Landeierforschung - Karin Spieker - E-Book
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Karin Spieker

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Beschreibung

Was passiert, wenn eine eingefleischte Städterin Urlaub in der tiefsten Provinz macht - ein witzig-romantischer Roman um die ungeahnten Vorzüge des Landlebens! Die 40-jährige Anne gerät eher zufällig mit ihrem unkonventionellen Cousin Mike in das 300-Seelen-Nest Eisheim. Dort lernt sie nicht nur, dass es auf dem Land mehr zu entdecken gibt als Kühe und Schützenfeste, sie entdeckt auch, dass sie sich auf dem Rücken eines Pferdes erstaunlich gut fühlt. Außerdem trifft sie den attraktiven Reitlehrer Ben, der zwar ihre schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein bringt, aber komischerweise trotzdem genau das zu sein scheint, was Anne braucht.

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www.piper.de

 

ISBN: 978-3-492-98428-7

© 2018 Piper Verlag GmbH, München

Redaktion: Theresa Schmidt-Dendorf

Covergestaltung: Favoritbüro München

Covermotiv: Kaspri/shutterstock; shockfactor.de/shutterstock; focus_bell/shutterstock

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Landeierforschung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Zwei Jahre später …

Landeierforschung

»Wie kommst du darauf, dass ich zwei Wochen Urlaub im Nichts machen will? Mit meiner Mutter und ihrem verrückten Cousin?« Max schüttete sich am anderen Ende der Leitung vor Lachen aus. »Was hast du denn geraucht?«

»Sorry, ich dachte, du fährst gerne mit mir in den Urlaub«, sagte ich beleidigt.

»Wenn das Ziel ein nettes Hotel am Mittelmeer ist und wenn Crazy Mike nicht dabei ist, schon.«

»Seit wann hast du was gegen Mike?«

»Ich hab nichts gegen Mike. Partys mit ihm sind lustig, aber Urlaub mit ihm muss nicht sein.« Bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr Max fort: »Immer will er mich zum Kiffen nötigen und nennt mich spießig, weil ich ab und zu was für die Uni tue.«

Ich grinste. »Du bist ja auch spießig!«

»Ah ja?« Jetzt war Max beleidigt.

»Ja, deine Studentenbude ist sauberer als unsere WG.«

»Ich weiß, ich weiß, in eurer coolen WG gibt es permanent nur Sex, Drugs und Rock’n Roll.«

»Ganz genau. Wir drei führen ein wildes Leben.«

»Haha. Hab ich was verpasst?«, fragte Max trocken.

»Naja, immerhin gehe ich jetzt öfter raus als mit zwanzig. Als ich in deinem Alter war, musste ich mich schließlich um dich kümmern, mit Party war da nicht viel …«

Max seufzte und ich wusste genau, welche Grimasse er gerade zog. »Danke, dass du dich trotz deiner jungen Jahre damals so gut um mich gekümmert hast, liebe Frau Mama.«

»Mama! Sag doch so was nicht, da fühle ich mich richtig alt.« Ich grinste, weil ich genau wusste, was jetzt kommen würde. Und richtig:

»Du bist erst vierzig, Anne. Das ist nicht alt, das weißt du genau. Außerdem siehst du aus wie 35«, kam es aus der Leitung. Und es klang beinahe überzeugend. Auf meinen Sohn war Verlass.

»Danke, mein Schatz, du bist ein Goldstück! Also, kommst du sicher nicht mit?«

»Nein. Sicher nicht. Urlaub in den fünf kaffigsten deutschen Käffern, die ihr finden konntet – ich kann mir nichts vorstellen, worauf ich weniger Lust hätte.«

 

Nach unserem Telefonat ließ ich mich stöhnend aufs Sofa sinken. Also war nicht einmal Max mit von der Partie. Ihn endlich mal wieder zwei Wochen für mich zu haben – das wäre mein einziger Trost gewesen!

Mein Sohn war leider nicht der Einzige, der über meine bevorstehende Reise die Nase rümpfte. Auch mir wären eine Menge Dinge eingefallen, die ich lieber getan hätte, als zwei Wochen lang die Sitten und Gebräuche der finstersten deutschen Provinz zu erforschen. Aber leider hatte ich mich gestern auf einer Party zu diesen irrsinnigen Plänen hinreißen lassen und jetzt hatte ich mein Gesicht zu wahren. Vor meinen Agenturkollegen und besonders vor Oliver, meinem Ex-Mann, und seiner neuen superhübschen, superjungen und supernervigen Gespielin Davina.

Wie immer, wenn ich an Davina dachte, legte sich mein Gesicht automatisch in angespannte Falten. Ich war mir ziemlich sicher, dass die lästige Zornesfalte zwischen meinen Augenbrauen, die sich neuerdings selbst über Nacht nicht mehr ganz wegschlafen ließ, auf ihr Konto ging. Nicht, dass ich noch an Oliver hing! Kein bisschen! Unsere Trennung war jetzt über zwei Jahre her und vor dem endgültigen Ende unserer Ehe hatten wir uns so oft gestritten, dass es schließlich unser damals achtzehnjähriger Sohn gewesen war, der uns eines Abends gefragt hatte: »Warum trennt ihr euch nicht endlich?«

Obwohl mir mein Ex-Mann ziemlich egal war, wurmte es mich, dass neuerdings wieder eine Frau bei ihm wohnte. Und dann auch noch eine, die zwölf Jahre jünger war als ich, bestimmt zwölf Pfund weniger wog und locker zwölfmal so sportlich war wie ich. Blöde Davina! Und überhaupt: Wer hieß denn bitte Davina? Musste bei so einem Taufnamen nicht geradezu zwingend ein Biest herauskommen?

 

Davinas Existenz war auf jeden Fall der Grund, warum mir jetzt zwei Wochen Strafurlaub in der deutschen Provinz bevorstanden.

Neulich in der Mittagspause hatte Oliver nämlich die Frechheit besessen, im Kollegenkreis mit seiner Neuen zu prahlen und gleichzeitig seine Alte, also mich, schlecht zu machen. Er hatte für Davina und sich eine luxuriöse, sündhaft teure Wanderreise durch Südamerika gebucht. »Anne hätte so was nie mitgemacht!«, hatte er behauptet. »Die hat Langstreckenflüge immer verweigert. Ehrlich, ich bin die Kanaren so leid! Außerdem macht sie nach drei Schritten schlapp, so eine Reise hätte mit ihr überhaupt keinen Sinn gemacht. Aber Davina – die ist superfit. Kein Wunder in ihrem Alter! Und sie will die Welt sehen. Genau wie ich.«

Ich war tief betroffen, als meine beste Freundin, Lieblingskollegin und Mitbewohnerin Katti mir nachmittags von dieser Episode erzählte.

»Natürlich wäre ich mit ihm nach Südamerika geflogen«, verteidigte ich mich, »aber wir hatten ja nie beide gleichzeitig Urlaub! Und wenn, dann höchstens mal zwei Wochen am Stück. Da verbrate ich doch nicht je eineinhalb Tage für die An- und Abreise. Von dem Jetlag ganz zu schweigen. Das hätte ich auch Max gar nicht antun wollen. Und ich kann übrigens sehr wohl mehr als drei Schritte wandern! Wenn die Landschaft interessant ist, schaffe ich jede normale Strecke, nur Olivers achtstündige Mördertouren hab ich nie mitgemacht.«

»Dieser Blödmann!« Katti war mal wieder zuverlässig auf meiner Seite. »Geh hin, konfrontier ihn ausnahmsweise mal mit dem, was er von sich gegeben hat. Es kann doch nicht sein, dass er hier in der Agentur über dich herzieht.«

Ich warf einen kurzen Blick in die Richtung, in der Olivers Bürotür lag, dann sah ich zurück zu Katti. »Du weißt genau, dass ich mich bei der Arbeit nicht mit ihm streiten will. Unsere privaten Kriege haben hier nichts zu suchen. Ja, ich find’s unschön, wenn er vor den Kollegen über mich redet, aber das sage ich ihm irgendwann mal unter vier Augen. Komm, versuchen wir, uns auf die Katzenfutter-Geschichte zu konzentrieren. Ich hab immer noch keine richtig tolle Idee und übermorgen ist die Präsentation.«

»Stimmt leider. Bio-Katzenpralinen. Was für ein Bullshit!«, fluchte Katti. »Die Leute werden immer wahnsinniger. Wer soll denn so etwas kaufen?« Aber sie holte bereitwillig ihren Ordner hervor und rollte mit ihrem Stuhl durch unser Büro an meinen Schreibtisch.

