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Ein skrupelloser Serientäter treibt in Zürich sein Unwesen. Die Ermordung eines Drogendealers findet zunächst kaum Beachtung, doch als weitere Verbrecher zu Opfern werden, stürzt sich die Presse auf den Fall. In den sozialen Medien wird »der Maskenmann« für seine Taten als Held gefeiert. Diese Sympathie kann sich Armand Muzaton, Leiter der Kriminalpolizei, nicht leisten. Unterstützt von seinem Freund Philipp Humboldt muss er den Fall schnellstmöglich lösen. Dabei geraten sie in ein dichtes Netz aus Intrigen und Verleumdungen.
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Seitenzahl: 247
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Andreas Russenberger
Langstrasse
Kriminalroman
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Katja Ernst
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Andreas Russenberger
ISBN 978-3-8392-7426-2
Jeder Mensch hat eine dunkle Seite. Jeder.
Zürich, 16. Dezember
Ein feuchter Wind pfiff durch die fast menschenleere Langstrasse. Die schweren Schneeflocken lösten sich auf, bevor sie den Boden berührten. Ein Pappbecher rollte über den Gehsteig und wurde vom Luftzug eines vorbeifahrenden Busses der Zürcher Verkehrsbetriebe in die Höhe gewirbelt. Der vermummte Passant ging dicht an den Hauswänden entlang, um sich vor der nassen Kälte zu schützen. Im Volksmund wurde der Kreis 4 auch »Chreis Cheib« genannt. Die Bezeichnung stammte von Tierkadavern, früher als »Cheiben« betitelt, die hier vergraben worden waren. Heute wurde der Name von den Quartierbewohnern mit trotzigem Stolz verwendet, und man dachte dabei an das dort ansässige Rotlichtmilieu. Irgendwann würde es an der Langstrasse aussehen wie in jedem beliebigen Szenequartier, mit den immer gleichen Labels und trendigen Bars, die man überall auf der Welt fand. Die Aussichten der Kontaktbars, der schummrigen Striplokale und des horizontalen Gewerbes waren nicht sonderlich gut. Verschwinden würden sie aber nicht, denn war ein florierendes Rotlichtmilieu nicht seit jeher die Schattenseite jeder reichen City? Und dass Zürich reich war, durfte man von der Schweizer Finanzmetropole mit gutem Recht behaupten. Geld und Verbrechen haben sich schon immer gegenseitig angezogen. An diesem Abend jedoch herrschte aufgrund des Katzenwetters Katerstimmung.
Dem ganz in Schwarz gekleideten Mann kam das schlechte Wetter gelegen, auch die seit dem Ausbruch des Coronavirus omnipräsente Maske passte ideal zu seinem Vorhaben. Die Pandemie war zwar weitgehend unter Kontrolle, trotzdem war der Atemschutz geblieben und gehörte nun in Zürich zum Straßenbild, wie man es seit Längerem aus den asiatischen Großstädten kannte. Ob es sich dabei um eine Hygienemaske, einen Halsschlauch oder eine selbstgenähte Kreation handelte, spielte für ihn keine Rolle. Hauptsache, das Gesicht war bis unter die Augen verdeckt. Denn in einer Zeit, in der Selbstverwirklichung und staatliche Kontrolle die wildesten Blüten trieben, war es fast unmöglich, nicht irgendeiner tanzenden Tiktokerin, einem Selfie-Jäger oder einer dieser halbrunden Sicherheitskameras vor die Linse zu laufen. Von den unzähligen weiteren neugierigen Augen und Ohren einer der kleinsten Großstädte – oder der größten Kleinstädte – der Welt einmal ganz zu schweigen. Schlechte Voraussetzungen für jemanden, der vorhatte, ein Verbrechen zu begehen. Doch dann war die Maske gekommen und das Problem hatte sich wie von selbst erledigt. Dazu war jetzt noch eine Schlechtwetterfront vom Atlantik her über der Schweiz aufgezogen, die es ihm erlaubte, seinen Körper unter einem bis über die Knie reichenden Mantel und das Gesicht zusätzlich unter der Krempe eines klassischen Borsalino zu verbergen.
Perfekt.
Er drückte den Bügel seiner schwarzen Gesichtsmaske über der Nase zusammen, zog den weichen Hut tief ins Gesicht und lief mit zügigen Schritten durch die Langstrasse. Er versuchte so unauffällig wie möglich zu gehen, was ihm seltsamerweise schwieriger vorkam, als er gedacht hatte. Konnte das geübte Auge eines Polizisten einen Verbrecher an seinem Gang erkennen? Die schuldbewusste Miene als Kleinkind, das etwas angestellt hat, lernen die meisten im Laufe des Lebens zu verbergen. Aber gibt es einen Gang, der einen verrät?
