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Rita Falk

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Beschreibung

Cholesterin, Brandanschlag und Brutpflege Schluss mit Fleischpflanzerln von der Oma: Die Cholesterinwerte vom Eberhofer sind so hoch wie die Laune im Keller. Dazu macht die Susi ihm Stress mit dem Sprössling: knallhart durchorganisierte Besuchszeiten, da kennt sie kein Pardon. Und dann noch dieser grausame Mord an einer Frau in der Pension von der Mooshammer Liesl. Warum wollte man sie so brutal aus dem Weg schaffen? Als ausgerechnet der angolanische Fußballspieler Buengo vom FC Rot-Weiß Niederkaltenkirchen unter Mordverdacht gerät, nimmt der Eberhofer die Ermittlungen auf.

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Rita Falk

Leberkäsjunkie

Ein Provinzkrimi

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Kapitel 1

»Bei der Mooshammerin brennt’s, Bub«, schreit mich die Oma vom Türrahmen her an, dass ich beinah vom Kanapee flieg. »Jetzt komm schon, steh auf und zieh dir was an!«

»Ich bin bei der Polizei, Oma, das weißt doch, und nicht bei der Feuerwehr. Außerdem ist München jetzt mein Revier und nicht Niederkaltenkirchen«, schrei ich aus meinen Federn her zurück und fuchtle dabei auch noch mit Händen und Füßen, weil die Ohren von der Oma seit geraumer Zeit eher dekorative Zwecke erfüllen als funktionale. Ich schau auf den Wecker, es ist Viertel nach zwei. Der Ludwig liegt vor mir am Boden und blickt von der Oma zu mir und wieder zurück, gähnt einmal tief durch, dreht sich ab und schläft seelenruhig weiter. Hund müsste man sein.

»Bei der Mooshammerin brennt’s, Franz«, brummt jetzt auch noch der Papa, grad wie er zur Türe reinschlurft.

»Und was, bitte schön, soll ich da machen? Drüberpieseln, oder was?«, frag ich ehrlich genervt und setze mich auf. »Herrschaftszeiten, bin ich denn hier für alles verantwortlich!?«

»Ja, hinfahren vielleicht, immerhin bist ja bei der Polizei«, sagt er weiter und krault dem Ludwig übern Schädel.

»Du sagst es, bei der Polizei und nicht bei der Feuerwehr. Vielleicht rufst einfach mal bei denen an, was meinst?«

»Die sind schon vor Ort.«

»Dann ist ja alles paletti, oder? Und jetzt raus hier, ich muss in drei Stunden zum Dienst«, knurr ich noch so, leg mich wieder nieder und zieh mir die Decke übern Kopf. Die zwei verziehen sich nörgelnd, und dann kehrt endlich wieder Ruhe ein. Aus der Ferne kann ich durchs Fenster hindurch das Blaulicht erkennen. Das ist schön, irgendwie beruhigend, wie es so leuchtet und kreist, und schon schlaf ich wieder ein. Allerdings wohl nur ein paar Atemzüge lang. Weil dann läutet mein Telefon. Es ist zum Verrücktwerden in diesem Kaff hier, es geht praktisch zu wie am Stachus. Der Ludwig sendet mir vorwurfsvolle Blicke. Ich schau ihn kurz an und zuck mit den Schultern.

»Hm?«, grunze ich in den Hörer.

»Eberhofer«, kann ich unseren werten Herrn Bürgermeister sofort eindeutig erkennen. »Sie müssen umgehend kommen, bei der Mooshammerin brennt’s!«

»Seid ihr jetzt allesamt komplett narrisch, oder was? Für Brände bin ich nicht zuständig, zefix! Rufen S’ mich an, wenn irgendwo eingebrochen wird. Bei einem Verkehrsunfall, Raubüberfall, einer Geiselnahme oder Vergewaltigung meinetwegen. Im Idealfall bei einem glasklaren Mord! Aber nicht, wenn’s bloß irgendwo brennt, verstanden? Ausnahmefälle sind einzig und allein die Metzgerei Simmerl und das Wirtshaus vom Wolfi. Ende der Durchsage!«

Dann häng ich ein.

Mein sehnlichster Wunsch auf eine kurze Privataudienz mit dem Sandmännchen bleibt leider unerhört, einfach weil beim erneuten Anruf des Bürgermeisters die Welt gleich ganz anders ausschaut. Gut, sagt er nämlich, mit einem glasklaren Mord kann er vielleicht nicht direkt dienen, zumindest nicht hundertprozentig. Es könnte sich auch durchaus nur um einen Unfall handeln. Eine Leich allerdings, die hätte er schon im Angebot. Genauer gesagt eine Brandleich. Und zwar exakt bei diesem depperten Feuer im Haus von der Mooshammer Liesl. Sie selber, sagt er weiter, scheidet als Opfer allerdings Gott sei Dank aus. Weil sie derzeit nämlich grad für ein paar Tage in Bad Wörishofen zum Wellnessen verweilt. Deshalb kann es eigentlich nur einer von ihren Untermietern sein. Na bravo!

Was mich jetzt erwartet, weiß ich leider genau. Und schön ist es nicht, das kannst du mir glauben. Immerhin gehören Brandleichen garantiert mit zu den unerfreulichsten Fällen, die wo es überhaupt gibt. Außer Wasserleichen vielleicht, die schon ein Weilchen so vor sich hingelümmelt haben. Das ist dann auch nicht lustig, keine Frage. Bei Brandleichen aber ist es eben neben den optischen Zuständen auch noch dieser Geruch, der mich schier wahnsinnig macht. Wobei es da jedoch freilich drauf ankommt, wie lange der Körper schon den Flammen ausgesetzt war. Im Härtefall aber, da riecht es nach Schweinebraten. Ja, im Ernst. Es riecht exakt wie der hammermäßige Schweinebraten von der Oma. Optisch aber natürlich keinerlei Ähnlichkeit. Nullkommanull. Und das ist dann echt gruselig. Da duftet es weit und breit nach dem besten Essen diesseits und jenseits der Isar, und vor dir liegt ein verkohlter Leichnam. Gruselig, wirklich!

»Ja, wo bleiben S’ denn, Eberhofer? Und wie schaun S’ denn eigentlich aus?«, begrüßt mich der Bürgermeister, kaum dass ich aus dem Streifenwagen gestiegen bin, und beginnt auch gleich, an meinem Bandana zu zupfen, das ich mir vorsorglich um Nase und Mund gebunden habe. »Machen S’ jetzt einen auf Cowboy, oder was, hähä?«

»Finger weg«, sag ich und deute mit dem Kinn rüber aufs Haus. »Ist der Tote da noch drinnen?«

Ein paar Feuerwehrler sind grade im Schein ihrer Stirnlampen ganz eifrig damit beschäftigt, ihre Siebensachen im Vorgarten zu ordnen, und grüßen mich der Reihe nach freundlich. Und trotz meiner ganzen Mumifizierung dringt der Schweinebratenduft langsam, aber sicher bis in meinen Riechkolben vor.

»Die Tote«, verbessert mich der Bürgermeister und tupft sich mit einem Taschentuch über die Stirn. »Es handelt sich um eine Frau, hat der Brunnermeier gesagt.«

Und wie auf Kommando tritt der Doktor Brunnermeier just in diesem Moment durch die Haustür hindurch und eilt gleich prompt auf uns zu.

