Legende eines Helden - Manuel Otto Bendrin - E-Book

Legende eines Helden E-Book

Manuel Otto Bendrin

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Beschreibung

Fiuruburgs Heerführer Īsarnaro findet bei seiner Rückkehr die Stadt Rôdmāno zerstört vor. Unvermittelt sieht er als Mensch sich in einen Krieg zwischen Magiern und Dämonen verwickelt, bei der Bündnisse und Allianzen eine gewichtige Rolle spielen. Der entthronte Dämonenfürst Seìka schlägt Īsarnaro einen Pakt vor. Und die Elfen und Zwerge nutzen die Gunst der Stunde, um eigene Vorteile herauszuschlagen. Īsarnaro sucht den Krieg so schnell wie möglich und mit geringen Verlusten zu beenden, doch jede Entscheidung könnte die letzte sein ...

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

05/2023

 

Legende eines Helden – Auf dem Spielbrett der Macht

 

© by Manuel Otto Bendrin

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2023 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Lektorat: Sabrina Stillenmunkes, Matti Laaksonen

Korrektorat: Rudolf Strohmeyer

Buchsatz: Lena Widmann

 

 

Coverbild ›Sekandert – Königliches Blut‹

© 2022 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Coverbild ›Kristallchroniken – Das Erbe des Zirkels‹

© 2022 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

 

ISBN 978-3-96741-216-1

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

Printed in Germany

 

 

Manuel Otto Bendrin

 

 

Legende eines Helden

-

Auf dem Spielbrett der Macht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

 

 

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

Über den Autor

Hybrid Verlag …

 

Prolog

 

Heerführer Īsarnaro hob abwehrend die Hände. »Aber das liefe letztlich auf einen Krieg hinaus! Wenn sie jetzt schon nicht mit sich reden lassen, wird offener Widerstand zwangsläufig …«

»Genau das. Ja«, beendete Herzogin Windabrūd seinen Satz. »Dessen sind wir uns bewusst. Deswegen möchte ich Euch auch auf unserer Seite wissen, Heerführer.«

»Ihr wollt also tatsächlich einen Krieg beginnen, um einen ebensolchen zu verhindern? Das ist doch Irrsinn!«

Īsarnaro ließ den Blick wandern: von den beiden ergrauten Zwergenältesten Berko und Durde über die zerbrechlich wirkende Elfenpriesterin Torill und ihren Prinzen Preben, bis zu den menschlichen Herzogen Trunhuld, Athalrat und Windabrūd.

Die Mienen aller Anwesenden blieben wie versteinert. Schließlich seufzte Herzogin Windabrūd resigniert und faltete die Hände auf dem Tisch.

»Von Euch hätte ich ein wenig mehr Weitsicht erwartet, Heerführer.«

Īsarnaro schüttelte lediglich den Kopf. »Als Herzogin könnt Ihr die Tragweite kaum einschätzen. Ihr seid eine Frau des Volkes, keine Kriegerin. Das kann doch nicht das Mittel der Wahl sein! Krieg! Nach alledem!«

»Höre, Heerführer«, mischte sich Hohepriesterin Torill beschwörend ein. »Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es in absehbarer Zeit zu einem Aufstand kommen. Die Völker sind missgestimmt, die Familien am Rande ihrer Belastbarkeit angelangt.«

Berko schlug wuchtig mit der Faust auf das Holz, sodass der ganze Tisch erbebte. Als ihm alle Aufmerksamkeit galt, sagte er grimmig: »Es wird so kommen. Was ist Euch lieber? Ein militärisch geführter Krieg oder ein planloser Aufstand?«

»Wie zweiter ausgeht«, übernahm Windabrūd wieder das Wort, »brauche ich Euch wohl kaum zu erklären.«

»Es wäre ein blutiges Gemetzel«, bestätigte Īsarnaro tonlos.

»Eben das. Wir kommen ihnen ausschließlich mit einer überragenden Strategie bei. Für alles andere sind sie zu mächtig. Das Überraschungsmoment ist dabei entscheidend.«

»Und dafür brauchen wir Euch«, mischte sich nun Trunhuld ein.

Īsarnaro ließ die Schultern sinken und sah wie betäubt zu Boden. Endete das denn nie? Er war es so leid …

»Ich will nicht am Tod Abertausender schuld sein«, sagte er kaum hörbar.

»Es wird so oder so unzählige Tote geben«, erklang eine Stimme hinter ihm. »Die Frage ist nur, ob ihr Ableben einen Sinn hat.«

Die Aufmerksamkeit richtete sich auf den Eingang. Einige erbleichten. Der Heerführer drehte sich neugierig um.

Dort stand ein junger weißhaariger Elf in leichter schwarzer Reiterkleidung. Ein gleichmütiges Lächeln zierte die feinen Züge. Seine Haltung strahlte Macht aus und die hellen Augen schienen im Schatten des Zelts beinahe zu leuchten.

Irgendwo hatte Īsarnaro ihn schon einmal gesehen. Aber er erinnerte sich nicht, wo. Als sich ihre Blicke trafen, hellte Freude das Gesicht des Elfs auf.

»Ich weiß, wenige schätzen das Leben so wie du, aber es gibt keinen Sieg ohne Kampf; und keinen Kampf ohne Opfer. Die Welt wird sich blutig wandeln. Doch noch können wir Einfluss darauf nehmen, wohin sie sich entwickelt.«

Angestrengt starrte Īsarnaro den Mann an und überlegte fieberhaft, woher sie einander kannten. Immerhin hatte er außer mit ein paar wenigen Magiern nur mit zwei oder drei Gesandten des Elfenreichs gesprochen, bevor das Unheil seinen Lauf genommen hatte.

»Wir haben einen Plan, der aussichtsreich ist«, griff Torill unterdessen den Faden auf, »und die kleinstmögliche Zahl an Opfern bedeutet.«

»Oder wir geben auf und fristen ein Dasein als Sklaven«, brummte Berko unzufrieden und ließ sich mit vor der Brust verschränkten Armen zurückfallen.

»Es ist die einzige Möglichkeit«, fuhr der Elf vor Īsarnaro ruhig fort. »Wahre, endgültige Freiheit wird uns nicht geschenkt werden – wir müssen für sie kämpfen oder das Joch anerkennen, für uns und alle nach uns. Aber ich schwöre dir, mein Freund, dieser Plan ist das Beste, was wir haben.«

Dabei trat er an ihn heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Īsarnaro sah dem Elf direkt in die wie aus Quecksilber gegossenen Augen. Plötzlich dämmerte es ihm.

»Seìka?«, fragte er ungläubig.

Der Angesprochene schenkte ihm ein breites Grinsen. »Das hat ja lange gedauert.«

»Aber…« Īsarnaro schüttelte verwirrt den Kopf. »Die Herzogin sagte, du bist tot! Wie kann das sein?«

»Ist das nicht offensichtlich?«

»Jetzt, da du es sagst …«

Īsarnaro kam sich unsäglich dumm vor. Während er noch überlegte, wie er das peinliche Schweigen brechen sollte, umarmte Seìka ihn herzlich. Nach einigen Sekunden erwiderte er den Druck und ließ sich zu einem Schmunzeln hinreißen, als er den anderen wegschob.

