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Um das Klima abzukühlen, steht derzeit die Reduktion von Treibhausgasen im Fokus der Politik. Doch gibt es noch weitere Lösungen? Bislang ist kaum bekannt, dass auch unsere Eingriffe in die Landschaft die globale Erwärmung verstärken. Der »kleine Wasserkreislauf« aus Bodenfeuchte, Verdunstung, Tau- und Wolkenbildung bestimmt wesentlich das Klima. Wo wir riesige Flächen entwässert und entwaldet haben, heizen trockene Böden die Luft auf. Ohne Bäume fehlt die Kühlung und es regnet weniger, Dürren und Hochwasser werden verstärkt. Aber wie können wir Landschaften so gestalten, dass sie das Klima regional oder als Ganzes wieder abkühlen, ohne Landwirtschaft und Ernährung zu gefährden? Einfache, günstige und großflächig anwendbare Möglichkeiten sind Agroforstwirtschaft und Wässersysteme nach dem Keyline-Ansatz. Es entstehen grüne Klimalandschaften, die Wasser so zirkulieren lassen, dass es seine Kühlwirkung auf das Klima entfaltet. Dürren und Hochwasser werden abgemildert. Gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern haben wir damit einen gewaltigen Hebel, mit dem nationale und europäische Klimaziele doch noch erreicht werden könnten. Dieses Buch macht Hoffnung: Es ergründet praxisnah und auf Basis neuester Forschungsergebnisse, wie das möglich ist.
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Seitenzahl: 340
Veröffentlichungsjahr: 2025
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© 2025 oekom verlag, München
oekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH
Goethestraße 28, 80336 München
+49 89 544184 – 200
Umschlagabbildung: © Philipp Gerhardt
Layout und Satz: Markus Miller
Korrektur: Maike Specht
Umschlaggestaltung: Sarah Schneider, oekom verlag
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 9783987266270
DOI https://doi.org/10.14512/9783987263910
Philipp Gerhardt, Sassa Franke
Langsames Wasser, kühlendes Grün
Klimalandschaften mit Agroforst und Keyline Design als Weg aus der Klimakrise
FürVinzenz, Fridolin und Ferdinand, Greta, Karl und Bruno.
1. Einleitung
TEIL EINS – Klima und Landschaft
2. Beeinflusst Landschaft das Klima?
2.1 Klima – ein komplexes System
2.1.1. Wetter oder Klima?
2.1.2. Klimawandel: natürlich oder vom Menschen gemacht?
2.1.3. Mikro-, Meso- und Makroklima
2.1.4. Schnittstelle Standortklima
2.2 Der Energiekreislauf der Erde
2.2.1. Die globale Strahlungsbilanz
2.2.2. Langwellige Strahlung
2.2.3. Fühlbare Wärme
2.2.4. Latente Wärme und Verdunstungswärmestrom
2.2.5. Die Rolle der Erdoberfläche
2.3 Verdunstung als wichtigstes Klimaelement?
2.4 Klimawirkung durch Rauigkeit und Turbulenz
2.5 Konvektion und Wolkenbildung
2.6 Wie Wälder Wind machen
2.6.1. Das Prinzip der biotischen Pumpe
2.6.2. Folgen für Makroklima und Landnutzung
3. Vegetation und Landschaft
3.1 Was Vegetation bewirken kann
3.2 Landschaften im Vergleich
3.2.1. Wälder
3.2.2. Offenland
3.2.3. Gehölzreiche Agrarlandschaften
3.3 Verstärkende und hemmende Einflüsse
3.4 Vegetation als System neu denken
4. Transformation von Landschaften
4.1 Wie Landschaften zu »Heizlandschaften« wurden
4.2 Klimalandschaften als Chance
5. Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Klimawirkung von Landschaften
5.1 Wälder als »Kühlelemente«
5.2 Wälder als »Wolkenfabriken«
5.3 Wald als »Regenmacher«
5.4 Kleine Gehölze – große Wirkung
5.5 Agroforststreifen als »Stabilisatoren«
5.6 Vegetation als Schlüsselelement
6. Klimalandschaften gestalten
6.1 Landschaftsumbau – aber wie?
6.2 Viel Wirkung für wenig Geld
6.3 Gestaltungsprinzipien einer Klimalandschaft
TEIL ZWEI – Landschaftswandel gestalten
7. Grüne Infrastruktur: Bäume auf den Acker!
7.1 Historische Wurzeln und Cottas Baumfeldwirtschaft
7.2 Agroforstwirtschaft heute
7.2.1. Agroforstwirtschaft in Deutschland
7.2.2. Ökologische und betriebliche Vorteile
7.2.3. Herausforderungen
7.3 Was Pionierbetriebe leisten
7.3.1. Hof Düpow – ein Familienbetrieb wertet die Landschaft auf
7.3.2. Der Lindenhof – Hofgemeinschaft mit Vielfalt
7.3.3. Wilmars Gärten – die erste Klimalandschaft Deutschlands
7.3.4. Wiederbegrünung braucht Expertise
7.3.5. Vom Pionierprojekt zum Landschaftswandel
8. Blaue Infrastruktur: Wässersysteme für eine klimaaktive Landwirtschaft
8.1 Wasser als Schlüssel der Klimalandschaft
8.2 Wasserkultur: So alt wie die Menschheit und aktueller denn je
8.2.1. Die Oberharzer Wasserkunst
8.2.2. Wasserallmenden – Nachhaltigkeit durch Gemeinschaft
8.3 Die Entstehung des Keyline Designs
8.4 Vom Keyline-Ansatz zu modernen Wässersystemen
8.5 Die Pioniere der neuen Wasserkultur
8.5.1. Der Hof Aebleten – ein Praxistest als Meilenstein
8.5.2. Der Katzhof – Wasserkultur als Gestaltungsprinzip
8.5.3. Entscheidende Entwicklungen
8.5.4. Hof Schreiber – Wasserrückhalt auf großen Flächen
8.6 Wasser in die Fläche bringen
9. Klimalandschaften kooperativ umsetzen
9.1 Landkreis Wolfenbüttel: Eine Region macht blau
9.2 Klimaresilienz in Neustadt a. d. Aisch-Bad Windsheim
9.3 Der Lassaner Winkel auf dem Weg zur Klimalandschaft
9.4 Transformation in der Bodenseeregion
9.5 Bedingungen für regionale Veränderungsprozesse
10. Ein Plan für Deutschland
10.1 Wie viel Klimalandschaft braucht das Klima?
10.2 Kosten und Finanzierung des Landschaftsumbaus
10.3 Fazit
Danke
Glossar
Anmerkungen
Literatur
Über den Autor und die Autorin
Wässersysteme wie hier auf dem Haldenhof bei Isny im Allgäu versickern Regen dort, wo er fällt. Sie schützen vor Hochwasser und Erosion, tragen zur Grundwasserbildung bei und versorgen neu gepflanzte Bäume mit Wasser. Können Sie auch einen Beitrag zur Kühlung des Klimas leisten?
