Lanzarote - Lava, Licht und Farben - Lothar Scholz - E-Book

Lanzarote - Lava, Licht und Farben E-Book

Lothar Scholz

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Beschreibung

Lava, Licht und Farben begegnen dem Besucher auf Lanzarote auf Schritt und Tritt. Die einzigartige Insel im Atlantik präsentiert eine faszinierende Vielfalt von spektakulären Landschaftsbildern, bizarren Vulkangipfeln, schroffen Lavameeren, Hochflächen, Schluchten, Höhlen, einmaligen Weinbaugebieten, wilden Küsten, paradiesischen Stränden, freundlichen Menschen - dazu Kunstwerke, die eine faszinierende Symbiose von Natur, Architektur und Kunst darstellen. Wer sich auf diese Insel einlässt und Land und Leuten mit offenen Sinnen begegnet, wird dabei überraschende Erfahrungen machen und erleben, dass eine starke Anziehungskraft von Lanzarote ausgeht. Der Autor präsentiert in den meist heiteren Erzählungen seine Beobachtungen und Erlebnisse, die er unterwegs und bei persönlichen Begegnungen gemacht hat, vermittelt Hintergrundinformationen, stellt Wandertouren vor und beschreibt Alltagssituationen. Er zeichnet ein eindrucksvolles Bild dieser einzigartigen Vulkaninsel und gibt u.a. Antworten auf die Frage, welche Faszination von Lanzarote ausgeht. Mehrere Texte beschäftigen sich mit César Manrique und weiteren Künstlern der Insel. Mehr als 120 Fotos, davon 100 farbig, Gedichte, ein Bilderrätsel sowie eine unglaubliche Geschichte runden das unterhaltsame und gleichermaßen informative Buch eines Insel-Insiders ab.

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Für Marie und Sophie

Inhalt

Vorwort

Das Licht der Insel

1. Auf dem Weg ins Licht

2. Eine Insel für die Sinne

3. Tausend Fans hat diese Insel

4. Wie auf dem Mond

5. „Eine der originellsten Landschaften,…“

6. Haiku (1)

7. Lanzarote-Virus: „Beim Heimflug kamen mir die Tränen“

Unterwegs in faszinierenden Landschaften

8. Erst im zweiten Anlauf… durch den Barranco de Teneguime

9. Pistazien-Schokokuss an feuerroter Vulkanflanke

10. Haiku (2)

11. Das Höhlen - Handy

12. Liebesschlösser auf der Montaña Tamia?

13. Haiku (3)

14. Eine überraschend abwechslungsreiche Küste

15. Eine außergewöhnliche Begegnung - rund um Los Helechos

16. Elfchen (1)

17. Mit Fahrrädern auf La Graciosa

18. Die Lava-Genusstour

Kunst, Kultur und Alltag

19. César Manrique

Ein kleiner biografischer Steckbrief

Manriques Werke - eine Auswahl

Bewertungen zu César Manrique

Der Wasserfall in Jameos del Agua

20. Kennen Sie die Werke von CM? Ein Fotorätsel

21. Kreiselkunst: Die Dromedare vor Uga

22. Elfchen (2)

23. Beim Noss - Kerschel oder Kunst?

24. Beobachtungen beim Einkaufen in Lanzarote

25. Elfchen (3)

Strandgeschichten

26. Eine flüchtige Begegnung auf dem Meer

27. Strandgedicht

28. Strandlektüre

29. Schlüsselerlebnisse

30. Haiku (4)

Lanzarote zum Schmunzeln

31. Timan und das Geheimnis der Bomba

32. Eine Lanza für das Rote brechen!

Abschied von der Insel

33. Mit gemischten Gefühlen…

34. Bildnachweis

35. Auflösung: Fotorätsel (S. 256 f.)

36. Register

37. Zum Autor

38. Anmerkungen

© OpenStreetMap - Mitwirkende

Vorwort

„Noch ein Buch über Lanzarote? In deinem ersten Buch hast du doch schon zahlreiche Begegnungen beschrieben, so dass man einen sehr guten Eindruck von der Insel bekommen hat. Hast du denn soviel Interessantes neu erfahren?“

„Ja, ich habe noch sehr viele interessante und aufschlussreiche Episoden erlebt auf dieser faszinierenden Vulkaninsel im Atlantik.“ Für mich ist Lanzarote mit der Lava, dem Licht und den Farben ein Füllhorn neuer Eindrücke, Erlebnisse und Beobachtungen und eine Quelle für nachhaltige Gespräche und Erfahrungen, die es wert sind, festgehalten zu werden.

So gibt es in diesem Buch wieder Geschichten von Begegnungen mit interessanten Menschen, sei es mit Freunden, Künstlern, Menschen auf der Straße, in Geschäften, bei Wanderungen oder am Strand. „Unterwegs“ - wie im ersten Buch auch - ereigneten sich wieder zahlreiche Begebenheiten in unterschiedlichen Situationen, die oft amüsant und zum Schmunzeln sind, manchmal aber auch zum Nachdenken anregen.

Sie alle zeichnen ein Bild der Vielfalt und Buntheit, welches die ‚schwarze’ Vulkaninsel Lanzarote kennzeichnet.

Neben neuen Geschichten und Erzählungen, die in diesem Buch Aufnahme gefunden haben, hat mich noch eine andere Frage beschäftigt. Was ist das Besondere, das Einzigartige, das Eigentümliche, das diese herbe Insel im Atlantik charakterisiert? Weshalb fasziniert Lanzarote so viele Besucher? Ob meine Antworten auf diese Fragen zutreffend sind, wird jeder Leser, jede Leserin für sich entscheiden.

Die Geschichten in diesem Buch vermitteln wieder vielfältige Hintergrundinformationen zu Lanzarote und werden angereichert mit kurzen poetischen Texten sowie Bildern, die die Schönheit Lanzarotes zeigen. Mögen sie der Leserin und dem Leser diese wunderbare, schützenswerte Insel ein Stück näher bringen oder bereits vorhandene Zuneigung verstärken und vertiefen.

Ich danke der Fundación César Manrique für die Überlassung von Fotos des Künstlers César Manrique, Klaus Wertel für die Autorenportraits, Paco Curbelo und Dieter Noss für die Interviews und allen Freunden, die mit mir unterwegs waren. Ganz herzlich danke ich auch meiner Frau für die verständnisvolle Begleitung dieses Buchprojektes.

I. Das Licht der Insel

1. Auf dem Weg ins Licht

Schmuddelwetter im Februar - nix wie weg! Eine Begegnung am Flughafen lässt die grauselige Anfahrt durch Stau, Nebel und Schneetreiben vergessen und lenkt den Blick auf den absoluten Kontrast: das Licht der Insel.

Abreisetag. Heute geht’s wieder zurück auf die Insel. Der Handywecker brummt um viertel vor vier. Noch zehn Minuten liegenbleiben, den Schlaf aus den Augen reiben, dann raus aus den Federn.

Zweieinhalb Stunden bis das Taxi kommt. Rasch unter die Dusche, Morgentoilette, schnelles Frühstück. In das Handgepäck müssen noch Schlüssel, Mobiltelefon (und die Ladestation!) sowie eine kleine Vesper für den Flughafen. Die Wohnung ist aufgeräumt, nur noch frühstücken und abschließen. Noch ein letzter Blick auf die Todo-Liste: Kaffeegeschirr abwaschen, Kaffeemaschine reinigen, überprüfen, ob die Fenster und Türen fest verschlossen sind, ein kurzer Kontrollgang durchs Haus, dabei Wasser im Keller abstellen. Alles Routine. Das Taxi kommt pünktlich, ich hieve die zwei ordentlich verschnürten Pakete, zwei Trolleys sowie meine Fototasche in den Kofferraum, schließe die Haustür ab.

Es hatte über Nacht geschneit, aber der Niederschlag war sehr nass. Die Straßen sind zwar weiß, die Fahrrinnen matschig; gut, dass kein strenger Frost herrscht, sonst wäre es glatt. Nasskaltes Sauwetter, Nebel obendrein.

„Wo geht's denn hin?“, will der freundliche Taxifahrer wissen.

„Nach Lanzarote.“

„Oh“, sagt er. „Wie ist denn dort das Wetter?“

„Heute poco nuboso“, antwortet Karen von der Rückbank.

„Ein bisschen bewölkt“, ergänzt sie. „Um die 22 Grad.“

„Na, das ist doch was,“ sagt der Taxifahrer. „Davon kann man ja nur träumen bei dem Mistwetter. Wenns ja wenigstens richtig kalt wäre und trocken, es dürfte auch Schnee liegen - aber so. Es gibt hier gar keinen richtigen Winter mehr.“

Die Fahrt zum Flughafen verläuft anfangs flüssig, im leichten Schneegestöber, aber je mehr wir uns Frankfurt nähern, um so dichter wird das Schneetreiben. Der Verkehr fließt auf fünf Spuren nur noch zäh, auf der entgegengesetzten Richtung hat sich ein kilometerlanger Stau gebildet - viele Verkehrsteilnehmer wollen dem gemeldeten Verkehrsstillstand am Frankfurter Nordkreuz ausweichen und diesen umgehen. Sie sind vom Regen in die Traufe gekommen.

Gigantisches Frankfurter Kreuz, von der Brücke über die A5 hat man den ungehinderten Blick nach Norden und nach Süden. Mit mäßigem Tempo schleichen wir darüber, in einem kurzen Moment fange ich das Szenario ein. Tausende Pkws und LKWs auf sechs vollgestopften Reihen nach Norden, nicht viel weniger nach Süden, hier fließt es wenigstens, wenn auch zäh - eine einzige Blechlawine. Das gemeldete Stauende am Horizont kurz vor dem Westkreuz Frankfurt in nicht allzu großer Entfernung ist deutlich sichtbar, ein gleißendes Meer von roten Lichtern, furchterregend, schrecklich, fast apokalyptisch.

Das war immer eine Horrorvision für unsere schwedischen Freunde, wenn sie uns in der Vergangenheit mit ihrem Auto besuchten. Jetzt kommen sie mit dem Flugzeug und wir holen sie am Flughafen ab. Mats schüttelt immer den Kopf, wenn wir über das Kreuz fahren.