»Sie sehen ja vielleicht dämlich aus, Eberhofer. Aber ja, das ist korrekt, Leiche weiblich, mittleres Alter, Hautfarbe weiß, äh, ja, also jedenfalls vorher. Sie liegt oben im ersten Stock, genau vor der Badezimmertür, also praktisch im Flur. Alles andere erfahren Sie von den Kollegen in der Pathologie. Also, Herrschaften, ich muss jetzt leider schon los, mir pressiert’s. Hab nämlich ein wichtiges Schachspiel heute Vormittag und muss mich davor noch ein bisschen aufs Ohr hauen«, lässt er uns im Vorbeieilen noch kurz wissen, hockt sich dann ins Auto und schon düst er davon. Er muss sich aufs Ohr hauen, weil er ein wichtiges Schachspiel hat! Aber gut, dazu muss man vielleicht wissen, der Brunnermeier, der ist ja eigentlich schon a.D. Will heißen, ist nicht mehr der Jüngste und hat sich mittlerweile auf sein Altenteil zurückgezogen. Und drum gibt er den Dorfarzt nur noch in Notfällen ab, so wie halt jetzt. Einen Nachfolger hat er leider nicht. Da will wohl keiner raus zu uns. Vermutlich gibt’s einfach nicht genug Privatpatienten hier bei uns auf dem Land draußen. Aber wurst. Meine Aufgabe ist es jetzt jedenfalls, erst mal nach der Leiche zu sehen, auch wenn’s hundertmal nach Schweinebraten riecht. Also geh ich ins Haus und prompt rauf in den ersten Stock und achte bei jedem einzelnen Schritt darauf, nicht zu tief einzuatmen. Oben angekommen, kann ich die Frau sofort sehen, und ganz offensichtlich liegt sie auf dem Bauch. Und sie muss wohl längere Zeit den Flammen ausgesetzt gewesen sein, jedenfalls hat sie bereits die berühmt-berüchtigte Fechterstellung eingenommen. Das bedeutet, dass sich all ihre Gliedmaßen durch den enormen Wasserverlust irgendwie zusammenziehen, was freilich irgendwie grotesk und auch ziemlich unheimlich ausschaut. Und nachdem ich die Geschichte von vorn und hinten und allen Seiten her ausgepeilt hab, mach ich nur noch schnell ein paar Fotos, und dann will ich nix wie weg hier.

»Glücklicherweise ist ja das Opfer nicht unser Dings. Also unser Bengo sozusagen!«, sagt der Bürgermeister, gleich wie ich wieder bei ihm im Garten aufschlag. Unser wer?, denk ich so, und frag mich, ob unser guter Bürgermeister nicht irgendwann einmal die Goldmedaille im Dingsen bekommen sollte.

»Unser wer?«, frag ich, weil ich grad nicht recht weiß, von wem er eigentlich spricht.

»Mei, Eberhofer, unser Bengo halt. Das wissen S’ doch noch, oder? Unser Fußballgott Rot-Weiß-Niederkaltenkirchen. Unser Lokalmatador mit Maximalpigmentierung. DER Fuß Gottes …«, sagt er zunächst ganz versonnen und zeigt schließlich rüber zur Haustür. Dort schau ich dann auch gleich mal hin, kann aber gar nichts erkennen. Doch wenigstens fällt bei mir jetzt der Groschen.

»Ach, Sie meinen den Buengo.«

»Ja, sag ich doch. Der Bengo! Der hat den Brand übrigens auch gemeldet, gell, Bengo? Geh, komm doch einmal her zu uns. Der Herr Polizist hat vielleicht ein paar Fragen an dich«, ruft er, und zwar wieder in die Richtung vom Haus, und so kneif ich mal meine Augen zusammen. Und tatsächlich, dort neben der Türe kann ich unseren maximalpigmentierten Fußballgott dann auch wirklich erkennen, wenn auch nicht besonders deutlich. Er lehnt da praktisch in der Dunkelheit an dieser rußigen Hauswand und ist offensichtlich auch noch in eine ziemlich dunkle Decke gehüllt. Wie soll man den dann noch sehen? Aber nachdem er nun kurz zu uns hergeschaut hat, kommt er auch schon angetrippelt.

»Du, Bengo, jetzt tust dem Franz einmal schön erzählen, was so alles passiert ist heut Nacht, gell«, sagt der Bürgermeister und hat dabei einen Tonfall drauf, als würde er mit einem geistig Umnachteten reden. »Und danach tust schön …«

»Ja, ja«, muss ich hier aber gleich unterbrechen, lege meinen Arm um den leicht verwirrten Buengo, begleite ihn dann zu meinem Wagen und öffne die Beifahrertüre. »Der Buengo tut jetzt dem Franz alles schön erzählen und der Herr Bürgermeister tut in sein Büro reinfahren und tut Niederkaltenkirchen schön regieren, gell. Servus, miteinander«, sag ich noch so, und schon brausen wir los.

Viel zu erzählen hat er dann aber gar nicht, unser Buengo. Er war abends im Training wie immer und hinterher noch im Vereinsheim Rot-Weiß, ebenfalls wie immer. Also quasi am Stammtisch und hat mit ein paar Mannschaftskollegen gekartelt, bis dort dann halt irgendwann zugesperrt wurde. Anschließend hat er sich sein Radl geschnappt und ist heimgedüst. Also zum Haus von der Mooshammer Liesl praktisch, wo er ja schon seit geraumer Zeit zur Untermiete wohnt. Er hat den Rauch sofort gerochen, erzählt er weiter, und den Qualm auch gesehen, aber es war noch gar nicht so arg schlimm. Trotzdem hat er sich freilich beeilt, dort die Haustür aufzuschließen. Und dann, kaum, dass er sie geöffnet hatte, da gab’s einen Bums, das kann man gar nicht erzählen.

»Es hat mir wirklich aus Türe gebumst, Franz. Wirklich so richtig aus Türe gebumst«, sagt er mit ganz großen Augen und versucht mir dabei mit ein paar dramatischen Handbewegungen, diesen Bums anschaulich zu machen. Ich muss grinsen.

»Wer außer dir wohnt denn zurzeit noch bei der Liesl?«, muss ich jetzt noch wissen, grad wie ich in unsere Einfahrt reinfahr. Die Oma und der Papa hocken dort auf dem Bankerl vorm Haus, obwohl’s grade erst zu dämmern anfängt. Doch vermutlich warten sie einfach schon sehnsüchtigst auf Neuigkeiten. Was man dann aber schon irgendwie auch wieder verstehen kann. Weil wenn wir einmal ehrlich sind, so arg viel passiert jetzt hier bei uns auch wieder nicht, gell.

»Nur ein Frau. Nette Frau und schön«, sagt der Buengo weiter, und so bleiben wir noch einen kurzen Moment lang hier sitzen.

»Name?«

»Karim oder Karin oder so, vorne. Hinten weiß i nickt. Liesl weiß alles. Besser fragst Liesl.«

»Wie lang war die bei euch?«

»Nickt lange. I glaub, bloß a paar Tag oder so.«

Jetzt aber trommelt auch schon die Oma ans Beifahrerfenster.

»Mei, der Buengo!«, schreit sie und reißt die Autotür auf. »Gut, dass dir nix passiert ist, Bub. Hast einen Hunger?« Und gleich nachdem sie ihn voll Inbrunst aus dem Wagen gehievt hat, da hakt sie ihn unter, und schon eilen die beiden dem Wohnhaus entgegen. »Jetzt gibt’s erst einmal einen feinen Kaffee, Bub, und dazu ein schönes, resches Bauernbrot, gell. Vier Sorten selber gemachte Marmelade hab ich da, die wird dir schmecken. Und ich kann dir auch noch ein paar Rühreier machen mit Speck, was meinst. So ein Sportler, der braucht doch ein anständiges Frühstück …«

»Und?«, fragt der Papa von seinem Bankerl herüber und zieht sich dabei einen Joint aus der Brusttasche seiner uralten Latzhose.