Quelle: Martin Thierberger
Raus in die Natur? Unsere Landschaften sind eine Kulturleistung. Schon lange leben wir nicht mehr in einer natürlichen Umwelt. Was wir Natur nennen, sind Landschaften, die wir so gestaltet haben, dass sie uns dienen. Im Zuge dieser Zivilisierung wurden die Landschaften zu Lieferanten für Nahrung, Wohnraum, Wasser, Energie und Rohstoffe. Seit Jahrtausenden wurde die Landschaft in Mitteleuropa verändert. Holzknappheit und Not führten zu großen Entwaldungen. Mit der Industrialisierung vor etwa 200 Jahren wurden die Eingriffe weitreichender. Immense Energie stand durch die Förderung und Verbrennung von Kohle zur Verfügung, später auch von Erdöl und Erdgas. Und damit neue Möglichkeiten, die Landschaften noch stärker zu nutzen und tiefgreifender umzugestalten.
Durch die Verbrennung der fossilen Rohstoffe begann sich der Anteil von Treibhausgasen wie Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre zu erhöhen. Unsere Erde heizt sich auf. Die globale Erwärmung ist zur Klimakatastrophe geworden, die über Jahrhunderte weiterwirken wird, verstärkt durch das Überschreiten von Kipppunkten in unbekanntem Ausmaß. Unsere Lebensgrundlagen und damit Zivilisation sind in Gefahr.
Um den Klimawandel einzudämmen, müssen wir die Treibhausgase reduzieren. Das ist der Konsens in Klimawissenschaft, Politik, Medien und Gesellschaft – und wird einhellig als die zentrale Lösung gesehen.
Doch auch die von Menschen verursachten Landnutzungsänderungen der letzten Jahrhunderte beeinflussen das Klima. Wissenschaftlich umstritten ist jedoch, ob sich diese auch global auswirken, wie das bei den Treibhausgasen der Fall ist. Oder bleiben die Folgen auf die jeweiligen Regionen beschränkt, wenn Wälder abgeholzt, Flüsse begradigt, Feuchtgebiete entwässert und Flächen durch Häuser und Straßen versiegelt werden?
Interessant ist hier ein Blick auf die Agenda 21, die durch die Vereinten Nationen (UN) 1992 im brasilianischen Rio de Janeiro beschlossen wurde. Gemeinsam wollten die Regierungen gegen die zunehmende Schädigung unserer Umwelt vorgehen und verständigten sich auf drei getrennte Felder, in denen die UN weiter tätig sein sollte: den Verlust von Biodiversität, die Desertifikation, also Ausbreitung von Wüsten oder Versteppung, sowie den Kampf gegen die globale Erwärmung. Mit der Ratifizierung der Agenda 21 wurden diese drei Bereiche getrennt und mit einem je eigenen UN-Berichtswesen und separaten Abteilungen ausgebaut. Im Kyoto-Protokoll von 1997 wurde als Hauptursache des Klimawandels dann der Ausstoß von Treibhausgasen festgeschrieben. Von da an lag der alleinige Fokus darauf, die Treibhausgase in der Atmosphäre zu untersuchen und zu verringern.
Bemerkenswert ist, dass die UN die Prozesse der Versteppung oder Desertifikation als direkte Folge menschlicher Aktivitäten ansah, diese jedoch nicht als global klimawirksam beurteilte. So vertraten die Mitgliedstaaten die Meinung, dass Landnutzungsänderungen lokale Handlungsfelder seien, die nicht global wirkten und daher in den nationalen Zuständigkeitsbereich fielen. Als »lokale Themen« sollten sie daher nicht von der UN reguliert werden. Damit wurden von der anerkannten Klimawissenschaft mögliche Wirkungen von Landnutzungsänderungen in gängigen Klimamodellierungen stark vernachlässigt. Die biophysikalischen Effekte, die sich aus den Veränderungen des Energie- und Wasserkreislaufs der Erde ergeben, wurden als wenig bekannt und schwierig zu quantifizieren bezeichnet und die Komplexität der Zusammenhänge in Bezug auf das Klimageschehen wesentlich reduziert.1
Und doch zeigen zahlreiche Einzeluntersuchungen mittlerweile, dass Veränderungen von Vegetation, Verdunstung, Wasserkreisläufen und Wolkenbildung das Klima stark global beeinflussen – mit all den Rückkopplungen, die sich aus diesen biophysikalischen Prozessen ergeben. Das ist auch in den Klimawissenschaften bekannt, doch inwieweit es in den komplexen Modellierungen berücksichtigt werden kann, ist unklar. Stattdessen haben wir uns in den letzten Jahrzehnten darauf fokussiert, Treibhausgase als vornehmliche, wenn nicht gar einzige Ursache des Klimawandels anzusehen. Auch die Medien übernahmen dieses Narrativ, das mittlerweile weltweit die politischen Ziele, Klimagesetze und Maßnahmenprogramme bestimmt – zumindest in den Ländern, die nicht, wie etwa die derzeitige Trump-Regierung in den USA, den von Menschen verursachten Klimawandel an sich anzweifeln.
In der Öffentlichkeit ist daher kaum bekannt, dass nicht nur Klimagase wie CO2, sondern auch unsere Eingriffe in die Landschaft die globale Erwärmung mitverursachen und verstärken. Die meisten Menschen wissen kaum etwas über den kleinen Wasserkreislauf aus Bodenfeuchte, Verdunstung, Tau- und Wolkenbildung, und doch bestimmt er wesentlich unser Klima. Wo wir riesige Flächen entwässert, entwaldet und ackerbaulich nutzbar gemacht haben, heizen trockene Böden die Luft auf. Ohne Bäume fehlen Kühlung und Wassertransport; es regnet weniger, Dürren und Hochwasser werden verstärkt.
Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass Landschaftsveränderungen das Klima beeinflussen und zur globalen Erwärmung beitragen, dann müsste es umgekehrt auch möglich sein, durch eine andere Landschaftsgestaltung das Klima positiv zu beeinflussen, den Klimawandel zu verringern und uns besser an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Es ginge mit dieser Strategie also um Mitigation (Verringerung) und Adaption (Anpassung) zugleich.
Wenn dies möglich wäre, wie müssten Landschaften dann gestaltet werden, um in positiver Weise klimawirksam zu sein? Welche Maßnahmen wären geeignet, und welche Wirkung hätten diese? Wären sie überhaupt umsetzbar und finanzierbar? Und welche Flächen stünden dafür zur Verfügung?
Können wir genug Bäume pflanzen und Wasser zurückhalten, ohne Landwirtschaft und Ernährung zu gefährden? Und wäre dies auch im großen Maßstab umsetzbar – regional oder in ganz Deutschland? Vielleicht sogar europaweit oder global? Genau um diese Fragen dreht sich unser Buch.
Um zu beschreiben, wie wir unsere Umwelt, unsere Landschaften umgestalten müssten, nutzen wir den Begriff der Klimalandschaft. Wir verstehen darunter eine Landnutzung, die aktiv dem Klimaschutz dient und sich an den Klimawandel anpasst, umgesetzt durch das kooperative Zusammenwirken engagierter Akteure in einer Region. Sie dämpft klimatische Extreme durch Verdunstungskühlung, schließt Wasserkreisläufe, speichert Kohlenstoff in den Böden und der Vegetation und erhält die Artenvielfalt. Schäden durch Hochwasser und Starkregen sowie Trockenheit werden gemindert, die Grundwasserneubildung gestärkt, die Ertragssicherheit in der Landwirtschaft erhöht. Zentral ist für uns dabei aber die Bedeutung der Vegetation und des Wassers, da diese einen wesentlichen Steuermechanismus des Klimageschehens bilden.
