Legenden des Krieges: Das zerrissene Land - David Gilman - E-Book
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Legenden des Krieges: Das zerrissene Land E-Book

David Gilman

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Beschreibung

EIN SCHNELLER TOD IST DIE EINZIGE GNADE. Frankreich, im Winter 1361. Nach zwanzig Jahren Kampf hat Edward III. mit dem französischen König Frieden geschlossen. Große Territorien sollen für die Freiheit Johanns II. an England abgetreten werden. Doch für den kläglichen Überrest des französischen Königreichs haben gewinnsüchtige Söldnerbanden und Lehnsherren jahrelang gekämpft. Niemals werden sie ihre Beute einem geschlagenen König zuliebe aufgeben. Wenn England das Land haben will, muss es darum kämpfen – Thomas Blackstone muss darum kämpfen. Aber Blackstone wird verraten, sein Name verleumdet, seine Männer hingemetzelt, seine Familie gejagt. Erneut zieht er gegen die Franzosen in die Schlacht. Dieses Mal allein. Ohne die Engländer in seinem Rücken.

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Seitenzahl: 645

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David Gilman

Legenden des Krieges: Das zerrissene Land

Historischer Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

 

Über dieses Buch

Das Schwert kennt keine Gnade.

 

Frankreich, im Winter 1361. Nach zwanzig Jahren Kampf hat Edward III. mit dem französischen König Frieden geschlossen. Große Territorien sollen für die Freiheit Johanns II. an England abgetreten werden. Doch für den kläglichen Überrest des französischen Königreichs haben gewinnsüchtige Söldnerbanden und Lehnsherren jahrelang gekämpft. Niemals werden sie ihre Beute einem geschlagenen König zuliebe aufgeben. Wenn England das Land haben will, muss es darum kämpfen – Thomas Blackstone muss darum kämpfen. Aber Blackstone wird verraten, sein Name verleumdet, seine Männer hingemetzelt, seine Familie gejagt. Erneut zieht er gegen die Franzosen in die Schlacht. Dieses Mal allein. Ohne die Engländer in seinem Rücken.

Vita

DAVID GILMAN, aufgewachsen in Liverpool, kutschierte schon als 16-Jähriger in einem zerbeulten Ford Bauarbeiter durch den afrikanischen Busch. Verschiedenste Jobs überall auf der Welt folgten: als Feuerwehrmann, Waldarbeiter und Werbefotograf, als Marketingmanager eines Verlags und Fallschirmjäger in der British Army. Seit 1986 widmet er sich vollständig dem Schreiben. Er ist erfolgreicher Radio- und Drehbuchautor, seine Kinder- und Jugendromane wurden in 15 Länder verkauft. Heute lebt David Gilman in Devonshire und fährt einen störrischen alten Land Rover.

Für Suzy, wie immer

Und auch für meinen Freund James McFarlane,

der von Anfang an da war und half,

die Worte zu formen

Nach dreiundzwanzig Kriegsjahren hat König Edward III. in einen Vertrag eingewilligt und den französischen Monarchen aus der englischen Gefangenschaft entlassen. In Frankreich herrscht Chaos, Söldnerbanden treiben ihr Unwesen – eine Situation, die Edward zunächst ganz gelegen kommt, da sie den französischen König hindert, seine Macht wiederzuerlangen. Königstreue französische Städte und Ortschaften unterwerfen sich eine nach der anderen widerstrebend der englischen Herrschaft. Doch einzelne kriegerische Edelmänner und eigennützige Söldnerführer widersetzen sich. Thomas Blackstone und der Unterhändler des Königs, der berühmte Ritter Sir John Chandos, haben die Aufgabe, die Orte, die Widerstand leisten, für England in Besitz zu nehmen.

Zahlenmäßig unterlegen und noch immer von den Franzosen gejagt, sehen Thomas Blackstone und seine Männer sich verraten und müssen schließlich ein Himmelfahrtskommando auf sich nehmen.

Personen

*Sir Thomas Blackstone

*Henry, Blackstones Sohn

Thomas Blackstones Männer

*Sir Gilbert Killbere

*Meulon: normannischer Hauptmann

*John Jacob: Hauptmann

*Perinne: Baumeister und Soldat

*Renfred: deutscher Waffenknecht und Hauptmann

*Will Longdon: altgedienter Bogenschütze und Centenar

*Jack Halfpenny: Bogenschütze und Ventenar

*Ralph Tait: Waffenknecht

*Quenell: Bogenschütze und Ventenar

*Beyard: Gascogner Hauptmann

*Haskyn: Bogenschütze

*Fowler: Bogenschütze

*Peter Garland: Bogenschütze

*Othon: Waffenknecht

Französische Edelleute und Waffenknechte

Graf Jean de Tancarville: Großkammerherr von Frankreich und General der nördlichen Armee

Jacques de Bourbon, Graf de la Marche: Connétable von Frankreich

Jean de Montfort

Jean de Boucicaut: Marschall von Frankreich

Arnoul d’Audrehem: Marschall von Frankreich

Graf de Vaudémont: Statthalter der Champagne

Charles de Blois

Louis d’Harcourt: Statthalter der Normandie

Jean de Grailly, Captal de Buch: Gascogner Edelmann

*Alain de la Grave

*Mouton de la Grave: Herr von Sainte-Bernice

*Guillouic: bretonischer Söldner

*Robert de Rabastens

*Seigneur Godefroy d’Albinet

*Bernard de Charité

*Gräfin Catherine de Val

Englische Ritter und Edelmänner

Henry of Grosmont, Duke of Lancaster

Sir John Chandos

Sir William Felton: Seneschall des Poitou

Sir Henry le Scrope: Gouverneur von Calais und Guînes

Englische und Waliser Söldner

*William Cade

James Pipe

Robert Knolles

John Amory

John Cresswell

*Gruffydd ap Madoc

Das englische Königshaus

König Edward III. von England

Edward of Woodstock, Prince of Wales

Das französische Königshaus

König Johann II. (der Gute) von Frankreich

Der Dauphin Karl: Sohn und Erbe des französischen Königs

Karl, König von Navarra: Anwärter auf den französischen Thron, König Johanns Schwiegersohn

Italienische Herrscher, Ritter und Geistliche

Johanna, Gräfin der Provence, Königin von Neapel

Marquis de Montferrat: Piemonteser Edelmann

Graf Amadeus VI. von Savoyen

*Niccolò Torellini: Florentiner Priester

*Fra Pietro Foresti: Tau-Ritter

Italienischer Meuchelmörder

Filippo Bascoli

Französische Geistliche, Amtsträger und Söldner

Papst Innozenz VI.

Jean de la Roquetaillade: Franziskanermönch

*Prior Albert: Prior von Saint-André-de-Babineaux

*Bruder Pibrac: Mönch

*Bruder Dizier: Mönch

*Bruder Gregor: Mönch

Simon Bucy: Berater

Hélie Meschin: Gascogner Söldner

 

Fiktive Personen sind mit * gekennzeichnet.

KapitelProlog

Leicester, England März 1361

König Edward III. stand an der Tür des Zimmers, in dem Henry of Grosmont Duke of Lancaster, sein lebenslanger Freund und Berater, im Sterben lag. Lancaster hob abwehrend die Hand – der König sollte sein Schlafgemach nicht betreten, denn er fürchtete, die Pest, die wieder einmal in Europa grassierte, habe nun auch ihn ereilt.

Edward zögerte. Der Herr hatte ihn durch Sieg und Frieden gesegnet; sollte er jetzt sein gottgegebenes Glück herausfordern? Doch dann betrat er entschlossen den Raum und zog sich einen Schemel mit besticktem Polster ans Krankenlager seines Freundes. Die Diener waren fortgeschickt worden – was jetzt zwischen diesen beiden alten Kriegern gesprochen wurde, war so vertraulich wie eine Beichte.

«Nein, mein Herr. Ich bitte Euch. Ich weiß nicht, welches Leiden mich befallen hat, aber es wird mich dahinraffen. Haltet Abstand.»

Edward ergriff die Hand seines Freundes. «Das Alter wird uns alle dahinraffen, wenn unsere Zeit gekommen ist, Henry. Es liegt alles in Gottes Hand.»

Der Sterbende tat einen keuchenden Atemzug. «Ich bin froh, dass es mich vor Euch trifft, Sire. Wäre es umgekehrt gekommen, dann hätte ich die Trauer nicht ertragen können.»

Edward drückte die kalten Finger seines Freundes. «So viele Schlachten, so viele Siege, und so viele von uns hinterlassen weniger als unseren Schatten auf dem Land», sagte er.

«Ihr irrt.»

«Wir irren niemals. Wir sind der König», entgegnete Edward lächelnd.

«Ach, wäre es doch nur so, wie? Kein Kampf mit dem eigenen Gewissen oder mit jenen, die uns mit lauteren oder unlauteren Mitteln zu schlagen suchen.» Lancaster gab den Widerstand auf und fasste seinerseits den König am Arm. «Ihr segnet das Reich mit strahlendem Sonnenschein, der Euren Schatten auf Generationen hinaus über dieses großartige Land werfen wird.»

Edwards Blick ruhte voller Mitgefühl auf seinem siechenden Freund. Wie viel Zeit blieb ihnen noch, einem jeden von ihnen? Der Frieden mit Frankreich war gerade erst geschlossen; weitere Prüfungen und Herausforderungen standen bevor. Aber von denen, die an Edwards Seite waren, seit er als Jüngling den Thron bestiegen hatte, blieben immer weniger übrig. Der Herzog war einer dieser wenigen.

«Was können wir für Euch tun?»

