Laura Lumati - Sandra Paretti - E-Book

Laura Lumati E-Book

Sandra Paretti

4,0

Beschreibung

Laura Lumati treibt ein gefährliches Spiel. Obwohl sie von Ceno, ihrem millionenschweren Ehemann über alles geliebt wird und ein sorgenfreies, glückliches Leben führen könnte, verspürt sie immer wieder einen boshaften, zerstörerischen Drang. Auf manipulative Art und Weise bringt sie die Menschen in ihrem Umfeld dazu, ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und nimmt dabei keine Rücksicht auf Verluste. Packend und mit viel Spannung beleuchtet Sandra Paretti in diesem Gesellschaftsroman die Abgründe im Charakter einer jungen Frau.-

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Sandra Paretti

Laura Lumati

 

Saga

Laura Lumati

 

Copyright © 2022 by Helmut and Anka Schneeberger, represented bei AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1989 by Goldmann Verlag, München

„Laura Lumati” erschien erstmals unter dem Titel „Treibjagd oder die Rite

Copyright © 1989, 2022 Sandra Paretti und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728469477

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

ERSTER TEIL

pp.VENEDIG, 21. Oktober. Die Ermittlungen im Fall Ceno Lumati, der am 30. September auf dem Landsitz Vernier des Fürsten Frevelli erschossen wurde, brachten immer noch keinen Fortschritt. Die venezianische Staatsanwaltschaft neigt aufgrund der Tatwaffe amerikanischen Ursprungs zu der Ansicht, daß Ceno Lumati das Opfer eines Racheaktes geworden sei.

Polizeipräsident Dionisi wandte sich vor Journalisten scharf gegen die »Hysterie der Staatsanwaltschaft«, die aus einem tragischen Jagdunfall unbedingt ein geheimnisvolles Verbrechen konstruieren wolle. »Wenn die Staatsanwaltschaft mit ihrer Theorie recht behielte, befänden wir uns in Italien in einem Zustand krimineller Verwahrlosung, in dem kein Mensch mehr seines Lebens sicher wäre.«

Ceno Lumati, 53, Gründer des nach ihm benannten Immobilienfonds, Abgeordneter der Democrazia Cristiana, wurde in den USA immer wieder mit organisiertem Gangstertum in Verbindung gebracht, ohne jedoch jemals vor Gericht gestellt zu werden. Er verließ die Staaten vor zwölf Jahren nach einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung, das mit einem Freispruch endete.

Nach der Rückkehr in seine Heimat baute er ein Unternehmen auf, das ganz neue Finanzierungsformen für Großobjekte im Wohnungs- und Städtebau entwickelte. Lumatis jüngstes Projekt, die Erschließung unbewohnter Inseln zu touristischen Luxuszentren, stand bei seinem Tod kurz vor der Verwirklichung. Seine absolute Zuverlässigkeit machte ihn zum Vermögensberater der ersten Gesellschaftskreise. Vor sieben Jahren heiratete er Laura Lombardi, mit der er eine äußerst glückliche Ehe führte.

1

Kluge Frauen heiraten einen Mann, der weit mehr Geld besitzt, als sie auszugeben gedenken. Stolze Frauen fordern mehr vom Leben als nur materielle Bequemlichkeit. Trotzdem hält ein instinktives Mißtrauen sie ab, sich allein auf die Wahl ihres Herzens zu verlassen. Nur Menschenverächter und Frauenhasser wittern Betrug, wenn eine Frau es versteht, sich in den Mann zu verlieben, den ihre Klugheit sie hat wählen lassen.

So betrachtet, war Laura eine Ausnahme. Sie hatte nicht den Reichtum Ceno Lumatis geheiratet. Von ihrer Klugheit im Stich gelassen, war sie der Faszination der dunklen Vergangenheit, der imposanten Häßlichkeit und der zentaurenhaften Vitalität dieses Mannes, der zwanzig Jahre älter war als sie, erlegen.

