Laser Blue 3.0 – Zugriff verweigert - Jana Maria Lüpke - E-Book
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Laser Blue 3.0 – Zugriff verweigert E-Book

Jana Maria Lüpke

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Beschreibung

Das atemberaubende Finale von »Laser Blue«: In einer Welt, in der es keine Grenzen gibt, kann alles passieren. Und du kannst nichts dagegen tun. Gleichberechtigung und Wohlstand – durch ein Systemupdate der Regierung Kanadas soll das endlich erreichbar sein, und Toronto wird dank Violetta und ihrem Team zum Zentrum der friedlichen Revolution. Laser Blue genießt währenddessen sein einfaches Leben in der unabhängigen Siedlung Port Hope. Bis er eines Morgens an einem fremden Ort aufwacht, als Gefangener in einer virtuellen Realität. Um sich zu befreien, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich den Herausforderungen der geheimnisvollen neuen Welt stellen. Doch wer hat ihn hier eingesperrt, und wer ist Jessa, die zusammen mit ihm ums Überleben kämpft? Ein letztes Mal muss Laser Blue alles geben, um diejenigen zu retten die er liebt. Selbst, wenn das bedeutet, sich selbst zu verlieren.  »Wer dystrophische Romane gerne mag, kommt hier auf seine Kosten. Es war eine tolle Reise, die ich zusammen mit Laser, Violetta und vielen anderen durchleben durfte. Die Charaktere sind erwachsen geworden und gewannen an Stärke und Mut. Die Welt, die wir hier kennenlernen durften hinterlässt Spuren und regt zum Nachdenken an...« ((Leserstimme)) 

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Franz Leipold

Dieses Werk wurde vermittelt durch LöcherLawrence Literarische Agentur (München).

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Freepik (user7310961, kjpargeter, upklyak); Shutterstock (vvital, Sergey Nivens, Triff)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Schritt 1; Simulation

Schritt 2; Erwachen

Schritt 3; Orientierung

Schritt 4; Analyse I

Schritt 5; Rekapitulation

September 2091

Schritt 6; Integration neuer Informationen

August 2091

Schritt 7; Try and Error

Schritt 8; Kommunikationswege

Juli 2091

Schritt 9; Koalition

Schritt 10; Zusammenbruch

Schritt 11; Analyse II

Juni 2091

Schritt 12; Mittel und Wege

Backdoor

Schritt 13; Kollateralschaden

Schritt 14; Kollaboration

Schritt 15; Überspannung

Schritt 16; Kontrolle

Schritt 17; Kapitulation

Schritt 18; Nachwirkungen

Schritt 19; Regeneration

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Schritt 1; Simulation

Endlich weiß ich, wie es sich anfühlt, glücklich zu sein. Ich dachte schon, ich leide in dieser Hinsicht an einem Gendefekt oder an einer chronischen Gehirnkrankheit. Ich fürchtete mein ganzes Leben lang, ich sei dazu verdammt, mich immer nur okay zu fühlen. Gerade so in Ordnung. Passt schon. Kann man machen. Bisher war alles, was ich empfunden habe, immer nur lauwarm; maximal Körpertemperatur.

Das, was ich gerade fühle, ist total anders. Ich bin so verdammt glücklich, ich glaube, mein Brustkorb explodiert gleich. Ich werfe die Arme in die Luft, schwenke den extrem teuren Drink in meiner Hand hin und her und brülle meine überschäumenden Glücksgefühle lautstark dem azurblauen Himmel entgegen. Die anderen stimmen jubelnd und grölend mit ein. Den wummernden Bässen der Musik zum Trotz bejubeln wir den Moment. Wir sind stärker als alles andere. Wir sind lauter. Das Glück sprudelt nur so aus uns heraus. Es ist großartig. Wahnsinn. Größer als alles, was ich bisher erlebt habe. Die Schmetterlinge in meinem Bauch scheinen mich in die Luft zu heben. Ich habe das Gefühl, zu schweben. Ich habe das Gefühl, zu leuchten! Wie können andere Menschen von dieser Welt gehen, ohne jemals eine solche Freude empfunden zu haben?

Mit einem Schluck leere ich die eiskalte Flüssigkeit aus dem Glasröhrchen, das ich in meiner Hand halte, und werfe es danach einfach weg. Es wird sofort jemand kommen, der die Scherben für mich aufhebt. Ich muss mich nicht darum kümmern. Ich muss mich um gar nichts mehr kümmern. Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus. Diese Erleichterung! Diese Freiheit! Ich habe so viel Energie, so viel Glück, so viel Liebe. Ich liebe mein Leben. Ich liebe diese Welt. Fuck! Mit einem Satz werfe ich mich auf die grellbunte Luftmatratze, die neben mir im kristallklaren Wasser schwimmt, strecke alle viere von mir und treibe mit einem lauten Seufzen davon. Die anderen tanzen zur Musik, spritzen einander mit Wasser voll oder übergießen sich mit feinperliger Flüssigkeit aus glitzernden Kristallkaraffen. Sie sind alle so schön, dass es mir den Atem verschlägt. Ihre Körper sind perfekte Kompositionen aus Haut und Haaren, aus Formen und Farben, und der Anblick jedes einzelnen ist so befriedigend, dass ich überzeugt bin, niemals etwas Schöneres gesehen zu haben. Ich bin unendlich dankbar, einer von ihnen sein zu dürfen.

Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen beobachte ich die feiernde Menge im Pool und fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben genau richtig. Ich bin nicht zu viel, und ich bin nicht zu wenig. Ich bin wie sie. Wir sind eins.

Draußen am Beckenrand liegt Kitty auf einer weich gepolsterten Sonnenliege unter einem weißen Sonnenschirm. Er trägt eine verspiegelte Sonnenbrille und eine weiße Badehose. Grinsend stelle ich fest, dass wir beide exakt dieselbe Pose eingenommen haben und entspannt das Geschehen um uns herum beobachten. Kitty lächelt mir zu. Er thront wie ein König auf den weichen Kissen, und wie bei einem König stehen goldene Diener hinter ihm und fächern ihm Luft zu. Voller Ehrfurcht begreife ich in diesem Moment Kittys wahre Größe. Nichts erscheint mir begehrenswerter, als den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen. Seite an Seite mit ihm, meinem König.

Kitty hebt sein Glas und trinkt auf mein Wohl. Ein Schuss ertönt, und dann jubelt die Menge erneut, als Millionen bunte Blumen und Blütenblätter vom Himmel regnen, die sich in Schaum auflösen, kaum haben sie das Wasser berührt.

Hinter Kitty Jones ragt mein neues Zuhause auf. Ein Meisterwerk der modernen Architektur, angelehnt an eine starke, konservative Ära – die Zeit des Kolonialismus, in der noch das Recht des Stärkeren galt. Die enormen Steinsäulen aus Marmor, die die Dachvorsprünge stützen, die dekorativen Bögen, die um das ganze Gebäude verlaufen, und die eckigen Türme auf den Ziegeldächern, all das wirkt genauso perfekt und makellos wie die Menschen, die darin wohnen. Die komplette Front der zartrosafarbenen Villa ist verglast, sodass man jederzeit ins Innere des Gebäudes sehen kann. Und genau so soll es sein, denn wir wollen gesehen werden. Wir müssen gesehen werden. Wir alle hier sind so sehenswert, wir lieben nichts mehr, als uns gegenseitig zu bewundern; bei allem, was wir tun. Kitty nennt seine Villa das »Puppenhaus«, denn wir sind seine Püppchen. Er will nur das Beste für uns. Er teilt alles mit uns. Er liebt uns. Und wir lieben ihn.

Gerade als ich Kittys vollkommene Gestalt betrachte, die umgeben von perfektem Grün und schimmerndem Gold in weichen Kissen ruht, und mich frage, wie es sein kann, dass der Anblick eines anderen Menschen mich so unendlich glücklich machen kann, dass mir die Luft wegbleibt, springt Jessa auf und stürzt sich neben meiner Luftmatratze in den Pool. Ein Schwall kaltes Wasser überspült mich, und ich keuche erschrocken auf. Sie taucht auf und zieht sich an mir hoch.

»Hy«, grinst sie. Ihre langen bunten Haare kleben wie ein Regenbogen an ihrem Rücken fest, als sie ihren tropfenden Oberkörper über meinen legt. Sie trägt kein Bikinioberteil.

»Hy«, grinse ich zurück. Ich liebe Jessas Leichtigkeit, ihre Zwanglosigkeit, ihren perfekten Körper. Wir verstehen uns ohne viele Worte.

Sie packt mich an den Schultern und zieht mich zu sich ins Wasser. Ihre Beine umschlingen meinen Körper, und wir tauchen zusammen unter. Die Musik wird leiser, die Bässe wummern unter Wasser. Ich küsse Jessa mit angehaltenem Atem, und wir bewegen uns auf den Beckenrand zu, um besser stehen zu können. Kaum sind wir aufgetaucht, öffnen sich unsere Münder, und unser Kuss wird leidenschaftlich. Wieder ertönt die Kanone, und Schaumblumen regnen auf uns herab. Kribbelnd lösen sie sich auf unserer Haut auf. Jessa drängt sich gegen mich, ich dränge mich gegen sie, getragen vom kühlen Wasser um uns herum. Ich liebe ihren Körper. Noch nie in meinem Leben habe ich etwas Schöneres besessen. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich lieber sein wollte als hier. Umgeben von Menschen, die genauso schön und wertvoll sind wie ich.