Oliver und Davina waren also vorläufig vergessen.

Hätte ich es dabei belassen, wäre mein Sommer ganz anders verlaufen!

Kapitel 1

Gestern hatte unsere Chefin Gisela ihren 59. Geburtstag gefeiert.

In ihrer nahezu reinweißen Dachgeschosswohnung, die sie bescheiden ›Penthouse‹ nannte, tummelten sich sämtliche Agenturkollegen neben einigen wenigen fremden Gesichtern.

Das Sushi-Büffet hatte Giselas Lieblings-Japaner geliefert. Es sah sensationell aus, jeder Happen war unbestreitbar ein kleines Kunstwerk. Leider war Sushi nicht mein Ding und auch hier schmeckte fast alles, was ich probierte, vorwiegend nach Fisch und Sojasoße, deshalb griff ich alles andere als reichlich zu. Was hätte ich für eine ordinäre Bratwurst mit Senf gegeben!

Die kleine Cocktailbar auf Giselas freistehender Kücheninsel, hinter der unser Praktikant Lars sich begeistert als Barkeeper versuchte, sprach mich da schon eher an. Und nach zwei Gin Fizz fühlte ich mich so beschwingt, dass mir mein immer noch leerer Magen egal war.

Ich saß auf dem Balkon, den Gisela ›Dachterrasse‹ nannte, im Kreis meiner Kollegen und unterhielt mich blendend. Oliver war zum Glück nicht dabei, was mich aber wunderte. Normalerweise ließ er sich eine Feier im Kollegenkreis nicht entgehen und heute Nachmittag war er noch quicklebendig in der Agentur herumgesprungen.

»Wo ist eigentlich Oliver?«, fragte ich in die Runde.

Unser silberlöwenmähniger Grafiker Thomas ergriff das Wort: »Mir hat er erzählt, dass er Davina heute zum Geburtstag ihrer Freundin begleiten muss.«

»Ein Kindergeburtstag, ach wie schön«, konnte ich mir nicht verkneifen. »So etwas hat er immer gern gemacht. Er hat sich auch bei Max’ Geburtstagen immer schwer reingehängt.«

Alle lachten.

»Fünfzehn Jahre Altersunterschied!«, sagte Thomas. »Das ist echt eine Menge, oder? Ob unser Olli das auf Dauer bewältigen kann?« Er lachte dreckig.

Unsere Teamassistentin Nicole streifte mich mit einem Seitenblick, bevor sie antwortete. »Aus seiner Sicht scheint es eben zu passen. Oliver ist schließlich total sportlich und er sieht echt jünger aus.«

Irgendwie nahm ich ihr diese Solidaritätsbekundung mit Oliver übel. Obwohl sie inhaltlich leider recht hatte. Oliver hatte zwar schon seit Langem Geheimratsecken, aber weil er kaum graue Haare und immer noch recht faltenfreie Haut hatte, machten die sein Gesicht eher interessanter. Außerdem war er sehr durchtrainiert und durch die viele Bewegung an der frischen Luft immer leicht gebräunt. Ich konnte verstehen, dass Davina ihn als gut aussehend empfand. Ich selbst hatte das schließlich auch mal gefunden.

»Wir werden sehen.« Thomas lachte. »Wenn er sich erst mit Jetlag zehn Tage durch Südamerika geschleppt hat und sie ihn auch nachts nicht schlafen lässt, wird er sich noch nach den gemütlichen Zeiten mit Anne zurücksehnen.«

Sofort fühlte ich mich angegriffen. Ich war die ›Gemütliche‹ und Davina war die ›Aufregende‹, oder was?

»Wie meinst du das?«, wandte ich mich an Thomas. »Glaubst du, mit mir hätte Oliver nur auf dem Sofa gesessen und in die Chipstüte gegriffen?« Ups! Das war eine Spur zu aggressiv herausgekommen. Musste am Gin Fizz liegen.

»Blödsinn«, wehrte Thomas ab. »Aber so ein Wandertrip durch Südamerika?« Sein Blick glitt über mein kurzes, ausgestelltes Cocktailkleid und blieb an meinen zehn Zentimeter hohen Pumps haften. Er lachte. »Dafür bist du echt nicht der Typ, Anne!«

Ich runzelte die Stirn. »Woher willst du wissen, was für ein Typ ich bin?«

»Ich sehe dich täglich in Designerklamotten durchs Büro schweben, mein Schatz, und das schon seit vielen Jahren. Du passt eher auf ein Kreuzfahrtschiff als in die Berge, glaub mir.«

»So ein Blödsinn!«, regte ich mich auf. »Nur weil ich mich gern hübsch anziehe, heißt das nicht, dass man mit mir nicht aktiv sein und die Welt entdecken kann!«

»Naja, Boutiquen abklappern oder im Mittelmeer planschen ist ja auch eine Form von Aktivität«, lästerte Nicole. »Sauber, sicher, schont die guten Schuhe.«

Alle lachten und Nicole lachte am lautesten. Hiermit war es amtlich, sie war eine blöde Kuh. Allmählich wurde ich sauer. »Witzig …«

»Und irgendwie wahr, oder nicht?« Thomas lachte. »Komm schon, Anne, du brauchst doch deinen Luxus. Abenteuer am anderen Ende der Welt sind nichts für dich, Mädchen.« Er tätschelte mein bestrumpfhostes Bein.

Ärgerlich schob ich seine Hand weg. »Abenteuer sind sehr wohl was für mich! Du hast ja keine Ahnung! Aber im Gegensatz zu Oliver brauche ich keine Luxus-Fernreise, um allen zu zeigen, wie toll ich bin. Ich kann Neuland entdecken, ohne viel Geld auszugeben und ohne den Kontinent zu verlassen. Weil ich nämlich kreativ bin, jawohl!« Ich nahm einen weiteren Schluck aus meinem Glas.

»Na, na, ihr beiden. Seid friedlich und lasst uns den Abend genießen«, mischte sich Katti ein. »Wechseln wir lieber das Thema: Ich fliege im August zu meiner Tante nach Spanien und mache eine Woche lang gründlich in Familie. Ich freue mich schon wie blöd!«

»Das ist sehr schön für dich, Katti. Aber bevor wir über deinen Spanien-Trip reden, interessieren mich Annes supergünstige, superkreative Pläne wirklich brennend.« Thomas sah mich prüfend an. »Also, was hast du Aufregendes vor, Anneken? Wie verbringst du in diesem Jahr deinen Sommer?«

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen dritten Drink schon zur Hälfte geleert, obwohl in meinem Magen nur ein wenig fischiger Reis und ein paar zerkaute Algenblätter schwammen. Ich fühlte mich durch meinen Ex und seine Davina in meiner Ehre gekränkt und von allen sechs Kollegenköpfen am Tisch beobachtet. Fieberhaft zermarterte ich mir das Hirn. Eine wirklich gute Idee musste her, und zwar schnell. Auf keinen Fall konnte ich jetzt verkünden, dass ich in meinem Urlaub eigentlich zu Hause bleiben wollte, weil ich ziemlich klamm war. Ich brauchte eine Idee, die allen zeigte, dass ich den Kopf oben trug und dass ich Oliver weit hinter mir gelassen hatte. Eine Idee, die zeigte, dass ich stärker, kreativer, origineller und individueller war, als Oliver und Davina es je sein würden, jawohl. Ich war nicht die arme, alte, gemütliche Anne. Ich war es, die das Besondere erleben würde!

Ein Kontrastprogramm zu Olivers Südamerika-Wanderreise musste her, etwas ganz und gar anderes, eine Art Anti-Fernreise. Fieberhaft zermarterte ich mir das Hirn. Denk, Anne, schnell. Wo hatte ich in letzter Zeit interessante Urlaubspläne aufgeschnappt? Wo würden Oliver keine zehn Pferde hinkriegen? Meine Eltern waren gerade im Harz, könnte das etwas sein? Nein, viel zu normal, der Harz war inzwischen als günstiges Standardziel für Outdoor-Aktive bekannt. Mit solch altbekannten Urlaubsgegenden konnte ich nicht punkten. Ich brauchte etwas Ausgefalleneres.

