Latte & Dampfnudeln - Veronika Lackerbauer - E-Book

Latte & Dampfnudeln E-Book

Veronika Lackerbauer

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Beschreibung

Bereits zum dritten Mal werden vier unterschiedliche Krimi-Geschichten die LeserInnen tief in die bayerische Provinz entführen - und das ist in diesem Fall durchaus wortwörtlich zu verstehen! Vor der Landshuter Hochzeit machen die Verbrecher genauso wenig Halt, wie vor renommierten Hotels. Zum Auftakt ermittelt wieder Kommissar Veitl, aber auch ganz neue Gesichter sorgen garantiert für kurzweilige Krimi-Unterhaltung.

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In dieser Reihe sind bisher erschienen:

„Hugo & Leberkäs“ (Februar 2016)

„Sushi & Weißbier“ (September 2016)

„Latte & Dampfnudeln“ (Januar 2017)

Für die beste

Familie

der Welt

Vorwort

Willkommen zurück!

Jetzt sind wir langsam sowas wie alte Bekannte, das ist ja nun immerhin schon der dritte Band der Kriminalgeschichten aus der bayerischen Provinz. Ich freue mich sehr, dass du immer noch dabei bist.

Für alle, die jetzt denken: Was? Wie? Alte Bekannte? Hä??

Keine Sorge! Dass dieses Buch hier schon Band 3 ist, ist kein Problem. Man kann nämlich alle drei Bände unabhängig voneinander lesen. Einige Personen hatten schon früher Auftritte in den Vorgängerbänden Hugo & Leberkäs und Sushi & Weißbier, doch auch ihre Geschichten lassen sich in beliebiger Reihenfolge lesen.

Vier Geschichten habe ich dir dieses Mal mitgebracht und will sie hier kurz vorstellen:

Der Kommissar aus der ersten Geschichte, Latte & Dampfnudeln, begleitet uns schon seit dem ersten Buch. Bisher kennen wir Veitl als Kripobeamten von Garmisch, doch in diesem Band verschlägt es ihn nach Landshut. Nachdem er sich zur Hauptfigur der Reihe entwickelt hat, wollte ich ihn gern „heimholen“.

Da ich selbst meine Wurzeln in der Hotellerie habe, liegt natürlich ein gastronomischer Mordfall nahe. In Einzelzimmer mit Frühstück & Mord flossen viele autobiographische Erlebnisse und die eine oder andere Anekdote aus der Gastronomie mit ein. Ich möchte die Geschichte aber nicht als „Abrechnung“ verstanden wissen, eher als eine augenzwinkernde Überzeichnung. Dass ich in meinem aktuellen Beruf glücklicher bin als vorher in der Hotellerie, ist zwar kein Geheimnis, tut aber nichts zur Sache.

In der dritten Geschichte wird es süß, aber nur auf den ersten Blick, denn die Pralinen haben es ganz schön in sich! Diese Geschichte erschien erstmals 2011 im Rahmen eines Kurzgeschichtenwettbewerbs in der Anthologie „Szenen der Lust“ im Schweitzerhaus Verlag und darf mit freundlicher Genehmigung von Karin Schweitzer jetzt hier – vollständig überarbeitet – neu auftreten.

Die letzte Geschichte habe ich 2016 für den Krimiwettbewerb der Stadt Landshut geschrieben. Die Herausforderung bestand darin, in nur 9.000 Zeichen inklusive Leerzeichen eine spannende Krimigeschichte zu entwerfen. Leichen im Keller ist ein Spin-off von Latte & Dampfnudeln, denn Kommissar Steindl wird uns in Zukunft als Vorgesetzter von Veitl in Landshut begleiten. Hier erleben wir ihn einmal alleine.

Obwohl sich in diesem Band keine Geschichte explizit mit den Themen Rassismusbekämpfung und Integration befasst, ist und bleibt es mein großes Anliegen, mit meinem Schreiben dafür einzutreten. Bayern ist bunt und lebensfroh, dafür stehen auch wieder die beiden Lebensmittel im Titel: Latte – eigentlich ja sogar Java Chip Double Chocolate Caramel Flavored Caffé Latte – steht für das szenige, moderne Bayern, damit kontrastieren die gutbürgerlichen, bodenständigen Dampfnudeln. Dieses Mal wird es süß und pappig statt deftig-fettig!

In jedem Fall geht auch wieder ein Anteil des Erlöses aus dem Verkauf dieses Buches, wie auch schon aller anderen Bände, an eine Hilfsorganisation für Flüchtlingskinder.

Ich hoffe, du hast wieder genauso viel Freude am Lesen wie ich beim Schreiben. Und falls noch nicht geschehen, vielleicht wirfst du ja auch noch einen Blick in die beiden anderen Bücher der Reihe. Informationen dazu finden sich ganz am Ende des Buches.

Wenn es dir gefallen hat, freue ich mich über eine Rückmeldung, gerne in Form einer Rezension bei Amazon oder Lovelybooks. Auch Kritik, Wünsche und Anregungen nehme ich gerne entgegen!

Und jetzt: Viel Spaß!

Eure

Inhalt

Vorwort

Latte & Dampfnudeln

Einzelzimmer mit Frühstück und Mord

Pralinen

Leichen im Keller

Danksagung

Über die Autorin

Latte & Dampfnudeln

Anfang Juni 2017

Es war stockdunkel. Nur der fast volle Mond beleuchtete die verlassene Landstraße. Es war die perfekte Gelegenheit.

Er trat das Gaspedal durch und ließ den Motor aufheulen. Der Wagen schoss über den Asphalt.

„Übertreib's nicht“, kam die mahnende Stimme vom Beifahrersitz.

Doch er schenkte ihr keine Beachtung. Er kannte die Strecke, war sie tausend Mal gefahren und jetzt um diese Uhrzeit waren sie so gut wie allein auf der Straße.

„Pass auf!“

„Ah, kack dich nicht ein!“, knurrte er und schaltete einen Gang herunter, sodass das Jaulen des Motors die Warnung übertönte.