Der ganz in Schwarz gehüllte Mann nahm seinen Hut in die Hand und schüttelte sowohl den nassen Schnee als auch seine wirren Gedanken ab. Es galt nun, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Er ließ die berühmt-berüchtigte Lugano Bar rechts liegen und vergrub sich tief in seinen dicken Mantel. Er überquerte die Straße und begab sich ins Innere des Bermudadreiecks, das von der Brauer-, der Hohl- und der Langstrasse begrenzt wurde. In diesen düsteren Nebengassen befanden sich die einschlägigen Bars und Bordelle. Die City war hier ein Haifischbecken und keine Postkartenidylle.
»Hallo, Süßer, soll ich dich ein bisschen aufwärmen?«, säuselte eine Prostituierte aus einem schummrigen Hauseingang heraus. Er schüttelte den Kopf. Heute nicht, morgen nicht, grundsätzlich nicht. Dennoch blieb er kurz stehen.
»Ist viel zu kalt. Gehen Sie doch nach Hause«, sagte er mit freundlicher Stimme.
»Die Miete muss auch im Winter bezahlt werden«, lautete die ehrliche Antwort.
Er hob die Hand zum Gruß und machte sich wieder auf den Weg. Wenn die kleine Gasse, die er anvisierte, verwaist wäre, würde er umdrehen, in seinem warmen Wohnzimmer die Serie »Breaking Bad« auf Netflix weiterschauen und irgendwann in einen tiefen Schlaf fallen. Wenn aber der Kerl, der regelmäßig Drogen im Quartier, ja sogar auf den Schulhöfen verkaufte – präziser: verkaufen ließ –, auch heute sein schmutziges Geld eintriebe, dann würde die Serie warten müssen. Der Dealer hatte bislang nie länger als einige Tage hinter Schloss und Riegel gesessen, weil sein Strafverteidiger mit Geschichten von der ach so schlimmen Kindheit seines Mandanten die Richter jedes Mal zu einem milden Urteil hatte bewegen können.
Der in Schwarz gehüllte Mann sah den getunten BMW mit den übergroßen Felgen schon von Weitem. Keine wirkliche Überraschung. Auf Kriminelle war nun mal Verlass. Vor allem, wenn es um Geld ging. Das bekam man gerne pünktlich, egal, ob es mit ehrlicher Arbeit oder einer skrupellosen Tat erwirtschaftet worden war. In gewissen Kreisen bezahlte man allerdings nicht per herkömmlicher Banküberweisung – das hinterließ Spuren und war leicht zu verfolgen. Auch das hiesige Bankkundengeheimnis war löchrig geworden wie ein Schweizer Käse. In halbseidenen Kreisen war daher Bargeld nach wie vor das bevorzugte Zahlungsmittel. Und die Scheine nahm man natürlich gerne persönlich in Empfang, zählte nach und gab dem Überbringer vorzugsweise gleich noch den nächsten Auftrag mit auf den Weg.
Für den Dealer, den der Unbekannte im Visier hatte, war heute Zahltag. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die vermummte Gestalt zögerte, als zwei Männer aus einem Hinterhof traten und ohne sich umzusehen in Richtung Bahnhof verschwanden. Es waren Junkies, die tagsüber für den Dealer gearbeitet hatten. Er wartete einen Augenblick, bevor er gemächlich zum BMW hinüberging.
Es dauerte nicht lange, bis zwei weitere Gestalten aus dem Innenhof direkt auf ihn zukamen.
»Noch nie so eine geile Karre gesehen? Und jetzt hau ab, du Verlierer«, höhnte einer von ihnen mit einer hohen Männerstimme.
Der Halunke erinnerte den Vermummten an Don Johnson in seiner Blütezeit als Hauptdarsteller von »Miami Vice«. Das aufgehellte Haar war nach hinten geföhnt und wirkte wie onduliert. Die Schulterpolster seines gefütterten beigen Mantels waren so breit wie die Autofelgen des getunten BMW. Der Möchtegern-Beau trat bedrohlich auf den Mann in Schwarz zu. Sein Schatten, ein bulliger, testosterongeladener Schläger, tat es ihm gleich, wie es Schatten nun mal tun. Die beiden machten keinen netten Eindruck.
Ohne Hektik nahm der Fremde einen Elektroschocker der Marke »Protect« aus seiner Manteltasche und drückte ihn dem Bodyguard an den muskelbepackten Hals. Die Aktion führte er mit einer so selbstverständlichen Ruhe aus, dass der überraschte Schläger keinerlei Gegenwehr zeigte. Er fiel zu Boden wie ein Tuch und blieb zuckend liegen.
»Bist du verrückt geworden?«, schrie Don Johnson, nachdem eine lange Schrecksekunde verstrichen war.