Entstanden ist der Begriff der Klimalandschaften in den letzten Jahren in einem Netzwerk von Menschen, die sich mit den Zusammenhängen von Vegetation, Kühlung und Klimawandel auseinandergesetzt haben, darunter auch der Autor und die Autorin dieses Buchs. Beide eint das Verständnis und die Hoffnung, dass mit einer veränderten Landnutzung der Klimawandel abgemildert werden kann, dass kühlendes Grün der Hebel sein kann, zusammen mit langsamem Wasser, mit Niederschlägen, die vor Ort verteilt, versickert und gespeichert werden.
Philipp Gerhardt begann 2009, Baumpflanzungen in der Landwirtschaft zu planen und umzusetzen. Ab 2017 arbeitete er mit Maria Giménez und Julius Werner an der Umgestaltung des Betriebs »Wilmars Gärten« südlich von Berlin. Hier sollten die landwirtschaftlich genutzten Flächen aktiv den Klimawandel abmildern. Das Ziel war, eine produktive Klimalandschaft zu erschaffen, auch wenn der Begriff dafür erst etwas später gefunden wurde: Humus aufbauend, mit wasserrückhaltenden, kühlenden Agrarflächen, durchzogen von unterschiedlichen Baumstreifen für die Holz- und Obstproduktion.
Sassa Franke wiederum war seit 2021 Teil des »Netzwerk Klima-Landschaften«, einer losen Gruppe aus Wissenschaft, Praxis und Wirtschaft. Diese verband die Annahme, dass das durch Verdunstung und Transpiration hervorgerufene natürliche Kühlungspotenzial von Bäumen, Gehölzen und Bodenbedeckung bislang unterschätzt wird2 und mit dem Aufbau von Vegetation durch eine Wiederbegrünung der Welt3 und einem neuen Wasserparadigma4 der Klimawandel verlangsamt werden könnte. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, wurden zwei Konferenzen5 veranstaltet. In einem politischen Positionspapier wurde die Problematik prägnant umrissen:
»Die Wiederherstellung der atmosphärischen und terrestrischen Wasserkreisläufe in der Vegetation, den Böden und der Atmosphäre ist von größter Bedeutung für die Kühlung des Planeten. Nur so können Niederschlagsmuster stabilisiert sowie Hochwasser und Dürren verhindert werden – lokal, regional und global. Hierfür sind mehr Vegetation, fruchtbare Böden und Wasserretention in der Landnutzung unerlässlich. Generell brauchen wir einen Paradigmenwechsel, der die hydrologischen und klimakühlenden Wirkungen der Vegetation im Allgemeinen und der Wälder im Besonderen neben ihrem Kohlenstoffbindungspotenzial wertschätzt.«6
Wie ein solcher Paradigmenwechsel aussehen könnte und was es dafür braucht – diesen Fragen widmet sich unser Buch. Unsere Antwort auf den Punkt gebracht: Klimalandschaften gestalten! Denn sie sind ein Lösungsweg in und aus der Klimakrise, den wir in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen wollen.
Dafür nehmen wir Sie mit auf eine Reise, die uns im ersten Teil des Buches buchstäblich vom Wurzelraum der Bäume über ihre Blattöffnungen hinauf zu den Wolken bis an den Rand der eiskalten Stratosphäre führt – und uns dabei mit wissenschaftlichen Phänomenen wie dem Energiekreislauf der Erde, Verdunstungskühlung, Konvektion und Wolkenbildung vertraut machen wird. Deutlich wird, wie unsere heutigen Umgebungen zu Heizlandschaften geworden sind. Anhand von wissenschaftlichen Studien werden wir zeigen, dass Vegetation nachgewiesene Kühleffekte hat und wesentliche Gestaltungsprinzipien von Klimalandschaften daraus ableiten.
Im Text sind pro Kapitel die Begriffe farbig markiert, die nicht unbedingt allgemeinverständlich sind. Sie werden im Glossar im Anhang erläutert.
Im zweiten Teil des Buches wird es praktisch. Wir zeigen, was es braucht, um Klimalandschaften umzusetzen. Dazu gehen wir auf zwei ihrer wichtigsten Bausteine ausführlich ein – Agroforst- und Wässersysteme. Wir besuchen mutige Landwirtinnen und Landwirte, die auf ihren Höfen Neues gewagt haben, um der Klimakrise zu begegnen. Und wir lernen Akteure kennen, die bereits kooperativ zusammenwirken, damit ihre Regionen klimawirksam werden – vom Stettiner Haff bis zum Bodensee. Unsere Reise mündet in einen kühnen Vorschlag: einen »Plan für Deutschland« als Weg, wie Klimalandschaften so gestaltet und finanziert werden können, dass sie das Klima tatsächlich abkühlen.
Kumuluswolken über einem Bergwald zeigen die enormen Energiemengen, die durch latente Wärme bewegt werden.
Quelle: P. Gerhardt
Wer über Klima spricht, bewegt sich in einem der komplexesten Felder der Naturwissenschaft. Es sind viele Faktoren beteiligt mit gegenseitigen Rückkopplungen und räumlich-zeitlichen Unterschieden im Klimageschehen.
Wir konzentrieren uns auf wesentliche Elemente des Klimasystems und betrachten ausgewählte biophysikalische Teilaspekte wissenschaftlich fundiert – ohne den Anspruch, das gesamte Klimageschehen vollständig zu erklären. Denn dazu ist es zu vielschichtig. Es wären viele zusätzliche Einflussfaktoren zu berücksichtigen, wie etwa atmosphärenchemische, sozioökonomische oder politische Prozesse. Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Fokus nur einen Ausschnitt der Wirkzusammenhänge zum Thema Klima abbilden – aber gerade dieser Teil wurde bislang kaum wissenschaftlich untersucht und ist daher in der öffentlichen Diskussion weitgehend unbekannt geblieben. Er verdient deshalb eine vertiefte Betrachtung. Viele Aspekte – insbesondere die meteorologischen und global-klimatologischen Grundlagen – werden wir nur streifen oder bewusst vereinfachen. So wird es möglich, zentrale Wirkungen und Zusammenhänge verständlich darzustellen, ohne dabei die wissenschaftliche Substanz zu verlieren. Für eine umfassende Darstellung verweisen wir auf etablierte Fachliteratur.7 In diesem Kapitel arbeiten wir heraus, welche Prozesse in der Atmosphäre, an der Erdoberfläche und im Wasserkreislauf das Klima wesentlich beeinflussen. Welche Mechanismen dabei besonders wirksam sind, ist nicht immer offensichtlich – doch gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Prozesse im Klimasystem bislang unterschätzt wurden und dennoch das Potenzial bergen, Einfluss auf das größere Ganze zu nehmen. Im Folgenden wollen wir diesen auf der Grundlage von Forschungsergebnissen nachgehen. Nicht alle Antworten liegen schon vor, doch es zeigen sich viele Mechanismen und Beziehungen im Klimasystem, die für das Handeln der Menschheit neue Perspektiven eröffnen.
Ein Missverständnis sorgt immer wieder für Verwirrung und sei daher gleich zu Beginn ausgeräumt: Wetter ist nicht Klima.
So beschreibt Wetter den kurzfristigen Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Temperatur, Wind, Luftdruck, Bewölkung oder Niederschlag sind typische Wetterelemente, die sich oft innerhalb weniger Stunden ändern können. Klima hingegen wird durch statistische Eigenschaften der Atmosphäre bestimmt. Einbezogen werden Mittelwerte, Häufigkeiten, Dauer und Extremwerte meteorologischer Größen wie Temperatur oder Niederschlag über einen längeren Zeitraum von mindestens 30 Jahren. Während wir das Wetter unmittelbar erfahren, erschließen sich das Klima und dessen Veränderungen nur durch langfristige Beobachtungen und Datenauswertungen. Es ist also wichtig festzustellen, ob wir es mit flüchtigen Erscheinungen oder strukturellen Veränderungen zu tun haben.
