Legenden des Krieges: Der einsame Reiter - David Gilman - E-Book
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Legenden des Krieges: Der einsame Reiter E-Book

David Gilman

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Beschreibung

Die Legende wird weitererzählt: Band 3 der Erfolgsserie von Bestsellerautor David Gilman! Die Toskana, 1358. Weil Thomas Blackstone gegenüber dem französischen König keine Gnade walten lassen wollte, verbannte ihn König Edward ins Exil. Nun führt Thomas sein Schwert für Florenz: als Söldner, gegen die Visconti von Mailand. Da erreicht ihn die obskure Nachricht eines Boten: Der König von England erwarte ihn, er habe keine Gefahr zu fürchten. Thomas befürchtet eine Falle, aber er macht sich trotzdem auf den Weg zu seinem König – und der führt über die verschneiten Alpen, durch das berüchtigte Tor des Todes. Doch das wahre Grauen erwartet ihn erst dahinter …

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David Gilman

Legenden des Krieges: Der einsame Reiter

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

Über dieses Buch

Die Legende wird weitererzählt: Band 3 der Erfolgsserie von Bestsellerautor David Gilman!

 

Die Toskana, 1358. Weil Thomas Blackstone gegenüber dem französischen König keine Gnade walten lassen wollte, verbannte ihn König Edward ins Exil. Nun führt Thomas sein Schwert für Florenz: als Söldner, gegen die Visconti von Mailand. Da erreicht ihn die obskure Nachricht eines Boten: Der König von England erwarte ihn, er habe keine Gefahr zu fürchten. Thomas befürchtet eine Falle, aber er macht sich trotzdem auf den Weg zu seinem König – und der führt über die verschneiten Alpen, durch das berüchtigte Tor des Todes. Doch das wahre Grauen erwartet ihn erst dahinter …

Vita

David Gilman, aufgewachsen in Liverpool, kutschierte schon als 16-Jähriger in einem zerbeulten Ford Bauarbeiter durch den afrikanischen Busch. Verschiedenste Jobs überall auf der Welt folgten: als Feuerwehrmann, Waldarbeiter und Werbefotograf, als Marketingmanager eines Verlags und Fallschirmjäger in der British Army. Seit 1986 widmet er sich vollständig dem Schreiben. Er ist erfolgreicher Radio- und Drehbuchautor, seine Kinder- und Jugendromane wurden in 15 Länder verkauft. Heute lebt er in Devonshire und fährt einen störrischen alten Landrover.

Für Suzy, wie immer

… so bewandert in der Kriegskunst, wie ein Mann nur irgend sein konnte, wunderbar geschickt darin, Schlachten zu planen und jeden Vorteil zu nutzen, Mauern zu überwinden und Städte und Burgen anzugreifen, kundig und erfahren, wie man es sich nur wünschen könnte …

 

Bascot de Mauléon, Waffenknecht, an Jean Froissart, einen französischen Chronisten des 14. Jahrhunderts, über die Männer der freien Truppen

Personen

*Sir Thomas Blackstone

*Christiana, Lady Blackstone

*Henry, Sohn von Blackstone und Christiana

*Agnes, Tochter von Blackstone und Christiana

 

THOMAS BLACKSTONES MÄNNER

*Sir Gilbert Killbere

*Gaillard: normannischer Hauptmann

*Meulon: normannischer Hauptmann

*John Jacob: Hauptmann

*Perinne: Baumeister und Soldat

*Elfred: Bogenschütze und Befehlshaber der Bogenschützen

*Will Longdon: altgedienter Bogenschütze und Centenar

*Jack Halfpenny: Bogenschütze

*Robert Thurgood: Bogenschütze

 

DEUTSCHE RITTER

*Werner von Lienhard

*Conrad von Groitsch

*Siegfried Mertens

 

GASCOGNER RITTER UND WAFFENKNECHTE

Jean de Grailly: Captal de Buch, Edelmann aus der Gascogne und Verbündeter der Engländer

*Beyard: Jean de Graillys Hauptmann

Gaston Fébus: Graf de Foix

 

FRANZÖSISCHE RITTER

Jean d’Hangest: Beschützer der französischen Königsfamilie in Meaux

Loys de Chamby: französischer Ritter, wirkt bei der Verteidigung von Meaux mit

Bascot de Mauléon: kämpfte mit dem Captal in Preußen und steht auch in Meaux an seiner Seite

*Marcel de Lorris: niederer französischer Edelmann, bei dem Henry Blackstone als Page dient

 

NORMANNISCHE EDELMÄNNER

*Robert de Marcouf: normannischer Graf am englischen Hof

*Robert de Montagu: normannischer Graf, der sich Karl von Navarra angeschlossen hat

 

ENGLISCHE EDELMÄNNER, RITTER UND KNAPPEN

Henry of Grosmont, Duke of Lancaster

Ralph de Ferrers: englischer Kommandant von Calais 1358–1361

Sir Gilbert Chastelleyn: Ritter am Hof Edwards III.