Ich gebe mich entspannt meiner Lust hin, kümmere mich nicht darum, was die anderen denken, denn ich weiß, sie denken dasselbe wie ich. Ich weiß, dass Jessa will, was ich will, und so kann ich sie in vollen Zügen genießen, ohne Rücksicht zu nehmen. Die Sonne scheint heiß auf unsere Körper, die im Pool zwischen den tanzenden, feiernden Menschen ineinander verschlungen sind. Wie gern würde ich meine Dankbarkeit für dieses Leben, das ich hier gefunden habe, in die ganze Welt hinausschreien. Jessa wirft lachend den Kopf zurück und entblößt ihren Hals. Ihr Halsband hat sich mit Wasser vollgesogen und das braune Leder schwarz gefärbt. Der Geruch des feuchten derben Materials schlägt direkt in meine Lenden ein. Ich packe Jessa am Hinterkopf, greife mir ihr nasses langes Haar, wickle mir die Strähnen um die Hand und schließe eine Faust darum. Ich drücke ihren Körper gegen die Poolwand, den Blick fest auf ihren bebenden Hals geheftet. LBP ist in den goldenen Anhänger graviert, der an dem Halsband hängt. Das sind meine Initialen. Jessa gehört mir. Solange ich hierbleibe, hier in Kitty Jones’ Puppenhaus, gehört das alles mir. Und solange ich einer von ihnen bin, kann ich endlich glücklich sein und muss mich nicht länger mit den Problemen dieser vom Aussterben bedrohten Welt beschäftigen. Solange ich hierbleibe, bin ich frei.

Schritt 2; Erwachen

Ich wache auf. Es ist mehr ein angenehmes Hineingleiten ins Bewusstsein als ein schreckhaftes Auftauchen. Ich habe viel zu gut geschlafen, als dass ein unangenehmes Erwachen angebracht gewesen wäre. Ich öffne die Augen und merke sofort, dass ich nicht da bin, wo ich sein sollte. Der ungewohnte Anblick einer dunkel gestrichenen Decke über mir irritiert mich, und plötzlich kommt der Schreck doch noch, wenn auch etwas verspätet.

»What the fuck?«, frage ich mich selbst, nachdem ich mich aufgesetzt habe und feststelle, dass ich mich in einem Zimmer befinde, in dem ich vorher noch nie gewesen bin. Ich sitze in feuchten Badehosen auf einem dunklen Ledersofa in einem schummrigen Raum, der einzig und allein vom Licht eines grünlich schimmernden Aquariums beleuchtet wird.

Wo bin ich? Ich schließe noch einmal die Augen, weil ich irgendwie glaube, dass ich doch noch schlafe. Gar nicht wirklich aufgewacht bin. Das eklige Gefühl der nassen Hose, die kalt und unangenehm an meinen Oberschenkeln klebt, spricht jedoch eindeutig gegen diese Theorie. Warum ist die verdammte Hose überhaupt nass? Und meine Haare? Meine Haare sind auch nass.

Ich hole einmal tief Luft und denke nach. Das Erste, was mir einfällt, ist, dass ich vielleicht auf irgendwelchen Drogen bin und nur denke, dass ich hier bin, während ich in Wirklichkeit aber gar nicht hier bin. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass ich zugedröhnt komische Sachen sehe. Allerdings fühlt sich mein Kopf relativ klar und aufgeräumt an. Gar nicht zugedröhnt. Ich habe das Gefühl, als fehlte mir die Erinnerung an das, was war, bevor ich eingeschlafen bin.

Langsam stehe ich auf und sehe mich in dem fremden Zimmer um. Meine Hose hat einen feuchten Fleck auf dem Sofa hinterlassen. Der Geruch nach nassem Leder steigt mir in die Nase und irritiert mich. Er kommt mir bekannt vor. Verdammt, was wird hier gespielt? Es war doch gerade alles so gut. Ich war glücklich. Richtig glücklich. Zum ersten Mal in meinem Leben.

Ich zucke zusammen. Wo war ich denn gerade? Ich überlege angestrengt, woher dieser Gedanke kommt, während ich meinen Blick über die schlichte Einrichtung des Raumes schweifen lasse. Vor mir steht ein Glastisch. Er sieht so ähnlich aus wie unser Wohnzimmertisch in Berlin. Ein riesiger schwarzer Bildschirm hängt an der hellgrauen Wand mir gegenüber. Auch wie zu Hause. Bin ich vielleicht wieder daheim in Berlin? Wieso verdammt habe ich dann eine nasse Badehose an?

»Hallo?«, rufe ich in den Raum. »Ist hier jemand?«

Ich bekomme keine Antwort. Ich drehe mich um und sehe ein Fenster, das mit schwarzen Jalousien verdunkelt ist. An der Wand links von mir steht ein riesiges Bücherregal, fast so breit wie die ganze Wand und so hoch wie die Decke. Darin befinden sich unzählige Papierbücher mit bunten Rücken. Rechts von mir steht das Aquarium auf einem hüfthohen Schrank. Ich sehe keine Fische darin. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Und dann ist da noch eine Tür. Eine schlichte, unauffällige weiße Tür mit Klinke. Kaum habe sie entdeckt, haste ich auch schon darauf zu. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie erwarte ich, dass sie abgeschlossen ist. Ich fürchte, ich bin hier drinnen eingesperrt. Die Angst erwacht mit der Erkenntnis, aber bevor ich dazu komme, mich in die aufkeimende Panik hineinzusteigern, greift meine Hand nach der Klinke, drückt sie herunter – und die Tür öffnet sich. Ich bin nicht eingesperrt, stelle ich erleichtert fest. Was mich hinter der Tür allerdings erwartet, macht die Sache nicht unbedingt besser. Nicht, weil es gefährlich aussieht oder beängstigend, sondern weil ich es irgendwie nicht ganz begreifen kann.

Ich stehe in einem weitläufigen Flur. Alles ist dunkel, kein Licht scheint von der Decke, nur der schwache Schimmer des Aquariums hinter mir beleuchtet einen kleinen Abschnitt des hell gefliesten Bodens, auf dem ich mit nackten Füßen stehe. Vor mir sehe ich Türen. Sieben Stück. Jede Tür ist umrahmt von einem schwachen Lichtkranz, als würde die Umgebung dahinter leuchten; so als würden die Türen nach draußen führen. Die Türblätter sind mit leuchtenden Ziffern nummeriert: 1–6. Auf der siebten Tür steht Backdoor in roter Neonschrift. Die Türen sind in absolut gleichen Abständen nebeneinander angebracht und gleichen einander in Form und Höhe. Sie stehen gerade so weit auseinander, dass eine Wand dazwischen passt. Jedenfalls sieht es im Halbdunkeln so aus. Schließlich kann ich nur die Umrisse erkennen. Ganz instinktiv laufe ich auf die mittlere Tür zu, Nummer 4, taste nach einem Öffnungsmechanismus, finde einen Knauf und drehe ihn. Die Tür ist verschlossen. Darüber erscheint ein Schriftzug auf einer Digitalanzeige: Zugriff verweigert.

Ich probiere die fünfte Tür. Sie ist ebenfalls abgeschlossen, genau wie die Tür mit der Nummer 6. Immer wieder erscheint der gleiche Schriftzug über mir. Er erinnert mich an etwas, das mir in diesem Zusammenhang schon einmal passiert ist. Ich weiß nur nicht mehr genau, was es war. Meine Füße sind eiskalt. Ich trete auf der Stelle und weiß nicht, was ich machen soll.

Verdammt noch mal, wo bin ich hier und was soll der Scheiß? Wütend steure ich auf die Tür mit der Zahl 1 zu und drehe energisch den Knauf. Sie geht nach außen auf. Ich falle also buchstäblich in den Türrahmen und bin vollkommen überrumpelt von dem Kälteschwall, der mir plötzlich entgegenschlägt. Es schneit. Mit aufgerissenen Augen, die Hand immer noch an den Türknauf geklammert, nehme ich meine Umgebung wahr. Ich blicke in einen verschneiten Hinterhof, umrahmt von hohen Mauern. Wenn ich mir über die eigene Schulter schaue, sehe ich ein Hochhaus. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Auch kann ich nicht begreifen, wie es sein kann, dass es auf einmal Winter geworden ist. Soweit ich mich erinnere, war eben noch Sommer. Wie geht denn so was?

Weil ich nackt, nur in feuchten Badehosen mitten im schlimmsten Schneetreiben stehe und mir ein eisiger Wind entgegenbläst, tue ich das einzig Vernünftige und ziehe die Tür eilig wieder zu. Mit klappernden Zähnen und am ganzen Leib zitternd, haste ich über die Eisfliesen zurück in den Raum mit dem Aquarium. Hier drinnen ist es wenigstens warm.

»Hallo?«, rufe ich noch einmal. Diesmal lauter und mit mehr Nachdruck. »Was verdammte Scheiße soll das? Das ist nicht witzig!«

Natürlich bekomme ich auch diesmal keine Antwort. Es ist niemand da.

Ich muss mich zusammenreißen. Ich muss nachdenken.

