Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute - Jürgen Ruszkowski - E-Book

Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute E-Book

Jürgen Ruszkowski

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Beschreibung

Im ersten Band seiner "Seemannsschicksale" hat der ehemalige Heimleiter des größten deutschen Seemannsheimes in Hamburg am Krayenkamp, Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge Jürgen Ruszkowski, über 50 Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensleuten aus aller Welt porträtiert. In diesem zweiten Band stellt er weitere Seeleute in authentischen Lebensberichten vor. Woher stammen sie? Wie kamen sie zur Seefahrt? Was erlebten sie an Bord und auf ihren Reisen? Ein Schifffahrtsjournalist urteilte über Band 1: "In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert. Storys von der Backschaftskiste voll Lebenslust, Leid und Tragik. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs."

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Seitenzahl: 472

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Ähnliche


Jürgen Ruszkowski (Hrsg.)

Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute

Seemannsschicksale – Band 2 in der maritimen gelben Reihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Die Lebenserinnerungen des Kapitäns Johannes Hubert

Johannes Hubert: Beginn einer Karriere – Schiffsjunge auf großer Fahrt

Johannes Hubert: Steuermann auf großer Fahrt und Einjähriger

Johannes Hubert im ersten Weltkrieg

Johannes Hubert: Zwischen den Weltkriegen bei H.M.G. – Mittelmeer

Kapitän Johannes Hubert im zweiten Weltkrieg

Johannes Huberts Wiederbeginn nach dem Krieg

Funker Hans Wölbing

Hans Wölbing: Erinnerungen an den Funkbetrieb in der Hochseefischerei

Günter Detmer: Ein alter Seemann kann...

Helmut Laedtke: Von Stettin nach Kolumbien

Peter Amtmann : Zweiter Ingenieur auch ohne Patent

Klaus-Dieter Lefs: Seemann aus Leidenschaft

Pablo Fernandez Molanes: Ein fleißiger Matrose aus Spanien

Rainer Kluge – Messesteward auf Zeit auf dem Containerschiff „WOERMANN MIRA“

José Maria Sedeno Martin: Der fleißige kleine Steward aus Malaga

Günter Grede: Vom Schiffselektriker zum Börsen-Guru

Klaus Reek: Chief auf Versorgern, Schleppern und Containerschiffen

Kay Andersen: Vom „Moses“ über den Nautiker zur Wasserschutzpolizei

Heinz-Jürgen Zeidler: Vom Decksjungen zum Matrosen

Manfred Otto Schlaugk: Trimmer – Heizer – Assi – Maschinist - Ingenieur

Werner Lösekow: Vom Kesselwärter zum Sportskipper

Dieter Hahn : Von der Kriegswaise zum Matrosen auf Großer Fahrt

Weitere Informationen

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke

Personen – erwähnt in den Bänden:

Maritime gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“

Impressum

Vorwort des Herausgebers

zum zweiten Band „Seemannsschicksale“

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein 140-Betten-Hotel für Fahrensleute.

In der deutschen Seefahrt waren in ihrer Blütezeit und der der Seemannsmission vor Ausbruch des ersten Weltkrieges etwa 100.000 Menschen beschäftigt. Weitere 20.000 deutsche Seeleute arbeiteten unter fremden Flaggen. Davon waren bis zum Ende meiner aktiven Zeit als Seemannsdiakon noch etwa 10 % verblieben.

Die Technik hat die Welt an Bord der Schiffe in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Durch den Container und die Mikroelektronik wurden an Bord mindestens so große Veränderungen und Umwälzungen hervorgerufen, wie beim Übergang vom Segel- zum Dampfschiff. Die Hafenliegezeiten reduzierten sich drastisch. Landgang in fremden Häfen wurde immer kürzer und seltener möglich. Die Zahl der Besatzungsmitglieder eines großen Überseefrachters sank in den letzten Jahrzehnten von 40 über 20 auf etwa 12 Mann. Das ferngesteuerte unbemannte Überseeschiff ist nicht nur denkbar, sondern wurde bereits getestet. Dennoch ist es kaum vorstellbar, dass in Zukunft unbemannte Schiffe den Seemann völlig überflüssig machen.

Obwohl von 1975 bis in die 1990er Jahren Zehntausende deutscher Seeleute freigesetzt wurden und in Landberufe abwandern mussten, ist die Seefahrt ohne die Menschen an Bord nicht zu denken. Mannschaften aus Asien und dem Pazifikraum ersetzten die „zu teuren“ deutschen Seeleute. Langlebige Vorurteile in der Gesellschaft gegenüber den Seeleuten treffen heute nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen nicht mehr zu. Wer in unserer Zeit in der Seefahrt beruflich bestehen will, muss fachlich qualifiziert, aus bestem Edelholz geschnitzt und sehr anpassungs- und widerstandsfähig sein.

In den letzten Jahren hat sich die Situation auf dem Seeverkehrsmarkt wieder drastisch verbessert. Der Seeverkehr boomt. Patentinhaber haben wieder sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Deutsche Nautiker und Schiffsbetriebsingenieure sind gesucht. Leider haben in den vergangenen Jahren viele junge Menschen keinen Mut mehr zum Seefahrtsberuf gehabt und einige deutsche Seefahrtschulen ihre Pforten schließen müssen, so dass heute ein Nachwuchsmangel herrscht.

Die Seefahrt brachte in Jahrhunderten eine eigene Kultur hervor. Sie droht mit dem Einzug der Hochtechnologie und des Containers an Bord auszusterben. Träger dieser Kultur waren Menschen. Menschen, die in den letzten Jahrhunderten in der Seefahrt arbeiteten, die in weit geringerer Anzahl noch heute an Bord tätig sind, die mir im Seemannsheim begegneten, habe ich in dieser meiner gelben maritimen Buchreihe „Seemannsschicksale“ und einig auch in diesem Band in längeren oder kurzen, aber aufschlussreichen Portraits und Lebensläufen vorgestellt: Wie kamen sie zur Seefahrt? Was haben sie an Bord und in den Häfen der Welt erlebt? Wie geht es ihnen heute? Welche Perspektiven sehen sie für sich und für den Beruf des Seemanns? Das Schicksal dieser Menschen soll nicht in Vergessenheit geraten. Bei den Interviews mit den Seeleuten hatte ich gemerkt, dass mir altbekannte Gäste des Seemannsheimes durch die intensiven Gespräche erst richtig vertraut wurden.

Die erste Auflage des ersten Bandes erschien unter dem Titel: „Seemannslos - heimatlos“, eine erweiterte als „Seemanns-Schicksale“. Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare vom Band 1 an interessierte Leser. Ich erhielt viele Reaktionen zu meinen Büchern. Ein Schifffahrts-Fachjournalist kurz nach Erscheinen des 1. Bandes:

„...heute kam Ihr Buch per Post an - und ich habe es gleich in einem Rutsch komplett durchgelesen. Einfach toll! In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert. Stories von der Backschaftskiste und voll von Lebenslust, Leid und Tragik. Dieses Buch sollte man den Politikern und Reedern um die Ohren klatschen. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs. Ich hoffe, dass das Buch eine große Verbreitung findet und mit Vorurteilen aufräumt. Da ich in der Schifffahrts-Journalistikbranche ganz gut engagiert bin, ...werde ich gerne dazu beitragen, dass Ihr Buch eine große Verbreitung findet... Ich bestelle hiermit noch fünf weitere Exemplare... Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Buch, - das wirklich Seinesgleichen sucht...“

Die Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in diesem zweiten Band weitere Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Auch hierbei handelt es sich wieder um zeitgeschichtlich sehr interessante und aufschlussreiche Lebensschicksale. Ein Kapitän hat jahrelang Tagebuch geführt. Er benutzte dieses als Quelle für seine Memoiren, die er mir zur Verfügung stellte. Ich redigierte und veröffentlichte sie als Band 5 in der Reihe „Seemannsschicksale“. Auch dieses Buch „Ein Leben auf See“ stieß auf reges Interesse, und der Verband deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere in Hamburg ermutigte mich mit der Meinung, diese Reihe „Seemannsschicksale“ sollte unbedingt fortgesetzt werden. So entstand im Laufe der Jahre diese gelbe maritime gelbe Buchreihe mit inzwischen mehreren Dutzend Bänden(siehe Liste am Ende desBuches).

Allen, die an diesen Portraitsammlungen mitgewirkt haben, mir aus Ihrem Leben erzählten, von ihren Fahrten berichteten, sich mit der Veröffentlichung einverstanden erklärten, mir Bildmaterial zur Verfügung stellten und mir beim Korrekturlesen halfen, allen sei herzlich gedankt!

