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Die Gegenwart Gottes in der Natur liegt diesem Buch "Landschaft erleben als Christ" zugrunde. Wer draussen mit wachen Sinnen wandert, wird von dieser schöpferischen Kraft erfasst. Die davon Ergriffenen antworten mit Anbetung, Dank und singendem Lobpreis. Eduard Schweingruber entrollt hier nüchtern und kristallklar, wie Natur spirituell erfahrbar ist. Der Verfasser von sieben weiteren theologisch-psychologischen Büchern wirkte als reformierter Pfarrer in der Zürcher Seegemeinde Kilchberg. Die Wechselwirkung von Geist und Natur beschäftigte Eduard Schweingruber sein Leben lang. Als ihm der Herausgeber als Sekundarschüler im Religionsunterricht begegnete, bestimmten bereits Bibelkunde und Naturkunde den Stoff. Singend über die Allgegenwart Gottes zu meditieren war nebst Seelsorge und Predigt ein Hauptanliegen des Autors. Fünfzig Jahre nach dessen Heimgang liegt sein vergessenes Manuskript hier als Buch vor.
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Für alle Kilchbergerinnen und Kilchberger, die sich noch erinnern.
Das erste Ereignis: Landschaft ist da
Diese Umwelt umfängt mich und erfüllt mich – jetzt hier
Ich gelange in einen gelösten und geöffneten Zustand
Es begibt sich Übereinstimmung, Zusammenklang zwischen mir und der mich jetzt und hier umgebenden Welt
Das sichtbar Vorliegende wird Bild
Das Bild zieht mich in Bann und Begegnung
Zwischenspiel:
Wir sind Teilnehmer am hohen Mahl der Erde
Das zweite Ereignis: Gott ist da
Die dreifache Wahrheit ersteht zu Eigenleben
Die geschaute Landschaft gewinnt ihre Daseinstiefe und einen Abglanz göttlichen Lichts
Der Christus wird geistnah
Hier ist der Raum für den Raumlosen
Gegenwärtig
In seinen Schöpfungswerken ist Gott zugegen
In dem Christus, seinem Sohn, gibt sich Gott gegenwärtig
Betend gelangen wir in eine Verbindung, einen Kontakt mit dem nahegewordenen Gott
Angesichts der Natur in der Bibel lesen
Durch Meditation kann uns Berührung geschenkt werden
Es befällt uns überraschend der Eindruck, eine göttliche Macht und Hoheit sei um die Wege
Wo Unendlichkeit, wo übergroße Schönheit, da tritt uns Gott entgegen
Das einmalige Gott-Mensch-Geschehnis gilt
Der Christ lernt reines Empfangen
Es übernimmt uns der Aufschwung des Lobpreisens
Andersartige Reihenfolgen
Zur Gegenwärtigkeitserfahrung kommt es eine Zeitlang später
Das Ereignis Landschaft entspringt dem Kontakt mit Gott
Das Landschaftserlebnis kann sich erst entfalten, nachdem Christusnähe befreiend gewirkt hat
Nachwort
Kurzbiografie
Werkverzeichnis
Kleiner Bericht
Der betagte Eduard Schweingruber übergab mir 1973 dieses Manuskript, weil er hoffte, dass ich einen Verleger finden würde. Dies gelang mir aus verschiedenen Gründen nicht. Fünf Jahrzehnte warteten seine auf der Schreibmaschine getippten Seiten in meiner Bibliothek auf Layout und Druckerpresse. Nun bin ich ebenso alt und habe Muße, das letzte Buch von Pfarrer Schweingruber herauszugeben. Es behandelt die Wechselwirkung von Natur (Landschaft) und Geist. Philosophisch ausgedrückt: von Welt und Transzendenz, hier aus der Sicht eines überzeugten Christen.