Als Antwort bekam er eine Ohrfeige. Perplex starrte der Dealer den vermeintlichen Autonarren an. Dieser packte ihn mit beiden Händen am Kragen und schob ihn vor sich her in den Innenhof. Dabei stiegen dem Vermummten der Geruch von Angst und kaltem Zigarettenrauch in die Nase.
»Haben wir nicht neulich besprochen, dass du einem rechtschaffenen Beruf nachgehen sollst? Man verkauft keine Drogen und erst recht keine opiumhaltigen Schmerzmittel an Kids!« Die Stimme des ungebetenen Gastes ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er verärgert war.
Der Halunke blickte sein Gegenüber erschrocken an. Doch dann formten sich seine Lippen zu einem süffisanten Grinsen. »Ah, du bist das. Ich habe dir schon vor zwei Wochen gesagt, dass du dich verpissen sollst. Machst du hier einen auf Gutmensch? Verschwinde lieber, bevor dich meine Leute in die Finger kriegen.«
Er lachte unsicher. Eine zweite Ohrfeige brachte ihn zum Schweigen. Der Schönling versuchte erfolglos, sich aus dem Griff des Fremden zu befreien. Dieser hob ihn scheinbar mühelos in die Höhe, bis die Füße des Dealers in der Luft zappelten. Die Föhnfrisur behielt dabei auf bemerkenswerte Weise ihre Form.
»Du hast zwei Optionen«, sagte der Unbekannte und drückte fester zu. »Du gehst sofort auf den Polizeiposten, erzählst von unserer Begegnung, deklarierst dein ganzes schmutziges Geld und gibst die Schlüssel deines lächerlichen Autos ab. Nicht einmal ein räudiger Straßenköter uriniert heutzutage an so eine spätpubertäre Karre. Dann gestehst du alles und wanderst ohne weitere Tricksereien einige Jahre ins Gefängnis. Oder …«
»Du bist ja total übergeschnappt!«, keuchte der Dealer. Seine Stimmfarbe war um eine Oktave gestiegen.
»Oder wir beenden alles hier und jetzt«, drohte der Fremde.
»Verdammt gute Idee, du Sitzpinkler«, zischte der zappelnde Verbrecher und betätigte den Abzug seiner Glock, die er wie immer hinten im Hosenbund versteckt und unbemerkt gezogen hatte. Der Knall der Pistole hallte wie ein Peitschenschlag durch den Innenhof, ein Hund kläffte aufgeschreckt. Der Fremde krümmte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er ließ den Dealer zu Boden sinken, hielt aber den Arm mit der Waffe wie mit einem Schraubstock fest und drückte ihn an die kalte Wand. Den Elektroschocker konnte er in dieser Position nicht ergreifen, ohne Gefahr zu laufen, von einer zweiten Kugel getroffen zu werden. Also zog er mit der freien Hand ein Jagdmesser aus der Tasche und rammte es dem Schützen, der nicht wusste, wie ihm geschah, in den Bauch. Der Dealer begann zu röcheln und spuckte Blut. Mehr überrascht denn panisch blickte er nach unten und sah das Messer in seinem Bauch stecken. Eine Feder glitt aus dem aufgeschlitzten Mantel zu Boden. Der in Schwarz gekleidete Hüne machte nun kurzen Prozess und führte mit dem Messer einen sauberen Schnitt an der Innenseite des Oberschenkels seines Opfers aus. Er konnte nicht zulassen, einen solchen Verbrecher frei herumlaufen zu lassen. Hätte der Schuss jemand anderem gegolten, wäre dieser nun tot.
»Dir bleibt nun noch ein wenig Zeit, mit deinem Leben abzuschließen. Du wirst bald ohnmächtig werden und verbluten. Ein sanfter Tod, wie er deinen Kunden selten vergönnt ist. Ich habe dich gewarnt: kein Verkauf von Drogen, schon gar nicht an Kinder und Jugendliche. Du hattest deine Chance.«
»Wer bist du?«, stammelte der Sterbende. »Ich habe dir doch gerade eine Kugel verpasst …«
»Das spielt für dich keine Rolle«, antwortete der Mann.
Der Dealer sank an der Hausmauer kraftlos zu Boden. Der vermummte Fremde bückte sich zum Sterbenden hinunter, nahm ihm ein paar Geldbündel ab und steckte diese sowie das Messer und die Pistole in seine Manteltaschen. Danach ließ er von dem Todgeweihten ab, stand mit einem schmerzerfüllten Stöhnen auf und trat zu dem unter Schock stehenden Schlägertypen. Dieser lag immer noch zuckend auf dem kalten Boden. Der Anblick erinnerte den Mann in Schwarz an eine Bulldogge mit Alpträumen.