Mit einer Gänsehaut am ganzen Körper setze ich mich aufs Sofa und stütze meinen verwirrten Kopf in die Hände. Meine immer noch feuchten Haare sind an den Spitzen eingefroren. Auch meine Badehose fühlt sich bretthart an unter meinem Hintern. Das kann doch nicht gesund sein?

Bin ich entführt worden? Und wenn ja, wo sind meine Entführer? Wieso bewacht mich niemand? Ich sehe mich nach Kameras um, kann auf den ersten Blick aber keine entdecken. Das muss nichts heißen, schließlich gibt es die Dinger mittlerweile in Miniatur-Anfertigung. Nur weil ich sie nicht sehen kann, heißt das nicht, dass keine da sind. Ich überlege, ob ich die Schränke und Regale danach absuchen soll. Plötzlich fällt mir die Supplybox ins Auge, die neben der Tür angebracht ist. Ein quadratischer weißer Metallkasten, etwa einen Meter mal einen Meter groß. Genau wie bei uns zu Hause. Sie blinkt grün. Das heißt, dass etwas geliefert wurde. Ich stehe auf, gehe hin und klappe den Deckel hoch. Eine große Kunststoffbox steckt in dem Metallbehälter. Sie ist fast genauso groß wie die Supplybox selbst. Ich ziehe die Kiste raus und öffne sie. Darin befinden sich ordentlich gefaltete Funktionskleidung und eine Pistole.

Wie gelähmt starre ich die schwarze Waffe an, die auf dem weißen gummiartigen Stoff der Jacke liegt. Was soll das? Wozu brauche ich eine Waffe? Mein Herzschlag beschleunigt sich. Ohne die Pistole zu berühren, stelle ich die Kunststoffbox auf den Glastisch, laufe erneut zur Supplybox und stecke meine Hand hinein, um zu sehen, ob sonst noch was gekommen ist. Die Box ist leer. Aber ehrlich gesagt, brauche ich auch nichts weiter. Wenn ich etwas zum Anziehen habe, kann ich abhauen. Moment! Ich habe keine … Es rumpelt in dem Metallbehälter, bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe. Mit klopfendem Herzen sehe ich nach. Es sind Schuhe. Genau, wie ich eben gedacht habe. Oh fuck, ist das gruselig. Ich muss hier raus. Und zwar sofort.

Mit spitzen Fingern nehme ich die Pistole von der Jacke herunter, lege sie vorsichtig beiseite und falte dann das erste Kleidungsstück auseinander. Es ist ein Overall aus hauchdünnem Stoff, der über ein Steuerungsmodul im Ärmel verfügt. Darunter finde ich Shorts und Socken. Hastig entledige ich mich meiner gefrorenen Badehose, werfe sie einfach auf den Boden und steige in die neuen Sachen. Ich drücke auf den On-Knopf am Ärmel, und der Overall zieht sich zusammen, plustert sich auf und passt sich meiner Körperform an. Die Fasern verfestigen sich, und es fühlt sich an, als würde ich einen Taucheranzug tragen. Ich regle die Temperatur nach oben, und sofort wird mir warm. Die ebenfalls schneeweißen, knöchelhohen Sneaker passen perfekt. Ich habe nichts anderes erwartet. Ich ziehe an der Lasche, die Sohle leuchtet auf, der Schuh wird enger und gleicht sich meiner Fußform an.

Kaum habe ich mich angezogen, laufe ich zum Ausgang. Jetzt nichts wie weg hier. Wer auch immer sich diesen beschissenen Scherz hat einfallen lassen, ich kann darüber nicht lachen. Kein bisschen. Ich muss dringend herausfinden, wo ich bin und was geschehen ist, bevor ich hierhergekommen bin. Ich kann mich nämlich nach wie vor nicht erinnern. Nur daran, dass es warm war und ich mich gut gefühlt habe. Jetzt ist es kalt, und ich fühle mich scheiße.

Ich laufe in den Flur mit den Türen, greife den Türknauf von Tür 1, will gerade rausstürmen, zögere dann aber. Die Pistole. Warum schicken sie mir eine Pistole? Bin ich in Gefahr? Vielleicht wurde ich wirklich entführt, und jemand will mir helfen. Dieser jemand hat sich in das Housekeepingsystem meiner Entführer gehackt, um mir Kleider zum Abhauen und eine Waffe zur Verteidigung zu schicken. Vielleicht war es Violetta? Wahrscheinlich war es Violetta. Und ich lasse die Waffe einfach auf dem Tisch liegen? Ich Trottel! Und die arme Violetta muss mir über die Miniaturkameras, die überall im Raum versteckt sind (in die sie sich natürlich auch gehackt hat) dabei zusehen, wie ich dämlicher Idiot die Waffe, die sie mir unter größtmöglicher Anstrengung hat zukommen lassen, nicht mitnehme, weil ich Angst habe, sie anzufassen? Weil ich fürchte, ich könnte mir versehentlich damit in den Fuß schießen? Ich drehe um. Das kann ich nicht machen.

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und hebe die Pistole mit zitternden Fingern auf. Das Ding ist schwer. Viel schwerer, als ich erwartet habe. Da mein Overall keine Taschen hat und erst recht kein Holster, muss ich die Pistole wohl oder übel in der Hand tragen. Das passt mir gar nicht. Ich umklammere zögerlich den Griff. Die Pistole fühlt sich furchtbar in meiner Hand an. Viel zu echt. Egal, da muss ich jetzt durch.

Ich renne wieder in den Flur und steuere auf die Tür mit der 1 zu. Nichts wie weg, denke ich, drehe am Knauf und trete hinaus ins Schneetreiben. Gewärmt von meinem Hightech-Overall, mit warmen Füßen, aber kalten Ohren und weiterhin gefrorenen Haaren gehe ich vorsichtig die vereisten Treppenstufen runter in den Hinterhof. Unsicher sehe ich mich um. Mein ganzer Körper vibriert im Rhythmus der donnernden Herzschläge, die mir den Atem rauben. Ich habe Angst. Furchtbare Angst. Hochhäuser türmen sich um mich herum in den eisgrauen Himmel auf, aus dem es dicke Flocken schneit, die auf meiner Stirn schmelzen. Mir kommen die Häuser bekannt vor. Ich glaube, dass ich schon einmal hier war.

Der Hinterhof ist von einer Mauer umgeben, auf deren Sims ungefähr 20 Zentimeter Schnee liegen. Der einzige Ausgang ist die Tür, durch die ich eben gekommen bin. Es gibt kein Tor, keine Einfahrt – nichts. Wie soll ich hier rauskommen? Die Mauer ist etwa zwei Meter hoch und umschließt den gesamten Hof. Ich kann mich daran hochzuziehen, beschließe ich panisch. Mit schnellen, knirschenden Schritten durchquere ich den Hinterhof und hinterlasse dabei die ersten Fußstapfen in der makellosen Schneedecke. Ich lege die Pistole oben auf der Mauer im Schnee ab, umfasse den kalten Stein, springe und ziehe mich hoch. Es gelingt mir ziemlich problemlos, die Mauer zu erklimmen. Ich bin in guter Verfassung. Luke und ich haben viel trainiert in letzter Zeit. Wir waren den ganzen Sommer jeden Tag im Wald unterwegs und sind viel geklettert. Diese Mauer hier stellt kein besonderes Hindernis für mich dar. Glücklicherweise.

Auf der anderen Seite springe ich wieder herunter und stehe nun in einer dunklen, sehr schmalen Seitengasse direkt vor einer weiteren Hausfassade. Ich nehme den eiskalten Griff der Pistole und gehe nach rechts.

Luke und Violetta, denke ich. Wann habe ich die beiden das letzte Mal gesehen? Ich erinnere mich nicht. Was verfickt noch mal ist denn mit meinem Kopf los? Ich beschleunige meinen Schritt und jogge durch die verschneite Gasse auf eine breite Straße zu. Ich sehe immer noch niemanden. Das kann doch nicht sein! Auch die Straße ist wie ausgestorben. Ich sehe keine Autos, keine Menschen, keine Hubschrauber, Flugzeuge oder Drohnen. Die Stadt ist absolut still. Ich laufe in die Mitte der breiten Hauptstraße und sehe mich um. Rechts von mir entdecke ich den CN-Tower. Ich bin also noch in Toronto. Das beruhigt mich etwas. Ich kenne mich gut aus in Toronto. Sofort kehrt mein Orientierungssinn zurück. Ich kenne diese Gegend. Ich muss ganz in der Nähe von Papas alter Wohnung sein, etwa zwei Blocks entfernt.

Wenn ich in Toronto bin und es Winter ist, dann … dann muss ich mehrere Monate vergessen haben. Oder ich habe mehrere Monate geschlafen. Oder im Koma gelegen. Die letzte Erinnerung, die ich habe, ist eine warme Erinnerung. So viel ist klar. Ich erinnere mich an Sonne … und ich bin in einer nassen Badehose aufgewacht, so als ob ich gerade noch im Wasser gewesen wäre. Vielleicht war ich im Hallenbad. Dort hat mich jemand niedergeschlagen und in diese Wohnung geschleppt. Aber wieso verdammt noch mal ist denn jetzt Winter? Und was sollte ich in einem Hallenbad? Ich kann doch gar nicht schwimmen.