Lancaster schüttelte den Kopf. «Nicht für mich, Edward. Für England.» Noch auf dem Sterbebett galt die Sorge des großen Herzogs einzig der Nation, die Edward mit seiner Unterstützung aufgebaut hatte. «Vor einem Monat sahen wir die Vorzeichen, die Lichterscheinungen am Himmel, die Sonnenfinsternis. Man sagt, in Boulogne habe sich der Regen in Blut verwandelt. Das deutet darauf hin, dass erneut harte Zeiten bevorstehen, Edward. Die Pest kommt schneller als die Morgendämmerung. Ihr müsst Euch Gedanken darum machen, wer die hart erkämpften Territorien für Euch halten kann.»

«Unser Erstgeborener, Edward, wird Aquitanien regieren. Lionel wird nach Irland gehen. Die Schotten sind bereits auf unserer Seite.»

«Und Eure Söhne und die Männer, die sie befehligen, werden Euch gute Dienste leisten, aber unsere alte Bruderschaft ist dahin. Der tapfere Northampton ist tot; Thomas Holland und Reginald Cobham sind siechend und viele andere schwach. Einen nach dem anderen rafft es dahin, wie die Nacht den Tag dahinrafft. Und auch ich werde bald nicht mehr sein. Ihr habt Eure Ziele stets hochgesteckt, Edward. Ihr habt diesem Königreich zur Größe verholfen, und ein solches Vermächtnis muss bewahrt werden. Wenn die Zeit gekommen ist, wer unter den vielen wäre dann ein Anführer, hinter dem alle stehen? Ein treuer Mann, der ausspricht, was er denkt, selbst wenn er damit große Risiken auf sich nimmt?»

Lancaster sah Edward fragend an. Der König wusste wohl, von wem sein Freund sprach.

«Blackstone», sagte der König leise.

Lancaster lächelte. «Wie Ihr eben sagtet, mein lieber Freund: Ihr irrt niemals.»

Erster TeilIm Namen des Königs

Limousin, Frankreich Dezember 1361

KapitelEins

Thomas Blackstones Männer ritten in den Tod.

Während sie ihre Pferde durch die engen Straßen der Stadt lenkten, beobachtete Sir Gilbert Killbere die Bewohner, die sie eben noch mit Jubel empfangen hatten. Jetzt trat Panik in ihre Gesichter, manche wandten sich rasch ab; andere zogen sich hinter Säulen zurück. Killbere begriff schlagartig, dass er und seine Leute in eine Falle des bretonischen Edelmannes gegangen waren, der ironischerweise Bernard de Charité hieß und die Festung von Saint-Aubin-la-Fère beherrschte. Bevor Killbere eine Warnung rufen konnte, erschienen Armbrustschützen auf den Mauern, und die ersten Bolzen schlugen ein. Pferde stiegen; Männer gingen zu Boden. Die Bürger brachen in animalisches Geschrei aus, sie dürsteten nach dem Blut der Engländer. Manche wagten sich aus ihrer Deckung, um rasch die Waffen der Gefallenen an sich zu bringen. Aus Seitenstraßen und Ladeneingängen strömten Soldaten herbei, die die Stadtbewohner grob beiseitestießen, um ihre Schwerter und Messer in die Verwundeten zu senken.

Killbere trieb sein Pferd an und wehrte mit dem Schwert zwei Soldaten ab, die ihn bedrängten. Mit geübtem Schwung seiner Klinge erledigte er drei weitere, während er sein Schlachtross ausschlagen ließ und wendete. Killbere war mit dem Tumult des Krieges vertraut. Er hatte an Blackstones Seite gekämpft, seit der Junge zum Mann geworden war, und gemeinsam hatten sie an allen großen Schlachten und Siegen der Engländer in Frankreich wie in Italien teilgehabt. Jetzt würde er in einer nach Pisse stinkenden Gasse sterben.

Schwertkämpfer führten tiefe Stiche in Flanken und Brust des Pferdes. Das Tier riss die Augen auf und wieherte laut vor Schmerz, und Killbere stürzte fluchend in den Schlamm. In dem verzweifelten Versuch, sich der Angreifer zu erwehren, die sich auf ihn stürzten, riss er seinen Schild vom Sattel los und stieß sein Schwert aufwärts in den Unterleib eines Gegners, der in seiner Qual rücklings gegen die anderen prallte. Indessen gelang es Killbere, den Schild über seinen Körper zu ziehen. Er fühlte den heftigen Aufprall eines Streitkolbens, dann warf er sich zur Seite, um einem Schwerthieb auszuweichen. Er schlug mit seiner Klinge nach den Fußknöcheln des Mannes und fühlte, wie der Stahl tief in das ungeschützte Fleisch schnitt. Der Mann stürzte und wand sich am Boden, ein Hindernis für weitere Angreifer, und seine Schreie mischten sich in die Kakophonie, die von den Mauern der Stadt widerhallte.

Einer der Gegner warf sich über Killberes Schild und drückte ihn mit seinem Gewicht nieder, andere packten ihn an den Armen und rissen ihn hoch. Jetzt hatten sie ihn. Schweiß und Blut brannten ihm in den Augen. Er sah, wie Blackstones Männer der gewaltigen Übermacht erlagen. Jack Halfpennys Bogenschützen hatten keine Möglichkeit, ihre Kriegsbogen einzusetzen, und so kämpften die schlachtenerprobten Männer, das Rückgrat von König Edwards Armee, mit Messer, Schwert und schierem Mut. Ein englischer Langbogen war in der Enge dieser Gassen nutzlos. Armbrustschützen waren besser geeignet, um auf kurze Distanz aus dem Hinterhalt zu schießen, und de Charité hatte sie geschickt eingesetzt. Killbere sah, wie der junge Ventenar behände mal nach dieser, mal nach jener Seite auswich und den zwanzig Bogenschützen, die unter seinem Kommando standen, den Rückzug befahl, aber die meisten waren bereits tot oder tödlich verwundet, und so unternahm Halfpenny einen letzten verzweifelten Angriff auf die zwei Männer, die ihn in die Enge getrieben hatten. Mit der Kraft eines Bogenschützen hieb er dem einen Gegner seine linke Faust ins Gesicht und zog gleich darauf aus einer halben Drehung heraus dem anderen sein Messer über die Kehle. Killbere kämpfte gegen die Umklammerung seiner Widersacher an, und es gelang ihm, einem den Ellenbogen ins Gesicht zu rammen. Er fühlte, wie Knochen splitterte. Im selben Sekundenbruchteil sah er, dass Halfpenny einen Schritt auf ihn zu machte. Der Junge hatte bereits eine Verletzung an der Seite, wollte aber Killbere zu Hilfe kommen.

«Nein!», brüllte Killbere. «Lauf zu Thomas!» Die Worte waren kaum heraus, da schlugen ihn die Männer, die ihn hielten, zu Boden. Das Letzte, was Killbere sah, ehe Dunkelheit ihn umfing, war Jack Halfpenny, der um sein Leben rannte. Wenn irgendjemand eine Chance hatte, zu entkommen, war es der flinke Bogenschütze. Dieser Gedanke verschaffte dem alten Krieger zumindest ein wenig Befriedigung.

 

Bei Einbruch der Dunkelheit baumelten die leblosen Körper von Thomas Blackstones Männern am Galgen auf dem Platz, gezeichnet von den Wunden, die sie durch den Verrat und Hinterhalt des Herrn der Stadt davongetragen hatten. Der Fackelschein warf tanzende Schatten, während die Männer und Frauen von Saint-Aubin, von der abendlichen Ausgangssperre befreit, die Toten mit Messern und Stöcken schändeten. Weitere neunzehn von Blackstones Kriegern hingen außen an den hohen Stadtmauern als Warnung von Bernard de Charité.

Halfpenny war auf dem Höhepunkt des Gemetzels entkommen. Eine Hand auf die Wunde in seiner Seite gepresst, hatte er den Schmerz unterdrückt und war durch das Labyrinth der Gassen gerannt, so schnell er konnte, bis er eine Mauernische fand, in die er sich mit Mühe hineinzwängen konnte. Als es dunkelte, versteckte er seinen Bogen in einer schmalen Spalte zwischen Säule und Türsturz. Der Kriegsbogen seines Vaters bedeutete Jack Halfpenny ebenso viel wie das Andenken des Mannes, der ihn den Umgang damit gelehrt hatte. Der Bogenschütze schob sein Bedauern beiseite und schlich durch die Schatten, bis er die hohe Stadtmauer erreichte. Als die Wachen ihm den Rücken kehrten, um sich daran zu ergötzen, wie unten auf dem Platz die Leichen geschändet wurden, schwang Halfpenny sich über die Brüstung. Er packte das Hanfseil, an dem der Leichnam einer seiner Männer draußen an der Mauer hing, und ließ sich daran zwanzig Fuß hinunter. Die Leiche gab nach, als Halfpenny sich an die Kleidung klammerte. Der aufgerissene Mund und die geschwollene Zunge waren blutverkrustet – der Gehenkte hatte sich die Zunge halb durchgebissen, als die Schlinge sich zugezogen hatte. Halfpenny wandte den Blick von dem Mann ab, den er einmal befehligt hatte, und hoffte nur, durch sein Gewicht möge dem Toten nicht der Kopf abreißen, während er sich an dem Körper weiter hinunterließ. An den Füßen angekommen, ließ er schließlich los und fiel dreißig Fuß tief in dichtes Brombeergestrüpp, wobei er betete, unter den mondbeschienenen Ranken mögen sich keine Felsen verbergen.