»Verstehst du mich?«, fragte der unbekannte Rächer. »Mach keine Dummheiten, denn dein Leben hängt von deiner Reaktion ab.« Er kniete sich nieder und stützte seine Unterarme auf die Oberschenkel.
»Ich habe einen Herzinfarkt«, jammerte die Bulldogge.
Der Fremde wurde ärgerlich. Geduld und Zeit gingen ihm langsam aus. »Wenn du jetzt stirbst, dann bringe ich dich um! Ist das klar?«
Der Gauner nickte verängstigt. Sein Gehör funktionierte im Gegensatz zu seinen Muskeln nach wie vor. Dass die Drohung rhetorischer Natur war, entging ihm gänzlich.
»Gut, also hör genau zu. Sobald du dich wieder bewegen kannst, wirst du in den Wagen steigen und verschwinden. Die Karre wirst du morgen verkaufen und das Geld bei der ›Kontakt- & Anlaufstelle für Drogenabhängige‹ abgeben. Sonst wirst du genauso enden wie dein Boss.«
Der Muskelprotz begann zu schluchzen und schwor auf das Leben seiner Familie – inklusive der Großmutter, die gemäß seinen Aussagen in Sizilien lebte –, dass er nie mehr etwas mit Drogen zu tun haben werde. Der in Schwarz gekleidete Mann nahm das ohne Kommentar zur Kenntnis und wiederholte detailliert, wo der Gauner am nächsten Tag das Geld abzuliefern habe. Nachdem dieser die Adresse zweimal korrekt wiederholt hatte, war der Fremde zufrieden. Es war an der Zeit zu verschwinden. Ein Rollladen wurde ratternd hochgezogen. Fenster in den Häusern zum Innenhof erhellten sich.
Der Fremde überblickte sorgfältig den Ort des Geschehens. Der Tod des Dealers war nicht geplant gewesen. Notwehr. Wenn auch nicht im klassischen Sinn. Die Polizei sähe das sicher anders. War er zu naiv an die Sache herangegangen? Aber jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen. Das Spiel hatte begonnen. Es würde erst vorüber sein, wenn seine Mission erfüllt war.
Er stellte den Mantelkragen hoch und verschwand in der Dunkelheit. Seine Rippe schmerzte fürchterlich. Aber die kugelsichere Weste hatte ihren Dienst erfüllt.
Zürich, 16. Dezember
»Kannst du mir bitte noch einen Negroni bringen?«, fragte Armand Muzaton, Leiter der Zürcher Kriminalpolizei, und hob das leere Glas in die Luft.
Die Barkeeperin nickte und tippte mit gespielter Strenge auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »Die letzte Bestellung. In fünf Minuten ist Polizeistunde und ich will keinen Ärger bekommen. Nicht, dass du mich verhaftest.«
Armand lächelte und zeigte seine kräftigen Zähne. »Bei der Kriminalpolizei sind wir für Verbrechen zuständig. Ein verspäteter Schlummertrunk fällt eher nicht in diese Kategorie.«
»Angeber!«, lautete die postwendende Antwort.
Armands neue Lieblingsbar, das Sacré-Cœur im Zürcher Seefeld, war für einen Freitagabend nur spärlich gefüllt. Kein Wunder bei dem scheußlichen Wetter. Nasser Schneeregen platschte gegen die Fensterfront. Die großen, matschigen Flocken blieben einen Moment an der raumhohen Glasscheibe kleben, um dann der Schwerkraft folgend nach unten zu kriechen, bis sie irgendwann durchsichtig wurden und verschwanden. Wenn jemand das Lokal verließ, drückte feuchtkalte Luft in den Raum, sogar der war es draußen zu unfreundlich.
Armand blickte sich um. Ein verliebtes Paar, vielleicht Studierende, steckte tuschelnd die Köpfe zusammen. Sie taten dies so unbeschwert und verspielt, wie es nur in der Jugend möglich war. War er ein wenig eifersüchtig?
Vielleicht.
Am anderen Ende der Theke standen zwei bekannte Gesichter aus dem Quartier. Harmlose Trinker, auf die zu Hause niemand wartete. Was ihn von den beiden unterschied, war sein Job, einige Freunde, 20 Jahre weniger auf dem Buckel und wahrscheinlich auch mehr Ehrgeiz. Aber Armand war vorsichtig mit Vorurteilen. Jeder trug seinen Rucksack, und er wusste aus seinem Beruf und der eigenen Vergangenheit, dass der Aufzug des Lebens nicht immer nur nach oben fuhr. Zudem war Moralisieren nicht seine Art, das überließ er gerne anderen.