Die Lichter der nächsten Ortschaft waren schon in Sichtweite. Vorher schlängelte sich die Straße zwischen Feldern hindurch. Vor sich sah er plötzlich die Rücklichter eines anderen Fahrzeuges. Die unvermutete Konkurrenz spornte ihn noch einmal an.

Er hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest, konzentrierte sich ganz auf die Straße. Er wurde quasi eins mit dem Wagen um ihn. Doch er nahm die Kurve zu eng.

Er merkte es bereits, bevor das Fahrzeug reagierte. Die Reifen griffen in den Schotter des Straßenrands. Er versuchte noch das Lenkrad herumzureißen, aber die Reifen blockierten auf dem lockeren Untergrund.

Dann sah er den Baum.

Sie rasten genau darauf zu. Oder besser: Der Baum flog ihnen entgegen.

Vorher, im Mai 2017

„Also i weiß ned ...“, Margarete sah wenig begeistert aus. „De Häuser schaugn ja alle gleich aus! Da wenn ma in der Nacht bsoffen heimkommt, findt'ma doch de richtige Tür gar ned.“

Kriminaloberkommissar Veitl grinste. „Geh, Weibe, wann bist denn du's letzte Mal in der Nacht besoffen heimkommen? Du trinkst doch gar nix.“

„Na, da fang i aber vielleicht an damit!“, erklärte seine Frau beleidigt.

Die beiden standen vor einem Mietsblock in der Landshuter Innenstadt, wo sie sich eben eine Wohnung angesehen hatten. Der Block, ebenso wie die identischen Blöcke in seiner Nachbarschaft, stammte augenscheinlich aus den 50er Jahren. Sogar die leicht verrosteten Wäscheaufhängungen auf den Grünflächen dazwischen waren noch original.

Veitl war ganz zufrieden mit dem, was er gesehen hatte. Margarete keineswegs.

„De Wohnung langt doch für uns zwei“, meinte Veitl. „Was brauch ma denn mir zwei a ganzes Haus. Und de Gartenarbeit war dir doch eh scho lang z'viel. De Wohnung krieg i als Beamter günstig, und in Landshut a Wohnung finden, de halbwegs bezahlbar is, is nahezu unmöglich.“

„Geh, i weiß ned ... De Wohnung is ja an sich ganz schön gschnitten, aber ...“

„Na siehgst!“, unterbrach Veitl sie. „Des is doch die Hauptsach. Und Sonnblickweg ... Des klingt doch schee!“

„Aber wenn i jetz aus'm Fenster schau, seh i de Berg!“, schmollte Margarete.

„De wirst aber in Landshut nirgends sehn. Und grün is des ja do immerhin a außenrum. Da vorn is glei da Hammerbach, da kann ma wunderschön spazierngehn ...“, versuchte Veitl sie zu überzeugen.

Doch Margarete hatte noch mehr Vorbehalte: „Ja, und da direkt vor meiner Nasn fahrt der Zug vorbei. Da hebt's mi dann jede Nacht aus'm Bett!“

Der Umzug nach Landshut war dennoch beschlossene Sache und Margarete hatte der räumlichen Veränderung letzten Endes doch noch zugestimmt.

Veitl hatte endlich seine lang ersehnte Beförderung bekommen, geknüpft an ein neues Betätigungsfeld: Er war jetzt stellvertretender Dienststellenleiter im Kriminalkommissariat Landshut. Und dazu musste er eben umziehen.

Veitl, selbst in Mainburg geboren und aufgewachsen, empfand die Versetzung als eine Art späte Rückkehr nach Hause, seine Frau sah das weniger verklärt. „Des is doch alles nimmer so wie damals, wo wir Kinder warn! Mir ham inzwischen fast dreißig Jahr in Garmisch gwohnt. Da kenn i jede Verkäuferin, jedes Gschäft, hier weiß i doch gar ned, was i einkaufen soll ...“

Was ned unbedingt a Schaden sei muss, schoss es Veitl schadenfroh durch den Kopf, denn seine Frau neigte dazu, in der Küche Experimente zu machen, die seinen Geschmack so gar nicht trafen.

Der unschlagbare Vorteil des Umzugs – und das war auch der Grund, weshalb Margarete letztlich eingewilligt hatte – war jedoch die Tatsache, dass ihre Tochter Andrea mit ihrer Familie in der unmittelbaren Nähe von Landshut wohnte.

Ende Mai 2017

Zwei Wochen später bezogen Veitl und Margarete dann doch die Beamtenwohnung im Sonnblickweg. Zum großen Tag X waren neben Andreas Mann Sebastian auch der jüngere Veitl-Spross Benedikt angereist.

Benedikt fuhr zur See und wohnte die restliche Zeit des Jahres in Hamburg, zusammen mit seinem Freund Viktor, den er erst im vorigen Jahr seinen Eltern vorgestellt hatte.

„Wenn ma des Drum hochkant nehmen, komm ma dann da vorn ums Eck?“ Veitl rann der Schweiß in Strömen über die Stirn. Auch sein Sohn und Schwiegersohn ächzten unter den Massivholzmöbeln. „Also auf geht's, pack ma's.“

Gemeinsam hievten sie die Herrenkommode wieder in die Vertikale, doch das vermaledeite Teil wollte einfach nicht durch das Treppenhaus passen. Die drei mussten wieder absetzen.

„Kruzefix, is des Drum schwer!“, stöhnte Sebastian. „Wie habt's 'n des da nauf bracht?“

Veitl wusste es auch nicht mehr zu sagen.

Margarete rief von unten herauf: „Wie geht's euch denn da oben? Soll i an Kaffee aufsetzen?“

„Ja!“, kam die dreistimmige, einhellige Antwort retour. Sich entfernende Schritte verrieten, dass Margarete an ihr Werk ging.

„Jetzt wart's. Wenn ma noch amal zruckgehn und erst amal da Läng nach ins Bad ausweichen, dann müsst ma vielleicht den Winkel für des Eck da kriegn und dann könn ma's übers Treppengeländer drüber heben“, überlegte Veitl laut.

Sebastian und Benedikt wechselten entsetzte Blicke. Aber da sie auch keine bessere Lösung hatten, zerrten sie das schwere Möbel wieder zurück in den oberen Hausflur.