Hamburg, Neuauflagen 2007 und 2014 Jürgen Ruszkowski

Die Lebenserinnerungen des Kapitäns Johannes Hubert

Johannes Hubert – ein Kapitän aus Estebrügge im Alten Land

Veröffentlichung im Buch mit Genehmigung der Erben

In diesem Beitrag lesen Sie:

Prolog: Die Herkunftsfamilie Hubert:

1. Heimat an Este und Elbe

2. Das Elternhaus

3. Kindheit und Schulzeit

4. Beginn einer Karriere: Schiffsjunge auf großer Fahrt

5. Schiffbruch vor Brasilien

6. Die erste Liebe

7. Als Leichtmatrose Richtung Heimat 

8. Wieder daheim

9. Auf See zu neue Ufern

10. Asien

11. Vollmatrose auf der "PAMELIA"

12. Mit Passagieren nach Levante

13. Steuermann auf großer Fahrt und Einjähriger

14. Bei H. M. Gehrkens auf Finnlandfahrt

15. Der erste Weltkrieg

16. Schmerzlicher Abschied von der Kriegsmarine

17. Zwischen den Weltkriegen bei H.M.G. – Mittelmeer

18. Mit der "WANDRAHM" auf stürmischer Fahrt

19. Finnland / Russland

20. Das Funkpatent

21. Der zweite Weltkrieg

22. Wiederbeginn nach dem Krieg

Die Herkunftsfamilie Hubert (Prolog)

Heimat an Este und Elbe

(Auszug aus Drestedter Courier, Hauszeitschrift der Ernst F. Hubert KG, 13.11.1953)

Die Familie Hubert entstammt dem Alten Land. Zwischen Buxtehude und Cranz, an der Elbe, wo einmal holländische Siedler und Deichbauer den Estefluss überschritten und die Estebrücke erbauten, liegt das Fischerdorf Estebrügge. Dort sind die Bartels und Behrends, die Feindt und Hauschildt, die Köpcke und Pickenpack, Palm, Quast und Wegener zu Hause. Hier und in Cranz, wo die Este in die Elbe mündet und ihre Schifffahrt den Kontakt mit der weiten Welt fand, ist die Heimat der Familie Hubert. Immer wieder im Laufe der Jahrhunderte durchbrachen Sturmfluten die Deiche und zerstörten die mühselig gepflegten Gärten der Obstbauern. Immer wieder stieß aber auch die Kühnheit dieser Menschen hinter sicheren Deichen hervor auf die freie See, um den unermesslichen Reichtum des Meeres zu ernten. Kampf um das stets bedrohte Land, Kampf gegen Sturm und See, Bewährung in hundert Gefahren. Kaufmännisches Abwägen, beharrliche Bestellung des Bodens,  verwegene Ausfahrt in alle Meere, gefahrvolles Bauern- und Seefahrerleben bildeten den Menschenschlag, der in Estebrügge und Cranz unter den hohen Fachwerkgiebeln mit den Schwanenköpfen wie unter den roten Dächern engstehender Schifferhäuser auf den Deichen zu Hause ist. Die Seefahrtgeschichte der Huberts  begann mit hartem Seemannslos und Witwentrauer. Paul Hubert aus Estebrügge verließ seinen Handwerksberuf, um Schiffer zu werden. Vom Streben erfüllt, sich in der Welt zu erproben, kaufte er sich einen Ewer und fuhr Fracht nach England. Er taufte ihn auf den Namen seiner Frau "MARIA", einer geborenen Kordes aus Estebrügge. Sein Lebensschicksal wird durch eine zierliche Bleistiftnotiz in einem Familienbuch der Huberts festgehalten: Paul Hubert, geboren am 14. Januar 1811, am 29. November 1852 vom Hause gegangen, verloren Dezember 1852. Im Alter von 41 Jahren blieb Paul Hubert auf See, die sein Schiff mit Mann und Maus schluckte.

Die 37jährige Witwe und sieben unmündige Kinder blieben allein zurück. Aus eigener Kraft musste Mutter Maria sie nähren, kleiden und zu ordentlichen Menschen erziehen. Wie sie das machte, erscheint auch heute noch fast wie ein Wunder. Mit der Herstellung von Wachskerzen konnte sie sich ein großes Vermögen erwerben.

Schon 1854 gehörte ihr ein Schiff „MARIA 2", dem später die Schiffe „SIDONIE", „IMMANUEL" und „JOHANNA" folgten.

Trotz ihrem Kinderreichtum hatte sie es zu einem solchen Wohlstand gebracht, dass sie bei ihrem Tode am 4. August 1889 jedem ihrer sieben Kinder eine Erbschaft von 14.000 Mark hinterließ. Lange hieß es noch voll Bewunderung im Familienkreis „Hut ab vor Mutter Hubert", wenn man von der großen, blonden Frau sprach, deren Bild in der guten Stube der Cranzer Wohnung hing, eine ernste, energische Frau im schwarzseidenen Staat der Altländer Bauerntracht. Als in jenen traurigen Weihnachtstagen des Jahres 1852 Mutter Hubert vor dem Nichts stand, war das Haus voller Kinder, die alle ihrer Hilfe bedurften. Ihr ältester Sohn Johann war gerade erst vierzehn, das jüngste Kind sieben Monate alt. Johann - oder wie man ihn kurz nannte - Jan, fühlte Mitverantwortung, empfand die Schwere des Schicksals, das über die Mutter und die Kinder hereingebrochen war. Und Jan wollte mitverdienen, um es der Mutter leichter zu machen. So kam Jan mit vierzehn Jahren zu seinem Onkel in Neuhaus in die Lehre. Aber, wie der Vater, hielt auch er es bei dem biederen Handwerk nicht lange aus.

Er ging zur Seefahrt über, und mit 22 Jahren führte er als Kapitän selbständig das erste Schiff seiner Mutter. Zwei Jahre später heiratete er die Tochter des angesehenen Cranzer Schiffsreeders und Kapitäns Nikolaus Wettern. Jan Hubert und seine jungvermählte Frau Engel machten ihre Hochzeitsreise auf dem Schiff "JOHANNA". In Genua konnte der junge Kapitän seiner Frau etwas von der Schönheit der Welt zeigen, von der alle jungen Herzen hinter den Este- und Elbdeichen träumten. Der welterfahrene Schwiegervater mochte dem jungen Jan Hubert einen guten Start ins Leben gegeben haben, denn schon bald stand Jan am Steuer seines dritten Schiffes, der schnellen "ANTELOPE", die er lange auf Südamerikafahrt führte und deren Besitzer und Reeder er als Partenreeder mit seinem Schwiegervater zusammen war. Die ANETOLE wird damals eines der schnellsten Schiffe der Cranzer Flotte gewesen sein und segelte regelmäßig auf der Linie Hamburg – Rio.

Nach der Hochzeitsreise begleitete Engel ihren Mann nicht mehr auf seinen Fahrten; denn nach Rückkehr von der ersten Reise nach Südamerika kam schon eine kleine Maria in dem Hause in Cranz an, das Schwiegervater Wettern 1851 gebaut hatte und in dem Jan und Engel nun wohnten. Ihre erste Tochter nannten sie Maria nach Jans tüchtiger Mutter, wenig später folgten Emma, dann Pauline. Erst das vierte Kind wurde ein Junge: Ernst Franz, der 1903 eine Tranfabrik in Drestedt bei Hollenstedt gründete. Ihm folgten noch zwei Brüder: Johannes und Gustav. Johannes wurde Kapitän bei der Reederei H. M. Gehrkens und ist die Person, um deren Autobiographie es hier geht, Gustav ging als Exportkaufmann nach Südamerika (Bolivien).

Mit zunehmender Kinderschar und wachsendem Wohlstand betrieb Jan Hubert dann ab 1875 seine Partenreederei von Cranz aus und sorgte dafür, dass die um viele weitere Neubauten vermehrte Flotte gut ausgerüstet und richtig eingesetzt wurde. "MAGNET" – "WILHELMINE" – "ALLEMANIA" – "AXEL" – "J.G.FICHTE" – "HINRICH" – "ALWINE" – "GOTTLIEB" –

"EMILIE HESSENMÜLLER" hießen die Schiffe der Reederei Hubert, und Kapitän Jan selbst setzte den Dampfer "ESTE" für den Passagier- und Frachtverkehr auf der Elbe und Unterelbe in Betrieb, den sein Schwiegervater Nikolaus Wettern zusammen mit Kapitän Behr 1859 in London gekauft hatte.

In dem kinderreichen Cranzer Hause Jan Huberts herrschte in jenen blühenden Jahren reges Leben. Alle Hände von Groß und Klein wurden gebraucht, wenn eines der vielen Segelschiffe eine Reise antreten sollte. Bei der Verproviantierung der eigenen Schiffe musste die ganze Familie des Schiffsreeders mithelfen. In dem Schuppen hinter dem Wohnhaus und auf dem gepflasterten Hofplatz saßen die Frauen und Mädchen und schnitten Bohnen, hobelten Weißkohl und salzten das Gemüse ein oder bereiteten Sauerkohl. Ochsen wurden geschlachtet und das Fleisch in große Pökelfässer eingesalzen. Dann kam der Küper aus Neuenfelde herüber und verschloss die Fässer, damit sie in den Provianträumen an Bord verstaut werden konnten. Diese Vorräte mussten für lange Reisen ausreichen, dauerte eine Reise nach Südamerika doch mit dem Segelschiff zwei bis drei Monate. Gepökeltes, Sauerkohl, Salzbohnen und Schiffszwieback - daraus konnte der Smuttje keinen abwechslungsreichen Speisezettel an Bord zusammenstellen. Gemüse, vitaminreiche Frischkost hatte er nicht zur Verfügung, und so stellten sich damals leicht Nahrungsschäden wie Skorbut ein, wenn die Männer auf langen Seereisen unterwegs waren. Gerade in der Seefahrt hat man deshalb zuerst erkannt, was für eine wichtige Rolle die Vitamine für die menschliche Ernährung spielen.