 

Die schwache Sonne des folgenden Tages vermochte den Nebel über dem von Reif überzogenen Land nicht aufzulösen. Doch weder die morgendliche Kälte noch die rauen Steine, die ihnen die Hände aufrissen, konnten Perinne und Meulon etwas anhaben, die mit ihren Männern an der Befestigungsmauer vor einem verfallenen Gebäude arbeiteten. Die heruntergekommene Scheune stand auf einer Anhöhe, von der aus man die Umgebung gut überblicken konnte. Sie waren zwölf Meilen von Saint-Aubin-la-Fère entfernt, dem Ort des Hinterhalts, und auch wenn dies nur eine vorübergehende Zuflucht war, hatte Blackstone verlangt, dass eine niedrige Befestigungsmauer errichtet wurde. Er und seine Männer waren vom Unterhändler des Königs, Sir John Chandos, beauftragt, Orte zu sichern, die König Edward gemäß dem Friedensvertrag zustanden. In jedem Dorf und jeder Stadt wurden die Bewohner aufgefordert, dem englischen König die Treue zu schwören. Manche sträubten sich, gaben jedoch nach, wenn sie von ihren Mauern aus die schlachtenerprobten Krieger sahen, die die Forderung vorbrachten. Andere erkannten rasch den Vorteil, unter dem Schutz eines starken Kriegerkönigs zu stehen, während ihr eigener kürzlich aus der Gefangenschaft entlassener Monarch sich nach Paris zurückgezogen hatte, geschwächt, bankrott und kaum in der Lage, das, was von seinem Königreich noch übrig war, zu beherrschen. Frankreich schmeckte die Bitterkeit seiner Niederlage – Ernten waren vernichtet, Brunnen vergiftet, und Söldnerbanden von beiden Seiten plünderten das wenige, was noch zu holen war. Manche französischen Edelmänner weigerten sich, Blackstone und Chandos ihre Städte zu übergeben, bis Zahlungen geleistet wurden, woraufhin die Franzosen bemerkenswert bereitwillig die Seiten wechselten. Am erbittertsten widersetzten sich die Söldner im Dienst der bretonischen Edelmänner. In der Bretagne selbst tobte ein Bürgerkrieg, und auch weiter südlich gelegene Gebiete, bis ins Limousin und das Poitou, wurden von der einen oder anderen Kriegspartei besetzt gehalten, darunter die Stadt Saint-Aubin-la-Fère. Mit dem bretonischen Herrn war eine Summe ausgehandelt worden, gegen die er die Stadt ausliefern würde und die Bürger der englischen Krone die Treue schwören sollten. Sir Gilbert Killbere war mit zwanzig Bogenschützen und ebenso vielen leichten Reitern in die befestigte Stadt gezogen, um das Geld zu überbringen und den unterzeichneten Vertrag entgegenzunehmen.

«Seht da!» Perinne spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Morgensonne und zeigte auf eine einzelne Gestalt, die eine halbe Meile entfernt aus dem Dunst auftauchte und über das offene Gelände stolperte. Die Männer an der Mauer hielten in ihrer Arbeit inne und beobachteten, wie der Mann taumelte, einen Arm hob und dann zusammenbrach. Argwohn ließ sie zögern. In dem Wald dreihundert Schritt seitlich des Mannes konnten sich Feinde verstecken. Womöglich war das Ganze eine Falle. Dann übersprang ein Schlachtross die niedrige Mauer, sodass die Männer hastig zur Seite wichen. Sein schwarz geschecktes Fell sah aus, als wäre es von Feuer angesengt – ein Grund mehr, dass dem Tier nachgesagt wurde, es sei eine Ausgeburt der Hölle.

«Das ist Jack!», rief Blackstone und trieb das Bastardpferd an. Meulon und Perinne nahmen ihre Waffen und liefen ihm nach. Plötzlich sah Perinne einen Raubvogel aus dem Wald aufflattern. Lautlos stieg er höher, bis ein Aufwind ihn erfasste und über dem schnell dahinreitenden Blackstone in den Himmel hinauftrug. Perinne schauderte – der Aberglaube besagte, dass der Schrei eines Bussards den Tod herbeirief. Und jetzt kreiste der Vogel über Blackstone.

Während die beiden Männer rannten, versammelte Will Longdon die Übrigen hinter der Mauer. «In Stellung!», befahl der Centenar. Bogenschützen und Waffenknechte bereiteten sich hastig auf einen möglichen Angriff aus dem Wald vor.

Ihre Schritte knirschten auf dem gefrorenen Boden, ihr Atem bildete Dampfwolken in der kalten Luft, als Meulon und Perinne den am Boden liegenden Mann gleichzeitig mit Blackstones Hauptmann John Jacob erreichten. Er hatte eines der Packpferde mitgebracht – Blackstones streitbares Ross duldete niemand anderen auf seinem Rücken, und wenn Jack Halfpenny noch am Leben war, würde er ein Pferd brauchen, das ihn in den Schutz der alten Scheune trug.

«Er lebt», stellte Blackstone fest und hob den bewusstlosen Mann auf wie ein Kind. John Jacob hielt das Packpferd am Zügel fest, damit Blackstone den Verwundeten über den Widerrist legen konnte. Meulon und Perinne waren zwanzig Schritt weitergelaufen, bereit, etwaige Verfolger ihres Kameraden abzuwehren. Wenn der auffliegende Bussard ein Todesomen für Thomas Blackstone war, verbarg sich im Wald möglicherweise der Feind.

Blackstone ging mit seinem Pferd neben John Jacob, der das Packpferd mit Halfpenny im Schritt führte. Nachdem Perinne und Meulon sich vergewissert hatten, dass es keinen Hinterhalt gab, schlossen sie sich ihnen an. Perinne warf immer wieder Blicke zum Himmel, doch der Raubvogel war so schnell wieder verschwunden, wie er erschienen war. Während die fünf Männer an ihren sicheren Zufluchtsort zurückkehrten, wechselte John Jacob einen Blick mit Blackstone.

«Wenn Jack zurückgekehrt ist, was ist dann mit Sir Gilbert?»

Blackstone überblickte das sanfte Hügelland. In der Gegend wimmelte es von Söldnerbanden. «Meulon, du und Perinne, ihr lauft voraus, nehmt zehn Mann und geht ein paar Meilen weit kundschaften», befahl er. «Erkundet die Waldwege. Wenn ihr keine Spur von Killbere und den anderen findet, kehrt schnell hierher zurück. Und sagt Will, er soll ein Lager für Jack bereit machen. Seine Wunden müssen versorgt werden.»

Der hünenhafte normannische Speerkämpfer rannte los, Perinne an seiner Seite. Der Dampf seines Atems schlug sich als Reif im Bart des großen Mannes nieder.

Blackstone hielt den Bewusstlosen mit einer Hand auf dem Packpferd fest. «Vielleicht sind sie auf Räuber gestoßen», sagte er. Manche Söldnerbanden waren Hunderte Mann stark, und ein kleiner Trupp wie der, den Killbere angeführt hatte, konnte leicht überwältigt werden. In Frankreich war es jetzt gefährlicher als zu der Zeit, da die Engländer gegen französische Armeen gekämpft hatten. Immer wieder wurden ungeschützte Städte und Dörfer überfallen, und das Blutvergießen würde weitergehen, bis König Edward in Besitz genommen hatte, was rechtmäßig ihm gehörte, und der französische König eine Einigung mit jenen erzielt hatte, die Gemetzel anrichteten, ohne sich vor Vergeltung zu fürchten. Oder die töricht genug waren, zu glauben, sie könnten ungestraft Thomas Blackstones Männer überfallen. «Aber wenn diese Hurensöhne in Saint-Aubin uns verraten haben, dann werde ich die Stadt bis auf die Grundmauern niederbrennen und jeden Einzelnen von ihnen töten, das schwöre ich.»

KapitelZwei

Jack Halfpenny war rasch wieder zu sich gekommen, hatte sich mit Will Longdons Brühe gestärkt, und die Wunde an seiner Seite war behandelt und verbunden worden. Blackstones Männer versorgten ihre Wunden nicht mehr mit Kuhdung und Gras, denn sie hatten von einer kräuterkundigen Frau, die einst der Hexerei beschuldigt worden war, bessere Methoden gelernt. Die Heilerin hatte Blackstone begleitet, als er im Jahr zuvor nach Mailand gezogen war, um den Mann zu töten, der seine Frau und Tochter ermordet hatte. Die sogenannte Hexe von Balon hatte die Männer gelehrt, Kräuter zu sammeln und anzuwenden. Da sie ihr Leben geopfert hatte, um Blackstone zu retten, ehrten die Männer ihr Andenken. Halfpenny hatte darauf bestanden, dass seine Wunde fest verbunden wurde, damit er trotz der Schmerzen weiter mit Blackstone reiten konnte. Als er von dem Verrat berichtete, machte sich Zorn im Lager breit. Die Männer dürsteten nach Rache. Sie wollten Saint-Aubin dem Erdboden gleichmachen. Wachsam und angespannt trafen sie im Lager Vorbereitungen für die bevorstehende Schlacht, während Blackstone mit seinen Hauptleuten loszog, um die Verteidigungsanlagen der Stadt auszukundschaften.

Jetzt lagen sie am Waldrand auf dem kalten Boden und betrachteten die Mauern von Saint-Aubin, an denen noch die Leichen ihrer Kameraden hingen, ein grausiges Zeugnis des Widerstands gegen den englischen König. Halfpenny duckte sich neben seinem Befehlshaber Will Longdon und seinem Anführer Blackstone.

Thomas Blackstone hatte ihn eingehend darüber befragt, was aus Killbere geworden war, doch der Bogenschütze konnte nur berichten, was er gesehen hatte: Killbere war niedergeschlagen worden. «Wir sind durch das Osttor hinein. Bernard de Charité stand auf der Mauer des Torhauses und begrüßte uns, erklärte, er nehme die Zahlung für die Übergabe der Stadt an und werde den Vertrag selbst unterzeichnen.»

Will Longdon spuckte aus. «Und dann hat der Hurensohn das Geld genommen und meine Bogenschützen getötet.»

