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Verdammt und zugenäht! Der Kerl klebt wie Pech an mir! Lassiter packt seinen Remington fester und erklimmt, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf in den Kirchturm. Bleistücke fliegen ihm wie splitterndes Eis um die Ohren, verfehlen ihn oft nur um Haaresbreite. Während sein Widersacher einen schier unerschöpflichen Vorrat an Munition zu haben scheint, gehen dem großen Mann allmählich die Kugeln aus. Hinter sich hört er ein triumphierendes Lachen. Der Bastard weiß ihn in der Falle. Wenn es nach ihm geht, wird das hier kein gutes Ende nehmen. Lassiters letztes Weihnachtsfest. Und sobald der Mann der Brigade Sieben unter der Erde ist, ist der Weg für ihn frei. Doch Lassiter hat nicht vor, aufzugeben. Während die kleine Stadt im Westen von Montana allmählich im Schnee versinkt, greift der große Mann zu einem letzten verzweifelten Mittel ...
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Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Drei Kugeln bis Weihnachten
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
von Katja Martens
»Das darf doch nicht wahr sein!« Finster starrte Cos Gore auf die neueste Ausgabe des Montana Chronicle. Dort starrte ihm nichts anderes als sein eigenes Konterfei entgegen – unter der Schlagzeile: Herber Rückschlag für die CG-Ranch. Ist C. Gore dazu verdammt, die ewige Nummer zwei zu bleiben?
Hinter seinen Schläfen begann es zu pochen. Was glaubte dieser ahnungslose Schreiberling eigentlich, wer er war? Wenn der Kerl dachte, er könnte sich ungestraft mit ihm anlegen, dann würde er seinen Irrtum schon bald erkennen. Niemand machte ihn ungestraft nieder. Niemand!
»Es tut mir leid, dass die Verhandlungen mit dem Schlachthof in Chicago nicht so verlaufen sind, wie Sie es sich gewünscht hätten, Sir.« Charles Fetzer drehte seinen Hut zwischen den Fingern. Dabei hielt der Anwalt den Blick gesenkt und trat von einem Fuß auf den anderen, als würde er auf glühenden Kohlen stehen. Nun, er war nicht der erste, der dieses Tänzchen vor dem Schreibtisch des Ranchers aufführte.
»Was ich mir gewünscht hätte«, knurrte Gore, »wäre ein Deal mit diesen Sesselfurzern im Osten. Möglichst über zehn Jahre oder länger.«
»Ich habe mein Möglichstes getan, aber ich konnte ihnen leider die Menge Rinder nicht zuzusagen, die sie verlangt haben. Wir sind vertraglich bereits anderweitig verpflichtet und somit ...«
»Somit hätten Sie sich etwas einfallen lassen müssen. Dieser Deal wäre weitaus lukrativer gewesen als all unsere anderen Vereinbarungen.«
»Das stimmt wohl. Jedoch nur, wenn wir genügend Tiere hätten, was wir nicht haben. Die Verhandlungen sind gescheitert.«
»Als ob ich das nicht wüsste.« Gore schoss einen finsteren Blick auf seinen Anwalt ab. »Und dieser elende Zeitungsfritze hat davon Wind bekommen.« Das nagte an ihm. Nummer zwei. Pshaw! Seine Longhorns grasten auf Weiden, die einen großen Teil des Westens von Montana einnahmen. Er hatte längst mehr Geld, als er jemals im Leben ausgeben konnte, selbst wenn er jede Nacht zehn Huren in sein Bett nahm, aber Geld war nicht sein Problem, nicht wahr? Nein, was wirklich an ihm nagte, war die Tatsache, dass er trotz alledem noch nicht die größte Ranch im Territorium besaß. Und dass dieser verdammte Chronicle sich nicht scheute, es ihm unter die Nase zu reiben.
Er packte die Zeitung und knüllte sie zwischen seinen Fäusten zusammen.
