Lebendige Seelsorge 5/2019 - Verlag Echter - E-Book

Lebendige Seelsorge 5/2019 E-Book

Verlag Echter

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Beschreibung

Wie ist das nun eigentlich mit der Volkskirche? Ist sie schon weg und nur noch Erinnerungsgegenstand von manchen Älteren? Oder ist sie noch da und wandelt aber ihre Gestalt? Ist Volkskirche das, was gehen muss, um Besserem Platz zu machen? Oder hat Volkskirchlichkeit auch etwas, was man besser behalten sollte? Beides kann man sich mit Fug und Recht fragen, denn für beide Ansichten gibt es triftige empirische Belege und ekklesiologische Gründe. Auf der einen Seite kann man im Mitgliederschwund der katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum natürlich einen Anlass sehen, den Anspruch von Volkskirche für überholt zu halten. Auf der anderen Seite kann es einem passieren, dass man in einer hochgradig unkonfessionell geprägten Stadt wie Hannover am Bahnhof Kaffee trinkt und in der Speisenkarte für Freitag nur Fischgerichte findet - denn Freitag ist doch Fischtag. Weiß doch jeder. Auf der einen Seite propagieren die einen die Entscheidungskirche, in der endlich die alte volkskirchliche Tendenz zur Mitläuferschaft überwunden sein wird. Auf der anderen Seite mahnen Stimmen, dass es auch etwas mit Freiheit zu tun hat, wenn religiöse Settings so angelegt sind, dass man mit viel Ruhe in den hinteren Bänken Platz nehmen darf, ohne dass einer nachfragt. Das Themenheft ruft diese innere Debatte auf. Es fragt: Was gewinnt, was verliert man, wenn man nicht mehr Volkskirche sein will? Wie verändert sich, je nach Position, die Gestalt der Normalstruktur, des Regelbetriebs von Kirche: die Gemeinde? Ist Verkleinerung, aber Profilierung besser als die bisher gegebene breite, aber eben diffuse kulturelle Präsenz von Kirche? Oder anders, mit Rahner: Muss oder darf der Christ der Zukunft ein Mystiker sein? Und wenn er muss: warum?

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INHALT

THEMA

Volkskirche oder Entscheidungskirche?Ein Plädoyer für eine Vision des erfüllten Lebens

Von Paul Metzlaff

Thesen zur Zukunft von Gemeinden als Basisstruktur des Christlichen

Von Karl Gabriel

Reform durch „Missionarische Synodalität“Die Replik von Paul Metzlaff auf Karl Gabriel

Halbiertes ChristentumDie Replik von Karl Gabriel auf Paul Metzlaff

„Volkskirche“: eine verheißungsvolle RealitätEin Blick in die Zukunft der deutschen Großkirchen

Von Jan Hermelink

PROJEKT

Ist die „Versorgung“ in der Fläche nicht mehr wichtig?

Von Gundo Lames

INTERVIEW

Gemeinde – wie geht’s?, und wie geht’s weiter?Ein Gespräch mit den Pfarrern Werner Otto, Werner Portugall und Andreas Unfried

PRAXIS

„Der Beruf hat sich doch völlig verändert!“Gemeindereferentinnen als Spiegel kirchlicher Change-Prozesse

Von Dorothea Steinebach

Pflicht oder Kür?Oder: Wie Fresh Expressions zeigen, dass Gemeinde nicht normal sein kann

Von Maria Herrmann

Abschied von der Volkskirche – Thesen zu einer aktuellen Kirchendeutung in kirchenhistorischer Perspektive

Von Andreas Henkelmann

Gemeinde nach dem Ende der Volkskirche. Eine Stimme aus den Niederlanden

Von Stefan Gärtner

FORUM

Fiat Lux – der schöne GottesdienstEin Projekt ästhetischer Liturgiegestaltung in Sankt Bonifatius Frankfurt

Von Werner Otto

POPKULTURBEUTEL

Take a picture and leave

Von Fabian Brand

NACHLESE

Re:Lecture

Von Hans Joas

Buchbesprechungen

Impressum

EDITORIAL

Matthias Sellmann Mitglied der Schriftleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie ist das nun eigentlich mit der Volkskirche? Ist sie schon weg und nur noch Erinnerungsgegenstand von manchen Älteren? Oder ist sie noch da und wandelt aber ihre Gestalt? Ist Volkskirche das, was gehen muss, um Besserem Platz zu machen? Oder hat Volkskirchlichkeit auch etwas, was man besser behalten sollte?