«Und die Waffenknechte», ergänzte Blackstone ruhig, ohne Tadel, den Blick fest auf die hohen Mauern gerichtet, hinter denen die Hälfte seiner Truppe verraten und abgeschlachtet worden war.

«Die nicht zu vergessen», räumte sein Centenar ein, der trotz seines Rangs nur sechzig Bogenschützen befehligte – nach diesem Vorfall nur mehr vierzig. Jeder der zwanzig Mann hatte in schneller Folge ein Dutzend und mehr ellenlange Pfeile mit Ahlspitze lösen können, und so bedeutete ihr Tod einen schweren Verlust für die Truppe. Die Waffenknechte, nach Schweiß und Pisse stinkend, rückten dem Feind im Nahkampf zu Leibe, aber ein Bogenschütze – gnädiger Gott, Will Longdon bekreuzigte sich –, ein Bogenschütze war mit Gold aufzuwiegen, und sein Gestank war der lieblichste Duft. «Aber unsere Bogenschützen, Thomas, die sind nicht so leicht zu ersetzen wie Waffenknechte.»

Blackstone wandte sich nach ihm um. Longdon zuckte die Schultern – es war nun einmal die Wahrheit. «Ein Mann wie Sir Gilbert war zehn andere Waffenknechte wert, Will, lass uns das nicht vergessen», entgegnete Blackstone, dann kroch er zurück in den Wald, um die Berichte von Perinnes und Meulons Kundschaftern anzuhören.

Einer der Hauptleute, der deutsche Waffenknecht Renfred, schüttelte den Kopf. «Diese Mauern sind unüberwindbar, Sir Thomas. Wenigstens fünfzig Fuß hoch, und dort drüben» – er deutete in die Richtung, aus der er eben gekommen war – «haben sie am Waldrand gerodet, da ist über wenigstens vierhundert Schritt offenes Gelände. Auf der anderen Seite grenzt die Stadt an einen See. Keine Zugbrücke, keine Poterne.»

John Jacob nahm den Zweig aus dem Mund, auf dem er gekaut hatte, und zeigte auf die unregelmäßig geformten Verteidigungsanlagen. «Selbst wenn wir Leitern bis an den Fuß der Mauern bringen könnten, würden ihre Armbrustschützen uns einen nach dem anderen abschießen, noch ehe wir hinaufgeklettert wären.»

«Und wir kommen nicht nah genug ran, um die Mauern zu untergraben», ergänzte Meulon.

«Darum lag Chandos so viel daran, die Stadt für den König in Besitz zu nehmen: Diese Festung ist es wert, dass wir sie dem Feind abringen», stellte Blackstone fest.

Mit dem kundigen Blick eines Steinmetzen musterte er die Mauern. Die Steine stammten von einem alten, abgerissenen Gebäude in der Nähe, wahrscheinlich von einem Herrenhaus oder einem Kloster, und waren wiederverwendet worden – ein übliches Verfahren, denn so brauchte man keine Steinmetze, die die Steine passend zurechthauten, sondern nur ausreichend erfahrene Männer, die sie mit Mörtel neu zusammenfügten. Es waren gute Mauern, aber Blackstone wusste, wie er sie zum Einsturz bringen würde, wenn er einmal hineingelangt wäre – auch wenn John Chandos und der König wollten, dass die Festung erhalten blieb.

«Jack?» Er wandte sich zu dem Bogenschützen um, der an einen Baum gelehnt saß, eine Hand auf seine Wunde gedrückt. Durch den Verband sickerte noch immer Blut. «Kannst du dich erinnern, wie die Stadt angelegt ist? Wie gelangen wir zu de Charités Wohnturm?»

Halfpenny runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. «Der ist wie das Herz einer Hure, Sir Thomas – unmöglich zu erreichen. Hinter dem Haupttor ist ein Fallgatter, dann kommen gewundene Straßen. Gassen und kleine Arkadengänge entlang der Straße. Darin bieten Händler und Handwerker ihre Waren feil. In einem wurde Brot verkauft – das Letzte, woran ich mich erinnere, ehe das Blutvergießen begann, ist der Geruch von frischem Brot.»

«Sie haben also genügend Getreide und Brennmaterial für die Öfen», bemerkte Will Longdon. «Sie könnten einer Belagerung standhalten.»

«Niemand spricht von einer Belagerung», entgegnete Blackstone. «Ich will ins Herz der Hure eindringen und es herausschneiden. Jack?»

Halfpenny nickte. Jede Einzelheit, an die er sich erinnerte, konnte ihre Chancen verbessern, die Stadt einzunehmen. Und er wusste aus Erfahrung, dass das Auge eines Bogenschützen stets mehr wahrnahm, als ihm auf Anhieb bewusst war. «Zu einer Seite der Straße, durch die sie uns geführt haben, stehen die Häuser dicht an dicht. Da haben sie uns in den Hinterhalt gelockt», erklärte er. «Wir konnten die Pferde nicht wenden. Wir hatten keine Chance, und Sir Gilbert wurde von vielen Männern zugleich überwältigt. Als ich mich zu ihm durchkämpfen wollte, befahl er mir zu fliehen. Ich habe mich in einer Nische versteckt, dort habe ich auch meinen Bogen zurückgelassen.» Er warf einen Blick zu Will Longdon. «Ich will nicht irgendeinen Ersatz aus dem Fass», sagte er verächtlich – Nachschub an Bogen für die Armee wurde fässerweise geliefert. «Meiner hat früher meinem Vater gehört, und ich will ihn zurückholen.»

Blackstone legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Das sollst du, aber erst müssen wir mehr erfahren.» Er wandte sich ab und ging ein paar Schritte in den Wald hinein. «Renfred, führe mich zu den nördlichen Mauern. Ich will mir selbst ein Bild machen.»

 

Die Männer umrundeten Saint-Aubin auf Waldpfaden. Was sie sahen, überzeugte Blackstone davon, dass ein direkter Angriff nur mit einer größeren Truppe und unter erheblichen Verlusten möglich wäre. Der See bot zusätzlichen Schutz. Wie Renfred berichtet hatte, lag zwischen dem Waldrand und den Stadtmauern über vierhundert Schritt offenes Gelände, und der gefrorene See war etwa ebenso breit.

Halfpenny deutete auf die imposanten Mauern. «In der Nähe der Stelle, wo ich mich versteckt hielt, führten Stufen auf die Mauer. Ich habe auf meiner Flucht hinuntergeschaut, aber wenn ich mich dort hätte fallen lassen, wäre ich in den zugefrorenen See eingebrochen und unter dem Eis ertrunken. Darum bin ich über die Südmauer geflohen.» Er schaute zu den Leichen der Gehängten hinüber, die noch immer an der Mauer hingen. «In der nördlichen Mauer gibt es in zwanzig Fuß Höhe ein Küchenfenster. Die Küche ist groß, und nach der anderen Seite führt von einer angrenzenden Vorratskammer ein Verbindungsgang über die Straße zum Haupthaus. Dort gelangt man durch einen Nebenraum in die große Halle.»

«Woher weißt du das alles?», fragte John Jacob.

«Ich habe mich in einem Hohlraum unter diesem Verbindungsgang versteckt und alles mit angehört, was die Diener redeten. Ich konnte das Essen riechen und mithören, was wohin gebracht werden sollte. Sie haben gelacht und sich darüber unterhalten, wie de Charité uns hereingelegt hat. Sie haben ihre Arbeit unterbrochen, um mit Küchenmessern und Hackbeilen auf den Platz hinunterzugehen. Sir Thomas, ich habe gesehen, was sie mit den Gefangenen gemacht haben, die sie gehängt haben. Der Herr der Stadt hat dem Volk erlaubt, sie zu schlagen und zu verstümmeln. Zwei meiner Männer, die verwundet waren, Haskyn und Fowler, haben sie rund um den Platz gejagt, bis sie schließlich zu Tode gehackt wurden. Der Pöbel hat auf sie gepisst, ehe sie starben. Diese Hurensöhne in Saint-Aubin hassen die Engländer.»

«Und ich werde ihnen desto mehr Grund dazu geben», erwiderte Blackstone. «Aber Sir Gilberts Leichnam hast du nicht gesehen?»

«Nein, ich habe nur gesehen, wie er niedergeschlagen wurde.»

«Der König will diese Stadt, Sir Thomas», gab Meulon zu bedenken. «Sie ist für ihn und Sir John von großer Bedeutung.»

«Nun, der König kann nicht immer seinen Willen bekommen», warf Will Longdon ein. «Und Sir John Chandos mag ein Ritter des Hosenbandordens und Unterhändler des Königs sein, aber wenn er sich einbildet, wir könnten diese Mauern mit Leitern überwinden, ohne dass die Armbrustschützen uns abschießen, dann kann er mich mal am Arsch lecken. Und dieses Eis würde nicht mal einen Feenfurz tragen, von Männern mit Leitern ganz zu schweigen.»

«Wir könnten ihnen deinen Arsch als Zielscheibe anbieten, während wir die Südmauer angreifen. Wie wär’s, Sir Thomas?», schlug Meulon vor.

«Sir Gilbert hat Will schon reichlich Arschtritte verpasst, und ich nehme an, er täte es gern wieder. Sofern er noch am Leben ist. Also lassen wir Wills Arsch lieber in seiner Hose.»

Blackstone und seine Hauptleute zogen sich leise zu der Stelle zurück, wo sie ihre Pferde angebunden hatten. «Wir müssen die Stadt einnehmen. Sir John wird morgen zu uns stoßen – wir brauchen seine Männer.»

