Landeier und andere Spezialitäten - Adele Stein - E-Book

Landeier und andere Spezialitäten E-Book

Adele Stein

0,0

Beschreibung

Wie bereits in ihrem ersten Buch erzählt Adele Stein in "Landeier und andere Spezialitäten" Geschichten aus ihrer Wahlheimat, die sie als „Westfälische Provence“ bezeichnet. Es gibt nicht nur ein Wiedersehen mit Hart und den anderen Bewohnern des westfälisch-provencalischen Dorfes, sondern auch endlich die ausführliche Antwort auf die Frage, warum man mit Getreide seine Ehe retten kann. Pablo, der beste gute Leihhund von nebenan, ist ebenso wieder mit von der Partie wie die Krähen der schönen Stadt S., die diesmal für ein unter Alkoholeinfluss entwickeltes Marketingkonzept herhalten müssen. Es geht um Reiselust und -frust der Landbevölkerung, ungewöhnliche Therapien, Kleinkinder auf Feuerwehrleitern, Sex in Nachbars Garten und um vieles mehr... . Die Autorin: Adele Stein ist immer noch eine Frau in den besten Jahren und lebt tatsächlich auch weiterhin auf dem Land - irgendwo in Westfalen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 95

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für meine Mutter und meinen Vater, die zum Glück Geschichten erzählen konnten.

www.adelestein.jimdo.com

www.facebook.com/pages/Adele-Stein

Bisher bei BoD von Adele Stein erschienen:

Westfälische Provence und andere Geschichten

ISBN 9 783732246816

INHALT

---------------------------

Vornewech mal eben: Westfälische Provence – reloaded

far, far away

Kunsttherapie oder Adele muss mehr Streifen machen

Zimmer mit Aussicht

Singendes, klingendes Krähenland

Leo auf der Leiter

Früher Vogel

Sex im Garten

Des Kornes und der Liebe Wellen

Feste feiern mit Hart

Landhiebe

David, Wladimir und ich

Landeier und andere Spezialitäten

Vornewech mal eben: Westfälische Provence - reloaded

„Oops, I did it again!“

Britney Spears

Nun gibt es also eine Fortsetzung (neudeutsche Übersetzung für den einen oder anderen jungen Menschen, der sich in dieses Buch verirrt: Ein Sequel). Es gab einfach noch die eine oder andere Geschichte aus der Provence zu erzählen... .

Ob ich „es“ allerdings ohne die Leserinnen und Leser meines Erstlings so schnell wieder in einem Buch getan hätte, bezweifle ich. Denn mit diesen netten, liebevollen, ermutigenden, manchmal regelrecht überschwänglichen Reaktionen hatte ich im Leben nicht gerechnet. Niemals. Danke euch allen dafür!

Dank schulde ich erneut ganz besonders euch, liebe Nachbarn, diesmal schon im Voraus: Dafür, dass ihr eine regelrechte Quelle der Inspiration für mich gewesen seid. Aber auch für das Her- und Aushalten, denn ihr werdet auch in diesem Buch euch selbst und einige bekannte Ereignisse wiederfinden. (Über das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit können wir gern wieder bei uns am Esstisch diskutieren. Ich besorg' auch mehr Bier als letztes Mal, versprochen... .)

Ganz besonders möchte ich meiner Schwester Mara danken, deren Liebe zu ihrer „kleinen“ Schwester so unerschütterlich ist, dass sie auch dieses Buch wieder Korrektur gelesen hat, obwohl sie die Geschichte „Kunsttherapie“ da bereits kannte. Danke dir, Johan, der du mir wichtige Hinweise hinsichtlich einiger landwirtschaftlicher und technischer Details in den Geschichten gabst. Dir, Lioba, ein riesengroßes Dankeschön - für alles (du weißt schon...)!

@ Eleanor und Leonard, ihr beiden schönsten und klügsten Kinder der Welt: Ich hoffe, ihr fühlt euch in diesem Buch wieder nur im üblichen Maß von mir bloßgestellt bzw. peinlich berührt.

