Langeweile - Isabella Feimer - E-Book

Langeweile E-Book

Isabella Feimer

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Beschreibung

"Ein Mangel ist die Langeweile, egal, aus welcher Perspektive man sie betrachtet, auch der Wunsch nach einem tröstlichen Nichts, einem Fallenlassen und danach, dass man aufgefangen wird." Nichts fürchten wir mehr als die Langeweile. Wir sollen, wir müssen, wir könnten doch. In einer Gesellschaft, die Wert in Produktivität, Geschwindigkeit und Erfolg misst, misstrauen wir der Stille, der Langsamkeit, dem Warten. Langeweile ist Antithese in Reinform: ein leerer Raum ohne Ablenkung, den es zu füllen, eine verunsichernde Emotion, die es abzuschütteln, eine Zeitspanne, die es zu überbrücken gilt. Isabella Feimer setzt sich in einem Experiment der Langeweile bewusst aus und durchlebt sie mit all ihren Sinnen. Wie schmeckt, riecht, klingt dieser Zustand in Warteschleife? Wann verwandelt sich Nichtstun in Wut, wann in Kreativität? Zu vermeintlich eintöniger Tätigkeit verdammt, lässt Feimer ihren Gedanken, Wünschen, Ideen, Erinnerungen freien Lauf, stemmt sich Wort für Wort gegen das Diktat der ständigen Selbstoptimierung – und landet an einem Ort, an dem auf einmal alles möglich ist.

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Langeweile

Isabella Feimer

Denen gewidmet,die mir Langeweile schenkten.

„Was immer menschliches Leben, was immer in es eingeht, verwandelt sich sofort in eine Bedingung menschlicher Existenz.“

Hannah Arendt

„I need to say that what I am to describe has no existence.“

Virginia Woolf

Inhalt

Vorbemerkungen

Fallbewegung. Auslassungen. Modern Times. Heideggers Stimmung. Andere Fenster.

Das Leben

You can’t run and you can’t hide. Baudelaire und Benjamin. Isolation. Die Abramović-Methode. Time isn’t on my side. Schwindel. Wortkarg und windstill. I await.

Das Nichts

Warum warten. Survival Manual. Abwesenheit. Wüste. Das Vakuum befüllen. Gewaltpotential. Boreout. The Problem that has no Name. Frauen.

Und die Kunst

Schwebezustand. Sonntag. Selbstversuch „Sommertag“. I smile melancholia. Sehnsuchtsklänge. Tiere wie wir. Ein Lama, es spuckt. Weckung. Heartland.

Schlussbemerkung

Danksagung

Anmerkungen

Vorbemerkungen

Fallbewegung

Du denkst an einen Beginn, der keinen Schritt in Richtung eines Endes geht, denkst an das Ewiggleiche, das sich wie so ein Himmel, den man immer nur im selben Ausschnitt sieht, dir täglich zeigt und mit seinen Wolken spottet, denkst an dein Lieblingslied, das du zu oft gehört hast und nicht mehr hören kannst, weil es dich an Bitteres erinnert, denkst an das Kinderspiel, das du, ein launiger Tag ist es gewesen, erfunden, dann nach und nach verlernt und bald darauf vergessen hast, du denkst dir ein Strickmuster aus, das so vertrackt ist, dass man, ob glatt oder verkehrt, zwangsläufig einen Fehler macht und Unform oder Loses produziert, stellst dir einen Wassertropfen vor, der sich aus dem Hahn bewegen will, noch tropft er nicht, noch ist er in seinem Wollen gefangen, dann denkst du Langeweile, spürst sie als eine Welle Ozean, die dich überrascht und mit sich zieht, obwohl der feuchte Sand die Füße fest umschließt, du wirbelst mit dem Sog, er zieht dich tief, tiefer in ein Für- Immer-Nichts hinein, denn „when you’re bored – really bored – it feels like forever“1. Null-Linien-Langeweile weist weder Erinnerungsspuren noch Zukunftsfunken auf.

Eine Fallbewegung in ein Nichts hinein ist die Langeweile, ein Fallen aus der Zeit durch Zeit, die sich in die Länge zieht, tempus fallendum, die sich nicht und durch nichts vertreiben lässt, „wie Eis und Schnee den Leib, den sie umschlangen, verzehrt die Zeit mich mit der zähen Flut.“2

Auslassungen

Warum ich über Langeweile schreibe?

Jahre waren es, in denen ich mir eingeredet habe, dass mir nie langweilig sei, dass ich die Launen der Langeweile nicht kenne, der Geist wisse sich immer zu beschäftigen, selbst im Nichtstun sei er produktiv, so stellte und stemmte ich mich gegen Langeweile und ihre negative Konnotation, gegen ihren schlechten Ruf der Untätigkeit, mir dürfe nicht langweilig sein, redete ich mir als Kind meiner Zeit ein, nicht träge, nicht nutzlos. Doch mir darf und mir war. Langeweile, bin ich ehrlich, kenne ich von klein auf, in ihr bin ich groß geworden.