Moment mal, meine Friseurin hatte doch neulich stundenlang von ihren Urlaubsplänen erzählt. Sie wollte in den Sommerferien mit der ganzen Familie zu ihren Eltern fahren. »In mein Heimatdorf«, hatte sie geschwärmt. »Das totale Kontrastprogramm zu Köln! Wohnen möchte ich da natürlich nicht mehr, aber für einen Familienurlaub mit den Kindern ist es perfekt! Meilenweit von Großstädten entfernt, Bauernhöfe, saubere Luft, Wälder … Für die Kinder gibt es sogar einen Bach zum Baden. Sie sind immer ganz aus dem Häuschen, wenn wir zu Oma und Opa fahren. Sie lieben das Dorfleben. Natürlich gibt es da weit und breit keine Attraktionen, aber genau deshalb können wir alle bei meinen Eltern so gut entspannen.« Während sie erzählt hatte, hatte ich mich halb bewundernd und halb mitleidig gefragt, ob ich das könnte. Einfach nur Urlaub in einem deutschen Bauernkaff machen und das dann auch noch genießen. Was man da als Touristin wohl den ganzen Tag tat? Ob man misstrauisch beäugt wurde? Oder kam man in diesen ländlichen Gegenden mit Hinz und Kunz ins Gespräch?

»Klingt toll«, hatte ich halbherzig behauptet, »das wird bestimmt ein schöner Urlaub.«

Daran dachte ich jetzt, während alle Kollegengesichter mich gespannt musterten, zurück. Und auf einmal nahm ein Gedanke in mir Gestalt an:

Ich hatte nicht viel Erfahrung mit dem Leben in der Provinz. Ich war ein Stadtkind durch und durch. Natürlich war ich in meinem Leben schon durch viele Dörfer geschlendert, aber das waren Dörfer in Urlaubsgegenden gewesen. Nordseedörfer, Eifeldörfer. Schwarzwalddörfer, Alpendörfer. Malerische, belebte Dörfer voller hübscher, herausgeputzter Häuser, in denen sich Café an Café und Pension an Pension reihte.

Und die Dörfer im Raum Köln hatten ihren Dorfcharakter schon vor Jahrzehnten verloren, sie hatten nach und nach eher Vorstadt-Charakter angenommen. Mit so richtigen, echten, einsamen Bauerndörfern, in denen es nichts gab außer Äckern und Kühen, mit den Dörfern, die bei RTL2 gezeigt wurden, war ich noch nicht ernsthaft in Berührung gekommen. Vielleicht sollte ich das allmählich mal ändern?

»Ich setze mich nicht stundenlang in einen Flieger und blase noch mehr CO2 in die Atmosphäre, um irgendeinen Urlaub aus der Konservendose zu machen«, platzte ich ohne weiter nachzudenken heraus. »Ich mache stattdessen in diesem Jahr eine Studienreise durch die deutsche Provinz«

Ich war irrsinnig stolz auf mich. War das nicht eine kreative, ungewöhnliche Idee? War das nicht genau die Anti-Fernreise, nach der ich gesucht hatte? War das nicht mal etwas ganz und gar Neues? Und billig war es außerdem!

»Ich will ganz tief in das ländliche Leben eintauchen«, machte ich weiter. »Ich werde das Exotische ganz in der Nähe finden. Und ich bin mir sicher, dass ich dabei mehr über fremde Kulturen lerne, als ich es bei einer organisierten Fernreise je könnte.«

Zu behaupten, dass meine Kollegen überrascht waren, wäre untertrieben. Sie starrten mich stumm an und machten kugelrunde Augen.

»Wie bitte?« Katti fand als Erste ihre Sprache wieder. Sie sah mich an, als wäre ich verrückt geworden. »Du willst Urlaub in einem Bauerndorf machen? Du bist ja betrunken, Anne.«

»Quatsch!« Trotzig trank ich noch einen Schluck von meinem Gin Fizz und stellte dabei fest, dass das Glas schon wieder leer war und Katti deshalb vermutlich recht hatte. »Ich habe mir nur gerade erst ein Auto gekauft und ich habe absolut keine Lust, viel Geld für Urlaub rauszuhauen. Urlaub kann überall Spaß machen und interessant sein. Basta. Es kommt immer darauf an, was man daraus macht.«

»Na, da bin ich aber gespannt! Vielleicht gabelst du ja sogar einen einsamen Landwirt in der Dorfdisco auf.« Die blöde Nicole kicherte und Ole, unser Nachwuchs-Mediengestalter, kicherte mit. »Wo genau soll’s denn hingehen? Nach Hintertupfingen? Oder Pusemuckel?«

»Haha«, machte ich überlegen. »Nein. Ich plane eine kleine Rundreise, ich möchte schließlich so viel Neues wie möglich entdecken. Ich habe zwei Wochen Urlaub, da schaffe ich locker … äh… fünf Dörfer.«

»Soso.« Auf Thomas Lippen lag ein amüsiertes Grinsen. »Fünf Dörfer. Und welche Gegend willst du genau bereisen?«

»Ich habe da neulich einen Geheimtripp … äh… Tipp erhalten. Irgendwo in Hessen gibt es ein Dorf, in dem man das total authentische, deutsche Landleben erfahren kann.« Ich bemühte mich um eine gerade Körperhaltung und eine klare Artikulation. Meine Zunge wollte merklich nicht mehr so, wie sie sollte. »Ein 300-Seelen-Juwel hinter den Bergen bei den sieben Zwergen mit dem schönen Namen …« Äh, wie hieß das Heimatdorf meiner Friseurin noch mal? Irgendwas mit Eis. Eisdorf. Nein. Eisheim. »Mit dem schönen Namen Eisheim. Liegt etwa drei Stunden Fahrt von hier im Nichts, die nächsten Großstädte sind alle eine Stunde Fahrt entfernt. Perfekt für mein Vorhaben! Da fange ich an!«

»Klingt absolut grauenvoll!«, verkündete Nicole fröhlich.

»Im Gegenteil, es ist sicher sehr idyllisch«, behauptete ich. Nicole ging mir inzwischen heftig auf die Nerven. »Dort kann ich mit den Bewohnern in Kontakt kommen und durch die umliegenden Wälder streifen.« Allmählich erwärmte ich mich ernsthaft für den Gedanken.

»Du?« Katti zeigte mit dem Finger auf mich. »Durch die Wälder streifen?« Sie schüttelte sich vor Lachen, was ich irgendwie illoyal fand.

»Brrr…« Nicole machte ein angewidertes Gesicht. »Also für mich wäre das nichts. Ich brauche im Urlaub viel Sonne, einen Strand und ein ordentliches Nachtleben.«

»Anne auch!« Katti kicherte noch immer.

»Genau darum geht es ja.« Ich bemühte mich, würdevoll zu klingen. »Ich möchte etwas Neues machen. Neuland entdecken. Neue Seiten an mir selbst entdecken, wisst ihr. Mich entwirr… äh… entwirr… äh… entwickeln!« Mir entfuhr ein kleiner Rülpser und alle lachten laut.

»Ich finde die Idee interessant.« Birgit, unsere Agenturälteste, meldete sich zu Wort. »Ein paar stinknormale deutsche Dörfer als Urlaubsorte zu bereisen, rausfinden, wie die Landbevölkerung tickt, Dorffeste feiern, alte Bräuche kennenlernen … Das ist neu und könnte spannend werden. Wenn du es richtig anpackst, warten möglicherweise ein paar bereichernde Erfahrungen auf dich.«

»Oder traumatisierende. Stellt euch mal vor, was passiert, wenn Anne beim Kühemelken mit ihren High Heels in Kuhkacke tritt!« Thomas legte mir väterlich die Hand auf die Schulter. »Schätzeken, nimm vorm Schlafengehen eine Aspirin und wenn du morgen aufwachst, buchst du ein paar Tage Mallorca. Du bist nicht fürs Landleben geschaffen, du bist eine Großstadtpflanze – durch und durch.«

 

Schon auf dem Rückweg von der Party hatte ich jedes alkoholische Getränk, das ich zu mir genommen hatte, bitter bereut. Was hatte ich da nur für einen Unfug geredet?