@ Euch alle: „To know you is to love you“.

Mai 2014, irgendwo in Westfalen

Adele Stein

Far, far away

Manchmal, wenn ich abends im Bett liege und nicht einschlafen kann oder, wenn ich mich (zum Beispiel an einem der letzten warmen Herbsttage, wenn das Licht schon ganz golden ist und so viel Abschiedsstimmung in mir aufsteigt, dass es fast wehtut) am Sonntagnachmittag auf dem Balkon unseres Hauses in einem der alten, knarrenden Liegestühle ausstrecke, um ein wenig Siesta zu halten, sehe ich wie in inneren Filmen Orte vor mir, an denen ich früher gewesen bin.

Mich sehe ich dann auch wieder an diesen Orten, als seien sie Stationen oder Kapitel meines bisherigen Lebens: Ich stehe atemlos ganz oben auf der Düne von Arcachon, staunend vor dem Steinkreis von Stonehenge, ergriffen inmitten Lissabons und der kaum zu beschreibenden Melancholie dieser Stadt oder überglücklich am Ufer des Mississippi, in dem sich das Licht der untergehenden Sonne spiegelt.

Oft erinnere ich mich auch an die Geschichten, die ich auf meinen Reisen erlebt habe. Zum Beispiel an die Wanderung entlang der südfranzösischen Verdon-Schlucht, in der zunächst mein Mann und anschließend ich auf einem ungesicherten Weg in schwindelnder Höhe eine heftige Panikattacke erlitten – seltsamerweise übrigens die erste und bislang einzige unseres Lebens. Vielleicht war es auch gar keine richtige Panikattacke, sondern eine Nachwirkung des provencalischen Rotweins vom Abend davor, der uns als notorischen Weißweintrinkern einfach nicht bekommen war. Noch heute danke ich jedenfalls dem lieben Gott dafür, dass wir nacheinander ausrasteten, was Schlimmeres verhinderte. So konnte erst ich Johan und wenig später er mich retten, und unseren Kindern (die bei unseren Freunden im Ferienhaus waren) blieb das Schicksal erspart, als Halb- oder gar Vollwaisen aufzuwachsen.

Hin und wieder begebe ich mich in meiner Phantasie auch zu Plätzen und Landstrichen, die ich auf jedem Fall auch noch in diesem Leben bereisen möchte. Ganz oben auf meiner Wunschliste steht eine Fahrt mit meiner Tochter entlang der Route 66 von Chicago nach Santa Monica. Natürlich in einem offenen Chevrolet und mit sehr, sehr lauter Musik von Johnny Cash, Fleetwood Mac und den Beach Boys aus dem Autoradio. Klar, ich würde auch einen Abstecher nach Pacific Palisades einplanen, um dort das Exil-Haus von Thomas Mann zu besuchen – schon allein, um nicht allzu sehr rein pro-amerikanischer Umtriebe bezichtigt zu werden.

Meine Tochter steht meinen Plänen recht aufgeschlossen gegenüber:

„Solange du alles bezahlst...“, sagt sie und lacht, wie nur sie es kann.

Unser Sohn meinte irgendwann einmal, er könne es sich unter Umständen vorstellen, mich nach Nepal zu begleiten – einem weiteren Ziel auf meiner Liste noch unerledigter Reisen. Da er chronisch knapp bei Kasse ist, würden sämtliche Kosten ebenfalls an mir hängen bleiben, aber egal. Ich freue mich, dass er prinzipiell bereit wäre, mit seiner in die Jahre gekommenen (und nicht mehr ganz so mobilen) Mutter auf eine Trekking-Tour durch das Annapurnatal zu gehen. Zur Einstimmung spiele ich ihm schon mal „Kathmandu“ von Cat Stevens vor, das mein Sohn umgehend der Kategorie „Hippiekitschballade“ zuordnet.