Wenn die Brüder von ihren Reisen zurückkehrten, füllte sich die kleine Wohnung in Cranz mit allerlei exotischen Erinnerungen aus fremden Ländern. Manches Abenteuer, manch schwierige Lage wurde nach der Heimkehr getreulich berichtet.

Das Jahr 1888 bedeutet für die Cranzer Kapitäne und Reeder ebenso wie für die deutsche Hochseefischerei eine Wende. In diesem Jahr gründeten 17 Cranzer Kapitäne eine „Gesellschaft zwecks Beschaffung eines Fischdampfschiffes, womit Seefischerei betrieben resp. der Transport von in der Cranzer Fischerkasse versicherten Fischkuttern oder Ewern gefangenen Fischen zum Markt geschehen soll".

Bis dahin waren die Finkenwerder und Blankeneser Fischkutter in der Hochseefischerei führend. Aber sie konnten ihre Fänge nicht so schnell auf den Fischmarkt bringen wie die schnellen, vom Wind unabhängigen Fischdampfer, die zuerst in England gebaut wurden und dann nach Deutschland kamen. Wenn die Dampfer bereits ihre Ladung gelöscht hatten, kreuzten die Fischkutter noch gegen den Elbwind stromauf und lieferten ihre Fänge auf dem Fischmarkt ab, nachdem sie viele Tage, fast Wochen in der Bünn gelagert hatten.

So wurden der Kaufmann August Bröhan in Cranz und dessen nächste Anverwandte, alte Segelschiffkapitäne und Seefahrer, die sich mit der Fischerei nie abgegeben hatten, Gründer der ersten Fischdampferreederei an der Niederelbe, und lange noch haben die niederelbischen Kutterfischer in einer Mischung aus Neid und Hochachtung die Cranzer Fischdampfer spöttisch die "Bauerndampfer" genannt, weil die Besitzer keine Leute "vom Fach" waren. Aber die Cranzer gingen mit solcher Tatkraft an die neue Aufgabe, dass sie schon bald keine Fischmeister mehr an Bord brauchten, die sie anfangs noch einstellen mussten.

Einer der führenden Leute der Cranzer Dampffischerei war von Anfang an Jan Hubert. Zusammen mit dem alten Cranzer Segelschiffkapitän Hein Fock und dem jungen Gemeindevorsteher August Bröhan gehörte er zum Kreise der Bevollmächtigten, die den Bau des ersten Fischdampfers in Auftrag geben und überwachen sollten. Der schon bald nach der Probefahrt des ersten bei Jürgens & Co. auf Steinwerder erbaute zweite Fischdampfer erhielt auch dann den Namen der beiden Mitbegründer der Fischdampfergesellschaft "Fock und Hubert". Es kam die "WITT" und "BARTELS" dazu. Die beiden Dampfer hatten jeweils 115.000,- Mark gekostet. Das konnte in so kurzer Zeit gemacht werden, weil in dieser Zeit die Dampfer nie unter 20% Dividende abwarfen.

Jan Hubert hat sich als Vorstandsmitglied der Cranzer Fischdampfergesellschaft bis zu seinem Tod dem Bau neuer Fischdampfer und der Geschäftsführung der Gesellschaft gewidmet. Nach 17jähriger Vorstandstätigkeit starb er im Alter von 67 Jahren auf einer Inspektionsreise nach Geestemünde, wo er die Bauarbeiten an dem Neubau des Fischdampfers "NEUENFELDE" beaufsichtigen wollte.

Das Elternhaus (Autobiographie Johannes Hubert)

Als siebentes Kind des Reeders und Kapitäns Johann Hubert und seiner Ehefrau Engel, geb. Wettern, wurde ich am 16.10.l879 in Cranz an der Elbe geboren.

Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber noch heute behaupten alle Geschwister, ich sei der Liebling und Verzug der ganzen Familie gewesen, obwohl ich nicht einmal das Nesthäkchen war. Ich selber hatte aber niemals den Eindruck, besonders bevorzugt behandelt worden zu sein.

Meine Eltern hatten im Alten Lande ein schönes großes Haus direkt am Elbe- und Estedeich gelegen. Der Obstgarten, aber besonders die Este und Elbe, waren für uns Kinder die Quellen vieler Erlebnisse.

Mein Vater, früher Seekapitän, fuhr auf den damals doch recht kleinen Seglern von Hamburg nach Brasilien, Argentinien, Südafrika, China usw.  Die Schiffchen hatten durchschnittlich eine Größe von zirka 300 Ladetonnen. Meine Mutter machte Fahrten nach Brasilien und China mit, und wenn man sich heute die Bilder der Schiffe ansieht, muss man den Mut dieser Frau bewundern.

Später blieb mein Vater dann an Land und gründete mit einigen Freunden eine Segelschiffreederei, deren Schiffe ungefähr 300 Ladetonnen groß waren. Alle Erdteile wurden mit diesen kleinen Nussschalen angelaufen. Einen kleinen Raddampfer hatte mein Vater auch noch, er hieß "ESTE" und machte Passagierfahrten zwischen Cranz und Buxtehude sowie zwischen Cranz und Hamburg. Anscheinend lohnten sich diese Fahrten, sie brachten Geld ein, und das Finanzamt hatte damals bescheidenere Ansprüche, so konnten dann später noch zwei Ziegeleien ins Leben gerufen und ein Eisschuppen gebaut werden. 500 Tonnen Eis fasste der Schuppen, und die Hamburger Fischdampfer waren dankbare Abnehmer. Das Eis wurde von einem abgeteilten Land der Ziegeleien abgenommen, nachdem dort im Herbst Wasser eingefüllt worden und es dann gefroren war. Der Eisschuppen wurde 1920 abgebaut, da sich durch das Aufkommen des Kunsteises dieses Geschäft nicht mehr lohnte. Die Ziegeleien wurden 1904 stillgelegt, weil nicht mehr genug Land zur Verfügung stand. Die ESTE wurde 1910 verschrottet.

Einige unserer Schiffe gingen im Laufe der Jahre auf See verloren, so z.B. die ALEMANIA, die auf einer Reise von La Plata nach Valparaiso bei Kap Horn unterging. Von deren Besatzung hat man nie wieder etwas gehört. Man hatte ja früher keine Funkgeräte und konnte so in Seenot keine Hilfe anfordern.

Die JOHANNA verscholl auf einer Reise von Italien nach Hamburg und die AXEL strandete 1895 vor Macao (Brasilien) und wurde schwer havariert nach Macao gebracht. Man erklärte das Schiff dort für reparaturunfähig, und mein Vater verkaufte es dann für 4.000 Mark.

Die ANTELOPE blieb für einen Kaufpreis von 24.000 Mark in Brasilien. WILHELMINE wurde in Deutschland für 32.000 Mark verkauft, MAGNET in England für 12.000 Mark und EMILIE HESSENMÜLLER wechselte in Deutschland für 52.000 Mark den Besitzer. J.G. FICHTE ist dann später auch verschollen.

Die Segelschifffahrt lohnte sich auch in der Zeit schon nicht mehr, man musste sich umstellen, denn von den neuzeitlichen Dampfern konnte man mehr erwarten. So fing man nun an, Fischdampfer zu bauen. Auf einer Fahrt nach Bremerhaven, wo mein Vater gerade wieder einen Fischdampfer bestellt hatte, wurde er von einem Herzschlag ereilt und starb einige Stunden später. Meine Mutter starb am 21.11.1931 drei Tage vor ihrem 90. Geburtstag. Meine Schwester Maria Catherina heiratete den Kapitän Ulrich, Emma Anna blieb unverheiratet, Pauline ehelichte Heinrich Popp. Mein Bruder Ernst heiratete Lissy Fock und mein Bruder Gustav Käte Röhrs.

Kindheit und Schulzeit

Aber ich will ja meine Lebenserinnerungen schreiben, da muss ich dann wohl erst mal bei der Schulzeit beginnen. Zunächst besuchte ich die Schule in Cranz, und wenn ich heute meine Zeugnisse betrachte, muss ich feststellen, dass ich eigentlich ein ganz guter Schüler war, mein Sohn darf sich ruhig die Zeugnisse seines Vaters ansehen.