»Da hast du dich ja schön reingeritten«, bemerkte Katti trocken, als wir aus Giselas Mietshaus heraus auf die Straße traten. »Eine Provinzrundreise … Willst du das wirklich durchziehen?«

»Habe ich überhaupt eine Wahl? So wie ich mich eben aufgespielt habe? Scheiß Gin Fizz.«

Katti lachte. »Sicher. Ein Blinder hätte gesehen, dass du einen Drink zu viel hattest. Du kannst am Montag einfach verkünden, dass du es dir anders überlegt hast. Kein Problem.«

»Könnte ich. Aber was mache ich dann mit meinem Urlaub? So blöd dir das auch vorkommen mag, ich hab leider das dringende Bedürfnis, allen zu zeigen, dass ich nicht neidisch auf Oliver und Davina bin. Ich ertrage es nicht, die arme Anne zu sein.«

»Ja, das verstehe ich. So wie Oliver immer daherredet, macht er es dir fast unmöglich, über den Dingen zu stehen.«

»Eben. Und diese Provinz-Idee ist bezahlbar und wenigstens halbwegs originell, oder?«

Katti grinste leicht. »Sie hat einen gewissen Charme, ja. Aber Thomas hat schon recht – die Vorstellung, dass du beim Kühemelken oder Stallausmisten hilfst, ist ziemlich abwegig.«

»Och, ich traue mir so was durchaus zu«, behauptete ich. »Obwohl ich nicht unbedingt wild darauf bin, in Tierexkrementen zu wühlen. Aber vielleicht tue ich es, einfach nur, damit ich Fotos davon bei Facebook posten kann. Ich bin es leid, immer als Zimperliese zu gelten.«

Katti lachte. »Das erinnert mich an ein Interview mit Shakira, das ich vor Ewigkeiten gelesen habe. Sie hat sich darin beschwert, dass alle Welt immer nur ein Sexsymbol in ihr sieht. Ich hab damals gedacht: Vielleicht würde es ihr helfen, wenn sie sich auch mal voll bekleidet irgendwo blicken lassen würde? Die meisten Menschen ziehen aus der Kleidung eines Menschen nun mal Rückschlüsse auf den Charakter.«

»Und damit willst du mir sagen, dass ich an meinem Ruf selber schuld bin?«

»Irgendwie schon. Du läufst immer mit mindestens acht Zentimeter hohen Absätzen, blonder Wallemähne und im kurzen Kleid herum. Was dir toll steht! Aber du kannst nicht erwarten, dass Menschen, die dich kaum kennen, dich als Intellektuelle oder Sportskanone wahrnehmen. So funktioniert die Welt nun mal. Menschen sind leider allzeit bereit, wenn es darum geht, andere in Schubladen zu stecken.«

»Vermutlich hast du recht. Aber ich bleibe trotzdem bei meinen High Heels. Ich hab das Gefühl, dass ich sie brauche, um wenigstens halbwegs auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden.«

Katti hatte leicht reden. Sie war eine 1,75 m große Schönheit mit perfektem Körperbau und makellosem Gesicht. Sie brauchte den ganzen Christbaumschmuck nicht. Sie trug im Alltag Jeans, Chucks und schlichte, körpernahe T-Shirts, dazu einen Pferdeschwanz. Fertig. Nur an hohen Feiertagen griff sie mal nach Lippenstift und Lidschattenpalette. Und trotzdem sah sie immer umwerfend aus. Tag für Tag. Egal, wie tief sie stapelte.

Ich dagegen war ein ganz anderer Fall. Egal, wie hoch ich stapelte. Ich sah praktisch nie umwerfend aus. Irgendwann, als wir erst ein paar Jahre zusammen gewesen waren, hatte ich Oliver zu seinem Kumpel sagen hören: »Schon gemein. Die richtig scharfen Frauen kriegen immer nur die anderen.« Dieser Satz hatte mich damals tief getroffen, wenn auch nicht überrascht. Oliver hatte ja recht: Ich war eben viel zu klein geraten, nannte ein höchst gebärfreudiges Becken mein Eigen und konnte weder mit besonders großen Augen noch mit üppigen, vollen Lippen aufwarten. Aber, hey, sollte nicht wenigstens der eigene Ehemann eine rosarote Brille tragen, wenn er einen ansah? Sollte nicht wenigstens der einen für wunderschön halten?

Um meine Mängel zu vertuschen, lebte ich seit meinen Zwanzigern praktisch in ausgestellten Minikleidern und High Heels, die mich größer und durchaus wohlproportioniert erscheinen ließen. Meine Haare trug ich taillenlang und blond, um meiner Erscheinung etwas Glamour zu verleihen. Und um meine Augen schmierte ich jeden Morgen eine große Portion dunkle Farbe, damit sie halbwegs ausdrucksstark wirkten.

Möglich, dass ich etwas zu viel für mein Äußeres tat, Oliver hatte sich zumindest immer beklagt, wenn ich mal wieder ewig im Bad brauchte. Aber ohne meine Schönheitsrituale fühlte ich mich wie hässliches Entlein und damit seltsam verwundbar.

Katti und ich gingen zu Fuß durch die laue Juninacht, denn unsere Wohnung lag nur drei Blocks von Giselas ›Penthouse‹ entfernt. Schon nach wenigen Schritten zog ich meine leider noch nicht eingelaufenen, aber todschicken neuen Pumps aus und lief in Strumpfhosen weiter. Besonders unter dem Ballen und an den kleinen Zehen kniffen die Biester enorm, beim Ausziehen entdeckte ich zwei dicke Blasen. Aber auch ohne Schuhe war das Gehen nicht gerade angenehm, immer wieder glitzerten Glasscherben auf dem Bordsteinpflaster. An einer Stelle hatte ein Betrunkener großzügig den ganzen Fußweg vollgekotzt, sodass ich sicherheitshalber auf die Straße ausweichen musste. Ich ging langsam und sehr, sehr vorsichtig, ertrug dabei Kattis gutmütigen Spott und ihre Vorträge über bequemes Schuhwerk und schaffte es irgendwie mit heilen Füßen nach Hause.

›Nach Hause‹ – das war die Vierzimmerwohnung im ersten Stock eines sanierten Altbaus, die wir seit einem guten Jahr gemeinsam mit meinem Cousin Mike bewohnten. Die Wohnung gehörte meiner Tante und Mike wohnte schon dort, seit er nach dem Abi bei seinen Eltern ausgezogen war. Als Max vorletztes Jahr ausgezogen und zum Studium nach Bochum gegangen war, war mir alleine zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen und zufällig wurden in Mikes WG gerade zwei Zimmer frei. Ich fackelte nicht lange und zog ein, denn mit Mike hatte ich mich von Kind an hervorragend verstanden. Er war zwar durch und durch verantwortungslos, ein freischaffender Künstler, der eher schlecht als recht vom Verkauf seiner Bilder lebte, aber er war extrem amüsant und sehr unkompliziert.

Einige Wochen lebten Mike und ich in trauter, chaotischer Zweisamkeit, dann trennte sich Katti von ihrem langjährigen Freund und suchte für sich und ihren fetten Kater Kurti ebenfalls eine Bleibe. Seitdem war unsere Dreier-WG komplett.

Als Katti und ich die Wohnung betraten, hörten wir eine vertraute Stimme »Somebody to love« singen – trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit sehr laut und leider auch sehr schief. Mike stand in T-Shirt, Boxershorts und geblümter Schürze am Herd und kochte Spaghetti mit Tomatensoße. Kurti lag auf der Arbeitsplatte neben dem Herd und beobachtete das Treiben.

»Hör auf zu singen! Freddy Mercury hält sich bestimmt im Grabe die Ohren zu«, sagte ich statt einer Begrüßung.

»Mensch, Mike, du weißt, dass Kurti nicht auf die Arbeitsplatte darf!«, sagte Katti statt einer Begrüßung.

»Ich wünsche euch auch einen guten Abend!« Mike lächelte uns gelassen entgegen. Leider war er unseren Erziehungsversuchen gegenüber immun.

Katti nahm den Kater von der Arbeitplatte und setzte ihn in sein Körbchen. Dann holte sie eine Flasche Sagrotanspray aus der Speisekammer und besprühte die Stelle, an der Kurti gerade noch gesessen hatte.

»Igitt! Pass bloß auf, wo du hin sprühst«, beschwerte sich Mike. »Wehe meine Nudelsoße schmeckt gleich nach Desinfektionsspray!« Kurti war derweil längst wieder aus dem Körbchen aufgestanden, er strich schnurrend um Mikes Beine.

»Man könnte meinen, es wäre Mikes Kater«, stellte ich fest. »Hast du eine Frau hier, Mike? Oder warum kochst du mitten in der Nacht?«

Mike grinste. »Nur euch zwei und ihr zählt wohl nicht als Frauen. Anne ist Verwandtschaft und für Katti bin ich unsichtbar. Nein, ich hab gemalt. Und jetzt hab ich Hunger. Bleibt ihr noch auf und leistet mir Gesellschaft?«

Ich gähnte und ließ mich an den Küchentisch plumpsen. »Wegen mir. Ich esse auch noch einen Happen, wenn ich darf. Ich hatte nur Sushi.« Gequält verzog ich das Gesicht.

