Leben, schreiben, atmen - Doris Dörrie - E-Book

Leben, schreiben, atmen E-Book

Doris Dörrie

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Beschreibung

Schreiben heißt für Doris Dörrie, das eigene Leben bewusst wahrzunehmen. Wirklich zu sehen, was vor unseren Augen liegt. Oder wiederzufinden, was wir verloren oder vergessen haben. Es ist Trost, Selbstvergewisserung, Anklage, Feier des Lebens. Doris Dörrie denkt in diesem einzigartigen Buch über das autobiographische Schreiben nach, gibt Tipps und kreative Anleitungen. Und sie legt gleich selbst los und erzählt hinreißend ehrlich von ihrem eigenen Leben.

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Seitenzahl: 245

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Doris Dörrie

Leben, schreiben, atmen

Eine Einladung zum Schreiben

Diogenes

Für meine Eltern und meine Schwestern

Row, row, row your boat,

Gently down the stream.

Merrily, merrily, merrily, merrily,

Life is but a dream.

Amerikanisches Kinderlied

Dieses Buch ist eine Einladung zum Schreiben über sich selbst. Wenn man schreibt, schreibt man immer über sich selbst. Das Glück des SchreibensEs ist abwechselnd wunderbar, schmerzhaft, narzisstisch, therapeutisch, herrlich, befreiend, tief‌traurig, beflügelnd, deprimierend, langweilig, belebend. Schreibend halte ich mich am Leben und überlebe. Jeden Tag wieder. Ich schreibe, um diese unglaubliche Gelegenheit, am Leben zu sein, ganz genau wahrzunehmen und zu feiern. Ich schreibe, um einen Sinn zu finden, obwohl es am Ende wahrscheinlich keinen gibt.

Wahrheit und FiktionWarum sind persönliche Geschichten erzählenswert?Wir sind alle Geschichtenerzähler. Vielleicht macht uns das zu Menschen. Vielleicht haben wir auch nur keine Ahnung, welch großartige Geschichtenerzähler Katzen oder Dromedare sind. Wir können nicht aufhören zu erzählen. In einem endlosen inneren Monolog erzählen wir uns Geschichten über uns selbst. Manche davon sind wahr, einige nur ein bisschen, andere überhaupt nicht. Wir alle sind Fiktion, aber das glauben wir nicht, weil wir uns mitten in ihr befinden wie in einem Fortsetzungsroman.

Schreibend erforsche ich die Welt. Meine Welt. Was beeindruckt mich? Was merke ich mir? Was erschüttert mich? Was erheitert mich? Was begeistert mich? Woran erinnere ich mich?

Ich habe keine Ahnung, wie man etwas schreibt, das sich verkauft. Dafür gibt es andere Bücher mit Titeln à la: Wie ich einen sauguten Roman schreibe. Wie ich ein saugutes Drehbuch schreibe. Wie ich eine saugute Serie schreibe. Ich weiß nur, dass man, wenn man Wort für Wort, Satz für Satz über die Welt schreibt, in der man sich befindet, eine Ahnung von sich selbst bekommt. Die Welt um sich herum wahrnehmenWährend wir Schritt für Schritt weitergehen, ist es wichtig, auf die Umgebung zu achten, auf den Boden unter den Füßen, auf den Himmel über uns und auf die anderen, die gleichzeitig mit uns einen Fuß vor den anderen setzen, bevor wir uns schon wieder von allem verabschieden müssen.

ErinnerungenSchreibend erinnere ich mich an mich selbst. Was ist in meinem Gehirn an Bildern und Tönen gespeichert, was für Erinnerungen an Menschen, Orte, Tiere, Gefühle? Jeder von uns ist einzigartig. Niemand hat genau die gleichen Erinnerungen an dieselbe Begebenheit. Das ist doch verrückt! Unglaublich! DetailsIch möchte es aufschreiben, bevor es wieder gelöscht wird. Jedes Detail. Alles, was ich gesehen, gehört, geschmeckt, ertastet, gerochen, gefühlt habe. Die Welt in mir als Echo und Inspiration. ›Spirare‹ – atmen. Schreiben heißt, die Welt einatmen. Nicht nur die kühle Bergluft am Morgen, auch den Smog, den Rauch, die Abgase. Das Schöne wie das Hässliche.

Seit über zwanzig Jahren unterrichte ich ›creative writing‹, was ich als Bezeichnung nicht ausstehen kann, weil ich denke, dass jedes Schreiben in einem gewissen Maß kreativ ist, selbst das Schreiben von Einkaufslisten. Wie diejenigen, die ich in Einkaufswagen finde und sammle:

 

Blumen rot

Pril groß

Erbsen tiefkühl

Q-tip

Fast schon ein Gedicht. Durch Wörter entstehen Bilder: die roten Tulpen, schon weit aufgeblüht, die tiefgrüne Flasche Pril, die kühle Packung Erbsen, an die sich die Tulpen voller Sehnsucht nach ein bisschen Frische schmiegen, die schneeweißen Q-tips.