Es war Leidenschaft gewesen; eine Leidenschaft, die ihr das Empfinden gab, alles davor sei nur eine Art von Tod gewesen und erst jetzt beginne das Leben. Sie schien erlöst von sich selbst. Daß sie als Kind ihre Lieblingspuppen mit Schrotladungen durchlöchert hatte; daß sie den kostbarsten Schmuck ihrer Mutter hinter die Holzverschalung des Dachbodens geworfen und schweigend zugesehen hatte, als man deswegen zwei Zofen entließ; daß sie als Halbwüchsige ihren Hauslehrer verführt und dann angezeigt hatte, waren nur noch vage Erinnerungen. Der unterirdische Strom von Haß, Grausamkeit und Zerstörungslust, der immer wieder aufgebrochen war, manchmal für Augenblicke, manchmal für Tage, schien endgültig versickert.

Wann hatte es wieder begonnen? Heute früh, als die Motoren der Cessna angesprungen waren, als die Vibration der Maschine plötzlich auch in ihr gewesen war? Oder erst später, in Mailand, auf der Versteigerung? Neun Millionen Lire hatte sie für die sieben mal fünf Meter große Polarfuchsdecke gezahlt. Ein verrückter Preis für etwas, das für Laura nur deshalb Wert hatte, weil es ihr die Möglichkeit gab, es jemand anderem wegzunehmen. Neun Millionen Lire für Sekunden, in denen ihr heiß wurde, für die Enttäuschung, die ein anderer empfand.

Zu leben, reich und glücklich zu sein, genügte ihr nicht. Weder die Liebe noch die Gefahr stillten den Hunger nach Ungeschmecktem. Was sie auch tat, immer wieder fand sie sich in diesem luftleeren Raum des Glücks, in dem das Leben nichts war als ununterbrochene Langeweile.

Manchmal beschlich Laura Entsetzen vor diesem Glück, das ihr alles zu nehmen drohte, die Wünsche, die Ängste, das Staunen; eines Tages würde nichts mehr da sein, nur noch dieses taube Gefühl in Fingern, denen im Schlaf etwas entglitten ist. Es war furchterregend, dieses Glück. Es trocknete sie aus. Es versuchte sie vergessen zu machen, daß sie lebte. Sie begann es zu hassen.

 

Der ungeschliffene Smaragd an Lauras Handgelenk zitterte. Grüne Reflexe huschten durch die Kabine der Cessna. Hinter den Sitzen am Boden lag das lose verschnürte Plastikpaket mit der weißen Polarfuchsdecke.

Das Flugzeug, das Laura über der Landepiste des Flughafens Venedig durchgestartet hatte, zog steil in die Höhe. Laura spürte an der rechten Hand den Ehering. Er war ihr nach sieben Jahren immer noch zu weit. Nur dieser Schmerz, am Steuer des Autos oder des Flugzeugs, erinnerte sie manchmal daran, daß sie ihn trug.

Der Copilot beobachtete schweigend ihre Handgriffe. Der Mann trug eine blaugetönte Brille; am Ansatz seiner grauen Haare standen Schweißperlen. Was mit dem Flugzeug geschehen konnte, ließ ihn kalt; aber bei der Vorstellung, sich vor Ceno Lumati rechtfertigen zu müssen, drehte es ihm den Magen um.

Laura dachte nicht daran, ihn zu besänftigen. Damit er seinen Zorn und seine Erbitterung vergaß, genügte es, ihm das Gesicht zuzuwenden; dieses Gesicht, das die Natur geschaffen hatte, um damit über alle Versuche der Kunst, die Schönheit darzustellen, zu triumphieren: Botticelli hatte sich an diesem immateriellen Blond versucht, Leonardo an dieser honigfarbenen Haut, Giambellino an diesen braunen Augen.

Daß Schönheit etwas war, das gegen alles andere recht behielt, war eine Erfahrung, die Laura sehr früh gemacht hatte. Sie hatte sich daran gewöhnt, wie ihre Umwelt sich daran gewöhnt hatte, ihre Launen als Gesetz zu nehmen.