Als Kinder und noch dazu als Seemannskinder, zog es uns natürlich in jeder freien Minute ans Wasser, und es gab dort nichts, was uns nicht interessiert hätte, alles musste untersucht werden. An irgendwelche Gefahren dachte keiner von uns Buttjes, wir fühlten uns schon als Kapitäne auf großer Fahrt, jede Planke war uns recht, und die Ufer der Este und Elbe waren für uns damals die große Welt. Im Winter, wenn die Elbe zugefroren war, zogen wir schon frühmorgens los, schlugen Löcher ins Eis und setzten Quappenangeln aus. Leckerbissen für die Quappen waren kleine Aalstückchen, die wir kunstgerecht an den Angelhaken befestigten; nachmittags wurde dann die Beute eingeholt - es lohnte sich immer, und Mutter freute sich dann über den Fischsegen. Bei starkem Frost war dieser Angelsport ohne Gefahr, aber welcher Junge versucht nicht, auch dann noch aufs Eis zu gehen, wenn es schon so brüchig ist und so schön gefährlich knistert. Wir wagten da oft allerhand, und Mutter hätte vorzeitig graue Haare bekommen, wenn sie gewusst hätte, was ihre Buben da unten am Wasser für gefährliche Spiele trieben.

Eines Tages war es dann auch so weit. Tauwetter hatte eingesetzt, und wir wollten unsere kostbaren Angeln nicht opfern. Also betraten wir die schon sehr brüchige Eisfläche und tasteten uns Schritt für Schritt auf unser Jagdgebiet zu. Es knackte hie, es knackte dort, und ehe wir uns versahen, hatte sich eine Scholle gelöst - natürlich gerade die, auf der wir standen - und trieb ab. Es war uns nun gar nicht mehr wohl, die Freude am gefährlichen Spiel erschien uns nun doch recht zweifelhaft. Wir trieben mit der tückischen Scholle elbabwärts und wussten nicht, wie wir wieder an Land kommen sollten. Wie richtige Schiffbrüchige kamen wir uns vor, und an Rettung glaubten wir auch nicht mehr. Nachdem wir ungefähr 6 Kilometer abgetrieben waren, lief unsere Scholle an ein Stack, das bei Hinterbrack in die Elbe hinausgebaut war. Das war unsere Rettung. Jetzt aber hieß es, ungesehen nach Hause zu kommen, denn jetzt steckte jedem von uns so eine kleine Angst vor dem häuslichen Ungewitter in den Gliedern und ließ uns die ausgestandene Angst vergessen.

Zu Hause angekommen, erzählten wir natürlich nichts von unserem großen Abenteuer, aber im Dorf hatte sich unsere Schollentour doch herumgesprochen, und die Jungens, die nicht mit von der Partie waren, machten auch gleich Spottverse auf unsere Reise. Sie sangen bei jeder Gelegenheit hinter uns her:

„Hannes Hubert is met de Elv wegdreben,  widewidewitt bum bum,

 han we ihn nu nich wädder dregen,   widewidewitt bum bum,

  wör de uns ganz nach Stad' hindreben, widewidewitt bum bum.“

Dieses Erlebnis hielt uns natürlich nicht davon ab, bei nächster Gelegenheit wieder Quappen zu fischen. Der Seemannsberuf steckte wohl in besonderem Maße bei mir im Blut, denn als einziger meiner Brüder beschloss ich, Seemann zu werden. Meinen Vater freute das sehr, und er meinte zu meinem Entschluss, da müsse ich erst einmal eine Ausbildung im Segelnähen bekommen, damit ich auch später Segel flicken könnte. So hatte ich mir das eigentlich nicht gedacht, aber wenn mein Vater das meinte, musste es sicher dazugehören. So erlernte ich das Segelnähen beim Segelmacher Köster in Cranz. In der Freizeit war ich meistens unten am Wasser und träumte von den zukünftigen großen Erlebnissen, die ich sicher haben würde.

Eines Tages - es war um die Mittagszeit - hörte ich lautes Geschrei von mehreren Kindern, die schrieen "Hilfe, Hilfe, he verdrinkt!" Ich rannte hin und sah noch gerade, wie ein siebenjähriger Junge in der Este wegsackte. Schnell hatte ich meine Schuhe ausgezogen, meine Jacke flog im hohen Bogen durch die Gegend und ich sprang ins Wasser. Der Junge kam zum Glück noch einmal hoch, ich bekam ihn zu fassen und schwamm mit ihm an das Ufer. Ich fühlte mich als Lebensretter richtig glücklich, und die Mutter freute sich sehr, ihren Jungen wieder lebendig im Arm halten zu können.

Johannes Hubert: Beginn einer Karriere – Schiffsjunge auf großer Fahrt

1894 wurde ich konfirmiert und aus der Schule entlassen. Im Juli sollte dann für mich das große Erlebnis meines jungen Lebens stattfinden, meine erste Reise. Zu dieser Zeit hatte mein Vater seine Schiffe noch nicht verkauft, und ich sollte meine seemännische Ausbildung auf den väterlichen Schiffen erhalten. Mein Vater hatte seinen Dreimastschoner AXEL in Hamburg liegen mit Stückgutbeladung für Pernambuco in Brasilien, und auf diesem Schiff wurde ich als Schiffsjunge angeheuert. Die Besatzung bestand aus acht Mann.

Noch heute weiß ich genau, aus welchen Sachen meine Ausrüstung bestand: drei Wollhemden, drei Unterhosen, vier Paar Wollstrümpfe, ein Sonntagsanzug, zwei Arbeitsanzüge, zwei Schals, ein Paar Seestiefel, ein Paar Schuhe, ein Paar Hausschuhe, ein Ölmantel, eine Ölhose, ein Südwester, eine Matratze, zwei Wolldecken, Kleinigkeiten, wie Seife, Zahnbürste etc. Das war alles. Diese Ausrüstung kostete etwa 300 Mark. Nun fing auch ich an zu verdienen und bekam im Monat 12 Mark Heuer. Voller Erwartung trat ich meine erste Seereise an, und wie jeder Junge träumte ich von wilden Abenteuern. Der Kapitän hatte seine Frau und zwei Kinder an Bord, die diese Reise mitmachten. Es gibt später noch allerlei von dieser Reise zu erzählen. Bis Glückstadt wurde unser Schiff von einem kleinen Schlepper "GOLIATH" geschleppt, dann wurden die Segel gesetzt, und mit eigener Kraft segelten wir bis Cuxhaven, wo der Lotse von Bord ging. Unter vollen Segeln fuhren wir dann durch die Nordsee, am 2. August 1894 passierten wir Dover und segelten mit gutem Wind durch den englischen Kanal.

Im Ozean machte ich aber schon die erste Bekanntschaft mit schweren Stürmen, wir mussten die Segel bergen und mit kleinen Segeln weitersegeln.  Das oberste Segel, Royal genannt, musste vom Schiffsjungen - das war ich - festgemacht werden. Also rauf, sich mit Füßen und Beinen festhaltend, mit den Händen arbeiten. Es ist gar nicht so leicht, wie es aussieht, denn bei Sturm liegt ein Schiff wahrlich nicht ruhig in der See, und oben spürt man die Schwingungen bedeutend stärker als unten. Die Reise ging so weiter, bis wir den NO Passatwind 35°Nord antrafen. Der Wind blies dort mit einer Stärke von Beaufort 8. Man kann ihn gut ausnutzen, da er bei SSW-Kurs von achtern kommt.

Nach 30 Tagen wurde der Äquator passiert, natürlich kam dort auch Neptun an Bord, um die übliche Taufe vorzunehmen. Wer noch keinen Taufschein hatte, wurde erst einmal ordentlich eingeseift, mit einem großen Holzmesser rasiert und dann "sanft" unter Wasser gedrückt. Damit war die Taufe vollzogen, und Neptun überreichte den Taufschein. Für mich war es mit meinen eben 14 Jahren ein Erlebnis.

Ende September 1894 kamen wir nach einer 35tägigen Reise in Pernambuco (das heutige Recife) an. Die Freude war sehr groß, denn nun gab es endlich wieder frisches Fleisch, Gemüse usw., denn das ewige Salzfleisch, Salzspeck und der Klippfisch hingen uns schon zum Halse heraus. Nach den üblichen Formalitäten durften wir an Land. Es war angenehm, mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Leider währte der Urlaub nicht lange, denn die Ladung musste gelöscht werden. Dies bedeutete damals eine echte Schinderei, denn alles musste mit Handwinden rausgedreht werden. Früh um sechs hieß es "Alle Mann an Deck!" und bei 30° C im Schatten war dann die Arbeit eine Qual. Wenn um 12 Uhr Mittagspause war, haute man sich irgendwo in eine schattige Ecke, um etwas auszuruhen. An Essen dachte niemand, man hätte doch keinen Bissen heruntergekriegt. Um ein Uhr ging es dann weiter bis abends um sieben. Anschließend musste dann noch das ganze Schiff geschrubbt werden. Das Schiffsdeck wurde außerdem ständig nass gehalten, um ein Austrocknen der Planken zu verhindern. Den Achtstundentag gab es damals noch nicht. Kam man aber endlich todmüde in die Koje, ließen einem die Moskitos keine Ruhe, von den Ratten ganz zu schweigen. Drei Wochen hatten wir im Hafen zu tun, nur der Sonntag gehörte uns. Dass wir uns die ganze Woche darauf freuten, kann man wohl verstehen.