Ich beschließe, zu Violettas Apartment zu gehen. Sie wohnt mit Mei und Captain Sarah zusammen in Michaels alter Wohnung. Oder besser gesagt in Tinas alter Wohnung. Ich kenne den Weg dorthin und ich muss wissen, ob es ihnen gut geht. Ich drehe mich also einmal in die entgegengesetzte Richtung und beginne wieder zu rennen. Es tut gut, diese Entscheidung getroffen zu haben. Es beruhigt mich. Ich habe einen Plan.

Der Schnee unter meinen Füßen ist absolut unberührt. Niemand ist bisher darübergegangen, kein Auto darübergefahren. Eine perfekte weiße Fläche, die sich vor mir erstreckt. Je länger ich durch die leer gefegten Straßen laufe, desto schneller verliere ich das gute Gefühl wieder. Irgendwas stimmt nicht. Hier ist wirklich niemand. Kein Licht brennt, keine Schwebebahn bewegt sich, keine Taxis fahren, keine Geräusche sind zu hören. Nur meine Füße, die rhythmisch auf dem Boden auftreffen und mein Atem, der gleichmäßig mit meinen Schritten geht. Ich frage mich, ob die Welt untergegangen ist, während ich geschlafen habe. Ob alle Menschen sich plötzlich in Luft aufgelöst haben und ich offiziell der letzte Mensch auf dem Planeten bin? Dieser Gedanke macht mir Angst. Ich fürchte mich vor dem, was ich in Violettas Wohnung vorfinden würde. Was mache ich, wenn sie nicht dort ist? Wie finde ich sie? Ich würde nach Port Hope gehen. Vielleicht ist sie dort. Bei Papa und den restlichen Potlowskis.

Und wenn es die auch nicht mehr gibt?

Bevor ich aber dazu komme, mich weiter in meine Panik hineinzusteigern, knallt es hinter meinem Rücken, und ich erschrecke mich so sehr, dass ich ausrutsche und auf einem Bordstein umknicke. Hart umknicke. Ich glaube zu spüren, wie etwas reißt. Der Schmerz schießt wie ein Blitz in meinen Knöchel. Mein Herz pocht heftig, während ich mich umdrehe und eine dunkle Gestalt im Schneetreiben ausmache. Sie ist noch relativ weit weg, kommt aber definitiv auf mich zu. Wieder knallt es, und mir ist, als würde etwas sehr schnell und sehr dicht an meinem Gesicht vorbeifliegen. Fuck! Jemand schießt auf mich. Nun schlägt die geballte Panik wie eine Abrissbirne auf mich ein. Ich vergesse den Schmerz in meinem Knöchel und denke nur noch eines: abhauen. So schnell ich kann, biege ich in die nächste Nebenstraße ein. Ich weiß, dass mich die Person verfolgt. Ich spüre es. Ich laufe Schlangenlinien, weil ich mal gehört habe, dass man so schlechter getroffen werden kann. Ohne Plan biege ich nach links ab, dann wieder nach rechts und sehe mir dabei ständig über die Schulter. Wieder knallt es. Eine Kugel schlägt neben mir in die Hauswand ein. Funken sprühen, und mein Herzschlag setzt für einen Moment aus.

»Fuck! Fuck! Fuck!«, schreie ich und springe zur Seite. Anscheinend kann ich den Menschen, der komplett in Schwarz gekleidet ist, nicht abschütteln. Mit ausgestreckten Händen hält er eine Pistole vor sich und zielt auf mich. Was soll ich machen? Er holt mich immer wieder ein. Er weiß immer, wo ich hingehe. Soll ich zurückschießen? Das kann ich doch nicht machen. Auf keinen Fall. Ich würde wahrscheinlich sowieso nicht treffen. Ich habe im echten Leben noch nie eine Pistole abgefeuert.

Ich muss mich verstecken. Wieder biege ich ab, versuche irgendwie, unberechenbare Wege einzuschlagen. Doch egal, wie sinnbefreit ich mich bewege, jedes Mal, wenn ich über die Schulter blicke, ist mein Verfolger noch da. Ich habe das Gefühl, als wüsste er genau, wohin ich mich als Nächstes wende.

Es scheint keinen Sinn zu ergeben, vor ihm wegzulaufen. Ich muss mich irgendwo verstecken. Kaum habe ich die nächste Straßenecke erreicht, sehe ich einen großen silbernen Müllcontainer. Das Ding, auf das jemand mit schwarzer Farbe 01 gesprüht hat, wirkt total deplatziert auf der menschenleeren Straßenkreuzung. Es gibt keine solchen Müllcontainer mehr in Toronto. Kein Mensch braucht solche Dinger noch. In den Metropolen wird kein Müll mehr produziert. Jedenfalls keiner mehr, den man auf der Straße entsorgen müsste. Ohne großartig darüber nachzudenken, warum das Ding hier steht, sprinte ich darauf zu, reiße den Deckel auf und springe hinein. Ich habe Glück, der Container ist leer. Er ist nicht nur leer, sondern komplett unbenutzt. Es riecht nicht mal nach Müll. Ich schließe den Deckel über mir. An der Stelle, wo von außen die Farbe drangesprüht ist, befindet sich ein faustgroßes Loch, durch das helles Licht ins Dunkle des Containers scheint. Ich spähe hindurch, und es eröffnet sich mir ein perfekter Blick auf die Straßenkreuzung, über die ich gerade gerannt bin. Ich sehe meine Fußspuren ganz deutlich im Schnee. Mann, bin ich ein Idiot. Die schwarze Gestalt, die mich verfolgt, kommt um die Ecke gebogen, bemerkt meine Abdrücke und sieht sich nach mir um. An ihrer Statur glaube ich erkennen zu können, dass es sich um einen Mann handelt. Er ist ziemlich groß. Wer ist das? Warum sucht er mich? Ich frage mich, ob das vielleicht mein Entführer sein könnte.

Wieder schießt mir eine Ladung Adrenalin durch den Körper. Ich höre meinen Herzschlag dröhnend in den Ohren. Meine Schläfen pulsieren, und ich schwitze in meiner viel zu warm eingestellten Funktionskleidung. Ich will nicht sterben, verdammt. Warum zur Hölle will der Scheißkerl mich umbringen? Was hab ich denn gemacht?

Der Typ kommt immer näher. Er läuft mit langsamen Schritten unter den tief hängenden Zweigen einer kahlen Kastanie hindurch. Wenn ich mich nicht täusche, trägt er genau den gleichen Overall wie ich. Nur in Schwarz. Sein Gesicht verdeckt ein Helm mit verspiegeltem Visier. Eine Art XP Nature nur in weniger klobig. Er zielt mit seiner Waffe auf den Container. Er weiß, dass ich hier drin bin. Natürlich weiß er das. Er ist ja nicht blöd. Nicht so blöd wie ich.

Was soll ich bloß machen? Wenn ich jetzt rausspringe, erwischt er mich. Garantiert. Er ist schon so nahe an mir dran, er würde sicher nicht danebenschießen. Ich halte die Luft an. Scheiße! Soll ich versuchen, mit ihm zu reden? Und wenn er nicht reden will? Wenn er feuert, sobald ich meinen Kopf aus dem Container strecke?

»Hey!«, brülle ich aus Leibeskräften. Meine Stimme klingt dumpf und scheint nicht ganz aus dem Container rauszukommen. »Was willst du von mir?«

Ich frage mich, ob er mich gehört hat. Er bleibt kurz stehen, hebt die Waffe ein Stück höher und schießt. Und zwar genau durch das Loch, durch das ich eben noch geschaut habe. Ich werfe mich zur Seite und sehe den Funken, als die Kugel von der Innenwand des Müllcontainers abprallt. Anscheinend will der Typ nicht reden. Er will mich, verdammte Scheiße, einfach nur umbringen.

Dann fällt mir wieder ein, dass ich auch eine Pistole habe. Ich halte sie in der Hand. Die ganze Zeit schon. Ich kann zurückschießen. Durch das Loch. Ich stecke den Lauf durch die Öffnung. Sie scheint genau dafür gemacht zu sein. Ich kann sogar durchsehen und zielen. Ich würde ihn treffen. Wenn ich mich entschließen könnte abzudrücken. Wahrscheinlich würde mir das Trommelfell platzen, aber besser taub als tot.

Der Kerl geht weiter auf mich zu und ist jetzt nur noch ein paar Schritte entfernt. Langsam setzt er einen Fuß vor den anderen. Er hat es nicht mehr eilig. Er weiß ja, dass ich hier drinnen bin. Die Pistole in meiner Hand zittert. Trotzdem würde ich ihn treffen. Er steht genau vor mir. Vielleicht sollte ich versuchen, auf seine Schulter zu zielen oder auf die Beine. Ich will ihn nicht umbringen. Ich kann doch nicht einfach so jemanden erschießen?