»Ich werde das elende Schundblatt kaufen«, knirschte er, »und meine erste Amtshandlung wird sein, den Schreiberling rauszuwerfen, der diesen Artikel verbrochen hat. Das ist es, was ich tun werde.«
»Mit Verlaub, Mr. Gore ...«
»Was?!«
»Der Chronicle ist nicht zu verkaufen. Sie hatten mich schon vor sechs Monaten beauftragt, dem Herausgeber ein Angebot zu machen, aber Mr. Jackson hat abgelehnt.«
Richtig. Gores Zähne malten aufeinander wie Mühlsteine.
Dummerweise konnte er die Zeitung nicht einmal wegen einer Falschmeldung verklagen, denn es stimmte ja. Er war noch immer nur die Nummer zwei. Dabei könnte er längst die größte und einflussreichste Ranch besitzen, wenn er nur den Platz hätte, um mehr Rinder weiden zu lassen – und vor allem: genug Wasser für noch mehr Tiere. Doch das hatte er nicht. Und es gab nur einen Besitz, der an seine Ranch grenzte und in Frage kam, um seinen Grund und Boden zu vergrößern: die Whitmore-Ranch. Die Whitmore-Weiden waren groß und saftig und es gab genügend Wasser, um große Herden zu versorgen. Wenn er sie seinem Land hinzufügen könnte, wäre er die Nummer eins und könnte den Handel dominieren und die Preise bestimmen. Nur leider gab es bei diesem verlockenden Plan einen Haken.
Eine eigensinnige Lady, die sich weigerte, ihm ihr Land zu überlassen.
Dabei war er so nah dran ...
Bis Weihnachten muss die Whitmore-Ranch in meinem Besitz sein! Etwas anderes ist nicht akzeptabel.
Cos Gore ballte die Fäuste um die zerknüllte Zeitung herum.
Während er seinen Gedanken nachging, erklang an der Tür seines Arbeitszimmers ein gedämpftes Klopfen.
»Wer stört?«, bellte er.
Die Tür schwang auf, und sein Dienstmädchen kündigte Reverend Yates an.
»Meinetwegen. Soll reinkommen.«
Das Mädchen knickste. Kurz darauf kam Henry Yates herein. Er war erstaunlich jung für sein Amt, von kräftiger Statur und mit dem offenen Blick eines Mannes, der seinen Weg kannte und sich nicht davon abbringen ließ. Sein schwarzer Anzug war mit Schlammspritzern übersät und Wasser rann aus seinen dunklen Haaren in seinen weißen Kragen und von seinen Stiefeln. Ein Wunder war das freilich nicht, denn draußen regnete es, was nur vom Himmel stürzen konnte. Seit Tagen wurde es nicht mehr richtig hell. Stattdessen trieben graue Schwaden über die Weiden und ließen die nahen Bergspitzen verschwinden.
Reverend Yates grüßte freundlich und kam sogleich auf den Grund seines Besuches zu sprechen.
»Wie Sie wissen, Mr. Gore, hat ein Blitzeinschlag vor wenigen Wochen den Turm unserer Kirche in Flammen gesetzt. Ich sammle seitdem Geld für den Neubau und bin überzeugt, dass auch Sie sich beteiligen wollen, damit das Wort unseren Herrn bald wieder in einer intakten Kirche verkündet werden kann.«
»Eine Spende wollen Sie?« Gore kniff die Augen zusammen. »Ich soll Ihnen etwas von meinem hart erarbeiteten Geld schenken?«
»Nicht mir, Sir, sondern der Kirche«, versicherte sein Besucher freundlich.
Sein Anwalt machte lautlos zwei Schritte zurück.
Cos Gore lehnte sich langsam vor und stützte die Fäuste auf die Schreibtischplatte. Dabei starrte er seinen Besucher an, ohne zu blinzeln.
»Wer bin ich denn?«, grollte er. »Der heilige Nikolaus? Würde ich jedem, der an meine Tür klopft, eine Handvoll Dollar überlassen, wäre ich bald bankrott! Hat Pontius Pilatus damals etwa um Nägel oder Holz gebettelt? Nein, der Mann hat die Ärmel hochgekrempelt und dafür gesorgt, dass genügt Kreuze vorhanden waren!«
»Sie halten ihn für ein Vorbild?« Der Reverend verlor seine gesunde Gesichtsfarbe.