Warum sie durchgestartet war? Vielleicht wegen des schwarzen Cadillac und des roten Alfa Romeo, die sie beim Anfliegen neben der Landebahn entdeckt hatte. Ivanka und Valentino. Vielleicht hatte Laura die Vorstellung gereizt, daß Ivanka und Valentino sich um sie ängstigen würden, vielleicht auch das Schauspiel, wie die beiden Gestalten da unten sich wieder verflüchtigten.

Über Venedig wehten die Dunstschleier eines Septemberabends. Der Himmel war noch hell. Das Meer breitete sich dunkel unter ihnen aus. Im Canale di San Marco vor der Riva degli Schiavoni lagen zwei weiße Schiffe. An der Treppe von San Giorgio Maggiore legte ein Motorboot an. Mönche in weißen Kutten stiegen aus.

Hier, über Lagunen und Meer, hatte Laura ihre Flugstunden absolviert, über den Fahrtrinnen der Schiffe, den Sandbänken, den mit den Tageszeiten die Farbe wechselnden Strömungen. Das Gefühl von Wagnis, um dessentwillen sie das Fliegen lernte, war ihr hier abhanden gekommen, bevor sie es noch richtig ausgekostet hatte, bis damals, als sich eines Nachmittags aus den Reflexen des Lichts und des Wassers etwas kristallisierte. Sie ging mit dem Flugzeug tiefer, und es wurde eine weiße Kuppel daraus, die sich aus einer blühenden Wildnis erhob, das Mausoleum.

Am nächsten Morgen fuhr sie mit Ceno im Motorboot zu der Insel hinaus. Weißer Strand, keine menschliche Spur. Dünen, Buchten, wieder weißer Sand. Ein Wald aus Pinien und Pappeln. Die Pfosten eines zerfallenen Stegs. Bronzene Kandelaber flankierten den Anlegeplatz. Efeu rankte sich um das Metall, das braun und schrundig war wie alte Rinde. Aus den Laternen hatte der Sturm die Verglasung herausgebrochen. Möwen nisteten darin.

Ein Weg aus weißem Marmor, der sich im Schatten der Pinien verlor. Zwischen den Stämmen Sträucher mit gelben Beeren. Grüne Dämmerung. Polster aus Moos. Große buntgefiederte Vögel. Aus Metall, aus Edelsteinen? Oder konnten sie sterben?

Auf dem weißen Marmor des Wegs die gebleichten Nadeln der Pinien. Mauern aus Rosen zu beiden Seiten des Wegs. Weiße Blüten. Aus Wachs, aus Seide? Oder konnten sie verwelken?

Zärtlicher, zudringlicher Duft. Zwischen den Lippen, im Mund, unter der Haut. Der Weg wurde breiter. Ein weißer Platz. Säulen. Leichtgeschürzte Göttinnen.

Das Mausoleum. Ein leeres Rund. Leere Wände. Eine Kuppel. Auf der Marmorbank kein Sarkophag, sondern Polster seidigen Lichts. Woher kam das Licht? Licht wie Seide. Zärtliches, kühles Licht, anschmiegsam . . .

 

Die Cessna war jetzt über der Insel. Laura blickte hinunter. lauralba . In dieser Sekunde fiel ihr der Name ein, nach dem sie so lange gesucht hatten.

Laura drückte die Taste des Aufnahmegeräts:

»lauralba . Auf der ganzen Welt gibt es keinen Ort wie diesen. Zwei Stunden von Paris, drei von London, vier von Stockholm, eine von Zürich, eine von Rom – eine Insel, die das Paradies an Vollkommenheit übertrifft. lauralba – auf der ganzen Welt ist kein Ort, wo Sie glücklicher sein können.«

Laura drückte die Rückspultaste. Ihre Stimme war in der Kabine. Sie hörte aufmerksam zu. Wie oft hatte sie die Texte der Werbeabteilung abgelehnt? Wie oft hatte sie zu Galli gesagt: »Ein Traum. Wir wollen einen Traum verkaufen.« Sie lauschte auf ihre Stimme. Man mußte sehen, ob die Worte auf Papier auch noch gut waren.