„Davor habe ich immer Angst gehabt,“ bekennt er und Gunilla ergänzt:

„Wie das die Menschen in den Autos ertragen. Das muss doch einen unglaublichen Stress verursachen. Und abends wieder zurück.“

„Dagegen ist Autofahren in Skåne ein Genuss.“

Unserem Taxifahrer bereitet der Berufsverkehr keine Sorgen.

„Halb so schlimm“, antwortet er, als ich ihn auf den dichten Verkehr anspreche. „Wenn du hier achtmal am Tag drüber musst, gewöhnst du dich daran.“

Das Schneetreiben ist in Regen übergegangen, der heftig gegen die Autoscheiben peitscht. Platschende Wassermassen nicht nur von vorne gegen die Windschutzscheibe - die Scheibenwischer im Schnellgang quietschen leicht und schaffen nur mit Mühe eine einigermaßen freie Sicht auf die Straße -, auch von den Seiten, vor allem von rechts, von den Reifen der Lastkraftwagen spritzen bisweilen richtige Brecher an die Fenster. Auf den beiden rechten Fahrspuren reiht sich inzwischen ein Lkw hinter dem anderen.

„Hier musst du mit allem rechnen“, erzählt der Taxifahrer. „Am letzten Freitagnachmittag war ich auf dem Weg zum Flughafen, um einen Kunden abzuholen. Ein Kollege rief mich aus seinem Taxi an, und teilte mir mit, es sei gerade ein schwerer Verkehrsunfall auf der A5 an der Abfahrt Frankfurt-Süd passiert, der Verkehr staue sich schon beträchtlich zurück. Das war wenige Kilometer vor mir. Ich konnte noch rechtzeitig vor der A5 runterfahren, um am Monte Scherbelino vorbei auf die Isenburger Landstraße Richtung Flughafen auszuweichen. Aber plötzlich wurde der Verkehr auch dort dichter, staute sich und dann ging es nur noch im Schritttempo weiter. ‚Verdammt‘, dachte ich, ‚was ist denn hier los? Das kann doch nicht wahr sein, wo wollen die denn alle hin?’

Ich fing schon an mich zu ärgern, da sehe ich, wie vor mir laut grölend drei junge Typen die Straßen überqueren - Eintracht-Fahnen auf den Rücken tragend. Da war mir klar: Eintracht Frankfurt hat ein Heimspiel. Kurz darauf ging nichts mehr. Ich rief den Kunden an, der am Gepäckband auf seinen Koffer wartete, erklärte die Situation und bat ihn ein Taxi zu nehmen. Wir würden die Mehrkosten übernehmen. Der Kunde lachte und sagte: ‚Das macht nichts. Ich bin Eintracht-Fan.‘“

„Also müssen Sie immer auch einen Veranstaltungskalender dabei haben“, frage ich. „aber das hätte ja in diesem Fall auch keinen Vorteil gebracht, oder?“

„Nee, manchmal nützen dir richtige Entscheidungen nichts. Das siehst du da drüben, die wollen dem Stau am Westkreuz ausweichen und stecken jetzt fest. Du musst es oft darauf ankommen lassen.“

Jetzt geht es auch auf unseren Spuren nur noch im Schritttempo weiter. Die lange Reihe der Lastwagen neben uns, davon sehr viele aus Osteuropa, steht - mit knapp zwei Metern Abstand von Fahrzeug zu Fahrzeug, oft auch weniger. Ab und zu blickt mal einer der ausschließlich, so weit ich das sehen kann, männlichen Trucklenker nach unten in unser Auto hinein, unsere Blicke kreuzen sich. Vermutlich denkt sich der eine oder andere, dass wir zum Flughafen unterwegs sind, im Taxi so kurz vor der Autobahnabfahrt zum Terminal 2, und mir geht durch den Kopf, dass die Jungs möglicherweise noch einen weiten Weg vor sich haben, mit viel Regen und später sicher auch Schnee, der für heute angekündigt war, mit Glatteis, Nebel, Staus.

„Was bin ich froh, dass ich da raus bin.“

Als ob der Taxifahrer meine Blicke zu den Fahrern der Lastkraftwagen bemerkt und meine Gedanken erraten hätte, sagte er:

„Bin ich 25 Jahre lang gefahren. Immer nach Italien, über den Brenner. Das macht dich auf Dauer kaputt. Dieses ständige unterwegs sein, die ganze Woche nicht zu Hause, Anspannung und Konzentration, Stress, Übermüdung, Termindruck. Jetzt fahr ich Taxi. Das ist gemütlicher und abwechslungsreicher.“

„Terminal 2?“, fragt er noch.

Ich nicke.

Der Verkehr rollt langsam wieder an, die Pkws auf den linken Spuren überholen uns. Fast jedes Auto ist nur mit einer Person besetzt. Der Fahrer neben uns telefoniert mit seinem Handy, ein anderer macht Streck- und Dehnübungen hinter dem Steuer, eine dritte Person ist mit seiner Nase beschäftigt. Eine Frau in einem Kleinwagen beißt in einen Apfel, eine andere schaut mit gestrecktem Kopf in den Rückspiegel, zupft sich an den Augenbrauen.

In einem Kleinlastwagen, die mir bei normalem Verkehrsfluss immer etwas Sorge bereiten, weil sie nach meinem Dafürhalten mit viel zu hoher Geschwindigkeit und zu dicht auffahren, sitzen eng nebeneinander drei Männer, zwei rauchen, der Fahrer hält einen Kaffeebecher in der Hand. Auf der Laderampe flattert eine lose Plastikplane, Werkzeug, Schaufel, Pickel, Maschinenkästen liegen auf der Pritsche. Ich verstehe jetzt so manche Verkehrsdurchsage: ‚Auf der A sowieso liegt ein Spanngurt auf der Straße’, oder irgendwelche anderen Gegenstände. Große, schwarze Limousinen, meistens Männer hinter dem Lenkrad, aber auch Kleinwagen, viele gesteuert von Frauen, überholen uns auf der linken Spur.

Wir müssen nach rechts auf die Abfahrt zum Flughafen durch die Reihe der Lastkraftwagen hindurch. Vor uns schert in spitzem Winkel ein Kleinwagen gerade noch rechtzeitig vor der Leitplanke auf die Abfahrtsspur.

„Hui, das war knapp“, entfährt es mir.

Unser Taxifahrer bleibt stumm.

Drin sitzt, unschwer zu erkennen, eine Stewardess in ihrer Berufskleidung. Wo sie wohl hinfliegen wird?

Karen hatte heute morgen noch schnell den Wetterbericht von El Tiempo für Lanzarote auf ihrem iPad aufgerufen. 22 Grad nuboso, Nordostwind. Leicht bewölkt also, auch die nächsten Tage sonniges Wetter, angenehme Temperaturen. Die Schlechtwetterfront der vergangenen Woche hat sich auf Teneriffa und Gran Canaria zurückgezogen. Dort hat es kräftig geschneit, die Schneepflüge sind im Gebirge ununterbrochen im Einsatz. Der Teide und die ihn umgebende Caldera in weiß - Wahnsinn! Skilanglauf auf den Kanaren. Lange wird’s nicht dauern, bis die Tourismusindustrie diese sportliche Aktivität entdecken und anbieten wird.

Der Regen wird heftiger und hat sich jetzt mit dicken Schneeflocken gemischt. Die Straße scheint glatt zu sein. An der roten Ampel vor der Auffahrt zum Terminal müssen wir anhalten. Der riesengroße, stilisierte Stern an der Glasfassade des mächtigen Abfluggebäudes leuchtet weithin sichtbar. Für die, die in den Urlaub fliegen, stellt sich spätestens jetzt erwartungsvolle Vorfreude ein, andere, die hier arbeiten, haben sicher andere Empfindungen beim Anblick diese Urlaubssymbols.

In unserem Taxi klingelt ein Handy.

„Schaffst du Dudenhofen, Friedhofstrasse?“

Wohl der Chef.

„Ja“, antwortet unser Fahrer kurz und knapp. „Es fließt auf der A3 nach Osten.“

„Dann melde dich mal kurz, wenn du wieder auf dem Weg zurück vom Flughafen bist.“

„Ok.“

Ich bin froh, endlich, rechtzeitig und ohne nennenswerte Verspätung am Flughafen angelangt zu sein.

Unser Taxifahrer muss jetzt wieder zurück, durch den dichten morgendlichen Berufsverkehr, Regen, Schneematsch, möglicherweise Stop and Go, vielleicht sogar Stau - und dann mit dem nächsten Kunden auf die gleiche Strecke, wieder in diesem Verkehrsinferno.

Und das Ganze vielleicht noch vier- bis fünfmal am heutigen Tag.

Ich habe Mitgefühl mit ihm. Sein Job ist es, an der Nahtgrenze zwischen Arbeit und Urlaub zu arbeiten. Während er einem aufreibenden Berufsstress ausgesetzt ist, befinden sich seine, meist entspannten Kunden auf dem Weg in den Urlaub. So wird es den meisten Bediensteten in der Tourismusbranche oder im Hotelgewerbe gehen, denke ich. Allzu oft werden diese Menschen mit ihrem Engagement übersehen oder ihre Arbeit wird nicht hinreichend wertgeschätzt.

Ich bedanke mich mit einem ordentlichen Trinkgeld.

Bevor ich in den Terminal eintrete, blicke ich noch einmal zurück. Einen Steinwurf entfernt verläuft in Sichtweite eine weitere Autobahn, die am Flughafen vorbeiführt. Eine andere Perspektive auf dieses monströse Verkehrsgeschehen. Hier kann man von der Seite aus die Geschwindigkeiten beobachten, die auf den Autobahnen gefahren werden, meines Erachtens unverantwortlich hohe in diesem Regen- und Wasserschleier.

Meine Gefühle sind zwiespältig: einerseits Freude, diese Umgebung jetzt hinter mir zu lassen, andererseits Nachdenklichkeit über meine eigene Rolle als jahrzehntelanger Pendler und damit aktiver Teil dieser automobilen Umwelt. Morgens eine knappe Stunde über die südhessischen Autobahnen und das Autobahnkreuz Darmstadt zur Arbeitsstelle, abends den gleichen Weg zurück, manchmal auch in eineinhalb Stunden. Ich empfinde es als ein großes Privileg, jetzt auf die Kanaren reisen zu können.