Die Barkeeperin stellte den Negroni auf die Theke, dann drehte sie die Musik etwas leiser. Ein dezentes Zeichen für die Gäste, ihre Gläser langsam zu leeren. Armand nahm pflichtbewusst einen Schluck. Die Mischung aus Gin, Wermut und Campari zu gleichen Teilen, im Tumbler mit Eis gemischt und einer Orangenscheibe serviert, war der ideale Absacker, um das wohlverdiente Wochenende einzuläuten. Er saß gerne an der Theke. Es erinnerte ihn an seine Kindheit. Er war in einem Grand Hotel aufgewachsen. Nach dem frühen Abendessen mit den Eltern in den privaten Räumlichkeiten durfte er sich in der Hotelbar herumtreiben, bis die ersten Gäste kamen. Meistens leistete ihm der schöne Roberto Gesellschaft und sie schwatzten, während sie auf den schweren ledernen Barstühlen saßen. Roberto war Pianospieler im elterlichen Hotel und ein italienischer Charmeur wie aus dem Bilderbuch. Dass er eigentlich Radovan hieß und aus Belgrad stammte, wusste kaum jemand. Jedenfalls lebte er für die Musik und die Liebe. Und das mit beträchtlichem Erfolg. Der Pianist hatte die Welt bereist und war dementsprechend sprachgewandt. Er eroberte die Herzen der Hotelgästinnen – so wurden die weiblichen Gäste im altehrwürdigen Grand Hotel genannt – in allen möglichen Sprachen. Roberto gab dem jungen Armand die vielversprechendsten Sprüche mit auf seinen Lebensweg.
»Flüstere deiner Angebeteten auf Italienisch ›Il mio cuore batte solo per te‹ ins Ohr. Auf Französisch benutze: ›Je n’ai connu l’amour que par toi‹. Den englischsprachigen Ladys hauchst du zu: ›The day I will stop loving you, is the day I will close my eyes forever‹. Damit wirst du jedes Herz im Sturm erobern«, so der umtriebige Frauenheld. Am besten gefiel Armand die portugiesische Variante: »Seus olhos brilham mais que as estrelas.« Deine Augen glitzern heller als die Sterne …
Das elterliche Hotel war über die Jahre zusammen mit den Stammgästen gealtert und schloss seine Türen, als Armand volljährig wurde. Heute stand dort ein Gebäude mit Eigentumswohnungen. Er hatte nie erfahren, was aus dem gutmütigen Herzensbrecher geworden war. Man munkelte, Roberto habe eine millionenschwere Russin geheiratet und lebe jetzt in einem schlossähnlichen Stadthaus in Sankt Petersburg. Andere berichteten, dass er mittellos und einsam in einem Pariser Wohnblock gestorben sei. Armand hatte sich entschlossen, der ersten Variante zu glauben. Sein eigenes Liebesleben war trotz der professionellen Starthilfe überschaubar geblieben für einen mittlerweile knapp 50-jährigen, gutaussehenden Mann in einer wichtigen Führungsfunktion. Armands erste und größte Liebe war viel zu früh verstorben. Er hatte sich zunächst nicht damit abfinden wollen, die Polizeiuniform gegen den Talar getauscht und war Kleriker geworden. Doch der Glaube an ein Wiedersehen im Paradies war mit der Zeit geschwunden. Die Trauer war kleiner – oder beherrschbar – geworden und hielt sich immer mehr mit den vielen schönen Erinnerungen die Waage. Armands zweite Beziehung hatte einige Jahre später begonnen, ebenfalls noch im Talar, und geendet, als er zur Polizei zurückgekehrt und dort rasch aufgestiegen war. Hatte er zuvor Verbrechern die Beichte abgenommen, jagte er sie nun wieder. Der Sprung vom Geistlichen in den Polizeidienst war für seine damalige Partnerin zu viel gewesen. Die Trennung war ohne Tränen und Vorwürfe abgelaufen. Manchmal lebte man sich einfach auseinander. Nun herrschte die große Stille in seiner Eigentumswohnung im Zürcher Seefeldquartier. Und für Haustiere hatte der ranghohe Kriminalbeamte schlicht keine Zeit.
Bevor Armand in eine mitternächtliche depressive Stimmung absinken konnte, wurde er von einer weichen Frauenstimme in die Realität zurückgeholt.
»Hallo, Erde an Raumschiff!«
Armand blickte in das schmunzelnde Gesicht der jungen Barkeeperin. Ihre zarten Sommersprossen hoben sich kaum von der hellen Haut ab. Sie stützte sich mit beiden Ellbogen auf die Theke und legte das Kinn in die gefalteten Hände. Ihre Unterarme waren mit Tattoos bedeckt. Geschmackvoll, wie Armand fand, geradezu kunstvoll. Japanische Kirschblüten. Sanft und zart, als wären sie ihr tatsächlich auf den Arm gelegt worden. Armand glaubte, die Blüten riechen zu können: Grapefruit mit Puderzucker. Dabei musste es sich um ihr Parfum handeln.
Auch schön.