Ich schreibe über Langeweile, weil ich hinter die eigene Lüge blicken will, hinter die Täuschung, in der ich mich blenden ließ, und in die Auslassungen, die Lüge, Täuschung und Verweigerung mit sich brachten, auch weil ich der Langeweile einen Körper geben möchte, den ich ihr bislang verwehrt habe, weil ich sie durchschauen und entdecken möchte, verschlüsseln und poetisieren. „Boredom is the legitimate kingdom of the philanthropic“, schrieb Virginia Woolf im September 1918 in ihr Tagebuch, den Menschenliebenden sei die Langeweile ihr rechtmäßiges Königreich, während die spitzzüngige Dorothy Parker bemerkte: „The cure for boredom is curiosity.“

Ansichtssache Langeweile?

Eigene Neugierde – noch will ich sie nicht heilsam nennen – begleitet mich in das Thema, nimmt mich in seinen Wogen mit, im Tropfen, der im Fallen ist, um die Widerstände, die ihm schon spürbar anhaften, zu umschiffen, das voluminöse Eintönige, das seit Anbeginn der notierten Zeit durch die Gesellschaften, wohlgemerkt durch jene, die es sich leisten können, geistert.

Langeweile, das Gespenst ihrer jeweiligen Zeit?

Egal ob Geisterwesen oder nicht, Langeweile hat einen wandelbaren Charakter, hat viele Schichten, die sich über die Jahrhunderte übereinandergelegt haben, die sich am Zeitgeist nährten – Zeit und Langeweile gehen immer Hand in Hand, und Langeweile lässt auch manchen Raum, in dem man sich bewegt, verschwinden.

Ich schreibe über Langeweile, weil sie mich in ihrer Fülle mit Leere konfrontiert, mit der unerfüllten Suche nach dem Sinnhaftigkeit der Dinge und des Selbst, weil sie mich, wie es ihr eigen ist, auf mich zurückwirft, mir gleichermaßen Licht und Schatten zeigt.

Sinnliches will ich entlocken, das Vielstimmige, das aus ihr spricht und manchmal in ihr schweigt.

Auslassungen sind mir auch während meiner Recherche begegnet, in Gliedsätzen, Randnotizen und Fußnoten3 stieß ich darauf, dass es nur wenige Auseinandersetzungen von Frauen, Wissenschaftlerinnen und Philosophinnen über die Langeweile gibt, und das bis in die Gegenwart hinein.

Dermaßen männlich von Philosophie und Kunst besetzt, liegt es nahe, sich mit Fokus auf den weiblichen Blick dem Thema zu nähern, Texte von Frauen in den Mittelpunkt zu stellen, die Werke von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen – die Werke der Dichter, Denker und Künstler seien erwähnt, einige, ob ihrer historischen Relevanz, ausführlich besprochen –, aber auch fiktive Frauenfiguren in Hinblick auf Langeweile wahrzunehmen und die Frage zu stellen, wie das Weibliche in der Langeweile, hier vor allem von Männern, betrachtet wird und wie sie selbige betrachtet und erfährt.

Gibt es einen geschlechterspezifischen Unterschied in der Erfahrung dieses Phänomens?

Ausgehend von der eigenen Positionierung, Selbstversuchen in Langeweile und einem Tag, den mich meine Freundin Eva, selbst Wissenschaftlerin, in diesem Zustand verbringen ließ und mich mit diesbezüglichen Wahrnehmungsansätzen überraschte, begann die Auseinandersetzung mit der Vielschichtigkeit der Langeweile in den weiblichen Stimmen. Diese Stimmen füllten die Auslassungen und führten mich in das Jetzt, das dieses Buch in seinen Splittern erzählen will.

Modern Times

Um mit der zähen Flut der Langeweile in ihr Jetzt zu fallen, muss man zurück in die Geschichte schauen. Immer schon, so liegt die Vermutung nahe, war sie Bestandteil der abendländischen Kultur und zeigte sich als Beigeschmack saturierter Gesellschaften, als malaise mutiert im Zeitgeist der Epochen.

Die Römer kannten sie als taedium vitae, als Unlustempfindung im Überdruss, die Griechen als melancholia, Schwarzgalligkeit, die bereits bei Hippokrates Erwähnung findet und als Wehmut zu verstehen ist, „die der Betrachtung der Geschichte innewohnt, in der das Vergangene als unwiederbringlich vergangen scheint“4, und im theologischen Kontext des Mittelalters wurde in ihr die acedia, der Mittagsdämon der Sorglosigkeit, geweckt. Die Neuzeit schärfte den Begriff und gab dem Phänomen ihre bis in die Gegenwart gültigen Namen, boredom, Langeweile, ennui.5

