Layla - Heldin auf vier Pfoten - Uwe Krauser - E-Book

Layla - Heldin auf vier Pfoten E-Book

Uwe Krauser

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Beschreibung

Vom Autor des tierischen Überraschungserfolges Phoebe - Eine Straßenhündin checkt ein Erlebe eine lustige, herzzerreißende und spannende Zeitreise mit Streunerin Layla, die das Leben ihrer neuen Familie für immer verändert. Zusammen mit der aufgeweckten Erzählerin Phoebe geht sie durch dick und dünn. Sie lernt, dass auch Menschen eine gute Portion Dosenfutter durchaus zu schätzen wissen und Chihuahuas nicht unbedingt für den Polizeidienst geeignet sind. Auf ihrem steinigen Weg erfahren Hunde wie Menschen, dass wahre Freundschaft Berge versetzen kann. Gewinner der Silbermedaille bei der Wahl zum "Roman des Jahres 2020" auf Lovelybooks, sowie "Buch des Monats 07/20" bei Kindofbooks. Dieses Buch müssen Sie lesen (Rolling Bone, 04/20) Laylas Geschichte schenkt uns allen Hoffnung und macht so viel Spaß (Der Striegel, 02/20

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LAYLA

HELDIN AUF VIER PFOTEN

Uwe Krauser

Der Autor

Uwe Krauser wurde 1971 in der Nähe von Köln geboren und betreibt mit seinem Mann Oliver seit 14 Jahren ein kleines, mehrfach ausgezeichnetes Hotel in den Untiefen des Bayerischen Waldes:

www.montarasuites.de

Der gelernte Erzieher lebte viele Jahre in Spanien, hat seine Heimat jedoch im beschaulichen Ferienort Bodenmais gefunden, wo er die Liebe zur Natur entdeckte.

Er hat mit Phoebe und Layla zwei Straßenhunde aus dem Ausland adoptiert, die ihn zu seinen beiden Romanen „Phoebe - Eine Straßenhündin checkt ein“ und „Layla – Heldin auf vier Pfoten“ inspiriert haben.

Es ist vollbracht!

Ihr haltet die Geschichte der wundervollen Layla in den Händen und ich hoffe sehr, dass ich euch für ein paar Stunden in unsere kleine, verrückte Welt entführen kann. Bevor ihr loslegt, solltet ihr Folgendes wissen:

Ihr dürft nicht alles, was ich geschrieben habe, zu 100% ernst nehmen. Einige Geschichten sind tatsächlich passiert, einige andere wiederum sind, genau wie viele der Charaktere, in meinem Kopf entstanden.

Ich überlasse es eurer Fantasie zu entscheiden, was tatsächlich geschehen ist ...

Für Oliver, Phoebe und Layla!

Was wäre mein Leben nur ohne euch?

Prolog

Es ist ein Tag wie jeder andere in der pulsierenden Großstadt Istanbul.

Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Unzählige Menschen eilen gestresst durch den überfüllten Busbahnhof, auf dem ihnen ein Gemisch aus Ruß und Abgasen das Atmen erschwert.

In einer zugigen Ecke, in der Unrat den Boden bedeckt, liegt eine abgemagerte Hündin. Ihr Blick, der bereits so viele grausame Dinge gesehen hat, ist leer und hoffnungslos. Fast scheint es, als wäre das Tier mit dem verfilzten Fell schon gar nicht mehr auf dieser Welt.

Als ein großer Mann, der einen buschigen Bart im Gesicht trägt, an ihr vorübereilt, zuckt die Hündin panisch zusammen. Sie verkriecht sich unter einem rostigen, ausrangierten Kofferwagen, der zu ihrem letzten Zufluchtsort geworden ist. Erst nachdem der Mann nicht mehr zu sehen ist, entspannt sich ihr Körper und der leere Blick kehrt zurück in ihre dunklen Augen.

Die unterschiedlichsten Menschen laufen vorbei und scheinen die Hündin mit dem schmutzigen Fell nicht zu bemerken ... oder einfach nicht bemerken zu wollen.

Ein schwarzer Bus hält nicht weit entfernt am Straßenrand, dem eine Gruppe müde aussehender Frauen entsteigt. Fast sieht es so aus, als würden auch sie einfach an dem Kofferwagen vorbeigehen, doch bleibt der Blick einer zierlichen Frau an der verängstigten Hündin haften. Sie stellt eine Plastiktasche zu Boden, macht ein paar vorsichtige Schritte in ihre Richtung, um dann mit ruhiger Stimme auf das zitternde Tier einzureden. Kaum angekommen, bückt sich die Frau und reißt entsetzt ihre Augen auf, als sie die vielen blutigen Wunden auf dem ausgemergelten Hundekörper entdeckt.

Für einen Moment mustern sich die beiden voller Angst, bis Layla entkräftet zusammensackt und das Bewusstsein verliert ...

VIELE MONATE SPÄTER …

Wo ist Layla

»Das darf doch nicht wahr sein! Das darf doch einfach nicht wahr sein!«

Ich öffne meine Augen und höre die aufgebrachte Stimme von meinem Herrchen. Eben noch war ich im Traum bei meinem Lieblingsmetzger und habe mir den Bauch mit den herrlichsten Schweinereien vollgestopft, doch bin ich nun hellwach.

Mit einem Satz springe ich aus dem Bett und laufe eilig in den Garten, wo meine beiden Menschen aufgebracht diskutieren. Regenwasser läuft in Strömen an ihnen herab, ein Donnern lässt mich kurz zusammenzucken.

»Wie konnte das denn nur passieren?« Oliver, mein Zweitherrchen, wedelt mit den Händen in der Luft herum, seine Stimme überschlägt sich fast.

»Das weiß ich doch auch nicht. Ich habe Layla nur kurz zum Pinkeln rausgelassen. Woher soll ich denn wissen, dass unser Garten nicht ausbruchsicher ist?«

»Ausbruchsicher? Du dachtest der Garten ist ausbruchsicher? Uwe, hast du denn tatsächlich vergessen, wie oft Phoebe schon ausgebüchst ist, um irgendwelchen Katzen hinterherzujagen?«

»Ja, aber Layla ist doch viel größer – da habe ich gedacht, dass …«, mein Herrchen schaut verlegen auf den Boden und wischt sich einen Schwall Wasser aus dem Gesicht.

»Da hast du wohl falsch gedacht! Verdammter Mist, verdammter! Los, zieh dir was über, wir müssen sie suchen!«

Aufgeregt springe ich zu meinem Herrchen und beginne zu bellen.