Beides kann man sich mit Fug und Recht fragen, denn für beide Ansichten gibt es triftige empirische Belege und ekklesiologische Gründe. Auf der einen Seite kann man im Mitgliederschwund der katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum natürlich einen Anlass sehen, den Anspruch von Volkskirche für überholt zu halten. Auf der anderen Seite kann es einem passieren, dass man in einer hochgradig unkonfessionell geprägten Stadt wie Hannover am Bahnhof Kaffee trinkt und in der Speisenkarte für Freitag nur Fischgerichte findet – denn Freitag ist doch Fischtag. Weiß doch jeder. Auf der einen Seite propagieren die einen die Entscheidungskirche, in der endlich die alte volkskirchliche Tendenz zur Mitläuferschaft überwunden sein wird. Auf der anderen Seite mahnen Stimmen, dass es auch etwas mit Freiheit zu tun hat, wenn religiöse Settings so angelegt sind, dass man mit viel Ruhe in den hinteren Bänken Platz nehmen darf, ohne dass einer nachfragt.

Das Themenheft ruft diese innere Debatte auf. Es fragt: Was gewinnt, was verliert man, wenn man nicht mehr Volkskirche sein will? Wie verändert sich, je nach Position, die Gestalt der Normalstruktur, des Regelbetriebs von Kirche: die Gemeinde? Ist Verkleinerung, aber Profilierung besser als die bisher gegebene breite, aber eben diffuse kulturelle Präsenz von Kirche? Oder anders, mit Rahner: Muss oder darf der Christ der Zukunft ein Mystiker sein? Und wenn er muss: warum?

Ihr

Prof. Dr. Matthias Sellmann

THEMA

Volkskirche oder Entscheidungskirche?

Ein Plädoyer für eine Vision des erfüllten Lebens

Eine Frau mittleren Alters eilt an diesem Donnerstagmorgen im Habit die „Längste Theke der Welt“ entlang geradewegs auf den Markplatz zu, dessen Mitte das Jan-Wellem Denkmal ziert. Umgeben von rotbraunen Klinkerbauten sieht er im Winter den Adventsmarkt und heute hunderte Menschen jeden Alters, die sich zu Heiliger Messe und anschließender Prozession durch die Altstadt Düsseldorfs versammelt haben. Über die hervorragend positionierten Lautsprecher werden traditionelle Gebete und Lieder ebenso übertragen wie der ein oder andere Worship-Song. Die Menschenmenge bahnt sich begleitet von zahlreichen staunenden Blicken vollbesetzter Cafés ihren Weg durch die Gassen entlang der Rheinterrassen hin zum Hofgarten, in dem der feierliche Schlusssegen gespendet und die missionarische Aktion #Himmelsleuchten der Katholischen Kirche in Düsseldorf eröffnet wird. An Tagen wie diesen frage ich mich, ob ich im „katholischen Rheinland“ einfach einer traditionell-volkskirchlichen Fronleichnamsprozession beiwohnte und wieviel Entscheidung es wohl für jede und jeden Einzelnen erforderte, betend durch die Straßen einer säkularer werdenden Stadt zu ziehen. Über den binnenkirchlichen Horizont hinaus erhebt sich in diesem Lebenskontext die vom Yaler Theologen Miroslav Volf übernommene Frage: „Was für ein Leben ist es wert, dass man es will?“ (Volf, 24). Paul Metzlaff

