Legendäre Pässe - Frederik Backelandt - E-Book

Legendäre Pässe E-Book

Frederik Backelandt

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Beschreibung

Vom Mont Ventoux bis zum Stilfser Joch: Die besten Pässe für Rennradfahrer Kilometerweit über einsame Serpentinenstraßen, Kehre um Kehre immer höher hinauf, mitten durch ein atemberaubendes Bergpanorama: Passstraßen sind ein besonderes Sehnsuchtsziel für jeden ambitionierten Radsportler. Der Sportjournalist Frederik Backelandt und der Fotograf David Stockman haben sich auf den Weg gemacht, um die 30 anspruchsvollsten und schönsten unter ihnen in einem Buch zu versammeln. Der atmosphärische Bildband nimmt Sie direkt mit in den Berg und lässt Sie spüren, was diese Rennrad-Touren so besonders macht. • 30 Pässe in mythischen Bildern und atmosphärischen Texten • Inspiration für Rennradreisen: Italien, Frankreich, Spanien, Österreich und Schweiz • Streckendetails, historische Hintergründe und unterhaltsame Grand-Tour-Anekdoten • Unter anderem mit Alpe d'Huez, Tourmalet, Aubisque, Gotthardpass und Galibier Mit dem Rennrad über Pässe, die Sportgeschichte schrieben Frederik Backelandt und David Stockman sind selbst passionierte Radsportler und süchtig nach steilen Anstiegen. Die von ihnen ausgewählten Strecken sollten auf keiner Bucket List fehlen – die großen Radrennen wie die Tour de France, Vuelta oder der Giro d'Italia wären ohne sie nur halb so spektakulär. In lebendigen Texten erzählt Frederik Backelandt von den Erfahrungen des Duos, teilt Anekdoten aus der Geschichte des Radrennsports und gibt hilfreiche Tipps zur richtigen Pace. Die großformatigen Fotografien zeigen die schönsten Pässe der Alpen, Pyrenäen und Dolomiten in ihrer ganzen Pracht und wecken die Lust aufs Bergfahren. Euphorie, Atemlosigkeit und das Brennen der Muskeln: Dieser Bildband lässt Sie alles hautnah miterleben, egal ob Sie Ihre eigenen Radtouren planen oder nur in Gedanken mitradeln wollen!

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It's just a hill.

Get over it.

FREDERIK BACKELANDTDAVID STOCKMAN

LEGENDÄREPÄSSE

RADSPORT-LEIDENSCHAFTVOM STILFSER JOCH BIS ALPE D’HUEZ

Aus dem Niederländischen von René Stein

INHALT

Alpe d’Huez

Alto de Angliru

Col d’Aubisque

Col du Ballon d’Alsace

Col de la Bonette

Monte Carpegna

Cormet de Roselend

Col de la Croix de Fer

Colle Fauniera

Passo Fedaia

Col du Galibier

Passo Gardena

Passo Gavia

Passo Giau

Gotthardpass

Grimselpass

Col de l’Iseran

Col d’Izoard

Lagos de Covadonga

Col du Lautaret

Col de Peyresourde

Pla d’Adet

Passo Pordoi

Col du Portet

Sa Calobra

Stilfser Joch

Timmelsjoch

Col du Tourmalet

Drei Zinnen

Mont Ventoux

David Stockman (*1974) studierte Fotografie an der Hochschule Narafi in Brüssel und begann als Pressefotograf für die Zeitungen der (damaligen) VUM-Mediengruppe. Seit 2007 ist er auch für das Fahrradmagazin Grinta! als Haus- und Hoffotograf tätig. Für Belga hat er in den letzten zehn Jahren unter anderem über Cyclocross-Rennen und Radsport allgemein berichtet, auch bei der Tour de France war er bereits mehrfach akkreditiert.