Stephen Cusington: Unterhändler Edwards III.

*Roger Hollings: ein Knappe

*Samuel Cracknell: Bote, Sergeant

 

DAS ENGLISCHE KÖNIGSHAUS

König Edward III. von England

Edward of Woodstock, Prince of Wales

Isabella von Frankreich (Isabella die Schöne), Königinwitwe von England

 

DAS FRANZÖSISCHE KÖNIGSHAUS

König Johann II. (der Gute) von Frankreich

Der Dauphin: Sohn und Erbe des französischen Königs

Die Herzogin der Normandie: Gemahlin des Dauphin

Karl, König von Navarra: Anwärter auf den französischen Thron, König Johanns Schwiegersohn

Philipp von Navarra: Karl von Navarras Bruder

 

ITALIENISCHE EDELMÄNNER, RITTER, GEISTLICHE, KAUFLEUTE UND DIENER

Galeazzo Visconti: Herrscher von Mailand

Bernabò Visconti: Herrscher von Mailand

Marquis de Montferrat: Piemonteser Edelmann

Pancio de Controne: Arzt des Vaters von Edward III.

*Niccolò Torellini: Florentiner Priester

*Paolo: Torellinis Diener

*Fra Stefano Caprini: Ordensritter

*Bruder Bertrand: Mönch

*Oliviero Dantini: Seidenhändler in Lucca

 

ENGLISCHER ARZT

Master Lawrence of Canterbury: Arzt der Königin Isabella

 

BÜRGERMEISTER VON MEAUX

Jehan de Soulez

 

ANFÜHRER DES BAUERNAUFSTANDS

Guillaume Caillet

 

Fiktive Personen sind mit * gekennzeichnet.

Erster TeilDie Stadt der Speere

KapitelEins

Schreie gellten von den Mauern, als stürzten Seelen ins Höllenfeuer. Söldner warfen brennende Fackeln in Häuser und metzelten alle nieder, die zu fliehen versuchten. Der Ort stand in Flammen, und die Bewohner hatten keine Chance gegen die Eindringlinge, die aus den Bergen über sie gekommen waren. Die gemischte Truppe aus deutschen und ungarischen Kriegern durchbrach die schwachen Verteidigungsanlagen mühelos. Kleine Pulks von Bewohnern versuchten, ihre Häuser zu verteidigen, wurden jedoch überwältigt. Manche wurden kampfunfähig gemacht und mussten zusehen, wie ihren Familien Gewalt angetan wurde. Das Grauen trieb die Männer dazu, um ein schnelles Ende zu flehen, doch ihre Bitten wurden nicht erhört.

Diese einfachen Leute hatten sich erkühnt, zu protestieren, als die Söldner auf dem Rückweg über die Gebirgspässe nach Mailand ihre Wintervorräte plünderten. Als das Heer sich langsam wieder in Marsch gesetzt hatte, war ein Teil auf Befehl des Kommandeurs in Santa Marina zurückgeblieben, um den Bewohnern eine Lektion zu erteilen. Die Brutalität der Söldner kannte keine Grenzen. Kein Bauer oder Handwerker hatte diesen Soldaten, die bei den Visconti, den Herrschern von Mailand, unter Vertrag standen, etwas entgegenzusetzen, und dass eine andere Söldnertruppe sich ihnen in den Weg stellen würde, war unwahrscheinlich. Südlich des Dorfes verlief ein breiter, durch Schmelzwasser von den Bergen gespeister Fluss. Kalt und stellenweise tief, bildete er eine natürliche Barriere für jeden, der versuchen sollte, dem Ort in seiner Not zu Hilfe zu eilen. Man hätte dazu über die schmalen Gebirgspfade nach Santa Marina kommen müssen, und das wäre nicht unbemerkt geblieben. Niemand wagte es, Ziegenpfade im Dunkeln zu begehen.

Niemand außer Thomas Blackstone mit hundert handverlesenen Männern.