An einem separaten Schalter geben wir unsere beiden sperrigen Gepäckstücke auf, selbst verpackte Kisten, in denen sich allerlei Hausrat befindet: zwei flache Heizkörper, ein neues Essbesteck, Sonnencreme in 500 ml Flaschen, eine Kaffeemaschine, ein Fotostativ, neue Wandersandalen, einige T-Shirts und Sweatshirts als Polsterung, Dosen, etc.

Die Schlange vor dem Sicherheitscheck ist nicht sehr lang, zwei Schleifen a´ acht Meter. Es geht langsam voran.

„Hallo“, spricht mich unvermittelt eine junge Frau in der Reihe neben uns an.

Ich schaue sie an, irgendwie kommt sie mir bekannt vor.

„Hallo“, antworte ich und grüble, woher ich diese Frau kenne.

Sie neigt sich ein wenig zu mir herüber: „Habe Ihr Buch fertig gelesen und schon an meine Freundin ausgeliehen.“

Ich erwidere ihr freundliches Lächeln, Karen ebenso.

„Hat mir sehr gut gefallen. Schreiben Sie ein neues?“

„Danke für das Kompliment. Ich bin dran, habe aber zwischenzeitlich einen Bildband veröffentlicht.“

Ich kann mich partout nicht daran erinnern, wo ich oder wir sie getroffen haben. Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, sagt sie:

„Letztes Jahr hier am Flughafen haben Sie mir von Ihrem Buch erzählt. Nach meiner Rückkehr aus Lanzarote habe ich es mir gekauft und mit viel Spaß gelesen. Und das Fotorätsel habe ich bis auf einige Fragen fast richtig gelöst.“

Sie strahlt.

„Das freut mich“, erwidere ich.

„Und Ihre Schuhgeschichte hat mich sehr beeindruckt.“

Sie blickt zu Karen.

„Wie Sie mit Ihren Freunden auf den Vulkan gehen wollten und dann umkehren mussten, weil die Schuhsohlen sich aufgelöst hatten.“

Karen lächelt.

„Das kommt recht häufig vor“, erwidere ich. „Bei vielen Touren im Gelände können Sie Schuhe finden. Ich frage mich dann immer, wie die Leute dann weitergelaufen sind.“

Sie lacht.

„Bei Kinderschuhen ist es nicht allzu dramatisch, da nimmt der Papa den Sohn oder die Tochter auf die Schultern, aber was ist, wenn erwachsene Personen plötzlich ohne Schuhe dastehen.“

„Man kann aber doch nicht immer ein Paar Ersatzschuhe mit sich herumtragen. Jedenfalls habe ich mir vorgenommen“, ergänzt sie, „einige Touren, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, nachzulaufen.“

Unsere Reihe bewegt sich weiter und wir müssen den Anschluss halten. So bewegen wir uns in entgegengesetzte Richtungen auseinander.

Im Warteraum kommt sie auf uns zu.

„Das ist schön, Sie hier zu sehen“, betont sie.

„Ja, freut uns ebenfalls“, antworte ich. „Wie lang bleiben Sie?“

„14 Tage. Und Sie?“

„Ein wenig länger“, erwidere ich und schmunzele. Es erscheint mir ein bisschen unfair ihr gegenüber, die vollständige Wahrheit zu sagen.

„Ein bisschen schnorcheln und tauchen“, fährt sie fort. „Und auftanken!“

Ich frage, ob sie von dem neuen Unterwassermuseum in Playa Blanca gehört habe.

„Nein, ein Unterwassermuseum? Was kann ich mir denn darunter vorstellen?“

„Das ist ein sehr spektakulärer Skulpturenpark im Meer, der Brite Jason Taylor ist der Künstler. Insgesamt sind in einer Tiefe von 12 bis 15 Metern 300 bis 400 Statuen aufgestellt. Dabei geht es immer um Themen, die mit dem Meer zu tun haben, z.B. auch Flüchtlinge.“

„Das klingt ja interessant“, sagt sie. „Plastische Figuren unter Wasser, also?“

Da kein freier Sitz in der näheren Umgebung frei war, nimmt sie auf ihrem Rucksack Platz.

„Ja. Aber Sie müssen wissen, dass der Anblick der lebensgroßen Figuren gruselig sein und Ihnen einen Schauer über den Rücken jagen kann. Die Nachbildungen von Menschen sind so detailreich gearbeitet, dass sie echt wirken. Sie stehen auf dem Meeresgrund, schießen zum Beispiel ein Selfie von sich, umarmen sich oder scheinen etwas zu fotografieren mit einer täuschend echt aussehenden Kamera.“

„Oder das Flüchtlingsboot, das am Meeresgrund liegt. Mit Skulpturen von Menschen darauf, die nachdenklich wirken, übermüdet und verzweifelt. Ein Denkmal für die, deren Flucht geglückt ist, aber auch die, die es nicht geschafft haben“, ergänzt Karen.

„Das Besondere an dem Unterwassermuseum ist auch“, füge ich noch hinzu, „dass die Betonfiguren als künstliches Riff dienen sollen, auf denen sich Tier- und Pflanzenarten ansiedeln. Die Figuren werden nicht etwa regelmäßig gereinigt oder gar restauriert – im Gegenteil. Der Künstler will, dass sich Korallen, Muscheln und Algen auf den Statuen absetzen. Im Laufe der Jahre erhalten die Figuren dadurch ein fast groteskes Aussehen. Sie werden geformt von der Natur und den Kräften des Wassers. Der spezielle Beton, aus dem sie gefertigt sind, ist pH-neutral und harmlos für die Umwelt. Er fördert sogar das Wachstum von Korallen.“

„Das klingt ja richtig spannend“, strahlt sie uns an. „Das werde ich mir anschauen. Da freue ich mich richtig darauf. Danke für die Informationen.“

Nach einer kleinen Weile sagt sie:

„Ich habe erst vor kurzem an Sie gedacht“.

Sie schaut wieder Karen an.

„Sie haben vor einem Jahr hier am Flughafen erwähnt, dass Sie das Licht der Insel fasziniert. Das sei etwas ganz Besonders für Sie. Das kam mir letzte Woche wieder in den Sinn.“

„Ja, ich erinnere mich“, antwortet Karen. „Wir sprachen darüber. Das ist ja schön, dass Sie unser Gespräch nicht vergessen haben. Das Licht auf Lanzarote ist einzigartig. Man merkt es schon, wenn man aus dem Flugzeug steigt. Hell und klar, irgendwie unverbraucht und frisch.“

„Ja, das habe ich auch so empfunden, als ich letztes Jahr dort war. Das Licht der Insel - das ist wunderbar.“

„Und die Farben, die die Vulkanberge zum Leuchten bringen, die sind phantastisch“, ergänzt sie.

Ihre Augen strahlen.

Über die Lautsprecher ertönt der Aufruf zum Boarding. Wir stellen uns gemeinsam in die Schlange und werden kontrolliert. Das Flugzeug steht auf dem Vorfeld, so dass wir mit einem Shuttlebus dorthin gebracht werden.

Wir steigen die Treppe zum Rumpf empor, müssen auf der Hälfte der Strecke aber im Regenschauer ausharren und abwarten, bis die Passagiere vor uns in den ersten Reihen in aller Ruhe ihre Handgepäckstücke in den Ablagefächern verstaut haben und auch noch einen Moment brauchen, um den Gang freizumachen und sich hinzusetzen.

Leicht durchnässt erreichen wir unsere Sitzplätze. Die junge Frau geht weiter in den hinteren Teil der Kabine. Wir verabschieden uns mit einem Winken und einem „Guten Flug!“

Das Boarding geht jetzt zügiger, weil es keinen Stau an der Eingangstür mehr gibt, die Priority-Bucher haben alle schon Platz genommen.

„Boarding completed“, krächzt es durch die Lautsprecher und der Kapitän meldet sich - stark nuschelnd und kaum verstehbar wie so oft - mit den üblichen Willkommensgrüßen und kündigt an, dass der Start sich um 15 Minuten verzögert, weil ...

Die Begründung geht im Rauschen des Lautsprechers unter. Wie so oft in Charterflugzeugen ist die Durchsage nicht zu verstehen, ob in englisch oder deutsch. Ich wundere mich immer wieder über die Unverfrorenheit der Fluggesellschaften, ihren Passagieren eine derart miserable Qualität der Lautsprechermitteilungen zuzumuten.

Wenig später sehe ich den Grund für die Verzögerung des Abflugs. Die Maschine ist ein Stück weit gefahren und wird jetzt von einem Spezialfahrzeug mit einer Flüssigkeit eingesprüht, enteist. Bedrohlich hört sich das Trommeln auf dem Flugzeugdach an, eine schmutzige braun-rötliche Brühe läuft die Scheiben hinunter. Die Sicht nach draußen verschwimmt jetzt vollends, schwallweise fließt die giftig aussehende Soße am Fenster herunter. Der Blick nach draußen hätte aber ohnehin keine nennenswerten Ergebnisse erbracht. Schemenhaft lassen sich die Flughafenhallen erkennen, der Schneeregen hüllt alles in ein undurchsichtiges Grau in Grau ein.

Die Sichtverhältnisse aus dem Flugzeug heraus sind der absolute Tiefpunkt unserer Schmuddelwetter-Anreise. Deutschland-Wetter im Februar! Stress und Staus, Regen- und Schneeschauer, der Himmel verhüllt, alles im Nebel- und Wasserdunst. Und jetzt noch die giftige Flüssigkeit auf den Fenstern.

Ich lehne mich in meinem Sitz zurück und schließe die Augen.

Wie aus einem anderen Film taucht vor meinem geistigen Auge die Insel auf. Ein stärkerer Kontrast ist kaum vorstellbar. Mir kommt die letzte Bemerkung unserer Gesprächspartnerin aus der Wartehalle in den Sinn: das Licht Lanzarotes.