Als endlich alle Möbelstücke im gemieteten Mercedes Sprinter verstaut waren und die Frau des Hauses einen letzten wehmütigen Rundgang durch das Reihenendhäuschen gemacht hatte, das sie nun bald dreißig Jahre bewohnt hatte, machten sich die vier auf den Weg nach Landshut.

Sebastian, im Umgang mit sperrigen Fahrzeugen dank seiner Tätigkeit als Landwirt bestens geübt, fuhr den Sprinter. Neben ihm saß zur Wegbeschreibung sein Schwiegervater. Benedikt und Margarete folgten den beiden im Privatwagen der Veitls, einem in die Jahre gekommenen 4er Golf.

„Fahr du, Bub, i fahr ned so gern Autobahn“, hatte die Mutter gesagt, deshalb saß sie jetzt auf dem Beifahrersitz und hielt krampfhaft eine ebenso sperrige wie hässliche Porzellanfigur eines sitzenden Gepards umklammert.

Benedikt bedachte das seltsam schillernde Tier mit einem Seitenblick und meinte: „Wäre das jetzt nicht die Gelegenheit gewesen, das Ding endlich loszuwerden?“

Seine Mutter trug einen beleidigten Gesichtsausdruck zur Schau. „Des war a Hochzeitsgschenk von da Tante Rosi. I hab den immer in Ehren ghalten!“

„Ja, ich weiß“, bestätigte Benedikt. „Ich hab ja zwanzig Jahre mit dem Teil unter einem Dach gelebt. Ich hab ein Geparden-Trauma davon!“

Trotzig verstärkte Margarete ihren Griff um den Hals des langbeinigen Staubfängers.

„Und freust du dich auf Landshut?“, wechselte Benedikt das Thema.

Margarete seufzte. „Ja, irgendwie scho.“

„Ihr seid's ja dann ganz nah bei Andrea und ihrer Familie“, griff Benedikt den augenscheinlichsten Vorteil auf.

Seine Mutter nickte tapfer. „Ja, eben. Da freu i mi scho.”

Endlich würde die leidenschaftliche Oma in Reichweite der drei Enkelkinder sein. Auf das Babysitten und auf die Plauderstunden mit ihrer Ältesten freute Margarete sich wirklich schon.

„Mei“, fuhr sie fort, „und er hat sich halt so auf die Beförderung gfreut. Soll i dann sagen: Na, des mach i ned mit? Er hat ja so lang drauf gwart, dass'n endlich befördern. Dass des dann wieder an a Bedingung knüpft is, is halt saubled glaufen. Aber er is jetzt dann da stellvertretender Dienststellenleiter. Des is scho was.“

Es war nicht ganz klar, ob Margarete gerade ihren Sohn oder sich selbst von der Vorteilhaftigkeit des Umzugs zu überzeugen versuchte. Benedikt tätschelte seiner Mutter aufmunternd die Hand, ohne den Blick von der Fahrbahn zu nehmen.

„Ich hoff, dass ich dann auch öfter runterkommen kann. Ich seh meine Nichten und Neffen auch viel zu selten.“

„Und des, wo du doch der Patenonkel vom Maxi bist!“, bestätigte seine Mutter.

„Schon, aber du weißt ja, wie Sebastian und Andrea zu Vicky und mir stehen. Besonders der Sebastian ...“, warf Benedikt grimmig ein. „Mich wundert's eh, dass er sich da heute so zusammengerissen hat. Normal hab ich das Gefühl, er hält es mit mir gar nicht mehr in einem Raum aus. So als hätt er Angst, dass er bloß vom Ansehen auch schwul wird.“

Seine Schwester hatte die Neuigkeit, dass ihr Bruder den Männern zugetan war, nicht besonders gut aufgenommen, und sein Schwager schwieg das Thema eisern tot. Margarete sagte kategorisch: „Ah geh. Des is, wie's is. De gwöhnen sich scho dran.“

Anfang Juni 2017

Am 1. Juni trat Veitl dann seinen Dienst an. Seine neue Wirkungsstätte war das Polizeipräsidium in der Landshuter Neustadt. Sein Vorgesetzter und Leiter der Kriminaldirektion Landshut, Kriminalhauptkommissar Georg Steindl, begrüßte seinen neuen Kollegen und Stellvertreter. Emsig führte er ihn herum.

„So, da sehen'S jetzt unsre komplette Dienststelle. Wir sind da unterteilt in sieben Kommissariate und wir ham hier alles: von Tötungsdelikten über Großbrände bis hin zu Raub, Erpressung und Sittlichkeitsdelikten, ja sogar Sprengstoffgeschichten. Manchmal geht's a um Umweltsachen, Waffen, Drogen ... also des ganze Spektrum.“

Veitl folgte Steindl und sah sich interessiert um.

Der neue Chef schien in Ordnung. Steindl war einige Jahre älter als Veitl und hatte vermutlich schon die Pensionierung im Blick. Mit seinem alten Direktor in Garmisch war Veitl auch gut ausgekommen, man hatte sich geduzt und vieles auf dem „kleinen Dienstweg“ erledigen können, doch auch Steindl war Veitl auf den ersten Blick sympathisch. Der erfahrene Beamte strahlte so eine angenehme Ruhe und Gelassenheit aus, was Veitl, selbst eher von der gemütlichen Sorte, sehr schätzte. Er war auch ein Genussmensch – ganz wie Veitl, wenn Margarete ihn nur ließe –, das sah man dem Kommissar an. Einer, der zu einer Maß Bier und einer Schweinshaxn nicht Nein sagt; sein kariertes Hemd spannte sich über einen urbayerischen Bierwanst.

Die Sympathie schien gegenseitig, denn Steindl erklärte vertraulich: „Wir ham hier so viele Mitarbeiter, dass ma an manchen Tagen scho damit beschäftigt sind, unsre eigenen Streitereien in Griff zum kriegen. Da, wo Sie jetzt herkommen, war's wahrscheinlich a bissl übersichtlicher, gell?“

Veitl nickte. Die Dienststelle in Garmisch war überschaubar gewesen, interne Querelen hatte es dort aber ebenso gegeben.