ErinnerungenAlles ist Inspiration, alles ist Erinnerung:

Rote Blumen: Ich bin sechs oder sieben Jahre alt und male eine Tulpe, die feuerroten Blütenblätter, den gelben Stempel, die schwarzen Staubfäden. Ich versinke in der Tulpe. Es gibt nichts Schöneres als diese Tulpe. Über fünfzig Jahre später male ich immer noch Tulpen. Ich kaufe Tulpen. Ich vergöttere Tulpen. Die eine rote Tulpe, die es in meinem kleinen Garten jedes Jahr wieder schafft, zu wachsen und zu blühen, rührt mich. Jedes Jahr warte ich auf sie.

Pril groß: Mit dem Kauf jeder Flasche gibt es eine Prilblume, eine Flower-Power-Blume. Ich möchte aussehen wie Twiggy, ich habe kurze Haare und bin noch fast ein Kind, sehnlichst wünsche ich mir einen rosa Perlmutt-Lippenstift, bei Woolworth gibt es ihn von Mary Quant, auch ihn ziert eine Blume. Alles ist voller Blumen in der Zeit. Mary Quant, das weiß ich, trägt Minirock. Ich habe ein kurzes weißes Strickkleid an, und irgendwann reicht das Taschengeld für den rosa Lippenstift, ich trage ihn auf und darf nichts mehr essen, jedes Wort, das ich spreche, wird kostbar, weil es über perlrosa Lippen kommt. Ich spiele mit der Prilflasche und lasse winzig kleine Seifenblasen umherschweben.

Erbsen tiefkühl: Sie werden auf blaue Flecke gelegt, auf Prellungen, verstauchte Knöchel. Ich knicke oft um, meine Knöchel sind zu dünn, zu schwach. Ich reiße mir mehrmals die Bänder, ich stehe nicht fest auf dem Boden. Ein chinesischer Akupunkteur sagt zu mir: Zu viel Wind im Kopf.

Q-tip: Ich habe als Kind gelernt, dass man sich nicht in den Ohren herumprokeln soll, das sei gefährlich. Geschichten von durchbohrten Trommelfellen. Ein Bekannter macht mit einem Q-tip seine Herdplatten sauber. Das finde ich bedenklich. Zu viel Ordnung ist mir suspekt.

AssoziierenErinnerungenVerstehen Sie das Prinzip? Alles kann zum Schreiben inspirieren. Alles an das eigene Leben erinnern. Möchten Sie lieber gesiezt oder geduzt werden? Ich bin nicht sicher, wie ich selbst gern angeredet werden würde. Disziplin - den Schreibmuskel trainierenUnd ich habe keinen Rat, nur die Praxis des täglichen Schreibens und wilden Assoziierens. In den verzweigten Stollen der eigenen Erinnerung graben, kratzen, schürfen: Manchmal findet man ein Goldnugget. Manchmal auch nur ein altes, vergammeltes Chicken-Nugget. Ich hab mal in einem Fastfoodschuppen gearbeitet …

Einkaufen

Ich fahre mit dem Fahrrad zum Supermarkt, immer die gleiche Strecke, oft auf dem Fußgängerweg, fast habe ich die alte Frau B. angefahren, die stets bunte, sorgfältig ausgesuchte Kleider trägt, obwohl sie kaum noch laufen und atmen kann. Sie braucht fast eine Stunde zum Supermarkt, aber will sich nicht helfen lassen. Das ist mein Abenteuer, sagt sie jedes Mal, wenn ich ihr anbiete, die Einkäufe für sie zu erledigen. Mein tägliches Abenteuer. Und ich brauche Abenteuer.

Ich kaufe immer das Gleiche. Rechts liegen die Salatherzen, der Sellerie, der Fenchel. Links die Äpfel, Birnen, Beeren. Jeden Tag wieder ärgere ich mich über das viele Plastik, die Plastikschalen für die Beeren, Himbeeren, Heidelbeeren. Blaubeeren hießen sie bei uns.