»Phoebe, Kleines! Ich habe jetzt wirklich keine Zeit mit dir zu spielen. Komm zurück ins Haus!«

Verwirrt bleibe ich stehen und frage mich, warum ich bei der Suche nicht mithelfen darf. Ohne mich werden die beiden Layla ganz bestimmt nicht finden – meine Hundenase ist eindeutig am besten für so etwas geeignet.

Bevor mich mein Herrchen am Halsband erwischen kann, renne ich zum Gartenzaun und quetsche mich durch ein kleines Loch, welches ich in den letzten Wochen schon das ein oder andere Mal benutzt habe, um die Gegend ein wenig zu erkunden.

»Ja spinnt Phoebe denn jetzt auch noch? Wo will das Biest denn hin?« Oliver tritt gegen eine Gießkanne, die am Boden steht und daraufhin im hohen Bogen durch den Garten fliegt, während Uwe hektisch nach der Leine greift und hinter mir herstürzt … doch da bin ich schon längst entwischt.

Ich versuche Laylas Spur aufzunehmen, was bei dem vielen Regen gar nicht so einfach ist, immer wieder versinke ich mit den Pfoten in der matschigen Erde. Ich höre die leiser werdenden Rufe und Schreie meiner beiden Menschen, doch kann ich darauf keine Rücksicht nehmen und laufe noch tiefer in den dichten Wald hinein. An einem Baumstumpf, schon ein ganzes Stück von unserem Garten entfernt, werde ich endlich fündig und nehme einen mir bekannten Duft wahr. Nervös schnüffle ich über den Boden und bin mir ziemlich sicher, dass ich auf der richtigen Spur bin. Meine Nase beginnt immer heftiger zu kribbeln, meine Pfoten tragen mich schneller und schneller auf meinem Weg voran.

Der verschlungene Pfad führt mich vorbei an einem schmalen Bach, der normalerweise fröhlich vor sich hinplätschert, heute jedoch mit einem lauten Tosen durch den Wald rauscht.

Mutig nehme ich Anlauf und lande mit einem Satz auf der anderen Seite des wilden Gewässers, um meine Suche fortzusetzen.

Immer wieder fahre ich mit der Nase über den nassen Boden, um die Fährte nicht zu verlieren, bis ich auf eine kleine Höhle stoße, deren Eingang sich gut getarnt zwischen zwei Felsen befindet. Ich bleibe stehen und bin ganz still, versuche trotz tosendem Unwetter irgendwelche mir vertrauten Geräusche wahrzunehmen. Langsam und mit eingezogenem Schwanz stecke ich meinen Kopf in den Eingang der Höhle und weiß mit einem Mal, dass ich an meinem Ziel angekommen bin.

Ich entdecke Layla, die sich ein Loch in die Erde gegraben hat, in das sie sich nun hineinzwängt. Sie zittert unkontrolliert und blickt mich aus großen, ängstlichen Augen an.

Vorsichtig schleiche ich zu ihr und lege mich ganz nah an ihre Seite, woraufhin ein leises Wimmern aus ihrer Kehle entweicht. Ich drücke mich noch etwas fester an ihren Körper und zu meiner Erleichterung wird ihr Zittern schon bald etwas schwächer.

»Layla, was ist passiert? Warum bist du denn nur weggelaufen?«

Statt zu antworten, beginnt Layla erneut mit den Pfoten in der Erde zu buddeln. Ihr Blick wandert panisch hin und her, als ein lauter Donner zu hören ist.

»Es ist ja alles gut! Ich bin jetzt bei dir und passe auf dich auf.« Ganz vorsichtig berühre ich mit meiner Nase Laylas Kopf und hoffe, dass dieses schreckliche Unwetter, das ihr solche Angst bereitet, bald vorbei ist.

Seite an Seite liegen wir in der Höhle und während der Regen unaufhörlich weiterfällt, gebe ich mich meinen Gedanken hin …

Vor etwa einem Jahr haben mich meine beiden Menschen aus dem kroatischen Tierheim, in dem ich aufgewachsen bin, befreit und mit in ihr wunderschönes Zuhause genommen.

Mit der Zeit haben wir uns gut aneinander gewöhnt und ich könnte mir wirklich keinen besseren Platz für mein Hundeleben vorstellen.

Irgendwann hat mein Herrchen Uwe beschlossen, einen zweiten Hund zu uns zu holen, dessen Foto er bei unserem Tierarzt entdeckt hat. Zuerst hat mich diese Idee nicht sonderlich begeistert, denn ich wollte weder meinen Platz, noch meine Menschen mit irgendwem teilen, bis … nun ja, bis ich das erste Mal in Laylas traurige Augen geblickt habe. Ich wusste vom ersten Moment an, dass sie zu mir und zu meinen beiden Herrchen gehört und hoffe sehr, dass sie dies eines Tages auch spüren wird.

Ich richte meine Ohren auf, zum Glück scheint es draußen nun endlich ruhiger geworden zu sein.

Es hat schon seit einiger Zeit nicht mehr gedonnert und auch der Regen ist wohl endgültig weitergezogen. Layla liegt ganz still neben mir, lediglich ihr angestrengtes Hecheln verrät mir, dass sie sich noch immer unwohl fühlt.

»Wir sollten uns langsam auf den Rückweg machen, unsere beiden Menschen werden sicherlich schon stinksauer sein, weil wir abgehauen sind.« Langsam stehe ich auf und schaue Layla auffordernd an, die daraufhin aus ihrem gegrabenen Loch hinaussteigt. Feuchte Erde und ein paar vermoderte Blätter kleben an ihrem Fell, doch scheint sie dies gar nicht zu bemerken.

Bevor wir die Höhle verlassen, bleibt Layla neben mir stehen. Sie blickt zu Boden und sieht in diesem Moment unendlich traurig aus.

»Es ist dieses Donnern, dieses schreckliche Donnern! Es erinnert mich an … an so vieles, das ich in meinem alten Zuhause erlebt habe.« Layla schleicht mit eingezogenem Schwanz aus der Höhle. In diesem Moment weiß ich tief in mir, dass ich heute nichts mehr von dem erfahren werde, was in der Zeit, bevor Layla zu uns gefunden hat, mit ihr geschehen ist.

Seite an Seite machen wir uns auf den Heimweg und ich bin wirklich froh, dass Layla in diesem Moment nicht alleine durch den finsteren Wald irren muss.

Wir haben unser Haus noch nicht ganz erreicht, als ich Uwes ärgerliche Stimme laut und deutlich hören kann.