Der Kerl in Schwarz nimmt mir die Entscheidung ab. Er schießt noch einmal auf den Container. Reflexartig betätige ich den Abzug der Waffe in meiner Hand, und es knallt so laut, dass ich glaube, mein Kopf explodiert. Ich verliere das Gleichgewicht und pralle mit dem Rücken gegen die Wand des Müllcontainers. Es scheppert und klingelt in meinen Ohren, als hätte ich Lukes uralten Wecker verschluckt, den er neben seinem Bett stehen hat. Hastig rapple ich mich wieder auf und sehe durch das Loch. Tatsächlich liegt der Mann in Schwarz im Schnee und bewegt sich nicht mehr. Ich habe getroffen, durchfährt es mich. Und ich bin entsetzt und erleichtert zu gleich. Ich stecke meinen Kopf zwischen die Knie und atme viel zu hektisch den Geruch der unbenutzten Mülltonne ein. Mir wird schwindelig.

Was zur Hölle habe ich gemacht? Ich habe den Typen umgelegt! Ich öffne den Deckel über meinem Kopf und klettere raus. Ich muss hier weg. Sofort! Ich muss abhauen. Ich kann den roten Fleck sehen, der sich dampfend im Schnee ausbreitet. Die Gestalt in der Mitte der Blutlache bewegt sich nicht mehr. Langsam gehe ich auf das furchtbare Bild zu, das sich sofort in mein Gehirn einzubrennen scheint. Es schreit mich geradezu an. Ich halte die Waffe ausgestreckt vor mich. Nicht, dass der Typ gleich aufspringt und nur so getan hat, als wäre er tot. Als ich dann direkt neben ihm stehe, wird mir klar, dass er nicht wieder aufstehen wird. Sein Körper zuckt noch ein paar Mal unkontrolliert, bevor er komplett erschlafft und ihm seine Pistole aus der Hand in die Blutpfütze gleitet. Tatsächlich habe ich ihn direkt ins Herz getroffen. Die warme Flüssigkeit schmilzt den Schnee um uns herum. Schneeflocken fallen auf das verspiegelte Visier, in dem ich verschwommen mein eigenes entsetztes Gesicht erkenne.

Und obwohl ich eigentlich sofort weglaufen will, irgendwohin will, wo ich in Sicherheit bin, kann ich nicht anders, falle mit den Knien in die scheiß Blutpfütze und ziehe dem Typen mit zitternden Händen den Helm vom Kopf. Ich muss wissen, wen ich umgebracht habe. Ich will wissen, wer mich umbringen wollte.

Es ist Tom. Der tote Typ im Schnee ist Tom, der Verräter. Der Tom, der meinen Vater und mich letztes Jahr fake-entführt hat, um uns zu Bambis Unterwasserstation zu bringen. Bambis Lebensgefährte. Bambi, an die ich mich absolut nicht mehr erinnern kann, weil man mir jegliche Erinnerungen an sie aus dem Gehirn gelöscht hat. An Tom allerdings erinnere ich mich. Und ihn jetzt tot vor mir auf dem verschneiten Fußboden in einer dampfenden dunkelroten Blutlache liegen zu sehen, macht mich so fertig, dass ich einfach vornüberkippe und neben ihm in den Schnee falle. Ich komme nicht mehr klar. Was habe ich gemacht? Mir wird schlecht.

Wieso ist er hier? Hat er mich noch mal entführt? Dieses Mal real entführt? So unrealistisch ist das gar nicht. Schließlich hat er Bambi an Kitty Jones verraten. Vielleicht hat Kitty Jones ihn nun beauftragt, mich zu kidnappen. Und diesmal richtig. Aber wieso zur Hölle entführt er mich zuerst, lässt mich aber durch eine geöffnete Haustür wieder abhauen und versucht dann, mich auf offener Straße zu erschießen? Hätte er mich nicht einfach gleich erschießen können? Ohne das ganze Theater? Und warum verfickte Scheiße schneit es, obwohl eben noch Sommer war?

Ich begreife nicht, was hier gespielt wird. Mit zitternden Knien stehe ich auf. Ich muss hier weg. Mein Knöchel tut scheiße weh. Jetzt merke ich es wieder. Kaum ist das Adrenalin verschwunden, kommen die Schmerzen zurück. Ich muss Violetta finden. Irgendwen, den ich kenne. Jemanden, der mir helfen kann, mich zu erinnern. Die Pistole fest umklammert, entferne ich mich von Toms Leiche. Ich bin mir sicher, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich sie gesehen habe. Ich fürchte mich jetzt schon vor den Albträumen, die mich mit Sicherheit bis ans Ende meiner Tage verfolgen werden. Ich bin einfach nicht gemacht für so einen Scheiß. Und doch gerate ich immer wieder hinein. Was mache ich verdammt noch mal falsch?

Ich laufe eine ganze Zeit lang einfach geradeaus, ohne richtig zu gucken, versuche, das Stechen zu ignorieren, das mit jedem Schritt durch mein ganzes Bein fährt, und bemühe mich, irgendwie abzuschütteln, was eben passiert ist. Als ich nach einiger Zeit wieder aufsehe, entdecke ich zu meinem Erstaunen die dunkle Seitengasse, aus der ich vorhin herausgekommen bin. Irgendwie muss ich wohl im Kreis gelaufen sein. Ich erkenne die zerbeulte Straßenlaterne und die moosbewachsene Hauswand wieder. Mein Knöchel pulsiert unter der Hose, und ich meine spüren zu können, wie er unter dem festen Stoff der Funktionskleidung immer weiter anschwillt. Ich glaube, ich kann keinen Schritt mehr weitergehen. Es tut so weh, mir ist schon ganz schlecht. Ich frage mich, ob ich in die Wohnung zurückgehen soll. Schließlich habe ich meinen Entführer getötet. Ich habe mir selbst bewiesen, dass ich im Notfall eine Waffe abfeuern kann. Ich könnte mich kurz ausruhen und mir die Verletzung ansehen; vielleicht finde ich irgendwo Schmerztabletten. Ich könnte morgen früh einen neuen Versuch starten.

Der Gedanke kommt mir super abwegig vor. Andererseits ist der Weg zu Violettas Wohnung weit. Ich würde bestimmt zwei Stunden laufen müssen. In meinem Zustand eher vier. Der Himmel über mir wird immer dunkelgrauer. Es ist spät. Nicht mehr lange und es wird dunkel. Die Straßenlaternen machen keine Anstalten anzuspringen. Es sieht nicht so aus, als gäbe es in Toronto noch Strom. Außer in der Wohnung, in der ich aufgewacht bin. Die Aussicht, mit verstauchtem Knöchel im Stockdunklen durch die verlassene Stadt zu irren, verursacht mir mehr Unwohlsein, als der Gedanke, durch die Seitengasse zurück in die merkwürdige Wohnung zu gehen, um dort die Nacht zu verbringen.

Ich weiß ja nicht mal, ob Violetta überhaupt noch in Toronto ist. Niemand scheint mehr hier zu sein. Niemand außer Tom. Und der ist jetzt auch nicht mehr da. Wegen mir. Ich atme geräuschvoll aus, dann humple ich in die Seitengasse und durchquere sie quälend langsam. Die Schmerzen sind kaum noch auszuhalten. Es fühlt sich mehr und mehr an, als würde mein Knöchel gleich platzen. Ich muss mich hinsetzen.

Mit zusammengebissenen Zähnen erreiche ich die Mauer, hinter der sich der Hinterhof erstreckt. Man sieht noch die Stelle, an der ich rübergeklettert bin und den ganzen Schnee runtergeworfen habe. Ich ziehe mich noch einmal hoch, stütze mich mit dem gesunden Fuß ab und schwinge den verletzten über den Sims. Ich bleibe kurz sitzen und sehe von oben in den grauen Hof runter und dann das Hochhaus hinauf. Es sieht aus wie ein gewöhnlicher Wolkenkratzer. Ein dunkler konturloser Schatten in der Abenddämmerung. Nirgendwo brennt Licht in den Fenstern. Die Tür, aus der ich gekommen bin, scheint der einzige Zugang zu sein. Ich wüsste gerne, wie das Gebäude von vorn aussieht. Allerdings beschließe ich, das heute nicht mehr herauszufinden. Ich lasse mich so kontrolliert wie möglich hinunterfallen und versuche, dabei nur auf dem gesunden Fuß zu landen. Es klappt nicht. Vor Schmerzen schreie ich auf. So eine verdammte Scheiße! Ich schleppe mich die Stufen zur Eingangstür hoch, klammere mich an das eiskalte Treppengeländer und öffne die Tür hinein in den Flur.

»Hallo?«, rufe ich. Vielleicht ist in der Zwischenzeit jemand gekommen. Niemand antwortet. Und so schließe ich die Tür hinter mir und springe auf einem Bein ins Wohnzimmer. Drinnen brennt jetzt das Deckenlicht. Es ist angenehm warm. Der riesige Bildschirm an der Wand ist eingeschaltet. Das MediaCon-Logo ist darauf zu sehen. Unten drunter steht die Uhrzeit. 4:43 pm. Gerade als ich mich erschöpft auf die Ledercouch fallen lassen will, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass die Supplybox blinkt. Ich habe eine Ahnung, was drin sein wird. Und das macht es nicht besser. Das macht alles nur noch viel schlimmer. Die Tatsache, dass sich in dem kleinen Döschen, das ich aus dem Metallkasten ziehe, Schmerztabletten und ein Verband zum Aufsprühen befinden, lassen mir das Herz in die Hose rutschen. Irgendjemand beobachtet mich. Irgendjemand hat gesehen, dass ich verletzt bin. Kaum habe ich die Medikamente herausgenommen, rutscht ein weiterer Behälter mit einem frischen Funktionsanzug hinterher.