Diese Insel war Lauras Entdeckung und Idee gewesen. Sie hatte an den Plänen und Modellen mitgearbeitet. Sie hatte die ersten Verhandlungen mit dem Fürsten Frevelli geführt, dem Besitzer der Insel, mit den Behörden. Die Besuche in der Präfektur. Das Abkommen mit dem Forstamt über die Reglementierung der hydrologischen Auflagen zum Schutz und zur Verbesserung des vorhandenen Waldbestands der Insel. Die Absprachen wegen der Wasserversorgung mit der E.D.D.P., wegen der Lieferung von elektrischem Strom mit der E.N.E.L. Das zähe Hin und Her mit dem urbanistischen Planer, der nicht einsehen wollte, daß er bei der Planung dieser Insel seine funktionelle Leidenschaft einmal vergessen mußte. Nein, keine Drähte für Strom und Telefon. Nichts, was an das Heute erinnerte. Villen in venezianisch-polisanischem Stil.

Ceno würde ein Milliardengeschäft aus der Insel machen, ein Geschäft mit den Reichsten der Reichen, mit Menschen, die, der Wirklichkeit müde, auf der Jagd nach Träumen waren. Das war das Geheimnis von Cenos Erfolg. Er verkaufte Projekte, die es zunächst nur in seiner Phantasie gab, die er aus dem Nichts erschuf.

lauralba . War sie schon wie Ceno, besessen von der Idee, aus Nichts Geld zu machen?

Nein, das war es nicht, was sie immer wieder hierherzog. War es die weiße Kuppel des Mausoleums? War es, daß der Tod diesen Ort verschmäht und der Natur zurückgegeben hatte? War ihre ungestillte Neugier auf das Leben vielleicht nur Neugier auf den Tod? Weil der Tod etwas war, an dem sie sich noch nicht hatte messen können? Weil er etwas war, gegen das noch kein Mensch recht behalten hatte? Weil der Tod in ihrem Leben vielleicht das einzige sein würde, das ihr nicht zu Willen war . . .

In der Kabine wurde es dämmrig. Die Insel trieb unter ihnen weg. Laura sah auf die Uhr. In einer Stunde erwartete sie Ceno.

Die Lichter Venedigs tauchten auf. Geschmückt lagerte es dort, eine Witwe, die immer noch ihr Hochzeitsnegligé trug, mit einer Treue prunkend, die längst Ziel und Sinn verloren hatte.

Die Bogenlampen auf dem Ponte della Libertà brannten. Durch den Tunnel aus Licht und Wasserspiegelung fluteten die Wagen von Mestre herüber. In wenigen Wochen würde es hier still werden und Venedig leer, wie jeden Oktober nach der ersten Überschwemmung.

Im Hafenbecken von Mestre lagen Öltanker. Über Marghera und seinen Schloten hingen braungelbe Schwaden. Manchmal trug der Wind den Schwefelgeruch bis zur Via Olivi mit ihren Parks und den weißen Villen, die darin versteckt lagen.

Laura warf einen Blick auf das Paket hinter ihrem Sitz. Das weiße Fell drückte sich gegen die durchsichtige Plastikhülle. Sie würde das Fell in ihr Schlafzimmer nehmen . . .

2

Die Opfer, zu denen eine Frau fähig ist, um vor dem Mann zu verbergen, daß sie ihn ohne Liebe geheiratet hat, sind groß. Sie werden nur übertroffen von den Opfern, die sie bringt, um ihn nicht spüren zu lassen, wie tief er unter ihr steht.

Sie lernt seine Sprache sprechen; sie teilt seine Vergnügungen; sie erträgt die Menschen, die seine Freunde sind.

Sie verleugnet sich für ihn. Sie geht durch alle Phasen der Selbstaufgabe. Nur für ein Opfer fehlt ihr die Kraft: sich in gewisse Nebensächlichkeiten seiner Lebensgewohnheiten zu schicken.