 

Fünf Hauptleute hatten je zwanzig Mann hinter sich; jeder Trupp folgte einem Führer, der sie an einem Hanfstrick durch die Dunkelheit leitete. Tagsüber schliefen sie zwischen Felsblöcken und Gestrüpp. In der dritten Nacht erreichten sie endlich, stolpernd und leise fluchend, das Ufer des Flusses, der südlich von Santa Marina dahinströmte. Die Lagerfeuer vor den gut dreißig Zelten, die zwischen dem Fluss und dem Ort standen, wiesen ihnen den Weg. Hinter diesem Söldnerlager schwelten noch die Überreste des Ortes, sodass der Nachthimmel darüber rötlich verfärbt war. Und noch immer hallten Schreie durch die Straßen. In dem Ort konnten nicht mehr als etwa siebzig Mann zurückgeblieben sein. Die Chancen standen gut für Blackstone.

«Mist», schimpfte John Jacob, Blackstones englischer Hauptmann, während er im Gras liegend über den Fluss spähte. «Wir kriegen nasse Füße.»

«Und einen nassen Arsch», ergänzte Sir Gilbert Killbere an Blackstones anderer Seite. «Herrgott, Thomas, musstest du uns hierherführen? Dieser Fluss ist wenigstens hundert Schritt breit.» Er wälzte sich auf den Rücken, löste seinen Helm und fuhr sich mit der schmutzigen Hand über seine ergrauten Stoppeln. Der bisherige Weg war schon strapaziös genug gewesen.

Blackstone hielt schweigend Ausschau, ob sich zwischen den Zelten etwas regte. Er sah nur wenige Schatten und schloss daraus, dass die meisten der Söldner sich in dem Ort befanden. Die Lagerfeuer brannten so hell, dass auch der Fluss beleuchtet wurde. Das bedeutete, wenn jemand aus einem Zelt kam und in die falsche Richtung schaute, würde ihr Angriff entdeckt werden. Und so flink seine leichtbewaffneten Männer auch sein mochten, es würde doch einige Zeit dauern, einen Fluss mit felsigem Grund zu durchqueren.

«Der Fluss ist um diese Jahreszeit höchstens hüfttief. Wo ist Will?», fragte er.

Hinter ihnen raschelte etwas im Schilf.

«Hier», meldete sich Will Longdon und robbte näher heran, um die niedrige Uferböschung hinunterzuspähen. «Das Wasser von den Bergen dürfte verdammt kalt sein. Wir werden uns die Klöten abfrieren, Sir Gilbert», stellte er fest.

«Ein mickriger Bogenschütze wie du bestimmt», entgegnete der ältere Ritter.

«Die Lagerfeuer weisen uns den Weg», sagte Blackstone. «Bring deine Bogenschützen in Stellung, Will. Dreihundert Schritt flussabwärts, da ist die flachste Stelle. Dort werden diejenigen, die uns entkommen, bei Tagesanbruch zu fliehen versuchen. Die Hälfte der Männer dorthin, die andere Hälfte bleibt hier. Dann lassen wir die Falle zuschnappen.»

Er ließ den Blick über die Männer gleiten, die nebeneinander am Ufer lagen, abgehärmt vom Schlafmangel, mit dreckverkrusteten Gesichtern, Schwert, Axt oder Streitkolben kampfbereit umklammert. Ihre Augen glänzten im Feuerschein. Sie boten einen furchterregenden Anblick. Ohne ein weiteres Wort stand Blackstone auf, und sofort folgten die anderen seinem Beispiel. Er watete vorsichtig ins flache Wasser. Die Dunkelheit erschwerte das Vorankommen, aber Blackstone und seine Männer hatten schon gefahrvollere Flussdurchquerungen bewältigt, bei denen die Bolzen französischer Armbrustschützen auf sie niedergeprasselt waren. Im Vergleich dazu war dies hier nichts weiter als eine kleine Unannehmlichkeit. Wenn das Töten begann, würde ihnen schon bald wieder warm werden.

Das leise Platschen ihrer Schritte war wenig später nicht mehr zu hören, als sie im hüfttiefen Fluss wateten und das Rauschen und Gurgeln des Wassers über den Untiefen alle Geräusche übertönte. Blackstone sah sich nach seinen Männern um, die ihre Speere und Schwerter zu Hilfe nahmen, um nicht von der Strömung umgerissen zu werden. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alle sicher hinübergelangt waren, setzte er seinen Weg durchs Schilf fort, das ihnen noch für ein paar Schritte spärliche Deckung bot.