»Ich schwöre dir, wenn die zwei hier auftauchen … ich bringe alle beide sofort ins Heim zurück, das kannst du mir wirklich glauben. Die elenden Mistviecher, die elenden!«

Nacheinander quetschen wir uns durch das Loch im Zaun und schleichen mit gesenktem Kopf und hängenden Ohren auf mein Herrchen zu. Ich rechne schon mit einem ordentlichen Donnerwetter, doch als Uwe uns erblickt, schießen ihm Tränen in die Augen. Er kommt mit großen Schritten auf uns zu und bückt sich zur Erde, um mich ganz fest an sich zu drücken und vorsichtig über Laylas Fell zu streicheln.

»Da seid ihr ja wieder! Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht! Oliver, komm schnell raus! Layla und Phoebe sind wieder da.«

Nachdem sich die Wogen geglättet haben, sitze ich später am Abend zufrieden neben meinen beiden Herrchen auf dem Sofa. Während ich mich streicheln und hinter den Ohren kraulen lasse, hat sich Layla auf ihren Stammplatz unter dem Esstisch zurückgezogen. Ich weiß nicht genau, warum sie sich ständig dorthin verkriecht, doch denke ich, dass sie einfach noch ein wenig Zeit braucht, um sich hier bei uns in Sicherheit zu wissen.

Ich schaue zum Tisch, höre Laylas Atem, der gleichmäßig an meine Ohren dringt und frage mich, was wohl der Grund für ihre große Angst sein mag. Nachdenklich rolle ich mich zusammen und falle kurz darauf auch schon in einen unruhigen Schlaf.

Anna for President

Der nächste Morgen bricht an und ich liege schon wieder völlig alleine auf meinem Platz im Menschenbett. Ich öffne verschlafen die Augen und blicke aus dem Fenster – zum Glück hat der Regen aufgehört und es kämpfen sich sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die graue Wolkendecke. Ruhige Stimmen und das Blubbern der Kaffeemaschine sind aus der Küche zu hören, wo ich meine beiden Herrchen vermute.

Nachdem ich mich zuerst einmal ordentlich gereckt und gestreckt habe, laufe ich los, um die beiden zu begrüßen. Auf dem Weg zur Küche mache ich im Esszimmer halt, wo Layla ihren Platz in der hintersten Ecke unter dem großen Tisch bereits eingenommen hat. Langsam robbe ich über den Boden und schlecke ihr über die feuchte Hundenase, wofür ich mit einem leisen Brummen belohnt werde.

Als nächstes kontrolliere ich noch schnell meinen Futternapf, der leider noch nicht aufgefüllt ist, um mich dann schwanzwedelnd vor mein Herrchen zu setzen.

»Guten Morgen, du kleine Ausreißerin!« Uwe klatscht mit der Hand auf seine Beine, was für mich das Zeichen ist, auf seinen Schoß zu springen, wo ich nun meine morgendlichen Streicheleinheiten erhalte.

»Kleine Ausreißerin? Das hörte sich aber gestern noch ganz anders an!« Oliver steht auf und schüttet Kaffee in zwei Tassen. Er stellt eine davon mit einem Lächeln vor meinem Herrchen ab. »Wolltest du die elenden Mistviecher nicht umgehend zurück ins Tierheim bringen, oder habe ich mich da etwa verhört?«

»Ach Oliver, du weißt doch, dass ich das nicht so gemeint habe. Ich sage solche Dinge halt, wenn ich mich aufrege.«

Beruhigt hüpfe ich wieder zurück auf den Boden und lege mich in meinen Lieblingskorb, von dem aus ich sowohl meine Herrchen, als auch die Futternäpfe gut überwachen kann. Ich schließe meine Augen, doch meine Hundeohren sind hellwach, damit mir nichts entgeht.

»Trotzdem weiß ich nicht, was wir mit dem armen Tier machen sollen. Layla ist doch jetzt schon seit mehr als drei Monaten bei uns, aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass wir auch nur ansatzweise an sie herankommen.«

»Wir müssen Geduld haben, Uwe. Wer weiß, was ihr in der Vergangenheit widerfahren ist.«

»Du weißt aber schon, dass Geduld nicht unbedingt mein zweiter Vorname ist, oder?«

»Oh ja, das weiß ich leider nur zu gut! Aber glaube mir, mit der Zeit wird sich Layla uns gegenüber öffnen und bis dahin ist unsere kleine Phoebe ja auch noch da. Sie scheint ein Händchen, ich meine natürlich ein Pfötchen, für unser Sorgenkind zu haben.« Oliver wirft einen liebevollen Blick in meine Richtung, bevor er weiterspricht. »Um wieviel Uhr wollte Anna eigentlich hier sein? Das war doch heute, oder?«

Uwe schaut auf die Uhr und springt hektisch auf. »Ach du Scheiße! Die habe ich ja völlig vergessen. Und hier sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Stellst du schnell das Geschirr in die Spülmaschine, dann kann ich währenddessen noch ein bisschen aufräumen?!«

»Wird gemacht, Chef! Aber so schlimm sieht es doch gar nicht aus.« Oliver steht auf und fegt ein paar Krümel vom Tisch, was ihm einen ziemlich grimmigen Blick meines Herrchens einbringt.

»Für dich vielleicht nicht, aber du kennst doch Anna und ihren übertriebenen Hang zur Ordnung.«

»Ich kenne vor allem ihre übertriebene Vorliebe für Klatsch und Tratsch jeder Art.« Oliver stellt ein paar Teller in die Spülmaschine, bevor er nach seiner Tasse greift.

»Beschwert hast du dich bis jetzt aber noch nie, immer als erster mit den aktuellsten Neuigkeiten aus unserem Ort versorgt zu werden.«

»Auch wieder wahr. Sie ist schon nicht verkehrt, unsere Anna, und ich liebe ihre Klatschgeschichten sehr, obwohl ihre Recherche teilweise etwas zu wünschen übriglässt.« Oliver kickt mit der Hüfte gegen die Spülmaschine, die sich scheppernd schließt. »So, das wäre geschafft, was ist noch zu tun?«

Mein Herrchen zuckt beim Geräusch der klirrenden Teller und Tassen zusammen, er deutet mit dem Kopf zur Treppe. »Weißt du, ich schaffe den Rest hier schon alleine. Geh ruhig schon mal hoch ins Bad.«  

Während Uwe nun mit einem Lappen über Tisch und Stühle wischt, frage ich mich, was Oliver wohl mit diesen Klatschgeschichten gemeint hat. Ich habe das Wort schon oft von ihm gehört, doch weiß ich bis heute nicht, was das genau bedeuten soll. Bevor ich jedoch meinen Kopf zu sehr anstrenge, freue ich mich lieber auf Anna, die ich wirklich ganz besonders gerne mag. Ich hoffe sie bringt Hector mit, denn der ist mein allerbester Freund.

Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, war ich nicht sonderlich angetan, denn Hector ist der dickste Mops, den ich in meinem ganzen Leben jemals gesehen habe.

Mein Herrchen sagt immer, dass Anna seine Ernährung nicht ordentlich in den Griff bekommt und er deshalb kugelrund ist. Ich glaube jedoch, dass er einfach nur einen sehr gesunden Appetit hat. Mittlerweile stört mich sein dicker Bauch überhaupt nicht mehr und ich bin heilfroh, einen so wundervollen Freund zu haben.

Das Klingen der Türglocke reißt mich aus meinen Gedanken. Obwohl ich nicht genau weiß warum, springe ich aus meinem Korb und beginne sofort aufgeregt zu bellen, so als müsste ich eine Wildschweinfamilie vertreiben, die sich in unseren Garten verirrt hat. Uwe läuft kopfschüttelnd durch den Hausflur und wirft mir einen genervten Blick zu. »Das ist doch echt nicht normal, was dieses Luder immer abzieht, wenn es klingelt.«

Kurz halte ich inne und überlege, was er damit wohl meinen könnte, als der Drang mich erneut überkommt und ich noch lauter kläffe … nur zur Sicherheit! Aus dem Augenwinkel sehe ich Layla, die von ihrem Platz aus den Hals lang macht und vorsichtig in unsere Richtung blickt.

Kaum ist die Türe geöffnet, quetscht sich auch schon Hector in den Flur, um mich schnaufend zu begrüßen. Gemeinsam laufen wir ins Haus und versuchen dabei, uns gegenseitig den Weg abzuschneiden.

»Schau dir nur die beiden an – mir geht wirklich jedes Mal das Herz auf, wenn …«

»Jaja, mir auch!«, wird mein Herrchen jäh von Anna unterbrochen, die mit großen Schritten in die Küche eilt und sich auf einen Stuhl fallen lässt. »Schnell, setz dich zu mir! Ich habe etwas Sensationelles zu verkünden. Wo ist Oliver? Ich bin sicher, dass er diese Neuigkeit nicht verpassen will.«

»OLIVER! Anna ist hier, kommst du bitte in die Küche!«

Just in diesem Moment biegt dieser auch schon um die Ecke und begrüßt seine Freundin mit einem Kuss auf die Wange.

»Anna, Liebes! Toll siehst du aus! Sind die Schuhe neu?«

»Oliver, hör auf Süßholz zu raspeln und setz dich her! Nein, halt! Vielleicht machst du mir gerade schnell einen Kaffee, wo du ohnehin noch stehst. Aber nicht dieses Schulmädchengebräu, das ihr immer trinkt. Ich brauche jetzt etwas Starkes für meine Nerven. Ihr glaubt ja nicht, wie gespannt ich auf eure Gesichter bin. Nein, ich bin ja so aufgeregt!«

»Den Kaffee gibt es später, jetzt will ich zuerst einmal wissen, was du uns unbedingt erzählen musst.« Oliver setzt sich an den Tisch und blickt gespannt zu der blonden Menschenfrau.

»Alsooooo ...!« Anna macht eine kurze Pause und nimmt einen tiefen Atemzug, bevor sie weiterspricht. »Ich habe nach langen Überlegungen entschieden, dass ich in diesem Jahr für den Gemeinderat kandidieren werde! Was sagt ihr jetzt?«

Während Uwes Augen immer größer werden, beginnt Oliver wild zu husten – er hat sich wohl an dem Wasser verschluckt, das er gerade getrunken hat.

Einen Moment lang sagt niemand etwas, bis Uwe als erster die Sprache wiederfindet! »Ja, Anna, ähm … das ist jetzt wirklich eine Überraschung! Wie kommst du denn darauf? Und was sagt dein Josef dazu? Ich meine, du hast ihm schon davon erzählt, oder?«

»Ach, der Josef! Hört mir bloß auf mit dem!« Anna schlägt die Beine übereinander. »Er behauptet doch tatsächlich, dass ich für diesen Job überhaupt nicht geeignet bin. Er denkt, ich sei unterqualifiziert. Könnt ihr euch das vorstellen? Mein eigener Mann sagt mir so etwas mitten ins Gesicht!«

Uwe steht auf und schaltet die Kaffeemaschine an. »Nun, ein wenig überrascht bin ich schon auch, muss ich gestehen. Ich wusste gar nicht, dass du dich so sehr für die Politik in unserem Ort interessierst.«

»Politik? Ach, darum geht es doch hier gar nicht. Könnt ihr euch denn überhaupt nicht vorstellen, was so ein Gemeinderat alles mitbekommt? Ich werde in Zukunft immer an der Quelle sitzen, wenn es irgendeinen Skandal gibt oder sonst etwas Interessantes bei uns passiert.« Bei den letzten Worten hat ein fiebriger Glanz Annas Augen erobert, sie fährt begeistert fort. »Und stellt euch nur vor! Meine Chancen stehen gut, sie stehen sogar verdammt gut. In diesem Jahr gibt es nur 25 Kandidaten und einige von denen stehen auf ziemlich verlorenem Posten. Könnt ihr euch vorstellen, dass irgendjemand den Fischer August, den blöden Ochsen, oder am Ende sogar die fürchterliche Lützenhuber Lotte im Gemeinderat haben möchte? Ach, ich bin ja so aufgeregt!«

»Tja, was soll ich sagen? Du bist wirklich unglaublich und immer für eine Überraschung gut!« Oliver strubbelt lachend über Annas Lockenkopf.

»Lass mich doch in Ruhe, du Stinkstiefel! Ihr werdet euch noch alle über mich wundern, verlasst euch drauf. So, und wo um Himmels willen ist jetzt mein versprochener Kaffee?« Anna hält grinsend ihre Tasse in die Höhe.

Während sich die drei Menschen nun gutgelaunt unterhalten, mache ich mich gemeinsam mit Hector auf den Weg, um Layla unter dem Tisch ein wenig Gesellschaft zu leisten. Ich drücke mich ganz fest an sie heran und kuschle mich in ihr weiches Fell. Ich weiß beim besten Willen nicht, warum Layla den ganzen Tag unter diesem Tisch liegt und sich in die hinterste Ecke quetscht. Sie verpasst so viele schöne Dinge, die wirklich Spaß machen, doch konnte ich sie bisher leider nur sehr selten von ihrem Platz weglocken.

Hector hat es sich bereits auf dem Teppich gemütlich gemacht und auch ich will gerade meine Augen schließen und ein wenig vor mich hindösen, als ich das Klimpern meiner Hundeleine höre. Sofort bin ich hellwach.