»Ich halte jeden für ein Vorbild, der für sich selbst einsteht. Guten Tag, Reverend.«
Der Besucher sah ihn sekundenlang schweigend an. Nicht enttäuscht oder verbittert, sondern eher ... mitfühlend. Schließlich brach er das Schweigen mit einem leisen Atemzug. »Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit, Mr. Gore.«
Damit wandte er sich um, verließ das Arbeitszimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
Der kleine, drahtige Anwalt stülpte die Unterlippe vor. Missbilligung strömte aus jeder seiner Poren.
»Meinen Sie nicht, Sir«, setzte er an, »dass es klug wäre, sich mit der Kirche gutzustellen?«
»Sie meinen, wenn ich mich bei unserem guten Reverend einkratze, reserviert er mir ein angenehmes Plätzchen im Himmelreich?« Gore schnaubte. »Der Kerl hat genauso wenig einen Draht nach oben wie Sie oder ich. Wenn er einen neuen Kirchenturm haben will, dann soll er anpacken. So, wie wir alle, wenn wir etwas wollen. Sagt die Bibel nicht auch: ›Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott?‹ Na? Also.«
»Aber es ist bald Weihnachten.«
»Das ist noch lange kein Grund, mich ausplündern zu lassen ... O bei allen Heiligen, Letty, wenn du nicht vorankommst, dann kannst du genauso gut verschwinden!« Ein wütendes Prusten begleitete den Ausruf, der seinen Besucher ratlos die Augenbrauen hochziehen ließ ...
... bis er das rothaarige Girl bemerkte, das plötzlich unter dem Schreibtisch auftauchte und sich hastig mit zwei Fingern den Mund abwischte. Ihre Wangen waren hübsch gerötet und sie trug ein dunkelrotes Kleid, das tief genug ausgeschnitten war, um nur wenig der Phantasie zu überlassen.
Sie richtete sich auf, schenkte dem kleinen Anwalt einen Blick unter halb gesenkten Lidern und huschte dann zur Tür, dass ihr Busen wogte wie Götterspeise. Sie war fort, bevor er seinen Mund wieder schließen konnte.
»Hat sie etwa die ganze Zeit ...« Seine Augen weiteten sich.
Doch da schloss sich die Tür bereits hinter ihr.
Gore kümmerte sich nicht um ihn, weil es plötzlich in seiner Blase zog. Rasch stand er auf, trat hinter den Paravent und nahm den Deckel von seinem Nachttopf. Im nächsten Moment schoss auch bereits ein gelber Strahl aus ihm heraus – und das mit einem brennenden Schmerz, der ihm das Wasser in die Augen trieb.
Heiliger Rauch! Seit mehr als zwei Wochen plagte ihn das Brennen und lenkte ihn von allem anderen ab. Von seinen Geschäften, der Arbeit mit den Longhorns, ja, selbst von der reizenden Letty, deren Bemühungen er sonst durchaus zu schätzen wusste. Und das Gebräu, das ihm der Doc verordnet hatte, brachte rein gar nichts. Fluchend und keuchend brachte er zu Ende, was getan werden musste, und richtete seinen Hosenlatz. Dann kehrte er an seinen Schreibtisch zurück.
Die Ohrspitzen seines Anwalts waren puterrot.
Der Kerl war ja schüchterner als eine Jungfrau in der Hochzeitsnacht. Hatte er etwa noch nie einem anderen Mann beim Pinkeln zugehört?