Frederik Backelandt (*1982) ist Historiker, verdingte sich zunächst als Journalist in der Radsportredaktion von Het Nieuwsblad und ist Herausgeber des Radsportmagazins Grinta!, wo er als treibende Kraft fungiert. Außerdem hat er verschiedene Radsportbücher und -biografien verfasst. Backelandt schreibt nicht nur über den Radsport, er ist auch ein begeisterter Radfahrer. Er hat mehrmals die Weltmeisterschaften im Radfahren für Journalisten gewonnen und ist geradezu süchtig danach, sich in den Bergen zu verausgaben.

AUßERHALB DER WERTUNG

Ihre Größe. Ihre Unverrückbarkeit. Die Schwierigkeit, sie zu bezwingen: Es ist ein Rätsel, aber es sind mögliche Gründe dafür, warum wir uns von Bergen so angezogen fühlen. Denn das sind sie ja, oder? Das Auge bleibt unweigerlich an ihnen hängen. Ruf dir den herrlichen Augenblick ins Gedächtnis, wenn du im Auto Richtung Süden fährst und die ersten Berggipfel vor dir auftauchen. Oder erinnere dich an die warmen Sommertage, an denen du vor der Flimmerkiste gesessen hast, gefesselt von den Bergankünften bei der Tour de France. Draußen sind es 30 °C, aber du hockst drinnen und verfolgst die Etappe. Komplett. Vom Startschuss bis zum Zielstrich.

Was ist es, das uns so begeistert? Es liegt an den Pässen. Was wären Tour, Giro oder Vuelta ohne sie? Wenn es bergauf geht, sobald es schwieriger wird und die Anstiege warten, dann schlägt das Herz der Radsportfans höher. Wenn wir verschwitzte Leiber sehen, die sich in gigantischen Berglandschaften abmühen, wenn wir Fahrer sehen, die sich einen abstrampeln, um den Gipfel zu erreichen, dann lieben wir das Rennen noch ein Stückchen mehr.

Wie schon Eddy Merckx feststellte: „Der Berg kennt kein Erbarmen.“ Wie man es auch dreht und wendet, Radler lieben die Schmerzen, die der Berg für sie bereithält. Radler sind Masochisten. Ein Pass regt stets die Fantasie eines jeden an.

Genau darum geht es im Radsport. In den Rennen werden Helden geboren, die für immer im Gedächtnis bleiben.

Alpen und Pyrenäen sind voll von diesen geschichtsträchtigen Orten. Hier riss Merckx aus, dort ging Hinault aus dem Sattel, und an jener Haarnadelkurve schaute Armstrong Ullrich in die Augen, um danach gnadenlos zu attackieren. Die Pässe erzählen Geschichten, von Glorie und von Triumphen, aber auch von Enttäuschung und Verdruss, von Schmerzen und von Freude. Diese Emotionen und Geschichten sind die magischen Ingredienzien für so manchen Pass – auch in diesem Buch.

Allein in den Bergen Radfahren: Eigentlich tue ich nichts lieber als das – viel lieber, als darüber zu schreiben. Klettern und abfahren. Und danach wieder klettern. Niemand, der mir folgt. Niemand, den ich abhängen oder bei dem ich um jeden Preis das Hinterrad halten muss, damit ich mein Gesicht nicht verliere. Allein mit mir selbst, mit meinem Rennrad, und meinen Gedanken. Einen Rhythmus suchend. In die Pedale tretend, am liebsten sitzend, nur dann und wann eine steile Kurve schneidend, um tänzelnd aus dem Sattel zu gehen. Um die folgende Haarnadelkurve wieder außen zu nehmen und den Muskeln wieder etwas Sauerstoff zu gönnen. Alles Mögliche geht mir durch den Kopf. Ich frage mich, wie viel Kilometer es noch sind, was wohl die durchschnittliche Steigung ist, wann das steilste Stück bevorsteht, um noch ein paar Körner übrig zu haben, wenn der Gipfel in Sicht kommt. Um dann oben abzusteigen, eine Jacke überzustreifen und mir eine Cola zu bestellen. Oder auch 20 – sehr kleine – Pfannkuchen, wie auf dem Gipfel des Peyresourde.