»Hector, Layla, kommt schnell mit mir! Ich glaube wir machen jetzt endlich unsere Gassirunde.« Ich springe auf und flitze zu meinem Herrchen, der unsere zwei Leinen bereits in der Hand hält. Nachdem sich Hector schwanzwedelnd zu uns gesellt hat, schleicht auch Layla vorsichtig in unsere Richtung. Mit herabhängendem Kopf schaut sie mein Herrchen aus ihren großen, dunklen Augen an. Seufzend nimmt er sie an die Leine und so machen wir uns gemeinsam mit Anna und Hector auf den Weg, um zu dem sogenannten Riederinfelsen zu wandern.

Ich mag diese Wanderung ganz besonders gerne, denn unterwegs machen wir fast immer eine Pause auf der Ochsenalm. Mein Herrchen sagt, dass dort die Stühle nicht zum Tisch und die Messer nicht zu den Gabeln passen, doch dass gerade diese Mischung die Ochsenalm zu einem ganz besonderen Ort macht. Mir sind die Stühle und Messer völlig egal, wichtig ist mir nur die köstliche Knackwurst, die ich jedes Mal von der netten Wirtin bekomme, wenn wir sie auf der Alm besuchen.

Während Anna auf mein Herrchen einredet, lasse ich mich mit Hector ein wenig zurückfallen, damit die beiden uns nicht im Blick haben, falls wir einen kleinen Abstecher in den Wald unternehmen möchten. Wir beobachten Layla, die lustlos neben meinem Herrchen herläuft, die Leine schleift dabei ohne jede Spannung über den feuchten Boden.

»Wie es aussieht, ist es immer noch nicht besser mit ihr geworden.« Hector legt seine ohnehin nicht besonders glatte Stirn in tiefe Falten.

»Leider nicht, dabei geben sich meine Herrchen so viel Mühe mit ihr. Stell dir nur vor: Erst gestern haben sie sogar versucht, sie mit einem Stück von meinem Lieblingsschinken unter dem Tisch hervorzulocken.«

»Und, hat es geklappt?« Hector schleckt sich hungrig über sein Maul.

»Wo denkst du hin? Natürlich nicht. Den Schinken hat Layla aber trotzdem bekommen ... so ein Glück möchte ich auch mal haben.«

Ganz in unsere Gedanken versunken trotten wir nebeneinander her, bis wir nach einiger Zeit die Ochsenalm erreichen, wo sich unsere Menschen fröhlich plaudernd auf eine Bank setzen, die von einigen Sonnenstrahlen erwärmt wird.

Hector lässt sich schnaufend auf den Boden plumpsen. »Na endlich! Ich habe schon gedacht, wir laufen ewig weiter. Meine Pfoten bringen mich noch um.«

Ich lege mich zu meinem Freund ins Gras und stupse ihm vergnügt mit meiner Nase in die Seite. »Das ist doch noch gar nichts. Da hättest du mal bei unserer letzten Wanderung mit meinem Herrchen dabei sein sollen. Der hat sich schon wieder so oft verlaufen, dass ich befürchtet habe, wir kommen nie zu Hause an.«

Hector schaut mich wissend an. »Du hast wirklich großes Glück mit deinem Herrchen, aber daran sollte er ganz dringend arbeiten.«

Für einen langen Moment betrachte ich den Menschen, der da vor mir am Tisch sitzt, wobei sich ein warmes Gefühl in meinem Bauch breitmacht, das mich zufrieden grummeln lässt. Ich will mich schon zusammenrollen und ein wenig ausruhen, als eine stämmige Frau die Hütte verlässt und auf uns zueilt.

»Hector schau nur, da ist Maria!« Mein Schwanz beginnt unkontrolliert hin- und herzuwedeln, als ich die Hüttenwirtin erblicke. »Ob wir unser Würstchen wohl jetzt schon bekommen?« Gespannt verfolgen wir jede Bewegung der dunkelhaarigen Frau, die sich ihren Weg durch die vielen Tische und Stühle sucht. Selbst Layla beginnt nervös mit ihren Ohren zu zucken, denn die Knackwürstchen hier auf der Ochsenalm sind wirklich der reinste Leckerbissen.

»Anna, Uwe! Schön, dass ihr da seid! Und meine drei Freunde habt ihr ja auch mitgebracht.« Maria bückt sich und krault Hector und mir liebevoll über den Rücken. Layla hat sich ein wenig zurückgezogen, beobachtet uns jedoch mit großem Interesse.

Stöhnend erhebt sich die Hüttenwirtin, dabei stützt sie sich mit einer Hand am Tisch ab. »Diese verfluchten Gelenke. Ich glaube, das Wetter schlägt schon wieder um – da sind meine Knochen zuverlässiger als jede Wettervorhersage, das kann ich euch sagen.« Maria nimmt einen Stift und einen Zettel aus einer Tasche ihres Kleides. »Was darf ich euch beiden denn bringen? Zwei Weißbier und die Speisekarte, so wie immer?«

»Das hört sich toll an. Und wenn du noch ein bisschen Wasser für die Hunde hättest?« Mein Herrchen zeigt mit der Hand unter den Tisch, wo Hector und ich immer noch gespannt mit den Schwänzen wackeln und der Hüttenwirtin hungrige Blicke zuwerfen.

»Als ob ich diese drei Engel jemals vergessen würde.« Maria zwinkert meinem Herrchen zu und macht sich auf den Weg zurück ins Haus, wo ich unsere heißgeliebten Leckerbissen vermute.

Enttäuscht lege ich mich zurück auf meinen Platz, als ich aus dem Augenwinkel einen braunen Hund erblicke, der mit seinem Menschen an der Leine genau auf unseren Tisch zueilt.

»Nein, was für ein Glück! Da ist ein freier Platz! Jean Claude, bei Fuß!« Die Frau, die sich nun an unseren Nachbartisch setzt, ist über und über mit goldenen Ketten behangen. Ihre grauen Haare sind zu einem abenteuerlichen Turm aufgebaut, der bei jedem ihrer Schritte hin- und herschwankt. Umständlich breitet sie eine glänzende Decke auf einem Stuhl aus. Der Hund, ein brauner Rehpinscher, wirft uns einen giftigen Blick zu, bevor er mit einem Ruck auf den Stuhl gehoben wird und uns von dort hochnäsig beobachtet.

»Pah, immer diese Stadthunde!« Hector verzieht seine Schnauze angewidert, während ich den Neuankömmling warnend anknurre, damit der aufgeblasene Zwerg weiß, wer zuerst hier gewesen ist!