Am 1. Oktober war das Schiff leer. Es wurde mit Sandballast aufgefüllt, und weiter ging es zum nächsten Ziel Macao, etwa 1.000 Seemeilen von Pernambuco entfernt. Acht Tage dauerte die Fahrt. Macao war damals ein kleiner Hafen mit 500 Einwohnern, samt und sonders Eingeborene außer einem 70jährigen Hamburger, der dort eine kleine Bierwirtschaft betrieb. Da Macao keine Kaianlagen hatte, mussten wir auf Reede bleiben. Genau an meinem 15. Geburtstag wurde mit Laden begonnen. Es sollten 100 Tonnen Salz und 1000 Ballen Baumwolle übernommen werden. Zwei Tage brauchten wir erst einmal, um den Sandballast loszuwerden. Der Einfachheit halber wurde er einfach über Bord geschaufelt. Insgesamt 10 Tage brauchten wir also, um die Ladung aufzunehmen. Abends war die Luft dick von den Moskitoschwärmen, so dass man nicht atmen konnte, ohne diese Insekten zu schlucken. Diese Plage war manchmal nahezu unerträglich, aber man war ja jung, da nahm man das alles ohne viele Worte als Tatsache eben hin.

Schiffbruch vor Brasilien

Am 27. Oktober lichteten wir frühmorgens die Anker, setzten die Segel, und bei einer frischen Brise kamen wir gut vorwärts. Nach 12 Seemeilen hatten wir offenes Wasser erreicht, aber vor dem tiefen Wasser war noch eine Barre (Sandbank) zu passieren. In deren Höhe stieß das Schiff durch die Dünung durch und sprang infolge der starken Stöße auf die Sandbank und schlug leck. Wir gaben Notsignale, d.h. wir schossen einige Raketen ab, die gottlob an Land gesehen wurden. Nach einiger Zeit kam ein kleiner aus Holz gebauter Schlepper, der uns - nachdem wir ein Teil der Ladung über Bord geworfen hatten - nach Macao zurückbrachte. Der Rest der Ladung ging an den Ablader zurück. Die anschließende Besichtigung des Schadens ergab, dass das Schiff nicht mehr reparaturfähig war. AXEL sollte nun verschrottet werden, und wir saßen in Macao, auf Nachricht wartend, was weiter geschehen sollte. Im November wurde die gesamte Besatzung bis auf den Kapitän, dessen Familie, den Koch und mich als Schiffsjunge abgemustert und über Pernambuco nach Hause geschickt.

Für uns Zurückgebliebene fing nun eine langweilige Zeit an. Es wurde gefischt, gefischt und nochmals gefischt. Ein Tag verging wie der andere. Ging das Geld aus, wurde etwas vom Inventar verkauft, ansonsten warteten wir auf ein Wunder, das uns in die Heimat zurückbringen würde. Weihnachten verlief ruhig und still, in der Sehnsucht in der Heimat zu sein.

Im Januar 1895 stellte sich an Bord ein erzählenswerter Zwischenfall ein. Der Kapitän war gerade an Land gegangen, als wir - der Koch und ich - aus der Kajüte des Kapitäns lautes Schreien hörten. Wir rannten hin und sahen die Frau des Kapitäns sich vor Schmerzen windend. Sie hatte eine Fehlgeburt, und da an Bord keine andere Hilfe war, mussten wir Hebammendienste leisten. Der Koch eilte los, um den Kapitän zu suchen und einen Arzt zu finden. In dieser merkwürdigen Situation musste ich 15jähriger Bengel der Frau behilflich sein. Ich hätte nie gedacht, dass zu einer Seemannsausbildung auch Wöchnerinnenhilfe gehört. Erst nach zwei bangen Stunden kam der Kapitän und brachte einen Arzt mit. Alles war aber inzwischen gut abgelaufen, und zu meiner Erleichterung wurde ich von meinem Posten abgelöst. Die Frau des Kapitäns erholte sich bald wieder, und alle waren heilfroh, dass sie wieder wohlauf war. Immer noch waren wir in Macao, und niemand wusste, wie lange wir dort noch aushalten mussten.

Da traf uns im Juli ein schwerer Schicksalsschlag. Unser Kapitän erlag einem Herzschlag. Es war gegen Abend, als er starb. Wegen der großen Hitze konnte die Beerdigung nicht lange hinausgeschoben werden, d. h. es musste schnell gehen. Der Arzt kam an Bord und stellte die Sterbeurkunde aus. Holz für einen Sarg gab es in dem Nest nicht, also mussten wir an Land aus Kisten, in denen Streichhölzer verladen wurden, einen Sarg zimmern. Damit er nicht gar so armselig aussah, nagelten wir schwarzen Stoff auf das Holz.

Es war fast Mitternacht, als wir mit einem Kanu zum Schiff zurückruderten. Als wir den Sarg per Flaschenzug fast an Bord gehievt hatten, fiel uns der Deckel runter, und da er aus sehr dünnem Holz war, zersplitterte der Deckel in tausend Stücke. Abermals fuhren wir los und besorgten uns das Material, um einen neuen Deckel zu zimmern. Nachdem uns das gelungen war, betteten wir unseren toten Kapitän in diesen primitiven Sarg. Uns war recht schwer ums Herz, denn wir mochten ihn gern. Seine Familie tat uns so leid, weil sie ihren lieben Toten in fremder Erde lassen musste.

Um sechs Uhr morgens ruderten wir dann mit einem kleinen Boot und unserer traurigen Last in die Nähe des Friedhofes, eine Strecke von gut 10 Kilometer. Wir mussten mit dem Sarg dann noch zwei Kilometer durch Wüstensand. Weil wir immer wieder einsackten, verfielen wir dauernd in Trab. Es waren jeweils sechs Träger, und wir mussten uns wegen der großen Anstrengung oft abwechseln. Auf dem Friedhof mussten wir feststellen, dass die von uns mühsam ausgeschaufelte Grabstätte wieder eingefallen war. So musste bei 40° C die Arbeit nochmals getan werden. Drei weitere Boote mit "Leidtragenden" kamen noch, sicherlich weitgehende Neugierige, denn so viele Leute kannten wir in dem fremden Land gar nicht. Einen Pastor gab es natürlich nicht, so musste ich zur Abwechslung mal den Pastor ersetzen, die Trauerrede halten und das Vaterunser sprechen. Nach der Zeremonie meinte der Koch, dass unser guter Kapitän auch ein Kreuz auf sein Grab bekommen sollte. Wir hatten denn auch bald ein paar Balken aufgetrieben und zimmerten ein Kreuz. Wir hatten gut drei Wochen mit dem Einschnitzen der Inschrift zu tun. Sie lautete:

Hier ruht in Gott, fern von der Heimat

Kapitän Heinrich Lünstedt aus Bützfeld

geboren am 12. März 1859 - gestorben am 15. Juli 1895

Dieses Kreuz brachten wir dann eines Tages zum Friedhof und waren froh, dass unser "Alter" wenigstens ein Grabmal hatte, wenn auch nur in Form eines einfachen Holzkreuzes, das wir mit umso mehr Liebe gezimmert und geschnitzt hatten. Frau Lünstedt quartierte sich an Land ein, von wo sie mit ihren Kleinen am 20. Juli via Pernambuco nach Hamburg zurückkehrte. Nun waren der Koch und ich alleine an Bord zurückgeblieben. Im Laufe der Zeit lernten wir allerlei Menschen kennen. Wir wurden auch oft von dem Ablader eingeladen, einem Kaufmann, der mit meinem Vater in Geschäftsbeziehungen stand und nebenbei Plantagen und Salinen besaß. Er hatte einen Sohn von 10 Jahren und eine Tochter von 14 Jahren. Hier geschah es, dass ich zum ersten Mal mein Herz verlor.

Die erste Liebe

Eines Tages hatte ich einen kleinen Unfall und wurde bei der Familie Herculanum sechs Wochen lang aufgenommen, gepflegt und verwöhnt. Besonders die kleine Elisabeth bemühte sich sehr um mich. Da war es kein Wunder, dass ich mich in sie verliebte und fest entschlossen war, sie eines Tages zu heiraten.

Elisabeth's Eltern mochten mich auch gerne, sie hätten mich am liebsten gleich dabehalten. Ich sollte dann später ins Geschäft einsteigen und es übernehmen. Dass ich für den Plan Feuer und Flamme war, wer könnte das nicht verstehen, aber...