ZUNEHMENDE SÄKULARISIERUNG UND OPTIONALITÄT

Verschiedene Statistiken zur Religiosität in Deutschland bestätigen eine zunehmende Säkularisierung und Entfremdung von den institutionell-verfassten Kirchen. So konstatiert die bekannte SINUS-Milieustudie aus dem Jahr 2016 (vgl. Calmbach u. a.), dass die Kirche wenige junge Menschen z. B. aus den Milieus der „Prekären“ oder auch der „Experimentalistischen Hedonisten“ erreicht. Eine Umfrage des Pew Research Center vom Dezember 2018 befragte Erwachsene in europäischen Ländern nach ihrer Religiosität, wobei in Deutschland 11% angaben, dass ihnen Religion wichtig sei, 24% wöchentlich eine Art von religiösem Gottesdienst besuchen und 9% täglich beten würden. Aus diesen und weiteren Daten folgerten die Forscher, dass ca. 12% der Erwachsenen in Deutschland als hochreligiös einzustufen seien (vgl. Pew Research Center). Auch andere Autoren, wie z. B. Paul Zulehner, konstatieren, dass sich die christentümliche Gesellschaft ihrem Ende entgegen neige und das kulturgestützte Christsein erschöpft sei (vgl. Zulehner).

Paul Metzlaff

gehört zum Kreis der Initiatoren des „Mission Manifest“; hat Theologie und Philosophie in Rom, Dresden und München studiert und promoviert in Religionsphilosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar; Berater des Dikasteriums für Laien, Familie und Leben des Vatikans.

Diese und ähnliche Befunde bedürfen der Differenzierung zwischen städtischen und ländlichen Regionen, zwischen Nord-Ost und Süd-West und hinsichtlich der historisch gewachsenen kirchlichen Tradition und Kirchenbindung. Zur Säkularisierung tritt eine bisher nicht gekannte Wählbarkeit möglicher Visionen für das eigene erfüllte Leben hinzu. Während sich Menschen vorangegangener Generationen in kulturelle, religiöse, ökonomische und soziale Ordnungen eingebettet wussten, deren Gefüge an nachfolgende tradiert wurde, erlebt sich der heutige Mensch entbettet zuallererst als Individuum, denn als Glied einer Gruppe. Diese ungeheure Freiheit schenkt nicht nur die Möglichkeit zu wählen, sondern lässt ihr zugleich den Imperativ folgen, wählen zu müssen (vgl. Volf, 21f.).

Diese Entscheidung betrifft dabei nicht, dieses oder jenes Produkt zu erwerben, sondern – wenn die Frage in übervollen Lebensläufen denn überhaupt zugelassen wird – die Wahl einer Vision für das eigene erfüllte Leben. Der Mensch entscheidet sich nicht nur zwischen einem gläubigen oder nichtgläubigen Lebensentwurf, sondern zwischen den verschiedensten religiösen und nichtreligiösen Lebensphilosophien und deren schier unendlicher Kombinierbarkeit. Miroslav Volf folgert aus dieser Beobachtung: „Wir sind Wählende in einer postsäkularen und pluralistischen Welt. Frei zu wählen und gleichzeitig zum Wählen gezwungen, stehen wir auch vor der Wahl zwischen einem sinnvollen Leben und einem, das keinen Sinn hat“ (Volf, 25).

VOLKSKIRCHE ODER ENTSCHEIDUNGSKIRCHE? KLÄRUNG DER FRAGE

Die Frage, ob eine Volks- oder Entscheidungskirche die richtige Antwort auf die gesellschaftlichen Umbrüche sei, trägt sich in verschiedensten Assoziationen durch kirchliche Debatten. Sie wird z. B. mit Frömmigkeitsstilen – Worship oder nordische Stille? – oder der Frage nach Finanzinvestitionen – in das Event Ministrantenwallfahrt oder die Gruppenstunde vor Ort? – vermischt. Unheilvoller wird es, wenn die Frage nach der Katholizität, letztlich nach dem Seelenheil, hinzutritt und sich die Diskutanten gegenseitig die Katholizität absprechen, was zu persönlichen Verletzungen führt.