„Wir san zuständig für die Stadt Landshut und de Landkreise Kelheim, Landshut und Dingolfing. Wir ham hier an Erkennungsdienst, die Spusi, Kriminaltechnik und a Sondereinheit im Dauerdienst für Computerkriminalität, alles direkt im Haus. Gerichtsmedizin und Obduktion machen dann die in München droben“, fuhr Steindl nicht ohne Stolz fort.

„Wie viele Kollegen arbeiten denn da herinn?“, fragte Veitl beeindruckt.

„Im Moment hamma zweiundsiebzig Beamte und Beamtinnen – des muss ma ja jetzt immer dazu sagen, gell? Ghabt hamma die Damen davor a scho, nur dazugsagt hamma's halt ned! Im bayernweiten Vergleich samma a mittlere Dienststell, aber dadurch, dass ma drei Landkreise betreuen, arbeit ma halt mit zwei Staatsanwaltschaften. De hier in Landshut und de in Regensburg.“

„Da kommt bestimmt allerhand zam“, stellte Veitl nüchtern fest. Arbeitsscheu war er noch nie gewesen, und er freute sich auf die neuen Herausforderungen, die der Dienststellenwechsel mit sich bringen würde.

„Naa, da könn ma uns ned beschweren“, bestätigte Steindl. „Unser Einzugsbereich erstreckt se mitunter über achtzig Kilometer bis fast nach Regensburg nauf, und weil mir da a de Schwerpunkt - staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität ham, übernehm ma unter Umständen a Fälle von de Straubinger oder Deggendorfer und ermitteln bis in Bayerischen Wald nei.“

Steindl führte Veitl über das Treppenhaus hinauf in die obere Etage, in der sein eigenes und Veitls künftiges Büro untergebracht waren. Auf halber Höhe blieb Veitl stehen und warf einen Blick hinaus aus dem Fenster, von wo aus man die schmucken, alten Stadthäuser der Neustadt und den Backsteinturm der Martinskirche sah. Die Burg Trausnitz konnte man von hier nicht erkennen, aber Veitl wusste, dass das ehrwürdige Bauwerk über dem Präsidium thronte.

„Aber schön habt's es hier“, entfuhr es ihm.

Er hatte Landshut schon immer gemocht. Die charmante mittelalterliche Altstadt mit ihren kleinen Läden und Boutiquen, die Straßencafés unter den Arkaden, die Isar ... Schon als Kind war er gern mit seinen Eltern zum Einkaufen und Bummeln hierhergekommen. Auch die Jahrzehnte in Oberbayern hatten nichts daran geändert, wie gut ihm Landshut gefiel.

„Scho, nur darf ma sich von der schönen Lage ned täuschen lassen. Mir arbeiten da herin unter permanentem Druck, sowohl personell als auch materiell. Leider.“

Veitl ließ sich seine positive Grundstimmung nicht verderben. „Ach, des is doch überall so.“

Eine Woche später

Die Stadt Landshut stand derzeit wieder einmal Kopf. Alle vier Jahre versetzte das große Spektakel der Landshuter Hochzeit die beschauliche Kleinstadt in Aufregung. Vom 30. Juni bis 23. Juli würde das mittelalterliche Treiben die Stadt und das Leben der Landshuter beherrschen. Veitl und Margarete kamen gerade rechtzeitig zu dem Großereignis.

Schon seit Monaten organisierten, probten und werkelten die Darsteller, Kostümbildner, Kulissenbauer und Organisatoren. Rund 2.300 Landshuter stellten drei Wochen lang die Ereignisse der Fürstlichen Hochzeit aus dem Jahr 1475 nach, als der Landshuter Herzog Ludwig, genannt der Reiche, seinen Sohn Georg mit der Tochter des polnischen Königs Kasimir IV. vermählte. Den Höhepunkt der Veranstaltung, die als eines der größten mittelalterlichen Feste Europas galt, bildete traditionell der Brautzug am Sonntag, bei dem die verschiedenen Gruppen von Darstellern durch die ganze Alt- und Neustadt zogen.

In Landshut herrschte in diesen Wochen Ausnahmezustand. Touristen von überall strömten in die kleine Stadt an der Isar, die Hotels waren teilweise schon Jahre im Voraus ausgebucht, die Karten für die verschiedenen Aufführungen, Spiele und Konzerte heiß begehrt. Die Landshuter Hochzeit bedeutete nicht nur für jene, die direkt an dem großen Spektakel beteiligt waren, sondern auch für die Polizei Überstunden und Mehrarbeit.

Noch war es zwei Wochen bis zur Premiere hin, und die letzten Proben liefen, als die unfassbare Meldung einging. Der Vorsitzende des Festausschusses wandte sich gleich direkt an Steindl, man kannte sich nämlich vom Golfplatz.

„Was sagst du da?“, fragte Steindl bestürzt nach.

Veitl, der gerade bei seinem Chef im Büro war, horchte auf und verfolgte das Telefonat. Steindl drückte die Lautsprechertaste und ließ seinen Stellvertreter mithören.

Steindls alter Golfkumpel, der Unternehmer Fuchs, wiederholte: „Er is weg! Verschwunden, verstehst?“

„Ja, geh, aber des gibt's doch ned!“, widersprach Steindl.

„Wenn i's dir doch sag! Er is ned heimkommen. Keiner weiß, wo er is.“

„Aber des is doch a junger Kerl, da kommt sowas scho mal vor. Vielleicht warn's beim Saufen und wenn er sein Rausch ausgschlafen hat, na kommt er scho wieder ...“, gab Steindl zu bedenken.

Doch Fuchs war überzeugt: „Da is was passiert! Mir san doch mitten in de Proben, da kann er doch ned einfach wegbleibn! Weißt du, wie begehrt de Rolle is? Wie viele des machen wollen? Des setzt doch keiner so aufs Spiel, wegen a bissl am Besäufnis!“

„Warst scho bei seine Eltern?“, fragte Steindl.