Als ich klein war, pflückten wir sie mit meiner Mutter im Wald. Meine Schwestern und ich haben Eimer und Körbe dabei. Leise betreten wir ein fremdes, schönes und gleichzeitig unheimliches Land. Das Sonnenlicht fällt durch die Baumstämme auf das Moos und lässt es grün leuchten. Ich weiß, dass hier die Rehe leben. Sie schlafen auf dem Moos. Ich streichele es, stecke meine Nase hinein, es riecht modrig. Winzige Pilze wachsen zwischen den Tannennadeln. Wir wissen, dass wir sie nicht essen dürfen. Im Kindergarten geht ein Mädchen zu Fasching als Fliegenpilz mit rotem Rock und weißen Punkten. Ein Männlein steht im Walde, singen wir, ganz still und stumm. Es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um. Sagt, wer mag das Männlein sein … Ich summe vor mich hin, noch bin ich frohgemut. Die Blaubeeren hängen an rötlichen Stielen unter grün glänzenden Blättchen, die Beeren sind klein, manche schon verschrumpelt. Hände und Zungen färben sich lila vom Naschen. Wir zeigen uns gegenseitig unsere Zungen. Mein kleiner Eimer füllt sich kaum. Und wenn er gerade ein wenig voller geworden ist, werfe ich ihn aus Versehen um. Ständig wirft eine von uns ihren Eimer um und heult. Meine Mutter ist auf einmal weit entfernt, meine Schwestern überall verstreut. Sie könnten verschwinden, wir könnten uns für immer aus den Augen verlieren, mit einem Mal wäre ich ganz allein. Allein im Wald, allein auf der Welt. An dieses Gefühl werde ich mich immer erinnern und es mein Leben lang fürchten.

Am Wegesrand liegt das Skelett eines Rehs. Nur noch die Knochen. Wie vom Donner gerührt stehe ich davor. Es war mir nicht klar, dass am Ende nur die Knochen übrig bleiben. Es war mir nicht klar, dass auch in mir diese Knochen sind und dass man am Ende so aussieht. Ein Fuchs hat das Reh gerissen, wird mir gesagt. Der Fuchs, von dem wir singen, dass er die Gans gestohlen hat, der hübsche Fuchs aus meinem Bilderbuch mit dem buschigen Schwanz. Ich kann mir den Vorgang nicht erklären, den Übergang von einem lebendigen Reh zu einem Haufen Knochen. Da fehlt etwas. Das Reh, das ich noch vor meinem inneren Auge sehe, muss doch irgendwohin sein. Ich kann es nicht begreifen. Von niemandem bekomme ich eine einleuchtende Erklärung. Selbst von meinem Vater nicht, der doch alles immer weiß. Da ist etwas wie ein großes schwarzes Loch, in das man hineinfallen kann, wenn man nicht aufpasst. Die Eltern reden dann französisch oder auch lateinisch am Esstisch, und ich weiß, sie reden über das schwarze Loch.

Meine Mutter kocht die Blaubeeren zu Marmelade ein, in einem Dampfkochtopf. Er zischt und faucht, den Deckel dreht sie mit einem festen Ruck ganz fest zu, wir dürfen nicht in seine Nähe kommen. Zum Glück sind wir weit weg, als er explodiert und eine lila Fontäne an die Decke schießt. Lange ist dort ein blauer Fleck zu sehen, wie ein Stückchen Himmel.

In einem Schreibseminar in Mexiko erzähle ich davon, daraufhin berichtet ein Student von dem explodierenden Dampfkochtopf seiner Mutter, und dann erzählt eine andere Studentin und noch eine und noch eine von der »olla de presión«. Ich verstehe »Topf der Depression«, und der ganze Raum explodiert vor Gelächter. Fast jeder ist mit einem Dampfkochtopf aufgewachsen, mit einem Mal befinden sich viele explodierende Dampfkochtöpfe im Raum und Geschichten von Küchen und Müttern und Kindheit. Meine kleine deutsche Erinnerung wird eine allgemeine, internationale.

Der Dampfkochtopf des Schreibens. La olla de presión.

 

Der Schlüssel zum Schreiben ist, nicht nachzudenken, um die Inspiration nicht zu unterbrechen. Probier es aus: Schreib los. Jetzt!

Die drei RegelnDafür drei Regeln:

Ohne Pause schreibenSchreib zehn Minuten ohne Pause. Von Hand schreibenAm besten mit der Hand.

Lass dich treiben.

Nicht nachdenkenDenk nicht nach. (Wenn man zu viel nachdenkt, hört man prompt auf zu schreiben.)

Blödsinn schreibenKontrollier nicht, was du schreibst. Mach Schreibfehler, Grammatikfehler, schreib Blödsinn.

Von Hand schreibenWarum mit der Hand schreiben? Weil die Hand wir selbst sind. Ein Computer nicht. Eine Tastatur übersetzt unsere Gedanken, die Hand sind wir selbst, die direkte Verbindung von unserem Kopf in die Hand ist die Handschrift. Sie verändert sich, wenn man über etwas schreibt, was einen wirklich packt. Wird größer, freier. Zehn Minuten am Stück sind vielleicht am Anfang lang, aber machbar. Später kann man die Schreibzeit immer mehr verlängern und so lange weiterschreiben, bis man irgendwann ermattet vom Stuhl fällt.