Blackstone empfand eine Eiseskälte in der Brust, die nichts mit der frostigen Luft zu tun hatte. Die Vorstellung, wie seine Männer abgeschlachtet worden waren, erfüllte ihn mit einer Bitterkeit, die nur das Verlangen nach Rache mildern konnte. Aber der Gedanke, auch Killbere könnte auf diese Weise umgekommen sein, bohrte sich wie eine Klinge in sein Herz. Im Geiste sah er die Oriflamme vor sich, die große Kriegsfahne der Franzosen, die sie in den Schlachten gegen die Engländer hochgehalten hatten. Er wünschte, er hätte sie erbeutet, als er in Poitiers versucht hatte, den französischen König zu töten. Dann würde er sie jetzt zeigen. Sie stand dafür, dass es keinen Pardon gab.

KapitelDrei

Was einen Mann am Leben hält, wenn er allein in Gefangenschaft ist, ohne Kameraden und ohne Aussicht, zu entkommen, sind sein eigener Mut und eine stille Verachtung für den, der ihn gefangen hält. Wenn derselbe Mann an einen Pfahl auf dem Marktplatz gebunden ist, vom Gestank seiner erhängten und verstümmelten Männer umgeben, ist es die Entschlossenheit, irgendwie eine Möglichkeit zu finden, zurückzuschlagen und seinen Feind zu töten.

Sie hatten den verwundeten Killbere bis auf die Hosen entkleidet und mit Stricken an einen Pfahl gefesselt. Er war mit menschlichem und tierischem Unrat beworfen worden. Eingetrocknetes Blut von der Wunde an seinem Kopf verkrustete ihm Haar und Bart. Statt mit Messern oder Hackbeilen über ihn herzufallen, hatten sie ihn mit Wasser übergossen, und als es gefroren war, hatten sich die Stricke, mit denen er gefesselt war, noch fester zusammengezogen. Seine Muskeln waren verkrampft, aber er hielt den Kopf erhoben und starrte seine Peiniger an, die vorschnellten und mit dünnen Ruten nach ihm schlugen.

Die Kinder, die Killbere quälten, stoben auseinander, als am dritten Tag seiner Gefangenschaft ihr bretonischer Kriegsherr mit langen Schritten den Platz überquerte, um dem alten Ritter Wasser zu geben.

«Du bist mein Lösegeld, alter Mann», sagte de Charité. «Wenn Chandos an meine Tore klopft, werde ich von eurem König noch mehr Geld fordern. Ich kenne deinen Namen und Ruf. Du nutzt mir lebend mehr als tot.» Der Bretone nickte seinen Soldaten zu, die Killbere an den Haaren packten und seinen Kopf zurückbogen, um ihm Wasser in den Mund zu schöpfen. Killbere verschluckte sich und rang nach Luft, doch das Wasser wirkte belebend.

«Den König von England verhöhnt man nicht ungestraft durch Verrat, du dummer Hurensohn. Eher werde ich hier an diesem Pfahl krepieren», stieß Killbere keuchend hervor. «Und dich werden sie jagen wie eine Ratte.»

Der Bretone hörte die Drohung ungerührt an. «Killbere, du bist ein Narr. Chandos wird zahlen. Dein König Edward unterstützt Jean de Montforts Anspruch auf die Bretagne, mein König Johann unterstützt Charles de Blois. Ich werde hier in Saint-Aubin bleiben und die Straßen nordwärts nach Paris und westwärts ins Marschland der Bretagne kontrollieren. Hunderte Söldner ziehen von Osten herüber. Manche reiten gen Süden, um das, was von diesem Land noch übrig ist, in ihre Gewalt zu bringen; andere kommen hierher, um sich uns anzuschließen. Beide Könige versuchen, die Söldner mit Geld auf ihre Seite zu ziehen, und die sich nicht kaufen lassen, müssen niedergeschlagen werden. Chandos braucht fähige Befehlshaber. Er wird Lösegeld für dich zahlen, und er wird mich noch zusätzlich dafür bezahlen, dass ich jene, die zu unserer Verstärkung herkommen, überzeuge, ihr Glück anderswo zu suchen.»

Krähen flatterten über ihren Köpfen und ließen sich auf den verwesenden Leichen von Killberes Männern nieder. «Hol meine Männer runter und begrabe sie, du elendes Stück Scheiße», verlangte Killbere. Einer der Soldaten versetzte ihm einen Faustschlag in die Magengrube. Der alte Ritter krümmte sich zusammen, so weit seine Fesseln es zuließen, und erbrach das Wasser, das er getrunken hatte. Als er wieder zu Atem kam, zwang er sich, den Kopf zu heben, und grinste höhnisch. «Deine Männer sind wohl mehr daran gewöhnt, die Titten ihrer Huren zu drücken. Sie schlagen wie Dienstmädchen.»

Der Soldat holte aus, um Killbere ins Gesicht zu schlagen, aber de Charité hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. «Sir Gilbert, ich habe schon früher gesehen, wie arrogant Engländer angesichts eines übermächtigen Feindes sein können. Das verleiht euch falschen Mut.»

«Wir brauchen keinen falschen Mut gegen mordenden Abschaum. Und wir haben euren Parfüm schnüffelnden König ein ums andere Mal besiegt, ganz gleich, wie groß seine Armee war. Schau mich an, du bretonischer Hurensohn. Wenn ich auch nur die kleinste Chance bekomme, wird mein Gesicht das Letzte sein, was du in diesem Leben siehst. Ich werde dir die Glieder einzeln abhacken und dir bei lebendigem Leib die Eingeweide herausreißen. Deinen Kopf schicke ich nach Paris, und vorher stecke ich dir deinen mickrigen Schwanz ins Ohr.»

Mit ein paar schnellen Schritten war Bernard de Charité bei Killbere und packte ihn an der Kehle. «Dann sollte ich dir vielleicht lieber jetzt gleich den Kopf abschlagen und ihn deinem König senden!», zischte er, und sein Speichel sprühte Killbere ins Gesicht.

«Tu es. Schick ihm meinen Kopf, und bei allem, was heilig ist, du wirst zusammen mit allen anderen Elenden in dieser Stadt brennen. Und jetzt hör auf, mir ins Gesicht zu hecheln, du stinkst wie ein Hundearsch.»

De Charité versetzte Killbere eine solche Ohrfeige, dass ihm die Lippe aufplatzte und Blut in seinen Bart rann. Dann machte der Bretone auf dem Absatz kehrt. «Kein Wasser mehr für ihn!»

Killbere hob den Kopf und lachte grölend aus Trotz gegen den Schmerz und die Aussicht auf seinen baldigen Tod. Kinder flüchteten verschreckt, Frauen eilten herbei, um sie fortzuzerren. Je schneller ihr Herr diesen Mann tötete, umso eher konnten sie sich wieder sicher fühlen. Der Engländer war besessen.

 

Blackstone und seine verbliebenen Männer warteten darauf, dass sich der Dunst lichtete, doch die Morgensonne konnte sich nicht durchsetzen. In diesem kältesten Winter seit Jahren waren die kahlen Zweige von Reif überzogen. Die Männer wickelten Lumpen um ihre verschlissenen Stiefel und verbanden sich die Hände, damit die Haut nicht aufriss und die Finger beweglich blieben.

Die gedämpften Laute herannahender Reiter drangen durch den Nebel. Will Longdon und seine Bogenschützen hatten bereits die Pfeile aufgelegt. Wenn es Feinde waren, würden viele von ihnen im Sattel sterben, noch ehe sie es mit Blackstones Schwertkämpfern zu tun bekamen. Undeutliche Stimmen verrieten Blackstone und den anderen, dass wenigstens einige der Männer Engländer waren, doch das war kein Grund, nicht auf der Hut zu sein, denn in Frankreich trieben berüchtigte englische Söldnerbanden ihr Unwesen. Harte Männer wie James Pipe und Robert Knolles führten Horden wüster Krieger an, die aus dem Militärdienst entlassen waren, darunter viele Verbrecher, die König Edward begnadigt hatte, damit sie in seiner Armee kämpften. Nun, da der Krieg gewonnen war, zogen diese skrupellosen Männer raubend und mordend durch Frankreich. Edward billigte ihr Treiben nicht, aber wenn es nach ihm ging, sollten sie dennoch lieber die Franzosen behelligen, als heimzukehren und in England als Gesetzlose und Straßenräuber zu marodieren. Wenn sie allerdings zur Bedrohung für Edwards Friedensvertrag wurden und für die Städte, die nun ihm gehörten, dann mussten sie vernichtet werden.

Ein Pferd kam in Sicht, darauf ein Mann, dessen Schild einen roten Keil mit nach unten gerichteter Spitze zeigte.

«Sir John!», rief Blackstone.

Der Reiter zog erschrocken die Zügel an, und neben ihm erschienen wie Geister aus dem Dunst weitere Gestalten. «Thomas?», rief der Anführer. «Gütiger Himmel, Ihr hättet uns töten können.» Er trieb sein Pferd wieder an und ritt auf Blackstone und seine kampfbereiten Waffenknechte zu. John Jacob hielt die Zügel, während der berühmte Ritter und Unterhändler absaß und Blackstone das Wolfsschwert in die Scheide schob. Sir John Chandos warf einen Blick zu der Linie der Bogenschützen, dann streckte er Blackstone die behandschuhte Hand entgegen. «Thomas, beim Anblick englischer Bogenschützen kann einem wirklich angst und bange werden. Ich danke Gott, dass ich nicht als Franzose geboren wurde», begrüßte er ihn augenzwinkernd. Er war zehn Jahre älter als Blackstone und hatte den kräftigen Griff eines erfahrenen Schwertkämpfers.

Weitere Männer aus Chandos’ Truppe tauchten aus dem Dunst auf. Meulon, Perinne und John Jacob führten sie zu der Ruine beim Lager, wo sie ihre Pferde einstellen konnten.