Klaus Vellguth formuliert in seinem Beitrag zum „Mission Manifest“ wertvolle Desiderate an die Initiatoren des Manifests. Er lädt ein, den theologischen Diskurs zu suchen, wozu in diesem Beitrag ein Versuch in Hinblick auf die erste These des „Mission Manifest“ unternommen sei (vgl. Vellguth, 231). Sie formuliert pointiert: „Uns bewegt die Sehnsucht, dass Menschen sich zu Jesus Christus bekehren. Es ist nicht mehr genug, katholisch sozialisiert zu sein. Die Kirche muss wieder wollen, dass Menschen ihr Leben durch eine klare Entscheidung Jesus Christus übergeben. Sie ist ja weniger eine Institution oder Kulturform als eine Gemeinschaft, mit Jesus in der Mitte. Wer Jesus Christus als seinem persönlichen Herrn nachfolgt, wird andere für eine leidenschaftliche Nachfolge Jesu entzünden“.

Unter „Volkskirche“ wird hier ein Glaube verstanden, der die kulturellen, gesellschaftlichen und persönlichen Lebensvollzüge durch eingeübte und tradierte Gewohnheiten prägt. Dies mag das Läuten der Glocken dreimal am Tag zum Angelus, der sonntägliche Kirchgang, das Gebet im Schützenzelt, der Herrgottswinkel im Haus … sein. „Entscheidungskirche“ bezeichnet demgegenüber einen Glauben, der in einem (einzelnen) Akt freiheitlich, willentlich und bewusst die Option der Nachfolge Christi wählt. Damit ergibt sich die Frage, wie sich (einmaliger) entschiedener Glaubensakt und (dauerhafte) gewachsene Glaubensgewohnheit in säkularem Umfeld zueinander verhalten.

EINSEITIGKEITEN ÜBERWINDEN

Wird die Frage als Disjunktion verstanden, sodass sich Entscheidungskirche auf der einen und Volkskirche auf der anderen Seite kontradiktorisch entgegenstehen, scheint sie gemäß der angegebenen Prämisse einer Multioptionalität zugunsten der Entscheidungskirche entschieden. Bevor die Jubelstürme auf der einen wie die Entrüstung auf der anderen Seite zu laut werden, muss die Frage an sich korrigiert werden. Wird nämlich die Entscheidung ohne die andere Seite absolut gesetzt, führt sie in die Verzweiflung, wie am dänischen Philosoph Sören Kierkegaard gezeigt werden kann.

Die Person besteht für Kierkegaard in einem Verhältnis zu sich selbst, ist dynamisch und erlischt, sobald der Akt beendet ist. Ihre Existenz ist also keinesfalls gesichert, vielmehr zutiefst gefährdet. Der Mensch steht zudem in einer Relation zu Gott, die aber ebenfalls keine Festigkeit bedeutet, sondern Gott kommt dem Menschen allein in dem Maß zur Gegebenheit, wie dieser mit jenem ernst macht, wie er ihn in einem Akt realisiert. Romano Guardini schlussfolgert in seiner Interpretation Kierkegaards: „Wir spüren den Akt, die Intensität, die – logisch gewiss anfechtbare, aber für Sicht und Gefühl deutliche – Angestrengtheit dieses ganz dynamisch gefassten Seins, Wirklichseins, das stets von der Gefahr bedroht ist, zu ermatten und ins Nichts abzusinken, die grimmige Entschlossenheit dieses ins Metaphysische reichenden Willens, seinen buchstäblichen Kampf ums Dasein gegen das aus jedem Geschaffenen aufdrohende Nichts“ (Guardini, 17).

Übertragen auf unsere Fragestellung bedeutet dies, dass der Einzelne an der ganzen ihm aufgetragenen Last der Entscheidung zum Glauben irre werden kann, dass er ins Nichts zu stürzen droht, statt Gott zu finden. Ein solcher Mensch benötigt also notwendig Halt, Stand und das Getragensein durch eine unverbrüchliche Gemeinschaft. Notwendigerweise scheint die Volkskirche – die Gewohnheit – als Ergänzung auf, deren Verabsolutierung aber ebenso in die Irre führt.