»Du siehst so … anders aus.«

Seìka kräuselte die Oberlippe und breitete die Arme aus, während er an sich herabsah. »Ich hatte nicht die Möglichkeit, wählerisch zu sein. Es musste schnell gehen.«

»Ich weiß nicht, ob ich mich an den Anblick gewöhnen kann.«

»Ach, das wird schon.« Sein Gegenüber winkte ab. »Und, schließt du dich unserer Sache an?«

Īsarnaros Miene verdüsterte sich schlagartig. Er musterte einen nach dem anderen, während er in Gedanken noch einmal alles durchging.

»Ich bin mir nicht sicher, ob das hier wirklich der richtige Weg ist«, antwortete er schließlich vorsichtig. »Aber Vieles, was in den letzten zwei Jahren geschehen ist, ist bereits falsch. Ich habe immer öfter das Gefühl, dass richtig und falsch nicht mehr das sind, was ich einst gelernt habe. Zumindest du hast mich nie angelogen. Also will ich der Sache einen Versuch geben …«

1.

 

Zwei Jahre zuvor

 

Selbst die Grillen schwiegen an diesem Frühlingstag. Die bleierne Stille vermischte sich mit dem Geruch nach verkohltem Holz und verbranntem Fleisch.

Starr vor Entsetzen verharrten die gerüsteten Reiter auf der gepflasterten Straße. Die Standarte Fiuruburgs wand sich müde in der Brise. Die Pferde, den Geruch nicht gewöhnt, scharrten unruhig mit den Hufen und knabberten mit angelegten Ohren an ihren Gebissen.

Die Eile, welche die Krieger den Hang hinaufgetrieben hatte, war verflogen. Niemand wagte zu sprechen, als könnte das geringste Wort das albtraumhafte Bild vollends in die Wirklichkeit zerren.

Die hellen Sandsteinmauern Rôdmānos strahlten vom Feuer unberührt in der Mittagssonne. Das gewaltige gusseiserne Stadttor lag halb geschmolzen auf dem Boden. Wo einst Dächer die Mauer überragt hatten, verdeckte nichts mehr den Blick in den Himmel. Vereinzelt trieben Rauchschwaden über der Stadt.

Der Wind blies konstant Asche durch das offene Tor, die langsam die Straße unter sich begrub. Wie ein gewaltiger Schlund gab der Torgang den Blick auf die rußgeschwärzte und im Feuer zerstörte Stadt frei.

Wie betäubt rieb sich Īsarnaro, Heerführer der königlichen Kriegerelite, mit dem gepanzerten Handschuh über die zerzausten braunen Haare. Ein leises Stöhnen verlor sich in der Stille. Er musste die Übelkeit niederkämpfen, die ihn zu übermannen drohte. Welch Zerstörung!

Seltsamerweise fühlte er sich vollkommen leer. Statt Wut, Schrecken oder Angst um seine Familie herrschte in ihm die gleiche Stille wie um ihn herum. Wann? Wie konnte so etwas überhaupt geschehen? Es herrschte doch seit Ewigkeiten Frieden zwischen den Reichen. Es konnte sich nur um einen üblen Traum handeln!

»Vielleicht …«, versuchte sich ein Krieger unsicher zu beruhigen. »Vielleicht sind sie entkommen?«

Endlich kam Bewegung in die Reihen. Unsicheres Murmeln, vereinzeltes Schluchzen. Einige besaßen Verwandte in der Stadt. Īsarnaro schürzte die Lippen und richtete den Blick nach links.

Der rothaarige, bärtige Mann an seiner Seite war totenbleich. Obwohl Skadowulf mit seinen mehr als vierzig Lebensjahren schon viele Kämpfe gesehen hatte, stand auch ihm das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Īsarnaro wandte sich wieder der Stadt zu.

»Wie kann das sein? Vor vier Tagen war alles noch in Ordnung. Man bräuchte eine riesige Armee, um die Stadt dermaßen … Die hätte uns doch auffallen müssen?«

»Aro …« Skadowulf blickte sich ratlos um. »Ich weiß es nicht. Hat die Herzogin etwas angedeutet?«

Īsarnaro schüttelte langsam den Kopf. Er verstand es selbst nicht.

Vor vier Tagen waren sie hier vorbeigekommen. Sie hatten das benachbarte Herzogtum besucht und die Dokumente der Herzogin Windabrūd für den diesjährigen Handel abgeholt. Nirgendwo hatten sie ein einziges Zeichen einer Armee gesehen.

»Sind sie von dort«, Skadowulf sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren, »eingefallen? War das Treffen eine Ablenkung?«

Einen Moment dachte Īsarnaro darüber nach, ehe er den Kopf schüttelte.

»Warum sollte Herzogin Windabrūd so etwas tun?«, fragte er zweifelnd und wunderte sich darüber, wieso er so ruhig blieb. »Sie weiß doch, dass uns unser Weg hier vorbeiführt.«

»Ich versuche nur zu verstehen … Der König und der Rat müssen hiervon erfahren.«

Īsarnaro sah seine Recken an – fünfzig an der Zahl. Eine große Abteilung, die andernorts als Provokation gegolten hätte. Wie viele Mann mochte man brauchen, eine Stadt wie Rôdmāno binnen drei Tagen zu zerstören? Die Zeit der großen Kriege und Heere war seit Generationen vorbei. Kein Herzogtum besaß noch eine Armee. Das Königreich Fiuruburg verfügte als einziges Reich über etwas, das man ein Heer nennen konnte. Wer also hatte vom Magierrat unbemerkt so viele Kämpfer aufstellen und ausbilden können?

»Wir müssen nachschauen, ob noch jemand lebt. Ob sie Hilfe brauchen …«

Seine Worte trafen auf verschlossene Mienen. Er glaubte selbst nicht daran. Dennoch: Er musste sich einfach einreden, dass sie noch jemanden retten konnten. Sonst würde ihn nichts dazu bringen, diese Tore zu durchreiten.

Īsarnaro atmete tief durch, ehe er möglichst kraftvoll sprach: »Männer! Wir reiten in die Stadt. Wir suchen Überlebende. Vielleicht stoßen wir noch auf Feinde oder Plünderer, also seid wachsam. Macht der Krone Ehre.«

Wie nüchtern seine Stimme klang. Hätte man ihm jemals gesagt, dass er sich eines Tages in dieser Situation befinden und dabei so ruhig bleiben würde, er hätte es nicht geglaubt.

Die Krieger nahmen Haltung ein und kämpften ihre Starre nieder. Īsarnaro zog sein Schwert und ritt in die Stadt. Der Trupp folgte seinem Beispiel.

Der Weg durch das Tor wirkte wie der Ritt durch eine Höhle. Unwillkürlich fühlte Īsarnaro sich wie ein Rind auf dem Weg zur Schlachtbank.

Kaum in der Stadt empfing sie der beißende Geruch von schwelendem Holz und verbranntem Fleisch. Einstimmiges Stöhnen erklang und mancher würgte die letzte Mahlzeit heraus. Auch Īsarnaro wahrte nur mit Mühe Haltung, um seinen Recken ein Vorbild zu sein. Niemals hätte er erwartet, so etwas erleben zu müssen.

Mehr als der Gestank beunruhigte ihn das Fehlen jeglicher Spuren der Bewohner. Kampfspuren ließen sich nur erahnen: hier ein umgestürzter Wagen, dort eine zerbrochene Klinge, an anderer Stelle ein eingetrockneter Blutfleck, den die Flugasche noch nicht ganz verdeckt hatte.

Über der Stadt lag eine gespannte Stille. Sobald ein Holzbalken unter der Hitze eines Schwelbrandes knackte oder brach, zuckten die Reiter zusammen. Sekundenlang verharrten sie und warteten auf einen Angriff, der jedoch jedes Mal ausblieb.