Gerne hätte Armand der Barkeeperin für die Kunst auf ihren Armen ein Kompliment gemacht, aber er wollte auf keinen Fall in den Verdacht einer plumpen Anmache geraten. Er schätzte die sympathische, attraktive Frau um die 30 und bewegte sich selbst auf der falschen Seite der 40. Damit wäre sie etwa 20 Jahre jünger als er. Genug, um sich lächerlich zu machen, befürchtete er. Also zog er stattdessen entschuldigend seine breiten Schultern nach oben.
»Sorry, ich war mit den Gedanken gerade weit weg. Was hast du gefragt?«
»Ob ihr bei der Polizei die Verbrecherwelt momentan gut unter Kontrolle habt … Das würde mich als alleinstehende Frau ungemein beruhigen.«
Die trockene Bemerkung traf ihn wie ein nasses Handtuch mitten ins Gesicht. War das der berühmte Wink mit dem Zaunpfahl? Armand spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss – ein untrügliches Zeichen, dass es ihm die Frau auf der anderen Seite der Theke angetan hatte. Er tat das, was er immer tat, wenn ihm etwas peinlich war. Er setzte sein leicht schiefes Lächeln auf, was seine Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Schauspieler Bruce Willis noch betonte. Dann gönnte er sich, um Zeit zu gewinnen, einen weiteren Schluck Negroni. Die Eiswürfel klimperten leise im Glas.
»Im Moment haben wir tatsächlich alles im Griff, zumindest was die schweren Verbrechen angeht. Im Dezember häufen sich in der Regel familiäre Konflikte, dafür ist aber nicht meine Abteilung zuständig. Ich kann mich daher voll auf den administrativen Kleinkram und die anstehenden Weihnachtseinkäufe konzentrieren«, sagte er schmunzelnd und wollte gerade in den dunklen Kaffeeaugen seiner Gastgeberin versinken, als das Telefon in seiner Jackentasche zu vibrieren begann.
Sehr ärgerlich.
Ein Blick auf das Display bestätigte seine Befürchtung, dass es sich um einen dienstlichen Anruf handelte, den er nicht wegdrücken konnte. Sein Gefühl sagte ihm, dass er seine beiden freien Tage wieder mal dem bereits prall gefüllten Überstundenkonto würde gutschreiben müssen.
»Wenn man vom Teufel spricht«, entschuldigte er sich und trat ins Freie. Die eisige Kälte fraß sich sofort durch seine Kleidung und stieß mit Nadelspitzen in seine Haut.
»Muzaton«, sprach er mit tiefem Bass in das Smartphone. Sein Atem stieg dampfend zum Himmel wie Zigarettenrauch.
»Mit deiner Stimme müsstest du eigentlich beim Fernsehen arbeiten oder berühmte Actionstars synchronisieren.« Der Schalk in der Stimme seiner Assistentin war unüberhörbar. »Du weißt schon, Gerard Butler oder Bruce W…«
»Ist euch langweilig auf der Dienststelle oder warum klingelst du mich um Mitternacht aus dem Bett?«, knurrte Armand lächelnd ins Telefon. Sein gespielter Ärger verfehlte die gewünschte Wirkung nicht.
»Oh, Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass du bereits geschlafen hast. Ich dachte nur, dass du bei der Tatortbesichtigung eines Gewaltverbrechens gerne dabei wärst. Im Langstrassenquartier ist es zu einer Auseinandersetzung mit Todesfolge gekommen.«
Armand war gleich bei der Sache. Die vielfach eingeübten Abläufe griffen sofort. »Schick mir einen Wagen. Ich bin in der Sacré-Cœur-Bar im Seefeld.«
»Im Nachthemd?«
Ohne Antwort beendete Armand das Gespräch. Seine Assistentin war nicht auf den Kopf gefallen. Im Gegenteil, Priya Schweizer war die beste Mitarbeiterin, die er sich wünschen konnte. Intelligent, schnelle Auffassungsgabe, hoch professionell und dazu ein Computergenie, was sein Manko auf diesem Gebiet mehr als wettmachte. Seine Stärken lagen definitiv im analogen Bereich. Was Armand an Priya Schweizer am meisten beeindruckte, war ihr mutiges Auftreten. Einige seiner Kollegen empfanden die junge Frau als frech und vorlaut. Das schrieb er deren veralteten Geschlechtervorstellungen zu. Priya hatte als Halbinderin auch sonst mit Vorurteilen zu kämpfen, wusste sich aber zu wehren. Ihr Familienname Schweizer konnte als Ironie der Geschichte bezeichnet werden und führte, wie man sich gut vorstellen konnte, immer wieder zu köstlichen Irritationen.
Armand ging zurück in die Wärme der Bar und verlangte die Rechnung. »Die Arbeit ruft«, sagte er mit Blick auf sein Smartphone.