Ein einzelner heißer Sommer oder ein strenger Winter beispielsweise sind Wetterphänomene. Erst wenn über Jahrzehnte hinweg ein Trend erkennbar wird – etwa eine Zunahme heißer Sommer oder eine Abnahme von Frosttagen –, sprechen wir von einer klimatischen Veränderung. Dieser Unterschied ist zentral für das Verständnis von Klimafragen: Einzelne Ereignisse, so außergewöhnlich sie auch erscheinen mögen, sind für sich genommen kein Beleg für eine systemische Veränderung. Doch in der Summe und im Trend entfalten sich über Jahrzehnte jene Muster, die Rückschlüsse auf den Zustand des Klimas erlauben. So wissen wir, dass sich dieses in Deutschland im Zeitraum 1881 bis 2021 verändert hat. Unter anderem ist die Durchschnittstemperatur um rund 1,6 Grad gestiegen.8
Der Aufbau der Atmosphäre: Das Wetter und in dessen Gesamtheit das Klima finden maßgeblich in der Troposphäre, der sogenannten Wetterschicht, statt. Nach oben ist sie durch die Tropopause begrenzt, den Übergang zur Stratosphäre. Diese wiederum enthält kaum noch Gase, sodass die Wärmestrahlung der Erde durch sie und die höheren Schichten hindurch fast ungehindert ins Weltall gelangen kann.
Quelle:
baumfeldwirtschaft.de
Die Unterscheidung von Wetter und Klima ist auch deshalb bedeutsam, weil viele Maßnahmen zur Klimaanpassung nicht auf das Wetter abzielen, also nicht bloß einen Hitzetag abmildern oder einen Starkregen puffern, sondern Lösungen für klimatische Entwicklungen über Jahre und Jahrzehnte bieten sollen. Sie müssen also auf Prozesse antworten, die sich über größere Zeiträume hinweg entfalten und die Stabilität von Ökosystemen, Infrastrukturen und Gesellschaften langfristig beeinflussen. Ohne ein klares Verständnis dessen, was Klima ist – und was nicht –, laufen solche Anpassungsstrategien Gefahr, entweder zu kurz zu greifen oder sich auf die falschen Parameter zu stützen.
Die Erdgeschichte ist seit Jahrmillionen von natürlichen Klimaschwankungen geprägt. Warm- und Kaltzeiten wechselten sich ab, beeinflusst durch die Erdumlaufbahn, Sonnenaktivitäten oder Vulkanausbrüche. Auch Veränderungen in der Plattentektonik, Verschiebungen der Kontinente oder biologische Prozesse wie etwa die Evolution der Landpflanzen haben über geologische Zeiträume hinweg das Klimageschehen der Erde verändert. Diese Prozesse wirken in sehr langen Zeitdimensionen – über Jahrtausende oder gar Millionen Jahre hinweg.
In den letzten Jahrzehnten verändert sich das Klima jedoch mit einer Geschwindigkeit und Ausprägung, die nicht allein durch solche natürlichen Prozesse erklärbar sind. Der anthropogene – also vom Menschen verursachte – Einfluss auf das Klima gilt in der Fachwelt heute als gesichert: Indem wir mit Gas und Öl fossile Energieträger verbrennen, werden aus Industrie, Verkehr und privaten Haushalten große Mengen Kohlenstoffdioxid (CO2) und andere Gase freigesetzt, die für einen Teil des wärmenden Treibhauseffekts verantwortlich sind und daher Treibhausgase genannt werden. Auch die Landwirtschaft trägt durch Methan-Emissionen (CH4) aus der Tierhaltung sowie Bewirtschaftung und Düngung von Ackerböden zu Treibhausgasemissionen bei. Dies führt dazu, dass die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre, die lange Zeit bei etwa 280 ppm (parts per million) lag, angestiegen ist. Seit Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts hat sie sich auf über 420 ppm erhöht. Dieser Sprung ist in dieser Geschwindigkeit in der bekannten Erdgeschichte beispiellos. Parallel zum Anstieg der Treibhausgaskonzentration wurde auch der bereits erwähnte Temperaturanstieg beobachtet. Dieser wiederum zeigt sich auch in einem veränderten Wettergeschehen, das wir als Folge der Klimaveränderung wahrnehmen können: häufigere Hitzetage, Trockenperioden und Starkregenereignisse.9
Geologisch betrachtet befinden wir uns gleichzeitig in einer Zwischeneiszeit innerhalb einer übergeordneten Kaltzeit: Ohne menschliches Zutun wäre derzeit eher eine langsame Abkühlung unseres Planeten zu erwarten gewesen. Die derzeitige Erwärmung widerspricht also dem langfristigen geologischen Grundtrend – ein weiteres Indiz, dass anthropogene Einflüsse diesen überlagern. Hinzu kommt, dass viele der bekannten natürlichen Klimafaktoren – etwa die Sonneneinstrahlung – derzeit keine stärkere Erwärmung erwarten lassen würden. Dass sich das Klima dennoch rapide wandelt, spricht für zusätzliche, vom Menschen verursachte Veränderungen.
Über diese Erkenntnis ist sich nicht nur die Klimaforschung einig, sondern sie ist auch zentral für alle weiteren Überlegungen zur Klimaanpassung und zur Minderung der Klimaerwärmung. Wer verstehen will, wie sich das Klima verändert, muss sowohl die natürlichen Schwankungen als auch den aktuellen, überlagernden Einfluss menschlicher Aktivitäten begreifen.
Gerade hier kommt den physikalischen Mechanismen eine besondere Bedeutung zu. Sie können unabhängig von politischen Debatten oder Meinungen gemessen und berechnet werden. Physikalische Prozesse wie Wärmeflüsse oder Energieumsatz bei Verdunstung lassen sich weltweit beobachten, modellieren und in Beziehung setzen. Sie sind Teil der Strahlungsbilanz, die beschreibt, wie viel Energie ins Klimasystem hinein- und wie viel wieder herausgeht. Diese Grundlage ermöglicht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Klimageschehen, worauf wir später noch zurückkommen werden.
Doch hinter diesen physikalischen Vorgängen beginnt die Forschung zunehmend auch biophysikalische Wechselwirkungen zu erkennen. Das heißt, dass physikalische Prozesse durch biologische Strukturen angetrieben werden, beispielsweise wenn Vegetation durch Verdunstung Kühlung erzeugt oder wenn Pflanzenduftstoffe in der Atmosphäre zur Wolkenbildung beitragen. Diese Klimawirkungen sind in der Klimaforschung lange Zeit kaum berücksichtigt worden – nicht weil sie unbedeutend wären, sondern weil sie schwerer zu isolieren und zu quantifizieren sind.
Gerade an diesen Schnittstellen aber, zwischen Physik und Biologie, zwischen Strahlung und Stoffumsatz, liegt das Potenzial für ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge – und möglicherweise auch für neue Handlungsspielräume, um klimatische Entwicklungen aktiv zu gestalten. Welche dieser Spielräume sind relevant, praktisch umsetzbar und skalierbar? Das werden wir in den folgenden Abschnitten anhand wissenschaftlicher Studien beleuchten. Wir wollen jene Prozesse besser verstehen, die bisher im Schatten der großen Treibhausgasdebatten standen – und die vielleicht gerade deshalb ein noch ungenutztes Potenzial bergen.