„Ich weiheiß, Mama...“, sagt er, als ich ihm erzählen will, wann und wo ich das Lied zum ersten Mal gehört habe.

„Du weißt gar nichts“, erwidere ich etwas beleidigt.

„Aber ich ahne es. Was du mir sagen willst, fängt mit 'als wir damals...' an und ist eine weitere Variation zum Thema, wie frei, unangepasst und wild ihr, du und Papa, damals - im Gegensatz zu uns heute - gelebt habt.“

„Deinen Vater kannte ich da noch gar nicht. Zu der Zeit, als ich Cat Stevens hörte und von Kathmandu träumte, war der noch Mitglied bei der Jungen Union in Aurich.“

Mein Sohn pfeift anerkennend durch die Lücke in seinen oberen Schneidezähnen, die ich immer noch so niedlich an ihm finde, und sagt dann breit grinsend:

„Papa war mal bei der Jungen Union?! Das hat er uns nie erzählt. Aber alle Achtung! Das war in euren Zeiten ja echtes Revoluzzertum, oder? Hast du ihn dann zur Ökologie und zum Sozialismus bekehrt, oder was?“

Auf einmal finde ich überhaupt nichts mehr niedlich an dem frechen Bengel. Außerdem hat er Flugangst, genau wie sein Vater. Da müsste ich dann wegen ihm die Anreise vermutlich auf dem Landweg bestreiten. Na, schönen Dank auch.

„Vergiss Nepal“, sage ich zu meinem Sohn.

„Klar, Maam. Ich versteh' schon, dass dir das dann doch zu anstrengend ist. Kein Problem. Weißt du, wir könnten doch gemeinsam an die Cote d'Azur.... . Wir suchen uns dort ein schönes Hotel mit Pool, und ich könnte endlich meinen Segelschein machen. Da können wir mit dem Auto hin. Das wird dann auch billiger für dich.“

Ja, so ist es mit den Kindern. Und Johan, mein Mann? Wenn es nach ihm ginge, würden wir jeden Sommer an die westfranzösische Küste reisen und gut. Da braucht er nicht zu fliegen und weiß, was ihn im Hinblick auf das Weinangebot erwartet – für ihn die wichtigsten Kriterien, wenn es um Urlaub geht. Ich ahne, dass ich mich in Bezug auf das Reisen unabhängiger machen muss. Sowieso fehlt mir derzeit noch das nötige Kleingeld für Ziele wie die USA, Nepal oder Bali (wo ich auch noch unbedingt hin will, nachdem ich „Eat, Pray, Love“ gelesen habe). So bleibt es derzeit bei meinen Liegestuhlträumen von der großen weiten Welt.

Die meisten meiner Nachbarn in dem westfälischen Dorf, wo wir mittlerweile seit über achtzehn Jahren leben, sind, was das Verreisen angeht, von sich aus eher genügsam. So bekommt Ella, meine Nachbarin von schräg rechts gegenüber, laut eigener Aussage schon nach acht Tagen auf Rügen arges Heimweh. Weswegen sie weiter entfernte Reiseziele gar nicht so sehr reizen. Und für Jo, ihren Mann, berichtet sie weiter, sei es im Prinzip schon Erholung genug, auf einer Bank sitzend seinen Schafen während des Sonnenuntergangs auf der Weide zuzusehen und sich dabei ein bis zwei Flaschen Bier zu gönnen. Als ich Ella frage, warum sie dann überhaupt in den Urlaub führen, erwidert sie schlicht: „Ach weißt du, ich freu' mich dann immer wieder so auf zu Hause!“

Dabei war es ausgerechnet ihr ältester Sohn, der als einziges Nachbarskind nach der Schule für ein Jahr in die USA ging. Ella und Jo waren zwar überrascht von ihrem offensichtlich etwas aus der Art geschlagenen Jaust, trugen es aber letztendlich mit Fassung, als Andres, der sich (auf eine Anzeige im landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen-Lippe hin) um ein Praktikum bei einer Farm in Illinois beworben hatte, tatsächlich den Zuschlag für die Stelle erhielt. Auf den Fotos, die er ins Internet stellte, erkannte man nur an der Architektur der Scheune und am Trecker, dass die Aufnahmen nicht in unserer westfälischen Provence, sondern gute 8000 Kilometer entfernt jenseits des Atlantiks entstanden waren. Ansonsten sah die Gegend dort der Region, in der unser Dorf liegt, beinahe täuschend ähnlich: Flach, irgendwie vollkommen unspektakulär, ansonsten Mais-und Getreidefelder soweit das Auge reicht.