Als sich die Straße zum Marktplatz öffnete, blieb Īsarnaro fast das Herz stehen. Ein unterdrückter Aufschrei ging durch die Gruppe und einige erbrachen sich vom Pferd herab.

Īsarnaro kämpfte denselben Drang nieder. Sein Herz krampfte sich zusammen und sein Magen rebellierte. Die Glieder drohten, den Dienst zu versagen. Doch die pure Grausamkeit des Bildes bannte seinen Blick wie ein böser Zauber.

Inmitten des Marktplatzes starrten ihnen dreißig Kinder mit glasigem Blick und verrenkten Gliedern, auf Lanzen der Stadtwachen aufgespießt, entgegen. Überall lagen verkrümmte Leichen von jungen Frauen und Greisen auf dem mit Blut und Asche verkrusteten Pflaster.

Īsarnaro rang nach Luft, doch sofort raubte ihm der Gestank nach Tod den Atem. Von Ekel und Grauen geschüttelt löste er sich mühevoll von diesem Anblick.

Beinahe gegen seinen Willen drängten sich ihm strategische Fragen auf: Wo waren die Wachen? Die waffenfähigen Männer? Leichen der Angreifer? Hierbei konnte es sich nur um eine Botschaft – oder eine Falle – handeln.

Die Erkenntnis ließ ihn herumfahren und erneut auf den Platz starren. Niemals hätte er ein menschliches Wesen zu solch Boshaftigkeit für fähig gehalten. Je länger er dorthin sah, umso deutlicher konnte er eben diese Nachricht erkennen: Das blüht euch auch. Lauft!

»Aro«, drang Skadowulfs tonlose Stimme an sein Ohr. »Sieh …«

Als Īsarnaros Blick dem ausgestreckten zitternden Arm des Kriegers folgte, durchfuhr ihn eiskaltes Entsetzen. Für einen Moment tat sich ein schwarzer Abgrund auf, der seinen Verstand hinabsaugte.

Mechanisch glitt er von seinem Pferd, um mit immer schnelleren Schritten zu einer der Frauen am Boden zu laufen.

Neben ihr blieb er stehen, starrte atemlos auf sie hinab, ehe er mit einem Klageschrei auf die Knie sank und sie an sich zog. Weinend vergrub er das Gesicht in dem schwarzen Haar seiner Schwester.

Das beendete den Bann dumpfer Betäubung. Mehrere Krieger brachen ebenfalls von Übelkeit und Grauen übermannt zusammen. Andere rannten zu den Leichen und suchten nach Angehörigen, die Gesichter glichen Masken aus Verzweiflung und Hoffnung. Schreie und Wehklagen zerrissen die Stille.

Schließlich legte Skadowulf Īsarnaro müde die Hand auf die Schulter. In der Berührung lag kein Trost, nur Hilflosigkeit.

Unter Aufbringung aller Willenskraft löste Īsarnaro sich von seiner Schwester. Vorsichtig bettete er ihren Kopf auf den Boden und strich ihr die Haare zurück. Verzweiflung wich rasender Wut.

»Sucht sie«, zischte er, bevor er laut aufbrüllte: »Durchsucht die ganze Stadt und findet sie! Bringt sie hierher, damit ich ihnen eigenhändig die Haut von den Knochen schälen kann! Ich will die Köpfe derer, die das hier getan haben!«

Unsicher hielten die Männer inne und sahen einander an. Īsarnaro stieß ein leises Knurren aus und fuhr hoch.

»Worauf wartet ihr? Durchsucht jeden Winkel! Ich will wissen, wer das war!«

Die ersten rannten zu ihren Pferden zurück. Andere mussten mit sanfter Gewalt von ihren Kameraden von den Leichen weggezogen werden. Īsarnaro starrte ihnen mit wutverzerrtem Gesicht hinterher.

Als die letzten ins Straßengewirr eingetaucht waren, seufzte Skadowulf leise und schüttelte den Kopf. »Musste das jetzt sein?«

Īsarnaro kämpfte gegen den Zorn. Ein Tränenschleier verzerrte seine Sicht und hinderte ihn daran, das Gegenüber zu fixieren. Skadowulf erwiderte seinen brennenden Blick ungerührt.

»Das war die dümmste Entscheidung, die du jemals getroffen hast! Seit wann ist Zorn ein guter Ratgeber?«

»Ich werde sie nicht davonkommen lassen!«

»Ach nein?« Skadowulf verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wenn sie noch da sind, was machen sie wohl mit den nun versprengten Männern? Sie freundlich grüßen?«

Īsarnaro kniff die Augen zusammen. Er wusste, dass Skadowulf recht hatte, doch das wollte er nicht zugeben. Irgendjemand musste büßen – jetzt!

»Wir wissen beide, dass sie schon längst weg sind«, verteidigte er sich trotzig. »Es werden nur noch Abartige und Plünderer hier sein.«

»Das kannst du nicht wissen, Aro! Nur weil es am wahrscheinlichsten ist, muss es nicht stimmen!« Skadowulf legte ihm erneut die Hand auf die Schulter. »Ich verstehe ja, dass du wütend bist. Wäre ich an deiner Stelle auch. Aber du bist kein einfacher Krieger. Du bist unser verdammter Heerführer! Die Männer müssen sich darauf verlassen können, dass du in genau solchen Momenten einen kühlen Kopf bewahrst!«

Īsarnaro knurrte wieder und wandte sich mit einem Ruck ab. Langsam schritt er durch die Reihen der Toten und betrachtete einen nach dem anderen. Er kannte nur wenige der Gesichter, die meisten aus flüchtigen Begegnungen. Aus seiner Familie fand er niemand Weiteren. Wo steckten sie?

Nach etwa einer halben Stunde kehrten drei Reiter zurück. Zwischen ihnen hinkte ein Mann in zerfetzter Kleidung. Sie führten den Gefesselten an einem Seil. Die Mienen der Krieger drückten Ingrimm aus.

Īsarnaro warf Skadowulf einen triumphierenden Blick zu.

Dieser zuckte lediglich mit den Schultern. »Zufall.«

Īsarnaro spuckte auf den Boden und ging den Männern entgegen. Diese zügelten ihre Tiere und salutierten kurz, ehe sie den Gefangenen präsentierten.

»Den haben wir unter einem Balken gefunden«, berichtete der vorderste. »Sie hielten es wohl nicht für nötig, ihn zu bergen. Sagt, sie seien schon gestern weitergezogen.«

»Weiter?« Īsarnaro horchte auf. »Das war kein einzelner Überfall?«

Der Mann presste die Lippen fest aufeinander und starrte Īsarnaro trotzig an. Dieser spürte wieder die Wut in sich aufsteigen.

Schwer beherrscht fragte er: »Wer hat euch ausgesandt?«

Schweigen.

Īsarnaro schlug dem Mann die Faust in die Magengrube, sodass dieser sich übergab. Doch der Gefangene schwieg weiter beharrlich. Der nächste Schlag traf sein Gesicht und zermalmte das Jochbein.

»Rede!«, brüllte Īsarnaro.

Der Mann schrie vor Schmerz und wand sich. Die Krieger starrten ohne Mitleid auf ihn nieder. Schließlich sank der Gefangene schluchzend in sich zusammen. Dabei schüttelte er wie unter Zwang den Kopf.