Sechzig Krieger schwärmten lautlos zwischen die Zelte aus und kontrollierten rasch, ob darin Söldner lagen. Blackstone lief mit den Übrigen weiter, ohne die gedämpften Schreie der Männer zu beachten, die arglos geschlafen hatten. Je näher er dem Ort kam, desto lautere Schreie hörte er.

Blackstone rannte auf den ersten Platz im Ort, der mit Toten übersät war. Er sah eingeschlagene Schädel, aufgeschlitzte Bäuche, glänzende Blutlachen auf dem Pflaster – Männer, Frauen, Kinder und Hunde waren hier niedergemetzelt worden. Ein Dutzend Soldaten peinigten einen Mann, der mit heraushängenden Gedärmen auf allen vieren kroch. Während sie ihm mit ihren Speerspitzen noch weitere Wunden zufügten, tranken sie Wein aus irdenen Krügen und lachten über seine Qual. Auch aus den schmalen Gassen, die zu beiden Seiten auf den Platz mündeten, ertönten Schmerzensschreie. Da und dort brannten Fackeln, deren flackerndes Licht gespenstische Schatten an die Mauern malte, während die Männer der Visconti Frauen aus Hauseingängen zerrten und weinende Kinder abschlachteten, die sich zu ihren Müttern flüchten wollten.

Einer der Söldner drehte sich halb um, als er eilige Stiefeltritte nahen hörte. Er glaubte, seine Kameraden aus den Zelten seien nachgekommen, um das Gemetzel mit anzusehen, doch sein Grinsen wich einem verwirrten Ausdruck, als er die Männer schweigend heranstürmen sah. Als er begriff, dass es nicht seine Kameraden waren, kam sein Warnruf schon zu spät. Blackstones Männer fielen so plötzlich über die Söldner her, dass ihnen keine Zeit blieb, sich zu verteidigen.

«Nach links!», befahl Blackstone und lief zwischen den Toten hindurch dem Lärm entgegen, der aus einer der Gassen drang. Der Verwundete richtete sich auf die Knie auf, beide Hände auf seinen aufgeschlitzten Bauch gepresst, und hob das blinde Gesicht einem bärtigen Hünen entgegen, der ebenso groß und breitschultrig war wie Blackstone und der ihn jetzt mit einem raschen Schnitt durch die Kehle von seiner Qual erlöste.

«Meulon!», rief Blackstone. «Fünf Mann! Dort drüben!»

Der Hüne wandte sich zu der Gasse, von wo mehrere Männer auf sie zuliefen. Sie hatten bemerkt, dass auf dem Platz etwas vorgefallen war, aber wie ihre Kameraden büßten auch sie in einem Moment des Zauderns jeden Vorteil ein. Der Anblick dieser Angreifer, die wüster aussahen als sie selbst, schüchterte sie ein. Als sie endlich gegen die Eindringlinge vorrückten, waren sie Schulter an Schulter in der engen Gasse zusammengedrängt und hatten den Speerstößen und den nachfolgenden Axt- und Schwerthieben nichts entgegenzusetzen.

Blackstone trug eine offene Beckenhaube, und die Kleidung seiner Männer unterschied sich kaum von der der Söldner, die den Ort überfallen und in Brand gesteckt hatten. Manche trugen Beinschienen und Rüstungsteile an Schultern und Oberarmen; alle hatten Kettenpanzer unter ihren Wappenröcken mit Blackstones Wappen – einer Faust im Panzerhandschuh, die ein Schwert hielt wie ein Kruzifix –, und an ihren Gürteln hingen Streitäxte und Dolche.

In einer schmalen Gasse wehrte sich eine Frau mit Händen und Füßen gegen ihren Angreifer, während ein zweiter Mann gegen eine Wand urinierte, eine Fackel in der freien Hand. Als er einen Blick über die Schulter warf, nahm er in der Dunkelheit eine Bewegung wahr. Er drehte sich um und streckte die Fackel von sich, während es warm an seinem Bein hinunterlief. Bis er die Fackel fallen gelassen hatte und nach seinem Schwert griff, hatte John Jacob bereits seine Klinge im Bogen aufwärtsgeschwungen und den Gegner zwischen den Beinen getroffen. Der Mann krümmte sich vor Schmerz und hielt sich das blutige Gemächt, als auch schon ein anderer von Blackstones Männern seine Axt auf den ungeschützten Hals niedersausen ließ. Blackstone selbst warf sich gegen den Soldaten, der mit der Frau rang, und brachte ihn so aus dem Gleichgewicht, dann rammte er ihm den Knauf des Wolfsschwerts in den Mund. Knochen und Zähne knirschten, der Kopf des Mannes wurde mit einem Ruck zurückgerissen, und Killberes Schwertstoß traf ihn in die Kehle. Blackstones Männer rückten weiter vor, ohne die halbnackte Frau zu beachten.