Nach sechswöchigem Aufenthalt bei meinen liebenswürdigen Gastgebern war ich "leider" wieder gesund und musste wieder an Bord zurück. Wir besuchten uns dann noch monatelang gegenseitig. Ich hatte schon nach Hause geschrieben, dass ich in Macao bleiben und Elisabeth Herculanum heiraten wolle. Da hatte ich aber ganz schön ins Fettnäpfchen getreten. Meine Eltern werden schön gewettert haben, jedenfalls hatte Vater an seinen Kapitän Peters geschrieben, der in Pernambuco die WILHELMINE löschte, dass er sich um den verliebten Sohn in Macao kümmern möge. Es wurde wieder Weihnachten und Neujahr 1896.

Am 10. Februar 1896 kam unerwartet Kapitän Peters in Macao an, und ich war über den Besuch ziemlich erstaunt. Schnell stellte sich heraus, dass er Order von meinem Vater hatte, die AXEL zum Abwracken zu verkaufen und mich nach Hause zu befördern. Nun hieß es Abschied nehmen, es flossen endlos Tränen, aber es half nichts, ich musste mit. Bis alles erledigt war, wohnte ich noch mit Kapitän Peters in einem Hotel, d. h. das was man dort so Hotel nannte. Hängematten und drunter liefen Schweine, Hühner und Gänse herum. Über meine Erlebnisse in Macao wusste die Drestedter Familienchronik vor einigen Jahren folgendes zu berichten:

„...Aus fernen Häfen trafen Briefe und Telegramme in Cranz ein, die über Schiff und Ladung sowie Besatzung berichteten und so die Familie immer mit der fernen Welt verbanden. Dabei trafen nicht immer gute Nachrichten ein, und als eines Tages der Kapitän der AXEL aus Macao meldete, dass das Schiff leckgesprungen sei und nicht mehr repariert werden könne, war guter Rat teuer. Es fehlte nicht an Landhaien im internationalen Hafenviertel der "Portugiesischen Kolonie", die jetzt ein Geschäft witterten und nun das Wrack für ein Taschengeld erwerben wollten. Versicherungen, die den Verlust eines Schiffes ersetzten, hatten noch ihre Tücken. So machten sich auf Weisung von Jan Hubert der Kapitän und seine Leute daran, das Schiff in eigener Regie abzuwracken und die einzelnen Teile selbst zu verkaufen.

Es wäre auch alles gut abgelaufen, wenn die AXEL alleine draufgegangen wäre. Aufregender muss es jedoch gewesen sein, als in Cranz die Kunde eintraf, dass auch das Herz des kleinen Johannes leck gesprungen war, und der sein eigenes Lebensschiff nun in den Hafen der Liebe steuern wollte. Hannes war Leichtmatrose auf der AXEL und der Sohn von Jan Hubert. Für solch eine Fahrt schien aber Hannes seinem besorgten Vater noch nicht erfahren genug, und zum Abwracken war er ihm zu schade. Vater Jahn wird damals recht bekümmert gewesen sein... Seine väterlichen Anweisungen an Kapitän Peters (Kapitän Lünstedt war inzwischen in Macao gestorben), wenn nötig die Hilfe des deutschen Konsuls in Anspruch zu nehmen, (Hannes war ja erst 17 Jahre alt und alles andere als mündig) brauchten nicht verwirklicht werden. Johannes kam mit eigener Kraft wieder flott und segelte vor vollem Wind nach Hause, wo er wie ein verlorener Sohn empfangen wurde. Seine dunkle Schöne wird ihn bald vergessen haben, aber für Johannes blieb dieses Macao für sein ganzes Leben mit dem romantischen Zauber der Südsee und mit jugendlicher Schwärmerei verbunden, deren Erinnerungen ihn auf den vielen Fahrten begleiteten. Er soll aber nie mehr mit leckgesprungenem Herzen in fremden Häfen vor Anker gegangen sein." - Soweit die Familienchronik...

Als Leichtmatrose Richtung Heimat

Mit einem kleinen Passagierdampfer fuhren wir nach Pernambuco, und dort wurde ich als Leichtmatrose mit 35 Mark Heuer auf der WILHELMINE, ein Schwesterschiff der AXEL angemustert. Nun konnte die Arbeit wieder losgehen, und bei 40° Hitze mussten Stückgüter gelöscht und Sandballast geladen werden. In Pernambuco herrschte außerdem noch die Pest, aber wir blieben davon verschont. Auf vielen anderen Schiffen war die gesamte Besatzung dieser furchtbaren Epidemie zum Opfer gefallen. Wir aber fuhren nach Mosseiro weiter, 1200 Seemeilen von Pernambuco entfernt. Man musste, um den Hafen zu erreichen, noch viele Kilometer einen Fluss befahren und waren bald vom Urwald umgeben. Da aber auch noch eine Flaute eintrat, mussten wir unser Schiff festmachen, und zwar wurde es an einem Urwaldbaum vertäut.  Nun hieß es, auf die nötige Brise zu warten, und es dauerte zehn Tage bis wir endlich den Ladeplatz erreichten.  Kamen wir mal wieder wegen zu großer Flaute nicht weiter, kletterten wir von Bord und schlugen uns im Urwald das nötige Holz, um unseren Ofen in der Kombüse in Gang zu halten. Viele Schlangen gab es da, Kobras usw., mit denen man natürlich nicht gerne in Berührung kommen wollte, denn früher hatte man noch nicht das Gegengift, das uns bei einem eventuellen Biss hätte retten können.

Eines Morgens, wir hatten gerade unsere Segel zum Trocknen aufgehängt, wäre es beinah passiert, dass so eine Natter ihr Opfer gefunden hätte, und das wäre ich gewesen. Vorne auf dem Klüverbaum lag das Klüversegel, und ich sollte es wieder festmachen. Als ich es auseinander schlug, kam doch eine große Kobra direkt vor mir hoch. Ich konnte nicht zurückweichen, denn die Schlange versperrte mir den Weg. Ich schrie laut um Hilfe, und der Lotse, der gerade an Bord war, hörte meinen Schrei und ahnte nichts Gutes. Er kam gleich mit einer Handspake angerannt, schlug auf die Schlange ein und traf sie zum Glück, so dass sie über Bord fiel, und so war mein Leben gerettet. Dieses unheimliche Reptil war sicherlich nachts über das Festmachertau an Bord gekommen.

Im Hafen luden wir Salz. Es wurde von Eingeborenen auf ihren Köpfen in Körben an Bord getragen. Die Moskitoplage war kaum auszuhalten. Wir waren selbst nur noch ein einziger Mückenstich. Unsere Salzladung war für Brasilien bestimmt. Dort wurden mit dem Salz Ochsenfleisch und Felle eingepökelt.

Am 26. März 1896 wurden die Trossen  losgemacht, und flussabwärts machten wir uns auf den Weg nach Rio Grande del Sul und Porte Allegro. Auf dem Fluss fuhren wir mit Wassersegeln. Das sind Segel, die unter Wasser gesetzt werden. Der Strom läuft dann dagegen an und treibt das Schiff vorwärts. Gerade noch vor Dunkelheit erreichten wir die freie See, ein Glück, denn sonst hätten wir noch eine Nacht den Kampf mit den Moskitos aufnehmen müssen. In den dunklen Nächten war es so finster, dass man nicht einmal das Ufer erkennen konnte. 3600 Meilen dauerte die Fahrt, bis wir in Rio Grande ankamen.  Auf See blieb es bei dem ewigen Einerlei, Wache schieben und was es sonst so am Tage an Bord zu tun gab.

Das Wetter war einigermaßen gut, da konnten wir uns dieses Mal nicht beklagen.  Im Hafen war es mit dem Zoll genau so, wie es heute noch ist, jeder Winkel an Bord wurde untersucht.  Das Löschen der Ladung dauerte neun Tage, es waren nur 150 Tonnen, aber wir mussten ja alles alleine bewältigen, dabei die mörderische Hitze und kein Sonnensegel.

Am 21. Mai fuhren wir weiter nach Porto Allegro. Dort war das Wetter schlecht, es wehte ein Sturm von Windstärke 11, aber wir kamen doch glücklich an. Wir hatten nur ein paar kleine Beschädigungen an Bord. Die Stadt war sehr schön, meist von Deutschen aufgebaut und um 1896 zirka 20.000 Einwohner stark. Es war dort immer eine große Begebenheit, wenn ein deutsches Schiff einlief, und der Besuch von Deutschen nahm dann auch kein Ende. Jeder wollte von der alten Heimat etwas hören, und man war jeden Tag bei einer anderen deutschstämmigen Familie eingeladen, die einen auch sehr verwöhnte. Diese Zeit ging uns natürlich viel zu schnell vorüber, und der Abschied von unseren Landsleuten fiel uns meistens schwer.