„Ja, freilich, i bin ja ned bled. Da war i als erstes, wie er zur Probe ned kommen is. Aber de wissen a nix. De ham dacht, er is bei uns.“

Und weil Steindl immer noch nicht reagierte, schob Fuchs eindringlich hinterher: „Zwei Wochen vor da Hochzeit und mir ham keinen Herzog mehr! Des is a Katastrophe! Was glaubst du, was da alles dranhängt!“

„Ja, i versteh di scho“, räumte Steindl endlich ein.

Veitl verstand noch immer eher Bahnhof.

Steindl beendete aber ohnehin schon das Gespräch mit: „I komm vorbei, dann schau ma weiter.“

Veitl sah seinen Vorgesetzten fragend an, als dieser aufgelegt hatte. „Was is?“

„Des war der Fuchs, der Vorsitzende von de Förderer. Anscheinend is der junge Mann, der bei der LaHo heuer den jungen Herzog spielt, verschwunden. Er meint, es wär ihm was passiert“, erklärte Steindl.

„Von der Landshuter Hochzeit?“, fragte Veitl. „A Darsteller?“

„Ja, ned nur irgendeiner, ausgerechnet der, der den Bräutigam spielt. Die Braut und der Bräutigam, des san die zwei begehrtesten Rollen. Jedes Mal gibt's quasi ein Hauen und Stechen, wer des Paar spielen derf. De drei Wochen dreht se alles nur um die zwei und wenn da jetzt einer ned zur Probe kommt, dann dreht der Fuchs am Radl, des is ganz klar.“

Veitl kannte die Veranstaltung, die die ganze Stadt in Tumult versetzte, nur aus den Medien, dabei gewesen war er noch nie. Entsprechend konnte er sich die ganze Aufregung noch nicht so recht erklären.

„Ja, gibt's denn da keine Ersatzleute? Wenn's eh so begehrt is?“

„Doch, scho. Aber so kurz vor der LaHo jemand andren nehmen, is halt a riskant. Der hat jetzt ned mitgeprobt, so wie der eigentliche Kandidat. Des Kostüm passt womöglich a ned, dann müssen's wieder Änderungen machen. Der Fuchs hat halt Angst, dass de ganze LaHo ins Wasser fallt. Des muss ma scho versteh, da hängt ja a an Haufen Geld dran“, erklärte Steindl. „Jetzt fahr ma mal zum Zeughaus und schaun uns des vor Ort an. Dann seh ma's scho.“

Veitl und Steindl machten sich auf den Weg.

Das Zeughaus genannte Gebäude befand sich auf dem Gelände an der Isar, das seit Monaten für die Landshuter Hochzeit präpariert wurde. Wo sonst Autos parkten, zweimal jährlich die Dult abgehalten wurde und ansonsten Jogger und Hundehalter ihrem Frischluftbedürfnis frönten, zimmerte jetzt eine Armada von Handwerkern die Kulissen für die anstehenden Veranstaltungen. Die große Arena für die Ritterspiele, die Tribüne für die Darsteller des herrschaftlichen Gefolges und die Zuschauertribünen gegenüber, das Lager, der Zehrplatz und die Absperrungen, alles aus Holzplanken und Pfosten gefertigt, nahmen langsam Gestalt an.

Im Zeughaus residierte der Förderverein auch während der Jahre, in denen keine Hochzeit stattfand. Darin befand sich der wie ein Schatz gehütete Fundus der Kostüme und Ausstattungen. Die regelmäßigen Treffen der Hochzeiter, ebenso die Gevatternabende, wurden auch dort abgehalten, und jedes Mal pilgerten vor der Landshuter Hochzeit tausende Bewerberinnen und Bewerber zum Zeughaus, um dort ihr Glück vor dem Besetzungsausschuss zu versuchen und vielleicht eine Rolle zu ergattern.

Jetzt fanden dort die Proben statt. Ritter, Wagenführer, Falkner, Musiker, Gaukler, Fahnenschwinger und Reisige einmal ausgenommen, denn diese festgefügten Gemeinschaften existierten in der Regel auch außerhalb der Festspieljahre, traten auch zu anderen Gelegenheiten auf und probten an anderen geeigneten Standorten.

Steindl parkte seinen Dienstwagen direkt vorm Eingang des Zeughauses. Rund um das Langhaus herrschte rege Betriebsamkeit. Kaum hatte er die Wagentür geöffnet, hupte es hinter ihnen. Steindl sah sich um.

Hinter ihnen blockierte ein Lieferwagen die restliche Zufahrt.

„He!“, rief der Fahrer ungehalten. „Da kannst dein Karrn ned stehn lassen, da is Parken verboten!“

Veitl wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, doch Steindl kam ihm zuvor. Er zog seinen Dienstausweis aus der Brusttasche und hielt ihn dem Fahrer durch die geöffnete Seitenscheibe unter die Nase.

„Steindl, Kripo Landshut, tut mir leid, wenn i den Betrieb jetzt a weng aufhalten muss, aber wir ham hier Ermittlungen.“

Der Lastwagenfahrer hob abwehrend die Hände. „Passt scho. Fahr i hintenrum. Kein Ding.“

Grinsend schlenderte Steindl zu Veitl zurück. „Scho praktisch, so a Polizeiausweis ...“

Gleich an der Tür ergab sich die nächste Gelegenheit, die Vor - züge des Dienstausweises unter Beweis zu stellen. Zwei Edeldamen in vollem Ornat versperrten den beiden Beamten den Weg.

„Moment mal, die Proben sind nicht öffentlich. Leider keine Zuschauer heute!“

Wieder zog Steindl seinen Ausweis und erklärte geschäftsmäßig: „Kripo Landshut. Wo is'n der Herr Fuchs, bitte?“

Erschrocken stoben die Mädchen auseinander und ließen die Kommissare durch. „Da hinten is er, da läuft grad die Probe für's Singspiel“, wies ihnen die eine noch den Weg.

„Also, was is jetzt hier los?“, fragte Steindl seinen Bekannten. Der Vorsitzende des Festausschusses hatte seine beiden Besucher gleich in ein kleines Büro geführt, wo sie ungestört sprechen konnten.

„Er is immer noch ned aufgetaucht“, erklärte Fuchs, der selber gerade im Kostüm und mit einem mittelalterlichen Federhut auf dem Kopf vor ihnen stand. Die Sorge um die aufwendige Veranstaltung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Wann und wo is er denn zuletzt gesehen worden?“, hakte Steindl ein.