»Reißen Sie sich zusammen und erzählen Sie mir von Ihrem Besuch auf der Double-W-Ranch«, verlangte Gore und stemmte die Handflächen auf seinen Schreibtisch. »Hat Mrs. Whitmore dem Verkauf endlich zugestimmt?«
»Leider nicht, Sir. Sie denkt nicht daran, ihr Zuhause herzugeben.«
»Haben Sie das Angebot verdoppelt, wie ich es Ihnen aufgetragen hatte?«
»Natürlich, aber sie blieb standhaft. Weigerte sich, einen Verkauf auch nur in Erwägung zu ziehen. Da ist nichts zu machen, fürchte ich.«
»Na schön. Ich habe es im Guten versucht.« Gore kniff die Augen zusammen. »Gehen Sie und schicken Sie Slater zu mir.«
»S-Slater, Sir? Sind Sie sicher?«
»Rede ich vielleicht Chinesisch? Holen Sie Slater! Sofort!«
»Na-natürlich, Sir.« Hastig zog sich sein Anwalt zurück.
Keine Minute zu früh, denn Gore hatte schon wieder einen Druck auf der Blase.
Fluchend bemühte er sich zu dem Nachttopf und presste ein paar Tropfen hervor, die sich anfühlten, als wären sie aus flüssigem Feuer gemacht.
Als er sich wieder umdrehte, stand ein Mann neben seinem Schreibtisch und zündete sich gerade ein Zigarillo an. Groß und kräftig war er, mit blonden Haaren, die unter seinem Stetson hervorragten und ein wettergegerbtes Gesicht mit einem Fünf-Tage-Bart einrahmten.
»Slater.« Gore zog eine Braue hoch. »Warum haben nicht geklopft? Sie wissen, ich hasse es, wenn Sie hier auftauchen wie der Geist aus der Flasche.«
»Und Sie wissen, dass ich niemals anklopfe.«
»Das tut der Tod auch nicht.«
»Eben.« Sein Besucher zog einen Mundwinkel nach oben. Die Andeutung eines Lächelns. »Also: Was soll ich tun – und wann soll ich es tun?«
Gores Ärger verflog. Slater war sein Mann fürs Grobe. Verlässlich, verschwiegen und hocheffizient. Außerdem kam er stets gleich zum Punkt. Das schätzte Gore an ihm. Nun, für seine Dienste wurde Slater auch gut bezahlt. Verdammt gut sogar.
»Mrs. Whitmore weigert sich nach wie vor, ihre Ranch zu verkaufen.«
»Ein Ärgernis, nicht wahr?«
»Das ist es. Und Sie werden dem ein Ende machen.«
»Und wie stellen Sie es sich vor?«
»Brennen Sie ihr Ranchhaus nieder. Wenn sie das verliert, wird sie nicht länger an dieser Ranch festhalten. Dann werde ich ihr einen guten Preis für das Land machen, sie verkauft es mir und wir gehen als Freunde auseinander.«
»Ein einfacher Plan.«
»Und er muss funktionieren. Also sehen Sie zu, dass Sie es nicht vermasseln.«
»Ist so gut wie erledigt.«
»Gut, gut. Und, Slater? Keine Sentimentalitäten, verstehen Sie mich? Erledigen Sie das noch vor Weihnachten.«
»Weihnachten?« Slater starrte ihn ausdruckslos an, als hätte er dieses Wort noch nie gehört.
Guter Mann. Gore grinste zufrieden in sich hinein. Auf Slater war Verlass. Noch vor dem Heiligen Abend würde die Double-W-Ranch ihm gehören. Dann war er endlich die Nummer eins!
✰
Der warme Duft von Zimt und Kardamom empfing Mary Whitmore, als sie die Tür des Gemischtwarenladens aufschob und eilends eintrat – froh, dem Regen draußen entronnen zu sein. Sie schüttelte ihre Röcke, prüfte den Sitz ihrer Haube und strich sich ein paar Wassertropfen von den Wangen, bevor sie sich den Regalen zuwandte.
Ihre Tochter lief an ihrer Hand, die Augen kugelrund und fest auf das große Bonbonglas auf dem Tresen gerichtet, in dem runde Süßigkeiten in allen erdenklichen Farben zum Kauf lockten.