Die Moderne, im Schatten der rauchenden Schornsteinschlote der Industrialisierung, veränderte das menschliche Sein in der Zeit und entzauberte die Welt, in der man sich nicht mehr verankert in Mythologie und Religion sah, die als kein Ganzes mehr betrachtet werden konnten, sondern lediglich in ihrer Fragmentierung. Langeweile wurde zum Fluch des modernen Menschen, der sich vom Alten abwendet und stets das Neue sucht, zur Krankheit des Individuums in ständiger Beschleunigung, zur Erfahrung ohne Eigenschaften.6

„Die Erfahrung ohne Eigenschaften ist die Plage des aufgeklärten Subjekts, dessen skeptische Distanz zu den Gewissheiten des Glaubens, der Überlieferung und der Empfindung die Unmittelbarkeit alltäglicher Sinnhaf- tigkeit aushöhlt oder unzugänglich macht“7, schreibt die im Fach der Rhetorik beheimatete Wissenschaftlerin Elizabeth S. Goodstein, eine der wenigen Frauen, die über Langeweile geschrieben haben, und hält fest, dass das an den Ufern des Begehrens gestrandete, dem Sinnverlust ergebene und in der Angst vor Schlimmerem verhaftete moderne Subjekt die Langeweile selbst als Glauben sieht.8

Mittelbar wird die Langeweile in der Moderne die existenzbestimmende Realität, die Zutat jeglichen Fühlens, eine Figur, dem Subjekt gleichgesetzt, wie in Johann Nepomuk Nestroys „Der Zerrissene“, die Zeit und Gesellschaft einen Spiegel vorhält: „Langweile heißt die enorm horrible Göttin, die gerade die Reichen zu ihrem Priestertum verdammt, Palais heißt ihr Tempel, Salon ihr Opferaltar, das laute Gamezen und das unterdrückte Gähnen ganzer Gesellschaften ist der Choral und die stille Andacht, mit der man sie verehrt.“9

Ihre Stimmung wird sie.

Heideggers Stimmung

Die Grundstimmung, die das Dasein im Ganzen verankert und die das Selbst auf sich zurückwirft und dabei entfremdet. Das Charakteristikum einer Epoche. Das Streben nach Freiheit über den Umweg der Angst. „Die tiefe Langeweile, in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin- und herziehend, rückt alle Dinge, Menschen und einen selbst mit ihnen in eine merkwürdige Gleichgültigkeit zusammen“10, stellte der deutsche Philosoph Martin Heidegger 1929 in seiner Vorlesung „Grundbegriffe der Metaphysik“, inmitten der Moderne zwischen Existenzialismus und Nihilismus, fest und manifestiert die Langeweile, die ihn in seinem Werk begleiten wird, als Stimmung, die das erstrebenswerte Nichts, ist man bereit, sich ihm zu stellen, in sich birgt. Als Vorstufe zur Angst, die als eine Art Brandbeschleuniger gesehen werden kann, um in den Kern des Daseins zu gelangen, schreibt Heidegger der Langeweile eine existenzbestimmende Bedeutung zu. „Wir ‚schweben‘ in Angst. Deutlicher: die Angst lässt uns schweben, weil sie das Seiende im Ganzen zum Entgleiten bringt.“11

Auch unterteilt er die Langeweile in drei Formen. Das „Gelangweilt werden von etwas“ steht im Zusammenhang mit einem äußeren Vorkommnis, wie etwa dem Warten auf einen Zug, und bezieht sich auf etwas oder jemanden, der einen langweilt. Das Selbst wird von der Zeit an sich hingehalten und sich der Leergelassenheit durch die Dinge gewahr. Das „Sich-langweilen bei etwas“ verzichtet auf einen konkreten Anlass im Außen, setzt die Langeweile in den Kontext der Ungebunden- heit, lässt das Selbst mit seiner Umgebung plätschern, sodass der Zeitvertreib misslingt und das Selbst sich in Leergelassenheit wiederfindet. Heidegger führt hierfür als Beispiel eine Abendgesellschaft an. Die dritte und tiefste Form der Langeweile, benannt als „es ist einem langweilig“, konfrontiert das Selbst mit einem Selbst in Gleichgültigkeit, mit einer grundlosen Hingehalten- heit in der Zeit und mit der Nicht-Fülle, die den Raum besetzt.

„Daher stellt sich auch nicht mehr die Frage, was der Mensch in dieser tieferen Langeweile noch tut“, fasst der deutsche Philosoph Philipp Wüschner zusammen, dessen Band „Die Entdeckung der Langeweile“ Heidegger ins Zentrum seiner Analyse rückt, „alles und nichts. Es spielt keine Rolle, womit man beschäftigt ist, wenn man an einem Sonntagnachmittag durch eine Großstadt geht, und es einem plötzlich langweilig ist, sodass man innehalten muss, weil einem der Weg als das Ziel in diesem Moment der Langeweile abhandengekommen ist. Wie soll man nach Hause finden, wenn sich die tiefe Langeweile ereignet und man irgendwo, irgendwie verloren gegangen ist.“12