Nicht nachdenkenWenn wir darüber nachdenken, was wir so denken, schämen wir uns schnell. Und wenn wir uns schämen, können wir schlecht schreiben. Wofür schämen wir uns? Wir schämen uns, dass wir uns anmaßen, über uns selbst zu schreiben, wir schämen uns für unser kleines Leben, für unsere Unzulänglichkeiten, unsere Lügen, unsere enttäuschten Erwartungen an das Leben und an uns selbst. Blödsinn schreibenDieser Scham entkommt man nur, indem man nicht nachdenkt, sondern weiterschreibt – und Blödsinn schreibt.

Sich selbst überraschenSchreiben ohne ErwartungenDas fällt schwer, sich selbst die Erlaubnis zu geben, Blödsinn zu schreiben, Fehler zu machen, Wörter falsch zu schreiben, nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Keinen Plan zu haben, sich treiben zu lassen. Aber mit einem Mal tauchen interessante Details auf, Erinnerungen, die verschüttet schienen, phantastische Bilder, seltsame und großartige Geschichten.

Blödsinn

Ich sitze im Bett und schreibe. Am liebsten schreibe ich gleich nach dem Aufwachen, die Zähne geputzt, einen Becher Kaffee neben mir. Der noch leicht somnambule Zustand hilft, Blödsinn zu schreiben, überhaupt zu schreiben. Wenn ich aufstehe, mich wasche und anziehe, ist es vorbei. Nur die Zähne müssen geputzt sein, mein einziges Zugeständnis an die Welt da draußen. Sie will, dass ich mir die Haare kämme, meine Bluse bügele, frische Socken trage, keinen Blödsinn rede, lächele und höf‌lich bin, rücksichtsvoll, umgänglich, sozial verträglich. Wenn ich mein ordentliches Gesicht trage, kann ich nicht mehr schreiben. Vielleicht noch Einkaufslisten, aber nicht viel mehr.

Ich sehe aus dem Fenster, der Herbststurm scheucht die Wolken vor sich her, der Kastanienbaum wirft bebend die letzten Kastanien ab. Jeden Herbst sammele ich Kastanien, kann ihrer Schönheit nicht widerstehen, stecke sie mir in die Tasche. Ich bin enttäuscht, wenn sie runzlig werden. Ich möchte, dass sie jung und glatt und hübsch bleiben, ihr dunkles Braun wie tiefgebräunte Sommerhaut. Jetzt sind alle Leute noch braungebrannt. Sie kommen aus den Ferien zurück in die Stadt und sehen so gut aus. Sie schlendern noch und lächeln. Bald sind alle wieder blass und schlechtgelaunt, auch ich. Ich mag mein Wintergesicht nicht. Sommerfüße. Meine Füße bleiben noch lange braun.

Als Kinder haben wir Kastanien in Eimern gesammelt und zur Wildfutterstelle geschleppt. Pro Eimer bekamen wir ein paar Pfennige. Der Weg war weit und die Eimer schwer. Wir fuhren mit der Straßenbahn vorbei an einem Tennisclub. Dorthin ging Gabi aus meiner Klasse. Sie war immer braungebrannt, auch im Winter, und sie wusste Dinge, die ich noch nicht wusste, das wusste ich, aber ich wusste nicht, was sie wusste. Dafür bewunderte und hasste ich sie gleichzeitig, fühlte mich dumm und kindlich neben ihr. Unablässig strich sie sich die langen Haare glatt, inspizierte die Spitzen, ohne ein einziges Wort zu sagen. Sie war eine schlechte Schülerin, zwei Mal sitzengeblieben, aber sie war uns allen überlegen, denn sie wusste so viel mehr über das Leben. Ich stellte sie mir vor in ihrem Tennisclub im weißen Röckchen, mehr konnte ich mir nicht vorstellen, denn ich hatte keine Ahnung, was in einem Tennisclub geschieht, und würde auch nie einen betreten.