»Sag einmal, Papa, geht denn das mittlerweile in der Früh auch schon los?«, frag ich im Hinblick auf seinen aktuellen Drogenkonsum.

»Bloß in Stresssituationen. Also, was war?«, brummt er so mehr vor sich hin.

Ich lass ihn kurz an meinem kargen Wissensstand teilhaben, ehe ich mich in die Küche begebe, in der Hoffnung, dass mir der Buengo noch irgendwas Essbares übrig lässt.

Nach dem zweiten Teller mit Rühreiern, einem wunderbaren Brot mit Rhabarber-Erdbeer-Marmelade und ein paar Haferl Kaffee hab ich dann immerhin mehr in Erfahrung gebracht, als ich es von einem simplen Frühstücksgespräch jemals erwartet hätte. Vielleicht sollte ich den Rahmen meiner zukünftigen Verhöre mal gründlich überdenken. Jedenfalls ist es ausgerechnet der Papa, der mir jetzt eine möglicherweise sogar sehr wertvolle Information liefern kann. Einfach, weil er sich nämlich ziemlich sicher ist, dass diese Untermieterin, also diese Karin, wohl im Auftrag einer Hotelkette hier ist, um erneut mit der Gemeinde in Verhandlungen zu treten.

»Ich hab sie doch erst gestern noch kurz gesehen, wie sie beim Simmerl drüben eingekauft hat. Und als aufmerksamer Beobachter, ja, da merkt man sich halt alles«, sagt er leicht überheblich und lehnt sich zurück.

»Was alles?«, frag ich ganz leicht genervt.

»Ja, mei, gleiches Autokennzeichen, gleicher Fahrzeugtyp und auch haargenau noch die gleiche Aktentasche wie diese blöden Hotelhanseln, kannst dich noch erinnern?«, fragt Sherlock Holmes, wie er mir nun höchstpersönlich gegenübersitzt. An dieser Stelle muss ich die Augen verdrehen.

»Nicht schon wieder!«, murmele ich dann und nippe kurz am Kaffee. »Die sind uns doch letztes Jahr erst schon allen miteinander auf den Zeiger gegangen.«

»Ja, aber genau das ist doch der Punkt, Franz«, fährt der Papa jetzt fort und beugt sich dabei sehr weit nach vorne. »Eben nicht uns allen miteinander, verstehst. Der eine oder andere hier, der will nämlich ums Verrecken und ganz unbedingt dieses verdammte Hotel zu uns her bauen. Und allen voran unser werter Herr Bürgermeister. Wahrscheinlich möcht er sich einfach noch ein Denkmal setzen für seine aufopferungsvolle Arbeit in der Gemeinde Niederkaltenkirchen, ha.«

Apropos aufopferungsvolle Arbeit. Das ist mein Stichwort.

»Ich muss los«, sag ich, steh auf und bring meinen Teller rüber zur Spüle.

Der Buengo rülpst ziemlich laut, entschuldigt sich aber gleich brav.

»Du, Oma«, muss ich noch schnell loswerden. »Jetzt hör lieber auf, ihn zu mästen, sonst platzt er uns hier noch.«

Doch wie erwartet hört sie mich gar nicht erst, aber der Buengo, der lächelt mich recht dankbar an.

Wie ich nach einem eher ruhigen Arbeitstag wieder aus München zurückkomm, ist Niederkaltenkirchen im Ausnahmezustand, könnte man sagen. Die Straßen sind wie leer gefegt. Gut, das sind sie sonst auch. Aber dieses Mal scheint auch alles andere wie ausgestorben. Nirgendwo brennt ein Licht, kein Auto, kein Radl auf der Straße. Und selbst die Metzgerei Simmerl hat geschlossen, obwohl noch gar kein Ladenschluss ist. Weil ich unsere Eingeborenen hier aber kenne wie ein Hängebauchschwein das andere, weiß ich freilich sofort, wo ich jetzt fündig werde. Und ja, ich soll recht behalten. Die Dorfgemeinschaft steht nämlich geschlossen vor dem Haus der Mooshammer Liesl und dahinter und drum herum, am Gehweg, im Garten, und dabei wird begutachtet, spekuliert und analysiert, was das Zeug hält. Thermoskannen werden herumgereicht, selbst gebackene Kuchen und auch ein paar Flachmänner sind im Einsatz und drehen ihre Runden. Fast könnte man meinen, es geht zu wie am Jahrmarkt.

»Servus, Franz«, sagt unser dorfeigener Gas-Wasser-Heizungspfuscher, der urplötzlich neben mir aus dem Boden gewachsen sein muss.

»Servus, Flötzinger.«

»Du, sag einmal, Franz, du warst doch da drin?«, will er auch gleich wissen und deutet mit dem Kinn in die Richtung vom Haus. »Ich mein, hast du vielleicht zufällig mitgekriegt, ob das Bad in Mitleidenschaft gezogen wurde? Oder die Heizung womöglich?«

»Nein, keine Ahnung, warum?«

»Nicht? Scheiße! Aber wenn du mich fragst, dann muss das Haus jetzt sowieso renoviert werden, oder was meinst du? Das stinkt doch dort aus jedem verdammten Winkel heraus nach dieser Brandleich, oder? Da kann doch kein Mensch mehr drinnen wohnen. Das kriegt die Liesl nie im Leben wieder raus. Außerdem ist das ohnehin längstens überfällig, da ist ja schon jahrzehntelang nix mehr dran gemacht worden. Sag mal, weißt du zufällig, wann die Liesl eigentlich wieder zurückkommt dort von Bad Wörishofen?«

»Nein, keine Ahnung.«

»Das ist ja wieder mal typisch, dass ausgerechnet du keine Ahnung hast«, tönt es jetzt direkt neben uns und dieses Mal ist es der Simmerl, der mich mit seiner Anwesenheit beglückt. »Die Liesl, die ist nämlich längst schon zurück aus Wörishofen. Und so wie’s ausschaut, seid ihr beiden Helden hier die Einzigen, die das noch nicht mitbekommen haben.«

Aha. Der Flötzinger und ich schauen den Simmerl auffordernd an. Aber der lässt seine Überlegenheit erst einmal ein bisserl raushängen. Steht da mit verschränkten Armen und starrt auf das Wohnhaus.

»Ja, gut, wenn’s weiter nix gibt«, sag ich deshalb und tu so, als würde ich aufbrechen.

»Jetzt wart halt, Franz!«, ruft mir der Flötzinger hinterher. »Der Simmerl, der weiß doch bestimmt noch mehr, gell, Simmerl, du weißt doch noch mehr?«

»Freilich weiß der Simmerl noch mehr«, brummt der blöde Metzger grinsend. Und dann lässt er uns auch großzügig an seinem Wissensstand teilhaben. Nämlich dem, dass die Liesl heut in aller Herrgottsfrüh, nämlich gleich wie sie von dem furchtbaren Feuer erfahren hatte, freilich sofort in den erstbesten Zug gesprungen und heimgefahren ist. Und nachdem sie sich das Desaster erst mal vor Ort hat ansehen können, da hat sie auch prompt einen Nervenzusammenbruch gekriegt. Und seitdem flackt sie wohl bei uns daheim im Gästezimmer und wird dort vom Doktor Brunnermeier ärztlich versorgt.

»Sie ist wo?«, frag ich, weil mir die Vorstellung von einem längeren Aufenthalt der Mooshammerin bei uns daheim am Hof nicht grade die Freudentränen in die Augen treibt. Einfach schon, weil sie die größte Ratschn im ganzen Dorf ist, wo man sich überhaupt vorstellen kann, und somit jeder noch so kleine Krümel unter unserer Eckbank von ihr zu unserer totalen Vermüllung auf- und unter die Mitbürger hinausgeblasen wird. Die Antwort, die ohnehin unbefriedigend ausfallen würde, kann ich erst gar nicht mehr abwarten, weil dann mein Telefon läutet. Es ist der Günter aus der Pathologie in München, der dran ist. Und er lässt mich wissen, dass er just in diesem Moment unsere Brandleich auf seinem Obduktionstisch hat.