Ingrid, unsere Nachbarin von schräg links gegenüber, reist im Prinzip leidenschaftlich gern. Ihr Problem hört bei Freunden und guten Nachbarn auf den Namen Hart, heißt eigentlich Reinhard und ist ihr Mann. Für dessen sorgsam gehegtes Image als eingeborenes, echtes Urgestein des Dorfes gehört es sich einfach nicht, lustvoll in die Ferne zu schweifen. Daher kann man ihn recht oft jammern hören, dass er nur seiner Frau zuliebe verreise, obwohl er selbst doch viel lieber zu Hause bleiben würde, um endlich mal seine Werkstatt aufzuräumen und seine drei Oldie-Trecker auf Vordermann zu bringen.

„Ingrid will schon wieder in Urlaub“, raunt er mir mit Grabesstimme als Antwort auf meine Frage, wie es ihm denn so gehe, ins Ohr. Wir sitzen auf der Gartenbank nebeneinander und feiern mit den anderen Nachbarn zusammen Jos Geburtstag.

„Der alte Haaresel mutiert im Alter noch zum reinsten Globetrotter“, fährt er in Anspielung auf den Geburtsort seiner vor Jahrzehnten zugezogenen Frau fort. Alle aus Harts Sicht vorhandenen Absonderlichkeiten Ingrids führt er umgehend auf ihre Herkunft zurück. Denn im Unterschied zu Ella, Jo, Ulla (die direkt gegenüber von uns wohnt) und ihm selbst stand Ingrids Wiege nicht in unserem Dorf, sondern in einer Bauernschaft auf der so genannten „Haar“, einem Höhenzug, der sich immerhin fast zehn Kilometer entfernt südlich von uns erstreckt. Hart seufzt schwer und schüttelt den Kopf, während er mit einem Feuerzeug den Verschluss einer Flasche Veltins-Pils aufhebelt. (Wenn unser Dorf ein Geräusch wäre, dann wäre es dieses spezifische „klock-zisch“, das entsteht, wenn man auf diese Art den Kronkorken einer Bierflasche entfernt – eine Fertigkeit, über die ich auch nach achtzehn Jahren Landleben nicht verfüge. Das Geräusch weckt mittlerweile, wann immer ich es höre, starke heimatliche Gefühle in mir und das, obwohl ich selbst wirklich nur sehr selten Bier trinke.)

„Ach, ja. Wo soll's denn diesmal hingehen?“, frage ich Hart. Der hüllt sich erst einmal demonstrativ in depressives Schweigen.

„Gran Canaria“, sagt er nach gefühlten zehn Minuten und etlichen Schlucken aus der Bierflasche. Er spricht es etwas anders aus, nämlich so, dass es sich ein wenig wie „Chran Chanaria“ anhört. Seinen Gesichtsausdruck dazu kann man eigentlich nicht adäquat wiedergeben: Mundwinkel und Stirn beschreiben eine einzigartige Gefühlsmischung aus gequält, heroisch, resigniert und belustigt - alles irgendwie gleichzeitig. So aus der Wäsche blicken kann nur Hart und sonst niemand, den ich kenne.

„Na immerhin musst du nicht wieder mit in die Dommrepp“, sagt Jo, der mit uns auf der Bank sitzt.

Vor ein paar Jahren hatte Ingrid Hart so lange bearbeitet, bis dieser schließlich mit ihr in