Bevor wir jedoch tiefer in diese Zusammenhänge eintauchen, lohnt es sich, die räumlichen Strukturen des Klimageschehens selbst genauer zu betrachten. Denn wie sich klimatische Wirkungen entfalten und wie sie überhaupt beeinflussbar sind, hängt maßgeblich von der jeweiligen Ebene ab, auf der sie beobachtet werden. Wollen wir Prozesse gestalten, sollten wir genau wissen, wo wir ansetzen können.
Das Klimasystem lässt sich auf verschiedenen räumlichen Skalen betrachten, die jeweils unterschiedliche Steuerungsmechanismen aufweisen. Diese Skalen sind nicht nur analytische Hilfsmittel der Klimawissenschaft, sondern sie bestimmen auch, welche Prozesse überhaupt erfasst und beeinflusst werden können – und welche systemischen Rückkopplungen auftreten können. Wir unterscheiden das Mikro-, Meso- und Makroklima.
Das Mikroklima betrifft sehr kleinräumige Bereiche, etwa einen Waldrand, einen Innenhof oder eine Geländemulde. Hier dominieren lokale Einflüsse wie Beschattung, Windexposition, Bodenfeuchte oder die unmittelbare Vegetationsstruktur. Das Mikroklima ist direkt gestaltbar und spielt beispielsweise im Gartenbau oder bei der Bauleitplanung im Rahmen der Stadtentwicklung eine wichtige Rolle. Gerade in städtischen Räumen sind mikroklimatische Optimierungen inzwischen Bestandteil konkreter Klimawandel-Anpassungsstrategien, etwa durch Fassadenbegrünung, Wasserflächen oder gezielte Luftleitbahnen. Auch in der Landwirtschaft wird zunehmend erkannt, wie wichtig das Mikroklima für den Wasserhaushalt und letztendlich für stabile Erträge ist. Strukturelemente wie Hecken, Baumstreifen oder Feldgehölze können Wind bremsen, Feuchtigkeit halten und die Temperaturdynamik auf dem Feld positiv beeinflussen. Studien10 zeigen, dass solche Maßnahmen eine mikroklimatische Belastung deutlich reduzieren können. Sie stellen einen unterschätzten Hebel in der Klimaanpassung dar – insbesondere dort, wo großflächige Veränderungen nicht ohne Weiteres möglich sind.
Das Mesoklima umfasst größere Landschaftsräume, Täler, Hügellandschaften oder Stadtgebiete. Es wird beeinflusst durch Relief, Landnutzung, Vegetationstypen, Gewässernetze oder Bodenverhältnisse. Auch großflächige Veränderungen wie Rodungen, Entwässerungen oder die Zersiedelung von Landschaften wirken sich messbar auf das Mesoklima aus. Wenn wir zwischen Land- und Stadtklima unterscheiden oder zwischen windoffenen und geschützten Tälern, bewegen wir uns auf dieser Ebene. Mesoklimatische Prozesse sind bereits komplexer zu modellieren und zeigen deutliche Rückkopplungseffekte – etwa durch Temperaturgradienten, Luftaustauschprozesse oder regionale Windsysteme. Besonders wirksam ist das Mesoklima dort, wo große Flächen relativ einheitlich genutzt werden. Dies ist beispielsweise in der Landwirtschaft der Fall, die in Deutschland mehr als die Hälfte der Landfläche einnimmt.11 Um eine intensive Landwirtschaft zu ermöglichen, wurden in der Vergangenheit Gehölze entfernt und das Land flächig entwässert. Dadurch wurde das Mesoklima vieler Regionen tiefgreifend verändert. Im Vergleich zum Mikroklima bedarf es umfangreicherer Maßnahmen, um das Mesoklima zu beeinflussen. Doch auch hier bestehen Gestaltungsmöglichkeiten, die negativen Klimawandelfolgen positiv entgegenwirken können.
Das Makroklima beschreibt großräumige bis globale Klimazonen. Geprägt wird es durch planetare Luftzirkulation, Meeresströmungen, die globale Strahlungsbilanz sowie die Verteilung von Land- und Wassermassen. Zum Makroklima zählt etwa das ozeanisch geprägte Klima Mitteleuropas, das kontinentale Klima Sibiriens oder die äquatoriale Konvergenzzone der Tropen. Veränderungen auf dieser Skala, wie das Abschmelzen arktischer Eisflächen oder eine Abschwächung des Jetstreams, haben tiefgreifende Wirkungen auf die darunterliegenden Ebenen des Mikro- und Mesoklimas und wirken oft als Verstärker bereits existierender Trends. Zugleich wird jedoch immer deutlicher, dass auch das Makroklima nicht ausschließlich von globalen Kräften gesteuert wird. Wiederkehrende Muster im Wettergeschehen wie stabile Hochdrucklagen oder dominante Windrichtungen entstehen in Wechselwirkung mit den bodennahen Energieflüssen. Und diese sind wiederum nicht nur abhängig von der geologischen Struktur der Landoberfläche, sondern auch von deren Wasserspeicherfähigkeit, Feuchtigkeit, Vegetationsbedeckung und Verdunstungsleistung.12 Ein grüneres, feuchteres Mitteleuropa im Frühjahr senkt nachweislich die Wahrscheinlichkeit für Trockenphasen im weiteren Jahresverlauf.13 Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass auch das Makroklima durch biophysikalische Prozesse beeinflusst werden kann, die sich lokal und regional steuern lassen – ein Gedanke, der in späteren Kapiteln vertieft wird.
Während Makroklimafaktoren oft scheinbar außerhalb unserer direkten Einflussmöglichkeiten liegen, sind Mikro- und Mesoklima sehr unmittelbar gestaltbar. Die Unterscheidung dieser Skalenebenen ist wichtig, um zu verstehen, wo und wie konkrete Maßnahmen zur Klimamodifikation ansetzen können – und welche Prozesse durch menschliches Handeln überhaupt beeinflussbar sind.
Zusätzlich zu den beschriebenen, in der Meteorologie gebräuchlichen Klima-Ebenen hat sich in der Forstwirtschaft der Begriff des Standortklimas etabliert. Er beschreibt die klimatischen Bedingungen an einem bestimmten Ort, welche sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Sphären ergeben:
der Atmosphäre, geprägt von Strahlung, Temperatur, Wind und Niederschlag,
der Hydrosphäre mit dem Boden- und Oberflächenwasser,
der Lithosphäre, also der Erdkruste, geprägt von Bodenart, Topografie und Exposition, sowie
der Biosphäre, die von Pflanzenbestand, Bodenorganismen und Landnutzung beeinflusst wird.
