und hauptsächlich von explodierenden Kachelöfen ist die Rede. Wir beschließen, das erste Feuer mit diesem Buch zu machen, verfeuern es probehalber im veralteten Ofen. Wir gehen in Deckung, er explodiert nicht, der Rauch findet seinen Weg durch den Kamin. Das Buch gibt kaum Wärme ab, aber noch ist Herbst, noch geht es auch ohne Ofenhitze. Und diesen einen Winter muss es auch mit dem alten Ofen gehen und im Frühjahr müssen wir dann schauen und überlegen und Geld zählen, vielleicht Nachtschichten annehmen im Altersheim oder dem Lokalblatt Zeitungsartikel anbieten von Kleinviehzüchtergeneralversammlungen. Es wird schon gehen, sagen wir. Wir freuen uns, dass wir fürs Erste Geld sparen können, freuen uns auf den Winter. Und darauf, dass wir lernen werden, Feuer zu machen und dabei vorsichtig zu sein. Dass wir nie zu viel Holz verbrennen und immer genügend Luft zuführen werden. Explosionen können uns nicht schrecken, wir glauben nicht alles, was Ofenbauer erzählen. Denn auch Ofenbauer müssen leben, leben nun einmal vom Ofenbauen, und raten einem also nur allzu gerne dazu.

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Daheim fühlen wir uns zu Hause. Wir tragen Gummistiefel wie alle im Dorf, tragen blau-weiße Hemden, haben uns grüne Fleecejacken gekauft, die schmutzig werden dürfen beim Holzspalten oder Tierefüttern. Die Jacken sind nicht schön, aber heißen so, heißen hier hinten Faserpelz. Im Dorf werden wir dennoch nicht mit Einheimischen verwechselt. Man schaut uns fremd an, auch wenn wir nicht die Einzigen sind, die nicht schon immer hier waren, nicht die Einzigen, die sich eingenistet haben an diesem Ort, wo andere früher waren und deswegen sagen, dass sie hierhergehören.

Da ist zum Beispiel der Dorflehrer, der die Zungenschläge der Hiesigen ebenfalls ungenügend beherrscht, seine Melodieführung ist zu begrenzt, seine Vokale sind zu breit. Seine Frau hat ihm noch nicht alle Wörter ausgeredet, die man hier nicht sagt. Aber auch Christine, die Lehrersfrau, gehört auf die Fremdenliste, ist mindestens acht Dörfer entfernt aufgewachsen und ist also auch keine Einheimische. Da ist man streng.

Und dann ist da noch die Ehefrau des Försters, die kann nicht von hier sein, sie ist zu klein, zu schmal, passt in zu schöne Kleider und zu schlecht in Gummistiefel. Wie ein Mädchen sieht sie aus, wenn sie durch den Matsch stapft, die Ärmel der grünen Fleecejacke sind zu lang, vielleicht lässt sie die Arme deswegen nie ganz hängen, sondern hält sie in der Luft, die Ellbogen nicht am Körper wie die großen, breitschultrigen Ehefrauen dieser Gegend. Diese haben ihre praktischen kurzen Haare zur Dauerwelle geformt, und bei ihnen passt der Faserpelz wie angewachsen, sie tragen diese Jacken also wie ihr echtes Fell und nicht, als trügen sie lieber echten Pelz. Die Haut der Förstersfrau schimmert grünlich, wir sehen sie und denken an Südsee.

Und gewisse von uns sagen: »Wahrscheinlich Philippinerin«. Und andere von uns fragen: »Was heißt das?«