«Wir haben gestern Spuren von Reitern gesehen; wir wussten nicht, ob Freund oder Feind», sagte Blackstone, während er Chandos in eine behelfsmäßige Unterkunft führte: halbverfallene Mauern mit einem Dach aus Ästen und Farn, das ein wenig Schutz vor Regen und Kälte und auf die Entfernung auch eine gewisse Tarnung bot.

Blackstone bückte sich und schlug mit Feuerstein und Messer Funken, um das vorbereitete Brennmaterial zu entzünden, dann setzte er einen kleinen gusseisernen Topf auf. «Wir haben heute Morgen auf Feuer verzichtet, um uns nicht zu verraten. Lieber kein warmes Essen als eine durchgeschnittene Kehle.»

Das Feuer spendete wenig Wärme, dennoch streifte Chandos seine Handschuhe ab und streckte die Hände danach aus. «Vielleicht habt Ihr unsere Spuren gesehen, Thomas – ich könnte schwören, dass wir seit Tagen im Kreis geritten sind. Allerdings zieht gerade eine große Söldnertruppe durch das Limousin, womöglich sind sie näher, als ich dachte. Aber ich habe Nachrichten. Ihr standet doch der Familie d’Harcourt in der Normandie nahe, nicht wahr?»

«Allerdings. Als ich in Crécy verwundet wurde, hat man mich zu ihnen gebracht, und sie haben mich gesundgepflegt. Godefroy d’Harcourt diente Edward, und obwohl sein Neffe Jean d’Harcourt auf der gegnerischen Seite stand, wurde er mein engster Freund.»

«Und als der französische König ihn ermorden ließ, weil er und die normannischen Edelmänner einen Verrat planten, habt Ihr Rache geschworen. Das hat Euer Leben von Grund auf verändert.»

«Mein König und mein Prinz haben mir vergeben.»

«Nun, wie dem auch sei, Jean d’Harcourts Bruder Louis ist zu uns übergelaufen. Er hilft uns, Städte in Besitz zu nehmen und den Söldnerbanden das Handwerk zu legen.»

Blackstone ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Louis d’Harcourt war Statthalter der Normandie und hatte in der Vergangenheit sämtliche Versuche seines Onkels Godefroy, ihn auf die Seite der Engländer zu ziehen, abgewehrt. «Wenn das wahr ist, werden weitere französische Edelmänner sich ihm anschließen. Sie werden endlich erkennen, dass Frankreich seine Macht eingebüßt hat.»

«Hinzu kommt, dass der Hälfte von ihnen Grundbesitz in England in Aussicht gestellt wurde. Aber ich bin froh über ihre Unterstützung. Ich wünschte bei Gott, Edward und der Prinz hätten die Armee erhalten, um diesen Söldnern, die zu Tausenden durchs Land ziehen, das Handwerk zu legen. Aber das kostet Geld, und der letzte Feldzug hat die Kriegskasse des Königs erheblich verkleinert.» Chandos ritzte die groben Umrisse von Frankreich in den Boden. Am unteren Rand zeichnete er eine Zickzacklinie, dann zeigte er mit dem Stock darauf. «Das sind die Pyrenäen. Die Söldner waren eigentlich auf dem Weg nach Spanien, um dort zu kämpfen.» Er kreiste zwei Gebiete ein. «Aber hier haben die Fürsten von Aragón und Kastilien in ihrem Kleinkrieg einen Waffenstillstand geschlossen, sodass sie keine Söldner mehr brauchten. Im Süden Frankreichs wurde mit Steuergeldern eine Armee aufgestellt, die versuchen wird, sie aufzuhalten, aber wir müssen ihnen sämtliche Wege ins französische Kernland abschneiden. Wenn die Söldner erst einmal das Zentralmassiv erreichen, finden sie Zuflucht, und die Reichtümer von Burgund werden sie ernähren. Jetzt hingegen haben sie keine Vorräte. Während sie im Süden die Provence und das Languedoc verwüsten, tobt hier im Norden der Krieg in der Bretagne – wir könnten zwischen die Fronten geraten. Die Bretonen sind das dringendere Problem, Thomas. Sie ziehen immer größere Truppen zusammen, missachten Edwards Forderungen und kämpfen im Namen König Johanns um die umstrittenen Gebiete.»

«Und wir sollen sie aufhalten?»

«Ja, bevor wir uns den anderen Söldnerbanden zuwenden, aber wir müssen auch die Städte in Besitz nehmen, die Edward gemäß dem Vertrag zustehen, von denen einige allerdings hartnäckig Widerstand leisten.»

Blackstone rührte in dem Topf. Er hatte vom König den Auftrag, in dieser Sache mit Chandos zusammenzuarbeiten, doch zwischen den beiden Männern schwelte noch immer leiser Groll. Während Edwards letztem Feldzug hatten sie mit vereinten Kräften eine Stadt erobert, und Chandos hatte den Edelmann, der sie beherrschte, gefangen nehmen wollen, um Lösegeld zu erpressen. Blackstone jedoch hatte ihn getötet, da er erkannt hatte, dass die Bürger in Angst und Schrecken vor dem Tyrannen lebten. Wäre Lösegeld gezahlt worden, dann wäre der grausame Herrscher zurückgekehrt und hätte aufs Neue die Stadt terrorisiert. Blackstones Tat hatte die Stadt befreit und ihre Treue zu Edward gesichert. Der Vorfall war nicht mehr erwähnt worden, als König Edward Chandos und Blackstone nach der Unterzeichnung des Vertrags auf diese gemeinsame Mission geschickt hatte, aber vergessen war er nicht – und jetzt brauchte Blackstone Chandos’ Hilfe, um Saint-Aubin einzunehmen.

«Wo ist eigentlich Sir Gilbert?», erkundigte sich Chandos, als ihm der würzige Duft des köchelnden Eintopfs in die Nase stieg.

«Sir John, ich habe die Hälfte meiner Männer verloren und weiß nicht, ob Gilbert noch am Leben ist. Bernard de Charité in Saint-Aubin hat sich den Bestimmungen des Friedensvertrags widersetzt. Er hat das Geld genommen, das wir für die Übergabe der Stadt gezahlt haben, und dann meine Männer in einen Hinterhalt gelockt. Zwanzig Bogenschützen und zwanzig Waffenknechte.»

Sir John verzog das Gesicht. Er und Blackstone waren bereits seit mehreren Monaten im Auftrag ihres Königs unterwegs, und dies war das erste Mal, dass eine Stadt ernsthaften Widerstand leistete. «Bretonischer Hurensohn», grollte Chandos. «Seht Ihr, was ich meine, Thomas? Der verdammte Krieg in der Bretagne wirkt sich auch hier aus, wo wir es am wenigsten brauchen können. Also gut, ich kann Euch zehn Bogenschützen und ebenso viele Waffenknechte überlassen.»

«Wenn Gilbert noch am Leben ist, will ich ihn befreien.»

«Wie das? Hinter den Mauern von Saint-Aubin befinden sich zweihundert Bürger und wenigstens vierzig Krieger. Ihr werdet auch noch die andere Hälfte Eurer Männer verlieren. Nein, Thomas, Ihr müsst Gilbert seinem Schicksal überlassen. Wir können nicht noch größere Verluste riskieren, zu viel steht auf dem Spiel. Ich ziehe Truppen zusammen, um gegen die Söldner vorzugehen. Ich habe fast tausend Mann unter dem Kommando von d’Harcourt und Sir William Felton. Er wurde zum Seneschall des Poitou ernannt. Sie erwarten im Lager meine Rückkehr, und ich erwarte, dass Eure Männer sich meinen anschließen. Wenn ich Euch zwanzig Mann überlasse, bleiben mir noch hundertsechzig, doch wir brauchen Hunderte mehr. Je weiter ich in den Süden vordringe, bevor ich mich nach Osten wende, desto mehr kann ich noch rekrutieren. Der Prince of Wales wird bald die Herrschaft über Aquitanien antreten, und wie immer haben die Gascogner ihre Unterstützung zugesichert.»

Blackstone unterdrückte seinen schwelenden Zorn, doch sein scharfer Unterton entging Chandos nicht. «Sir John, ich kenne Sir Gilbert, seit ich ein Junge war. Er hat mich und meinen Bruder anno 46 in den Krieg geführt. Ich werde ihn nicht im Stich lassen.»

«Ihr werdet Eurem König gehorchen, Thomas, und ich spreche hier in seinem Namen. Wenn Gilbert noch lebt, wird de Charité Lösegeld fordern. Dann werden wir verhandeln. Wir müssen Saint-Aubin mit allen Mitteln unter unsere Kontrolle bringen.»

«Das können wir erreichen, indem wir die Stadt stürmen und den hinterhältigen Hurensohn töten. Ich brauche Eure Hilfe.»

«Nein!» Chandos begann, aufgebracht auf und ab zu laufen. «Thomas, er und Eure Männer sind Opfer, die der Krieg nun einmal fordert. Die Kämpfe gehen weiter, auch wenn ein Friedensvertrag unterzeichnet wurde, das wissen wir beide. Der Bürgerkrieg in der Bretagne erschwert die Lage zusätzlich. Wir müssen alles tun, um den Auftrag unseres Königs zu erfüllen, mit den geringen Mitteln, die wir haben.» Er holte tief Luft und sah Blackstone an, der noch immer in dem Topf rührte. «Ich verbiete es», sagte er, und da er Blackstones Ruf kannte, fügte er hinzu: «Ihr solltet mir nicht trotzen.»

Blackstone schwieg. Er schöpfte Eintopf auf einen Blechteller, den er Chandos reichte. «Ich lasse meine Freunde nicht im Stich, Sir John. Wollt Ihr Salz?»