»Ich krieg die Wahrheit aus dir raus!«, drohte Īsarnaro. »Und wenn ich dir die Haut in Streifen abziehen muss!«

Der Kopf des Mannes ruckte hoch. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte er Īsarnaro an.

»Ihr versteht nicht!«, stieß er hervor. »Ich kann es Euch nicht sagen! Ich kann es nicht!«

»Da du sprechen kannst, sehe ich kein Hindernis.« Ein harter Zug stahl sich in Īsarnaros Gesicht. »Glaub mir, sie werden dir nicht annähernd das antun, was ich mit dir anstelle. Wenn ich die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft ziehen kann, werde ich den Tod meiner Familie an dir rächen. Willst du das?«

Die letzte Farbe wich aus dem geschundenen Gesicht des Gefangenen. Sein Blick wanderte hilfesuchend umher, fand jedoch kein Mitleid. Wimmernd ließ er den Kopf sinken.

»Sie kommen aus mehreren Herzogtümern«, flüsterte er. »Und es sind Fremde dabei.«

»Fremde? Was für Fremde?«

»Man munkelt, sie hätten einen Pakt mit den Dämonen geschlossen.«

Die Krieger lachten verunsichert. Als Īsarnaro nicht mit einstimmte, verstummten sie und sahen einander bedrückt an.

Die Aussage überrumpelte Īsarnaro. Seine Wut verpuffte und ließ nur verwirrtes Staunen zurück. Langsam richtete er sich auf.

»Die Dämonen sind im Schattenreich weggesperrt«, widersprach er leise. »Die Ungeheuerlichkeit deiner Behauptung lässt sich nicht in Worte fassen!«

»Ich lüge nicht!«

»Das ist egal. Beides wäre ein Frevel sondergleichen. Allein die Behauptung als reine Taktik wäre eine offene Rebellion gegen den Rat. Wie könnt ihr nur?«

Der Mann blieb ihm eine Antwort schuldig. Īsarnaro gab den Reitern einen Wink, worauf sie den Gefangenen davonschleiften und an einen Balken fesselten.

»Mehrere Reiche haben sich gegen uns verbündet?«, fragte Skadowulf zweifelnd. »Denkst du, das ist eine Kriegserklärung?«

»Das ist ein heimtückischer Überfall. Findet heraus, wohin sie gezogen sind.«

»Mach keine Dummheit, Aro …«

»Tu einfach, was ich dir sage!«

Īsarnaro selbst ging in den umstehenden Ruinen auf die Suche nach Holz, das nicht oder kaum verbrannt war. Mühsam schaffte er einen Balken nach dem nächsten heran. Mit der Zeit kehrten die Krieger zurück und schlossen sich schweigend seiner Arbeit an. Wenigstens diese armen Sünder sollten eine Bestattung erhalten.

»Herr!« Ein Reiter sprengte aus einer Straße heran, das Gesicht aschfahl. »Wir haben sie gefunden!«

Īsarnaro richtete sich auf. »Wen? Die Feinde?«

»Nein.« Er zügelte sein Pferd direkt vor ihm und erklärte atemlos: »Die Toten. Sie haben sie auf dem Tempelhof aufgestapelt. Die Bürger und ihre eigenen. Darunter sind … seht selbst.«

Dabei warf er eine Leiche vom Rücken seines Pferdes. Mit einem dumpfen Laut landete der Körper auf dem Boden.

Īsarnaro näherte sich ihm vorsichtig. Kopfschüttelnd versuchte er zu begreifen, was er sah. Die Züge des Toten waren archaisch, kantig und fein zugleich. Schwarze Haare umrahmten das bartlose Gesicht, auf dem sich feine schwarze Linien wie Wurzeln abzeichneten. Īsarnaro berührte eine davon: hart stach sie unter der Haut hervor.

»Was bei allen Göttern?«, fragte er leise.

»Dämon …«, erscholl die Stimme des Gefangenen, gefolgt von einem ängstlichen Lachen.

2.

 

Eine gute Stunde später verließ die Kriegerschar die Stadt. Das Gesehene lastete wie Blei auf den Gemütern und erstickte jedes Gespräch.

Vor dem intakten Westtor ließ Īsarnaro anhalten, um die zertretenen Felder und Weiden rechts und links der Straße genauer zu betrachten. Unzählige Hufe und Stiefel hatten die Pflanzen restlos vernichtet.

»Der Gefangene scheint die Wahrheit gesagt zu haben«, stellte er nachdenklich fest. »Sie reiten weiter nach Westen. Es ist noch nicht vorbei.«

Einer düsteren Prophezeiung gleich hingen seine Worte über der Einheit. Mienen trübten sich ein und unwilliges Murmeln kam auf. Īsarnaro unterband es mit einer energischen Handbewegung.

»Wir folgen ihnen«, befahl er. »Einer wird nach Liohtstênburg reiten und dem Herzog Bericht erstatten. Der Rest kommt mit mir. Wir werden diese Hundesöhne verfolgen.«

»Wir wissen nicht, wie viele es genau sind«, warf einer der Krieger ein. »Und wenn das mit den Dämonen stimmt?«

Īsarnaro starrte ihn mit flammendem Blick nieder. Kleinlaut zog sich der Krieger hinter zwei Kameraden zurück.

Īsarnaro hob die Stimme: »Es ist unsere gottverdammte Pflicht, das Königreich zu beschützen! Ihr seid die Besten der Besten! Und keine verfluchten Feiglinge! Wollt ihr diese Bastarde so weiter machen lassen? Wegen eines Gerüchts? Hörensagen eines Gefangenen? Seit wann fürchten wir uns vor gottverdammten Gerüchten?«

Schweigen. Schultern strafften sich, Kinne reckten sich nach vorn, Augen blitzten auf. Und wenn sie in den Tod ritten, so würden sie doch möglichst viele mit sich nehmen.

»Gut. Du.« Er deutete auf den Krieger, der seine Zweifel geäußert hatte. »Du reitest nach Liohtstênburg.«

Der Mann nickte knapp, wendete sein Pferd und gab ihm die Sporen. Schwer donnerten die Hufe über die gepflasterte Straße.

»Los«, befahl Īsarnaro.

Die Schar folgte dem Mann langsamer. Bei der nächsten Kreuzung wandten sie sich endgültig gen Westen und damit in eine andere Richtung.

»Wenigstens scheint Liohtstênburg noch sicher zu sein«, brummte Īsarnaro.

Die schmale Straße führte sie an verheerten Feldern und leeren Weiden vorbei. Die durchziehende Armee hatte alles Essbare mitgenommen.

Das nächste Dorf, das sie erreichten, lag ebenfalls in Schutt und Asche. Hier hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Leichen aufzusammeln oder eine schauerliche Nachricht zu hinterlassen.

»Haben sie in Rôdmāno wirklich alle Leichen von den Wegen geräumt, nur um ihre makabre Botschaft zur Geltung zu bringen?«, fragte ein Krieger verstört.

»Es hat ganz den Anschein«, bestätigte Skadowulf kopfschüttelnd.

Īsarnaro zog an den Zügeln und lenkte sein Pferd von der Straße. Sie umritten das Dorf. Sie konnten nichts für die Toten tun. Wieder auf der Straße trieben sie ihre Tiere zu einem ausdauernden Trab an.

Im Laufe des Nachmittags passierten sie mehrere Gehöfte, die Rôdmānos Schicksal teilten. Īsarnaro zwang sich dazu, nicht innezuhalten. Auch seine Männer vermieden es, die Ruinen, die sie passierten, genauer zu betrachten.