Unsere Ladung bestand nun aus Fleisch, und die Reise ging nach Rio de Janeiro. Über diese Stadt will ich nichts weiter berichten, man hat schon so viel darüber geschrieben, dass sich jeder eine Vorstellung machen kann. Für uns gab es in Rio sowieso nur viel Arbeit, und die Salzladung machte uns so viel zu schaffen, so dass der Zuckerhut uns auch nicht trösten konnte. Unser Schiff segelte anschließend nach Buenos Aires. Hier gab es wieder Salz, denn wir sollten Felle laden. Es ging dann etwa 70 Seemeilen den Rio Plata flussaufwärts nach Freibentos. Es war ein kleines Nest, wo nur Liebig's Fleischextrakt hergestellt wurde. Wir luden dort Hörner und Hornspitzen als Unterlagen für die Häute.  Damit die Häute nicht mit Holz und Eisen in Berührung kamen, wurden die Hörner hochkant aufgestellt, dicht an dicht. Die Fleischextraktfabrik war ein Großbetrieb. Es wurden im Jahr 180.000 Büffel geschlachtet und verarbeitet.  Fleisch gab es in rauen Mengen, und wir haben auch feste reingehauen.

Nachdem wir unsere Hörner endlich verladen hatten, hieß es weitersegeln und zwar einen Fluss hinauf, Paraguay hieß er, ein Nebenfluss des La Plata.  Das Segeln macht auf Flüssen einige Schwierigkeiten, denn wenn Flaute war, musste man sofort ankern. Acht Tage brauchten wir, um in Paysandu anzukommen. Dort wurden die Häute verladen, wieder so ein Kapitel für sich. Es ist wohl das schlimmste an Arbeit, was einem begegnen kann.  Die Häute wurden im Raum verstaut und dann mit Pökel übergossen. Unser Arbeitszeug war nach einer solchen Beladung vollkommen unbrauchbar geworden und Hände und Füße von der Salzlake aufgerissen. Nach getaner Arbeit sprang man erst einmal über Bord, um das quälende Brennen an Händen und Füßen loszuwerden, aber eine reine Freude war das auch nicht, denn im Wasser konnte man Überraschungen erleben. Ich machte eines Tages die unliebsame Bekanntschaft mit einer "Seeschlange". Wir nannten die Dinger so, es sind wohl die Zitteraale gewesen, bei deren Berührung man einen ziemlichen elektrischen Schlag bekommt. Ich spürte die Berührung noch tagelang hinterher, musste auch einige Tage das Bett hüten, weil ich Fieber von der Berührung bekommen hatte.

In der Nähe von Paysandu war eine deutsch-schweizerische Ansiedlung, wo ungefähr 200 Menschen lebten, die Ziegenzucht betrieben. Es gab dort wohl einige Tausende von Ziegen. Fruchtbares Weideland verschaffte ihnen so einigen Wohlstand. Wir wurden oft von den Siedlern eingeladen. Sie holten uns am Schiff mit ungesattelten Pferden ab. Es hieß draufsteigen, und los ging es im Galopp. So habe ich dann auch reiten gelernt. Ziegenmilch konnten wir trinken, soviel wir wollten. In Schläuchen gaben sie uns noch Milch mit an Bord. Drei Wochen lagen wir da, und es war eine schöne Zeit, bis es eines Tages plötzlich so unsichtig wurde, es sah aus, als wälzten sich dicke Wolkenberge heran. Uns war ganz komisch zumute, und wir konnten es uns nicht erklären, bis dann in der sich verdunkelnden Sonne klar wurde, dass ein Heuschreckenschwarm von erschreckendem Ausmaß über unser Schiff hinweg auf die Siedlung zukam. Jedes Insekt war etwa fünf Zentimeter lang. Es regnete förmlich in Strömen Heuschrecken. Alles, aber auch alles, was gewachsen war, wurde in ganz kurzer Frist von den Tieren aufgefressen, kein Halm  blieb stehen. Die ganze Siedlung war damit vernichtet, denn es gab kein Futter mehr für die vielen Ziegen. Bei uns an Deck lagen die Insekten zehn Zentimeter hoch. Die Siedler hatten im Nu alles verloren, was sie sich in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatten. Sie mussten alles verlassen und weiterziehen. Uns fiel der Abschied von den lieben Menschen sehr schwer, aber helfen konnten wir ja auch nicht. 20 Ziegen brachten die Siedler uns noch an Bord, damit wir auf der Reise Frischfleisch hatten. Wenn wir dann irgendwo flussabwärts eine fruchtbare Gegend passierten, kletterten wir an Land, um uns Futter für unsere Milchspender zu besorgen.

In Buenos  Aires  besorgte unser  Kapitän  erst  einmal Frischproviant, denn nun sollte die Heimreise angetreten werden mit dem ersten Anlaufhafen Antwerpen.  Am 12. Oktober segelten wir über den Ozean der Heimat zu. Über zwei Jahre war ich nun schon unterwegs, und aus dem kleinen Schiffsjungen war inzwischen ein kräftiger Kerl geworden. Die Reise lief auch gut an, mit der Verpflegung waren wir die drei ersten Wochen auch zufrieden, denn der frische Proviant schmeckte natürlich gut. Leider hielt er nicht länger vor, denn Kühlschränke gab es ja noch nicht, und nach drei Wochen mussten wir dann doch wieder nach altem Rezept den eisernen Bestand verbrauchen. Dann sah unser Menü so aus:

montags – Erbsen mit Salzfleisch

dienstags – Salzfleisch mit Bohnen

mittwochs – Salzfleisch mit Erbsen

donnerstags – Konservenfleisch (genannt "tote Franzosen")

freitags – Salzspeck mit Bohnen

sonnabends – Pflaumensuppe mit Stockfisch

sonntags – "Tote Franzosen" mit getrockneten Kartoffeln.

Der Stockfisch vom Freitag musste am Tag vorher erst mit einem Holzhammer bearbeitet werden, damit er einigermaßen weich wurde. Das Brot war von der langen Reise inzwischen Hartbrot geworden, und wenn man es morgens essen wollte, musste man es erst ausklopfen, damit die unzähligen Kakerlaken herausfielen.

Am 23. November 1896 sahen wir dann zum ersten Mal wieder Land, und bald waren wir im englischen Kanal. Durch die Nordsee hatten wir guten Wind, am 2. Dezember erreichten wir Vlissingen und am 3. Dezember Antwerpen. Auf den frischen Proviant freuten wir uns im Augenblick am meisten. Wir fielen darüber her wie die Wölfe und konnten nicht genug davon bekommen.

Am nächsten Tag, d. h. abends, ging es an Land. Wir hatten alle Vorschuss bekommen und hatten somit Geld in der Tasche.  Das erste Ziel war das "Siebenmädelhaus", das einige der älteren Besatzungsmitglieder schon kannten.  Es war eine kleine Wirtschaft, und der Wirt hatte sieben Töchter, eine schöner als die andere.  Da wurde dann gezecht, getanzt und gesungen, und wir Seeleute waren natürlich ausgelassen wie noch nie, denn wir hatten endlich wieder Land unter den Füßen. Um Mitternacht war für uns viel zu früh Feierabend, und wir konnten am nächsten Tag die Zeit nicht abzuwarten, bis wir unsere Heuer wieder ins "Siebenmädelhaus" tragen konnten. Man muss die Freizeit im Hafen ja auch ausnutzen, das ist nun mal Seemannsbrauch.

Für meine weitere Zukunft hatte ich mir schon einen schönen Plan zurechtgelegt.  Ich wollte nämlich als Matrose auf einem englischen Vollschiff anmustern, hauptsächlich, um dort die englische Sprache richtig zu erlernen. Als ich aber meinen Kapitän  von diesem Plan unterrichtete, war er empört und wollte erst einmal mit meinem Vater darüber sprechen. Telefon gab es noch nicht, also musste erst einmal hin und her geschrieben werden. Mein Vater verlangte, ich solle erst einmal nach Hause kommen. Meine Enttäuschung war groß, aber das Machtwort des Vaters musste respektiert werden. Da aber das Schiff nicht nach Hamburg fuhr, wurde der Sohn per Bahn nach Hause verfrachtet.

Wieder daheim

Die Freude, alle meine Angehörigen nach so langer Zeit wieder zu sehen, war dann aber auch groß, denn ich war immerhin 30 Monate nicht mehr zu Hause gewesen. Die erste Nacht konnte ich nicht einschlafen, und ich sagte meiner Mutter, sie müsse erst einmal ein paar Eimer Wasser gegen das Fenster schütten, damit ich das Gefühl hätte, noch auf dem Schiff zu sein. Die ganze Familie freute sich, dass ich zum Weihnachtsfest zu Hause sein konnte, und ich fand es auch schön. In Cranz war großer Silvesterball, den ich natürlich nicht versäumen durfte. All die kleinen Mädels, die ich noch von der Schulbank her kannte, freuten sich, dass sie mit dem weitgereisten Hannes tanzen konnten.  Sie wunderten sich, dass ich tanzen konnte und wollten unbedingt wissen, wo ich es gelernt habe.

So verging die Zeit bei Muttern ganz zufriedenstellend, aber es zog mich wieder in die weite Welt. Ich suchte mir ein Schiff, wo ich als Matrose anmustern konnte, schon wegen der Heuer, da gab es nämlich den enormen Verdienst von 45 Mark monatlich. Aber ich hatte kein Glück, denn es brach ein Streik aus,  und so musste ich notgedrungen noch zu Hause bleiben, denn als Streikbrecher wollte ich auch nicht gerne fahren.