Ich mag besonders die Kastanien, die auf einer Seite ganz flach sind. Oder die Babykastanien. Im Kindergarten versuche ich, Streichhölzer in Kastanien zu stecken, um Igel und Kastanienmännchen zu basteln. Dafür gibt es einen kleinen Drehbohrer, aber entweder sind die Löcher zu klein und die Streichhölzer brechen ab, oder sie sind zu groß und die Streichhölzer wackeln und halten nicht. Meine Igel und Männchen werden nichts, ich bin zu dumm, zu blöd, ich kann nichts. Aber ich rede viel und bekomme ein Pflaster über den Mund geklebt. Alle starren mich an und verstummen. Ich fühle nur noch dieses riesige Pflaster auf meinem Mund. Es wächst und wächst, ich bin nur noch Pflaster ohne Körper. Mein Freund im Kindergarten ist Deutschchinese, er macht perfekte Igel, einen nach dem anderen. Er spricht fast nie und bekommt nie ein Pflaster auf den Mund. Seine Eltern haben ein chinesisches Restaurant. Meine Eltern gehen nach dem Theaterbesuch dorthin. Die Eltern sind beim Chinesen, das klingt geheimnisvoll und großartig, als wären sie schnell mal bis nach China gefahren. Sie essen Haifischflossensuppe, die es später auch in Konservenbüchsen gibt. Nachts macht sich mein Vater ab und an eine Büchse Haifischflossensuppe auf. Fahre ich später wegen dieser Suppe auf einem Haifischfangboot bis zu den Galapagos-Inseln? Das Boot ist winzig und das Meer wild. Ich kenne ein solches Meer nicht und habe in jeder Minute Angst. Die gefangenen Haie werden lebend an der Schwanzflosse aufgehängt, damit sie so ersticken. Der Kapitän und sein Helfer braten jeden Tag Fisch und Bananen, etwas anderes gibt es nicht. Die meiste Zeit ist mir übel, ich liege in einer sehr schmalen Koje und weine still vor mich hin. Alles ist fremd, selbst der Mond liegt auf dem Rücken am Himmel. Eines Tages scheucht mich der Kapitän aus der Koje und ruft aufgeregt, ich solle mich sofort anseilen. Ich sehe Panik in seinem Blick. Er schlingt mir an Deck ein dickes Seil um den Bauch. Im nächsten Moment steigt aus dem Wasser gleich neben dem Boot ein schwarzer Berg empor. Ungläubig lege ich den Kopf in den Nacken und sehe dem Berg zu, wie er wächst und wächst, bis ich endlich verstehe: Es ist ein Wal! Ein Pottwal, der Wal meiner Kindheit, den ich tot und ausgestopft auf einem LKW auf dem Marktplatz von Hannover bestaunt habe. Über den ich Monate nicht hinwegkam, der mich nachts wach hielt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Unwillkürliche ErinnerungErinnerungenSich selbst überraschenBlödsinn schreibenBlödsinn oder nicht? Marcel Proust hat nicht anders gearbeitet, er nannte es »mémoire involontaire«, unwillkürliche Erinnerung. Alles erinnert. Wohin führt es einen? Wie tief kann man tauchen? Schreiben ist Unterwassertätigkeit. Ich wusste nicht, als ich anfing zu schreiben, dass ich beim Wal enden würde. Ich wusste kaum mehr, dass ich auf einem Haifischfangboot zu den Galapagosinseln gefahren bin. Dass ich wirklich einmal in meinem Leben einem Wal so nah gewesen bin. Gerade war er wieder da, als wäre er hier, direkt neben dem Bett, in dem ich sitze und schreibe, aufgetaucht.

AssoziierenAlso Proust nacheifern? Nur zu. Warum nicht? Es geht hier nicht darum, Verwertbares zu schreiben, ein Produkt herzustellen, das sich verkauft, oder Literaturpreise zu gewinnen, sondern darum, aufmerksam und vorurteilsfrei dem eigenen Gehirn zuzuschauen und zuzuhören. Was dort wild aufflackert, aufzuschreiben. In all seiner Banalität und Komplexität, denn das gehört zusammen. Was ist in dem riesigen Labyrinth meines Gehirns gespeichert? Welche Assoziationen schlummern dort? Wie verschlungen sind die Wege von einer zur anderen Erinnerung? Wie kann ich ihnen schreibend folgen?

Gedanken verbannen, die einen vom Schreiben abhaltenUm das zu tun, muss ich all die Gedanken, die mich davon abbringen wollen, verbannen. Das sind viele, sie sind ziemlich langweilig und immer dieselben. Ein paar Beispiele:

Ich bin zu blöd.

Ich bin zu uninspiriert.

Ich bin nicht originell genug.

Mein Leben ist nicht interessant genug.

Wen soll das schon interessieren?

Ich kann einfach nicht schreiben und konnte es noch nie.

Ich habe Angst, dass andere blöd finden, was ich schreibe.

Ich habe Angst, peinlich zu wirken.

Ich habe Angst, anderen auf die Zehen zu treten, sie zu verletzen oder zu beleidigen.

Mir fällt sowieso nichts ein.

Und was wird meine Mutter sagen, wenn sie das liest?