Abends rasteten sie in einem verlassenen, ummauerten Gutshof, der etwas abseits der Straße lag. Äußerlich wies er keinen Schaden auf, sodass Īsarnaro hoffte, die Bewohner wären rechtzeitig geflohen. Die geweißten Mauern um das Anwesen boten zumindest ein wenig Schutz vor Angriffen und die Gebäude hielten die nächtliche Kälte draußen.

Vorsichtshalber teilte Īsarnaro mehrere Wachschichten ein. Er selbst übernahm die letzten zwei Stunden vor dem Morgengrauen.

 

Müde starrte Īsarnaro auf die friedlich wirkende Ebene. Der Raureif auf dem Gras funkelte im Mondlicht und sein Atem gefror zu feinen Wolken in der Luft. Unwillig zog er den Wollumhang etwas fester um die Schultern.

Nie zuvor hatte es ihn gestört, allein mit seinen Gedanken zu sein. Doch jetzt wanderten diese immer wieder nach Rôdmāno zurück und kreisten um die eine Frage, die er einfach nicht beantworten konnte: warum?

Der erste schwache Lichtstreifen erhellte den Horizont, als Schritte seine kreisenden Gedanken unterbrachen. Dankbar wandte Īsarnaro sich zu Skadowulf um, der ihm einen Becher heißen Tee reichte. Nachdenklich drehte er das Gefäß zwischen seinen Fingern.

Schließlich fragte Īsarnaro seufzend: »Kommt es mir nur so vor, oder arbeiten sie sich gezielt durch das Gebiet?«

»Sie sind auf jeden Fall gründlich. Als ginge es ihnen ausschließlich darum, möglichst jeden zu töten und alles zu vernichten.«

»In der eingeschlagenen Richtung liegen noch vier größere Höfe, ein Dorf und eine Wachstation.« Īsarnaro nahm einen vorsichtigen Schluck wohltuender Wärme. »Danach stoßen sie an die Grenze. Sie werden also einen Schwenk machen müssen. Nach Norden.«

»Wahrscheinlich. Außer sie suchen hinter der Grenze Zuflucht.«

Īsarnaro hob zweifelnd eine Augenbraue. Er hatte die letzten Stunden durchgehend gegrübelt. Sobald der Rat der Magier hiervon erfuhr, würden Köpfe rollen. Wofür also das Risiko? Sie hatten keine nennenswerte Beute gemacht und das Reich nicht geschwächt.

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Was auch immer sie wollen, sie haben es noch nicht erreicht. Sie werden weiterziehen. Wir passen sie in Flōdberg ab.«

»Du willst die Höfe und die Station aufgeben?«

»Es bringt nichts, wenn wir ihnen nur nachreiten. So holen wir sie frühestens in zwei oder drei Tagen ein. Aber wenn wir uns diesen Umweg sparen, können wir sie vielleicht überholen und wenigstens Flōdberg retten.«

Skadowulf nickte bedächtig. »Was wirst du befehlen, wenn wir auf eine Übermacht stoßen? Wenn wir nicht siegen können?«

Īsarnaro verzog das Gesicht und wandte sich ab. »Das Einzige, was wir tun können: Die Leute beschützen. Das ist unsere Aufgabe.«

»Auch wenn es ein sinnloser Tod wäre?«

»Jeder Tod ist sinnlos, Skado. Erst recht, wenn es aus niederen Gründen geschieht. Aber ja, auch dann. Könntest du dich abwenden und unschuldige Menschen dem Tod überlassen?« Er senkte die Schultern und die Stimme. »Ich könnte mit solch einer Schuld nicht weiterleben.«

»Du bist unser Heerführer«, ermahnte Skadowulf eindringlich. »Wenn das hier wirklich ein … Krieg wird, dann braucht der König dich lebend und an seiner Seite!«

»Der König wird den Rat informieren. Sobald der Bescheid weiß, ist der ganze Spuk vorbei. Aber bis dahin stehen nur wir zwischen unserem Volk und seinen Mördern!«

Es gab keine Alternative, als dass der König den Rat der Magier über diesen Überfall informierte. Selbst unter diesen Umständen war ein Krieg keine Option. Er würde gegen die Gesetze der Magier verstoßen.

»Ich fürchte trotzdem, dass der Verlust dein Urteilsvermögen trübt, Aro.«

»Denkst nur du so oder auch die anderen?«

Skadowulf erwiderte seinen bohrenden Blick mit väterlicher Milde. »Ein Kriegerleben ist einfach, wenn das schlimmste Erlebnis während des Dienstes ein Scharmützel mit zwei Dutzend Mann ist. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Und dazu noch das Gerücht mit den Dämonen. Natürlich haben sie Angst und Zweifel.«

»Ich verstehe. Ich hoffe, wenn es so weit ist, erinnert ihr euch daran, was es bedeutet, ein Krieger zu sein. Was ihr geschworen habt. Ich hoffe, das waren keine leeren Worte.«

Eine schiere Ewigkeit brannte Skadowulfs Blick in Īsarnaros Rücken, ehe der Mann sich abwandte und in den Hof zurückkehrte. Īsarnaro indes nahm einen vorsichtigen Schluck Tee und stärkte sich an der Wärme. Die düstere Stimmung konnte dieser jedoch nicht fortspülen. Seine Männer fürchteten sich, das konnte noch ein Problem werden.

 

Sie brachen mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Īsarnaro führte die Schar querfeldein gen Nordwesten, bis sie nach knapp zwei Stunden auf eine gepflasterte Straße trafen, der sie folgten.

Während die Felder in Weiden und schließlich ein ausgedehntes Waldgebiet übergingen, begegneten die Krieger keiner Menschenseele. Die Stimmung sank zusehends, da sie ahnten, was das bedeutete.

Die Sonne wanderte ungerührt über den blauen Himmel, doch unter dem satten Frühlingsgrün des Blätterdachs hielt sich ein dünner Nebelfilm und es blieb empfindlich kühl. Der Flickenteppich aus Licht und Schatten narrte die Augen der Reiter und machte sie nervös. Hände spielten mit den Waffengriffen. Die Blicke sprangen rastlos umher, während jedes Gespräch bereits im Keim erstarb.

Nach einer kleinen Ewigkeit lichtete sich das Unterholz und Īsarnaro atmete auf. Sie näherten sich ihrem Ziel. Zumindest fand die Ungewissheit ein Ende.

Unwillkürlich ließen die Krieger ihre Tiere in einen schnellen Trab verfallen. Īsarnaro hob die Nase in den Wind. Kein Geruch nach Asche oder Feuer. Gab es Grund zur Hoffnung?

Die Bäume traten so plötzlich zurück, dass Īsarnaro leicht erschrak. Fünfzig Meter weiter stand das erste Haus. Das Strohdach war unbeschädigt, die Mauern intakt. Gerade wollte er aufatmen, als er sie sah: die bewaffneten Männer und die Leichen auf dem Boden.

Er knirschte mit den Zähnen. Wut kochte hoch. Schwemmte Mordlust in Īsarnaros Gedanken. Er hatte sie auf frischer Tat ertappt! Es gab keinen Zweifel: Blut troff noch von ihren Waffen.

Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, riss er das Schwert aus der Scheide und gab seinem Pferd die Sporen. Ein erstickter Ruf erscholl hinter ihm, gefolgt von metallischem Scharren, als die Krieger ebenfalls die Waffen zogen.