Das Benehmen Lauras ließ darauf schließen, daß die Ehe sie nicht vor derartige Probleme gestellt hatte. Der Sinn für Opfer fehlte ihr vollkommen. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, auch nur das geringfügigste Zugeständnis zu machen. Seit sieben Jahren war sie verheiratet, und seit sieben Jahren weigerte sie sich zum Beispiel, sich an den Mann zu gewöhnen, der auf Schritt und Tritt um Ceno war.

Er wartete mit dem Cadillac am Flughafen. Ihren Seidenmantel in den Händen, stand er neben dem offenen Schlag.

»Mir ist nicht kühl«, sagte Laura. »Ich nehme ihn so. Danke, Valentino.«

Er wurde so genannt, weil er, dunkel und hochpoliert, an den Filmstar erinnerte. Laura wußte, daß er unter der taillierten Jacke des dunkelblauen Tuchanzugs an einem Schulterriemen eine Waffe trug. Sie wußte, daß die Nase mit dem schmalen Rücken das Werk eines kosmetischen Chirurgen war.

Valentino legte die Polarfuchsdecke in den Fond des Cadillac. Er hielt den Schlag auf.

»Ich brauche Sie nicht«, sagte Laura. »Fahren Sie nach Hause.« Sie wandte sich ab und ging zu dem roten Alfa Romeo mit dem offenen Verdeck.

Ivanka saß hinter dem Steuer. Laura berührte Ivankas Arm, der auf dem heruntergekurbelten Fenster lag. Ein schwarzer Chiffonschal hielt das rötlichbraune Haar aus der Stirn. Der Schläfenknochen zeichnete sich ab. Wozu brauchte Ivanka eigentlich Make-up bei diesem starren Visier aus Arroganz und Melancholie? Es paßte zu ihr. Schade, daß sie es wußte. Ob ihr Gesicht auch im Schlaf so blieb? Nachts in dem Gipsbett, in dem sie seit dem Sturz vom Pferd liegen mußte, ihr schlanker, sehniger Jünglingskörper in dem weißen, harten Gips.

Laura spürte auf Ivankas Arm die kleinen Haare, die sich aufstellten. Nicht immer kam diese Reaktion so schnell. »Habe ich dich lange warten lassen?« fragte Laura. Sie stieg zu Ivanka in den Wagen. Sie zog den hochgerutschten Rock nicht über die Schenkel. Laura mochte ihre eigene Haut, die Honigfarbe, die seidige Textur, den unsichtbaren Flaum. Sie mochte ihren Körper, sie kannte ihn in allen seinen Reaktionen. Sie wußte, daß es nichts ganz Neues mehr für sie geben würde, daß sie mit dreiunddreißig Jahren alles erfahren hatte und daß die Jahre, die vor ihr lagen, nur noch Variationen bringen würden. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn sie Ceno nicht geliebt hätte. Vielleicht hätte sie dann Neugier auf das Spiel mit Ivanka empfunden.

Ivanka war die Frau des Fürsten Frevelli. Sie hatte Giulio noch während der Olympiade von Rom geheiratet, an der sie mit der polnischen Reiterequipe teilgenommen hatte. Für den Textilkönig war diese Frau, die an ihm als Mann so wenig interessiert war wie er an ihr als Frau, das Ideal, das er schon nicht mehr zu finden gehofft hatte. Sie lebten in einer Harmonie, wie sie nur in Ehen, die keine sind, möglich ist.

Die Öffentlichkeit hielt Laura und Ivanka für Freundinnen, aber das waren sie nicht. Am Anfang war es bei Laura Neugier gewesen, wie lange diese Leidenschaft, die Ivanka ihr entgegenbrachte und die sie ignorierte, andauern würde. Seit langem empfand Laura nur noch Langeweile. Gefühle, die aus so zähem Stoff gemacht waren, interessierten sie nicht. Dieser tödliche Ernst, damit verdarb Ivanka alles. Wenn das dabei war, würde es nichts Neues sein. Den Geschmack der Leidenschaft kannte Laura.