»Wirklich?«, frag ich und bin ehrlich erstaunt. »Das ist aber schnell gegangen.«

»Ja«, lacht er mir in den Hörer. »Wenig los hier im Augenblick. Die Münchner sterben gerade nicht so gerne. Liegt aber wahrscheinlich auch an der ganzen gesunden Ernährung, dem vielen Yoga und der ewigen Joggerei durch unsere Parks. Die wollen alle unbedingt hundert werden. Minimum.«

»Auch gut. Also, was hast für mich?«

»Nicht viel, ich habe ja grade erst angefangen. Aber eins ist jetzt schon sonnenklar. Ein Unfall scheidet definitiv aus. Die Tote weist Spuren einer Brennpaste auf. Und ich gehe mal davon aus, dass sie sich die nicht selbst aufgetragen hat.«

Na wunderbar! Somit ein Mord also. Dann ist das hier ja jetzt praktisch ein Tatort. Genauer ein Tatort, wo grade unzählige Füße in derben Schuhen durch den Frühjahrsmatsch latschen und dadurch jeglichen denkbaren spurensicherungstechnischen Anhaltspunkt zunichtemachen. Irgendwer hätte das hier wohl alles absperren müssen. Vermutlich ich. Deswegen verbringe ich anschließend meinen wohlverdienten Feierabend damit, die aufgebrachte Bevölkerung vom Grundstück runter- und auf die Straße rauszujagen. Zuerst versuch ich’s ja noch im Guten, also praktisch mit erklärenden Worten und Schulterklopfen und allem möglichen diplomatischen Pipapo. Aber schon kurz darauf muss ich kapitulieren und notgedrungen zur Waffe greifen, weil diese Dickschädel einfach nicht den geringsten Bock haben, das Feld hier zu räumen. Und wie endlich der letzte Hax durchs Gartentürl verschwunden ist, bin ich erstens erleichtert und zweitens ziemlich entsetzt. Weil jetzt plötzlich ganz sonnenklar ist, hier ist nichts mehr zu erkennen. Nicht das Geringste. Wenn es zuvor tatsächlich noch so was wie brauchbare Spuren gegeben hätte, jetzt sind sie ein für alle Mal im Arsch. Begraben unter Fußabdrücken jeglicher Sorte. Na prima. Absperren tu ich aber trotzdem noch schnell, weil: Tatort ist Tatort. Und grad zerr ich diese Rolle mit dem rot-weißen Bandl aus meinem Kofferraum, wie ein weiteres Mal mein Telefon klingelt. Und dieses Mal ist es der Moratschek, der mir die Ehre erweist.

»Richter Moratschek, habe die Ehre. Was kann ich Schönes für Sie tun?«, frag ich, während ich grad das Ende dieses Absperrbandes durchtrenne.

»Es gibt schon wieder einen Mordfall dort in Ihrem Kaff, Eberhofer«, kann ich vernehmen – und im Anschluss ebenso das genüssliche Einverleiben seines heiß geliebten Schnupftabaks. »Das jedenfalls hat mir grad ein Vögelchen gezwitschert.«

»Ein Vögelchen, soso. Das muss ja dann ein ausgewachsener Wanderfalke gewesen sein, so schnell, wie das passiert ist. Ich selber hab die Info nämlich grad erst mal seit drei Minuten.«

»Ein Wanderfalke! Ja, ja, das ist schon gut möglich. Aber was anderes, Eberhofer«, sagt er weiter, und dann schnäuzt er ausgiebig. »Dieser Fußballer da bei euch draußen, Sie wissen schon, der mit dem Migrationshintergrund …?«

»Der Buengo?«

»Meinetwegen auch Buengo. Also dieser Buengo, der war doch auch der Brandmitteiler, nicht wahr? War denn sonst noch jemand außer dem am Tatort? Ich meine, Sie sind doch selber auch vor Ort gewesen, oder etwa nicht?«

»Doch, doch. Wer war dort? Ja, mei, ein paar Feuerwehrler waren natürlich dort, der Doktor auch und unser Bürgermeister halt.«

»Aha. Aha. Verstehe. Und dieser Buengo, der ist jetzt wo genau?«

»Ja, keine Ahnung, ich bin doch nicht dem sein Babysitter.«

»Den müssen S’ verhaften, Eberhofer, haben Sie mich verstanden. Der ist zunächst mal unser einziger Verdächtiger.«

»Der Buengo? Dass ich nicht lach! Bloß weil der zufällig bei der Mooshammerin wohnt!? Der spielt Fußball, das ist ein Sportler durch und durch und sonst nix, Menschenskind! Das ist doch kein Mörder nicht!«

»Soso. Und was ist dann mit den Herrschaften Simpson und Pistorius, wenn die Frage gestattet ist? Gell, da fällt Ihnen nix mehr ein. Also verhaften S’ ihn und aus!«

Dann hängt er mir ein.

Kapitel 2

Ja, manchmal ist dieser Job wirklich zum Kotzen. Genauer gesagt ist mein ganzes Leben manchmal wirklich zum Kotzen. Aber schön der Reihe nach. Wie man sich wohl unschwer vorstellen kann, ist meine aktuelle Aufgabe jetzt nicht so der Brüller. Und zugegebenermaßen bin ich auch relativ kleinlaut, wie ich den armen Buengo über sein neues Domizil aufklären muss, das er ja hoffentlich nur vorübergehend beziehen wird. Sonderbarerweise aber nimmt er es ziemlich gelassen auf. Er hat ja eh grad kein Dach überm Kopf, sagt er. Und überhaupt würde ein alter Spezl aus seiner Heimat ebenfalls grad in der JVA Landshut residieren. Womöglich trifft er ihn dort, wer weiß. Zu erzählen gäb’s jedenfalls vieles.

»Halt die Ohren steif«, sag ich noch, wie ich ihn dort schließlich an meine Kollegen übergeb.

»Ohren steif? Wieso?«, fragt er und fasst sich dabei an die Lauscher.

»Mei, das sagt man halt so.«

»Gut. Halt Ohren steif, Franz«, grinst er mich noch kurz an, dreht sich ab und folgt dann artig dem Beamten, der ihn bereits in Empfang genommen hat. Und so steh ich an der Pforte und schau ihnen noch ein Weilchen hinterher.

Netter Kerl, wirklich. Also der Buengo, mein ich. Über den Wärter kann ich ja nix sagen, den kenn ich einfach nicht. Obwohl ich einige andere hier schon kenn. Ziemlich gut sogar. Den Rottmann Sigi zum Beispiel. Oder den Oswald Georg. Ja, genau, der Sechzger-Schorsch. Den gibt’s ja wirklich, seit ich überhaupt denken kann. Das ist ja vielleicht ein Kaliber, und der hat sich regelrecht hochgedient hier. Zuletzt war er eine ziemliche Nummer, soviel ich weiß. Ob der überhaupt noch im Dienst ist, der alte Sack? Wenn, dann dürfte er schon gut auf seine Pensionierung zurasen.

»Ist noch was?«, will jetzt der Typ hinter seiner Glasscheibe wissen und reißt mich damit aus meinen Gedanken heraus.