Īsarnaro brüllte einen Kampfschrei, in den die Männer hinter ihm einstiegen. Donnernd hämmerten die Hufe der Pferde auf die Pflastersteine. Mit Genugtuung sah Īsarnaro den Schreck in den Gesichtern ihrer Feinde.

Bevor sie sich fangen konnten, erreichte Īsarnaro sie und schlug zu. Der erste starb stumm. Der zweite verschwand schreiend unter beschlagenen Hufen. Die übrigen stoben auseinander.

Sekunden später erklang hinter ihm das Geräusch von Stahl auf Stahl. Īsarnaro riss sein Pferd herum und trat erneut in dessen Flanken. Mit einem unwilligen Wiehern rannte das Tier zurück zu den Kriegern.

Sein Schwert bohrte sich in Fleisch. Die Feinde fochten hart, doch sie unterlagen den Berittenen. Īsarnaro bedauerte beinahe, wie schnell es endete.

Dann schlug ein Pfeil in sein Kettenhemd. Die Spitze verhakte sich zwischen den Ringen, doch der Aufprall warf ihn nach vorn. Mit einem Knurren fuhr er herum.

Statt eines Schützen sah er eine berittene Einheit auf sich zukommen. Wie viele waren es? Zwanzig? Fünfzig? Hundert? Zwischen den Häusern ließ sich die Zahl kaum schätzen.

Mit einem Fluch riss er sein Tier herum. Seine Krieger wandten sich ebenfalls der neuen Bedrohung zu. Bevor sie eine geschlossene Formation bilden konnten, erreichten die Feinde sie und Chaos brach aus.

Pferde bissen. Traten. Īsarnaro hieb, parierte, wich aus, stach zu. Schnell umringten ihn Fremde, die unbarmherzig auf ihn einprügelten. Īsarnaro nutzte jede Gelegenheit zuzuschlagen. Im Gegensatz zu ihm trugen seine Gegner kaum Rüstung und sein Schwert fand immer wieder weiches Fleisch, nachgebende Gelenke oder Knochen.

Dennoch erdrückte sie die Übermacht regelrecht. Obwohl seine Gegner sich ebenso wenig bewegen konnten wie er, schmerzte schon bald jeder Muskel und Knochen in Īsarnaros Leib unter den Schlägen.

Mit einem Schrei stieß er seinem Pferd die Hacken in die Flanken und das verstörte Tier trat heftig um sich. Īsarnaro nutzte die kurze Atempause, um sich umzusehen. Verstreut und eingekreist kämpften seine Männer um das nackte Überleben.

Sie unterlagen! Weil er Hals über Kopf losgestürmt war! Aus purer Rachsucht. Warum hatte er nicht auf Skadowulf gehört?

»Männer! Zu mir!«, brüllte er über den Schlachtlärm. »Formieren!«

Ihm blieb keine Zeit, sich für seine Dummheit zu verfluchen. Auf seinen Ruf verdoppelten seine Gegner ihre Anstrengungen, den Heerführer vom Rest der Truppe fernzuhalten und zu töten.

Das geschah ihm nur recht. Übelste Verwünschungen ausstoßend schlug er um sich und zwang sein Pferd entschieden voran. Wenigstens schossen die Bogenschützen nicht blindlings ins Getümmel. Aber wie lange blieb das noch so?

Endlich sah er das erste Kettenhemd durch die Leiber seiner Gegner blitzen. Wie viele seiner Krieger lebten noch? Unmöglich in diesem Chaos zu sagen.

»Herr!« Rôdfoh, ein rothaariger Hüne, tauchte neben ihm auf und schlug Īsarnaros Gegner aus dem Sattel. »Wir müssen hier raus.«

Īsarnaro sah sich um. Sein Blick streifte über die Häuserdächer. Tatsächlich entdeckte er drei Schützen, die dort mit gespannten Bögen knieten. Gegen Schützen kamen die Berittenen nicht an.

Bevor Īsarnaro eine Warnung ausstoßen konnte, glaubte er, das tödliche Sirren der Pfeile zu vernehmen. Direkt gefolgt von dem dumpfen Aufschlag, als sich Stahl in Fleisch fraß. Panisch wartete er auf den Schmerzensschrei.

Erstaunt riss Īsarnaro die Augen auf, als einer der Schützen vom Dach rutschte. Wenige Sekunden später folgte der nächste. Der Kampf schien einen Moment zu stocken und alle Krieger den Atem anzuhalten. Was war geschehen?

Der dritte Schütze konnte noch seinen Pfeil von der Sehne lassen, ehe auch er vom Dach stürzte.

Der Schlachtlärm brandete wieder auf. Das Chaos stürzte erneut auf Īsarnaro ein. Er entging im letzten Augenblick einem Schwertstreich, der scheinbar aus dem Nichts kam, und schlug blindlings zurück. Daneben!

Sein Gegner setzte zu einem neuerlichen Hieb an und Īsarnaro erkannte entsetzt, dass er diesem nicht ausweichen konnte. Aus und vorbei. Er warf sich zur Seite, doch der Stahl kam seinem Gesicht immer näher. Zu schnell!

Ein Bolzen zischte haarscharf an Īsarnaros Gesicht vorbei und prallte gegen das Schwert, lenkte es funkensprühend ab. Der überraschte Mann ließ die Waffe fallen. Dann keuchte er erschrocken auf und fasste an seinen Hals. Langsam sank er aus dem Sattel.

Īsarnaro starrte ihm verblüfft hinterher. Schon zischte ein weiterer Bolzen an ihm vorbei und grub sich in Fleisch. Die Kämpfenden trennten sich und suchten ihr Heil zwischen den Häusern. Endlich erkannte Īsarnaro das Muster.

»Sie schießen auf unsere Feinde!«, entfuhr es ihm und lauter fügte er an: »Hinterher! Sie dürfen sich nicht neu formieren!«

Seine überrumpelten Krieger folgten seinem Befehl, ohne nachzudenken. Einzig Rôdfoh blieb und hielt Īsarnaro zurück, als er ebenfalls nachsetzen wollte.

»Ihr müsst den Überblick behalten. Das könnt Ihr mittendrin nicht.«

Zähneknirschend gab Īsarnaro ihm recht und senkte die Waffe. Der Beschuss hatte inzwischen aufgehört und die beiden Männer sahen sich nach ihren Helfern um. Doch statt der erwarteten Einheit löste sich lediglich ein einzelner Reiter aus dem Schatten der nahen Bäume und hielt auf sie zu.

Īsarnaro kniff die Augen zusammen. Die dunkle Kleidung des Fremden wirkte nicht vertrauenerweckend: Der geschwärzte Brustpanzer sowie Arm- und Beinschienen glänzten matt im Sonnenlicht. Den Helm verzierte ein eingravierter vergoldeter Drache, und von seinen Schultern fiel ein azurblauer Umhang.

Der Reiter ließ seinen Rappen vor Īsarnaro halten und salutierte grüßend mit einer schweren Armbrust. Das heruntergeklappte Visier verdeckte dabei sein Gesicht. Mühelos schulterte der Gepanzerte die Waffe.

»Ich habe selten so einen an Wahnsinn grenzenden Mut gesehen, Heerführer«, drang seine Stimme hohl unter dem Helm hervor. »Hoffentlich verzeiht Ihr mir meine Dreistigkeit, eingegriffen zu haben.«

3.

 

Misstrauisch versuchte Īsarnaro, einen Blick auf das Gesicht unter dem Visier zu erhaschen. Vergeblich.