»Lecker!«, fand Mike.

»Geht so.«

»Und wie war es sonst? Habt ihr euch gut unterhalten?«

»Anne hat sich super unterhalten!« Katti ließ sich ebenfalls am Küchentisch nieder. »Sie weiß jetzt endlich, was sie in diesem Sommer mit ihrem Urlaub anfängt.«

»Ach, sei doch ruhig.« Ich knüllte einen Werbeflyer vom örtlichen Möbelkaufhaus zusammen und warf ihn nach ihr.

»Warum? Was steht denn an?« Mike schaltete den Herd aus und goss die Nudeln in ein Sieb in der Spüle. »So, fertig, wir können essen.«

Während Mike den Tisch deckte und vor jeden von uns einige Spaghetti mit Tomatensoße stellte, erzählten Katti und ich von der Grube, die ich mir soeben gegraben hatte.

Mike hörte aufmerksam zu und trug ein Lächeln zur Schau, dass sich mit jedem meiner Sätze vertiefte. Als ich meine Erzählung beendet hatte, klatschte er in die Hände.

»Klasse Plan!«, rief er. »Eine Provinz-Studienreise, dass ich da noch nicht drauf gekommen bin! Das wird super, Anne, ich verstehe gar nicht, was diese Grabesmiene soll.«

»Ich könnte mich zu Tode langweilen und gar nichts erleben, außer in muffigen Gasthäusern auf verregnete Felder zu glotzen«, murrte ich.

»Dann nimm mich doch mit!«, sagte Mike und seine Augen leuchteten auf. »Ehrlich, Anne, die Idee gefällt mir. Ich war sowieso schon todunglücklich, weil diesen Sommer nichts los ist.«

»Im Ernst?« Ich sah ihn misstrauisch an. Wollte er mich verarschen oder hatte er wirklich Lust auf diese Urlaubsreise des Grauens?

Mike nickte eifrig. »Ja, klar! Ich könnte dort malen. Außerdem will ich Provinzschönheiten kennenlernen und Dorffeste feiern. Komm schon, Anne, wir machen Ferien auf dem Land, klingt das nicht super?«

Ich überlegte. Wenn ich mir diese Landreise zusammen mit Mike vorstellte, klang es zumindest nicht mehr ganz so grauenhaft. Klar, Mike schlief jeden Tag bis in die Puppen. Und er war immer und überall auf Frauengeschichten aus. Aber mit Mike konnte man auch herrlich herumblödeln, außerdem kam man an seiner Seite immer mit neuen Leuten ins Gespräch. Und Mike hatte grundsätzlich Lust auf Neues, er machte immer alles mit. Es gab schlechtere Reisepartner, oder? Wenn ich jetzt auch noch meinen Sohn Max überreden konnte, würden sich die zwei Wochen Provinzurlaub möglicherweise zu einer guten Idee mausern.

»Gut. Falls ich diese Landleben-Idee wirklich durchziehe, darfst du mitkommen«, entschied ich gnädig. »Aber wir nehmen zwei Einzelzimmer, drei, falls Max mitkommt. Du schnarchst nämlich. Und ich darf die Gasthöfe aussuchen. Wer weiß, wo wir sonst landen …«

Damit hatte Mike kein Problem. »Wenn es eins gibt, worin ich echt gut bin, dann ist das, anderen die Planung zu überlassen«, grinste er.

Kapitel 2

Das war gestern gewesen. Und heute war Sonntag und ich saß unglücklich auf dem Sofa und streichelte Kurti. Mike und Katti waren unterwegs und besuchten eine gemeinsame Freundin, während ich nach dem Frühstück verkatert aufs Sofa gekrochen war. Gerade hatte ich mit Max telefoniert und erfahren, dass er Mike und mich auf keinen Fall aufs Land begleiten würde.

Inzwischen fragte ich mich nur noch, wie ich aus der Nummer von gestern wieder herauskam. Nüchtern betrachtet fand ich die Provinzurlaub-Idee ehrlich gesagt nur noch scheußlich. Wenn nicht einmal Max mitfuhr, konnte ich mir nichts, rein gar nichts vorstellen, was ich in einem deutschen Durchschnitts-Kaff unternehmen wollte. Welcher Teufel hatte mich gestern nur geritten, dass ich den Mund dermaßen voll genommen hatte? Nie, nie wieder würde ich Gin Fizz trinken!

Aber musste ich denn wirklich fahren? Ich konnte doch meinen heiligen Sommerurlaub nicht in öden Dörfern verbringen, nur weil ich ausnahmsweise mal ein Glas zu viel erwischt hatte! Wäre es nicht verrückt, diese dummen Pläne umzusetzen, obwohl ich gar keine Lust darauf hatte?

Klar, Mike freute sich auf diese bizarre Landpartie, der hatte heute beim Frühstück schon wieder von ländlichen Stillleben geschwärmt, aber mit dem konnte ich zum Trost einfach ein, zwei Tagesausflüge planen, bei denen wir sozusagen ambulant die Provinz studierten. Nein, ich würde diesen Blödsinn nicht durchziehen, nur um in der Agentur besser dazustehen. Das war doch albern. Ich würde die Notbremse ziehen.

Mit diesem Entschluss kullerte ein Felsmassiv von meinem Herzen. Ich bildete mir sogar ein, dass die Symptome meines Katers schlagartig nachließen. Ich würde meine beiden Urlaubswochen einfach wie geplant in Köln verbringen. Ich würde nach Herzenslust shoppen, mich an einen der romantischen Rheinstrände legen, Freunde treffen und einen Roman nach dem anderen verschlingen.

Schnell, ehe ich es mir anders überlegen konnte, schnappte ich mir mein Handy und tippte an Katti und Mike: ›Leute, das Thema Dorfurlaub ist gestorben. Ich hab keine Lust darauf und ich werde morgen einfach behaupten, dass das alles nur ein Witz war.‹

Die Antworten kamen prompt. Mike schrieb: ›Schade. Überleg es dir noch mal in Ruhe, ich glaube wirklich, dass wir Spaß haben könnten!‹

Katti schrieb: ›Deine Entscheidung. Ich stehe in jedem Fall hinter dir.‹

Zufrieden lächelte ich in mich hinein. Auf Katti war Verlass. Sie würde mir schon helfen, mein Gerede von Samstag einigermaßen passend darzustellen. Aber je länger ich über die ganze Sache nachdachte, desto mehr hoffte ich einfach, dass meine Kollegen mein Geschwafel sowieso längst vergessen hatten.

Diese Hoffnung war leider vergebens. Als Katti und ich am nächsten Tag die Agentur betraten, lungerten Thomas und Oliver wieder mal bei Nicole am Empfang herum. Beim Anblick dieser Gruppe sank meine Laune prompt in den Keller.

»Anne, Anne, hast du mal wieder zu tief ins Glas geschaut?« Oliver grinste schadenfroh, als ich ihm entgegentrat. »Thomas hat mir gerade von deinem Ausbruch am Samstag erzählt. Wirst du für solche Exzesse nicht langsam zu alt?«

Nicole und Thomas lachten meckernd.

Ich hingegen sah zu Boden und schwieg. Zu gern hätte ich mit ein paar treffenden Worten das selbstzufriedene Grinsen aus Olivers Gesicht gefegt. Aber erstens fiel mir absolut nichts ein und zweitens war es sowieso egal, was ich sagte. Gemeinheiten aus meinem Mund perlten an Oliver generell ab wie Wasser an einer nagelneuen Teflonpfanne.

Zum Glück sprang Katti für mich ein. »Was hast du denn schon wieder für einen Ton drauf?«, fauchte sie. »Man begrüßt seine Kolleginnen normalerweise, indem man ihnen einen guten Morgen wünscht. Und um deine Frage zu beantworten: Nein. Anne wird keinesfalls zu alt zum Feiern. Darf ich darauf hinweisen, dass du fünf Jahre älter bist als sie?«

Das hatte gesessen. Olivers Grinsen fiel in sich zusammen und Nicole und Thomas lachten noch lauter, diesmal allerdings über Oliver. Am liebsten hätte ich Katti geknutscht.

»Die hat’s dir aber gegeben, mein Freund«, dröhnte Thomas.

»Keine Sorge, damit werde ich geradeso fertig.« Oliver hatte sich wieder im Griff. »Lass uns lieber beim Thema bleiben. Anne, hast du ernsthaft am Samstag behauptet, dass du eine Provinzrundreise planst? Das war doch ein Witz, oder? Du passt ungefähr so gut aufs Land wie unser Thomas hier ins Kloster. Mach doch lieber einen schönen Pauschalurlaub.«

Ich schluckte trocken. Nichts machte mich so schnell so wütend wie dieser herablassende Tonfall. Konnte er nicht endlich mal damit aufhören, ständig an mir herumerziehen zu wollen?