»Äh, ja, Kollege, du sag einmal, der Oswald Schorsch, ist der eigentlich noch im Dienst?«

»Der Sechzger-Schorsch? Ja, freilich ist der noch da. Um genau zu sein, warte kurz … noch, warte …«, lacht er mir durchs dicke Glas hindurch, dreht sich dabei jedoch um und schaut hinter sich auf ein Maßband, das dort an die Wand genagelt und offensichtlich schon ein gutes Stück abgeschnitten wurde. »Noch exakt dreiundsiebzig Tage, dann hat er den Wahnsinn hier überstanden. Aber warum fragst? Kennst den, oder was?«

»Ja, ja«, antworte ich und muss grinsen. »Den Schorsch, den kenn ich schon ewig. Weil meistens, wenn ich euch hier neue Gäste vorbeigebracht hab, da war exakt er es, der sie in Empfang genommen hat.«

»Da schau einer an, eine echte Männerfreundschaft, hähä.«

»Würde ich so nicht unterschreiben, meistens haben wir uns gestritten, was das Zeug hält.«

»Ha, lass mich raten! Fußball?«

Ich nicke.

»Bravo! Ein Bayer, so isses recht! Sei gegrüßt Bruder!«

Ich nicke ein weiteres Mal.

»Ja, du, ich muss los«, sag ich und dreh mich auch schon ab. »Aber sagst ihm recht schöne Grüße, wennst ihn siehst.«

»Mach ich … aber, stopp! Von wem denn?«

»Eberhofer. Franz Eberhofer aus Niederkaltenkirchen.«

»Nicht wahr, oder? DER Eberhofer?«

Doch da bin ich schon draußen.

Kaum bin ich ein paar Meter gefahren, da läutet mein Telefon und der Bürgermeister ist dran.

»Sagen Sie mal, Eberhofer«, knurrt er mir in den Hörer. »Haben Sie nicht mehr alle an der Waffel, oder was? Aus welchem Grund verhaften Sie unseren Dings, also praktisch unseren Bengo, bitte schön?«

»Das war eine richterliche Anordnung, Bürgermeister, vom Richter Moratschek, und zwar höchstpersönlich. Da bin ich praktisch machtlos dagegen.«

»Ja, ist der denn deppert geworden, oder was? Der Bengo, das ist doch ein Spitzensportler, verdammt noch mal. Der bringt doch niemanden um.«

»Denken Sie an die Herrschaften Simpson und Pistorius, Bürgermeister.«

»Eberhofer, mir ist jetzt grad gar nicht nach lustig, verstehen S’. Wir haben am kommenden Wochenende nämlich unser erstes Punktspiel, verdammt. Und ausgerechnet gegen Frontenhausen, unsere stärkste Konkurrenz. Da sind wir aufgeschmissen ohne den Bengo, zefix. Machen S’ was!«

Und dann mach ich halt was, und zwar leg ich auf. Gut, vorher sag ich noch schnell, dass er diesen ganzen Senf gefälligst dem Moratschek selber aufs Aug drücken soll, aber bitte nicht mir. Und fertig!

Wie ich heimkomm, ist die Küche voll, das kann man gar nicht glauben. Nicht nur, dass die Oma und der Papa drinnen sind, was ja normal wär. Nein, auch die Mooshammerin ist zugegen, samt Privatarzt Doktor Brunnermeier. Und als ob das nicht schon genügen würde, glänzt auch mein älterer Bruder Leopold mit seiner Anwesenheit, was mich jetzt regelrecht herwürgt. Es ist ja noch nicht mal mehr ein einziger Sitzplatz frei. Und freilich werd ich auch hier gleich mit Fragen bombardiert, was die Verhaftung unserer schwarzen Perle betrifft. Ja, in Niederkaltenkirchen, da gibt es keine Abhörskandale nicht, gell. Und wird’s auch nie geben. Weil da fließen die Informationen völlig legal durchs komplette Kaff, und zwar in Überschallgeschwindigkeit. Ich werf einen Blick in die illustre Runde, geh schließlich rüber zum Kühlschrank und hol mir ein Bier raus. Dann lehn ich mich gegen die Spüle und mach erst mal die Flasche auf.

»Was wird das hier, wenn’s fertig ist? Eine Alten-WG, oder was?«, frag ich und nehm einen Schluck.

»Also, Franz, das ist ja wohl wirklich die Höhe«, sagt der Leopold und schnaubt ganz empört. »Mich persönlich kannst du damit natürlich nicht kränken, ich kenne deinen geistigen Horizont freilich nur zu genau. Aber unseren Gästen gegenüber ist das eine Unverschämtheit, wie es im Buche steht.«

Ja, mit Büchern kennt er sich aus, die alte Schleimsau.

»Unseren Gästen? Wieso sind es deine? Wohnst du zur Abwechslung neuerdings wieder mal hier, oder was? Etwa Ärger im trauten Heim?«

»Franz!«, knurrt jetzt der Papa.

Huihuihui!

»Ach, Papa, lass ihn doch«, sagt der Leopold weiter, schnauft dabei theatralisch durch und legt die Hand auf die Schulter vom Papa. »Er weiß doch gar nicht, was er da überhaupt redet, der Ärmste. Der hat doch von Familie sowieso keinen blassen Schimmer. Und wie sollte er auch?«

»Da spricht wohl der Profi, gell, Leopold«, muss ich hier aber kontern. Doch die alte Schleimsau hier lässt sich gar nicht erst bremsen. Ganz im Gegenteil: Er übergeht meinen Einwand komplett und lässt seiner Klugscheißerei einfach weiter freien Lauf.

»Überleg doch nur mal, Papa. Da hat er endlich ein einziges Mal was zustande gebracht in seinem freudlosen Dasein, nämlich, dass er dir diesen wunderbaren kleinen Enkel geschenkt hat. Ja, und was ist passiert? Mutter und Kind sind zwar wohlauf, aber leider, leider halten sie einen gescheiten Sicherheitsabstand zum stolzen Erzeuger, gell. Ein Jammertal, in dem du da wanderst, Bruderherz. Ein Jammertal, wirklich.«

Wenn ich im Laufe meines Lebens eines gelernt habe, dann Folgendes: Es gibt Situationen, die sind jeglichen Kommentars überflüssig. Einfach weil es alternativ nur zwei Möglichkeiten gibt. Die eine ist, du regst dich wahnsinnig auf, wirst demzufolge relativ ausfallend und hast somit verloren. Die zweite wäre, dagegen zu argumentieren und seine eigene Sicht auf die Dinge zu erklären. Wenn dein Gegenüber aber völlig diskussionsresistent ist und die Weisheit sowieso mit dem Schöpflöffel … dann lieber Klappe halten, auf Durchzug schalten und sich seinen ganz persönlichen Teil einfach denken.

»Blödes Arschloch!«, muss ich trotzdem noch loswerden, und dann mach ich mich lieber vom Acker.

Und so schnapp ich mir also den Ludwig und wir drehen unsere Runde. Wir brauchen zwei-dreiunddreißig dafür, weil ich heute einfach das Bedürfnis verspür, doppelt so lange durch unsere dämlichen Wälder zu laufen, wie ich es sonst immer tu. Der Leopold, ha, dieser elendige Gscheitschmatzer! Hat schon zwei Ehen in den Sand gesetzt, und seine dritte steht wohl grad auch nicht da wie ein Fels in der Brandung. Zumindest dümpelt er momentan so völlig alleine hier rum, während der Rest seiner kleinen Familie schon unzählige Wochen lang in Thailand verweilt. Genauer bei seinen Schwiegereltern. Da muss doch dann was im Busch sein, oder nicht? Und stattdessen, dass er seinen Arsch in die Höh kriegt und sein eigenes Leben sortiert, nein, da kommt er hier angeschissen und will über das meinige urteilen! Ausgerechnet! Arschloch.