Es war damals ein ganz besonders strenger Winter. Este und Elbe waren zugefroren, und man konnte ganz bis nach Blankenese rüberlaufen. Um sich die Zeit zu vertreiben, legten wir wieder wie früher Quabbenangeln aus, denn ganz ohne Beschäftigung konnte man doch nicht sein. Als aber Ende Februar der Streik zu Ende war, ging ich sofort zu unserem Heuerbaas und musterte am 1. März 1897 auf der „THEKLA“, dem größten Segelschiff, das wir in Deutschland hatten an. Die Reise ging zur Westküste Südamerikas, um Kap Horn herum.

Auf See zu neuen Ufern

Die Thekla war ein Vollschiff, d.h. ein Schiff mit drei voll getakelten Masten, die 60 Meter hoch waren. Sie konnte 4000 Tonnen laden und hatte 42 Mann Besatzung. Am 4. März 1897 ging die Reise los, zwei Schlepper zogen die THEKLA elbabwärts.  Wir machten gute Fahrt durch die Nordsee und passierten am 6. März Dover.  Bei der Insel Wright drehte der Wind, wir mussten drei Tage auf der Stelle kreuzen und kamen nicht weiter.  In Cardiff wurden wir am 16.  März von zwei Schleppern an unseren Liegeplatz gebracht.  Wie immer folgte die übliche Zollrevision, aber es wurde selbst nach vierstündigem Suchen nichts gefunden, und das Schiff wurde freigegeben.

Zwölf Tage dauerte es, bis wir unsere Ladung gepresster Kohle an Bord hatten, dann reisten wir weiter durch den Bristolkanal in den Atlantik.  Bei gutem Wetter machten wir eine prima Fahrt, zeitweise 17 Knoten, also mehr, als unsere größten Passagierdampfer leisten konnten.  Zur Ruhe kamen wir nicht viel, und unsere Arbeitszeit dauerte 14 bis 16 Stunden am Tag. Heute würden sich die Leute schönstens bedanken, wenn man ihnen solche Arbeitszeiten zumuten würde, dabei wurden Überstunden nicht etwa besonders vergütet. Als wir in der Nähe des Äquators waren, bemerkte der Kapitän, dass das Schiff ziemlich steif war, d. h. wir hatten zu viel Ladung im Unterraum. 200 Tonnen Kohlen mussten wir nun aus dem Unterraum ins Zwischendeck bringen, um so Abhilfe zu schaffen.  Die Arbeit nahm sechs Tage in Anspruch, und bei der Äquatorhitze war es eine verteufelt anstrengende Arbeit.  Durch den Teergehalt in der Presskohle, brannte uns die Haut bald am ganzen Körper, und es gab dabei viele wunde Stellen.

Am 1. Juli 1897 begannen furchtbare Stürme, sie machten uns viel zu schaffen, und Schlaf bekam man kaum noch, denn wenn auch Wachablösung war, die Freiwache musste immer zupacken, wenn die Segel festgemacht werden mussten. Kap Horn ist eben Kap Horn. Wenn man bei so stürmischen Wetter aus seiner Koje kam und an Deck ging, kam es nicht selten vor, dass man gerade in einen Brecher lief und buchstäblich schwimmen musste, obgleich man noch nicht über Bord gegangen war. Die Seen waren oft unvorstellbar hoch.  Wir haben, um ungefähr 2.400 Seemeilen zurückzulegen, vom l. Juni bis 15. Juli gebraucht, das sind 45 Tage.  Um Kap Horn herum zu fahren, war damals eine gefährliche Sache, der Seegang dort ist nicht zu beschreiben, aber man singt ja heute noch manches Lied, das von Kap Horn handelt.

Zu allem Unglück wurde auf dieser Reise auch noch der Koch krank. Er konnte seinen Dienst nicht mehr versehen, und ausgerechnet ich musste nun sein Amt übernehmen, dabei verstand ich genau nichts von der Kocherei. Nach dem schon früher beschriebenen Wochenplan musste ich nun mein Heil versuchen, die täglichen Mahlzeiten durften ja nicht ausfallen.  Also erst mal Erbsensuppe mit Salzspeck. Das war schon ein Kapitel für sich, denn so lange ich die Erbsen auch auf dem Feuer hatte, sie wurden einfach nicht weich.  Irgendwo musste ich aber mal aufgeschnappt haben, dass man mit Natron die Hülsenfrüchte weich bekommt, aber wo sollte ich an Bord Natron herholen? – Ich dachte schon mit Schrecken an all die Lästermäuler, wenn die harten Erbsen aufgetischt würden und überlegte hin und her, wie ich mich da aus der Schlinge befreien könnte. Schließlich dachte ich bei mir, dass Soda doch eigentlich auch gehen müsste. Ich organisierte mir gleich ein ganzes Pfund, und das wanderte dann in meinen Kochtopf.  Nach ganz kurzer Zeit wurden die Erbsen auch butterweich, und die Mahlzeit schmeckte vorzüglich und wurde auch restlos vertilgt. Aber am Abend dann, oha – oha... Die Lauferei nahm kein Ende, ich habe mich vorsichtshalber gar nicht sehen lassen, denn die ganze Wut galt mir, dem Vizekoch, aber ich konnte doch diese durchschlagende Wirkung nun wirklich nicht voraussehen.  Jedenfalls konnte sich niemand über schlechte Verdauung beklagen.

Im Laufe der Zeit lernte ich dieses Küchenhandwerk einigermaßen, war aber heilfroh, als nach einigen Wochen der Koch sein Amt wieder übernehmen konnte.  Ich war glücklich, endlich wieder Seemann sein zu können, und die Besatzung war ebenso froh, nicht mehr Opfer meiner Kochkunst sein zu müssen.

Am 1. Juli hatten wir die Sturmgrenze überschritten und nach langer Zeit mal wieder Gelegenheit, uns etwas zu pflegen, d.h. uns mal gründlich zu waschen. Inzwischen hatte unser Körper schon eine richtige Salzschicht bekommen, denn wenn es nicht gerade einmal regnete, war keine Möglichkeit vorhanden, sich mit frischem Wasser zu waschen, und das Seewasser ist auf lange Sicht scheußlich.  Das Trink- und Kochwasser durfte zum Waschen nicht genommen werden.

Im August 1897 kamen wir in Iquique an, einer kleinen Stadt mit zirka 10.000 Einwohnern, ein furchtbar eintöniges Nest, wo kein Baum und kein Strauch wuchsen.  Trinkwasser musste aus Valparaiso geholt werden, denn in Iquique regnete es das ganze Jahr nicht. Wasser war daher eine Kostbarkeit, und man musste sehr sparsam damit umgehen.  Im Hintergrund von Iquique war viel Gebirge, und dort wurde Salpeter gewonnen. So luden auch alle Segler, die diesen Hafen anliefen, Salpeter. Unsere Kohlenladung wurde von der eigenen Besatzung in Prähme verladen, eine schwere Arbeit, denn fast immer waren 40 Grad Hitze. Abends war man dann pechschwarz vom Kohlenstaub.  Zum Waschen bekamen wir dann nur drei Eimer Wasser für 36 Mann.  Wer zuerst kam, hatte natürlich Glück, bei dem letzten lief das Wasser kaum noch durch die Finger, so dick war es von dem Dreck geworden.

Manchmal hatte man auch Glück an Bord. So wurde ich mal vom Kapitän ausgesucht, als sein Gigmann zu fahren.  Die Gig war das Boot, mit dem der Kapitän immer an Land fuhr, wenn wir auf Reede lagen.  Wenn man so ein Pöstchen erwischt hatte, brauchte man nur auf das Boot aufpassen, es natürlich sauber halten und immer bereit sein.  Jeder Kapitän wollte selbstverständlich den anderen ausstechen und mit seinem Boot angeben. Ich musste immer fein in Schale sein. Die Sachen lieferte der Käptn, blaue Hose, weißes Hemd und weiße Mütze. Der Kapitän hatte auch eine Schappkiste an Bord, das war eine Kiste, deren Inhalt aus lauter Dingen bestand, welche die Seeleute gebrauchen konnten und die der Kapitän ihnen verkaufte.  Sicher hat er daran manche Mark extra verdient.  Man konnte so allerlei einkaufen, nur Alkohol durfte er nicht ausgeben, das war zu gefährlich.  Aber den besorgten wir uns heimlich an Land. Offiziell war es natürlich streng verboten, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, da kannten wir uns aus. Wir besorgten uns beim Schiffshändler einen Schlauch, den ließen wir mit Alkohol füllen, banden ihn uns um den Bauch und warteten, bis der Kapitän außer Sicht war, dann ließen wir den Schlauch an einer Leine über Bord gehen und holten uns den Segen, wenn die Luft wieder rein war, aufs Schiff zurück.