»Das habe ich ihr auch schon geraten.« Thomas lächelte mich milde an. »Sie hat sich da am Samstag in was reingesteigert. Es erwartet doch keiner, dass sie diesen Quatsch ernsthaft umsetzt.«

Leider sprach er genau das aus, was ich gestern gedacht hatte. Ja, ich hatte mich in etwas reingesteigert und nein, es erwartete doch wohl keiner von mir, dass ich diesen Quatsch umsetzte. Aber es kam überhaupt nicht in Frage, das jetzt zuzugeben! Es wurde Zeit, dass ich den Mund aufmachte. »Ich habe mich in gar nichts reingesteigert«, sagte ich so ruhig wie möglich. »Und ich war auch nicht schwer betrunken. Ich habe einfach nur von meinen Plänen für diesen Sommer erzählt.«

»Aber ich dachte …«, begann Katti neben mir und schlug schnell ihre Hand vor den Mund.

»Anne-Schatz, auf dem Land gibt es keine schicken Hotels und keine Promenaden und keine Sonnenliegen. Da gibt es nur Felder und Kühe«, erklärte mir Oliver milde. »Glaub mir, du würdest dich zu Tode langweilen. Provinz-Studienreise – das ist absolut nichts für dich.«

Warum ließ ich mir eigentlich von meinem Ex-Mann erzählen, was zu mir passte oder nicht? Natürlich wollte ich nicht aufs Land fahren. Aber dass dieser Blödmann das schon beschlossen hatte, bevor ich es verkünden konnte, passte mir überhaupt nicht!

»Das werden wir ja sehen«, sagte ich so kühl wie es mir mein wütend rasender Puls erlaubte. »Ich kann dir gern nach meinem Urlaub Bericht erstatten.«

»Du tust es wirklich? Jetzt bin ich aber gespannt.« Oliver schüttelte den Kopf. »Aber sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«

»Vielen Dank für deine guten Wünsche.« Meine Stimme triefte vor Ironie. »Ich muss jetzt leider an die Arbeit, hab noch viel zu erledigen, bevor es losgehen kann. Bis später also, man sieht sich. Katti, kommst du?«

Katti nickte. Sie sah eindeutig verwirrt aus. »Klar. Natürlich. Tschüss, Jungs. Bis später, Nicole.«

Ich wusste, dass ich mir jede Chance auf einen Rückzieher gerade verbaut hatte. Aber komischerweise war mir das in diesem Moment egal, denn auf einmal war ich wild entschlossen, endlich einmal etwas Neues auszuprobieren, egal, wie viel Unbehagen es mir bereitete. Ich wollte endlich einmal etwas tun, womit ich Oliver und den Rest der Agentur verblüffen konnte. Und ein bisschen auch mich selbst.

Ja, ich würde diese Provinzreise durchziehen. Und nicht nur das: Ich würde sie sogar zu einem vollen Erfolg machen!

Mike war schwer begeistert, dass unsere Reise nun doch stattfinden würde, diesmal unumstößlich und definitiv. Beim Abendessen schwor er mir, dass das die interessantesten Ferien aller Zeiten werden würden. Ich war mir sicher, dass er sich irrte, und sagte ihm das auch, aber Mike war in seiner guten Laune nicht zu bremsen.

Mit Grabesmiene ließ ich mich nach dem Essen neben ihm am Notebook nieder und beobachtete ihn dabei, wie er bei Google Maps die Gegend rund um Eisheim sichtete. »Lass uns unsere Reiseziele einfach dem Namen nach auswählen«, schlug er vor. »Wir wissen schließlich nichts über die Gegend, alles ist neu. Und auf irgendwelche Sehenswürdigkeiten sind wir auch nicht aus. Wir lassen uns treiben und inhalieren den Geist der Region.«

Ich gab nur ein Brummen von mir, dass er, wenn er wollte, als Zustimmung werten konnte. Mir war völlig egal, wo ich meine zwei Urlaubswochen absitzen musste.

Die Dörfer, die Mike schließlich auswählte, lagen recht dicht beieinander. Von Eisheim aus würde es zunächst nach Schönthal gehen, dann nach Hirschsprung, Zweikirchen und zum Schluss wollten wir das herrliche – hahaha! – Kleinenau erforschen. Das größte der fünf Dörfer hatte lächerliche 4300 Einwohner.

Während ich mich seufzend daran machte, unsere Zimmer in fünf Landgasthöfen und Pensionen zu buchen, verschwand Mike noch mal in seinem Atelier, dem vierten und hellsten Zimmer unserer Wohnung. Er arbeitete an einem großformatigen Ölgemälde für den Empfangsbereich einer Zahnarztpraxis. »Ich hab zwar heute schon sechs Stunden gemalt, aber ich will den Auftrag unbedingt noch vor dem Urlaub abschließen und hoffentlich auch kassieren. Sonst kann ich mir nicht mal Ferien in Eisheim leisten«, sagte er.

Nach jeder abgeschlossenen Buchung fühlte ich mich, als hätte ich einen weiteren Nagel in meinen Sarg getrieben. Es verstand sich von selbst, dass in keinem der ausgewählten Dörfer ein schickes Hotel zur Verfügung stand.

Immerhin fand Google trotzdem in allen Orten Fremdenzimmer. Über den Zustand dieser Zimmer gab ich mich keinen Illusionen hin, auf den überwiegend selbst gebastelt wirkenden Webseiten waren fast nie Fotos von Innenräumen abgebildet, was ich verdächtig fand. Dafür waren alle angebotenen Übernachtungsmöglichkeiten unglaublich billig. Diese zwei Wochen auf dem Land würden Mike und mich weniger kosten als zwei Partyabende im Kölner Nachtleben. Eine Ausnahme war lediglich unsere erste Station: In Eisheim würden wir etwas mehr zahlen, aber dafür einigermaßen komfortabel auf einem Pferdehof am Rande des Ortes residieren. Die professionelle Webseite informierte mich, dass fünf Fremdenzimmer zur Verfügung standen, alle frisch renoviert und mit eigenem Bad. Sowohl von den Zimmern als auch von den Bädern gab es ansprechende Fotos. Wenigstens dort würde es sich aushalten lassen.

Mike schwärmte den Rest der Woche vom idyllischen Landleben, von unberührten Wäldern, sattgrünen Feldern und von bodenständigen, geradlinigen Menschen. Besonders freute er sich auf das Schützenfest in Eisheim, das stattfinden würde, während wir dort waren. Er fieberte regelrecht auf unseren Urlaub hin. Und nichts, was ich sagte, konnte seinen Optimismus bremsen, während ich mich fühlte, als ob ich in ein Strafgefangenenlager nach Sibirien geschickt werden sollte.

Freitag war mein letzter Arbeitstag und in der Agentur ging es noch mal hoch her. Ich war schwer im Stress, weil ich keinen unnötigen Ballast mit in den Urlaub schleppen wollte. Am meisten nervte mich im Moment eine Autohaus-Werbebroschüre. Der blöde Geschäftsführer hatte meinen Textentwurf schon zwei Mal zurückgehen lassen, er wünschte es sich ›noch fluffiger‹. Auf keinen Fall wollte ich im Urlaub darüber nachdenken, wie man ›noch fluffiger‹ über die Reparatur und den Verkauf von Mittelklasse-Fahrzeugen schreiben konnte, also arbeitete ich den ganzen Vormittag lang fieberhaft an einem dritten Entwurf, der mir so übertrieben werbesprachlich schien und so viele alberne englische Phrasen enthielt, dass ich hätte kotzen können. Fluffig all over!

»Reifenwechsel to go – kaum gedacht, schon gemacht. Echt magic!« Katti las mir die Broschüre vor und lachte sich dabei kaputt. »Das ist vermutlich genau das, was er sich von Anfang an gewünscht hat«, sagte sie. »Diesmal schluckt er es!«

Ich ließ den Entwurf von Gisela absegnen. Die fand ihn grässlich, glaubte aber, dass meine fluffigen Texte dem Kunden gefallen würde. Sie zuckte die Schultern und sonderte ihr immer gleiches Mantra ab: »Der Kunde zahlt. Basta!«

Am Nachmittag widmete ich mich als letzte Amtshandlung gemeinsam mit Katti, Thomas, Ole und leider auch Oliver unseren Bio-Katzenpralinen. Die hochpreisigen Leckerchen hörten seit einigen Tagen auf den schönen Namen ›Miau-Wow!‹ und Katti hatte ein ziemlich stylishes Retro-Logo entwickelt. Unsere Kunden waren zwei verrückte, aber sympathische Hipster. Die Jungs hatten bereits fleißig Klinken geputzt und konnten schon jetzt mit beeindruckenden Vorbestellungen für ihre Bio-Katzenpralinen aufwarten. Im nächsten Jahr wollten sie vegetarische Hundekekse auf den Markt bringen.