»Ich danke Euch für Eure Hilfe, Fremder«, sagte er schließlich. »Aber für gewöhnlich zeigt man sein Antlitz, wenn man nichts zu verbergen hat.«

»Dies sind aber keine gewöhnlichen Zeiten.«

Ärgerlich zog Īsarnaro die Augenbrauen zusammen. Seine Hand verkrampfte sich um den Schwertgriff. Auch Rôdfoh knurrte unwillig. Bevor einer von ihnen etwas erwidern konnte, legte der Fremde lauschend den Kopf zur Seite.

»Mir scheint, es ist vorbei.«

»Bitte?«

Īsarnaro stockte und lauschte ebenfalls. Tatsächlich vernahm er keine Kampfgeräusche mehr. Angespannt wandte er sich um.

Erschöpft ritt einer seiner Krieger aus dem Schatten der Häuser. Sein mit Blut und Dreck beschmiertes Pferd ließ den Kopf hängen. Kurz darauf folgte der Rest der Truppe. Īsarnaro zählte rasch durch: mehrere fehlten.

»Habt ihr alle erwischt?«, fragte er.

Der Vorderste schüttelte den Kopf. »Ein paar sind geflohen und im Wald untergetaucht.«

»Wie viele?«

»Vier oder fünf.« Der Mann hielt an. »Es macht keinen Sinn, ihnen zu folgen.«

»Natürlich. Wir rasten. Das habt ihr euch verdient. Verzeiht. Ich habe vorschnell gehandelt.«

»Haltet Ihr das für eine gute Idee?«, fragte der Fremde. »Was tut Ihr, falls sie wiederkommen? Mit Verstärkung?«

Alle hielten inne und starrten ihn mit einer Mischung aus Unglauben und Schreck an.

»Wie bitte?«, würgte Īsarnaro hervor. »Welche Verstärkung?«

Der Fremde senkte den Kopf und schien nachzudenken. Schließlich seufzte er bedauernd und deutete auf das Dorf hinter ihnen.

»Das waren bei Weitem nicht alle, Heerführer. Dies ist kein einfacher Überfall, sondern ein Krieg.«

»Woher nehmt Ihr diese Gewissheit?«

»Warum, denkt Ihr, machen sie das hier? Diese unnötige Zerstörung? Dieses sinnlose Morden?«

Īsarnaro schürzte die Lippen. Der Fremde riss das Gespräch an sich; und Īsarnaro musste darauf eingehen. Immerhin hingen ihm noch immer die Worte ihres Gefangenen nach. Wo steckte der eigentlich? Suchend sah Īsarnaro sich um, entdeckte jedoch keine Spur von ihm. Der Mistkerl hatte die Gelegenheit zur Flucht genutzt!

»Das wüsste ich nur zu gerne«, brummte Īsarnaro mehr zu sich. »Vor allem, ob das wirklich stimmt.«

Er beobachtete, wie seine Männer erschöpft von den Pferden rutschten und ins Gras sanken. Sie gaben ein jämmerliches Bild ab. Als Heerführer hatte er eindeutig versagt.

»Was stimmt?«, hakte der Fremde nach.

»Dämonen. Dass wir es mit Dämonen zu tun haben.«

Als er begriff, dass er laut gedacht hatte, fluchte er leise. Er wusste nicht, ob er dem Mann trauen konnte. Wenn er nun zu den Feinden gehörte und sie auskundschaften sollte? Zu spät. Die Blicke seiner Männer ruhten auf ihnen und darin lauerte Furcht.

»Dämonen also …« Die blecherne Stimme klang resigniert. »Leider entspricht das der Wahrheit.«

Ein Murmeln erhob sich, dem Īsarnaro energisch Einhalt gebot. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und er legte die Hand auf den Schwertgriff. »Woher wisst Ihr das?«

Bevor der Fremde antworten konnte, erscholl es hoffnungsvoll: »Seid Ihr vom Rat?«

Īsarnaro stieß zischend die Luft aus. Er erkannte seine Recken kaum wieder: getrieben von Angst und Verunsicherung. Er wollte sich nicht eingestehen, dass hinter seiner Wut die gleichen Gefühle lauerten.

»Der Rat?« Langsam schüttelte der Fremde den Kopf. »In dem Fall sähe alles ganz anders aus. Vielleicht …«

»Beantwortet endlich meine Fragen!«, unterbrach Īsarnaro ihn ungeduldig.

Ein Seufzen. Der Mann verharrte noch einige Sekunden, ehe er langsam den Riemen seines Helms löste. »Ich hatte wirklich gehofft, das alles rechtzeitig stoppen zu können. Aber diese Dummköpfe sind zu weit gegangen. Warum denkt niemand mehr vorher an die Folgen der eigenen Taten?« Er nahm dem Helm ab. »Mein Name lautet Seìka. Und ich weiß Bescheid, weil ich selbst das bin, was Ihr einen Dämon nennt.«

Unfähig zu irgendeinem klaren Gedanken starrte Īsarnaro sein Gegenüber an. Der vielleicht fünfzigjährige Mann besaß ein archaisches Gesicht mit aristokratisch kantigen Zügen, auf denen ähnliche schwarze Adern verliefen wie bei den getöteten Dämonen in Rôdmāno. Das dunkle Muster verlor sich in einem Vollbart. Die Augen selbst glänzten metallisch hell, als bestünden sie aus flüssigem Quecksilber, in dessen Mitte eine schwarze Linse schwamm.

Īsarnaro verzog die Mundwinkel zu einem abfälligen Lächeln, um über seinen inneren Aufruhr hinwegzutäuschen. Unglaube stritt mit instinktiver Furcht, die allein das Wort auslöste. Dabei konnte es sich nur um einen üblen Scherz handeln. Andererseits konnte sich wirklich jemand dazu erdreisten, so etwas zu behaupten?

»Wieso sollte ich das glauben?« Zitterte seine Stimme?

Verblüfft blinzelte der Mann und starrte Īsarnaro einige Sekunden sprachlos an, ehe er in schallendes Gelächter ausbrach. Zumindest riss das die Krieger aus ihrer Erstarrung. Sie erhoben sich und zogen unsicher ihre Waffen.

Seìka hängte Armbrust und Helm an den Sattel und schwang sich ab. Direkt vor Īsarnaro verharrte er und musterte ihn abschätzend. »Ich beginne, Euch zu mögen, Heerführer. Ihr seid der Erste, der an meinen Worten zweifelt. Bisher sind alle in blinde Panik oder tumben Heldenmut verfallen.«

Langsam schritt Seìka an dem Heerführer vorbei und ließ den Blick über die Schar schweifen. Niemand wagte, sich zu nähern. Einige wichen sogar unwillkürlich zurück. Nachdenklich verschränkte der Dämon die Hände hinter dem Rücken.

»Mir scheint, Eure Männer bedürfen keines Beweises, Heerführer. Eure Haltung ist löblich, doch leugnen hat noch nie ein Problem gelöst. Es verzögert alles nur unnötig.«

Īsarnaro biss sich auf die Unterlippe. Er konnte die Furcht seiner Männer nicht bestreiten. Wie viel allein diese wenigen Worte auslösten. So viel Grauen …

Sie alle kannten die gleichen Geschichten, die Großeltern ihren Enkeln von den Dämonen erzählten. Von deren Grausamkeit. Darüber, dass sie ständig logen und selbst ihr menschliches Äußeres nur eine Fassade war. Und über ihre Unsterblichkeit. Kein Wunder also, dass die Männer sich fürchteten.