Jedes Mal, wenn wir uns auf Lanzarote aufhalten, wird uns nach kurzer Zeit bewusst, dass hier eine andere Helligkeit herrscht. Schon kurz nach der Landung am Flughafen, wenn die Maschine auf dem Vorfeld stehen bleibt und ein kurzer Weg zum Terminal zurückzulegen ist, bewegen wir uns in einem anderen Lichtraum. Neben dem Wind, der über das Gesicht streichelt, und der Wärme, die uns umhüllt, ist es das besondere Licht, das uns empfängt und unwillkürlich in eine freudige Stimmung versetzt. Es begleitet uns den gesamten Aufenthalt, ebenso wie die Farben der Insel.

Ein fröhliches, ein heiteres Licht, hell und klar, transparent und stark, berauschend und betörend. Erst dieses Licht bringt die Farben der Insel voll zur Geltung.

Das Licht und die Farben Lanzarotes. Sie sind ein Teil des Lanzarote-Virus, die die Besucher geradezu blenden, sie in ihren Bann ziehen und sie nicht mehr loslassen.

„Das war nett“, sage ich zu Karen, die aus dem Fenster schaut. Draußen bollert die Enteisungsbrühe auf die Tragflächen des Flugzeuges.

„Was meinst du?“

„Das Gespräch mit der jungen Frau.“

„Ach ja“, sagt Karen, „ja, das war sehr nett.“

Sie war mit ihren Gedanken wohl woanders gewesen.

„Ich denke über das Licht nach, das sie angesprochen hat und das du im letzten Jahr erwähnt hast. Kannst du dich daran noch erinnern?“

„Ja“, antwortet Karen.

„Ich hatte ihr erzählt, dass wir vor mehr als 20 Jahren in unserem Heimatort ein kleines Konzert besucht haben, in einem schmucklosen Nebenraum einer großen Mehrzweckhalle. Wir sind da eigentlich nur hingegangen, weil so ein schmuddeliges, nasskaltes Wetter war - und das im Mai. Eine vierköpfige Rockgruppe spielte fetzige Stücke, u. a. von Santana. Als sie mit ihrem Programm fertig waren und sich nach dem Applaus bedankten, sagte der Bandleader: ‚Vielen Dank für den Beifall. Ich wünsche euch alles Gute. Wir fahren jetzt wieder nach Hause auf die kanarischen Inseln - in das Licht.“

„Das hast du der jungen Frau erzählt?“

„Ja“, bekräftigt Karen. „Das habe ich ihr erzählt. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis gewesen. Ich habe mir das richtig vorstellen können, wie die vier Musiker jetzt in die Helligkeit und die Wärme zurückkehren. Wir sind darauf im Herbst desselben Jahres erneut nach Lanzarote geflogen. Kannst du dich daran nicht mehr erinnern?“

„Ja, schon, dunkel. Jetzt, wo du es sagst.“

„Vor kurzem habe ich einen längeren Artikel im Netz über das Licht gelesen“, fährt Karen fort.

„Worum ging es denn da?“, frage ich.

„Es ging um die Wirkung des Lichts auf den menschlichen Körper. Inzwischen ist wissenschaftlich erwiesen, dass nur ein Bruchteil des natürlichen Lichts dem Sehvorgang dient“, erklärt sie. „Der überwiegende Teil gelangt in den Organismus und kurbelt den Stoffwechsel an, regelt den Hormonhaushalt, das Immunsystem, den Zellstoffwechsel sowie Atmung, Puls und Körpertemperatur. Das Licht steuert also zentrale Körpervorgänge.“

„Eigentlich weiß das jeder auch aus eigener Erfahrung: Wenn die Sonne scheint, geht es einem besser, oder?“

„Licht wirkt wie ein Medikament“, fährt Karen fort. „Man könnte es sogar als natürliches Dopingmittel bezeichnen. Auf der Netzhaut des Auges sitzen nicht nur Zellen, die dem Sehen dienen. Dort befinden sich spezielle Rezeptoren, die Lichtstrahlen aufnehmen und ins Innere des Gehirns weiterleiten, genauer gesagt zum supraspinatischen Kern. Dieser schickt dann einen Impuls zur Zirbeldrüse, die dann die Produktion des Hormons Melatonin unterbindet, das den Menschen müde macht. Der Botenstoff wird aus Serotonin produziert und steuert den Tag-Nacht-Rhythmus des menschlichen Körpers. Das Hormon wird erst am Abend benötigt.

Serotonin und die Botenstoffe Dopamin machen gute Laune und Cortisol macht wach. Die Mediziner sind sich darin einig: Sonnenlicht setzt positive Emotionen frei und bringt die Psyche ins Gleichgewicht. Es macht gesund, glücklich und steigert unser Selbstbewusstsein und unsere Lebenskraft.“

Über die Fensterscheiben ergießt sich wieder ein Schwall der ungesund aussehenden Enteisungsbrühe. Wohl fühle ich mich nicht.

„Bei manchen Menschen kommt es gerade im Winter zum sogenannten ‚Winterblues‘, oder auch ‚Winterdepression‘ genannt. Da gibt es hierzulande verhältnismäßig wenig Tageslicht mit der Folge, dass der Melatoninspiegel auch tagsüber erhöht ist“, erklärt Karen weiter. „Deshalb werden oft Lichttherapien oder Lichtduschen verabreicht.“

„Ja, und dann natürlich Vitamin D“, fährt Karen fort. „Neben der Melatonin-Produktion und dem damit zusammenhängenden Tag-Nacht-Rhythmus, beeinflusst Tageslicht auch unseren Vitamin-D-Haushalt.“

„Vitamin D hat was mit Calcium zu tun, oder?“, frage ich,

„Vitamin D hat eine Schlüsselfunktion für die Gesundheit. Es ist an Tausenden von Regulierungsvorgängen in den menschlichen Körperzellen beteiligt. Es hilft dem Körper, Calcium aus der Nahrung aufzunehmen und ist somit wichtig für Knochenbildung und Knochenstabilität.“

„Osteoporose“, fällt mir dazu als Stichwort ein.

„Ja“, bestätigt Karen. „Die Alterskrankheit macht die Knochen brüchig und erhöht das Krankheitsrisiko - vor allem im Winter, wenn die Sonne in den nördlichen Regionen der Erde viel zu tief steht, um für die erforderliche UV-Strahlung zu sorgen. Und genau auf diese UV-Strahlung aber ist der Körper angewiesen, denn Vitamin D wird zu rund 90 Prozent in der Haut gebildet – jedoch nur unter dem Einfluss der Sonne.“

„Lanzarote ist also ein ausgezeichnetes Gesundheitszentrum, oder?“

„Das kann man so sehen“, erwidert Karen.

„Und aus all den Gründen“, versuche ich ein Resümee, „überwintern auch viele ältere Menschen auf den Kanaren.“

„Ja, das wird so sein“, antwortet Karen süffisant und schaut mich durchdringend an.

„Danke“, sage ich zu ihr.

Inzwischen war der Enteisungsvorgang beendet und das Flugzeug auf die Startbahn gerollt. Die Motoren drehen auf volle Touren, die Maschine setzt sich langsam in Bewegung und gewinnt schnell an Geschwindigkeit. Der Sonnenflieger hebt ab mit dem Ziel: Lichtinsel Lanzarote.

Ich schließe die Augen.

Wir fliegen dem Licht entgegen.

Ich freue mich.

2. Eine Insel für die Sinne

Weshalb Lanzarote Besucher nicht mehr loslässt (I)

Lanzarote - was lässt viele Menschen, nicht nur einmal, sondern immer wieder hierher kommen? Für viele Besucher und Residenten übt diese Insel eine starke Anziehungskraft aus. Was macht ihre Faszination aus? Am Ende einer eindrucksvollen Wanderung kommen wir über dieses Thema ins Gespräch.

Tres Cervezas, por favor“, antworte ich der freundlichen Frau, die uns in der Bar in Tinajo fragend anschaut.

Sie nickt, geht zurück hinter den Tresen und zapft uns drei Canjas. Wir können es kaum erwarten, unsere trockenen Kehlen zu spülen. Sieben Minuten braucht ein Pils hier nicht, um vom Zapfhahn auf den Tisch des durstigen Biertrinkers zu gelangen. Schon nach wenigen Minuten steht das heiß ersehnte, in einem eiskalten Bierhumpen servierte, kühle Getränk vor uns, wir stoßen die Gläser an und der erste, große Schluck rinnt durch die Kehlen - was für ein Genuss!

Die Einkehr in der netten Tapasbar war unsere Endstation einer anstrengenden Wandertour, die uns auf die Montaña Tinache geführt hatte. Der Vulkan wird, soweit ich das beurteilen kann, nicht sehr oft bestiegen. Die Tour ist meines Wissens in keinem Reiseführer beschrieben, wir sind auch dieses Mal keinem anderem Wanderer begegnet. Trotzdem - oder auch gerade deswegen - halte ich sie für eine der imposantesten und spektakulärsten Touren auf Vulkanberge auf Lanzarote.

„Wann kommt ihr denn wieder auf die Insel?“, frage ich Peter.

Ende der Woche wollten er und seine Frau Elisabeth nach Deutschland zurück fliegen, nach fast drei Monaten Überwinterung. Es war heute unsere letzte Wanderung.

„Es wird dich überraschen“, antwortet er. „Nicht erst im November, sondern im August für drei Wochen. Wir haben uns entschieden, die Abstände nicht so groß werden zu lassen.“

„Das ist ja prima. Ende August sind wir auch hier, da können wir ja zusammen etwas unternehmen.“

„Ja, das ist schön, dann nehmen wir uns wieder mal die Caldera Blanca vor. Aber wir steigen von der Westseite auf, nicht auf dem doch sehr langen Schotterweg vom Parkplatz nahe Mancha Blanca.“

„Auf diesem Weg haben doch damals Karens Wanderschuhe ihren Dienst quittiert, war das nicht so?“

„Ja, stimmt. Später nach dem Abstieg seid ihr mit einem kalten Bier empfangen worden.“

„Ja“, ich musste grinsen. Auf diese Tour bin ich schon von vielen Lesern meines Buches „Unterwegs auf Lanzarote“ angesprochen worden. Anscheinend hat die Geschichte bei manchen nachhaltige Spuren in der Erinnerung hinterlassen.1

„Ok, ich bin gespannt!“

Peter blickt Karl-Heinz an.