»Huch, was ist das denn für ein Untier? Würden Sie Ihren Hund bitte da wegnehmen? Mein Jean Claude ist sehr sensibel und solche Rüpeleien nicht gewohnt.« Entrüstet schüttelt die seltsame Frau ihren Kopf und funkelt mein Herrchen böse an.

»Phoebe, hörst du wohl auf!«, werde ich halbherzig von meinem Herrchen ermahnt. »Entschuldigen Sie bitte vielmals, das hat sie wirklich noch nie gemacht.«

Während Anna versucht sich ein Lachen zu verkneifen, frage ich mich, warum mein Herrchen so etwas behauptet. Schließlich knurre ich doch ständig fremde Hunde an, jedoch ohne es wirklich böse zu meinen – sie sollen einfach nur sehen, dass ich mich wehren kann.

Während die Frau ihre Hände schützend um ihren affigen Begleiter legt, kommt Maria zurück an unseren Tisch. Kritisch mustert sie ihre neuen Gäste. »Grüß Gott! Darf ich Ihnen ...« Noch bevor sie ihren Satz beenden kann, schneidet ihr die grauhaarige Frau das Wort ab.

»Also, zuerst einmal erwarte ich, dass Sie mir umgehend einen anderen Platz zuweisen. Dieser Hund hier scheint nicht ganz harmlos zu sein.« Sie zeigt mit dem Finger in meine Richtung, was von meinem Herrchen mit einem überraschten Gesichtsausdruck quittiert wird. »Und dann hätte ich gerne ein Glas Champagner und für meinen Jean Claude etwas Mineralwasser. Am liebsten irgendetwas Italienisches. Das mag er besonders gerne.«

Maria stemmt ihre Hände in die breiten Hüften, ihre Augen werden zu kleinen Schlitzen.

Gespannt auf ihre Antwort, setze ich mich auf und spitze die Ohren, damit ich auch ja nichts verpasse. Hector rutscht auf seinem Mopshintern aufgeregt hin und her, seine Augen werden immer größer, als die Hüttenwirtin tief Luft holt und ihren Mund öffnet.

»Soso, das italienische Wasser mag der Jean Claude also am liebsten?« Sie tritt ein wenig näher an den Tisch heran. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu! Zuerst einmal hat Ihr Hund nichts auf meinen Stühlen zu suchen. Und Champagner gibt es bei mir auch nicht. Dies ist eine Almhütte und nicht irgend so ein Großstadt Schecki-Mecki Laden.« Mit einem Blick in meine Richtung fährt sie fort. »Zu guter Letzt sind diese drei Hunde hier meine ganz besonderen Lieblinge und mit Sicherheit absolut harmlos. Ich würde also vorschlagen, dass ich Ihnen ein Taxi rufe und Sie den Tisch für die nächsten Gäste freimachen ... natürlich nur, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe bereitet!«

Entrüstet springt die Angesprochene auf, hebt ihren Hund von seinem Platz und reißt die glänzende Decke hektisch an sich.

»So eine bodenlose Unverschämtheit. Sie werden noch von mir hören, das verspreche ich Ihnen! Jean Claude, komm wir gehen!«

Während sich das Fluchen und Schimpfen der grauhaarigen Frau mit den vielen goldenen Ketten immer weiter entfernt, bückt sich Maria zu uns herab.

»Das habt ihr gut gemacht, meine Engel. Die blöde Schnepfe hätte ich an eurer Stelle auch angeknurrt!« Sie greift in ihre Tasche und zu meiner großen Freude fördert sie drei köstlich duftende Würstchen zutage, die wir nun ungestört und in aller Ruhe genießen können.

Schön wie der Pitt

Am nächsten Morgen begleiten wir unsere Herrchen zu den Montara Suites, in das Hotel, in dem wir gemeinsam unser Hundefutter verdienen.

Während Oliver und Uwe die Gäste mit Frühstück versorgen und ihnen die verschiedensten Wanderungen erklären, müssen Layla und ich unseren Job als Hotelhunde verrichten.

Das heißt im Prinzip eigentlich nur, dass wir in unserem Hundekorb an der Heizung liegen und so niedlich wie möglich aussehen müssen.

Während wir also auch an diesem Morgen unserer harten Arbeit nachgehen, lasse ich meinen Blick durch den Frühstücksraum wandern.

An einem Tisch gleich neben dem Eingang sitzen Sabine und Lars, die zu unseren sogenannten Stammgästen gehören. Die beiden haben sich heute eine ganze Menge zu erzählen und ich habe den Eindruck, dass vor allem Sabine zwischendurch immer wieder vergisst Luft zu holen.

Heute hat sich Sabine in ein paar sehr enge Hosen und ein knappes T-Shirt hineingezwängt, was irgendwie seltsam aussieht, und erzählt meinem Herrchen ganz aufgeregt, was der Grund für ihre Kleidung ist.

»Uwe, ich bin ja schon so gespannt auf diesen Zumba-Kurs, den ich gleich machen werde.« Sie beißt beherzt in ein Brötchen, das ziemlich dick mit Quark und Marmelade bestrichen ist, wobei ein Teil der rot-weißen Masse auf den Fußboden tropft. Mit einem hungrigen Magengrummeln beschließe ich, mir die Stelle gut einzuprägen und später noch einmal dort vorbeizuschauen.

»Ist es denn sinnvoll, gleich nach diesem, ähm ... sagen wir einmal, ausgiebigen Frühstück dort mitzumachen? Ich kann mir vorstellen, dass so eine Zumba-Stunde nicht ganz ohne ist.« Mein Herrchen greift nach einer Serviette, um das Quark-Marmeladengemisch zu meinem Entsetzen vom Boden aufzuwischen.

»Ach was, so schlimm wird das schon nicht sein.« Erneut beißt Sabine in ihr Brot und spricht dann mit vollem Mund schmatzend weiter. »Umd auferdem habe ich im der lefzten Woche mit Nordic-Walkimg amgefamgem ...« Sie spült den Rest ihrer Mahlzeit mit einem Schluck Kaffee hinunter, bevor sie fortfährt. »Ich bin also ziemlich gut im Training.«

»Schatz, du erinnerst dich aber schon noch daran, dass du deine Stöcke nach knapp fünfzehn Minuten bei deinem Lieblingsbäcker am Eingang abgestellt hast, um dir ein Stück Erdbeertorte zu gönnen?« Lars streichelt seiner Frau über die Hand, die immer noch die Tasse festhält.