KapitelVier

Binnen Stunden hatte sich der Dunst im Tal gelichtet, und Sir John Chandos verließ Blackstones Lager mit vollem Bauch, jedoch mit Zorn im Herzen. Die beiden Männer verabschiedeten sich in kaum verhohlener Feindseligkeit. Blackstone wurde zehn Tagesritte weiter im Osten gebraucht, um den Vormarsch der Söldner aufzuhalten, die König Johann trotzten und die umstrittenen bretonischen Gebiete im Limousin beanspruchten. Diese Bretonen erstarkten immer mehr, und Blackstones Männer – zwar wenige, aber zuverlässig – wären für Chandos nützliche Verstärkung. Wenn Blackstone nicht rechtzeitig eintraf, würde Chandos wissen, dass er gemeinsam mit dem Rest seiner Truppe umgekommen war.

Noch ehe Chandos und seine Soldaten außer Sicht waren, versammelte Blackstone seine Hauptleute. Sie hockten um dasselbe Feuer, an dem sich der Unterhändler des Königs gewärmt hatte, doch die in den Boden geritzte Karte von Frankreich war verwischt worden. Stattdessen markierten unregelmäßig angeordnete Steine die Mauern von Saint-Aubin. Das Torhaus, die Küche, die Vorratsräume und der Übergang zum Haupthaus waren mit zerbrochenen Zweigen angedeutet, ausgegossenes Wasser stellte den See dar und Grasbüschel markierten den Wald, von wo aus Blackstone und seine Männer angreifen würden.

«Über das Eis?», fragte Will Longdon zweifelnd.

«Die Nachtwachen sind auf den anderen Mauern. Niemand rechnet mit einem Angriff von dieser Seite.»

«Mit gutem Grund», bemerkte Longdon.

«Wenn wir es über den zugefrorenen See schaffen, wie überwinden wir dann die Mauern?», wollte John Jacob wissen.

«Sturmhaken würden zu viel Lärm machen», erwiderte Blackstone. «Wir brauchen eine einzige Leiter, zwanzig Fuß lang. Wir steigen durch das Küchenfenster ein.»

«Einzeln nacheinander? Das wird kaum gutgehen», wandte Meulon ein. «Sicher schlafen dort die Diener, und ich bezweifle ohnehin, dass wir durch das Fenster passen.»

Will Longdon grinste. «Ich sehe schon vor mir, wie du festklemmst wie ein Korken im Flaschenhals, Thomas, aber wenn Meulon mit seinen Schultern erst stecken bleibt, hilft es auch nicht mehr, ihm einen Speer in den Arsch zu rammen.»

«Vielleicht sollten wir einen Speer in deinen mageren Arsch rammen und dich damit den Latrinenturm raufschieben. Dann würdest du besser riechen», konterte Meulon.

Blackstone brachte sie mit erhobener Hand zum Schweigen. «Wer zuerst durch das Fenster einsteigt, tötet die Diener. Ihr habt gehört, was Jack gesagt hat: Sie haben unsere Freunde verstümmelt; sie verdienen keine Gnade. Perinne? Du wirst durch das Fenster passen, und Renfred und John auch.»

John Jacob wandte sich an Jack Halfpenny. «Wie viele Diener sind dort?»

«Sechs oder sieben.»

Jacob nickte. «Zu dritt werden wir mit ihnen fertig.»

«Und im Haupthaus? In der Halle und den Zimmern? Weitere zehn oder zwölf?»

«Ja, aber die schlafen sicher entweder im Stall oder irgendwo in Türnischen», sagte Will Longdon.

Blackstone nickte. Die bewaffnete Truppe hatte ihr Quartier wahrscheinlich anderswo, um schnell das Haupttor und den Platz erreichen zu können. Wenn er und seine Männer erst einmal innerhalb der Mauern waren, konnten sie sie umzingeln und töten. «Meulon, wähle drei Waffenknechte aus, die als Nächste durch das Fenster einsteigen. Jeder nimmt sechzig Fuß Seil mit und lässt es von der Mauerbrüstung herunter, damit wir Übrigen hinaufklettern können. Will, ich brauche ein paar Bogenschützen auf den Mauern, bevor die anderen nachkommen. Du passt auch durch das Fenster. Nimm noch wenigstens zwei von deinen Männern mit.» Er zeigte auf die beiden Enden des Mauerabschnitts, der hoffentlich die blinde Seite der Verteidiger darstellte. «Hier an den Ecken. Wenn die Wachen uns bemerken, müsst ihr sie schnell töten. Sobald wir innerhalb der Mauern sind, gehe ich mit John und Perinne durch die große Halle und suche de Charité, Meulon sichert den Platz, die Bogenschützen kontrollieren die Mauern. Das Quartier der Armbrustschützen ist bestimmt beim Haupttor. Renfred übernimmt mit sechs Mann das Torhaus und die dortige Kapelle.»

Die Männer murmelten zustimmend. Die Kapelle diente nicht nur dem geistlichen Trost des herrschenden Edelmannes, der dort betete; da sie sich am Eingang zur Stadt befand, glaubte man auch, sie könne Unglück abwehren. Ein Glaube, den Blackstones Männer bald zunichtemachen würden.

«Wir wissen nicht, wo Sir Gilbert ist», gab Jack Halfpenny zu bedenken. «Wenn er überhaupt noch am Leben ist, werden sie ihn sicher töten, sobald Alarm geschlagen wird.»

Blackstone nickte. «Das Risiko besteht, aber wenn er noch lebt, hoffe ich, dass sie ihn als Geisel benutzen und versuchen, mit ihm ihr Leben zu erkaufen.» Er blickte in die Runde. «Noch Fragen?»

«Wenn diese Wolken sich nicht verziehen, gibt es kein Mondlicht», meldete sich Perinne zu Wort. «Dann ist es schwärzer, als wenn man den Kopf unter das Gewand einer Nonne steckt.»

«Er hat recht», sagte Longdon. «Selbst auf dem Eis wird es pechschwarz sein.»

Blackstone überlegte kurz. Der zugefrorene See würde das wenige Licht reflektieren, aber im Dunkeln würden seine gut vierzig Mann es schwer haben, zusammenzubleiben. Wenn sie sich verloren und womöglich jemand einbrach, wäre der Plan gescheitert. «Gut», sagte er schließlich und zeigte mit dem Zweig auf Longdon. «Will, die Männer sollen ein paar der Leinenstreifen, die wir für Verbände benutzen, in Stücke schneiden, und jeder näht sich ein Stück davon hinten an den Kragen. Ich gehe voran, als Nächste kommen die Männer mit der Leiter und dann die Übrigen; jeder folgt dem weißen Flecken am Kragen des Vordermannes.»

Die Männer murmelten zustimmend. So konnten sie zusammenbleiben und in gerader Linie bis unter das Fenster gelangen.

«Sonst noch was?», fragte Blackstone.

Der Plan war äußerst riskant. Wenn es ihnen nicht schnell genug gelang, die Diener in der Küche zum Schweigen zu bringen, würde Alarm geschlagen werden, bevor Blackstones Männer überhaupt in die Stadt gelangen konnten. In diesen ersten entscheidenden Momenten konnte bereits die ganze Unternehmung scheitern. Wenn sie nicht schon vorher durch das Eis brachen. Dennoch schüttelten die Männer auf Blackstones Frage nur die Köpfe.

Blackstone zerbrach den Zweig. «Wir greifen vor Tagesanbruch an.»

 

Blackstones Hauptleute versammelten ihre Männer um das grobe Modell von Saint-Aubin und erklärten den Plan, dann machten sie sich bereit, ihr Lager abzubrechen und sich im Schutz des Waldes auf den zwölf Meilen weiten Weg zur Stadt zu machen. Ihnen stand eine lange Nacht bevor, in der sie kein Feuer anzünden durften und ihre Muskeln steif werden würden. Waffenknechte entledigten sich ihrer Schwertscheiden und schoben ihre Schwerter in einen einfachen Ring am Gürtel. Sie banden Stoffstreifen an ihr Zaumzeug, damit die Metallteile nicht klimperten, falls Bernard de Charité Kundschafter außerhalb der Mauern hatte. Will Longdons Männer zerschnitten Leinenstreifen und nähten die Stücke an ihre Kragen. Er ging zwischen den Bogenschützen umher, die Chandos ihnen überlassen hatte. Aus ihren Unterhaltungen schloss er, dass nur vier von ihnen überhaupt schon ernsthaft gekämpft hatten. Die Übrigen waren junge Burschen, stark, aber sichtlich nervös. Wenn sie versuchten, sich in die Gespräche der Veteranen einzumischen, wurden sie verächtlich zum Schweigen gebracht. Einer von ihnen nähte gerade sorgfältig einen weißen Flicken an, aber Longdon sah, dass seine Finger zitterten. Er ging neben dem Jungen in die Hocke und nahm ihm wortlos Stoff und Nadel aus den Händen.

«Du kommst mit mir auf die Mauern, Junge. Tu, was ich dir sage, dann wird dir schon nichts geschehen», sagte er leise.

«Natürlich, Master Longdon», erwiderte der Bogenschütze.

Longdon nähte geschickt eine Seite des Flickens an. «Der Faden reicht nicht. Schneide noch welchen ab. Wie heißt du?»

«Peter Garland», antwortete der Junge.

«Also, Junge, du schaffst das. Du hast die Ehre, unter dem tapfersten Mann zu dienen, den ich je gekannt habe. Er war auch einmal so verängstigt wie du, aber er hat seine Lektionen gelernt.»

«Sir Thomas?», fragte Garland, während er mehr Faden abschnitt.