Der Begriff des Standortklimas hat eine lange Tradition, vor allem in der mitteleuropäischen Forstwissenschaft. Bereits im 19. Jahrhundert begannen Forstleute, das Mikro- und Mesoklima einzelner Standorte systematisch zu beschreiben, weil sie erkannten, dass Baumarten unterschiedliche klimatische Ansprüche haben – nicht nur, was Temperatur und Niederschlag angeht, sondern auch in Bezug auf Luftfeuchte, Bodenbeschaffenheit, Spätfrostrisiken oder Winddruck. Diese Verbindung von Klimakunde, Bodenkunde und Vegetationsökologie ist als Standortlehre ein wichtiges Werkzeug, um waldbauliche Entscheidungen zu treffen, also welche Bäume an einem Ort gedeihen können und langfristig stabile Wälder bilden. Ähnliche Überlegungen entstanden auch in den Agrarwissenschaften. So etablierten sich in der Agrar- und Forstmeteorologie Fragestellungen, die auf ein gutes Wachstum angebauter Kulturen gerichtet waren. Sie untersuchen vor allem das Standortklima, das maßgeblich bestimmt, welche Pflanzenarten sich anbauen lassen, wie produktiv ein Ökosystem ist und wie empfindlich es auf Störungen reagiert. Das Standortklima bildet daher eine Art operative Schnittstelle zwischen den abstrakten Klimaskalen und der konkreten, praktischen Landnutzung. Zugleich zeigt es uns, dass das Klima keineswegs nur als atmosphärisch gegebene Größe zu verstehen ist. Vielmehr steht es immer auch in direkter Wechselwirkung mit Boden, Vegetation und Wasserhaushalt. Der Ort in seiner konkreten ökologischen Ausprägung wird damit selbst zu einem klimawirksamen Faktor und beeinflusst mit seiner Gestalt und seiner Vegetation nicht nur das lokale Klima, sondern trägt auch zu größeren Klimaentwicklungen bei. Dies geschieht über den Wasserhaushalt und die Verdunstung, aber auch über Strahlungsrückkopplungen, Rauigkeit oder die Bedeckung des Bodens. Wie dies zusammenhängt, betrachten wir im nächsten Abschnitt.
Die Sonne schickt täglich enorme Mengen Energie zur Erde – in Form kurzwelliger Strahlung, die unser Klimasystem kontinuierlich aufnimmt. Wie die Energie der Sonne auf der Erde verteilt, gespeichert und umgewandelt wird, bestimmt maßgeblich das Klima an der Erdoberfläche.
Ein Teil dieser Energie wird reflektiert und wieder ins Weltall zurückgeschickt, ein anderer Teil wiederum wird in langwellige Strahlung, latente oder fühlbare Wärme umgewandelt. Wie sich die Energie auf diese Prozesse verteilt, entscheidet wesentlich über die lokale und globale Entwicklung des Klimas. Diese Prozesse laufen nicht zufällig ab: Sie folgen physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die sich messen, modellieren und quantifizieren lassen. Um zu verstehen, wie diese Energie verteilt und umgewandelt wird, werfen wir zunächst einen Blick auf die globale Strahlungsbilanz – einen der zentralen Grundlagenbegriffe der Klimaforschung – und betrachten im Anschluss die Phänomene der fühlbaren und latenten Wärme.
Grundsätzlich muss, um eine gleichbleibende Temperatur des Planeten aufrechtzuerhalten, die unser Leben auf der Erde ermöglicht, genauso viel Energie wieder abgegeben werden, wie ins System hineinkommt. Die Energiebilanz ist dann, physikalisch ausgedrückt, gleich null. Wird weniger Energie wieder ins All abgegeben, so muss diese entweder irgendwo im Klimasystem umgewandelt und gespeichert werden, oder es wird auf der Erde wärmer. Momentan ist die Energie- oder Strahlungsbilanz der Erde etwas größer als null, das heißt, es bleibt mehr Sonnenenergie in unserem System, als wieder abgegeben wird.
Was mit der Sonnenstrahlung passiert, die im jährlichen Durchschnitt auf die Erde trifft, wird mit dem Modell der globalen Strahlungsbilanz beschrieben. Es zeigt, über welche Mechanismen die Energie wieder aus dem System abgegeben wird. Deutlich wird zudem, durch welche Veränderungen im System mehr oder weniger Energie in der Atmosphäre verbleibt und wie es so zu einer Erwärmung oder Abkühlung kommen kann.
Die Strahlung der Sonne, die in die Atmosphäre der Erde eintritt, besteht überwiegend aus sichtbarem Licht sowie einem Anteil an ultravioletter und infraroter Strahlung. Diese kurzwellige solare Einstrahlung wird in der Atmosphäre entweder reflektiert, absorbiert oder in andere Energieformen umgewandelt, etwa in fühlbare oder latente Wärme, worauf wir noch näher eingehen werden.
Modell der Strahlungsbilanz der Erde
Die auf die Erdatmosphäre treffende Sonnenstrahlung entspricht einer Energiezufuhr von 340 Watt pro Quadratmeter. 100 Watt pro Quadratmeter (etwa 30 Prozent) werden von der Atmosphäre und Erdoberfläche zurückgestrahlt (planetare Albedo). Die restlichen 239 Watt pro Quadratmeter zirkulieren länger im Klimasystem. Ein Drittel davon (etwa 80 Watt) wird von Wolken, Wasserdampf, Staubpartikeln und Treibhausgasen in der Atmosphäre absorbiert. Rund 160 Watt pro Quadratmeter gelangen zur Erdoberfläche und erwärmen diese. Die Wärmeabgabe der Erdoberfläche erfolgt auf drei Arten: durch Verdunstung über den latenten Wärmestrom (82 Watt pro Quadratmeter) und Konvektion, durch sensible oder fühlbare Wärme (21 Watt pro Quadratmeter) und durch langwellige Wärmestrahlung (398 Watt pro Quadratmeter). Letztere wird größtenteils von Treibhausgasen in der Atmosphäre absorbiert und in alle Richtungen zurückgestrahlt und daher als Gegenstrahlung bezeichnet (342 Watt pro Quadratmeter). Die Ausstrahlung aus der Atmosphäre beträgt rund 239 Watt pro Quadratmeter. Derzeit verbleibt ein leichtes Plus an Energie in der Atmosphäre, etwa 0,6 bis 1 Watt pro Quadratmeter.
Quelle:
baumfeldwirtschaft.de
Die Atmosphäre empfängt im globalen Jahresdurchschnitt eine Strahlungsenergie von rund 340 Watt pro Quadratmeter.14 Davon werden etwa 30 Prozent oder rund 100 Watt pro Quadratmeter direkt wieder ins All reflektiert, und zwar von der Atmosphäre, der Oberseite der Wolken oder der Erdoberfläche. Dieser Anteil wird durch die planetare Albedo bestimmt. Der Begriff Albedo bezeichnet das Rückstrahlvermögen einer Oberfläche. Er sagt aus, wie viel von der einfallenden Sonnenstrahlung reflektiert und nicht absorbiert wird.
Eine helle, schneebedeckte Fläche reflektiert bis zu 90 Prozent der Strahlung und hat zum Beispiel eine Albedo von bis zu 0,9. Auch eine hohe, weiße Kumuluswolke kann eine Albedo von 0,7 erreichen, also rund 70 Prozent der Strahlung reflektieren. Ein dunkler Ackerboden hingegen reflektiert nur 10 bis 20 Prozent der Sonnenstrahlen, sodass er eine niedrigere Albedo von 0,1 bis 0,2 aufweist. Die planetare Albedo ergibt sich als Mittelwert aller Rückstrahlungen von Erdoberfläche, Atmosphäre und Wolken und liegt aktuell bei rund 0,3.15 Sie spielt eine entscheidende Rolle für die Strahlungsbilanz der Erde, denn: Je höher die Albedo und damit die Rückstrahlfähigkeit unseres Planeten, desto mehr Energie verlässt direkt wieder das Klimasystem.