Katti und ich fanden die Produkte immer noch bescheuert, aber die Arbeit an der Kampagne machte Spaß, weil die Gründer alle unsere Ideen super fanden. Insgeheim war ich davon überzeugt, dass beide auf Katti standen. Während meines Urlaubs sollte ein Konzept für die Webseite entstehen, eine App mit einem Mini-Spiel musste auf den Weg gebracht werden, außerdem sollten erste Anzeigen für Tierzeitschriften entworfen werden.

Oliver, Ole und Thomas saßen schon im Besprechungsraum. Wie immer flogen aufgerissene Süßigkeiten- und Kekspackungen auf dem Tisch herum. Vor Oliver lagen schon drei Schokoriegel-Papiere. Wenn er so weitermachte, war sein durchtrainierter Körper bald Geschichte und Davina damit bestimmt auch. Ein schöner Gedanke!

Lächelnd schob ich Oliver die Kekspackung zu. »Willst du vielleicht noch einen Cookie?«

»Oh, danke, Anne!« Oliver griff zu, augenscheinlich überrascht von meiner Freundlichkeit.

Katti warf ihre Mappe auf den Tisch und setzte sich ans Fenster. »Habt ihr schon Kaffee gekocht?«

»Ist gleich fertig«, verkündete Ole. Er stand auf und holte fünf Tassen aus dem Schrank. Katti bekam die schönste von ihnen, einen leuchtend blau-türkisen Kaffeebecher, der nicht eine Macke hatte. Ich seufzte leise. Wahrscheinlich stand auch unser Azubi auf Katti.

Ich ging ebenfalls zur Küchenecke, schnappte mir die Kaffeekanne und eine Tüte H-Milch und ließ mich neben Katti nieder. Reihum schoben wir Milch und Kaffee weiter und bedienten uns.

»Dann legen wir mal los«, eröffnete ich die Runde. »Woran denkt ihr, wenn ihr an Bio-Katzenpralinen denkt? Alles ist erlaubt, Oliver, schreibst du bitte mit?«

»Warum ich? Nö.«

»Warum nicht? Oles und Thomas Schrift kann keiner lesen. Irgendwer muss es ja tun«, fauchte Katti. Sie griff nach dem Edding und dem riesigen weißen Tonkartonbogen. »Ich mach’s. Hab keine Lust, über Kleinigkeiten zu diskutieren.«

Man sah Oliver deutlich an, dass ihm das auch wieder nicht recht war, aber er hielt immerhin die Klappe.

»Super, Katti« Ich lächelte sie dankbar an. »Und jetzt zurück zum Thema: Woran denkt ihr, wenn ihr an Bio-Katzenpralinen denkt?«

Ole sah mich aufmerksam an. »An glückliche Kühe auf der Weide?«

»Prima.« Ich nickte ihm zu. Der gute Junge! Arbeitete immer mit.

Katti notierte ›glückliche Kühe auf Weide‹, Thomas tippte unter dem Tisch irgendwas in sein Smartphone, Oliver sah aus dem Fenster.

»Irgendwelche anderen Ideen?«

»Bei glücklichen Kühen denke ich an Anne im Kuhstall«, ließ Thomas plötzlich verlauten.

Oliver lachte dröhnend. »Das Bild kriege ich auch nicht mehr aus dem Kopf!«, behauptete er.

Ich rang um ein Lächeln. »Mike und ich freuen uns sehr auf unsere Reise«, behauptete ich.

»Eine amüsante Idee.« Oliver nickte mir zu. »Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass Davina und ich aus Südamerika die besseren Fotos mitbringen.« Thomas und er lachten.

»Exakt darum geht es ja«, mischte sich Katti ein. »Urlaub hat sich flächendeckend zu einem Wettbewerb um die coolsten Fotos entwickelt. Anne und Mike setzen stattdessen auf coole Erfahrungen.«

»Da bin ich aber gespannt.« Oliver verschränkte die Arme vor der Brust.

»Coole Erfahrungen im Kuhstall!« Thomas kringelte sich auf seinem Stuhl vor Lachen und Oliver fiel darin ein.

»Ich möchte mal wissen, warum ihr so an dieser Vorstellung klebt«, sagte Katti. »Entweder ihr habt ein besonderes Problem mit Kuhställen oder ihr träumt von Sex mit Anne im Stroh.«

Jetzt lachten Katti und ich und Ole grinste breit.

»Witzig …«, sagte Thomas. Oliver schnaubte nur verächtlich.

»Können wir uns bitte zusammenreißen?«, bat ich, als wir genug gelacht hatten. »Ich will in knapp drei Stunden nach Hause und packen, vorher müssen wir noch die Weichen für die ›Miau-Wow!‹-Kampagne stellen. Sonst kann ich nicht guten Gewissens losfahren.«

Ich blieb statt der geplanten drei noch fast vier Stunden in der Agentur und machte erst gegen halb sieben Feierabend. Aber wenigstens hatte ich alles erledigt, was ich hatte erledigen wollen, und dazu noch etliche angeblich »superdringende« Mails bearbeitet, die meine Chefin Gisela mir in letzter Minute weitergeleitet hatte.

Auf dem Heimweg dachte ich wieder einmal darüber nach, ob ich mich nicht endlich woanders bewerben sollte. Es war nicht allein Olivers ständige Nähe, die mich belastete, sondern der Graben, der seit unserer Trennung durch die Agentur lief. Fast alle unsere Kollegen schienen für einen von uns Partei ergriffen zu haben. Man merkte es an Kleinigkeiten: daran, wessen Ideen favorisiert wurden, daran, zu wem sie kamen, wenn sie Rat oder Hilfe brauchten, daran, wen sie fragten, wenn sie Mittagessen gingen.

Thomas war Olivers bester Freund, Katti war meine beste Freundin. Ole arbeitete hauptsächlich in Kattis und meinen Projekten mit, er lachte im Zweifelsfall eher über meine Witze als über Olivers. Nicole hingegen flirtet gern mit Oliver, sie schlug sich also auf dessen Seite. Unsere Praktikanten spielten mal in diesem, mal in jenem Team mit. Unser aktueller Praktikant Lars gehörte zu meinem Team, schon allein, weil er an Oles Schreibtisch saß und täglich mit ihm in die Mittagspause ging.

Neutral waren einzig Gisela und Birgit. Die hatten als Geschäftsführerin und deren Stellvertreterin Einzelbüros und arbeiteten so viel, dass sie vermutlich noch gar nicht gemerkt hatten, dass Oliver und ich uns getrennt hatten.

Der tägliche Kleinkrieg in der Agentur nagte an mir. Neuerdings wachte ich sogar oft mit Kopf- und Nackenschmerzen auf, die meine Hausärztin auf nächtliches Zähneknirschen zurückführte. Wenn das so weiterging, würde ich mir eine Knirschschiene anschaffen müssen. Manchmal fragte ich mich, wozu ich mich eigentlich von Oliver getrennt hatte, wenn ich ihn jetzt immer noch jeden Tag ertrug. Nach einer Trennung sollte der Ex-Partner eigentlich verschwinden, damit man ihn und all die kleinen Verletzungen, die er einem zugefügt hatte, vergessen konnte.

Und damit man nicht in Versuchung geriet, in alberne Urlaubswettbewerbe einzusteigen.

Ich seufzte und dachte: Konzentrier dich auf die guten Seiten des Lebens. Konzentrier dich auf deine Provinztour mit Mike. Ein Gutes hat die Sache in jedem Fall: Du musst zwei Wochen lang Olivers Visage nicht ertragen! Das ist doch was.

Mike hockte in seinem Zimmer auf dem Boden, als ich nach Hause kam. Er war barfuß, trug Jeans und ein uraltes T-Shirt und hatte rund um sich herum riesige Berge von Sachen angehäuft. Auf Anhieb sah ich Unmengen von Kleidung und Schuhen, etwa eine Tonne Farben und Leinwände, Süßigkeiten, ein Sixpack Wasserflaschen und eine Flasche Wein. Auf einem anderen Haufen lagen eine Dose mit Wespenvernichtungsmittel und ein Moskitonetz, auf dem sich Kurti zusammengerollt hatte. Im Moment starrte Mike auf einen Gaskocher und eine Taschenlampe, die er beide in seinen Händen hielt.