Wie habe ich sie genossen, diese 30 Pässe. Ich muss mich korrigieren: Was haben WIR sie genossen. Wir, das sind David Stockman und ich. Er, der Serge Gainsbourg der Fotografie und Liebhaber der französischen Pässe (und von Raclette und Génépi). Ich, der italophile „Coppitifoso“ mit einer Vorliebe für die Dolomiten. Wir form(t)en ein tolles Team.

Es sind Davids Bilder, die das Buch zu dem machen, was es ist. Zu einer endlosen und leuchtenden Diashow an inspirierenden Fotos. Sie rangieren außerhalb jeder Wertung. Hier ein Panorama, dann wieder ein Detail. Hier mit einer Kuh, dann wieder mit einer Bergziege – an entsprechender Bergfauna mangelte es uns nicht. Hier ein Bild, dass in der Morgendämmerung aufgenommen wurde, dann wieder im Abendlicht. Und ja, dann wurde auch mal ein Foto in der brennenden Mittagssonne aufgenommen – als wir einmal keine Lust hatten, früh aufzustehen, und es später bitter bereut haben. In all den Jahren lernten wir das Wechselspiel zwischen Sonnenstrahlen und vorbeiziehenden Wolkenfeldern zu schätzen und zu lesen. Gerade das Ausweichen von Unwettern, die im Hochgebirge so schnell aufziehen können, kann enorm wichtig sein.

In diesem Buch präsentieren wir 30 Pässe, die mal mehr, mal weniger von Pathos umgeben sind. Aber es sind die wichtigen, die auf jeder Bucket List stehen: Galibier, Stilfser Joch, Tourmalet, Pordoi, Alpe d’Huez und Konsorten. Ich werde oft gefragt: Welcher ist der schwerste und der schönste Pass? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Bilde dir anhand der Fotos und Geschichten auf den folgenden Seiten dein eigenes Urteil. Oder du fährst die Pässe selbst hinauf.

Egal, ob du mithilfe des Buches Inspiration für deinen nächsten Radurlaub suchst oder schon konkret planen möchtest: Auf jeden Fall sollte deine Lektüre unter die Hors Catégorie fallen.

Frederik Backelandt

ALPE D'HUEZ

21 KEHREN ZUM RUHM

Jedes Jahr ist Alpe d’Huez ein Magnet für Radsportler und Radsportfans, auch wenn die 21 Haarnadelkurven weder die allerschönsten noch die allerschwersten sind. Und doch: Alpe d’Huez hat das gewisse Etwas, und das liegt vor allem an seiner reichen Tour-de-France-Geschichte – eine Ansammlung von Triumphen und Tragödien.

Zeitzeuge des Duells Robic–Coppi

21 Kehren zählt der Anstieg hoch nach Alpe d’Huez. In Kurve 16 – virage seize – befindet man sich nahe des Dörfchens La Garde. An dem Café mit dem auf der Hand liegenden Namen „Virage 16“ wackelt ein alter Mann im Schneckentempo vorbei. Es handelt sich um Maurice Vieux, einen rüstigen 90-Jährigen, der in dem Haus schräg gegenüber des Cafés lebt. „Ich wohne bereits mein ganzes Leben hier“, sagt er. „Ich habe es jedes Mal miterlebt, wenn die Tour hier Station gemacht hat, auch das allererste Mal im Jahr 1952. Damals kam Jean Robic, der Bretone, als Erster hier vorbei, dann Fausto Coppi, der die Etappe schließlich gewann. Die Fahrer, der Zustand des Straßenbelags, das Material … Oh, là, là, das waren andere Zeiten.“ Auch wenn er „sein“ Alpe d’Huez nur einmal mit dem Rad bezwungen hat, weist Maurice mich daraufhin, dass der schwerste Teil geschafft ist, wenn du Kehre 16 hinter dir gelassen hast. „Ich muss es wissen. Und das eine Mal, als ich hochgefahren bin, wusste ich noch etwas sofort: zu schwerer Tobak für mich, ein Mal und nie wieder, hab ich mir geschworen.“

„DEN REKORD HÄLT NOCH IMMER MARCO PANTANI. WENN DU AUCH NUR IN DIE NÄHE SEINER 37:35 MINUTEN KOMMST, DANN BEWIRB DICH UMGEHEND BEI EINEM PROTOUR-TEAM.“

Als einen „Hotspot der Tour de France“ beschreibt Bike Oisans, die Informationsplattform für Radsportler den Anstieg hoch nach Alpe d’Huez. Und damit haben sie den Nagel auf den Kopf getroffen, denn Alpe d’Huez hat seinen Namen und seinen Ruhm definitiv der Tour zu verdanken.