„Und wie hat euch die Insel gefallen?“

Sehenswertes und touristisches Pflichtprogramm

„Wie uns die Insel gefallen hat? Ja, ganz gut,“ antwortet er.

„Die Insel hat schon was. Wir haben sie - bis auf die Vulkanbesteigung heute - ja nur aus der Touristenperspektive erlebt mit dem üblichen Besuchsprogramm.“

„Habt ihr euch ein Auto gemietet?“

„Ja, für drei Tage. Wir sind über die ganze Insel gefahren und haben die wichtigsten Sehenswürdigkeiten aufgesucht: zuerst natürlich frühmorgens die Rundfahrt durch die Feuerberge. Das war spektakulär. Dann sind wir nach El Golfo und haben uns die grüne Lagune angesehen. Anschließend ging es weiter entlang der wilden Südwestküste Los Hervideros mit einem kurzen Stop dort und bei den Salinen von Janubio und über die Mitte der Insel durch die schwarze Weinlandschaft von La Geria. Außerordentlich eindrucksvoll. Im Restaurant am Campesino-Denkmal mit dem interessanten Museum „Casa del Campesino“ sowie dem Kunsthandwerkerhof haben wir leckere Tapas gegessen.

Am nächsten Tag besichtigten wir zunächst die Fundacíon von César Manrique in Tahiche, sind dann weiter zur Famara-Küste gefahren und anschließend über Teguise zum Mirador del Rio. Dort haben wir den wunderbaren Blick auf La Graciosa genossen. Schließlich haben wir uns noch die Jameos del Agua angeschaut. Das war ein volles Programm, aber sehr interessant und beeindruckend! Die Cuevas de los Verdes und den Kaktusgarten haben wir leider nicht geschafft.“

„Und am dritten Tag?“, frage ich.

„Meiner Frau zuliebe sind wir zu den Papagayostränden gefahren und haben einen Badetag eingelegt. Während Elvira sich gesonnt hat, bin ich einige Strände abgelaufen. Auf dem Rückweg haben wir übrigens in Femés in einem netten Restaurant Halt gemacht.“

„Dann habt ihr ja das Pflichtprogramm eines Lanzarote-Touristen absolviert und einen guten Überblick über die Insel bekommen“, kommentiert Frank.

„Elvira empfindet Lanzarote sehr rau und abweisend. Sie kann sich mit der Vulkanöde und der Steinwüste, wie sie sich ausdrückte, nicht anfreunden. Dagegen haben ihr die Strände sehr gut gefallen.“

„Allerdings“, ergänzt er, „man erhält einen viel intensiveren Eindruck, wenn man diese Vulkanlandschaft zu Fuß erkundet. Das hat auch Elvira eingesehen und ein wenig umgestimmt.“

„Wo seid ihr denn gelaufen?“, frage ich.

„Wir sind rund um die Montaña Colorada gewandert und anschließend in den Vulkan Cuervo hineingegangen. Das waren zwei phantastische Spaziergänge und man kommt dabei mit dieser doch sehr speziellen Landschaft viel enger in Berührung.“

„Nur, wo du zu Fuß warst, warst du wirklich.“

Peter schaut mich an, ich nicke.

„Ich finde das schon toll, was ihr in den zehn Tagen alles gesehen habt“, bemerke ich. „Ich vermute, dass die wenigsten Touristen, die die Insel besuchen, ein so umfassendes Programm absolvieren und ein solches Interesse an den Sehenswürdigkeiten und auch am Wandern haben. Die meisten kommen aus anderen Motiven.“

Wetter, Klima und Sicherheit

„Die ausschlaggebenden Gründe, weshalb die meisten Besucher auf Lanzarote ihren Urlaub verbringen, sind wohl das beständige Wetter und das angenehme Klima“, erklärt Peter.

„Gerade jetzt: Zuhause haben wir nasskaltes Herbstwetter oder kalten Winter und hier liegen wir in der warmen Sonne. Im Sommer nicht zu heiß - im Winter nicht zu kalt, das ist Lanzarote. Ewiger Frühling. Wassertemperaturen zwischen 19 und 22 Grad. Tagsüber warm, nachts kühlt es ab. Natürlich gibt es auch Temperaturausreißer und das Wetter kann schnell mal wechseln.“

„Wieviel Regentage hat denn die Insel so im Durchschnitt?“, fragt Karl-Heinz.

„Um genau zu sein …“,

Peter zieht sein Smartphone aus der Hosentasche und liest vor:

„‚Auf der nordöstlichsten Kanareninsel Lanzarote herrscht trockenes und mildes Klima. Der Passatwind aus Nordosten weht das ganze Jahr in frischen Brisen über die Insel. Da Lanzarote relativ flach ist, ziehen Regenwolken häufig über die Insel hinweg, so dass sich der Niederschlag in Grenzen hält. Der Großteil der Regentage verteilt sich auf die Wintermonate und tritt vor allem im Norden auf. Von April bis Oktober ist im monatlichen Durchschnitt maximal ein Regentag zu erwarten‘ - ein Regentag also im Durchschnitt von April bis Oktober“, wiederholt er.

„‚Die Luftfeuchtigkeit ist allerdings vergleichsweise hoch und führt zu häufigem Nebel. Dennoch ist die Sonne oft zu sehen: Der niedrigste Durchschnittswert liegt bei 6 Sonnenstunden pro Tag im Dezember. Im Sommer liegt der Mittelwert bei 9,1 Stunden täglich im Mai und Juli sowie bei mittleren 9 Stunden am Tag im Juni. Die durchschnittliche Höchsttemperatur schwankt zwischen 20,4 Grad im Januar und 28,9 Grad im August. Wie alle kanarischen Inseln wird das Klima von Lanzarote allerdings unregelmäßig vom Südostwind aus der Sahara beeinflusst und die Temperaturen steigen vorübergehend sogar auf über 40 Grad. Ebenfalls aus Richtung Afrika werden die Temperaturen des Meerwassers vor Lanzarote beeinflusst. Kaltes Wasser quillt aus der Tiefe des Atlantiks hervor und kühlt den Ozean im Winter auf durchschnittlich 17 Grad ab. Während der Sommermonate und bis November herrschen im Mittel konstante Wassertemperaturen von 20 bis 22 Grad.’“

„Aus Wetter de“, erklärt er abschließend und steckt sein Handy in die Tasche zurück.2

„Im Februar kann es auch mal schon für einige Tage oder eine Woche regnerisch sein, mit stürmischen Winden und hohem Wellengang. Dann hat man mit einem Kurzurlaub möglicherweise Pech. Aber insgesamt fallen auf Lanzarote die wenigsten Niederschläge von allen Kanarischen Inseln,“ kommentiere ich.

„Auch schlagen sich Veränderungen im Weltklima manchmal in Wetterextremen auf Lanzarote nieder. Im Frühjahr hat es zum Beispiel ein starkes Unwetter mit Sturzregen und Überschwemmungen im Osten der Insel bei Costa Teguise gegeben.“

„Danke“, sagt Karl-Heinz.

„Wetter und Klima sind zwei der wichtigsten Motive für viele Urlauber, die weitgehende Sicherheit vor terroristischen Anschlägen ein weiterer Grund. Lanzarote und die Kanarischen Inseln sind ein vergleichsweise sicheres Urlaubsgebiet, im Gegensatz zu den arabischen Ländern oder der Türkei, wo viele Angst vor Terroranschlägen haben. Deshalb hat die Zahl der Touristen in den letzten Jahren auch zugenommen.“

„Natürlich bietet Lanzarote auch einen perfekten Urlaubsservice, gehobenen und höchsten Hotelstandard, alle Annehmlichkeiten einer voll ausgebauten touristischen Destination, kurze Reisezeiten, schnelle Erreichbarkeit, Sonne, Strand und Meer, all das, was einen attraktiven Massentourismus ausmacht. Neben den Tourismuszentren findest du aber auch eine Vielzahl abgeschiedener, ruhiger Feriendomizile, fernab vom Urlauberrummel.“

„Würdet ihr denn wieder hierher kommen?“, frage ich. Das ist oft die Prüffrage, um festzustellen, inwieweit die Insel wirklich gefallen und nachhaltige Spuren hinterlassen hat.

„Na ja, ich denke, wir werden uns erst einmal die anderen Kanarischen Inseln anschauen, dann stehen auch noch die USA und Island auf unserem Urlaubswunschzettel. Aber um dem nasskalten, ungemütlichen November- oder Februarwetter zu entfliehen, wäre Lanzarote sicher eine gute Option.“

Wir bestellen uns eine weitere Caña, der erste Durst war gelöscht.

„Ja genau, das ist auch für uns der wichtigste Grund, Ende Oktober unsere Koffer zu packen und hier den Winter zu verbringen.“

Peter und Elisabeth fuhren seit bestimmt 15 Jahren nach Lanzarote, zunächst erst für ein paar Wochen in ihren Urlauben, dann als Rentner jeweils über mehrere Monate.

„Als wir das erste Mal hierher kamen, das ist gut 20 Jahre her“, fährt er fort, „habe ich nach wenigen Tagen gesagt: ‚Diese Insel sieht mich nie wieder‘ (siehe S. →). Aber diese Meinung habe ich bei einem nächsten Besuch, der eigentlich gar nicht stattfinden sollte, revidiert.“

„Und weshalb hast du deine Meinung geändert?“, fragt Karl-Heinz.

„Zum einen, du hast es ja gesagt, das milde Klima, die angenehmen Temperaturen, das Wetter. Du kannst den ganzen Tag in kurzen Hosen, T-Shirt und Badeschlappen herumlaufen, und das im Januar. Aber natürlich trage ich nicht nur Flip Flops. Jeden Morgen gehe ich um kurz nach sieben hinunter zum Strand, mache einen ausgiebigen Spaziergang am Meer, treffe dort Leute, die auch in der Früh unterwegs bin, Jogger, Spaziergänge, Strandsammler, Sonnenaufgangsgucker. Auf dem Rückweg bringe ich dann frische Brötchen mit. Dann frühstücken Elisabeth und ich auf der Terrasse mit einem wundervollen Blick über das Meer.“

Karl-Heinz hakt nach.