»Ach, papperlapapp! Ich bin topfit, ihr werdet es ja sehen. Und jetzt lass meine Hand los, ich muss mir noch schnell ein Nutellabrot für unterwegs schmieren.«

Mein Herrchen reicht Sabine das Glas mit der Schokoladencreme und steht dann auf. »Sorry, aber ich muss jetzt so langsam los. Viel Spaß beim Zumba – ich bin schon sehr gespannt, was du morgen zu erzählen hast.« Uwe schiebt den Stuhl zurück an den Tisch und verlässt grinsend den Frühstücksraum in Richtung Küche. Zum Glück schließt er die Türe hinter sich.

Mit einem Satz bin ich auf den Beinen und nehme Kurs auf den Tisch, an dem sich Sabine und Lars noch immer gutgelaunt unterhalten. Mit meinem allerhungrigsten Blick schmachte ich die beiden und ihre gut gefüllten Teller an. Hektisch wedelt mein Schwanz hin und her, während ich das Stück Wurst, welches auf Sabines Teller liegt, nicht aus den Augen lasse.

Mein treuherziger Blick scheint sich auszuzahlen, denn schon greift Sabine nach einem Messer, um ein Stück der duftenden Köstlichkeit für mich abzuschneiden. Langsam läuft mir das Wasser im Maul zusammen und ich kann es kaum erwarten, meine Beute zu verschlingen, als ... ja, als sich die Küchentüre öffnet und mein Herrchen Uwe zurück in den Frühstücksraum spaziert.

Mit einem letzten Blick auf mein zweites Frühstück springe ich zurück in den Hundekorb und hoffe, dass er mich dabei nicht beobachtet hat.

Ich versuche so unschuldig wie möglich auszusehen, doch leider verrät mich mein Schwanz, der noch immer hektisch hin- und herwedelt, während Layla neben mir liegt und verlegen zur Wand schaut, obwohl sie doch gar nichts angestellt hat.

»Ich denke, du solltest die Wurst lieber selber essen! Phoebe hatte heute schon ein ziemlich umfangreiches Frühstück.« Mein Herrchen zwinkert in Sabines Richtung, die entschuldigend mit den Schultern zuckt.

»Und du hast Glück, dass ich das jetzt nicht gesehen habe, du kleiner Satansbraten. Um ein Haar hättest du dich um einen schönen Spaziergang gebracht.« Mit einem Kopfschütteln durchquert Uwe den Raum und bleibt vor mir stehen. Er bückt sich zu mir und da entdecke ich auch schon die Hundeleine, die er in der Hand hält. Sogleich ist mein schlechtes Gewissen vergessen und mein Schwanz wedelt noch ein wenig schneller.

Als er Layla die Leine behutsam anlegen will, zuckt sie ängstlich zusammen und beginnt zu zittern, was Uwe mit einem traurigen Blick bemerkt. Ganz vorsichtig streichelt er über ihr struppiges Fell.

»Ist ja schon gut, Kleines. Dir tut hier niemand etwas Böses.« Seine Stimme ist sehr leise, als er weiterspricht. »Du musst jetzt keine Angst mehr haben – bei uns bist du endlich in Sicherheit.«

Nachdem sich Uwe von den Gästen verabschiedet hat und ich einen letzten sehnsüchtigen Blick auf Sabines Teller geworfen habe, verlassen wir gemeinsam das Hotel.

Zuerst führt uns der Weg ein Stück durch den benachbarten Wald, wo Layla und ich ausgiebig unseren sogenannten Geschäften nachgehen können, bis wir an eine Straße gelangen, die mir sehr bekannt vorkommt. Hier befindet sich ein Haus, in dem mein Herrchen regelmäßig die Haare auf dem Kopf geschnitten bekommt und welches den Namen ND-Friseursalon trägt. Ich freue mich stets sehr, mein Herrchen dorthin zu begleiten, denn es ist eigentlich immer etwas los, das ich beobachten kann. Außerdem gibt es jedes Mal ein besonderes Leckerchen von der lieben Vera für uns, bevor sie mein Herrchen mit der Schere bearbeitet.

Oliver bleibt lieber zu Hause, wenn wir zum Friseur gehen. Er sagt immer, dass es bei den Damen von ND zugeht wie im Hühnerstall. Ich weiß zwar nicht, was der Friseurladen mit einem Hühnerstall gemeinsam hat, aber vielleicht komme ich eines Tages noch dahinter.

Als wir das Geschäft mit den großen Fensterscheiben betreten, herrscht eine riesige Aufregung. Vera und Marina, die Friseurinnen, rennen wild schnatternd durch das Geschäft und bemerken uns überhaupt nicht.

»Verdammt nochmal, Marina! Wo hast du den Zettel denn nun schon wieder hingelegt? Ständig vertrödelst du alles.« Die sonst so entspannte Vera wühlt sich durch einen Stapel Papier, der in einer Ecke des Raumes auf einem Tisch liegt.

»Ich weiß es wirklich nicht. Eben war er doch noch da … Was machen wir denn jetzt nur? Die Chefin wird toben, wenn sie das rauskriegt.« Marina fährt sich mit der Hand durch ihre blauen Haare und schaut zur Türe, wo sie uns entdeckt.

»Hallo Uwe! Du hast einen Termin mit Vera, oder?« Sie bückt sich herab und krault mir über den Kopf, was mir sehr gut gefällt. »Entschuldige bitte das Chaos hier, aber wir haben doch dieses neue Kassensystem, das unsere liebe Chefin unbedingt haben musste. Jetzt ist die gute Frau auf einer Fortbildung und wir kriegen das Teil nicht zum Laufen.«

»Kein Problem, ich habe genug Zeit mitgebracht. Aber habt ihr denn kein Handbuch oder irgendetwas in der Art? Das kann so kompliziert doch auch wieder nicht sein.« Mein Herrchen schlendert zu der Kasse und begutachtet die große Maschine mit den vielen Knöpfen.

»Wenn du wüsstest ...« Marina steht auf und schließt sich meinem Herrchen an. »Die Gebrauchsanleitung von dem Scheißding haben wir alle nicht so ganz begriffen, deshalb hat uns der Vertreter einen Zettel mit den wichtigsten Funktionen gegeben, aber den können wir irgendwie nicht wiederfinden.«

»Weil DU ihn verschlampt hast«, kommt es aus der Ecke, in der Vera immer noch in den Papieren herumwühlt.

»Ich bringe euch schon mal zu eurem Platz, Vera kommt dann gleich zu dir, sobald sie mit der Meckerei fertig ist.« Marina verdreht die Augen und hakt sich bei meinem Herrchen unter.