»Schade«, die junge Frau schien wirklich enttäuscht zu sein. »Einmal Kommissar, immer Kommissar«, schob sie lächelnd nach.
Armand spürte, wie ihm warm wurde in der Magengegend. »Kommissare gibt es in Zürich nur im Fernsehen und beim leider viel zu früh verstorbenen Falco«, erwiderte er.
Beim Bezahlen überlegte er ernsthaft, ob er ihr doch noch ein lange überfälliges Kompliment machen sollte. Aber was sollte er zuerst erwähnen? Die Tattoos, die warmen Augen, die wunderschönen langen Haare, die sie zurzeit rostbraun trug, oder sollte er ihr ganz einfach einen Dank für die immer herzliche Gastfreundschaft aussprechen? Er ärgerte sich über seine Schüchternheit – zweifellos eine Spätfolge der calvinistischen Erziehung –, gegen die auch seine breiten Schultern und seine Körpergröße von 1,90 Meter nichts halfen. Die Entscheidung wurde ihm schließlich durch den Polizeiwagen abgenommen, der vor der großen Fensterscheibe anhielt. Die Signalleuchte warf ihr flackerndes Licht in die Bar.
Armand verabschiedete sich. Als er bei der Tür ankam, ertönte das bekannte Lied von Falco über den Kommissar. Doch im Gegensatz zu diesem drehte sich Armand um und blickte in das lachende Gesicht der jungen Frau. Er zwinkerte ihr zu und verschwand mit hochrotem Kopf im Polizeiwagen.
*
Als er gegangen war, drehte sie die Musik ganz ab. Der gutaussehende Polizeibeamte füllte die Bar bei jedem Besuch mit Wärme. Sie spürte, dass er auch – oder vor allem – wegen ihr ins Sacré-Cœur kam. Dennoch war er immer sehr zurückhaltend. War er einfach nur schüchtern oder vielleicht sogar verheiratet? Sie spürte einen Stich im Herz. Gerne hätte sie den sanften Riesen mit dem traurigen Blick fest in ihre Arme genommen. Doch wie würde er reagieren? Zudem hatte sie sich geschworen, sich nie in einen Gast zu verlieben. Aber Gefühle sind halt schwierig zu kontrollieren. Sie kommen und gehen wie die Jahreszeiten.
Sie klatschte laut in die Hände und kassierte die offenen Rechnungen. Energisch blies sich die junge Frau eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es war schon nach Mitternacht und am Samstagmorgen war Lernen angesagt.
Zürich, 17. Dezember
Armand ließ sich schwer auf die Rückbank des Dienstwagens fallen. Es roch nach neuem Leder. Der Wagen setzte sich sofort in Bewegung und tauchte in die dunkle Nacht ein. Priya, die neben dem Fahrer saß, drehte sich zu ihrem Vorgesetzten um.
»Du bist ja verliebt, Armand! Blicke lügen nicht«, sagte sie und kniff die Augen zusammen.
»Hör doch auf. In meinem Alter verliebt man sich nicht mehr einfach so«, log er.
»Wie heißt denn die sympathische Dame?«, bohrte Priya Schweizer nach, wie bei einem Verhör. Der Beamte am Steuer versuchte gar nicht erst den Anschein zu erwecken, nicht zuzuhören, sondern schaute gespannt in den Rückspiegel. Tratsch war auch bei der Polizei eine beliebte Abwechslung zur alltäglichen Routine.
»Keine Ahnung«, sagte Armand wahrheitsgetreu und schämte sich für seine Antwort. Seit Monaten ging er nun allein in diese Bar und hatte seine Lieblingsbarkeeperin nie nach ihrem Namen gefragt. Dafür wusste er, dass sie sympathisch, intelligent, freundlich, aufmerksam, hübsch und obendrein selbstbewusst war. Aber darüber wollte er nicht sprechen. Also wechselte er abrupt das Thema. »Konzentrieren wir uns auf unseren Job. Ist die Forensik informiert?«
»Jawohl, Chef«, kam die Antwort von vorne.
»Wurde der Tatort schon abgesperrt?«
»Jawohl, Oberleutnant Muzaton.«
»Gibt es Zeugen?«
»Bislang haben wir noch keine Informationen zum Tathergang.«
»Das Opfer?«
»Gemäß den Beamten vor Ort ein bekannter Dealer. Könnte sich um ein Verbrechen in der Drogenszene handeln.«
Kurz darauf erreichte der Wagen das Langstrassenquartier.