»Guten Tag, Mary. Und ist das da bei dir etwa die kleine Rosie? Das ist doch nicht möglich. Wie du gewachsen bist, Mädchen! Wenn du so weitermachst, kannst du mir ja bald auf den Kopf spucken.« Mr. Patterson zog eine lustige Grimasse und brachte Rosie damit zum Lachen. Er hatte den Laden schon geführt, als Mary noch klein gewesen war. Inzwischen war sein Bart grau geworden, aber sein Lächeln war noch genauso herzlich wie früher, als er ihr zunickte. »Schön, euch beide zu sehen.«
»Hallo, Mr. Patterson.« Mary trat zu ihm an den Tresen. Das regnerische Wetter schien die Bewohner der Stadt daheim zu halten, denn sie war im Augenblick die einzige Kundin. Sie reichte dem Owner ihre Einkaufsliste. »Können Sie mir diese Sachen zusammensuchen?«
»Aber natürlich. Das dauert nur einen kurzen Moment.« Er nahm das knittrige Papier von ihr entgegen. Darauf hatte sie alles notiert, was sie im kommenden Monat brauchen würden – von Kaffee und Seife bis zu Mehl und braunem Zucker.
Während er Säckchen und Schachteln zusammensuchte, rief er über seine Schulter: »Ich freue mich, euch gesund und munter zu sehen. Bei den Emersons drüben sind alle am Husten und Schniefen. Es ist ein Elend.«
»Oh, das wusste ich nicht.« Mary hielt ein leises Seufzen zurück. Sie liebte das Leben auf ihrer Ranch, aber manchmal war es doch ziemlich abgeschieden. Bis Neuigkeiten aus der Stadt zu ihr drangen, waren es längst keine mehr.
Sie nahm sich vor, einen großen Topf mit Hühnersuppe zu kochen und den Emersons zu bringen. Clara war damals so reizend zu ihr gewesen, als Rosie zur Welt gekommen war und Mary zu schwach zum Kochen gewesen war.
»Hast du gehört, dass unser Doc einen Toten gefunden hat?« Mit einer Spule Nähgarn in der Hand kam Mr. Patterson zum Tresen zurück.
»Einen Toten?« Marys Herz machte einen schmerzhaften Satz in ihrer Brust. »Doch wohl nicht ...«
»O du liebe Zeit. Wo habe ich nur meine Gedanken. Es tut mir schrecklich leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Es ist nicht Jacob, den er gefunden hat, sondern der junge Reporter, den Mr. Jackson eingestellt hat.«
»Aber er kann unmöglich älter als dreißig gewesen sein. War er denn krank?«
»Nein, nein, er ist an keiner Krankheit gestorben. Es sei denn, man zählt eine Bleivergiftung dazu.« Der Ladenbesitzer zupfte bedächtig an seinem Bart. »Erschossen hat man ihn. Es heißt, er hätte eine heimliche Liebesaffäre mit einer verheirateten Frau gehabt und ihr Mann hätte ihn dafür ... Nun, ich weiß nicht, ob da etwas dran ist, aber ein Frauenversteher war er wohl schon.«
»Wie furchtbar. So ein junges Leben ...« Mary kämpfte mit dem Kloß in ihrem Hals, aber er wollte sich nicht vertreiben lassen.
Mr. Patterson notierte sich die Preise für ihre Waren und nannte ihr dann eine Summe, die sie zusammenzucken ließ.
Sie wusste genau, wie viel Geld in dem geheimen Fach in ihrem Rock versteckt war, und es war nicht genug. Dabei hatte sie extra einige Artikel gestrichen, die sie sonst noch kaufte, weil sie sie sich in diesem Monat nicht leisten konnte.