„Letztendlich kannst du das alles aber auch an vielen anderen Urlaubsorten haben, Griechenland, Mallorca, Gran Canaria. Weshalb Lanzarote, was ist das Außergewöhnliche an dieser Insel?“

Lanzarote Spezial: Lava, Licht, Wind, Formen und Farben

„Bezogen auf Klima, Wetter und Sicherheit hast du sicher recht. Das triffst du auch auf den anderen kanarischen Inseln an. Das Besondere für mich aber sind die einmaligen Landschaften auf Lanzarote, die hier auf engem Raum dicht beieinander liegen. Mehr als hundert Vulkane, riesige Lavameere, wilde Küsten, schöne Strände, Berge und Täler, Schluchten und Höhenzüge, auch fast alpine Gebirgslandschaften.“

Peter und Elisabeth kamen aus der Schweiz.

Ich ergänze: „Licht, Wind und die Farben der Insel schaffen eine einzigartige Landschaftsästhetik.“

„Wie meinst du das?“

„Das Licht auf Lanzarote ist, so scheint mir, heller, klarer, durchscheinender als bei uns. Mir fällt das jedes Mal schon kurz nach der Landung in Arrecife auf. Als wenn ein leichter Graufilter, den du von zuhause mitbringst, hier plötzlich weggenommen wird. Oder als ob etwas angelaufene Brillengläser wieder klar werden. Ein glänzendes, samtenes, weiches Licht, das eine positive Ausstrahlung hat. Heller als hell, wenn man das überhaupt so sagen kann.

Auf Lanzarote weht meistens ein beständiger, milder Wind, der aus Nord-Ost kommt, der Nord-Ost-Passatwind. Das ist nicht nur ein frisches Lüftchen, sondern sorgt für angenehme Temperaturen, wenn es sehr warm ist. Man schwitzt quasi nie. Der Wind vertreibt auch die Wolken, die am Vormittag über der Insel hängen und für schönes Wetter sorgen - im Süden der Insel zumindest. Deshalb ist Lanzarote für Radrennfahrer ideal. Sie fahren manchmal wie im Windkanal, der Gegenwind sorgt für ideale Trainingsbedingungen.

Du kannst oft ein faszinierendes Spiel der Farben beobachten, wie sie changieren, wie Braun- in Rottöne übergehen und umgekehrt.

Vor allem bei Sonnenuntergängen glüht manchmal der Himmel und die Krater scheinen Feuer zu spucken.“

Ich blicke aus dem Fenster und zeige auf den Vulkan, der sich hinter der Ortschaft erhebt.

„Und dann natürlich die Vulkane mit ihren Lavafeldern,“ ergänzt Peter. „Schau dir mal die wunderbaren Formen der Vulkane an. Die verschiedenen Gipfelaufbauten, die formvollendeten, fein geschwungenen, filigranen, aber auch die zerbrochenen, zerborstenen, zerrissenen Linien, die harmonischen, strengen Muster der landwirtschaftlich genutzten und ungenutzten Felder, die kreisrunden oder auch rechteckigen Muldenformationen in La Geria.“

„Wenn du auf Pfaden durch Lavafelder gehst“, fährt er fort, „dann siehst du eine unglaubliche Vielfalt von Gesteinsformen: glatte Lava, die noch zu fließen scheint, aufgetürmte, meterhohe Platten, zerbrochene Brocken in allen Größen und Firmen, zerborsten, scharf und spitzkantig und bizarre Steinfiguren, steinerne Fabelwesen und runde Kugeln in allen Größen, Bolas oder Bombas, die durch die Luft geflogen und irgendwo gelandet sind, besonders schön zu sehen an der Montaña Colorada oder neben der kurvenreichen Panoramastraße an den Los Hervideros.“

Vulkanpark und geologisches Freilichtmuseum

„Dazu entdeckst du“, unterstütze ich Peter, „eine unglaubliche Detailvielfalt im Kleinen, z. B. endemische Pflanzen, die nur hier wachsen, Euphorbien, Tabaiben genannt, oder Flechten, die die Schlacke langsam besiedeln, das alles ist unbeschreiblich differenziert und vielgestaltig - einfach schön, ästhetisch. Wenn du ganz nah dran bist, hindurchgehst und hinaufsteigst, durch weichen Picon oder auf harten Felsbrocken - dann erschließt sich erst die ganze Schönheit der Vulkanlandschaft.“

„Auch, wenn du nur mit dem Auto unterwegs bist: wo noch“ frage ich, „kannst du mitten durch Lavafelder hindurchfahren, die bis an den Straßenrand reichen, rechts und links? Du gewinnst den Eindruck, als seien die Lavamassen erst kürzlich zum Stillstand gekommen. Das ist eine andere Welt, es kommt dir vor, als wärest du auf einem anderen Planeten, auf dem Mars oder Gottweißwo. Eine solche ausgedehnte, bizarre Mondlandschaft findest du kaum in Europa. Am ehesten im Süden von Island, doch dort sind die Lavafelder schon so stark mit Flechten überwuchert, dass man das braunschwarze Urgestein kaum mehr sieht.“

Karl-Heinz nickt.

„Ja, das ist wohl richtig.“

Unser bestelltes Essen wird gebracht. Mit Appetit und Heißhunger verzehren Karl-Heinz eine Boccadillo, Peter Gambas al Ajillo, ich Albondigas.

„Lanzarote ist doch auch Biosphärenreservat, oder?“, fragt Karl-Heinz, während er in sein belegtes Brötchen beißt.

„Ja“, antwortet Peter. „Lanzarote erhielt zwei Auszeichungen. Einmal von der UNESCO im Jahre 1993 im Rahmen des Programms Mensch und Biosphäre, in der die Insel zum Biosphärenreservat erklärt wurde, und im September 2015 das Prädikat zum ‚Geopark Lanzarote und Inselgruppe Chinijo‘, das zum neuen Programm für Forschungs-Zusammenarbeit der UNESCO gehört. Und im Speziellen ist noch eine ganz besondere Auszeichnung zu erwähnen: 1964 erklärte das Metropolitan Museum of Modern Art (MOMA) in New York das Tal La Geria, mit 5.200 ha das größte Weinbaugebiet der gesamten Kanaren, zum Gesamtkunstwerk und ehrte es mit der Auszeichnung ‚Engineering without Engineers‘, Architektur ohne Architekten.“

Die freundliche junge Frau fragt uns nach Postres oder Kaffee, wir bestellen einen Espresso, Cafe con leche und einen Barraquito.

Peter nimmt den Gesprächsfaden vor dem Essen wieder auf.

„Lanzarote ist ein geologisches Freilichtmuseum, das durch die Vielfalt verschiedener vulkanischer Eruptionsphasen im Laufe seiner Geschichte geprägt wurde. Es ist ein Mosaik dunkler und heller Landschaften und Bodenformationen, ein Vulkanpark mit unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Pflanzenwelt, was man sehr schön an dem Bewuchs der Lavafelder sehen kann. Du brauchst nur die Flechten im Timanfayagebiet mit denen im Norden im Malpais, nahe der Monte Corona, vergleichen. Man wird hier Zeuge der Entwicklung der Pflanzenwelt: erst Flechten, die totes Gestein wieder beleben, dann die Dickblattgewächse. Ein Patient, der sich langsam wieder erholt, regeneriert.“

„Um es auf den Punkt zu bringen“, ich schütte ein halbes Päckchen Zucker in meinen Espresso, „Lanzarote ist keine gewöhnliche Insel; sie ist sehr einzigartig, einmalig, eigenwillig, hat etwas Surreales, Unwirkliches. Eine Malerin hat mir neulich auf die Frage, was sie denn an Lanzarote so fasziniert, gesagt: ‚Das ist Schöpfungsgeschichte, was du da siehst. Schöpfungsgeschichte‘, wiederholte sie, ‚so muss es ausgesehen haben, als Gott die Welt erschuf.’“

„Ich glaube, Lanzarote konfrontiert mit seiner Vulkanlandschaft seine Besucher mit einem ganz besonderen Phänomen. Es ist dieser starke Kontrast zwischen einem archaischen Landschaftsbild und unserer heutigen Zeit, der Moderne.“

Ich merke plötzlich, wie sich meine Gedanken beim Reden allmählich ‚verfertigen‘, wie es der Schriftsteller Heinrich von Kleist 1805 so zutreffend beschrieben hat. ‚Die Idee kommt beim Sprechen‘, so hatte er es bezeichnet, und das entdecke ich nun an mir selber. Ich gewinne plötzlich durch das Reden Klarheit über eine mich seit langem interessierende Frage.

Visuelle Begegnung mit dem Archaischen

„Wie meinst du das?“, fragt mich Karl-Heinz und verrührt mit dem Löffel die aus Teneriffa stammende, kanarische Kaffeespezialität Barraquito.