Trotz der späten Stunde hatte sich eine beachtliche Anzahl Schaulustiger eingefunden, einige Anwohner betrachteten das Spektakel durch ihre Wohnungsfenster. Die Nacht zeichnete ein düsteres Bild. Scheinwerfer schickten ein grelles Licht in den Innenhof und warfen lange Schatten. In Regenmäntel oder weiße Schutzkleidung gehüllte Gestalten verrichteten mechanisch ihre Arbeit. Jeder Handgriff war einstudiert. Es wimmelte nur so von Einsatzkräften. Rot-weiße Plastikbänder hielten die Passanten auf Abstand. Hin und her wandernde Lichtkegel ließen auf Polizeibeamte schließen, die den nahen Umkreis nach Spuren absuchten.
Priya ballte energisch ihre Fäuste und drehte sich keck zu ihrem Vorgesetzten um. »Na dann, auf ins Gefecht!«
Armand stieg über die Absperrung, während Priya sich unter ihr hindurchzwängte. Sie passierten den wachhabenden Polizeibeamten und vergruben ihre Hände instinktiv in den Manteltaschen, eine routinemäßige Handlung, um am Tatort nichts anzufassen, vor allem wenn man keine Handschuhe trug. Das Opfer wurde mit einer Plane vor den Handykameras der Gaffer geschützt. Armand erblickte Paul Rechsteiner, den Leiter des Forensischen Instituts. Er war froh, seinen Kollegen persönlich anzutreffen. Dem erfahrenen Kriminaltechniker entging in der Regel nicht der kleinste Hinweis, so penibel arbeitete er.
»Was für eine verdammte Schweinerei!«, empfing Rechsteiner seinen Freund kopfschüttelnd. »Hier könnte man genauso gut eine Kuhherde durchtreiben. Wie soll man denn in diesem Durcheinander Spuren finden, geschweige denn Fingerabdrücke oder DNA-Reste?« Sein Adamsapfel hüpfte wild auf und ab.
Armand schüttelte seinem Kollegen die Hand. »Wenn jemand etwas findet, dann du. Was ist deiner Meinung nach passiert?«
Rechsteiner beruhigte sich und schlug einen sachlichen Ton an. Er hatte zusammen mit Armand schon viele Fälle gelöst. Sie vertrauten sich blind. Der Kriminaltechniker zeigte auf die Plane.
»Erstochen, sauberer Schnitt in den Oberschenkel und eine Stichwunde im Bauch. Vermutlich verblutet. Genaueres kann dir die Gerichtsmedizin sagen. Die beiden Streifenpolizisten dort an der Ecke wurden von einem Nachbarn gerufen. Er hatte einen Schuss gehört, von einer Pistole oder Kugel fehlt aber jede Spur. Wir haben auch keine passenden Blutspuren gefunden. Das Opfer liegt in seiner eigenen Blutlache. Ansonsten ist der Tatort sauber. Wir suchen derzeit die ganze Gegend ab. Gemäß den Aussagen der Polizisten handelt es sich beim Toten um einen einschlägig bekannten Drogendealer. Wahrscheinlich ein Delikt im Milieu. Aber das musst du herausfinden, mein Freund, ich beschaffe dir lediglich die Indizien«, sagte Rechsteiner und machte sich wieder an die Arbeit. Wild gestikulierend verscheuchte er eine streunende Katze, die an der eingetrockneten Blutlache schnupperte.
Armand winkte einen Polizeibeamten zu sich und bat ihn, dafür zu sorgen, dass die Leiche schnellstmöglich in die Gerichtsmedizin gebracht wurde. »Sagen Sie bitte, dass ich den Befund morgen schon brauche.«
Dann ging er zu Priya, die etwas abseits des Geschehens stand und die Schaulustigen studierte.
»Was würdest du als Nächstes machen?«, fragte Armand seine Assistentin und betrachtete interessiert das muntere Treiben vor Ort.
Priya zögerte nicht lange. »Unbedingt nach Zeugen suchen. Um diese Zeit stehen hier in jedem Hauseingang irgendwelche Leute rum. Wir müssen sie finden, solange sie sich noch an etwas erinnern können – oder wollen.«
Armand war zufrieden. »Genau so machen wir es, organisiere bitte eine Gruppe Beamter und vor allem Beamtinnen, die sich in der Nachbarschaft umhören und mit den Prostituierten sprechen. Es muss jemand etwas mitbekommen haben. Und da wäre ja noch dieser angebliche Schuss. Aber das Opfer scheint erstochen worden zu sein.«
Priya hob die Hände zum Kopf und band ihren Pferdeschwanz neu. »Wahrscheinlich eine Falschinformation. In einem so engen Innenhof kann schon das Herunterfallen eines harten Gegenstandes oder ein lauter Schrei wie ein Knall tönen.«
Armand schaute sich nachdenklich um. »Gut möglich.«
Selbst die Besten ihres Fachs können sich mitunter täuschen.
Zürich, 19. Dezember
»Na, Oberleutnant Muzaton, gut in Form heute Morgen?«