„Gestern hat er probefrei ghabt. Wir müssen a den Hauptrollen ab und zu an freien Tag gönnen, de haben ja a no a Leben neben der LaHo. De meisten zumindest.“

„Was is'n des überhaupt für einer?“, wollte Steindl wissen. „Kennt ma den, oder die Eltern?“

Veitl hielt sich im Hintergrund, er kannte die Gepflogenheiten in Landshut noch zu wenig und wollte sich erst einmal ein Bild darüber machen.

„Ja, klar, lest du keine Zeitung? Der Leo is der Sohn vom Herberger Maximilian“, antwortete Fuchs und Steindl erwiderte überrascht: „Herberger Max vom Amtsgericht?“

„Genau der“, bestätigte Fuchs.

„Jessas naa!“, entfuhr es Steindl. „Den lernen Sie bestimmt a bald kennen“, fügte er an Veitl gewandt hinzu. „Der Herberger is Richter bei uns am Amtsgericht. Mei, des hab i gar ned so auf'm Schirm ghabt. Dass dem Herberger sei Sohn heuer den Herzog macht.“

In Landshut, erkannte Veitl, waren die Dienstwege genau wie in Garmisch kurz. Man kannte sich vom Sportverein, vom Lion's Club oder vom Golfen, man traf sich auf der Dult, beim Bummeln in der Altstadt, im Sommer im Biergarten oder draußen am Flugplatz in der Ellermühle.

Wenn man in den Kreis einmal aufgenommen worden war, war man Mitglied der Gesellschaft.

Der Vorstand der Förderer sagte gerade: „Sie machen sich natürlich die allergrößten Sorgen, die Eltern. Der Bub is sowieso a rechtes Früchtchen manchmal, vor allem sei Mutter, die Gaby, war froh, dass er die Rolle vom Herzog Georg kriegt hat, weil er dann a Aufgabe hat, hat's gmeint. Dann is er wenigstens aufgräumt und zigeunert ned in der Gegend rum.“

Steindl horchte auf. „Wie meinst jetz des? Was hat er denn gmacht?“

„Mei, wie so junge Burschen halt san, er hat halt a bissl Grenzen ausgetestet in letzter Zeit. Nix wirklich Schlimmes, also keine Drogengschichten oder sowas, wenns'd jetzt des meinst“, beschwichtigte Fuchs sogleich. „Aber Alkohol halt und Weiber. Und sei Auto hat er zamgrennt kürzlich.“

„Da wird er aber erfreut gwesen sein, der Papa“, mutmaßte Steindl.

„Des kannst dir vorstellen, dass der da ned begeistert war“, bestätigte Fuchs. „Grad die Sache mit dem Auto. A nagelneuer Audi S3 war des; den hat er voriges Jahr zum Geburtstag kriegt ghabt und war mächtig stolz auf den Karrn.“

Veitl zückte vorsichtshalber den Notizblock und notierte die Anekdoten, die Fuchs erzählte. Vielleicht konnte Steindl sich das alles so merken, weil er die Leute näher kannte, aber er wollte doch lieber auf Nummer sichergehen. „Was ist da genau passiert?“, mischte er sich dann auch in das Gespräch ein.

„Sie warn halt am Wochenende beim Saufen, wie des halt so is, gell? Und dann sind's halt im Suff auf die tolle Idee kommen, dass noch a kleine Spritztour mit dem Audi machen könnten. Und dann hat er den Sportwagen beim Rausfahren aus der Innenstadt gegen's Ländtor gsetzt. Des war sogar in der Zeitung, is des bei euch ned aktenkundig?“, fragte Fuchs wieder Richtung Steindl gewandt.

Steindl zuckte die Schultern. „Scho möglich, des klär ma dann hernach, gell? Veitl, ham'S des notiert?“

Veitl nickte eifrig.

„Da stangelt der Bursch im Suff den teuren Sportwagen zam und der Vater is a Richter, des wird aber für ordentlich Spott aufm Golfplatz gsorgt ham“, vermutete Steindl nicht ohne Schadenfreude in der Stimme.

„Des darfst glaubn.“

„Was macht des Bürscherl eigentlich beruflich? Oder geht der no in d'Schul?“, fragte Steindl weiter.

„Naa, der hat, glaub i, voriges Jahr sei Abitur gmacht. Bei de Maristen in Furth ham's ihn vor a paar Jahr nausgschmissn, dann hat er auf's Carossa-Gymnasium gwechselt und da hat er's dann z'guter Letzt doch no zu einem Abi bracht. Seit Februar studiert er jetzt in München. BWL, glaub i.“

Veitl und Steindl machten sich wieder auf den Weg zurück ins Präsidium. Im Wegfahren seufzte Steindl: „Da bin i dann doch wieder froh, dass i keine Kinder hab.“

Ein paar Tage früher

„Und wenn du meinst, dass du so weitermachen kannst, mein Lieber, dann hast du dich aber geschnitten!“ Richter Herberger war äußerlich ruhig, doch innerlich brodelte er.

Die Sperenzchen seines Sprosses raubten ihm schon seit geraumer Zeit den Schlaf. Er wollte eigentlich nicht mit Totschlag-Argumenten wie „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst“ kommen, er war nämlich immer schon ein Verfechter der Erziehung auf Augenhöhe gewesen, doch das Verhalten seines Sohnes brachte ihn wieder einmal an die Grenzen seiner Duldsamkeit.

Leo Herberger dümpelte tiefenentspannt im Pool des Herberger'schen Anwesens am Moniberg herum. Die Ray-Ban-Sonnenbrille aus der aktuellen Kollektion, von seinem letzten New York-Trip mitgebracht, lässig ins gestylte, überschulterlange Haar gesteckt, lümmelte er auf einem aufblasbaren Schwimmring, eine angebrochene Flasche Pils in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand. Keine Spur von schlechtem Gewissen.

„Hast du eigentlich keine Vorlesungen? Wie wär's, wenn du zur Abwechslung mal wieder nach München fahren würdest? Soll das Semester gleich für die Katz sein? Du hast sowieso schon so viel Zeit verloren!“, schalt der Vater weiter.