Wird die aus dem Christentum hervorgegangene Kultur, die Gewohnheit des Glaubens, die erlernten Traditionen von Erfahrung und Entscheidung getrennt, verkommt ein solcher Glaube, so Karl Rahner, zu „sekundärer Dressur“. Im Anschluss an sein berühmtes Diktum, wonach der Christ von morgen jemand sein wird, der etwas erfahren hat, fährt Rahner im selben Satz fort, dass die grundlegende Erfahrung notwendig ist, „weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiöse Institutionelle sein kann“ (Rahner, 22f.). Soll der gewohnheitsmäßige Glaubensvollzug also nicht nur sekundäre Dressur sein, benötigt er als seine Grundlage die Erfahrung und Entscheidung.

Werden beide Weisen für sich absolut genommen, führen sie in die Unmöglichkeit. Beide Seiten sind notwendig aufeinander verwiesen. Die binnenkirchliche Frage löst sich also vom „oder“ in ein „sowohl – als auch“ auf und öffnet damit den weiteren Horizont in die Welt hinein.

EINE CHRISTLICHE VISION DES ERFÜLLTEN LEBENS INS SPIEL BRINGEN

In diesem durch die zwei sich ergänzenden Pole ausgespannten Raum kann das Christentum heute seine Vision von einem erfüllten Leben anbieten, die – so der christliche Glaube – in der Person Jesu Christi unüberbietbar Mensch geworden ist.

Papst Franziskus bezeichnet in seinem jüngsten Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Christus vivit die Freundschaft mit Jesus Christus, die in der Begegnung mit einer Person besteht, als Grunderfahrung des Lebens (vgl. Papst Franziskus, 129). Damit ergibt sich eine Definition von Evangelisierung bzw. Mission. Mission bedeutet, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Menschen Jesus Christus begegnen. Aufgabe ist es also, vielfältige Räume zu eröffnen, in denen diese Erfahrung gemacht und die Entscheidung getroffen werden kann, Jesus Christus ins eigene Leben eintreten zu lassen. Daraus ergibt sich, dass diese Entscheidung die grundlegende des gesamten Lebens darstellt und jegliche (Jugend-)Pastoral „immer eine missionarische Pastoral sein muss“ (Papst Franziskus, 240).

In der Folge der Initiation des „Mission Manifest“ im Januar 2018 hat es mehrere Tagungen und wissenschaftliche Konferenzen sowie durch die Unterzeichnung von „Mission Manifest“ motivierte Einzelpersonen und auch Pfarrgemeinderäte gegeben, die die im Manifest beschriebenen Ziele diskutiert haben und im eigenen Leben und dem der Pfarrei umsetzen. Ein Beispiel ist die große Veranstaltung „Light up the Dome“ am 01. September 2019 auf dem Stadtfest in Fulda, bei der auf der Hauptbühne christliche Bands auftraten und mehreren tausend Menschen auch ein zeitgemäßer Raum der Erfahrung des Evangeliums eröffnet wurde.

Auf eine in welchem Raum auch immer eröffnete Christuserfahrung kann ablehnend, gleichgültig oder bejahend reagiert werden, wobei alles gleichermaßen Entscheidungen sind. Diese kann der Mensch verdrängen, wie er es überhaupt mit der Frage nach einem erfüllten Leben vornimmt und in den Strömen einfachhin mitschwimmt. Um der von der Erfahrung ausgehenden Entscheidung Wege der Kontinuität zu eröffnen, müssen sodann ästhetische, intellektuelle und ethische Ergänzungen erfolgen, ganz in Anlehnung an Immanuel Kants berühmtes Diktum: Begriffe ohne Anschauungen sind blind und Anschauungen ohne Begriffe sind leer. In dieser Weise wird es möglich, im Spannungsbogen von Entscheidung und Verstetigung auf der Grundlage der Erfahrung Menschen (geistliches) Wachstum in der ihnen eigenen Vision des erfüllten Lebens zu ermöglichen.