Mir wird kalt in meinem beheizten Overall, der komplett vollgeschmiert ist mit Toms Blut. Irgendjemand spielt ein verdammt krankes Spiel mit mir. Nur wer? Und was zur Hölle wollen die von mir?

Schritt 3; Orientierung

Wie erwartet, komme ich nicht zur Ruhe. Wie auch? Ich habe gerade den Ex-Freund meiner Mutter erschossen. Ich habe mit einer Pistole auf ihn gezielt und abgedrückt, und jetzt ist er tot. Wegen mir. Dass Tom mich zuerst umbringen wollte (warum auch immer) und ich mich im Prinzip nur gewehrt habe, spielt in meinem wahnsinnigen Gedankenchaos nur eine untergeordnete Rolle. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir in einer Blutlache liegen. Ich wünschte, ich könnte mir einreden, dass es diesem Arschloch recht geschieht. Dass er es verdient hat, zu sterben. Mein Gehirn weigert sich allerdings, das einfach so zu hinzunehmen. Ich bin ein Mörder. Wie verdammt noch mal soll ich denn damit für den Rest meines Lebens klarkommen?

Ich liege seit Stunden auf der Ledercouch, meinen eingesprühten Fuß über die Lehne gehängt, und zerbreche mir den Kopf über meine total abgefuckte Situation. Wenigstens helfen die Tabletten einigermaßen. Das aufdringliche Stechen und Pochen ist zu einem zarten Klopfen verebbt, und das Einzige, was ich noch als wirklich unangenehm empfinde, ist der Druck des Sprühverbands, der meinen Knöchel fest umschließt und mich daran hindert, den Fuß zu bewegen. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um dasselbe Zeug, das auf dem MediaCon-Spielfeld damals aus den Schubladen der Jägerhütte gespritzt ist. Eine klebrige Masse, die sich erst verhärtet und nach einiger Zeit zu Pulver zerfällt. Der Verband hält bombenfest. Außerdem kühlt er die Schwellung. Über meine medizinische Versorgung kann ich mich also nicht beschweren. Alles andere ist nach wie vor nicht unbedingt zu meiner Zufriedenheit. Im Gegenteil: Ich bin ein verdammter Mörder und habe keine Ahnung, wo ich bin und warum.

Zähneknirschend starre ich die dunkelgraue Decke an. Es ist mittlerweile halb zwölf, und meine Gedanken drehen sich wild im Kreis. Trotz des weiterhin vorherrschenden schwarzen Lochs in meinem Kopf habe ich in den letzten Stunden wenigstens ein paar Sachen herausfinden können und versuche, sie irgendwie in einen Zusammenhang zu bringen. Und da es immer sinnvoll ist, mit einer Bestandsaufnahme zu beginnen, wenn man versucht, sich im Chaos zu orientieren, rufe ich mir in Erinnerung, was ich mit Sicherheit weiß.

Klar ist, mein Gedächtnis ist irgendwie manipuliert worden, beziehungsweise ich leide unter einer Art Amnesie. Keine Ahnung, unter welcher genau. Eigentlich weiß ich noch alles über mein Leben, aber ich weiß nicht, was ich gemacht habe oder wo ich war, bevor ich in diesem Zimmer aufgewacht bin. Bevor du jemanden ermordet hast, erinnert mich mein schlechtes Gewissen. Ich drücke Daumen und Zeigefinger auf meine geschlossenen Augenlider und sehe Sterne. Ich muss mich konzentrieren. Meine letzten Erinnerungen sind schwammig und zeitlich schwer einzuordnen.

Ich weiß, dass ich in Port Hope lebe. Ich wohne mit meinem besten Freund Luke im Haus seiner Eltern, die vor zehn Jahren gestorben sind. Wir haben drei Zimmer und eine Garage. Ich lebe dort, seit wir letztes Jahr aus Irland zurückgekommen sind (das war im Sommer vor dem Sommer, an den ich mich erinnere). Meine Mama, die eigentlich meine Tante ist, wohnt mit meinem Papa (der tatsächlich mein Papa ist), meinen Geschwistern (die eigentlich mein Cousin und meine Cousine sind) und meiner Nichte (die eigentlich meine Großcousine ist) in einem etwas baufälligen Haus am Stadtrand von Port Hope. Alle haben sich dort mehr oder weniger gut eingelebt, und eigentlich war bis jetzt alles cool. Meine Freundin Violetta ist nach Toronto gezogen, weil sie dort arbeitet und das Leben auf dem Land nicht wirklich ihr Ding ist. Wir sehen uns aber regelmäßig. Meistens fahre ich mit dem Jeep in die Stadt, um sie zu besuchen. Sie arbeitet mit Vincent Murphy (Bambis Nachfolger) und Jay Morrison daran, Toronto zur ersten system-unabhängigen Metropole der Welt umzubauen. Und sie macht ihre Sache wirklich gut. Violetta hat immer viel um die Ohren und nur wenig Zeit für mich und unsere Beziehung. Ich habe mich zwar daran gewöhnt, bin aber oft unzufrieden deswegen. Ich erinnere mich daran, dass wir uns in letzter Zeit (welche Zeit?) viel gestritten haben. Ich sehe die Situationen vor mir, weiß noch, was ich gesagt habe, weiß, was sie gesagt hat, nur die Abfolge der Gespräche, die Zeitleiste, kriege ich irgendwie nicht auf die Reihe. Gerade die Erinnerungen, die mir sehr neu erscheinen, sind komplett durcheinandergewürfelt. Mal sehe ich Violetta im T-Shirt vor mir, mal sehe ich sie in einem roten Kleid, das wirkt, als würde sie damit auf irgendeine Party gehen wollen. Ich sehe sie vor mir, wie sie mich anschreit; Feuerwerk knallt im Hintergrund, Funken regnen, und dann küsst sie mich lächelnd, während wir irgendwo sind, wo grüne Baumkronen über uns im Wind rascheln. Ich sehe uns im See stehen, klatschnass, und sie lacht. Ich sehe sie, wie sie mir den Rücken zuwendet und wütend von mir wegstampft.

Was wann war, ob wir uns erst geküsst und dann gestritten oder erst gestritten und dann geküsst haben – ich habe absolut keine Ahnung. Fakt ist, bevor ich hierhergekommen bin, war eigentlich alles okay. Nicht perfekt – aber okay.

Ich habe mit der politischen Situation der Welt nicht mehr viel zu tun, was meiner Psyche echt guttut. Weltretten ist Violettas Ding. Und Vinces und Jays. Ich lerne gerade, wie man Häuser baut und Beete anlegt. Das ist viel eher meins und wesentlich weniger gefährlich. Ich klettere im Wald auf Bäume und Felsen, ich reite auf Van Gogh über die Felder und spiele mit meinen Freunden im Regen Fußball auf der matschigen Wiese vor der Stadt. Ich wüsste also nicht, aus welchem Grund man mich entführen sollte. Außer jemand will von Vincent und Jay Lösegeld erpressen. Das würde als Einziges Sinn ergeben. Vielleicht war ich das leichteste Opfer. Wobei, anscheinend bin ich neuerdings kein Opfer mehr. Ich bin ab heute Täter.

Dieser Gedanke gefällt mir nicht. Ich denke also schnell an was anderes.

Was ich ebenfalls weiß, ist, dass ich mich aktuell in Toronto befinde. Das erleichtert die ganze Sache enorm. Was mich nicht erleichtert, ist die Tatsache, dass außer mir niemand sonst mehr in Stadt zu sein scheint. Da ich aber aufzählen wollte, was ich weiß, und nicht, was ich nicht weiß, verwerfe ich auch diesen Gedanken. Ich würde mir gerne Notizen machen. Ich würde mich besser fühlen mit einem Stift in der Hand. Oder wenigstens einem Stück angespitzter Kohle.

Weiterhin ist klar, dass ich beobachtet werde. Das weiß ich nicht erst, seit die Supplybox gleich zweimal exakt auf meine Bedürfnisse reagiert und mich mit äußerst nützlichen Dingen ausgestattet hat. Ich habe die Übertragung der Kameras in diesem Raum auf dem Fernseher gefunden. Kurz nachdem ich zurückgekommen bin und meinen Knöchel verarztet hatte, habe ich die Sprachsteuerung des Bildschirms ausprobiert und festgestellt, dass sie einwandfrei funktioniert. Auf dem Gerät sind alte Aufzeichnungen von Kampagnen und Serien gespeichert (nichts, was mich zu diesem Zeitpunkt sonderlich interessiert hat), und die Elektronik im Raum lässt sich damit steuern. Ich kann die Temperatur, die Lichtfarbe und sogar die Beleuchtung des Aquariums über das Gerät anwählen und verändern. Ich kann Playlists abspielen und mir den Wetterbericht ansehen. Außerdem habe ich Zugriff auf die Überwachungskameras. Und als ich diese angewählt habe, sah ich mich selbst auf dem Sofa sitzen und den Bildschirm anstarren. Es gibt insgesamt vier Kameras. Drei zeigen den Raum aus verschiedenen Perspektiven und eine den merkwürdigen Flur mit den sieben Türen.