Während ich mich noch ein wenig umschaue, ist Layla bereits auf unserem Stammplatz verschwunden, einem weichen Handtuch, das für uns beide in einer Ecke ausgebreitet ist.

»Sag mal, Marina! Ist die Haarfarbe neu? Vor zwei Wochen warst du doch noch blond, oder täusche ich mich?« Mein Herrchen lässt sich in den Stuhl, der vor einem großen Spiegel steht, fallen und rückt seine Brille zurecht.

»Hör bloß auf, Uwe!« Während sie weiterspricht, bindet sie meinem Herrchen eine raschelnde, schwarze Decke um den Hals, was sehr lustig aussieht. »Ich habe mir diese Haarfarben von einem neuen Vertreter aufschwatzen lassen. 50 Tuben sind in dem Karton. Leider taugt das Zeug nicht besonders viel.« Mit verträumtem Blick fährt sie mit ihrer Erzählung fort. »Aber der Kerl hatte vielleicht einen Knackarsch und so schöne blaue Augen ... da konnte ich einfach nicht Nein sagen. Glaub mir Uwe, dem hättest du auch alles abgekauft. Na ja, nun habe ich das Zeug am Hals und muss es aufbrauchen – ist ja zu schade zum Wegwerfen.«

»Hier im Geschäft könnt ihr es nicht benutzen?« Uwe dreht sich fragend um.

»Himmel, nein! Für unsere Kundinnen darf ich das nicht hernehmen. Da sind irgendwelche Zusatzstoffe drin sagt die Chefin, die sie unseren Leuten wirklich nicht auf den Kopf schmieren möchte.«

Während mein Herrchen bei den letzten Worten ganz große Augen bekommt, gesellt sich nun auch Vera zu uns, die ihre Suche scheinbar aufgegeben hat.

»Das ist völlig zwecklos! Dann müssen wir das Geld halt in eine Tupperdose legen und tippen es später ein.« Mit einem strafenden Blick in Marinas Richtung legt sie meinem Herrchen eine Hand auf die Schulter. »Und, was darf ich heute mit deinen Haaren anstellen?«

Uwe nestelt ein Foto aus der Tasche und hält es der Friseurin vor die Nase.

»Schau, die Frisur habe ich mir ausgesucht! Ich finde, dass ich ruhig mal etwas Neues ausprobieren sollte – die Konkurrenz schläft schließlich nicht.«

»Brad Pitt?« Vera schaut kritisch von dem Bild zu meinem Herrchen und wieder zurück. »Bist du sicher, dass du diese Frisur haben möchtest? Ich meine, das hier ist Brad Pitt und du ... also, wie soll ich sagen? Also, du bist halt doch ein etwas anderer Typ.«

»Was soll da schon schiefgehen? Wir versuchen das jetzt einfach mal.« Mein Herrchen nimmt der immer noch kritisch schauenden Vera das Bild aus der Hand und klemmt es gut sichtbar an den Spiegel.

»Wie du meinst. Marina, bist du so lieb und rührst mir gerade platin-, champagner- und kükenblond an? Ich habe derweil noch etwas Wichtiges mit meinen beiden Freundinnen hier zu erledigen.«

Mit einem Satz springe ich zu Layla auf das Handtuch, denn ich weiß ganz genau, wen sie mit ihren beiden Freundinnen meint.

Als Vera nun einen großen Schrank öffnet und dort etwas zu suchen scheint, werde ich immer unruhiger, befinden sich dort doch ein paar der köstlichsten Kaustangen, die ich jemals bekommen habe.

»Ach, da haben wir sie ja! Wollen wir doch mal schauen, ob ihr immer noch so auf getrocknetes Kaninchen abfahrt.« Vera bückt sich zu uns herab und hält uns die Leckereien vor die Nase. Ich schnappe mir meinen Anteil und beginne sogleich zufrieden darauf herumzukauen. Layla schaut ängstlich zur Wand, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass ihr das Wasser gerade im Maul zusammenläuft. Ganz langsam legt Vera die Kaustange vor ihre Pfoten. »Ist schon in Ordnung, Kleines. Du kannst das fressen, wann immer du soweit bist.« Während sie wieder aufsteht und zurück zu meinem Herrchen geht, beginnt Layla vorsichtig an der Stange zu schnüffeln, um sie dann zaghaft anzuknabbern.

In diesem Moment kommt Marina zurück zu uns, in ihren Händen balanciert sie drei schwarze Töpfe, die einen seltsamen Geruch verströmen.

»So, da wären wir wieder. Champagner-, platin- und kükenblond. Ich darf doch ein wenig zuschauen? Ich bin schon ziemlich gespannt, was dabei rauskommt.« Sie nimmt sich einen Stuhl und beobachtet, wie glänzendes Papier auf den Kopf meines Herrchens geklebt wird. Als das Ganze dann mit dem übelriechenden Inhalt der schwarzen Töpfe bepinselt wird, ist es mit der Ruhe vorbei.

»Kinder, ich muss euch unbedingt noch erzählen, was mein Mann schon wieder gebracht hat!« Marina reißt die Augen theatralisch auf. »Ihr wisst doch, dass er seinen Bruno, diesen dämlichen Köter, abgöttisch liebt. Manchmal glaube ich sogar, dass er lieber mit diesem Untier verheiratet wäre, als mit mir.«

»Wie das wohl kommen mag.« Vera zwinkert meinem Herrchen zu, der mit dem ganzen, nun bunten, Papier auf dem Kopf ziemlich lustig aussieht.

»Na, in jedem Fall«, Marina streicht sich eine blaue Haarsträhne hinter ihr Ohr, »hat es sich dieser riesige Hund angewöhnt, ständig seinen Schädel auf den Tisch zu legen, wenn wir dort essen. Könnt ihr euch vorstellen wie abartig das ist, dieser ganze Sabber überall zwischen den Tellern?«

»Großer Gott!« Mein Herrchen schaut angeekelt in den Spiegel. »Was sagt denn dein Mann dazu? Ich meine, es ist ja schließlich sein Hund.«

»Hör mir bloß auf! Der findet das alles gar nicht so tragisch.« Marina schüttelt den Kopf.

»Der Köter macht ja ohnehin, was er will. Null Erziehung, sage ich dir. Irgendwann ist mir dann der Kragen geplatzt und ich habe ihm die Pistole auf die Brust gesetzt.« Sie tippt mit dem Finger in der Luft herum und will gerade weitererzählen, als eine Glocke ertönt und die Türe geöffnet wird. Eine grauhaarige Frau mit verkniffenem Gesichtsausdruck betritt den Friseursalon.

»Grüß Gott miteinander. Ich habe einen Termin zur Dauerwelle.«