UNTERSCHEIDUNG UND ENTSCHEIDUNG EINEN VORRANG GEWÄHREN

Der unbedingte Vorrang in der Frage nach Volks- und Entscheidungskirche besteht darin, aus dem binnenkirchlichen Diskurs immer wieder auszubrechen und allen Menschen die christliche Vision des erfüllten Lebens attraktiv anzubieten. Eine Kirche in der Zeit des Entscheiden-Müssens wird zudem unbedingt die Kompetenz der geistlichen Unterscheidung – des Dreischrittes des Wahrnehmens, Interpretierens und Wählens – bei allen Gläubigen fördern müssen und ihnen entsprechende geistliche Begleiterinnen und Begleiter zur Verfügung stellen, die sie auf dem Weg des geistlichen Wachstums begleiten.

Mit Papst Franziskus erscheint die Versuchung der Gleichgültigkeit und des Dahin-Lebens größer als diejenige, ein zu viel oder falsch an Entscheidung zu treffen. Die Kirche wird also stärker auf die Entscheidung der Einzelnen setzen, die in der Christuserfahrung wurzelt, in der Unterscheidung ihre Methode hat und deshalb Wachstum in der Vision des erfüllten Lebens ermöglicht. In einer multioptionalen Umwelt obliegt es dann der Entscheidung der und des Einzelnen, ob sie oder er die Lebensvision des Christentums wählt oder nicht. Stehen wir aber in einer Zeit des Wählen-Müssens, wird es Menschen leichter fallen, eine Option zu wählen, deren Namen sie kennen. Anknüpfend an eine Debatte zwischen Hans Urs von Balthasar und Karl Rahner in den 1960er Jahren um Rahners „Anonyme Christen“ sei deshalb mit Balthasar formuliert: „Man sieht nicht mehr recht, wenn es mit der Namenslosigkeit so gut geht, wozu einer eigentlich noch ein namenstragender Christ sein soll […]. Zu meinem Unglück hatte ich, dessen Jugend in die Zeit der Kierkegaard-Welle fiel – Guardini erklärte ihn uns in Berlin – bei Kierkegaard gelesen, der Apostel Christi […] sei einer, der sich für Christus totschlagen lasse […]. Ist so etwas Leitbild, dann gibt es doch keine anonymen Christen, so viel Menschen im übrigen – hoffentlich alle! – durch Christi Gnade das Heil erlangen“ (Balthasar, 49).

LITERATUR

Balthasar, Hans Urs von, Rechenschaft 1965, in: Ders., Zu seinem Werk, Einsiedeln/Freiburg 22000.

Calmbach, Marc/Borgsted, Silke/Borchard, Inga/Thomas, Peter Martin/Flaig, Berthold Bodo, Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren in Deutschland, Wiesbaden 2016.

Guardini, Romano, Der Ausgangspunkt der Denkbewegung Sören Kierkegaards, in: Hochland 2 (April 1927-September 1927) 12-33.

Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Christus vivit“ (Es enthält als zentrale Kategorien einer kommenden Jugendpastoral die „Suche“ nach denen, die Christus noch nicht kennen, und das „Wachstum“ derer, die ihn bereits erfahren haben. Papst Franziskus zeichnet eine große Vision einer umfassenden „missionarischen Jugendpastoral“, die sehr lesenswert ist).

Pew Research Center, Umfrage zur Religiosität in Europa vom Dezember 2018, zu finden unter: www.pewresearch.org/facttank/2018/12/05/how-do-european-countries-differ-in-religious-commitment/ [abgerufen am: 20.08.2019].

Rahner, Karl, „Frömmigkeit früher und heute“, in: Ders., Schriften zur Theologie VII, Einsiedeln 21971.

Vellguth, Klaus,