Max Herberger trug noch den Anzug inklusive Schlips für die Arbeit am Amtsgericht. Er kam mittags nur kurz zum Essen nach Hause, dann würde er diesen Sommernachmittag gleich wieder im Gerichtssaal verbringen.

„Wir haben keine Anwesenheitspflicht“, erklärte Leo Herberger genervt. „Ich mach das schon, lass das meine Sorge sein. Du wolltest doch, dass ich den Herzog spiele, oder etwa nicht?“

„Davon red ich ja auch nicht“, knurrte Herberger. „Du weißt, dass es mich stolz macht, dass du in die Fußstapfen deines Opas trittst.“

Herbergers Vater hatte zur Landshuter Hochzeit gehört wie der Met und die Gaukler. Er hatte jahrzehntelang selbst mitgespielt, war danach noch lange Jahre im Vorstand der Förderer gewesen und zum Schluss zum Ehrenvorstand ernannt worden. Herbergers Amt am Gericht ließ ein tiefes Engagement leider nicht zu, aber auch er war Mitglied der Förderer und hatte seine Kinder früh mit der Landshuter Hochzeit in Berührung gebracht. Seine Frau Gaby war in jungen Jahren sogar einmal die Braut gewesen. Eigentlich nur naheliegend, dass Leo ebenfalls für eine der höchsten Rollen ausgewählt wurde.

„Um was geht es dir denn dann? Ich studiere, wie du es wolltest, ich spiele bei der LaHo mit, wie du es wolltest, was willst du denn noch?“ Leo funkelte seinen Vater aus selbstgerechten blauen Augen an.

„Ich will nicht, dass du wieder mit diesen Typen rumhängst, und das weißt du genau!“

Prompt sagte Leo: „Was denn? Wir gehen raus, wir chillen ein bisschen, is doch alles easy.“

„Ja, genau, alles easy und dann hängt der nagelneue S3 ganz chillig am Ländtor!“, fauchte Herberger.

Leo verdrehte die Augen.

Herberger war immer noch stinksauer wegen des Vorfalls mit dem Audi. Ausgerechnet sein Sohn fuhr betrunken Auto und dann rammte er den Sportwagen auch noch vor aller Augen gegen das Landshuter Wahrzeichen. Sein Blut geriet immer noch in Wallung, wenn er nur an den Morgen danach im Gericht dachte. Spott und Hohn, wohin man auch blickte, und er hatte dem nichts entgegenzusetzen, weil er leider nichts anzubieten hatte, worin sein Sohn so richtig glänzte. Einzig vielleicht die Rolle des jungen Herzogs.

„Ich hab nachher Probe“, blaffte Leo. „Ich brauch ein Auto.“

„Du kannst gut mit dem Bus fahren, Freundchen. Der hält auch beim Zeughaus“, erklärte Herberger erbarmungslos.

Leo schlug plötzlich schmeichelnde Töne an. „Ach Dad, bitte ... Kann ich dein Auto?“

„Nein“, wies der Vater ihn ab. „Es schadet dir nicht, wenn du mal die Konsequenzen deines Tuns zu spüren bekommst. Du hast die Karre zu Schrott gefahren, jetzt gehst du zu Fuß, so einfach ist das! Kannst ja nachher dann heimreiten!“

Leo war sichtlich genervt, als er aus dem Wasser stieg und sich die langen Shorts am schlaksigen Körper ausdrückte.

„Und du kommst nach der Probe sofort nach Hause, hast du mich verstanden?“, setzte der Vater noch eins drauf.

„Ja, ja, mal sehen ...“, murmelte der Sohn und trollte sich.

Wieder zum späteren Zeitpunkt

Abends folgten die Veitls Steindls Einladung zum Kennenlern-Abendessen in seinen Lieblingsbiergarten. Es war ein heißer Sommertag gewesen und auch der Abend versprach, lau und sommerlich zu bleiben.

„Schön, dass es klappt hat. Schauen'S, des is mei Frau. Margarete, mei neuer Chef, der Hauptkommissar Steindl“, machte Veitl die Anwesenden bekannt.

Die Sonne brannte unbarmherzig herunter. Direkt an der Isar unter dem Sonnenschirm ließ es sich aber gut aushalten. Der Biergarten auf der Mühleninsel war bis auf den letzten Tisch besetzt, aber für den Stammgast gab es natürlich immer einen Platz, und außerdem hatte Steindl wohlweislich vom Präsidium aus angerufen. So ließen sich Veitl und Margarete jetzt an einem der begehrten Tische in der ersten Reihe mit Blick auf das Wasser nieder.

Steindl winkte die Bedienung heran.

„Grüß di, Schorsch. A Helles, wie immer?“, begrüßte ihn die dralle Blonde im Dirndl vertraulich.

„Resi, grüß di. Gern. Darf i vorstelln? Mein neuer Vize, der Oberkommissar Veitl und sei Frau.“

„Freut mi“, begrüßte die Resi auch ihre beiden neuen Gäste. „Wisst's es scho?“

„Für mi a a Helles“, bestellte Veitl schnell, bevor Margarete protestieren konnte. In der Öffentlichkeit hielt sie sich dankenswerterweise mit ihren Belehrungen zum Thema gesunde Ernährung etwas zurück, was Veitl schamlos ausnutzte.

Mit einem missbilligenden Seitenblick auf ihren Gatten bestellte Margarete: „A Wasser für mi. Still, bitte.“

„Zwoa Helle und a Wasser“, wiederholte die Resi. „Zum Essen? Schaut's ihr no?“

„Also i wüsst's scho“, erklärte Steindl, ohne die Speisekarte überhaupt angeschaut zu haben.

Margarete blätterte rasch in den mehrseitigen Angeboten. Veitl inspizierte die großen Tafeln an der Wand mit den Tagesspezialitäten.

„I hab's a.“

Resi zückte ihren Kugelschreiber: „Also?“

„A Lüngerl für mi“, bestellte Veitl mit knurrendem Magen.