„Es ist die visuelle Begegnung mit dem Archaischen, dem Zerstörerischen, dem Ursprünglichen, dem Nicht-Zivilisierten. So muss es ausgesehen haben, als destruktive Naturgewalten, archaische Urkräfte, die Erde formten, als die Erdoberfläche aufbrach und das Innerste des Erdkerns sich nach außen kehrte. Wir sehen das chaotische Ergebnis tektonischer Eruptionsprozesse, die Tod und Vernichtung mit sich gebracht haben. Aus Magma, dem heiß glühenden Feuerbrei im Erdinnern, ist Lava geworden, die erkaltete, bizarre Formen und Strukturen hinterlassen hat, ohne dass der Mensch darauf Einfluss hatte. Die feurigen Lavamassen haben damals fruchtbares Land unter sich begraben, Dörfer, Häuser, Pflanzen niedergewalzt und zerstört und eine neue Landschaft hervorgebracht, wo sich inzwischen wieder Leben ansiedelt. Für viele Menschen übt genau diese geologische Dialektik eine starke Anziehungskraft aus.“

„Du begegnest als moderner Mensch einer mystischen Trümmerlandschaft,“ fahre ich fort, „die sich jetzt in einer ästhetischen Dimension präsentiert, schaurig schön, streng und lieblich, und von der eine stille Faszination ausgeht. Was früher eine Katastrophe war, ist heute eine Augenweide.“

„Es ist ja eigentlich paradox“, schaltet sich Peter ein, „du bestaunst eine grandiose Kulisse: Friedlich und scheinbar unschuldig und unbeteiligt stehen die Vulkankegel als stumme Zeitzeugen in der bizarren Landschaft, dabei haben sie eine verheerende Verwüstung ausgelöst. Während bei anderen Naturkatastrophen, zum Beispiel Erdbeben, Wirbelstürmen, Überflutungen, möglichst schnell die Schäden beseitigt und die vorherigen Zustände wiederhergestellt oder neue geschaffen werden, sind wir hier konfrontiert mit dem, was uns diese schreckliche Zeit hinterlassen hat. Es sieht noch so aus wie vor knapp 300 Jahren. Die Lavaströme haben bis heute ihre Form und ihr Aussehen behalten, seitdem sie erkaltet sind.“

„Für mich ist die Insel ein visuelles Gesamtkunstwerk“, ergänze ich. „Die Natur zeigt sich als ein großer Künstler mit einem unermesslichen Repertoire. Manchmal harmonisch und friedlich, manchmal ungezügelt und wild orchestriert sie das Spiel der Farben, der Wolken und des Windes, den Wechsel der Gezeiten sowie den Lauf der Sonne mit spektakulärem und farbenprächtigem Auftritt und Finale.

Ob du auf einem Kraterrand sitzt, am weißen oder schwarzen Sandstrand oder inmitten eines Lavafeldes - du betrachtest still, staunst, bewunderst, voller Ehrfurcht und Demut. Ich spüre dabei, wie winzig wir Menschen sind angesichts solcher gewaltiger Naturdimensionen.“

„Lanzarote ist eine Insel für die Sinne“, fasse ich zusammen. „Du erlebst durch das Zusammenwirken von Feuer, Erde, Wasser und Luft überwältigende Sinneseindrücke. Die Insel berührt. Sie bringt etwas zum Klingen und Schwingen in den Augen und der Seele des Betrachters, allerdings nur, wenn ein Resonanzboden vorhanden ist. Du musst offen sein für die Ästhetik der Vulkanlandschaft und sie auf dich einwirken lassen. Dann hast du manchmal das Gefühl, dass eine magische Anziehungskraft von ihr auszugehen scheint.“

„Das ist Lanzarote - für mich!“

Einen Moment lang herrscht Stille an unserem Tisch. Jeder scheint das Gesprochene für sich zu verarbeiten.

„Es ist natürlich eine kleine Minderheit, die Lanzarotes Landschaft so bewusst wahrnimmt und empfindet wie du“, sagt Peter nach einer Weile. „Aber vielleicht gehört Karl-Heinz ja auch bald dazu, oder?“

„Das ist sehr interessant, was du da da eben ausgeführt hast und ich kann das sehr gut nachvollziehen.“

Karl-Heinz nickt.

„Sicher werden wir wiederkommen.“

3. Tausend Fans hat diese Insel

eine Liebeserklärung

Tausend Fans hat diese Insel

bestimmt werden mehr es sein

sind Menschen, die die Insel lieben

und es genießen dort zu sein.

Die das milde Klima mögen

das Licht, den Wind und auch den Wein

die Strände, Buchten, Promenaden,

die Inselkunst aus Blech und Stein.

Die die Kraft der Insel spüren

und der Vulkane Energie

die fasziniert von Lavafeldern

verzaubert sind von der Magie.

Die der Gischt des Meeres lauschen

dem Windspiel auf den Bergen

Steine fühlen unter Füßen

demütig sind bei solchen Werken.

Einzigartig ist die Insel

ein edles Kunstwerk der Natur

ein Fest für alle Sinne

seid achtsam, wir sind Gäste nur!

4. Wie auf dem Mond

Weshalb Lanzarote Besucher nicht mehr loslässt (2)

Man muss nicht unbedingt gut zu Fuß sein, um die einzigartige Vulkanlandschaft zu erleben. Von Mancha Blanca in der Inselmitte bis hinunter zu den Salinen von Janubio fährt man auf einer gut ausgebauten Straße mitten durch eine Asche- und Lavawüste.

Karl-Heinz blickt auf seine Uhr und sagt erschrocken:

„Ich hatte Elvira versprochen, gegen fünf Uhr wieder zurück zu sein. Jetzt ist es zwanzig nach fünf.“

„Ok“, erwidert Peter. „Normalerweise halten wir uns auch gar nicht so lange nach einer Tour in einer Bar auf. Aber heute hat es sich halt ergeben, dass wir mal intensiver darüber gesprochen haben, was uns an Lanzarote so fasziniert. Nach einer so wunderbaren Tour auf die Montaña Tinache und aufgrund deiner Frage lag es halt nahe, sich mal Klarheit über den Reiz der Insel zu verschaffen.“

„La cuenta, por favor“, spreche ich die nette Frau an, die uns bedient hatte.

„Si, si“, antwortet sie im Vorbeigehen.

„Also, ihr habt mich total überzeugt, dass es notwendig ist, mich noch einmal den Aufreizungen der Insel auszusetzen“, sagt Karl-Heinz. So ganz sicher war ich mir nicht, ob er das ironisch oder ernst meinte.

„Jetzt muss ich nur noch meine bessere Hälfte davon überzeugen, möglichst bald wieder hierher zu kommen. Euch beiden herzlichen Dank für die Tour und das aufschlussreiche Gespräch.“

Wir begleichen die Rechnung und verabschieden uns.

„Liebe Grüße an Elvira“, rufe ich ihm noch hinterher, als er in sein Mietauto einsteigt.

Er hebt den Arm, plumpst auf den Fahrersitz, lässt die Scheibe runterfahren und stöhnt:

„Oh je, meine Beine sind schwer wie Blei. Das wird morgen ein toller Muskelkater.“

„Da hast du wenigstens noch ein paar Tage eine schöne Erinnerung an Lanzarote.“

Wir winken ihm nach und steigen in unser Auto ein.

Die Rückfahrt

Gleichsam als Bestätigung unserer Gedanken, die ich eben in dem Gespräch mit den Freunden geäußert hatte, präsentiert sich auf der Rückfahrt die bizarre Vulkanlandschaft rund um die Feuerberge in einem einzigartigen Zauber.

Zunächst passieren wir Mancha Blanca. Hier findet sonntags auf dem zentralem Platz ein kleiner Bauernmarkt statt, direkt gegenüber der berühmten Kirche Nuestra Señora de los Dolores. Der Legende nach wurde sie von den Bewohnern aus Dankbarkeit darüber gebaut, dass die Lavamassen bei den Ausbrüchen im 18. und 19. Jahrhundert wenige Meter vor dem Dorf zum Stillstand kamen, als die Dorfbewohner in einer Prozession mit der Heiligenstatue Virgin de los Dolores (Jungfrau der Schmerzen) dem fließenden Lavastrom entgegen zogen.

Kurz hinter Mancha Blanca geht rechter Hand die Zufahrt zum Parkplatz ab, von dem man zur Wanderung auf die Caldera Blanca aufbrechen kann. Die Tour gehört zu den Klassikern auf Lanzarote, zu den Top Ten, weil sie die Umrundung eines voll erhaltenen Kraters ermöglicht, der mit ca. 1000 Meter Durchmessern und einer Tiefe von 300 Metern den größten Krater aller Vulkane auf der Insel darstellt. Spektakuläre Bilder begegnen dem Wanderer. Zunächst auf dem etwas langen Hinweg mitten durch ein riesiges Lavafeld zum Fuße des Vulkans, dann auf dem Aufstieg über den langgezogenen Kraterrand zum Gipfel. Die Aussicht in alle Himmelsrichtungen ist umwerfend, was manchmal sogar wortwörtlich zu verstehen ist, denn oftmals weht der Wind so heftig, dass man befürchten muss, herunter geweht zu werden.3

Knapp einen Kilometer hinter dieser Zufahrt liegt das Centro des Visitantes e Interpretación de Mancha Blanca. Dieses Informationszentrum ist für Menschen, die sich für die Geologie Lanzarotes interessieren, sehr sehenswert. Zahlreiche Schautafeln sowie ein Film, der alle 30 Minuten gezeigt wird, vermitteln umfassende Informationen über den Vulkanismus Lanzarotes mit einem am Ende noch kleinen Schmankerl: einer optisch-akustischen Demonstration eines Vulkanausbruchs. Zwei Ausgänge, der eine vorne links, der andere hinten rechts, führen aus dem Gebäude heraus auf eine hölzerne Plattform bzw. auf eine weit in den Lavastrom hineinragende Brücke. Beide Standorte bieten eindrucksvolle Ein- und Überblicke über das Lavameer.

Wir halten uns an die Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h auf der Cyclo de bicicletta, die das riesige Lavafeld in Richtung Feuerberge durchschneidet. Der massige Aufbau der (weißen) Caldera Blanca sowie die davor neben der Straße liegende, fast kreisrunde Montaña Tingafa beherrschen das Bild nach Westen. An ihrem Fuß liegt die schmale Parkmöglichkeit für die Route zum Pico Partido, der sich mit seiner zerfransten Gipfelkuppe linker Hand im Hintergrund erhebt.

„Darf man denn auf den Pico Partido steigen?“, fragt Peter.

„Ich habe von Mitarbeitern der Nationalparkverwaltung unterschiedliche Meinungen gehört,“ antworte ich.