Ivanka knickte die kaum angerauchte Zigarette mit zwei Fingern in der Mitte ab und warf sie aus dem Wagen. Dieses Brechen noch glimmender Zigaretten war eine ihrer typischen Gesten. Heute war Ivanka nervöser als sonst, so nervös, daß Laura sie fast mochte.

Bei Menschen, die unglücklich waren, wußte man wenigstens mit Sicherheit, daß sie lebten. Ihre Nähe wirkte belebend wie ein Nadelstich bei einer Anprobe, bei der man vor Langeweile umzukommen glaubte. Laura versuchte jedesmal durch überraschende Bewegungen etwas nachzuhelfen, aber zu mehr als einer kleinen blutenden Wunde an der Innenseite des Unterarms hatte sie es nie gebracht.

Vielleicht bestand Ivankas Unglück nur darin, daß niemand ihr Schmerzen zufügte. Vielleicht würden Schmerzen sie von ihren Problemen erlösen? Vielleicht fehlte nur dieser Schmerz in ihrem Leben? War es nicht Freundespflicht, ihr eine angemessene Dosis davon zu verschaffen? Vielleicht wäre es für beide Teile lohnend, sich etwas einfallen zu lassen.

»Bist du den ganzen Tag in der Sonne gelegen?« sagte Laura mit sanfter Stimme.

»Es ist Make-up.«

»Welcher Blinde hat es gemacht?«

»Ghirla. Von der Scala.«

»Du hast zu helle Augen dafür. Blaß steht dir besser. Kein Rouge. Lippen orange.«

»Orange ist passé. Außerdem hatte ich immer das Gefühl, es gefällt dir nicht.«

Laura lachte. »Die Wildseide steht dir.« Sie griff in die Knopfpasse von Ivankas Hemdblusenkleid, nahm sie zwischen die Fingerspitzen, wie man einen Stoff prüft. Aber das war nicht Lauras Absicht. Wie gut man mit den Fingerknöcheln sehen konnte. Die Rippen, der Büstenhalter aus Seidenbroché. Keine Verstärkung in den Schalen. Der Rand des Stützkorsetts.

Jetzt senkten sich Ivankas Lider, einen Moment flatterten sie. Die geraden Schultern wurden schwer, der Rücken sank in die Lederpolster.

Laura war zufrieden. Sie nahm die Hand weg. »Tabak, Mauve, Sand, das sind Farben für dich«, sagte sie.

»Ich wußte nicht, daß du überhaupt bemerkst, was ich trage.«

»Ich weiß sogar, daß du deine Unterwäsche eigens einfärben läßt. Saharafarben. Ich war schon in Versuchung, dich zu kopieren.« Laura beobachtete Ivanka, die rechte Hand, die immer auf dem Knüppel der Gangschaltung lag und nur in den Kurven zum Steuer griff. »Was tust du eigentlich den ganzen Tag?« fragte Laura. »Vermißt du das Reiten sehr?«

»Ich tue nichts. Ich warte auf etwas, das nie geschehen wird. Ich schaue mir bei diesem Warten zu, das mich alt macht – und das dich unterhält.«

»Wie heißt das langweilige Melodrama, das du da zitiert hast?«

»Du findest alles langweilig.«

»So ziemlich. Aber ich klage nicht. Ich werde mir etwas einfallen lassen dagegen. Etwas, das sogar Ceno überraschen wird.«

»Dann ist er also ein Teil deiner Langeweile. Ich wußte, daß es so kommen würde. Aber Ceno hat Glück. Ich hatte erwartet, daß du an dem Tag, an dem du aufhörst, ihn zu lieben, beginnen würdest, ihn zu hassen.«

Laura lächelte. »Ich bilde mir nicht ein, dich zu kennen, Ivanka, und es wäre gut, wenn du dir nicht einbilden würdest, mich zu kennen.«