 

Und so weiter und so weiter. Die Liste ist endlos. Aber ich will gar nicht besonders toll, inspiriert oder originell sein, Erinnerungensondern die eigene Schatzkiste öffnen, Erinnerungen herausholen, sie ans Tageslicht bringen, abstauben und betrachten. Ohne Pause schreibenDafür ist es hilfreich, ohne Pause weiterzuschreiben und nicht am Stift zu kauen, sonst drängen sich andere Gedanken in den Vordergrund – Konsum und Kreativitätund schon bin ich auf dem Weg zum Kühlschrank, zum Telefon, ins Internet. Statt etwas hervorzubringen, stopfe ich etwas in mich hinein. Konsum füllt mich ab, aber erfüllt mich nicht. Konsum und Kreativität sind natürliche Antagonisten. Gibt es kreativen Konsum? Ich bezweif‌le es (aber falls doch, her damit! Ich liebe shoppen, um bei der Wahrheit zu bleiben). Von Hand schreibenDas Glück des SchreibensUm den Impuls zu konsumieren zu zügeln, hilft der Trick, den Stift in Bewegung zu halten, ihn übers Papier wandern zu lassen, dem Geräusch zu lauschen, das er macht, der eigenen Hand zuzusehen, wie sie schreibt – das allein ist schon eine sinnliche Erfahrung und ein ziemliches Wunder.

Schreiben und lesen

Ich konnte nicht schreiben. Alle anderen konnten es, nur ich nicht. Besonders gut konnte es die andere Doris, die neben mir saß. Sie hatte schneeweiße Haut, weiße Finger und unfassbar saubere Fingernägel. Alles an ihr war so sauber, dass ich mich immer dreckig fühlte neben ihr. Sie schrieb in wunderbarer Schönschrift in vorbildlich aufrechter Haltung in ein blütenweißes Heft. Ich dagegen war so tief über mein Heft gebeugt, dass meine Nasenspitze fast das Papier berührte und meine Patschpfoten es im Nu grau werden ließen. Ich konnte den Stift nicht locker halten, hielt ihn wie einen Dolch, stach und kratzte über das Papier, verschrieb mich bei jedem Buchstaben. Schrieb mit links, aber sollte es mit rechts versuchen. Es war nur ein Vorschlag, aber einer, den man anscheinend nicht ablehnen konnte. Links war nicht das schöne Händchen. Gib das schöne Händchen, sagten manche Mütter. Meine Mutter niemals. Meine saß geduldig neben mir und führte mir die Hand, die vor Anstrengung zitterte. Wenn ich mich verschrieb, kratzte sie mit einem Messer den Fehler sorgsam vom Papier und bügelte es dann. Trotzdem konnte man gegen das Licht die rauhe Stelle entdecken, die Tinte verlief dort faserig, jeder konnte sehen, dass ich mich verschrieben hatte. Besonders die saubere Doris. Sie sagte nie etwas, lächelte nur sanft. Ich heulte wütende Tränen, die die Tinte noch mehr verlaufen ließen. Ich wollte nie, nie schreiben lernen. Ein Heft mit Schreibfehlern hatte etwas Unerträgliches. Versaut für immer. Nicht wiedergutzumachen. Manche Buchstaben nahmen kein Ende, so oft sollte man nach oben und nach unten malen, über die Linie, auf der Linie, unter die Linie, aber nicht zu weit nach unten, nicht zu weit nach oben. Jeder Buchstabe eine zickige Person mit besonderen Ansprüchen. Vor Anstrengung keuchte ich und biss mir fast die Zunge ab. Es wollte mir einfach nicht gelingen, dieses Schreiben. Erst als ich begriff, dass Schreiben und Lesen zusammengehören, fiel der Groschen. Von einem Tag auf den anderen standen wie von Zauberhand überall an den Hauswänden Wörter, die ich verstand. Ich konnte plötzlich lesen! Und die Welt bekam einen ganz anderen Sinn. Oder den Sinn, den sie immer gehabt hatte und der mir zuvor verborgen geblieben war. Rückblickend kam ich mir sehr dumm und unwissend vor. Zum ersten Mal las ich eine Schlagzeile in der Zeitung, die jeden Morgen vor der Haustür lag, und rannte damit zu den Eltern ins Schlafzimmer, was die Eltern eigentlich nicht mochten, aber sie mussten wissen, was dort stand, denn ich begriff, dass die Welt erschrocken innehielt. Stockend las ich ihnen vor: Präsident Kennedy erschossen.

Als ich lesen konnte, fiel mir auch das Schreiben mit einem Mal leicht. Ich durf‌te in der Klasse vorlesen und die saubere Doris nicht. Ich las dicke Märchenbücher, verirrte mich im Wald, pflückte mit bloßen Händen Brennnesseln, zählte Erbsen, sprach mit meinen Brüdern, die in Schwäne verwandelt waren, fror bitterlich in einem Hemdchen im kalten Schnee und schluchzte über mein schlimmes Schicksal. Dieses Schluchzen fühlte sich wunderbar an. Es war eine Art Stellvertreterschluchzen, das mich zwar durchschüttelte, aber nicht meiner eigenen Verzweif‌lung entsprang. Die Protagonisten der Märchen nahmen mir die wirkliche Verzweif‌lung ab, das war herrlich. Das Lesen wurde meine Droge. Ich las jeden Tag. Bis heute lese ich jeden Tag. Und fast jeden zweiten Tag rannte ich in die Bücherei.