Im Juli sind das Bergdörfchen und der Anstieg beinah vollständig im Bann der Frankreichrundfahrt. In dieser Woche, vermutlich das ganze Jahr über, ist Alpe d’Huez wohl der am meisten überradelte Pass der Alpen, vielleicht sogar der ganzen Welt. Täglich pedalieren im Schnitt 300 Radsportler nach oben, und beim Jedermannrennen La Marmotte bildet Alpe d’Huez seit Menschengedenken für die 6.000 Granfondo-Teilnehmer, die sich an die monströse Schinderei über all die Alpenpässe wagen, den Schlussanstieg.

Woher kommt die Popularität? Weil die Umgebung dort so schön ist? Nicht wirklich, es gibt zahlreiche, vielleicht sogar Hunderte Pässe, die Alpe d’Huez diesbezüglich den Rang ablaufen, darunter auch Pässe in der näheren Umgebung wie der Col de la Croix de Fer, um nur einen zu nennen. Der fast 15 Kilometer lange Anstieg hoch zum Skiort hat einen anderen Trumpf im Ärmel, und der heißt Tour de France. Seit 1952 ist Alpe d’Huez ein legendärer Ort, an dem die die Tourteilnehmer wiederholt Geschichte schreiben. Ein Ort von Ruhm und Drama, viel eher als etwa der Isèran oder Bonette, die – das muss man so sagen – sowohl an Schönheit als auch Schwierigkeitsgrad mehr zu bieten haben. Alpe d’Huez ist zudem ein medienwirksamer Pass, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs immer im Fernsehen zu sehen war, sodass alles, was sich dort abspielte, in die Netzhaut des Radsportfans eingebrannt hat.

ZEITNAHME

Wenn du in Le Bourg-d’Oisans am Kreisverkehr die Abzweigung Richtung Alpe d’Huez nimmst, rollst du noch ein paar Hundert Meter weiter, bevor es in den Anstieg geht. Es gibt noch eine Zeitmessstation (vergleichbar mit dem Stoppomat in Deutschland), auch wenn es in Zeiten von Strava etwas altmodisch erscheint. Und doch entscheiden sich jährlich etwa 2.000 Radsportler für die „offizielle Registrierung“: So eine Urkunde macht sich gut in der Pokalsammlung oder auf dem Kamin im Wohnzimmer. Den Rekord hält der verstorbene Marco Pantani, aus dem Jahr 1997 mit einer Zeit von 37:35 Minuten, was im Schnitt 23,08 Stundenkilometer ergibt. Bitte schön. Ein Rekord, der in einer Ära zustande kam, die nicht als die sauberste in der Radsportgeschichte gilt und von dem Experten vermuten, dass er für alle Zeiten unerreichbar bleiben wird. Jedenfalls: Wenn du auch nur in die Nähe seiner 37:35 Minuten kommst, dann bewirb dich umgehend bei einem ProTour-Team.

Die 21 Haarnadelkurven sind Alpe d’Huez‘ Markenzeichen. Was sie so besonders macht, ist, dass jede Kurve den Namen eines Fahrers trägt, der dort gewinnen konnte – inzwischen sind auch mehrere Namen auf den Tafeln verewigt, da es mittlerweile mehr Sieger als Kehren gibt. Kurve 1 gehört dem ersten Sieger Fausto Coppi, der 1985 den launischen Jean Robic, seinen letzten Widersacher am Berg, auf die Plätze verwies. Es war gleichzeitig die erste Bergankunft bei einer Touretappe überhaupt.