Wobei es dann aber natürlich schon auch wieder fast irgendwie stimmt. Leider. Mein kleiner Sohn und die wunderbare dazugehörende Mutter, also die Susi, die wohnen nämlich tatsächlich separat und nicht wirklich bei mir daheim. Und wenn man mal genauer drüber nachdenkt, dann ist das halt scheiße!

Wie ich ihn das allererste Mal gesehen habe, diesen kleinen Racker, da hätt ich ja beinah geweint. Nein: Ich habe geweint. Aber das weiß freilich keiner, und so soll es auch bleiben. An diesem Tag im Krankenhaus, ich weiß es noch genau, da bin ich zuerst mal ein ganzes Weilchen lang vor dieser blöden Zimmertür rumgestanden, ehe ich mich überhaupt getraut hab, dort anzuklopfen. Alle Menschen, die damals durch diesen Flur gelatscht sind, die haben fast alle versucht, mich irgendwie zu ermutigen, oder haben mich wenigstens auffordernd angelächelt. Und irgendwann hab ich es schließlich getan. Hab angeklopft, zunächst noch relativ zaghaft und dann vehementer, und als schließlich das ersehnte »Herein!« gekommen ist, bin ich auch hereingekommen. Was auch sonst? Mein Herz hat mir getrommelt bis rauf zu den Schläfen. Und zunächst einmal, da hat sie mich gar nicht erst sehen können, die liebe Susi. Weil mein Blumenstrauß, natürlich Rosen, nämlich so dermaßen riesig war, dass ich ihn fast gar nicht schleppen konnte. Drei Vasen haben wir später dafür gebraucht und noch einen Eimer. Aber wurst.

»Franz?«, wollte sie dann freilich wissen, und irgendwie hab ich mir ein »Servus« rausgeächzt. Und nachdem ich ihr dann den depperten Strauß endlich aufs Bett gelegt hab, da bin ich schnurgerade zum Kinderbett hin, hab mich drübergebeugt und hineingeschaut. Ziemlich lange sogar. So was Winziges hab ich zuvor in meinem ganzen Leben noch niemals gesehen. So was Schönes aber auch nicht. Ja, gut, bis auf diese Nase vielleicht. Ein richtiger Eberhofer-Zinken, könnte man sagen. Und ausgerechnet da, wie ich so reinschau und bloß dieses dämliche Naserl angaff, genau da kommen mir die Tränen und laufen mir übers Gesicht. Ganz toll, wirklich!

»Weinst du etwa, Franz?«, hat die Susi dann ganz leise gefragt.

»Nein«, hab ich gesagt und mir mit der Hand über die Augen gewischt. »Bloß eine kleine Erkältung.«

»Dann geh sofort weg von ihm!«

»Also keine richtige Erkältung, äh, mehr so eine Art Dings … also eine Art Allergie vielleicht.«

»Wogegen?«

»Wie wogegen?«

Dann hat sie gegrinst.

»Und wie … wie heißt er denn eigentlich?«, ist es mir aus der Kehle gekratzt.

»Leopold!«

»WIE?«, hab ich darauf gleich gerufen, und vermutlich ein bisschen zu laut, jedenfalls macht der kleine Kerl just in dem Moment seine blauen Augen auf, blinzelt kurz raus ins Leben und beginnt auch prompt, an seinen winzigen Fäusten zu nuckeln.

»Der heißt doch nicht wirklich Leopold, oder, Susi?«

»Nein, natürlich nicht!«, hat sie gelacht und ihren hübschen Kopf in den Nacken geworfen. »Aber sag mal, Franz, was würdest du denn von Paul halten?«

»Paul? Du meinst, so wie mein Opa? Ja, das ist schön!«

»Mhm, das hat deine Oma auch gesagt.«

Danach haben wir nur ein bisschen geschwiegen und wie von Sinnen nur diesen nuckelnden Wicht angeglotzt. Mit seinen langen Wimpern, diesem unglaublichen Schmollmund und dem irren Haarbüschel, der ihm schon jetzt ganz tief in die Stirn fällt. Da fehlen dir tatsächlich die Worte.

»Das hast du ziemlich gut hingekriegt, Susimaus!«, hab ich irgendwann zu ihr gesagt.

»Ja, dieses Erfolgserlebnis wird dir dein ganzes Leben lang verwehrt bleiben, lieber Franz«, hat sie geantwortet, und eine gewisse Genugtuung war dabei durchaus kaum zu überhören.

»Du, ich glaub, der kleine Paul hier, der hat einen furchtbaren Durst, so wie er grad an seiner Faust rumnuckelt«, hab ich gesagt und zu ihr rübergeschaut.

»Soso, ja, da spricht wohl der Fachmann. Aber nein, das kann schon gut sein, er ist ja schließlich von dir. Komm, sei so lieb und reich ihn mir mal rüber. Aber sei bitte vorsichtig.«

»Ich … äh, ich glaub, ich trau mich nicht.«

»Du … was?«, hat sie dann gesagt und dabei ihre schönen Augen verdreht. Hat die Bettdecke zurückgeworfen und ist in ihrem getigerten Nachthemd und den dicken Wollsocken an den Füßen zu uns rübergekommen. Hat dann diesen kleinen Scheißer ganz routiniert auf den Arm genommen, grade so, als hätte sie noch niemals zuvor je etwas anderes getan. Und exakt in diesem Moment ist die Türe aufgeflogen und eine nicht mehr ganz taufrische Schwester kam zu uns ins Zimmer.

»Ach, schön, Frau Gmeinwieser! Wie ich sehe, ist er ja doch noch gekommen, der stolze Papa. Ja, dann will ich auch gar nicht länger stören und schau lieber hernach noch mal nach Ihnen und dem kleinen Fratz, gell«, hat sie gesagt, und schon war sie auch wieder verschwunden.

Später am Abend, grad wie ich mich auf den Heimweg machen will, da hab ich sie draußen im Flur noch einmal kurz getroffen. Und jetzt wollte ich freilich noch unbedingt wissen, warum sie zuvor einfach so dermaßen sicher davon ausgegangen ist, dass ich so eindeutig der Kindsvater bin.

»Na, Sie sind ja gut«, hat sie gelacht. »Die Nase, meine Güte! Diese Nase macht jeden Vaterschaftstest überflüssig. Glauben Sie einer alten und sehr erfahrenen Säuglingsschwester, mein Lieber!«

Ja, so ist das alles gewesen. Und es ist grade erst mal ein paar Wochen her. Und jetzt steh ich hier allein in diesem blöden Wald rum, und der arme Ludwig, der sitzt vor meinen Füßen und glotzt zu mir hoch. Wahrscheinlich ist sie ihm heut ja tatsächlich etwas zu lang, unsere Runde. Immerhin ist er ja auch nicht mehr der Jüngste. Und vermutlich wird er wohl auch allmählich Hunger kriegen. Genauso wie ich. Also bleibt uns gar keine andere Wahl, als langsam, aber sicher den Rückweg anzutreten. Selbst wenn man daheim grad tausendmal das Gruseln kriegt … Jetzt, gerade wo ich so nachdenk, da ist es wahrhaftig ein richtiges Wunder, dass es diesen kleinen Kerl, den Paul, nun überhaupt gibt. Weil die Susi und ich, wir hatten schon viele gute Zeiten zusammen. Aber eben nicht nur. Leider. Im Grunde hat es halt einfach immer unglaublich viel Auf und Ab gegeben in unserer Beziehung. Und Meinungsverschiedenheiten, schier ohne Ende. Wegen der blöden Heiraterei beispielsweise. Weil die Susi halt ums Verrecken heiraten wollte und ich ums Verrecken eben nicht. So was in der Art halt. Und dann, ganz urplötzlich war da diese Schwangerschaft, die sie ganz alleine überstehen musste, meine tapfere, kleine Susi. Da war nämlich grad wieder mal Sendepause bei uns beiden. Zum einen, weil ich lange Zeit gar nicht gewusst hab, dass sie überhaupt schwanger ist. Und wie ich es irgendwann endlich wusste, bis zum Schluss hin der sicheren Meinung war, dass ein ganz anderer dafür verantwortlich und nun der stolze Papa sei. Hm. Jetzt zieh ich mein Handy heraus und schau mir die ersten Bilder wieder an. Das mach ich gerne. Besonders, wenn der Alltag grad mal wieder nicht so plüschig ist. So wie jetzt halt. Die Susi ist da drauf. Und freilich auch der Paul. Oder der Paul und die Susi. Und hier wieder die Susi und der Paul. Manchmal auch der Paul ohne die Susi. Oder umgekehrt. Ja, achthundertvierundsechzig sind es mittlerweile. Sehr schön. Der Ludwig fängt grad zu winseln an. So müssen wir wohl los, eh er mir hier noch jämmerlich verhungert, der Ärmste.