»Genauso gefährlich ist es, sich von einem einzigen Wort besiegen zu lassen«, erwiderte Īsarnaro um Fassung ringend. Sollte er den Kerl sicherheitshalber einfach umbringen? »Und das werde ich nicht zulassen. Die Dämonen sind im Schattenreich gebannt, bewacht vom Rat der Magier. Wie also sollte es möglich sein, dass sie hier in unserem Land umherstreifen und der Rat nichts davon weiß? Nichts dagegen unternimmt?«

»Ein verständlicher Einwand.« Seìka legte die Stirn in Falten, als er sich ihm zuwandte. »Ist es für Euch so schwer zu akzeptieren, was ich bin? Was hier vor sich geht? Ist es so unfassbar?«

Īsarnaro sah von seinem Gegenüber zu seinen Männern. Was er vermeiden wollte, war längst geschehen. In dem Augenblick, als in Rôdmāno das Wort Dämon gefallen war, hatten sie diese Schlacht bereits halb verloren.

Er hatte es nur nicht sehen wollen. Die Furcht. Die Unsicherheit. Die Demoralisierung. Während er von Wut geleitet in den Kampf geprescht war, hatten sich seine Männer einem in ihren Augen unbesiegbaren Feind gestellt.

Ob es sich nun wirklich um Dämonen handelte oder ihre Gegner nur von deren schlechtem Ruf nutznießten, sie hatten dadurch einen großen Vorteil im Kampf. Jeglicher Widerstand zerbrach allein an der Vorstellung, sich Dämonen stellen zu müssen.

»Ihr zieht die richtigen Schlüsse«, drangen Seìkas leise Worte in seine Gedanken. Erstaunt blinzelte Īsarnaro den Mann an, der ihn ernst musterte. »Eure Männer haben ein trauriges Bild abgegeben für die Elite des Reichs. Ihr solltet mein Angebot annehmen, Heerführer. Es ist zu Eurem Vorteil.«

»Welches Angebot?«, fragte er misstrauisch.

»Ich will Euch helfen, das hier zu beenden. Zu siegen. Ich habe Informationen, die Ihr brauchen werdet.«

»Was für Informationen?«

»Über ihre Truppenstärke. Taktik. Schwächen. Hintergründe und Pakte.« Seìka machte eine kurze Pause und deutete auf einen Toten. »Dass ihr nicht gegen unsterbliche Monster kämpft, solltet ihr inzwischen begriffen haben. Auch in unseren Adern fließt gewöhnliches Blut.«

Īsarnaro ging nach kurzem Zögern zu dem Leichnam und betrachtete das schwarz gemusterte Gesicht. Die toten leeren Augen. Hatte er diesen Mann getötet? Ihr Gefangener hatte jene in Rôdmāno Dämonen genannt. Sollte das hier also wirklich einer sein? Immerhin trug Seìka dieselben Zeichnungen im Gesicht und behauptete genau das.

Als er sich umsah, bemerkte er Skadowulfs aufmerksamen Blick. Der alte Krieger wartete wie immer nur auf seinen Wink einzugreifen.

Īsarnaro wandte sich erneut Seìka zu und runzelte die Stirn. »Dämonen also«, sagte er laut genug, dass alle ihn hörten. »Ich kann es nicht riskieren, einem Dämon blind zu vertrauen. Dennoch könntest du über wertvolles Wissen verfügen. Legt ihn in Ketten.«

Wie Īsarnaro erwartet hatte, bewegte Skadowulf sich zuerst. Mit gezogenem Schwert ging er langsam auf Seìka zu und schlug dabei mehreren Kriegern auf die Schulter, die daraufhin seinem Beispiel folgten. Mit äußerster Vorsicht näherten sie sich dem Dämon, der das Ganze schmunzelnd beobachtete.

Seìka hob die Arme und streckte sie zur Seite. Skadowulf trat vor und drehte ihm die Hände auf den Rücken, während einer der Krieger ihm Eisenschellen reichte. Erst als die Verschlüsse einrasteten, entspannten sich die Männer ein wenig.

Mit ruhiger Hand löste Skadowulf den Waffengurt des Gefangenen. Dieser wandte den Kopf und schenkte ihm ein düsteres Lächeln.

»Seid vorsichtig damit«, mahnte er. »Die wenigsten sind dem Schwert gewachsen oder seiner würdig.«

Skadowulf hob eine Augenbraue, doch dann zuckte er mit den Schultern und legte es achtlos zur Seite. Hauptsache, außer Reichweite des Gefangenen. Danach förderte er noch drei Messer aus Seìkas Rüstung zutage, ehe er zufrieden nickte.

»Die Satteltaschen auch?«, fragte er Īsarnaro.

»Erst einmal nicht.« Īsarnaro trat dicht vor Seìka und sah ihm finster in die Augen. »Dann beweise deine Hilfsbereitschaft. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Geflüchteten heute mit Verstärkung wiederkehren?«

Der Dämon wog nachdenklich den Kopf. »Nach dem, was ich gesehen habe, dürfte man Euch nicht für gefährlich genug einschätzen, sich direkt um Euch zu kümmern. Ich vermute, sie werden erst einmal weiterziehen und das Überraschungsmoment so lange wie möglich ausnutzen. Wenn sie sich jetzt mit Euch befassen, könnte jemand die nächsten Ortschaften warnen. So wissen sie Euch hinter sich, da seid Ihr keine ernst zu nehmende Bedrohung. Aber ganz auszuschließen ist es natürlich nicht. Das hängt davon ab, ob ihr Anführer sich über die große Order hinwegsetzen darf.«

»Na wunderbar«, brummte Īsarnaro. Zur eigenen Überraschung kränkte ihn diese Vorstellung ein wenig. »Dann schlagen wir hier unser Lager auf.«

Die Krieger schoben ihre Waffen ein. Danach machten sie sich ein wenig planlos daran, den Befehl ihres Anführers auszuführen.

Īsarnaro beobachtete sie einen Augenblick dabei, ehe er sich wieder an den Dämon wandte. Seìka hatte sich keinen Millimeter bewegt und lächelte ihn unverwandt an. Wie konnte er so ruhig bleiben?

»Eines interessiert mich noch«, meinte Īsarnaro nachdenklich. »Warum?«

»Warum was?«

»Warum stellst du dich gegen dein eigenes Volk?«

»Ach, dieses Warum.« Der Dämon nickte verstehend. Im nächsten Moment trat ein unnachgiebiger Zug in sein Gesicht. Eisig antwortete er: »Weil ich wiederhaben will, was mein ist: meinen Thron!«

4.

 

Bei Einbruch der Dunkelheit brannte an einem Ende des Orts ein Scheiterhaufen mit den Toten darauf. Am anderen Ende, vom Wind abgewandt, brannten die Lagerfeuer der Krieger. Niemand hatte auch nur ins Gespräch gebracht, in einem der Häuser zu nächtigen.

Sie alle saßen mit verschlossenen Mienen in mehreren Gruppen beisammen und hingen ihren Gedanken nach. Der Tod besuchte sie nicht länger als ein seltener Gast, sondern begleitete sie höhnend und versuchte jedes Gespräch zu ersticken.

An einen Baum gefesselt beobachtete der Dämon abwechselnd sie und den Scheiterhaufen. Īsarnaro ließ ihn seinerseits kaum aus den Augen.

---ENDE DER LESEPROBE---