Die Förstersfrau heißt Joy, das heißt Freude, erklären wir uns. Wir freuen uns an ihrem Anblick, fragen uns, wovon sie träumt in der Nacht, wundern uns, was sie den ganzen Tag macht. Tiere hat die Förstersfrau keine zu füttern, Freundinnen scheint sie auch keine zu haben, sie hat offensichtlich den ganzen Tag Zeit, sich aufs Heimkommen ihres Gatten vorzubereiten oder sich im Gummistiefelgang zu üben. Oder im Heimischsein. Das Letzte scheint am besten zu gelingen. Obwohl sie wie verpflanzt aussieht an diesem Ort, trägt keiner die Heimatliebe so bedeutsam vor sich her wie sie. Und wahrscheinlich ist sie wegen der Flagge im Garten so beliebt, oder wahrscheinlich auch wegen ihres fröhlich lispelnden »Grüßgott«, oder noch wahrscheinlicher, weil sie die schönste Frau im Ort ist. Der Förster hat sie verdient, er ist selbst herrlich anzusehen, wenn er die Ärmel seines Armeepullovers hochkrempelt oder wenn er im karierten Hemd im Hirschen sitzt und seine zerkratzten Unterarme präsentiert. Die Uhr, die ihm das Handgelenk abzuschnüren droht, war ein Geschenk der Ehefrau, ob er sie im Unter- oder im Ausland kennengelernt hat, interessiert keinen, denn keine ist so verliebt in ihren Liebsten wie sie, vielleicht weil keine Zweite so viel Zeit hat, das Heim so heimisch einzurichten wie diese Fremde. Sie ist nicht fremd, sie ist ja die Frau des Försters, sie nimmt man gerne auf in der Mitte.

Wie auch den letzten der Fremden, den man den Jugoslawen nennt, auch wenn er bestimmt anders heißt und auch wenn das entsprechende Land schon länger nicht mehr existiert. Der Jugoslawe gehört einem der Bauern, sagen die Bauern, auch wenn er nur für jenen Bauern arbeitet.

Im Sommer ist der Jugoslawe irgendwo weiter oben, macht Käse und hütet Kühe, die im Herbst mit ihm und den Kuhbesitzern zurück in die Ställe beim Dorf getrieben werden müssen. Man zieht lächelnd an hupenden Autos vorbei, die Kühe mit geschmückten Köpfen, die Kuhtreiber mit glühenden Gesichtern vom frühen Auf- und vom fröhlichen Abstieg. Und vom Schnaps im Kaffee, der in Feldflaschen herumgereicht wird, bis man endlich wieder unten angekommen ist im eigenen Dorf, wo die Kühe und die Kuhbesitzer wohnen, wo Kühe zurück in Ställe getrieben werden und Kuhbesitzer sich auf den Hirschen freuen, in dem auch der Jugoslawe gern gesehen ist.

Man hat ihn gerne bei Tisch, lacht gerne mit ihm, im Winter holt er die Geselligkeit nach, die er im einsamen Sommer verpasst hat. Er macht Scherze, ahmt die Sprache der Alteingesessenen lustig nach und kann gar nicht aufhören damit. Der ganze Hirschen freut sich über die Art, wie er Bier bestellt. Der Jugoslawe lacht mit, fühlt sich nicht fremd, auch wenn der Winter kalt ist in dieser Gegend, kälter als in seiner Heimat, man versteht nicht recht, warum er nicht zurück in die Wärme will. Der Jugoslawe will nur ab und an in den Hauptort, wo er noch unverständlicher redet, mit anderen, die ebenfalls einen Sommer lang in der Höhe waren und die ihrerseits die heimische Wärme vermissen.

Wir treffen den Jugoslawen vor dem Hirschen, wir fragen ihn, wie er heißt, wir fragen ihn, wie er hierherkam, wir fragen ihn, ob es ihm gefällt, wir fragen, ob er hier gut verdient, wir fragen, ob er viele Freunde hat, wir sagen ihm, dass ihm das blaue edelweißbestickte Hemd, das unter seinem grünen Faserpelz zu sehen ist, sehr gut stehe, wir sagen, er solle doch einmal zum Essen kommen. Der Jugoslawe sagt: »Mirko«, er sagt: »Wegen der Arbeit«, er sagt: »Ja«, er sagt, er würde sich über mehr nie beklagen, er lacht, er sagt: »Danke«, er sagt: »Mal schauen.« Dann tippt er mit dem Zeigefinger an die rechte Augenbraue. Auch wenn wir uns selbst noch nicht im Dorfjargon ausdrücken, wissen wir, was das heißt, wir verabschieden uns ebenfalls, sehen Mirko im Hirschen verschwinden und machen uns auf den Weg nach Hause.

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