Der überwiegende Anteil der Strahlungsenergie, nämlich rund 240 Watt pro Quadratmeter, wird jedoch nicht reflektiert, sondern im Klimasystem in verschiedene andere Energieformen umgewandelt.
Das ist zum einen die langwellige Strahlung. Darunter versteht man elektromagnetische Wellen mit größerer Wellenlänge, die hauptsächlich als Infrarotstrahlung von der Sonne emittiert werden. Diese langwellige Strahlung entsteht, wenn die Erdoberfläche oder in der Atmosphäre vorhandene Gase erwärmt werden. Die Energie wird dabei nicht als sichtbares, kurzwelliges Licht, sondern als thermische Strahlung abgegeben.
So können wir uns vorstellen, wie nach Sonnenuntergang an einem heißen Sommertag von Terrassen, asphaltierten Straßen oder Hausmauern noch eine starke Wärme ausgeht, die tagsüber in Gestein, Boden oder Mauerwerk gespeichert wurde. Ebenso kennen wir das Phänomen, dass es in einer sternenklaren Nacht stark abkühlen kann. Ohne Wolkendecke entweicht die Wärmestrahlung der Erde verstärkt in den Weltraum, und es wird in den bodennahen Luftschichten deutlich kühler.
In beiden Beispielen ist die Sonnenenergie tagsüber als kurzwellige Strahlung teilweise durch die Atmosphäre gedrungen und hat die Masse von Boden, Gebäuden und Körpern erwärmt. Wie stark sich diese erwärmen, hängt unter anderem davon ab, ob sie hell oder dunkel sind und wie leitfähig ihr Material ist. Anschließend geben ihre Oberflächen diese Energie wieder als langwellige Wärmestrahlung ab.
Die Atmosphäre wirkt dabei jedoch nicht neutral: Gase wie Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) oder Wasserdampf (H2O) sowie Aerosole absorbieren einen Teil dieser langwelligen Strahlung und strahlen sie wiederum in alle Richtungen ab – einen Teil davon auch wieder zurück zur Erde. Das ist der physikalische Kern des Treibhauseffekts, weshalb die beteiligten Gase auch Treibhausgase genannt werden. Dieser Prozess spielt sich in der Wetterschicht der Atmosphäre, der sogenannten Troposphäre, ab und wird als atmosphärische Gegenstrahlung bezeichnet.
Indem die Wärme in den Weltraum abgestrahlt wird, kann die Energie aus der Atmosphäre ins All abgeführt werden. Durch den Treibhauseffekt bleibt jedoch ein Teil in der Atmosphäre. Die langwellige Abstrahlung der Erde, die am Anfang dieser Verkettung steht, ist somit eine der wichtigsten Größen im Klimasystem.
Verändert sich die Zusammensetzung der Atmosphäre, beeinflusst dies die Energieflüsse und das thermische Gleichgewicht unseres Planeten. Dies kann durch mehr Treibhausgase erfolgen, durch mehr Aerosole wie Ruß, Staub oder Wassertröpfchen, durch eine verringerte Wolkenbedeckung oder durch menschliche Eingriffe in die Landoberfläche.
Trifft die Strahlung der Sonne auf die Oberfläche der Erde, so wird diese teilweise in fühlbare Wärme umgewandelt. Das ist die Energie, die unmittelbar eine Temperaturerhöhung bewirkt. Die durch die Sonne erwärmte Fläche überträgt die Wärme dann durch Wärmeleitung – also die Bewegung von Molekülen – auf die Luft, die mit ihr in Kontakt steht. Die erwärmte Luft gerät dann aufgrund der Dichteänderung in Bewegung, sie strömt. Diesen Vorgang nennt man Konvektion oder thermische Turbulenz. Bei der Konvektion bewegen sich Luftmassen mit wärmeren Teilchen dorthin, wo es vorher kühler war. Die Wärme, die durch Wärmeleitung und Konvektion transportiert wird, wird auch in der Atmosphäre weiterhin als fühlbare Wärme oder sensible Wärme bezeichnet. Der Energietransport, der dabei stattfindet, wird als fühlbarer Wärmestrom bezeichnet. Er ist zwar bedeutend kleiner als die langwellige Ausstrahlung der Erde, aber auch wichtig für den Luftaustausch über den Landmassen der Erde. Als einer der Auslöser von Konvektion ist die fühlbare Wärme am Aufsteigen von Luftmassen beteiligt. Damit ist sie wichtig für Prozesse, die, wie wir noch sehen werden, eine weit bedeutendere Rolle im Klimageschehen haben als bisher angenommen.
Ein weiterer wichtiger Teil des Wärmehaushalts von Atmosphäre und Erdoberfläche ist der Verdunstungswärmestrom. Ein Teil der Sonnenenergie, die auf die Erdoberfläche trifft, wird für Verdunstungsprozesse verwendet, bei denen flüssiges Wasser in gasförmigen Wasserdampf umgewandelt und nach oben transportiert wird.16 Ausgangspunkt für diesen Prozess ist, dass ein Großteil der terrestrischen, also erdgebundenen Verdunstung über Evapotranspiration erfolgt. Diese setzt sich zusammen aus direkter Verdunstung, etwa wenn Wasser aus Böden, von Seen oder Flüssen als Wasserdampf aufsteigt, sowie der Transpiration durch Pflanzen, die mit rund 60 bis 90 Prozent den größten Teil der gesamten Evapotranspiration ausmacht. Wie viel die Pflanzen verdunsten, hängt dabei vom Vegetationstyp, von der Jahreszeit und ihren Standortbedingungen ab.17
Pflanzen verdunsten nicht nur passiv – sie regulieren diesen Prozess aktiv über ihre Spaltöffnungen, Stomata genannt. Wie weit sie diese öffnen, wird durch das verfügbare Licht, die Luftfeuchtigkeit, die CO2-Konzentration und das Bodenwasserangebot gesteuert. Dadurch reguliert die Pflanze nicht nur ihren Wasserhaushalt, sondern auch den Energietransport zwischen Boden und Atmosphäre.
Für diesen Verdunstungsprozess wird also kurzwellige Sonnenenergie genutzt, um flüssiges Wasser in Wasserdampf umzuwandeln. Die solare Energie bleibt im Wasserdampf gespeichert. Diese Wärme können wir nicht spüren, sie ist gleichsam im Wasserdampf verborgen und nur noch latent vorhanden. Das Ergebnis dieser Umwandlung wird daher latente Wärme genannt.
Latente Wärme ist nicht fühlbar und fließt eher unbemerkt, da sie nicht direkt die Temperatur der Luft verändert. Stattdessen wird die in ihr enthaltene Energie erst später bei der Kondensation und oft in größerer Höhe freigesetzt. Im Modell der Strahlungsbilanz werden durch diesen Prozess rund 82 Watt pro Quadratmeter von der Erdoberfläche abtransportiert. Damit ist der latente Wärmestrom der größte Energiefluss im Klimasystem, der keine Strahlung ist.
Verdunstung fungiert somit als Zwischenspeicher für Wärme, als Antriebskraft für konvektive Zirkulation und als Motor des globalen Wassertransports. Ihre Rolle im Klimasystem ist nicht nur durch ihren Umfang bedeutend, sondern auch in ihrer Qualität einzigartig: Sie verbindet Energie-, Wasser- und Stoffkreisläufe in einem physikalisch eng gekoppelten System, das weit über lokale Wirkungen hinausreicht. Somit hat der Vorgang der Verdunstung eine enorme klimatische Bedeutung.