Der Rede und Schrift beherrschende Geistliche veröffentlichte sieben Bücher. Als junger Seelsorger in seinem Kurheim «Kardia» bei Gais, welches seine Frau als Ärztin betreute, vertiefte er sachtextlich psychologische Erfahrungen und theologische Einsichten. Nach dem Verkauf des Kurhauses mitten im Krieg folgte er dem Ruf als Pfarrer nach Kilchberg. Dort waltete er 22 Jahre lang als wortgewaltiger Prediger und ernsthafter Gottsucher seines Amtes. In seinem Ruhestand erschienen noch zwei Bände aus dem Fundus seiner Predigten. Meisterhaft durchleuchtet er die Motive und den Charakter biblischer Gestalten. Man mag sich fragen, was ihn bewog, dieses hier vorliegende Spätwerk hinzuzufügen. Nebst Muße und Liebe zur Landschaft am Zürichsee vielleicht die Nähe zu Conrad Ferdinand Meyer? Eduard Schweingrubers Studierzimmer befand sich im Dachgeschoss des Hauses des berühmten Dichters von «Firnelicht», «Zwei Segel» und «Requiem», Landschaftslyrik alle drei. Vom Schreibtisch aus überblickte er den See, seinen bewaldeten Rücken und die Glarner-Alpen. Um ungestört zu arbeiten, begab er sich in die Einsamkeit, um «Landschaft erleben als Christ» zu Papier zu bringen: dieses wortmächtige Finale eines von der Schöpfung lebenslang ergriffenen Geistlichen und Seelenhirten.
Als 15-Jähriger erfuhr ich durch Eduard Schweingrubers Religionsunterricht, wie das Weltall funktioniert. Er redete über Planeten, Galaxien, Licht, Goethes Farbenlehre und dessen Urpflanze. Über Psychologie, Unbewusstes und Bewusstsein klärte er uns auf. Traktur und Pfeifenregister der großen Kilchberger-Orgel führte er vor, und gern nahm er seine Handharmonika ins Klassenzimmer mit. Die Verbindung Bibelkunde versus Naturerfahrung machte seinen Unterricht für mich richtig spannend. Meiner Mutter redete der Theologe ins Herz. Sie besaß und las alle seine Schriften, was mich als Schüler aufmerksam machte. Der Titel «Pubertät» tat es mir an, während sie sich eher für «Frauenart» interessierte. Mit 18 fuhr ich den Pfarrer sonntags zur Predigt, die er als Pensionierter zuweilen in Oberrieden halten durfte.
Dieses Buch bringt Natur und Geist zusammen: Naturgesetze formen die Welt, ermöglichen Landschaften und Lichterscheinungen. Alles Greifbare ist berechenbar, jedoch eingebettet in Geistiges, aus dem die physikalischen Gesetze letzten Endes hervorgehen. Ein «Umgreifendes» durchwaltet den Kosmos und die Quantenphysik, biblisch verstanden als Ur-Wort, auf dem die Natur beruht. «Im Anfang war das Wort … Alles ist durch das Wort … in ihm war das Leben …» Joh. 1,1–4. Schweingruber stellt dieses Wort in den biblischen Kontext: Der Allmächtige ist zeitlos am Werk, mithin auch jetzt. Durch Jesus, den historischen Menschen und den emporgehobenen Christus wird Gott nahbar. Naturerfahrung fördert Zwiesprache mit dem Höchsten. Landschaftsbilder begünstigen Anmutungen und Lobpreisung wird hier Ereignis. Der Autor nennt Bedingungen hierzu. Die Lesenden erfahren durch die nach innen-oben führende Meditation herrlicher Naturbilder die Gewissheit eines Sängers von Psalm 139: «Herr, wie wunderbar sind deine Werke … von allen Seiten umgibst du mich.» Wir erinnern uns an den frohen Schulgesang des kristallenen Lieds 162 von Gerhard Tersteegen «Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten …», das unser Pfarrer mit seiner Handharmonika vor 50 Jahren anstimmte. Unvergesslich – und hier frisch gegenwärtig!
Bruno Fricker, Sommer 2022
Anmerkung des Herausgebers:
Aus Respekt vor dem Duktus des Autors folgt auch die Orthografie und die Interpunktion dem Originalmanuskript. Selbstverständlich sind in den Büchern Schweingrubers die Frauen gleichwertig mitgemeint, obgleich hier der Autor, wie damals üblich, das generische Maskulinum verwendet.
Landschaft zu erleben, steht uns nicht jederzeit zur Verfügung , und nicht nach unserem Belieben. Es trägt dies den Charakter von Ereignissen an sich, ob bemerkt oder ungemerkt. Ereignis heißt: es kommt zu uns, wann es kommt, als von sich aus; und über uns als etwas, das uns persönlich trifft und angeht.
Zwei verschiedene Vorgänge können es sein, die das ausmachen. Den einen möchten wir den befreienden nennen, den andern den fesselnden. Beide Bezeichnungen sind bloß Kennmarken, nicht aber schon genügende Wesensbeschriebe. Und diese wollen auch nur angesehen werden als zusammengezogene Grundrisse, die in allen individuellen Varianten erlebt werden können.