Im Wohnzimmer saßen die Eltern jeden Abend und lasen. Wenn ich nicht schlafen konnte und im Nachthemd zu ihnen ging, waren sie ganz still und in ihre Bücher vertieft. Nur widerstrebend tauchten sie daraus auf, um kurz aufzublicken und zu fragen: Na, kannst du nicht schlafen? Sie aßen Schokolade, während sie lasen, was das Lesen noch wunderbarer machte. Ihr riesiges Bücherregal erstaunte meine Mitschüler. So viele Bücher! Und jedes Buch, das dort stand, durf‌te ich lesen, denn meine Eltern vertrauten darauf, dass ich das, was nicht altersgerecht war, sowieso nicht verstehen würde.

In der dritten Klasse wurde ich für den Vorlesewettbewerb ausgewählt. Ich entschied mich für ein Bilderbuch mit dem Titel Ladislaus und Annabella und übte wie verrückt. Eine traurige Geschichte: Der Teddybär Ladislaus und die Puppe Annabella müssen am Weihnachtsabend ganz allein im Warenhaus zurückbleiben, weil sie der Weihnachtsmann anscheinend vergessen hat.

Ich gehe die kleine Holztreppe hinauf auf die Bühne. Klettere auf den Stuhl, der mir besonders hoch vorkommt. Meine Hände sind schweißnass. Vorsichtig lege ich sie rechts und links neben das Buch. Mein Herz klopft lauter als meine Stimme. Das Publikum verschwimmt zu einem dunklen Meer. Ich fange an zu lesen. Meine Stimme ist zu leise, ich drehe sie lauter wie an dem braunen Knopf unseres Radios. Wenn ich die richtigen Pausen mache, mit richtiger Betonung manche Sätze leiser, andere lauter lese, den Rhythmus des Mitfühlens finde, spüre ich die Reaktionen des Publikums körperlich. Bald weiß ich nicht mehr, wer da liest, gebannt höre ich zu, wie am Ende der Weihnachtsmann doch noch kommt, Ladislaus und Annabella einsammelt und an ein sehnsüchtig wartendes Kind verschenkt. Zum Weinen schön. Ich bekomme den ersten Preis, und selig weiß ich: Ich bin eine Rampensau.

Schreib über ein KinderbuchErinnere dich an ein Kinderbuch. An die Bilder und daran, was sie ausgelöst haben. Wo hast du das Buch gelesen? Mit wem? Schreib über ein Möbelstück aus deiner KindheitWo hast du gesessen? Wie sah der Stuhl aus, der Fußboden, das Bett? Schreib zehn Minuten über ein Möbelstück, an das du dich erinnerst. Der Trick ist wirklich, nicht nachzudenken, sondern einfach weiterzuschreiben.

Der Boden unter meinen Füßen

Tief in der Nacht wache ich auf. Mein Nachthemd ist weich und kuschelig, weiß-blau gemustert. Ich tapse über den Flur, meine Schuhe klackern über das Parkett. Ich trage Korrekturschuhe in der Nacht, kleine Holzsohlen mit Holzstegen zwischen den Zehen, um meine Zehenstellung zu korrigieren. Ich schäme mich für diese Schuhe, ich hasse sie, ich heule und will sie nicht tragen. Alles, wirklich alles versuchen meine Eltern, um uns schöner zu machen. Ich bekomme weiße Handschuhe angezogen mit einem langen Plastiknippel an jedem Finger, an dem ich in Zukunft kauen soll, statt am Daumen zu lutschen und meine Zähne für immer zu ruinieren. Meinen Schwestern werden die abstehenden Ohren mit Pflaster am Kopf festgeklebt, damit sie später nicht wegen ihrer Segelohren gehänselt werden. Mein Vater kann zu unserem Vergnügen mit seinen Ohren wackeln, sie stehen so weit ab, dass die Sonne hindurchscheint und sie orange färbt. Ich gehe über das Parkett, die Schuhe sind rutschig, ich habe Angst hinzufallen. Dort drüben schlafen meine Eltern. Ich mag es nicht, wenn sie schlafen, es ist unheimlich. Sie sind nicht mehr da, wenn sie schlafen, aber wo sind sie dann? Ich schiebe meiner Mutter die Augenlider nach oben. Wo bist du gerade? Ich höre meinen Vater schnarchen, er muss schnarchen, um die Familie vor wilden Tieren zu beschützen, sagt er gern. Sein Kinn kratzt, wenn er uns küsst. Sein Bart ist schwarz, er rasiert sich mehrmals am Tag. Er gibt uns Schmetterlingsküsse abends vor dem Einschlafen. Mit seinen Wimpern berührt er unsere Wangen. Ich kann gar nicht genug von diesen Küssen bekommen. Der Boden unseres Kinderzimmers ist grün wie Gras. Ich sitze darauf wie auf einer Wiese. Ich stehe nachts im Flur, und keiner schaut mir zu. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn keiner schaut, denn sonst schaut immer jemand, weil wir eine große Familie sind. Es ist mir nicht ganz klar, wer ich bin, wenn keiner schaut. Es macht mich unruhig. Ich begegne diesem Gefühl viele Jahre später in Japan wieder, verpackt in einen Zen-Koan: Wer bist du, wenn dir keiner zuschaut? Und auch die Schuhe finde ich dort wieder, japanische Holz-Getas, sie machen ein ganz ähnliches Geräusch.