ADIEU, PLATTES LAND!

Du verlässt Le Bourg-d’Oisans auf 737 Metern über dem Meer, das Skiresort Alpe d’Huez liegt auf 1.860 Meter. Ein Rat für alle, die es mit viel Energie am Fuß von Alpe d’Huez angehen lassen: Vergaloppier dich nicht in den ersten Kehren, denn die sind nämlich die steilsten. Adieu, plattes Land! Nach den ersten Kilometern und Kurven wird der Anstieg etwas erträglicher, und du kannst versuchen, in einen komfortablen Rhythmus zu kommen. Lass die Beine kreiseln, und gönn ihnen ab und an etwas Sauerstoff, indem du die Kehren weiter außen nimmst, wo es etwas „flacher“ zugeht. Der Anstieg wird „erträglicher“, aber bleib lieber auf der Hut, denn ein Selbstläufer ist und wird es deshalb noch lange nicht. Ab Kehre 9 mit der Kirche und dem Friedhof von Saint-Ferréol, noch etwa fünf Kilometer vom Gipfel entfernt, tauchen die ersten Skihotels auf. Kurve 7 verdient als „Holländerkurve“ besondere Erwähnung: Jedes Mal, wenn die Tour hier vorbeikommt, ist diese Kurve ganz in Orange gehüllt. Die Niederländer haben es scheinbar mit Alpe d’Huez und der Tour: Zwischen 1976 (Joop Zoetemelk) und 1989 (Gert-Jan Theunisse) konnten sie hier acht Etappensiege verbuchen. An der Abzweigung zum Col de la Sarenne, einer Alternativroute auf dem Weg nach oben, folgst du weiter der Straße. Jetzt noch ein paar Kilometer alles geben, oben wartet die Belohnung.

LUCIEN GEWINNT UND VERLIERT

Triumph und Tragödie gehen bei der Tour Hand in Hand, das gilt sicher auch für Alpe d’Huez. 1976 legte Lucien van Impe den Grundstein für den letzten belgischen Toursieg. 1977 wurde der Skiort dann zum großen Drama für die Belgier, als derselbe van Impe auf dem Weg zum erneuten Toursieg von einem Begleitfahrzeug über den Haufen gefahren wurde (der Zwischenfall ist noch immer nicht gänzlich aufgeklärt). Auf derselben Etappe endete auch die Ära von Eddy Merckx. Der „Kannibale“, der das vergangene Jahrzehnt dominiert hatte, verbuchte einen komplett gebrauchten Tag und verlor 13 Minuten auf der Etappe nach Alpe d’Huez. Aber Merckx wäre nicht Merckx, hätte er nicht am Folgetag zurückgeschlagen und die Etappe nach Saint Etienne gewonnen. Alpe d’Huez bildete auch den Rahmen für das berühmte „Duell“ zwischen dem Altmeister Bernard Hinault und dem jüngeren Emporkömmling und Teamkollegen Greg LeMond. Am 21. Juli 1989 überfuhren beide Streithähne Hand in Hand die Ziellinie hinauf nach Alpe d’Huez. Die Mannschaftskollegen hatten auf einen Sprint verzichtet: Hinault bekam die Etappe, LeMond das Gelbe Trikot. „Ein janusköpfiger Adler“, rühmte die französische Sportzeitung Equipe die Aktion der beiden, die jedoch niemals miteinander auskommen sollten.

Marco Pantani konnte sich mit zwei legendären Etappensiegen auszeichnen, 1995 wie auch 1997. 2001 und 2004 gewann Lance Armstrong: 2001 streute er seinem ewigen Rivalen Ullrich Sand in die Augen, und 2004 drückte er beim ersten Zeitfahren überhaupt nach Alpe d’Huez hinauf – inmitten von fast einer Millionen Zuschauern – der Tour seinen Stempel auf.

21 KEHREN

ALTO DE ANGLIRU

„WIR SIND KEINE TIERE!”