Wie durch ein Wunder treffen wir exakt in dem Moment auf dem Hof ein, wo grad das traditionelle Abschiedszeremoniell vom Leopold seinen Lauf nimmt.

 

Es ist immer und immer wieder das Gleiche. Und das geht so: Erst umarmt er allesamt der Reihe nach, grad so, als müsste er gleich eine zehnstündige OP über sich ergehen lassen, bei der die Überlebenschance bei unter einem Prozent liegt. Um dann, ganz am Ende, den armen Papa bis hin zur Schnappatmung zu quetschen.

»Komm heil zurück, Leopold«, sagt der jetzt fast weinerlich und quetscht den Leopold gleichermaßen retour.

»Muss er denn in den Krieg, oder was?«, frag ich deswegen erst mal.

»Nein«, sagt der Papa und schaut zu mir her. »Der Leopold, der fliegt doch morgen nach Thailand. Zu seiner Familie, weißt.«

»Und was, bitte schön, wird dann aus seiner heiligen Buchhandlung?«, muss ich nun wissen.

»Sei so gut und zerbrich dir nicht meinen Kopf, Bruderherz. Ich hab freilich bestens vorgesorgt. Meine zwei Mitarbeiter sind topfit, bestens eingewiesen und haben alles total im Griff. Also, Papa«, wendet er sich wieder ab. »Jetzt muss ich aber wirklich los, muss ja noch mein Köfferchen packen. Obwohl man dort ja eigentlich gar nicht viel braucht, gell. Die haben dort ja selber nix. Also, ihr Lieben, macht’s gut, ich denk an euch und ich schreib euch eine schöne Karte, gell!«

Das letzte Mal, wo der Leopold eine schöne Karte aus Thailand geschrieben hat, ist draufgestanden, dass er grade ein nettes Mädchen kennengelernt hat. Wie diese Karte dann endlich bei uns daheim angekommen ist, da hat dieses nette Mädchen schon längst bei ihm gewohnt und war im siebten Monat schwanger.

Wie auch immer, Autotüre zu, winke, winke, und schon gehen die Reifen durch, dass der Kies nur so fliegt.

»Komm, Bub«, sagt die Oma anschließend und hakt sich bei mir unter. »Ich hab dir noch ein bisserl was vom Abendessen aufgehoben. Viel ist es nicht, die haben ja gefressen wie die Schleuderaffen. Und mit so vielen Leut hab ich sowieso gar nicht gerechnet. Aber wirst schon noch satt werden.«

Und kurz darauf komm ich auch schon in den Genuss der diversen Reste. Gut, von der Leberknödelsuppe ist nur noch die Suppe da, kein einziger Knödel. Dafür ist der Kaiserschmarrn aber umso besser, vom Marillenkompott mag ich gar nicht erst reden.

»Sag einmal Franz«, sagt die Liesl, gleich nachdem ihr der Brunnermeier mithilfe eines Löffels irgendwelche abgezählten Tropfen in den Schlund befördert hat. »Wenn du den armen Buengo verhaftet hast, dann war das doch offensichtlich ein Mord, oder etwa nicht? Dieser Brand dort in meinem Haus drüben?«

»So wie’s momentan ausschaut, war es ein Mord, Liesl, ja, das ist richtig.«

»Aber der Buengo, der ist doch kein Mörder, Franz! Nie im Leben!«

»Ja, stell dir vor, dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen.«

»Ja, dann setz deinen Arsch in Bewegung und klär den Fall auf, Mensch! Dieser arme Kerl dort in dem furchtbaren Knast. Und das mit seiner Hautfarbe! Und überhaupt … die ganzen Schwulen dort drinnen. Ja, pfui Teufel, sag ich dir. Den musst du da unbedingt ganz schnell rausholen, Franz!«

»Du kennst dich ja aus, Liesl.«

»Ja, ob du’s glaubst oder nicht, ich kenn mich aus. Außerdem kannst sowieso gleich zum Essen aufhören, Dorfsheriff, und zum Landgasthof rausfahren. Die kannst nämlich alle miteinander direkt verhaften, dieses blöde Gschwerl!«

»Also, wenn ich bitten darf, Mooshammerin, was ist denn in Sie gefahren, meine Gute?«, fragt jetzt der Brunnermeier und scheint grad wirklich entsetzt zu sein. Hat der die Liesl noch nie in Action erlebt?

»Ja, weil’s wahr ist«, brummt sie weiter und jetzt kommt sie erst richtig in Fahrt. Und so erfahren wir, dass sie seit Neuestem nämlich keine Lust mehr hat, denen vom Landgasthof weiterhin den Deppen zu machen und deren Tischdecken zu waschen und zu bügeln, wie sie es eigentlich jahrzehntelang schon tut, einfach weil halt ihre kleine Pension oft nicht genug abwirft. Und ihr Boykott, der hat auch einen ganz simplen Grund, einfach weil sie halt immer noch ein und dasselbe Geld dafür kriegt, wie sie es eben auch schon vor Jahrzehnten gekriegt hat. Knickrig sind die bis zum Dorthinaus, sagt die Liesl, und dabei haben die doch wahrhaftig genug! Ja, von den Reichen, da kann man das Sparen lernen! Aber jetzt … jetzt hat sie die Schnauze endgültig voll. Sie bügelt doch nicht mitsamt ihrem furchtbaren Kreuzweh für drei-achtzig die Stunde! Schließlich ist sie ja nicht deppert! Und das hat sie ihm jetzt auch gesagt, dem Wirt vom Landgasthof. Und zwar höchstpersönlich. Wirt, hat sie zu ihm gesagt, unter acht Euro mach ich dir nix mehr! Da krieg ich ja beim Putzen noch mehr! Ja, hat er daraufhin erwidert, dann gehst halt zum Putzen, Mooshammerin! Da war sie erst einmal sprachlos. Doch bevor sie schließlich und endlich und mit wehenden Fahnen zur Gasthoftür raus ist, da hat sie ihn noch angebrüllt, möge euch der blöde Landgasthof abfackeln! Woraufhin der Wirt zurückgebrüllt hat, sie soll bitte schön recht brav aufpassen, dass sie nicht selber bald abfackelt, dort in ihrem Drecksloch! So weit die Fakten. Der arme Herr Doktor wirkt jetzt ziemlich entsetzt, ja beinah erschüttert, ob der derben Ausdrucksweise seiner einzigen Patientin.

»Bist satt geworden, Franzl?«, will die Oma mit Blick auf meinen leeren Teller nun wissen.

»Ja, mei«, sag ich und zuck mit den Schultern.