Der erste Vorgang ist uns allen bekannt. In jeder Gegend kann er stattfinden, wo immer es sei.
Wir hoffen, dass in den Lesenden schon bald einmal anschauliche Erinnerungen aufsteigen, sodass sie unsere Darlegungen angesichts wirklicher Landschaften und inmitten von Selbsterlebtem entgegennehmen. Was wir berichten, stammt ja auch aus lauter Erfahrenem.
Wir sind irgendwo draußen, oder allenfalls am offenen Fenster. Da begibt es sich. Was?
Diese Umwelt umfängt mich und erfüllt mich – jetzt hier
Plötzlich sogleich oder allmählich. Es ist meistens ein allgemeiner Eindruck, der sich meiner bemächtigt. Das große Blickfeld; die ruhige oder energische Formgebung dieses Stücks Erdoberfläche; das Halbrund, das mich wohltuend umschließt; der unabsehbare Luftraum mit seinen Farben oder seinen Wolkengebilden; über allem das Licht, das aufleuchtende des Morgens, das stillstehende des Mittags, das lautlos schwindende des Abends. Rauschender Wald, vielstimmiger Vogelsang, wohlige Wärme. Jede Jahreszeit besitzt und bestätigt ihre eigene Ausströmung. Durch die Augen, das Gehör, die empfindende Haut, den Atem dringt die Außenwelt in mich ein, umfängt mich und füllt sich in mich herein. Sie durchwirkt meine Sinne und mein Gemüt.
Ich gelange in einen gelösten und geöffneten Zustand
Losgelöst von Aufgaben und Besorgtheiten, geöffnet für die Einflüsse, Einfließungen dieser Natur, von allen Seiten. Auch innen schließt es mich auf. Gefühle und Bilder regen sich, wie ein Aufwachen nach langem Schlaf geschieht es an ihnen. Ideen und Impulse gewinnen ungehindert Platz. Das einfache, bedingungslose Menschsein darf blühen, Tiefstes und Höchstes leuchtend und intensiv werden, bis in meine verborgenen Beziehungen zum Göttlichen. Ein unsagbares Befreitsein kommt über mich. Je nach Anlage, Temperament, geistiger Grundhaltung und derzeitiger Lebenssituation nimmt es mich in eine Versunkenheit entspannter Ruhe, vielleicht einer gründigen, befriedeten Ruhe. Oder in deren Gegenstück, in eine angeregte Verfassung, in die Munterkeit bis zu Hochstimmung und Überschwang. Freude am Spielen, Antrieb zum Wandern, Lust zum Singen, Tanzen, Musizieren, Jodeln, Jubeln, zum Verse Aufsagen oder Improvisieren, zum Plaudern, Erzählen, zum pflichtfreien Tätigsein, zu aller äußern und innern Bewegtheit erfassen mich und tragen mich mit sich fort, ohne Erwägungen und Entschließungen meinerseits. So Begabten werden dies die Stunden geistiger oder künstlerischer Produktivität.
Diese Landschaft hat Gewalt über mich. Dieser mit lauter oder stiller Lebendigkeit und mit Anreizen gefüllte Umraum ist für eine Weile lang die Atmosphäre meines Vorhandenseins geworden. Mein ganzes Wesen ist durchlässig. Und Wohlbefinden, Wohlbehagen durchpulst oder durchruht mich.
Solches Gelöst- und Aufgetanwerden vom freien Draußen her eignet sich gut zur Gemeinsamkeit mit andern, einigermaßen gleichartigen Gefährten, und ereignet sich oft und gerne in Gemeinschaft. Es vermag aber ebenso fest und festlich den alleinigsten Solisten übernehmen. Ob einzeln oder zusammen erfahren, aus diesem Zustand erwächst noch etwas sehr Schönes.