»Könnten Sie das bitte noch einmal überprüfen?«, bat sie mit schwacher Stimme. »Ich hatte es daheim schon ausgerechnet und bin auf weniger gekommen.«
»Nein, nein, das stimmt schon. Einige Sachen sind teurer geworden, auch für mich, deshalb musste ich die Preise erhöhen. Tut mir wirklich leid. Ich weiß, bei vielen in der Stadt geht es knapp zu, aber ich kann es mir nicht leisten, bei meinen Waren zuzusetzen. Das verstehst du sicher.« Er sah Mary bekümmert an. Dann hellte sich seine Miene auf. Er nahm den Deckel von dem Bonbonglas. »Ist es okay, wenn sie sich etwas aussucht?«, fragte er Mary und wartete ihr Nicken ab, bevor er ihrem Kind das Glas hinhielt. »Bitte schön. Nimm dir etwas, Rosie.«
Die Fünfjährige machte einen kleinen Luftsprung. Dann schob sie die Zungenspitze zwischen den Lippen hervor und ließ den Finger ein Weilchen über dem Glas kreisen, bevor sie auf eine rot-weiß-gestreifte Zuckerstange zeigte.
»Eine gute Wahl. Hier, bitte schön.« Er nahm die Süßigkeit mit einer kleinen Zuckerzange und reichte sie ihr. »Die schenke ich dir.«
Rosie bedankte sich artig, schob die Zuckerstange in ihren Mund und begann andächtig darauf herumzulutschen.
Mary ging derweil die Waren durch und wählte aus, worauf sie verzichten konnte. Mehl und Zucker brauchte sie, auch das Nähgarn war wichtig, aber die Kerzen konnte sie notfalls selbst herstellen. Schweren Herzens schob sie auch den Kaffee zur Seite. Der Tee aus den getrockneten Kräutern daheim würde es auch tun.
»Die Bestellung für das Viehfutter muss ich aufrechthalten«, sagte sie leise, aber mit fester Stimme. »Können Sie mit der Bezahlung warten? Nur eine Weile?«
»Nun, eigentlich gewähre ich keinen Kredit ...« Mr. Patterson rieb sich das Kinn und kämpfte eine Weile sichtlich mit sich. »Aber na schön. Ich kenne dich so lange und ich weiß, du bezahlst deine Rechnungen. Einen Monat Aufschub kann ich dir gewähren, dann brauche ich mein Geld.«
»Verstanden.« Mary schluckte. Ein Monat. Der würde im Nu herum sein, und sie hatte gerade erst die Cowboys bezahlt. Nicht, dass die es ihr gedankt hätten. Kaum hatten sie ihr Geld in der Hand, waren sie verschwunden. Sie stand allein mit Rosie da und versuchte, die Ranch über Wasser zu halten. Leicht war das nicht. Die Ranch war verschuldet und allmählich gingen Mary die Optionen aus. Wann immer sie eine Rechnung bezahlt hatte, taten sich zwei neue auf. Jacob hätte vielleicht einen Ausweg gewusst, aber er war vor drei Monaten verschwunden – und seitdem gab es keinen Hinweis, wo er sich aufhielt – oder ob er überhaupt noch lebte.
Mary hatte Tage und Nächte hindurch nach ihm gesucht, hatte jeden, den sie kannte, nach ihm gefragt. Alles umsonst. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
Und so gab es nur noch Rosie und sie.
Vielleicht sollte sie das Garn doch zurücklegen?
Nein. Sie brauchte es, wenn sie ihr altes Reisekleid zerschneiden und daraus ein neues Kleid für Rosie – und eines für Rosies Puppe nähen wollte. Ihre Tochter sollte ein schönes Weihnachtsfest haben und dazu gehörte auch ein Geschenk. Das hatte sie sich geschworen. Auch wenn die ungewisse Zukunft sie um den Schlaf brachte.
»Du könntest die Ranch verkaufen, Mary«, sagte der Ladenbesitzer sacht. »Arbeite bei mir. Dann bist du die Sorgen um das Vieh los. Fleißige Hände kann ich immer brauchen. Bei mir hättest du ein Auskommen.«
»Ich weiß, Sie meinen es gut, aber die Ranch war immer der Traum meines Mannes. Ich könnte sie niemals im Stich lassen.«
»Jacob ist fort. Wer weiß, ob er jemals zurückkehrt. Du musst jetzt an Rosie und dich denken.«
»Das tue ich. Die Ranch ist unser Zuhause.«
»Mr. Gore würde sie dir mit Kusshand abkaufen.«