Ich war wenig überrascht, das herauszufinden. Ich habe nur nicht ganz verstanden, warum sie mich den Kamerafeed über den Fernseher ansehen lassen.

Ein weiterer Punkt, den ich auf meiner Liste der mir bekannten Fakten verzeichnen muss, ist, dass ich mich anscheinend in einem Gebäude mit halbwegs intakter Netzwerkverbindung befinde. Schließlich funktioniert die Supplybox. Natürlich könnte es auch sein, dass sich die Person, die mich beobachtet und mir Dinge schickt, einfach nur ein Stockwerk über mir befindet und die Sachen von oben runter in die Box wirft, um den Eindruck zu erwecken, es gäbe eine Netzwerkverbindung. Allerdings müssen ja auch die Kamerabilder gestreamt werden und der Wetterbericht, den der Screen anzeigt (er stimmt). Irgendwie scheint die Technik also zu funktionieren. Und da in der Stadt kein einziges Licht brennt (die Jalousien an den Fenstern lassen sich ebenfalls über Sprachsteuerung und den Bildschirm bedienen), jedenfalls in meiner näheren Umgebung nicht, scheint das aktuell keine Selbstverständlichkeit zu sein.

Ein weiterer Fakt, den ich auf meiner imaginären Liste notiere, ist, dass sich Erinnerungen aus dem Gedächtnis löschen lassen. Ich habe es am eigenen Leib erfahren. Man hat mir letztes Jahr jegliche Erinnerungen an meine wirkliche Mutter aus dem Gehirn entfernt. Es ist, als hätte sie niemals existiert. Ich kenne sie nur vom Hörensagen, habe Fotos von ihr gesehen und Texte von ihr gelesen. Ich weiß von meinem Vater, wie unser erstes Zusammentreffen abgelaufen ist (anscheinend ziemlich beschissen), und ich weiß von meiner Mama, wie sie war, als sie noch in Berlin gelebt hat (ebenfalls ziemlich beschissen), aber es fühlt sich immer an, als würde von einer fremden Person gesprochen. Nicht von jemandem, dem ich mal begegnet bin. Von einer Frau, die anscheinend ihr Leben für mich und meine Freunde geopfert hat. Sie hat sich für mich in die Luft gesprengt, und im Gegenzug habe ich ihren Ex-Freund erschossen. Eine wirklich besondere Art, mich erkenntlich zu zeigen. Ich drehe mich wütend auf den Bauch und schreie in die Lehne des Ledersofas. Warum, verdammte Scheiße, passiert so was immer mir?

Ich habe furchtbare Angst, dass mir jemand die Erinnerung an die Zeit, bevor ich hier aufgewacht bin, einfach aus dem Gedächtnis geschnitten hat. Es gibt nichts, woran ich das erkennen könnte. Vielleicht sind Jahre vergangen, und ich weiß es nicht einmal. Vielleicht bin ich schon fünf Jahre älter und kann mich einfach nicht erinnern. Vielleicht habe ich auch schon mehrere Leute erschossen, es aber einfach wieder vergessen. Ich musste leider am eigenen Leib erfahren, dass man nicht einmal mehr seinen eigenen beschissenen Erinnerungen trauen kann.

Seufzend setze ich mich auf und rufe erneut die Kameraansicht auf, wähle die Frontkamera am Bildschirm und zoome auf mein Gesicht. Die Auflösung ist gut, ich sehe mich fast wie im Spiegel. Und ich sehe nicht älter aus. Ich sehe total normal aus. Ich sehe nicht mal besonders müde oder erschöpft aus. Ein bisschen rot bin ich im Gesicht, wahrscheinlich vom Schreien, und meine Haare stehen in alle Richtungen von meinem Kopf ab. Ich befehle dem Fernseher, das Bild wieder herauszuzoomen. Für einen Moment starre ich mich selbst an, wie ich auf dem Ledersofa hocke und verwirrt, verzottelt und frustriert den Bildschirm anglotze.

Obwohl ich keinen Hunger habe, beschließe ich auszuprobieren, ob die Supplybox mir etwas zu essen liefern kann. Ich muss mich ablenken. Solange ich nicht laufen kann, kann ich nicht abhauen. Und solange ich hier bin, muss ich versuchen, nicht verrückt zu werden. Normale Leute essen und trinken. Also werde ich das jetzt auch tun. Aus der Wohnung meines Vaters weiß ich, dass es ein Auswahlmenü für Lebensmittelbestellungen im MediaSystem gibt. In Berlin wurde unser Essen immer automatisch geliefert. Wir konnten nicht bestellen. Die Leute in den inneren Ringen allerdings schon. Jeder Bewohner hatte ein Guthaben, Credits, die vom Arbeitgeber monatlich aufgeladen wurden. Die Credits konnte man dann für jede Art von Bestellungen nutzen. Ich fordere den Fernseher also auf, mir anzuzeigen, was ich bestellen kann. Er tut es. Es gibt ein Dropdownmenü, das alles Mögliche enthält und das ich mit der Hand nach unten scrollen kann. Guthaben habe ich keins, jedenfalls wird keins angezeigt. Ich probiere trotzdem, etwas zu bestellen. Ich nehme das Erstbeste: Vitaminbrei. Da ich eh keinen Appetit habe, kann ich auch was Gesundes essen. Ich warte gespannt ab, was passiert. Auf dem Bildschirm wird eine Meldung eingeblendet, die besagt, dass ich ungefähr 15 Minuten auf mein Essen warten muss. Über mangelndes Guthaben beschwert sich das System nicht. Komisch. Ich kann mir ja fast nicht vorstellen, dass wirklich was ankommt. Woher auch? Auf der anderen Seite kamen aber auch Klamotten, Schuhe und Medikamente an. Und eine Pistole. Irgendwer muss die ja geschickt haben.

Gedankenverloren browse ich durch den Fernseher. Ich klicke mich durch Tausende Clips, die auf der Festplatte des Geräts gespeichert sind, habe aber weder den Kopf dafür noch Interesse daran, mir irgendwas von dem Mist tatsächlich anzusehen. Am besten noch irgendwelche Action-Kampagnen mit Haufenweise Leichen und Blutlachen. Bitte nicht! So was will ich verdammte Scheiße nie wieder sehen. Ich will einfach nur nach Hause. Nach Port Hope zu Luke und meiner Familie. Ich will in mein Bett und mit Violetta im Arm einschlafen. Ich will verfickt noch mal meine Ruhe!

Frustriert fuchtelnd, lande ich wieder im Kamera-Feed und spiele an den Einstellungen herum. Dabei finde ich heraus, dass ich die Ausrichtung der Linsen mit den Händen verändern kann. Nicht nur zoomen, ich kann sogar die Kameras selbst bewegen. Ich kann sie nach links, rechts, oben und unten bewegen. Der Raum, in dem ich mich befinde, ist allerdings so übersichtlich und klein, dass mir die veränderten Blickwinkel keine neuen Erkenntnisse verschaffen. Ich klicke in den Flur. Da es dort dunkel ist, wechselt die Kamera auf den Nachtsichtmodus. Ich bewege die Linse, entdecke aber auch hier nichts Außergewöhnliches. Der Raum ist rechteckig, lang und schmal und verfügt über mehrere Ausgänge. Nach wie vor sieben Türen. Wobei, was ist denn das? Ich zoome näher an Tür 1 heran. Über der Tür leuchtet ein kleiner Stern. War der vorher schon da? Und die Ziffer 2 auf der Tür daneben scheint ebenfalls zu leuchten.

Ich springe von der Couch auf, fluche vor Schmerzen, weil ich nicht aufgepasst und meinen Knöchel belastet habe, und humple zum Ausgang. Eilig reiße ich die Tür auf und stolpere in die Dunkelheit. Tatsächlich! Da leuchtet ein Stern auf der Digitalanzeige über Tür 1, und die Ziffer 2 auf der Tür links davon strahlt, als hätte sie jemand angeschaltet. War jemand hier? Oder wurde das von wo anders aus gemacht? Jetzt doch wieder etwas eingeschüchtert, bewege ich mich zögerlich auf die leuchtende Ziffer zu. Ich befühle die LED-Lämpchen der Zahl 2. Die Zahlen auf den anderen Türen leuchten nicht. Gespannt drehe ich den Knauf, und die Tür öffnet sich anstandslos. Das hat sie vorhin nicht getan. Ganz sicher nicht. Ich habe an jeder Tür ausgiebig gerüttelt und gezerrt.

Langsam und mit klopfendem Herzen betrete ich das schmale Treppenhaus, das sich dahinter hell vor mir erstreckt. Ein ganz normaler Flur mit einer Treppe, die mich eine Etage höher führt. Ich frage mich, ob ich meine Pistole holen soll. Sicher ist sicher – obwohl mir die Aussicht, das Ding noch einmal zu benutzen, sofort die Übelkeit in meine Eingeweide treibt. Auf der anderen Seite erscheint mir die Aussicht, selbst umgebracht zu werden, noch weniger anstrebenswert, also gehe ich zurück und hole die Waffe. Es dauert einen Moment, bis ich wieder zurückgehumpelt und dann die Treppe auf einem Bein hochgehüpft bin. Irgendwann gelange ich zu einer Glastür, auf der in schwarzen Buchstaben Mindspace-Enterprise steht. Ein Büro? Soll ich reingehen? Einfach so? Wer weiß, was mich da drinnen erwartet. Wenn ich wegrennen muss, hab ich Pech gehabt. Rennen ist gerade absolut nicht möglich, nicht mit dem Sprühverband, der meinen Fuß in einen unbeweglichen Steinbrocken verwandelt hat.