Es begibt sich Übereinstimmung, Zusammenklang zwischen mir und der mich jetzt und hier umgebenden Welt
Meine Sinne und mein Gemüt erweisen und verwirklichen ihr schöpfungstiefes Zusammenpassen mit dieser geschaffenen Welt. Diese Welt passt und gehört zu mir, dem in sie hineingeborenen, in ihr wohnenden und wandernden Menschen. Auch wenn es jetzt keine bestimmten und genauen Dinge und Erscheinungsbilder sind, die mich anziehen und festhalten, mein Da-Sein im Bereich dieser Landschaft ist starkes Geschehen. Sie ist es, die mich beschlagnahmt, durchlebt, mich aus dem allzu vielen andern wegholt, auch von mir selber wegholt, und mich geschöpflich eins werden lässt mit ihr. Ich sitze am reichen Mahl der Erde, das heute für mich gerüstet ist. Ich werde erquickt und wie neu geschaffen. Und weiß mich unsäglich beschenkt. Ich bin gelöst mich selber und zugleich ein Teil der mich umfassenden Einheit-Gesamtheit. Dieses Zusammenklingen verschafft mir ein erweitertes und vertieftes, ein sinnvollstes Wohlergehen. Die Übereinstimmung durchwaltet auch mich selber; meine Seele, mein Leib, mein Geist wissen und fühlen sich untereinander eins.
Auch dann erlebe ich mich als dazu gehörig und mitklingend, wenn nicht erhabene oder liebliche Landschaft mich in sich hereinnimmt, sondern eine, in der Sturmund Gewittergewalten wüten und wühlen. Ob mich das Erschrecken vor solchen Größenordnungen erstaunt und wortlos macht, oder mich aufjauchzen lässt – denn auch das kann unser unwillkürliches Antwortverhalten sein – ich weiß in mir drin: auch dies ist Anteilhabe! Und gerade als derart starke Gegebenheiten, die sich mir weitergeben, befreien sie mich von mir selber zu mir selber und zu dem Zusammengehören und Einklang mit dem Großen und mit dem Ganzen. Auch da bin ich Tischgenosse am Mahl der Erde.
So geschieht es. Draußen, unter dem freien Himmel, wenn es mich erfasst, bin ich der von ringsum Beschenkte. Das belebt mich; mehr noch: es erhebt, erhöht, steigert mich. Ungesucht münde ich ein in eine grundfließende Dankgestimmtheit. Diese Gehobenheit und Dankbarkeit werden mich weit über die Stunde, den Tag, die helle oder dunkle Nacht des Erlebens hinaus begleiten. In der Erinnerung werden sie vorhanden bleiben, und zu gewährten Zeiten wieder aufrufbar und gefühlsfrisch gegenwärtig sein, diese Erfahrung meiner Erhöhung und jenes ursprungshafte, beglückte Gefühl, vom Außen und Innen der Welt her ein Empfangender und Durchströmter gewesen zu sein. –
Damit sprachen wir von der einen Art des Ereignisses: Landschaft ist da. Von der Art, die uns entbindet, uns in eine nur so erlebbare Freiheit und Frohheit versetzt, und in diese problemlose Verfassung von Übereinstimmung und Zusammenklang. –
Den andern Vorgang, durch den Landschaft für uns in eine ihr eigentümliche Form von Da-Sein gelangt, bezeichnen wir mit dem Stichwort fesselnd. Was geht da vor? Nicht mehr ist es ein allgemeiner Eindruck, der auf uns seinen Gesamteinfluss ausübt, sondern etwas sehr Bestimmtes, Bestimmbares begibt sich.
Das sichtbar Vorliegende wird Bild
Diese Wertempfindungen und -gefühle für das Schauen und Gernbetrachten haben ihr vielfältiges, subtiles Wurzelwerk in allen Funktionsbereichen unserer Seele, der Leiblichkeit und des Geistes. Das Unbewusste und Nichtmehr-Gewusste wirken noch maßgeblicher hinein als das bewusste Denken und Wollen, und als das Angelernte. Objektive Grundrisse für Formwerte sind uns mitgegeben, subjektive Tarife des Gernhabens sind gleichfalls in Mitwirkung und mächtig. Immer aber geschieht es: was mir, dem Betrachter, als Bild entgegentritt und gegenübersteht, hat schon ein Echo aus meiner Innenwelt in sich aufgenommen. Das Bild im eigentlichen und besondern Sinn, als dieses schauungserzeugende Etwas, entsteht allezeit in zwei Augenpaaren, den äußern und den innern. Was ich anschauen muss, ist nie nur jenes Objekt entfernt vor mir, sondern ich selber bin auch schon mit etwas Wesentlichem von mir dort drüben drin!