Ich schäme mich mit meinen komischen Korrekturschuhen. Niemand sonst auf der ganzen Welt trägt solche Schuhe, da bin ich mir sicher. Ich bin jemand anders als bei Tag. Es ist unheimlich und aufregend, ganz allein im Flur in der Nacht, ich könnte einfach davongehen, über den Flur zur Wohnungstür und hinaus. Rechts liegt die Küche, dort wird eine Schwester im wilden Spiel auf einen Heizungshahn stürzen und so bluten, dass sich der Linoleumboden rot färbt.

Wir sind älter, ich schlafe oben im Stockbett, meine Geschwister neben und unter mir. Sie stemmen ihre Füße gegen die Matratze und heben mich ein paar Zentimeter hoch, ich lasse meine Hand nach unten baumeln, und manchmal ergreifen sie sie. Die Schwestern lutschen am Daumen und an der Bettdecke, mit der Zeit wurden alle Verschönerungsversuche eingestellt. Ich habe für immer krumme Zehen. Der Flur ist nicht lang, die Wohnung nicht groß. Tagsüber werden die Betten meiner Eltern zusammengeklappt und silbriggrüne Vorhänge vorgezogen. Hinter den Vorhängen verstecken wir uns, die Bettfedern im Rücken wie große Tiere. Abends, wenn die Betten aufgeklappt werden, keuchen und quietschen die Bettfedern, man sieht ihnen nicht an, wer sie tagsüber waren. Mein Vater ist ein anderer im Pyjama, alles ist anders nachts. Im Bücherregal wohnt ein orangefarbener Dinosaurier, er lebt in dem Buch Mein erstes Wissen, links auf der Seite, er reißt sein riesiges Maul auf. Ich fürchte mich vor ihm und verstecke das Buch, aber ich kann nicht vergessen, wo ich es versteckt habe, also weiß ich auch, wo der Dinosaurier ist. Es gibt keinen Ausweg aus diesem Dilemma, außer zu schlafen, ganz schnell zu schlafen, aber manchmal zucken meine Beine vor Aufregung und wollen weiterlaufen, weiterrennen, weiterspringen, sie wollen sich nicht zur Ruhe legen. Ich klettere aus dem Bett und stehe allein im dunklen Flur wie das Sterntaler-Mädchen im düsteren Wald, dieses Alleinsein ist erschreckend, aber auch ein bisschen wunderbar, ich könnte, ich könnte etwas erleben, von dem ich bisher gar keine Ahnung hatte, und da kommt plötzlich mein Vater, er nimmt meine Hand und führt mich zurück ins Bett, zurück ins Zimmer zu meinen Schwestern wie in einen leicht stinkenden, gemütlichen Fuchsbau, und alles ist gut – und ein ganz klein bisschen langweilig.

Schreib über die Wohnung deiner Kindheit, den Boden unter deinen FüßenGeh durch die Wohnung deiner Kindheit. Schau auf deine Kinderfüße, als würdest du durch eine Kamera blicken. Folge deinen Füßen. Tapptapptapp. Sind sie nackt? Haben sie Schuhe an? Sandalen? Hausschuhe? Gummistiefel? Beschreib den Boden unter deinen Füßen. Geh in die verschiedenen Zimmer, in unterschiedlichen Zeiten, geh weiter, lass dich nicht unterbrechen, geh einfach weiter und schreib es auf. Wahrheit und FiktionKümmer dich nicht um Logik und auch nicht um die Wahrheit. ErinnerungenWer weiß schon, ob die Erinnerungen wirklich stimmen? Wir erinnern uns nur an das, woran wir uns schon einmal erinnert haben. Und jedes Mal, wenn wir uns erinnern, verändern wir die Erinnerung, überschreiben sie. Die sinnlichen Eindrücke stimmen, aber die Zusammenhänge? Mit wie viel Jahren habe ich im Hochbett geschlafen? Wie alt war ich, als ich die orthopädischen Schuhe bekam? Ich weiß es nicht mehr, aber das spielt hier keine Rolle: Ich habe durch das Schreiben die Holzschuhe wiederentdeckt, das frühe Gefühl der Scham – und die unbändige Sehnsucht nach Abenteuer.

Mittagessen