«Genau. Als wir anno 46 in der Normandie landeten, war Thomas ein Junge von sechzehn Jahren, der seinen jüngeren Bruder beschützte – ein Kerl wie ein Ochse, missgestaltet und taubstumm, aber mutig und riesengroß, noch größer als Thomas. Und Sir Gilbert, tja, der war schon immer ein harter Hund. Thomas war sein Schützling – nicht dass ihm das irgendwelche Sonderrechte eingebracht hätte. Einmal haben wir Thomas provoziert, denn er hatte den Kriegsbogen seines Vaters mit einem Zuggewicht, das kaum einer von uns ausziehen konnte, und wir haben ihn dazu gebracht, eine Krähe aus einem Baum zu schießen. Sir Gilbert hat Thomas für den vergeudeten Pfeil geohrfeigt. Er war ein harter Lehrmeister, dieser Killbere. Hat pflichtvergessene Männer aufknüpfen lassen. Aber damals, als Thomas uns andere hätte beschuldigen können, weil wir ihn dazu angestiftet hatten, da hat er es nicht getan. Er hat die Ohrfeige und die Schelte von Sir Gilbert eingesteckt und den Mund gehalten. Ich glaube, Thomas Blackstone war damals schon zum Anführer bestimmt.»

Er verknotete den Faden und biss ihn durch. «Nimm dir ein Beispiel an den anderen Jungs, Peter Garland, dann wirst du den morgigen Tag erleben.» Er gab dem Jungen die Jacke zurück und klopfte ihm auf die Schulter.

«Danke, Master Longdon.»

Will Longdon richtete sich auf und ging davon. Als er einen Blick von Perinne auffing, grinste er – nun bemutterte er doch tatsächlich junge Burschen. Männer, die jahrelang unter Blackstone gedient hatten, sorgten für ihre Schützlinge, auch wenn viele von ihnen selbst Blackstones scharfe Zunge erduldet hatten. Longdon schüttelte seine Verlegenheit ab und betrachtete das Werk von Perinnes Männern, die einen jungen Baum gefällt und mit Keilen der Länge nach gespalten hatten. Dann hatten sie Löcher gebohrt und Sprossen hineingehämmert. Die Sturmleiter war leicht genug, dass zwei Mann sie tragen konnten, doch sie musste dem Gewicht von mehreren Kriegern standhalten, die gleichzeitig hinaufkletterten.

Perinne hatte über die Jahre zahlreiche Verteidigungsmauern und Sturmleitern gebaut; als die Männer von ihrer Arbeit zurücktraten, hob er das Ende der Leiter an und hämmerte in jeden Fuß drei Hufnägel, damit sie nicht wegrutschte, wenn sie an die Stadtmauer angelegt wurde.

Jetzt packte er seinen Freund am Arm. «Will», sagte er leise. «Als Thomas ausgeritten ist, um Jack zu holen, kreiste ein Bussard über ihm. In dem Moment hatte ich Angst um sein Leben und dachte, es könnte ein Hinterhalt sein.»

Longdon runzelte die Stirn. Es kam nicht oft vor, dass der altgediente Soldat solche Sorge offenbarte, doch alle wussten, dass es derlei böse Omen gab. Und wie oft war Blackstone schon dem Tode nah gewesen, seit sie sich kannten? Sie alle waren sterblich, und wenn die Waldgeister nach Blackstones Seele gerufen hatten, konnte keiner von ihnen etwas dagegen ausrichten. «Es kann jeden von uns treffen, Perinne», sagte er. «Und du weißt, der Tod ist Thomas stets auf den Fersen. Aber ich schwöre, noch viele andere werden vor ihm sterben.» Longdon hörte selbst, wie hohl seine tröstenden Worte klangen. «Die Leiter ist fertig. Deine Leute warten.»

Er wandte sich ab und ließ Perinne zu seinen Männern zurückkehren, die gerade die Leiter aufrichteten und an einen Baum lehnten. Perinne wählte zwei seiner schwersten Soldaten aus, um die Belastbarkeit der Leiter zu prüfen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie hielt, ließ er sie ins Lager bringen. Er rieb sich über die Stoppeln auf seinem vernarbten Kopf. Ein nächtlicher Angriff barg seine eigenen Schrecken. Thomas Blackstone hatte ihn und die anderen viele Male in die Schlacht geführt, und vor gar nicht langer Zeit waren sie hinter den Mauern einer feindlichen Stadt in die Falle geraten und hatten in den Straßen von Mailand kämpfen müssen. Sie waren zahlenmäßig unterlegen gewesen und hatten gute Männer verloren, doch eine göttliche Hand hatte Blackstone beschützt.

Will Longdons Erzählung hatte Perinne daran erinnert, was er von Blackstone wusste, der als Junge zusammen mit anderen jungen Männern die Mauern von Caen gestürmt hatte. Ein sterbender walisischer Krieger hatte Blackstone ein silbernes Amulett der Göttin Arianrhod geschenkt. Dieser heidnische keltische Talisman hatte Blackstone nicht vor persönlichen Schicksalsschlägen bewahrt, doch Perinne war überzeugt, dass die Göttin über ihn wachte. Er wünschte, er hätte selbst einen solchen Glücksbringer, doch im Herzen wusste er, dass ihm die Absolution eines Priesters mehr bedeutete. Niemand wollte ohne Beichte sterben. Wenn sie den Marsch über das Eis überlebten, dann würde er durch dieses Fenster einsteigen, und in den folgenden Kämpfen würde er sich in Blackstones Nähe halten. Vielleicht schützte der Segen der Göttin dann auch ihn. Perinne spuckte aus und schnallte sein Schwert um. Jetzt war keine Zeit mehr für müßige Gedanken.

KapitelFünf

Blackstone rannte über das Eis auf die dunklen Umrisse der Mauern von Saint-Aubin-la-Fère zu. Aus einem kleinen Fenster drang der schwache Schein heruntergebrannter Herdfeuer, der den Angreifern den Weg wies. Sie hatten die Nacht hindurch auf dem gefrorenen Boden gelegen und dann auf die geflüsterten Befehle ihrer Hauptleute langsam ihre steifen Glieder wieder geregt. Die Wolken hingen tief am Himmel. Kein Mond, keine Sterne.

In der Stille der Nacht hörten Blackstones Männer nichts als das Knirschen des Eises unter ihrem Gewicht. Jeder Schritt klang wie eine Warnung an die Wachen auf den Mauern, aber Blackstone und seine Kämpfer hatten bereits die halbe Strecke zurückgelegt, ohne dass Alarm geschlagen wurde. Die Männer mühten sich keuchend, mit Blackstones langen Schritten mitzuhalten, und bei jedem Tritt schien das Eis ein wenig nachzugeben. Endlich ragte die schwarze Mauer vor ihnen auf. Schweigend, schwer atmend, kauerten die Angreifer sich nieder, um weniger Angriffsfläche zu bieten, falls sie entdeckt wurden. Jetzt wurden keine Befehle mehr erteilt, jeder wusste, was er zu tun hatte. Als sie aufblickten, sahen sie ihre toten Kameraden, die steif gefroren von den Mauern hingen. Ihre verzerrten Gesichter verrieten, dass sie keinen schnellen Tod durch Genickbruch gehabt hatten, sondern am Strick zappelnd langsam und qualvoll erstickt waren. Die Leiter wurde angelegt. Männer spuckten aus, kamen wieder auf die Füße, nahmen ihre Schwerter und hängten sich die Schilde über den Rücken. Sie gingen in einer langen Reihe am Fuß der Mauer in Stellung und warteten darauf, dass die Seile heruntergelassen wurden.

 

John Jacob stieg mit gezücktem Messer als Erster durch das Fenster. In der Luft hing noch der Duft gebratenen Fleisches, sodass ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Plötzlicher Hunger überkam ihn, dazu Neid auf den Herrn von Saint-Aubin, der selbst im Winter genug Fleisch zu essen hatte. Jacob ließ sich auf den Küchenboden hinunter. Der Schein der Glut im Herd reichte aus, um die schlafenden Diener zu erkennen. Sie lagen eingerollt, mit dem Rücken an den riesigen Herd geschmiegt, die Arme vor der Brust. Wie in den meisten Küchen waren Köche und Diener Männer. Jacob ging drei Schritte in den Raum hinein, wobei er über die Außenkante des Fußes abrollte, um möglichst kein Geräusch zu verursachen. Ohne sich umzuschauen, wusste er, dass Perinne und Renfred hinter ihm waren; sie bewegten sich lautlos, aber er hörte ihren flachen Atem. Er schlich an den Schlafenden vorbei zu dem Mann, der am weitesten entfernt war. Binnen Sekunden würden sechs Männer tot sein.

John Jacobs erstes Opfer wälzte sich im Schlaf herum. Jacob erstarrte. Würde der Mann erwachen? Die Gestalt hustete und drehte sich mit dem Gesicht zum Herd. Jacob schnellte vor, wobei er spürte, dass die anderen hinter ihm dasselbe taten. Er beugte sich hinunter, drückte dem Mann eine Hand auf Mund und Nase und zog mit der anderen seine Messerklinge über dessen Kehle. Warmes, klebriges Blut spritzte. Der Körper bäumte sich auf, doch auf den gurgelnden Todeslaut folgte sofort ein schneller Stich ins Herz. Während die lautlosen Mörder ihr Werk fortsetzten, liefen drei weitere von Blackstones Männern schnell an ihnen vorbei, schlüpften zur Tür hinaus, wandten sich nach links zu dem Übergang, dann ging es sechs Stufen hinauf auf die Wehrmauer, von wo sie die Seile zu ihren wartenden Kameraden hinunterließen.

Perinne führte Will Longdon durch die Küche. Sein Bogen war entspannt, die Sehne unter seinem Lederhelm verwahrt. Das Bündel Pfeile steckte noch in dem Sack aus gewachstem Leinen, den auch die anderen Bogenschützen sich hinten in den Gürtel gesteckt hatten. Auf der Mauer angekommen, würden sie die Bogen spannen und Pfeile auflegen.