Zum Bildcharakter gehört erstens dieses geheime Zusammenpassen mit innern Vorstellungen und Wünschen, sodann auch eine spürbare und nachvollziehbare Einheit des zu Sehenden. Zusammenschaubarkeit können wir das heißen. Während im Bild als Kunstwerk des Malers diese Einheit durch gegenseitige Bezüge und Beziehungen formaler und inhaltlicher Art erzeugt und aufgebaut wird, besitzt das Bild als Naturwerk grundlegend eine andere tragende Einheitskraft. Das Vorhandensein all dieser Einzelheiten in diesem gleichen und einen Blickfeld, richtiger gesagt: deren gemeinsames Vorhandensein in diesem Stück Natur, in diesem so gewordenen Wirklichkeitsraum, zutiefst das Gewachsensein und Entstandensein solcher Vielgestaltigkeit aus ein und demselben Naturuntergrund begründet die Macht und den Zauber des Zusammengehörens. Das gemeinsame Dasein und Natursein schafft die Einheit des Landschaftsbildes. Wirkt harmonisches Zusammenpassen auf uns als wohltuend und erstaunlich, so zeugen die unfasslichen, ja bizarrsten Kontraste von einer unsichtbaren Energie und Dynamik, die derart alles zu enthalten und zu umschließen vermag.
Damit verwandt ist das folgende Erleben. Ist eine Landschaft für uns zum schaubaren Bild geworden, so stehen wir auch dem seltsamen Reiz gegenüber: dies alles ist Wirklichkeit, sichtbare, greifbare, messbare physikalische, geologische, botanische Tatsächlichkeit, und als eben diese Tatsächlichkeit eine derartig reine, schöne Erscheinung. Die Materie erzeugt das Bild. Materie ist Bild, Bild ist Materie. Greifbarer Stoff produziert ungreifbar Seelenhaftes. Die Natur steigt auf, blüht und glüht auf in ein Geistiges, in das Bild!
Zum Wesen des Bildes, auch dem der Landschaft, zählt sich auch dies. Es ist nie ein totes Gegenüber, ein lebloses Objekt. Sondern es ist geladen mit eigener Ausstrahlung, mit Bewegung; es kommt etwas von ihm auf uns zu. Mögen wir imstande sein, diese Ausstrahlungen als eigentliche Zurückstrahlungen unserer eigenen psychischen Dynamis zu erklären, so ist dem Erleben rein nichts weggenommen. Es wäre damit nur wiederum festgestellt, dass von unserer Psyche her Lebendiges auf die vorliegenden Dinge ausgesendet werden muss, damit Berührung und Schau entsteht.
Wir gehen im Beschreiben des Bilderlebens nicht zu weit, wenn wir die Erfahrung so wiedergeben: Bild ist etwas Erscheinendes, das uns selber anschaut. Echtes Bild hat, nein, es ist selber Gesicht. Das Bild ist unser visueller Austauschpartner, Gesprächspartner. Wir sind zwei Lebewesen in gegenseitiger Beziehung und Gemeinschaft. Wir reden es ja auch sprachlich als lebendiges Du an. Und dies ist alles andere denn verjährte Kindlichkeit.
Während beim ersten Weg zum wirksamen Dasein von Landschaft diese pauschal bleibt, führt der zweite Weg gerade dahin, dass sie uns persönlich entgegentritt als ihre eigene, eigenartige, eigentätige Erscheinung, als ein Individuum. Sie geht durch mein äußeres und inneres Auge hindurch auf mich zu als ihre wunderhafte Selbstdarstellung, als sich selber uns zeigendes Dasein, Sosein. Ein Stück, ein Ausschnitt Natur ist in einem Geschehen das Gezeigte und das sich Zeigende, die Schenkerin und das Geschenk.
Der bisherigen Darstellung über die Bildwerdung der Landschaft haftet Einseitigkeit an. Es stimmt, das alles wird vorherrschend visuell, mit den Augen aufgenommen. Nicht aber darf vergessen werden: dieses Schaubare muss keineswegs eine lautlose Angelegenheit sein. Der Gesang oder Ruf eines oder vieler Vögel, das Summen der schwebenden Insekten, das Rauschen der Bäume und der Wasser, das Rinnen des Bächleins, Lispeln der Gräser, das Donnern der Lawinen, das Knallen von aufspringendem Felsgestein, alles, was in der freien Natur an Hörbarem vor sich geht, hat auch Teil, und zwar unentbehrlich, an unserm Erleben einer Landschaft. Wem ein fein entwickelter Hörsinn eignet, der erlebt dann auch deren Abwesenheit, erlebt die große Stille als etwas, das er hört.