»Gell, hab ich mir schon gedacht. Wart, ich mach dir noch ein paar Bratkartoffeln mit Speck. Erdäpfel sind ja von gestern noch etliche übrig«, sagt sie, und schon wandert sie herdwärts.

»Sie sollten sich ein bisschen gesünder ernähren, Eberhofer«, empfiehlt mir der Brunnermeier nun etwas besorgt und schüttelt dabei den Kopf.

»Ja, und überhaupt, du wirst doch jetzt nicht noch mal etwas essen, Franz«, übernimmt die Liesl wieder das Zepter. »Wann, bitte schön, willst denn endlich da rausfahren und dieses elendige Dreckspack verhaften? Immerhin ist das deine Pflicht und Schuldigkeit als Polizei.«

Dem armen Brunnermeier wird’s jetzt, glaub ich, zu bunt. Jedenfalls verabschiedet er sich relativ hastig, verspricht aber, morgen wieder nach dem Rechten zu schauen. Wobei er wohl stark bezweifeln dürfte, dass die Mooshammerin tatsächlich auch weiterhin ärztlich betreut werden muss.

Kaum stehen ein paar Augenblicke später meine Bratkartoffeln auf dem Tisch, da geht die Tür auf und der Flötzinger erscheint. Manchmal kommt’s mir beinah so vor, als wär das hier die einzige Anlaufstelle für sämtliche verpfuschte Existenzen dieses Planeten.

»Servus, miteinander«, sagt er und zieht sich gleich mal einen Stuhl hervor. »Hab mir schon gedacht, dass ich dich hier finde, Liesl. Gut schaust aus, so erholt. Gell, so ein bisschen Wellness, und schon sind zwanzig Jahr wie weggeblasen, hähä«, trällert er über den Tisch und lehnt sich damit sehr weit aus dem Fenster.

»Was willst?«, fragt die Liesl erwartungsgemäß mit schiefem Kopf und verschränkten Armen.

»Ja, mei«, antwortet er und räuspert sich dann. »Du, wegen deinem Haus, gell, da muss doch jetzt sicherlich so einiges gemacht werden, nehme ich an. Die Heizung wahrscheinlich und vielleicht sogar das Bad und so weiter und so fort.«

Die Mooshammerin starrt ihn an wie ein Mondkalb.

»Gut, also.« Räusper. »Äh, ja, was ich eigentlich sagen wollte, wenn du da einen erfahrenen Fachmann brauchst, Liesl, also praktisch einen echten Profi, jemanden, der sein Handwerk aus dem Effeff versteht wie kein zweiter, dann …«, sagt er weiter, kramt seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und zückt daraus eine seiner Visitenkarten hervor. Die legt er exakt vor ihr auf den Tisch und trommelt mit seinem Zeigefinger darauf herum wie ein Wilder. »Dann ruf mich einfach an, okay? Tag oder Nacht, ganz egal und völlig unverbindlich, freilich. Ich mach dir dann einen guten Preis, versteht sich ja von selbst, gell.«

»Der Flötzinger ist ein Halsabschneider, Liesl«, sagt jetzt die Oma von ihrer Spüle herüber.

»Geh, das weiß ich schon selber, Lenerl«, antwortet die, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

»Sag einmal, Franz«, schaut mich unser Heizungspfuscher daraufhin an. »Wie macht sie das eigentlich, eure Oma? Sie kann doch gar nix mehr hören, oder, zefix!«

»Flötzinger«, sag ich und schieb mir die letzten Kartoffeln in den Mund. »Wenn du hier bei uns aufschlägst, dann hat das jedes Mal finanzielle Hintergründe. Jedes Mal, verstehst. Da muss man gar nix hören, das weiß man halt einfach.«

Nun steht er auf, geht zur Mooshammerin rüber und beugt sich tief über sie.

»Einen sensationellen Sonderpreis mach ich dir, Liesl«, zischt er ihr ins Ohr. »Einen absoluten Wahnsinnspreis, da kannst deinen knackigen Arsch drauf verwetten.«

Anschließend klopft er dreimal auf unseren Tisch und verschwindet durch die Türe, grad so, wie er eben gekommen ist.

»Halsabschneider«, knurrt ihm die Oma noch hinterher, während sie sich die Hände abtrocknet. Vom Wohnzimmer rüber tönen mittlerweile die Beatles in alter Manier. Can’t Buy Me Love. Und ich schieb meinen Teller zur Seite, und jetzt ist es mir schlecht. Ob das nun allerdings eher kulinarische Ursprünge hat oder akustische, kann ich nicht definitiv zuordnen. Das Einzige aber, das ich mit Sicherheit weiß, ist, dass ich jetzt dringend ein klitzekleines Schnapserl brauch. Und so hol ich ein Glas aus der Vitrine und schenk mir was ein.

»Ja, sag einmal«, nervt die Liesl aber prompt weiter. »Jetzt fängt er auch noch zu saufen an. Herrschaftszeiten, wann fährst denn endlich los und schnappst dir diese Bagage da draußen? Immerhin handelt es sich dabei um Mörder!«

»Du, Mooshammerin, jetzt mach einmal schön langsam, gell. Und sag mir bitte schön DU nicht, wie ich meinen Job zu machen hab. Und überhaupt, wie lang soll das jetzt so gehen, ha? Wie lang wohnst du jetzt eigentlich bei uns da, wenn die Frage gestattet ist. Hock dich doch einfach auf deinen Besen und düs ab!«

»Franz!«, tönt nun auch noch der Papa vom Türrahmen her. Er schlurft durch die Küche hindurch zum Kühlschrank und holt sich ein Bier raus. »Die Liesl, die ist unser Gast hier, verstanden. Und immerhin wohnt sie ja bei uns da herüben im Wohnhaus und nicht drüben in deinem Domizil, gell. Und wann immer dir unsere Gäste nicht passen, Bub, dann gehst einfach schön rüber in deine eigenen vier Wände und machst die Tür hinter dir zu. Sind wir uns da einig?«

Die Blicke, die mir die blöde Mooshammerin im Laufe dieses Vortrags zuschmeißt, sind an Triumph nicht mehr zu überbieten. Wenn ich’s nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, die Mooshammerin streckt mir doch tatsächlich die Zunge raus. Ich hau dann hier besser mal ab, das ist ja nicht mehr zum Aushalten, wirklich.

Wie ein geprügelter Hund schleich ich über den Hof und schnurstracks rein in meinen umgebauten Saustall. Steig über die Carrerabahn, quetsch mich am Kickerkasten vorbei und roll die drei Fußbälle ins Eck. Alles Sachen für den kleinen Paul, die ich bei diversen Schnäppchentouren mit der Oma relativ günstig erstehen konnte. Dann schalt ich AC/DC auf Horrorlautstärke, schnapp mir die Wolldecke, knall mich aufs Kanapee und mach die Augen zu. Mir ist immer noch schlecht. Außerdem wird mir jetzt auch noch schwindelig, und zwar saumäßig. Heiß ist es auch hier drinnen, sogar ganz unerträglich heiß. Verreck, wie ich schwitze! Und mein Herz, schlägt das denn nicht auch viel unregelmäßiger als sonst? Doch, doch! Taktak, taktaraktak, taaaaak, taktarak … Wahnsinn! Ob’s nun dahingeht mit mir? Wunder wär’s ja keins nach so einem freudlosen Tag. Ich öffne die Augen und starr an die Zimmerdecke. Sie dreht sich. Ganz langsam. Aber dort oben kann ich meine Mama erkennen. Zunächst eher verschwommen, ganz allmählich aber deutlicher und deutlicher. Sie lächelt. Und streckt die Hand nach mir aus. Meine Mama ist bei meiner Geburt gestorben. Jetzt gibt’s wohl keinerlei Zweifel mehr.

Kapitel 3