Im spanischen Asturien findet sich ein echter Horroranstieg, der von Mal zu Mal bei der Vuelta sein zerstörerisches Werk vollbringt: der Alto de Angliru, besser bekannt als „Bestie von Asturien”.

Als der Angliru bei der Spanienrundfahrt 2002 als Scharfrichter fungierte, sorgte das für einige Kontroversen. Von dieser Vuelta ist weniger Roberto Heras, bekannt als hervorragender Kletterer und Kapitän von Kelme, der den Gesamtsieg holte, im Gedächtnis geblieben als die bemerkenswerte Protestaktion von Robert Millar während der Angliru-Etappe. Der Schotte stieg kurz vor dem Zielstrich ab und hielt den Organisatoren seine Rückennummer hin. „Wir sind Radsportler, keine Tiere!“, schnauzte er ihnen entgegen. Das sagt schon alles über den Angliru, der in mehreren Vuelta-Ausgaben unter teils erbärmlichen Wetterbedingungen erklommen werden musste. Durch den unsäglichen Steigungsgrad an bestimmten Abschnitten kam es gleich mehrmals zu chaotischen Situationen.

Als ich am Fuß des Anstiegs in La Vega ankomme, etwas südlich von Oviedo, ist mir auch ziemlich mulmig zumute. Das gilt umso mehr, weil der Himmel wenig Gutes zu versprechen scheint: Was führen die Wettergötter heute im Schilde? Wird es wieder wie im Jahr 2002, oder vielleicht auch im Jahr 1999, in das meine erste Erinnerung an den Angliru zurückreicht?

ZU FUß

1999 habe ich für mich das Rennrad entdeckt, inspiriert durch den Draufgänger Frank Vandenbroucke. Der flamboyante Kapitän von Cofidis, der seine Haare färbte, entschied sich in dem Jahr dafür, als ultimative Vorbereitung auf den Kampf um das Regenbogentrikot in Verona bei der Vuelta an den Start zu gehen. Vandenbroecke wollte eine Topsaison mit dem Weltmeistertitel und der Spanienrundfahrt krönen, und es sollte sein letzter Versuch werden, das Regenbogentrikot zu ergattern. Wir wissen alle, dass es ihm nicht gelang, aber bei der Vuelta sorgte er – angespornt durch die Saeco-Hostess (und spätere Ehefrau) Sarah Pinacci – doch für Furore. Sogar in den Bergen zeigte er seine Klasse, rieb sich als Aushilfsdomestik für Jan Ullrich auf, der in der Schlusswoche Schwierigkeiten hatte und drohte, sein Goldenes Trikot des Gesamtführenden durch die ständigen Attacken der spanischen Kletterer zu verlieren. Aber auf dem Angliru sollte er noch nicht alles zeigen, mit seinen Heldentaten wartete er bis zur Schlusswoche.

1999 wurde der Angliru zum ersten Mal in die Vuelta aufgenommen. Dass der mörderische Anstieg das Klassement kräftig durcheinanderwirbeln würde, daran zweifelte niemand. Der spanische Toursieger von 1998, Pedro Delgado, hatte ihn zuvor erkundet und war schwer beeindruckt: „Das hab ich noch nie gesehen. Hier werden einige zu Fuß hochgehen“, war er sich sicher.

CHABAS MOMENT

Die Wetterbedingungen bei der besagten Angliru-Etappe sind höllisch: Es ist kalt, neblig und feucht. Es ist der Russe Pavel Tonkow, der die Attacken einleitet und auf dem Weg zum Etappensieg zu sein scheint – aber da hat er die Rechnung ohne die spanische Kletterdominanz gemacht, in Person von Roberto Heras und José Maria Jiménez. Das Duo lässt erst den Führenden Abraham Olano und anschließend dessen Rivalen Jan Ullrich stehen, um danach nach vorn zu stürmen. Auf dem allersteilsten Abschnitt des Angliru, nicht mehr weit vom Zielstrich, wagt „Chaba“ Jiménez dann seine Attacke. „Chaba“, eine Abkürzung für el chabacano, was so viel bedeutet wie der Wilde