Meine Neugier besiegt schließlich jegliche Zweifel. Drinnen brennt Licht. Vielleicht arbeitet dort jemand. Und wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass ich hier eine Person treffe, die mir erklärt, warum zur Hölle die Stadt wie ausgestorben ist und warum plötzlich wieder Winter ist, ohne dass vorher Herbst war, dann ist es das Risiko wert. Ich drücke also die Glastür mit der Schulter auf und betrete mit vorgehaltener Pistole das weitläufige Büro. Es sieht ziemlich edel aus. Die Wände sind mit dunklem Naturstein vertäfelt, und von der Decke hängen goldene Blumentöpfe, aus denen üppige grüne Blätter wachsen. Ein kleiner Wasserfall plätschert aus einer glänzenden Metallleiste, das Wasser läuft die Steine hinunter in eine Auffangrinne. Im Gegensatz zu der restlichen Inneneinrichtung wirkt der Fußboden weiß und unauffällig. Fast schon unansehnlich, im Vergleich zu dem schicken Rest. Ich gehe davon aus, dass hier tagsüber eine Oberflächenprojektion drübergelegt wird, die aktuell aber abgeschaltet ist. Links von mir befindet sich eine Art Wartebereich mit weich gepolsterten Korbsesseln und einem breiten Steinsockel, den ich als Holodeck identifiziere, das aber ebenfalls ausgeschaltet ist. Ich humple an der Sitzecke vorbei und dringe weiter in das geräumige Büro vor, dessen komplett verglaste Einzelabteile allesamt nicht besetzt sind. Die Schreibtische sind leer, keine Geräte, keine Projektionen, keine persönlichen Gegenstände. Trotzdem brennt überall Licht. Weiches, einladendes Licht, das keinerlei Gefahr suggeriert.

Wie, um mich vom Gegenteil zu überzeugen, höre ich plötzlich ein Geräusch. Eine Art leises Jammern. Mein Puls setzt für ein paar Schläge aus. Ich halte an und lausche angestrengt in die Leere. Das Jammern hört kurz auf, fängt aber nach ein paar Augenblicken wieder an. Was ist das bloß? Das Geräusch klingt nach einem verletzten Tier, nach einer jammernden Katze oder so. Mir ist klar, dass das völlig bescheuert ist, denn in der Stadt gibt es keine Tiere. Wobei – jetzt, da die Menschen verschwunden sind, könnten vielleicht die Streuner zurückgekommen sein und die Büroräume übernommen haben. Ich bewege mich weiter auf das Heulen und Jaulen zu und versuche, dabei so leise wie möglich zu sein. Die Pistole in meinen Händen zittert. Ich laufe an einer hochmodern ausgestatteten Küche mit jeder Menge Automaten und FoodPrintern vorbei, biege um eine Ecke und habe freie Sicht auf einen großen, komplett verglasten Raum mit einer endloslangen Tafel darin, wohl eine Art Besprechungsraum, an der ganz alleine eine Frau mit bunten Haaren sitzt und lautstark und mächtig schief vor sich hin singt. Die Tür steht sperrangelweit offen, aber außer ihr ist niemand zu sehen. Sie trägt eine XP-Brille und bewegt ihre behandschuhten Finger auf der schwarzen Tischplatte, als würde sie etwas tippen. Ihre nackten Beine, die zur Hälfte in glänzenden Winterstiefeln stecken, bewegen sich rhythmisch zu ihrem schrecklichen Gesang. Das regenbogenfarbene Haar, das sich schrill von ihrer hellbraunen Haut abhebt, ist zu einer unordentlich zerzausten Frisur oben auf dem Kopf zusammengebunden, die gemeinsam mit ihrem Kopf zur Musik hin und her wippt.

Gerade als ich mich vorsichtig bemerkbar machen will, blickt sie auf, tippt gegen das Gestell ihrer Brille, klärt die Gläser und sieht mich, wie ich mit meiner Waffe in der Tür stehe und auf sie ziele. Hysterisch aufschreiend, weicht sie zurück. Sie stößt so hart gegen die Lehne ihres Stuhls, dass sie damit umkippt. Klatschend kommt sie mitsamt ihrer ganzen XP-Ausrüstung auf dem Boden auf.

»Oh fuck! Sorry!«, rufe ich und werfe die bekloppte Pistole weg, einfach in die Ecke. Mühsam humple ich auf die Frau zu, um ihr aufzuhelfen. »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Was willst du von mir?«, kreischt sie mir vom Boden entgegen und tritt mit ihren glitzernden Moonboots nach mir.

»Nichts. Ich dachte …«, ich weiche aus, hebe beschwichtigend die Handflächen, um zu signalisieren, dass ich nicht gefährlich bin, aber sie schlägt meine Hände weg. »Ich weiß nicht, was ich dachte«, stammle ich. »Aber ich will dir nichts tun. Es tut mir so leid. Hast du dir wehgetan?«

Sie kämpft sich auf die Beine und zieht sich die XP-Brille ab.

»Warum rennst du hier mit einer scheiß Knarre rum? Bist du total wahnsinnig?«, schreit sie mich an. Die Brille in ihrer Hand zittert. Ich habe sie tatsächlich zu Tode erschreckt.

»Ja. Wahrscheinlich bin ich das«, gestehe ich mit furchtbar schlechtem Gewissen.

»Es tut mir leid, ehrlich. Ich dachte, jemand ist verletzt oder so«, versuche ich, mein Verhalten zu erklären. »Ich habe Geräusche gehört und …«

»Verletzt?« Sie legt die Brille auf dem Tisch ab und hebt den Stuhl auf. Sie trägt ein neongelbes, super kurzes Kleid mit langen Ärmeln aus demselben Stoff wie meine Funktionskleidung. Typische Metroklamotte. Auch ihr auffälliges Make-up, die langen tiefschwarzen Wimpern, ihre perfekte porenlose braune Haut und die implantierten Glitzersteine neben den Augenlidern deuten darauf hin, dass ich es hier wohl mit einer waschechten Stadtbewohnerin zu tun habe. Sie sieht aus, als hätte sie mal bei MediaCon gearbeitet. Für das Mittagsmagazin oder für den RealityChannel. Eine perfekte Komposition aus Formen und Farben. Eine Frau wie gemalt. Ich mustere sie ein paar Sekunden zu lange. Irgendwann kapiere ich, dass sie auf eine Antwort wartet, also fahre ich hastig fort:

»Ja. Es klang wie ein verletztes Tier oder so.«

Schweigend starrt sie mich an. Seltsamerweise habe ich das Gefühl, als hätte ich sie schon mal gesehen. Ihre Augen sind blau, fast schon türkis und leuchten im Kontrast zu ihrer dunklen Hautfarbe. Ich habe selten so ein perfekt geformtes Gesicht gesehen, und irgendwie bringt mich das total aus der Fassung. Wenn ich nicht gleich aufhöre, sie anzustarren, denkt sie vielleicht, ich habe sie nicht mehr alle. Aber ich kenne sie, verdammt noch mal. Nur woher?

»Du hast mich singen gehört und gedacht, ich sei ein verletztes Tier?«

Ich nicke zögerlich.

»Wow. Danke fürs Kompliment.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust.

»Ich dachte, jemand ist eingebrochen.« Das dachte ich nicht. Aber ich weiß nicht, wie ich mein plötzliches Auftauchen sonst erklären soll.

»Ein verletztes Tier soll hier ins Büro eingebrochen sein? Bist du high?«

»Nein.«

Sie fummelt mit der Hand an ihrer Vogelnestfrisur herum und wickelt die bunten Strähnen so um den Haarknoten, dass sie nicht mehr abstehen. Kenne ich sie vielleicht wirklich aus dem Fernsehen? RealCity vielleicht? Oder noch schlimmer – kenne ich sie aus einem Porno? Ich werde rot. Bitte nicht. Ich wüsste wirklich nicht, wie ich damit umgehen soll.

»Wo kommst du eigentlich her? Ich kriege eine Benachrichtigung auf die Brille, wenn jemand durch den Haupteingang reinkommt.«

»Wo ist der Haupteingang?«, frage ich. Sie deutet mit dem Finger hinter mich.

»Durch die Tür da und immer gerade aus.«

»Ich kam von da.« Ich zeige in die entgegengesetzte Richtung.

»Durch die Glastür?«

»Ja.«

»Aber die ist doch immer abgeschlossen.«

»Sie war offen.«

»Wieso?«

»Keine Ahnung.«

Sie schüttelt langsam den Kopf.

»Das ist wirklich merkwürdig. Trotzdem: Wer bist du, und was willst du hier? So spät empfangen wir keine Kunden mehr.«

»Ich bin Laser. Laser Blue. Ich … äh… ich wohne seit heute hier im Haus«, lüge ich. »Ganz unten.«

Ihre blauen Augen werden schmal. Äußerst skeptisch mustert sie mich, dann scheint sie einen Geistesblitz zu haben. Sie lacht schallend auf.