Saure Lunge war ein Leibgericht, das er bei seiner Frau höchstselten serviert bekam. Erstens, weil sie selbst keine Innereien mochte, zweitens, weil sie sie für ungeeignet hielt, seine gesundheitlichen Probleme zu beheben.

Insgeheim hegte Veitl die Hoffnung, dass der Ortswechsel und der damit einhergehende Arztwechsel seinen Ernährungsplan vielleicht etwas lockern würden. Immerhin konnte Margarete dann nicht, wie in Garmisch bisher, hinter seinem Rücken mit dem Doktor konspirieren und ihn auf irgendwelche Diäten setzen, weil sie den neuen Arzt nicht kannte.

Steindl bestellte eine halbe Schweinshaxe mit zweierlei Knödel und Veitl registrierte mit Genugtuung, dass diese Wahl auch nicht gerade unter Schonkost fiel. Hatte er sich also nicht geirrt und Steindl war ebenfalls ein Liebhaber der deftigen bayerischen Küche. Margarete orderte demonstrativ einen bunten Salat mit gegrillten Garnelen.

Nachdem die Wünsche aufgenommen waren, drehte sich das Gespräch um den Umzug der Veitls.

„Dann san Sie aber eigentlich eh von hier, oder?“, fragte Steindl, der die Dienstakte seines neuen Kollegen offenbar aufmerksam gelesen hatte.

„Ja, samma. Alle beide“, bestätigte Veitl. „I bin in Mainburg aufgwachsen und mei Frau in Abendsberg.“

Interessiert forschte Steindl weiter: „So, so, zwei Hallertauer, da schau her! Was hat Sie dann nach Garmisch verschlagn?“

„I bin seit 1984 bei der Polizei. Nach Garmisch versetzt ham's mi aber scho bald nach der Ausbildung. Unsre Kinder san 87 und 90 geboren, de san quasi in Oberbayern aufgwachsen, aber unsere Andrea hat's scho vor a paar Jahr wieder da runterzogen.“

Margarete fiel ihrem Mann ins Wort: „Unsre Älteste is in Adlkofen verheiratet. Ihr Mann is a Landwirt.“

Steindl nickte. „Dann ham Sie zwei Kinder?“

„Zwei, ja. Unser Andrea und da Bub. Der is drei Jahr jünger, heißt Benedikt und fahrt zur See“, erklärte Margarete stolz.

„Is er ned verheirat?“, fragte Steindl und rührte damit an das Thema, das Veitl ein wenig unangenehm war.

Margarete antwortete: „Na, der is ned verheirat.“

Aber Veitl wollte die Fakten lieber gleich auf dem Tisch haben. „Der is schwul und sein Freund is a Neger!“, unterbrach er hastig.

Margarete bedachte ihn mit einem irritierten Blick.

Als Benedikt ihnen im letzten Jahr einen Besuch mit Begleitung angekündigt hatte, war es zu sehr unangenehmen Szenen für Veitl gekommen, weil man auf dem Präsidium angenommen hatte, es handele sich um eine junge Dame. Veitl versuchte nur erneuten Missverständnissen vorzubeugen, indem er gleich gerade heraus sagte, was Sache war.

Steindl nickte belustigt, schien aber relativ unbeeindruckt von der Eröffnung. „Da macht ma was mit als Eltern, gell? A, wenn die Kinder scho groß sind.“

„Kleine Kinder, kleine Sorgen; große Kinder, große ...“, bemerkte Margarete. „Und selber? Ham Sie a Kinder?“

Steindl seufzte. „Na, leider ned. Und mei Frau is vor drei Jahr gstorben, jetzt bin i ganz allein.“

Veitl schwieg betreten. Margarete rettete die Situation, indem sie sagte: „Des tut mir leid. War's krank, Ihr Frau?“

„Ja, der Scheißkrebs halt. Erst ham's ihr a Chemo geben, da hat's so ausgschaut, als würd's es packen, aber dann hat er doch scho gstreut ghabt. Des is ein Scheißzeug!“

Das Essen kam und sie wechselten dankbar das Thema.

„Hmmm ... Schaut gut aus. An Gutn!“, sagte Margarete.

Eine Weile aßen sie schweigend.

Dann stellte Veitl noch einmal fest: „Landshut is eigentlich scho a schöne Stadt.“

Er ließ seinen Blick über die dampfende Schüssel mit dem Lüngerl hinweg zur Isar schweifen. Gegenüber auf der anderen Uferseite war auch alles voll besetzt, die Menschen genossen ihren Feierabend. Nur die Autofahrer auf der Wittstraße hatten wie jeden Abend Pech. Sie zuckelten im Stopp-and-go-Verkehr über die Isarbrücke beim Karstadt.

„Doch, scho“, bestätigte Steindl zwischen zwei Bissen seiner Schweinshaxen. „Da kann ma's scho aushalten.“

Dem lauschigen Abend im Biergarten folgte am nächsten Morgen gleich eine weitere unschöne Überraschung.

„Jetzt schaut's euch amal des an, bittschön!“ Fuchs, der noch vor den Kommissaren auf dem Präsidium gewesen war, wedelte mit einem Bogen Papier herum. „Des is doch a Frechheit sondersgleichen!“

Steindl nahm das Blatt, faltete es auf und gab es dann kopfschüttelnd an Veitl weiter. Das Papier war einmal in der Mitte geknickt und mit bunten Buchstaben aus einer Illustrierten beklebt.

„A Erpresserbrief? Geh, wer macht denn heutzutag no sowas?“, ließ Veitl verblüfft hören.

„Sehen’S? Des hab i a gsagt! Wer macht denn no sowas?“, bestätigte Fuchs.

Steindl signalisierte den beiden, Ruhe zu bewahren. „Langsam, eins nach’m andern. Du hast also an Erpresserbrief bekommen? Wann war des? Und wo hast den gfunden?“

„Heute. Der kam mit der Post. Oder jedenfalls war er im Postkasten drin.“

Veitl drehte den Brief und begutachtete ihn von allen Seiten. „Mit der Post is der ned kemma. Da is ja gar keine Adresse drauf, oder a Briefmarkerl.“

„Dann hat’n jemand eingschmissn“, folgerte Fuchs.