Stille muss nicht Leere, nicht nichts sein, sondern kann für Ohr und Gefühl etwas die Welt und die Stunde Ausfüllendes sein. Wir neigen zu der Auffassung, meistens erklinge dann, sogar wenn unbeachtet, die uns angeborene innere Musik. Die Griechen hörten in der Mittagsstille, der Stunde des Pan, das Spiel seiner Flöte!
Und alle Zustände und Bewegungen der Luft, vom Atem und von der Haut wahrgenommen, sind aktive Mitspieler in unserm Aufnehmen einer Landschaft. Im Erfasstwerden und Erfassen von Ferne und Weite und Höhe ist es vorwiegend unsere Körperempfindung, die erlebt. Wenn wir fast ausschließlich vom Bilde sprechen, so deshalb, weil es das charakteristische Gepräge unserer Landschaftserfahrung ausmacht; aber auch, weil darüber am anschaulichsten, am genausten und am sachlichsten mit Wörtern verhandelt werden kann.
Die schaubar gewordene Landschaft kann auf verschiedene Arten erlebt werden. Abgesehen von den individuellen Tönungen wie in allem menschlichen Erleben und Handeln, spielen die vorhandenen Interessensrichtungen maßgeblich mit und bestimmen beim Aufnehmen der Eindrücke deren Auswahl. Das kann völlig unbeachtet und ungewollt vor sich gehen, kann aber auch in wissender Einstellung vollzogen werden.
Da gibt es eine sehr häufige; sie ist auf jedem Aussichtsplatz zu beobachten, vielfach auch in Ausrufen wohl zu hören. Nennen wir sie das einfache Sinnesund Gemütserlebnis. Es ist das Gesamtbild, und es sind auffallende Sichtbarkeiten. Die Weite, die erhabene Höhe, der Blick in die Tiefe, die Lichtfülle, das Blau des Himmels, das ausgebreitete Weiß des Schnees, die grüne Farbe als Kennzeichen der großen und kleinen Pflanzenwelt; das Nahe und das Ferne, die hingestreuten Ortschaften; fahrende Schiffe; vielleicht auch weidende Tierherden. Sicher die Flugkunst und das Spiel der Vögel, ihre regelhaften Formationen. Also deutlich und unmittelbar zu Sehendes, nicht zu Übersehendes. Gefallend in den Farben, im Glanz, in der Zusammenstellung. Die Augen nehmen es auf, wie es daliegt; das Gemüt geht mit den Augen zusammen. Der Anblick wird als Bild erlebt, das Bild in seiner Schaubarkeit, seiner Wunderhaftigkeit. Es gibt nicht nur Umwelt um mich, sondern fesselndes Gegenüber. Aber die Betrachtungsweise ist unwillkürlich, ohne Gesichtspunkte, gleichsam programmlos.
Wir möchten recht verstanden werden. Diese einfache Erlebnisform ist nicht gering zu schätzen, auch wenn sie die der Kinder und der unkomplizierten Erwachsenen ist. Sie ist zugleich auch der natürliche Beginn des Schauens und bleibt, soll bleiben, der unverlierbare Grundvorgang des Hereinkommenlassens.
Eine andere Weise. Die erdkundliche Betrachtung. Also die geographische und geologische. Man möchte oder kann das zu Sehende kennen und benennen, die Orte, die Flüsse, die Gipfel, die Täler, die Inseln, die Himmelsrichtungen, auch die Entfernungen. Es muss dies kein kaltes Wissen und Wissenwollen sein. Es ist Intellekt, aber selten oder nie er allein. Sehr gemütshaft, liebevoll, wie seine Verwandten und Freunde kennen möchtend und beglückt geschieht solche Orientierung. Gleichzeitig werden der Raum und das Licht und die Erdformen beachtet und empfunden. Es wird echt Landschaft erlebt.
Wie beliebt und umstanden solche Kenner der Aussicht sind, ist auf jedem Turm oder Berg ersichtlich.
Dem geographischen Landschaftserfasser ist etwa einmal anzumerken: derartige Orientierung betrifft nicht nur die äußere Welt, es wirkt das Bedürfnis mit, sich zugleich inwendig, geistig-seelisch, zurechtzufinden und einzuordnen im konkreten Dasein und Daseienden.
Noch etwas ist an diesen Menschen zu spüren. Nämlich, wie der Name eines Dinges oder Wesens immer noch ein Zauberwort ist, das zu kennen besitzfroh macht und ein gewisses geistiges Machtgefühl verleiht!