»Hi Anne. Brauche ich die?« Er reckte mir die Taschenlampe entgegen.

Ich musste lachen. »Äh – was glaubst du eigentlich, wo wir hinfahren? Dir ist schon klar, dass es auch auf dem Land fließendes Wasser und Elektrizität gibt, oder? Außerdem Supermärkte, Drogerien, Tankstellen …« Hoffte ich zumindest.

»Sicher.« Mike schmiss beide Gegenstände zurück auf einen der Haufen. »Aber alles ist dort altmodischer und störanfälliger als hier, oder nicht? Bei Sturm zum Beispiel könnte die Stromversorgung zusammenbrechen.«

»Wie bitte? Bei welchem Sturm?«

»Und Restaurants oder Fast Food gibt es kaum und die Supermärkte haben andere Öffnungszeiten als bei uns, das hat mir die Bäckerin erzählt, die muss es wissen. Sie kommt aus einem Dorf in Westfalen.«

»Uh, richtig, schlimme Sache!« Ich tat schockiert. »Möglicherweise können wir spätabends kein Essen mehr kaufen, ich weiß gar nicht, wie wir überleben sollen! Vielleicht sollte ich ein paar riesige Messer einpacken, damit wir uns notfalls ein Schwein schlachten können.«

Mein Spott prallte spurlos von ihm ab.

»Das könnte sinnvoll sein!«, sagte er ernsthaft. »Du weißt, dass ich nachts Hunger kriege. Hey, Anne, apropos schlachten, glaubst du, wir können im Urlaub zusehen, wie ein Tier geschlachtet wird? Das wäre ein Erlebnis! Ich könnte mit dem Blut eine Schlachtszene malen!« Mikes Augen leuchteten vor Begeisterung. Jemand, der ihn nicht kannte, hätte ihn in diesem Moment wohl für irre gehalten, aber mich konnte er mit solchen Ideen nicht schocken, ich kannte ihn viel zu gut, um ihm seine wilden Künstlerposen abzukaufen.

»Vielleicht sollte ich dich daran erinnern, dass du kein Blut sehen kannst. Weißt du noch, als ich mir damals im Frankreichurlaub das Knie aufgeschürft habe? Unsere Mütter mussten sich um dich kümmern, weil dir von dem Anblick so übel war. Kilian hat mir am Ende das Pflaster aufs Knie gepappt, während du in die Sandgrube gereihert hast.« Kilian war Mikes Bruder und damit mein anderer Cousin.

»Komm nicht immer mit diesen alten Urlaubsgeschichten. Seitdem bin ich sehr gereift!«, behauptete Mike.

»Klar. Und was war mit Kattis Schnittwunde letzte Woche?«

»Stimmt! Die war eklig!«

»Die war winzig! Und du bist trotzdem im Laufschritt aus der Küche geflohen.«

»Bei Tieren ist das etwas total anderes. Und selbst wenn mir schlecht wird: Ich trete diese Reise an, um meinen Horizont zu erweitern. Dafür muss ich vielleicht an meine Grenzen gehen.«

»Na, ich werde zusehen, dass ich nicht in deiner Nähe bin, wenn du das machst. Mir wird nämlich von Kotze schlecht.«

»Solltest du nicht lieber packen, statt hier rumzustehen und meine Unzulänglichkeiten zu kommentieren?«

»Ja. Könnte ich. Ich hab in den nächsten zwei Wochen noch genug Zeit, um mich über dich lustig zu machen.«

Wir verbrachten unseren letzten Abend gemeinsam mit Katti in der rustikalen Eckkneipe ›Zur Flotte‹, die nur zwei Häuser weiter lag.

Ab und zu, wann immer wir zu faul für den ausführlichen Spaziergang zu den trendigeren Bars waren, kamen wir auf ein, zwei Bier her. In der ›Flotte‹ trafen gewölbte Buntglasfenster auf Gelsenkirchener Barock, schummerige Beleuchtung und den Zigarettenmief vergangener Tage. Am Tresen saßen jeden Abend einige greise Alkoholiker, mit denen der Wirt Willi ein Kölsch nach dem anderen kippte. Einerseits fanden Mike, Katti und ich die Atmosphäre in der ›Flotte‹ deprimierend, andererseits auch faszinierend.

»Diese Eckkneipen sind ein Stück Kulturgeschichte«, hatte Mike mal gesagt. »Wenn Willi nicht mehr ist, sollte man die ›Flotte‹ als Museumskneipe weiter betreiben und die Alt-Alkis dauerhaft engagieren.«

Katti und ich hatten voller Inbrunst zugestimmt.

Heute saßen wir an unserem Lieblingstisch, dem schweren Ecktisch mit gepolsterter Eckbank, von dem aus man die Kneipe und ihre Besucher in ihrer ganzen Pracht überblicken konnte. Für Freitagabend war wenig los, außer uns und den Stammgästen saßen nur eine Gruppe junger Männer und ein wohlgenährtes Paar in den Sechzigern an den Tischen. Das Jungvolk hatte es vermutlich wegen der unglaublich niedrigen Bierpreise hierher verschlagen. Na, sollten sie, mit ihren ständigen Lachsalven sorgten sie für Stimmung.

»Das Stadtleben von seiner besten Seite«, sinnierte Mike. »Ich weiß gar nicht, wie wir es zwei Wochen ohne die ›Flotte‹ schaffen sollen, Anne.«

Ich verzog das Gesicht. »Ohne die ›Flotte‹ schaffe ich es mühelos, aber ohne die Stadt? Ich leide jetzt schon unter Shoppingentzugserscheinungen. Und ich habe nach wie vor überhaupt keine Lust auf unseren Trip.«

Mike rieb sich die Hände. »Ich freue mich auf unseren Urlaub! Inspiration an jeder Ecke. Ich plane eine Serie von ländlichen Szenen. Vielleicht ein Dorffest oder ein Erntebild oder eine Heiligenprozession … Ich bin sehr gespannt, was uns alles begegnet.«

»Igitt.« Katti schüttelte sich. »Diese ländlichen Szenen kann ich mir vorstellen. Und im Hintergrund schlägt dann wieder jemand dem anderen den Kopf ab oder eine arme Bäuerin hängt sich auf oder Kühe verenden in Scharen. Von deinen Bildern kriege ich Albträume.«

»Warum? Meine Bilder zeigen, wie schön die Welt trotz all ihrer Schattenseiten ist. Das ist eine tröstliche Botschaft!«

»Blödsinn. Du malst perfekte Idyllen und auf den zweiten Blick sind da überall gruselige Details. Du zeigst, dass der Schrecken überall lauert.«

»Armer Mike.« Ich strich ihm mütterlich über seine schulterlange, karamellfarbene Mähne. »Immer wirst du missverstanden. Und dann lernst du auch noch Frauen kennen, die dich fragen, ob du ihnen nicht mal was für ihre Wohnung in Pink und Türkis malen kannst.«

Katti und ich wieherten um die Wette. Mike hatte sich im letzten Monat ein paar Mal mit einer Studentin getroffen und zunächst ziemlich von ihr geschwärmt. Aber nach besagter Frage war bei Mike der Ofen aus gewesen. »Sie versteht überhaupt nicht, was ich tue!«, hatte er uns erklärt. »Wenn sie was in Pink und Türkis will, soll sie ins Möbelkaufhaus gehen oder sich ein Poster bestellen.«

»So eine blöde Frage traue ich Davina auch zu«, sagte Katti. »Die Gute ist zwar mega-sportlich, aber nicht besonders helle. Neulich habe ich Oliver und sie in der Stadt getroffen. Oliver und ich haben uns über das neue Theater unterhalten und Davina hat gesagt, sie fände Theater langweilig, wenn überhaupt, würde sie sich nur Musicals angucken. Wie dämlich ist denn bitte so eine Pauschalaussage?«

»Ach, lass uns nicht über Davina lästern«, bat ich. »Das haben wir schon so oft gemacht und im Grunde kann sie ja nichts dafür, dass Oliver ein Idiot ist. Wäre sie meine Fitnesstrainerin und nicht die Neue meines Ex-Mannes, würde ich sie vielleicht sogar mögen. Wer weiß.«

Ende der Leseprobe