Nehmen wir zum besseren Verständnis der latenten Wärme das Beispiel nasser Wäsche, die an der Sonne trocknet: Die Wärme der Umgebung und die Sonneneinstrahlung führen dem Wasser in der Wäsche Energie zu. Durch diese Energie rücken die Wassermoleküle auseinander, bis sie sich voneinander lösen und einzeln, also gasförmig, als Dampf vorhanden sind. Nun sind sie für sich genommen so leicht, dass sie in der Luft aufsteigen. Wie gut Wasser verdunstet, sich also in Dampf verwandeln kann, hängt einerseits von der zugeführten Energie ab, andererseits davon, wie viel Wasserdampf die Luft aufnehmen kann.
Für unser Beispiel mit der Wäsche bedeutet dies: In kalter und feuchter Luft, die schon Wasserdampf enthält, trocknet die Wäsche langsamer. Wenn Wind weht, trocknet sie schneller, da die Luft um sie herum, die schon verdunstetes Wasser aufgenommen hat, vom Wind abtransportiert wird. Die herbeigeführte trockene Luft kann wieder besser Wasser aufnehmen. Das Interessante ist, dass sich die Wäsche erst dann merklich erwärmen wird, wenn sie ganz getrocknet ist. Solange sie noch leicht feucht ist, fühlt sie sich kühler an. Das liegt daran, dass die Wärmeenergie für die Verdunstung des Wassers gebraucht wird, solange der Stoff feucht ist. Die Luft hingegen, in der sich das verdampfte, gasförmige Wasser nun befindet, hat sich ebenfalls nicht erwärmt. Sie hat sich um die feuchte Wäsche herum sogar abgekühlt, da die Wärmeenergie in den Prozess der Verdunstung geflossen ist. Im gasförmigen Zustand des Wassers ist nun die Energiemenge gespeichert, die für die Verdunstung nötig war – sie wird vom Wasserdampf in der Luft sozusagen mitgenommen.
Übertragen wir diese Prozesse auf die Vegetation, wird klar: Der Schlüssel zum Verständnis der Rolle des Wassers ist die Energie, die notwendig ist, damit Wasser zwischen seiner flüssigen und gasförmigen Phase wechseln kann. Und Vegetation, Wasserflächen und Böden können sehr viel mehr Wasser verdunsten als etwa nasse Wäsche! Indem Wasser zu Dampf verdunstet, wird Strahlungsenergie der Sonne in latente Wärme umgewandelt. Für diesen Umwandlungsprozess wird Energie verbraucht, die Umgebung beziehungsweise die Erdoberfläche wird gekühlt. Genau aus diesem Grund ist es in heißen Sommern dort kühler, wo viele Bäume stehen, wo es Wasserflächen und feuchten Boden gibt – was für die bewusste Gestaltung von Landschaft ein entscheidender Faktor ist, der in späteren Kapiteln eine zentrale Rolle spielen wird.
Was geschieht nun mit der latenten Wärme in der Atmosphäre? Dazu müssen wir wissen, dass die Erdatmosphäre in Schichten gegliedert ist, die sich unter anderem durch ihre Temperatur unterscheiden. Das Wettergeschehen spielt sich in den untersten zehn Kilometern ab, in der sogenannten Troposphäre. Hier spielt der Wasserdampf eine große Rolle.
Steigen die Luftmassen, die die aufgenommene Energie als latente Wärme enthalten – also das gasförmige Wasser mit seiner potenziellen Energie –, in größere Höhen auf, treffen sie dort meistens auf niedrigere Temperaturen. Beim Unterschreiten des sogenannten Taupunkts kondensiert der Wasserdampf zu Tautropfen, und es bilden sich Wolken. Der Taupunkt bezeichnet die Temperatur, bei der in der Luft 100 Prozent relative Luftfeuchte vorliegt. Hier ist die Luft vollständig mit Wasserdampf gesättigt, sodass bei jeder weiteren Abkühlung – oder seltener bei Erhöhung des Luftdrucks – ein Teil des Wassers kondensiert, also von Dampf wieder in den flüssigen Zustand übergeht. In niedrigen Luftschichten nennen wir das Nebel, an Oberflächen Tau und in größerer Höhe Wolken.
Die Energie, die ursprünglich in der Nähe des Bodens oder an der Oberfläche der Vegetation aufgenommen wurde, wird in diesen Höhen wieder frei und erhöht dort die Lufttemperatur. Bei typischen Kumuluswolken erreichen die Wolkengipfel sechs bis acht Kilometer Höhe. Bei starken Entwicklungen bilden sich sogar Gewitterwolken in bis zu 14 Kilometer Höhe, die Cumulonimbus oder aufgrund ihrer Form auch Ambosswolken genannt werden. In dieser Höhe stoßen Wolken oft an die Tropopause, die Grenze der Troposphäre zur darüberliegenden Stratosphäre. Dies zeigt sich meist am sogenannten Eisschirm, der charakteristischen Ausbreitung der Wolken, wenn sie nicht weiter aufsteigen können. Ohne den Transport von latenter Wärme nach oben, ohne Wolkenbildung, wäre es nicht möglich, dass so viel Energie in große Höhen gebracht wird. Daher ist der latente Wärmestrom ein wichtiger Faktor im Klimasystem.
Im Gegensatz zur Troposphäre, in der sich das Wettergeschehen abspielt, ist die Stratosphäre extrem trocken und kalt. Weil in der Stratosphäre kaum mehr Treibhausgase vorhanden sind, kann die Wärme, die bei der Wolkenbildung – also beim Übergang des Wasserdampfes in den flüssigen Zustand – in den höheren Lagen der Troposphäre frei wird, weitgehend ungehindert in den Weltraum entweichen: Die Wärmestrahlung der Luft dort oben hat sozusagen kaum noch ein Hindernis über sich. Wichtig ist: Der Verdunstungswärmestrom, der Transport der latenten Wärme, »umgeht« quasi die Treibhausgase und Aerosole in der unteren Troposphäre.
An dieser Stelle möchten wir nochmals darauf hinweisen, dass diese Prozesse hier nur vereinfacht beschrieben werden können. Wir wollen jedoch nicht unerwähnt lassen, dass es auch Umstände gibt, in denen sich in der Stratosphäre Wolken bilden, dass Wasserdampf dort problematisch sein kann und dass Cirruswolken in dieser Höhe eine kritische Rolle im Klimasystem spielen, denn: Es wird in der Forschung intensiv daran gearbeitet, genauer zu verstehen, wie sehr beispielsweise die durch den Flugverkehr verursachten Cirruswolken aus Kondensstreifen das Klimageschehen beeinflussen. Dass es einen Einfluss gibt, ist mittlerweile unstrittig.18
Der für uns wichtigste Punkt bleibt: Der Verdunstungswärmestrom ist mit rund 82 Watt pro Quadratmeter zwar bedeutend kleiner als die Wärmestrahlung der Erde, aber er nutzt einen anderen Transportmechanismus als die Strahlung. Daher kann seine Energie nicht von Aerosolen und Treibhausgasen absorbiert werden und gelangt in große Höhen der Troposphäre. Durch die Verdunstung von Wasser am Boden, aus der Vegetation und aus Gewässern sowie den Transport der latenten Wärme in die höheren Atmosphärenschichten wird dadurch ein ganz wesentlicher Teil der »Wärmeabfuhr« im Klimasystem geleistet.