„Der Vulkan liegt ja noch außerhalb der Nationalparkgrenzen.“

„Ja, aber mir wurde mehrfach gesagt, dass man nicht hinauf darf, was andere einschränkten, die betonten, einzelne schon, aber auf keinen Fall mit größeren Gruppen. Es wäre schon zu viel zerstört und zertreten worden.“

„Der Einstieg ist für viele schwierig zu finden.“

„Ja, das stimmt. Man muss zunächst den schmalen Pfad durch das schroffe Lavafeld finden. Hier gegenüber der Feuerteufel-Skulptur an dem kleinen Parkplatz führt der Weg hinein. Man geht ja nur bis zu dem Kamm zwischen dem Pico Partido und der La Cazoleta, an den weithin sichtbaren, hellgrauen Lavawülsten mit dem Graben dazwischen und an dem erstarrten Lavasee vorbei, aber nicht auf den Gipfel. Von oben hat man einen wunderbaren Blick nach Osten über das riesige Lavameer und die Vulkane der Inselmitte. Dann hält man sich links herum, sieht faszinierende Höhlen, kleine Tunnels und andere Lavabrüche, steigt nördlich an der La Cazoleta vorbei im Bogen ab und geht zurück am Rande beeindruckender Lavaformationen.“

„Eine geologisch sehr interessante Tour“, ergänze ich noch, „vergleichbar mit der auf die Caldera de la Rilla oder der am Fuße der Montaña del Señalo. Beide gehören zu meinen Top Ten.“

Die Einfahrt zu den Feuerbergen kommt in Sicht. Wenige Autos stehen vor der Zahlstelle, aber weiter hinten ist eine Schlange von Pkws zu erkennen, die warten müssen, bis ein Stellplatz weiter oben auf dem Hauptparkplatz frei wird.

„Wenn du Staus vermeiden willst, musst du vor 10 Uhr oder nach 16 Uhr kommen.“

Ich nicke.

„Die Nr. 1 der Sehenswürdigkeiten Lanzarotes“, sage ich. „Pflichtprogramm für jeden Touristen. Hervorragende Bewertungen, z.B. bei Tripadvisor. Es gibt aber auch einige negative Stimmen. Die meisten davon kritisieren die Massenabfertigung, die langen Wartezeiten, die totale touristische Vermarktung. Viele bemängeln, dass man nur aus dem Bus heraus fotografieren kann und einige möchten gern auch in dem Gebiet herumlaufen.“

„Stell dir mal vor, wie die Aschefelder aussehen würden, wenn dort jedermann herumtappen könnte.“

„Schau mal, da am Hang. Siehst du die kleine Spur im Picon?“, frage ich Peter.

Wir sind schon auf dem Scheitelpunkt der Straße.

„Ja.“

„Die ist von Hasen. Kannst du dir ausmalen, wie der Aschehang aussehen würde, wenn da Menschen laufen dürften.“

„So ähnlich oder noch schlimmer wie auf dem immer breiter werdenden Pfad quer über die rote Flanke der Montaña Colorada. Dass die Leute so unvernünftig sind, ausgerechnet dort hochsteigen zu wollen. Dabei gibt es von der gegenüberliegenden Seite Möglichkeiten auf den Kraterrand zu gelangen. Es ist dort ein wenig geröllig.“

Der nächste Touristenmagnet kommt in Sicht: Echadero de los Camellos, die Dromedarstation.

„Der Kamelbahnhof“, sage ich wie üblich despektierlich.

Reisebusse und viele Pkws stehen auf dem Parkplatz. Einige Dromedar liegen in Reihen auf dem Boden, andere ziehen ihre Kreise über die Ausläufer der Feuerberge.

„Wer’s mag, für Kinder sicher recht lustig“, bemerkt Peter.

„Schafft Einkommen und Arbeitsplätze. Viele Familien in Uga leben davon.“

Die kerzengerade Strecke führt in leichten Wellen nach Uga hinunter.

„Diktatoren möchten es immer gradlinig.“

„Wie meinst du das?“, fragt Peter.

„Nun, weißt du, wann diese Straße und für wen erbaut worden ist?“

„Nee.“

„Sie wurde 1950 anläßlich eines Besuchs des spanischen Diktators Generalisimo Franco angelegt, ebenso wie die ‚Pista del Generalisimo‘, der Rundkurs für die Sightseing-Busse dort oben.“

„Du meinst, der Verlauf dieser Straße spiegelt die faschistische Epoche Spaniens wider?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Die Gradlinigkeit fällt schon auf.“

„Aaah. Schade, dass man nirgendwo anhalten kann. Von hier kann man doch traumhafte Sonnenuntergangsfotos machen - über dieses riesige Lavameer mit den Achajes im Hintergrund.“

„Ja, das wird von vielen bemängelt. Aber stell dir mal vor, was dann los wäre. Dann würden sich Schlangen bilden vor den Haltebuchten und die Pkws würden sich auf den Straßen stauen. Der Verkehrsfluss wäre gefährdet.“

„Wieso, in La Geria geht es doch und ebenso an der Los Hervideros Küstenstraße!“

Ja, da hatte Peter auch wieder recht.

„Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder machen könnte, was er wollte.“

Womit wir wieder einen Bezug zu dem historischen Hintergrund dieser Straßen hergestellt hätten.

Wir erreichen Uga und Peter steigt aus, um mit seinem eigenen Auto nach Puerto del Carmen zurückzukehren.

Wir verabschieden uns.

Ich fahre weiter nach Playa Blanca. Auf einem breiten, staubigen Pfad zieht eine Dromedarkarawane von den Montañas del Fuego herab. Feierabend für die armen Tiere, die tagein, tagaus die etwa fünf Kilometer zurücklegen, um Touristen eine wacklige Schaukelei am Rande der Feuerberge zu bieten. Jetzt geht es in die Ställe in Uga. Der Dromedarführer sitzt auf dem ersten Tier, die anderen trotten aneinander gebunden dahinter. Ich halte an, habe die Kamera sofort in den Händen. Befremdlich der Anblick, die hellbraunen Tiere mit ihren grünen Sätteln inmitten der pechschwarzen Steinwüste, seltsam und ungewöhnlich, einzigartig, Lanzarote eben. Hinter mir stoppen weitere Pkw-Fahrer.

Vor nicht allzu langer Zeit musste die Kamelkarawane die viel befahrene LZ 2 überqueren. Die Tiere hatten Vorfahrt und der Verkehr staute sich. Und genau so natürlich war es, dass man danach über eine breite, frische Spur der Hinterlassenschaften der Tiere gefahren ist. Jetzt gelangen sie durch einen Straßentunnel zu ihren Ställen.

Kurz vor Yaiza, dem preisgekrönten Dorf der Kanaren, biege ich nach rechts auf die Umgehungsstraße und fahre weiter an dem Rand der Lavaebene entlang, später breitet sie sich auch zu meiner Linken aus. Die Montaña de la Cinta, der Hausberg von Yaiza, begrenzt mit den beiden südlichen Vorgipfeln, der Montaña del Medio und der Montaña de El Cabo, die Ebene nach Südosten. Mir wird wieder unser Thema bewußt, worüber wir zuvor in der Bar gesprochen hatten. Chaotische Lavamassen links und rechts der Straße. Es ist eine eigenwillige, unwirtliche Landschaft. Ich fahre mitten hindurch, vor einem kleineren Vulkan auf der rechten Seite wachsen wilde Palmen. Die gießt und schneidet niemand. Endlos nun das Lavameer zu meiner Rechten.

Ich verlasse die Hauptstraße und lenke meinen Golf auf die Nebenstrecke. Mit ihr verbinde ich unsere ersten Eindrücke von der Insel. Majestätisch erhebt sich schräg vor mir der Atalaya de Femés, mit 611 Meter der zweithöchste Berg Lanzarotes, mit den Funkmasten auf dem Gipfel. Das Meer kommt in Sichtweite, es funkelt und glitzert, die Sonne steht schon schräg am Horizont. Sie ist verantwortlich dafür, dass die Salinas de Janubio wie ein farbiges Schachbrett wirken. Die bunten, rechteckigen Muster mit den weißen Salzpyramiden erscheinen als ein grandioses, monumentales Kunstwerk. Dahinter der schwarze Strand, gegen den wilde Wellen anrennen und weiße Randspuren hinterlassen.

Der alte Mann an den Salinen von Janubio sitzt schon lange nicht mehr auf der Mauer, aber ich schaue oft nach der Finca auf der linken Seite.4 Ich fahre auf den Parkplatz oberhalb der Bucht, setze mich auf einen Vermessungsstein und betrachte das fulminante Schauspiel.

Eingebettet in den natürlichen Küstenverlauf liegt vor mir ein anschauliches Zeitdokument der schwierigen Lebens- und Produktionsbedingungen, unter denen die Menschen auf Lanzarote in früheren Zeiten lebten. Für uns Zeitgenossen ein ästhetischer Genuss, wenn am späten Nachmittag der leuchtende Farbkasten vor den langen Strahlen der untergehenden Sonne seine ganze Farbenpracht entfaltet und die Fotografen Entzückensschreie ausstoßen - oder die Gäste auf der Terrasse des Restaurants Salinas.

Mir kommt ein Bild in den Sinn, was beim Emiliano in Femés in der Gaststube hängt. Zwei Frauen stehen inmitten der Salzfelder, um sie herum die weiß leuchtenden Salzhütchen, in den Händen einen Rechen. Sie tragen die typischen Lanzarotehüte, oben spitz, unten breit, wie Trichter auf dem Kopf, und was besonders auffällt, sie tragen ein Kopftuch unter dem Hut, das breit über das Gesicht geführt ist und das gesamte Kinn abdeckt. Nicht einmal eine Handbreit ist unbedeckt. Sie schützen sich mit dieser originellen Kopf- und Gesichtsbedeckung nicht nur gegen die gleißenden Sonnenstrahlen, die von oben kommen, sondern auch gegen das reflektierende Licht, das das Salz von unten nach oben abgibt.

Die Lanzaroteños wussten, wie man sich gegen die Sonne schützt, geht mir durch den Kopf - im Unterschied zu den vielen Touristen, die die Gefährlichkeit der Sonnenstrahlen völlig unterschätzen. Schön, dass die Saline nicht ganz aufgegeben wurde, sondern ein Teil mit EU-Hilfen erhalten bleibt. Man kann eine kleine Vorstellung davon gewinnen, wie es einst ausgesehen haben muss, doch unter welchen schweren Bedingungen die Arbeiterinnen und Arbeiter damals zur Blüte der Salzgewinnung ihre Tätigkeiten verrichteten, ist für uns heute schwer vorstellbar.