«Wie viele sind wir?», rief Blackstone, als er einen weiteren kleinen Platz erreichte, wo etwa zwanzig Söldner einen Pferdetrog als Rammbock benutzten, um eine schwere Holztür mit riesigen Eisenscharnieren aufzubrechen. Auch dieser Platz war übersät mit Toten, die Mauern blutverschmiert, und Fackeln beleuchteten die grausige Szenerie.

«Genug!», antwortete der alte Ritter und drängte sich an Blackstone vorbei, um sich in den Kampf zu stürzen.

«Gilbert! Warte!», schrie Blackstone. Sie waren nur neun Mann, die übrigen zogen irgendwo hinter ihnen kämpfend durch die Straßen.

Die Männer mit dem Rammbock drehten sich um und erkannten mit einem Blick, dass sie in der Überzahl waren. Blackstone glitt auf dem blutigen Pflaster aus, und ehe er sich wieder gefangen hatte, waren bereits zwei oder drei Männer an ihm vorbeigelaufen und Killbere gefolgt. Schwerter klirrten; ein paar von Blackstones Männern hoben herumliegende Schilde vom Boden auf und bildeten einen Schildwall gegen die desorganisierten Angreifer. Blackstone erkannte, dass Killberes linke Flanke ungeschützt war – bald würde der ältere Mann zu Boden gehen. Blackstone rannte auf ihn zu, aber drei Männer, die aus der Tür eines brennenden Hauses stürzten, drängten ihn gegen eine Mauer zurück. Er parierte ihre Schläge und wich seitlich aus, sodass der erste Mann in seinem Schwung an ihm vorbei gegen die Mauer prallte. Blackstone hob einen Schild vom Boden auf und wehrte damit mehrere heftige Schläge von den anderen beiden Gegnern ab, dann warf er sich mit seinem Gewicht gegen sie. Der Ausdruck in ihren Augen verriet ihm, was sie sahen: eine grausige Erscheinung, deren entstelltes Gesicht im flackernden Licht noch verzerrter wirkte. Er schlug sie zurück. Einer ergriff die Flucht, der andere machte einen Schritt zur Seite und holte mit seinem Schwert hoch aus. Blackstone rammte den gehärteten Stahl des Wolfsschwerts in die ungeschützte Achselhöhle. Der Mann, der zuerst zu Boden gegangen war, ließ sein Schwert liegen, rappelte sich auf und verschwand in einer Gasse.

Blackstone sah sich nach seinem Freund um, aber Killbere wurde von zwei hünenhaften Gestalten verdeckt: den beiden normannischen Speerkämpfern Meulon und Gaillard, die mit ihren Männern aus einer Seitengasse gestürmt waren und die Gegner in die Enge getrieben hatten. Sieben Söldner drängten sich in einer Ecke zusammen und warfen ihre Waffen zu Boden.

«Gnade!», riefen sie, und ein paar fielen auf die Knie.

Ehe Blackstone seine Männer zurückhalten konnte, hatten sie sich bereits auf die Söldner gestürzt. Zwei Überlebende versuchten mit erhobenen Armen vergebens, sich vor den Hieben zu schützen.

«Wartet!», befahl Blackstone.

Killbere wandte ihm sein blutbespritztes Gesicht zu. «Wir sollen sie am Leben lassen?», fragte er ungläubig.

Blackstones Männer machten ihm Platz, als er zwischen ihnen hindurchschritt. «Vorerst, ja. Steht auf», befahl er. Einer der Männer trug über seinem Kettenhemd einen Wappenrock mit einer Schlange darauf, in deren Maul ein Kind steckte.

«Ich kenne das Wappen der Visconti.» Blackstone wandte sich dem zweiten Mann zu, dessen blutiger Rock so ausgeblichen war, dass er das Wappen nur teilweise erkennen konnte: eine Krone auf dem Kopf einer weiblichen Gestalt, aber anstelle der Arme hatte sie ausgebreitete Flügel und statt der Beine Adlerklauen. In Blackstones Erinnerung regte sich etwas – er kannte auch dieses Wappen, hatte es schon einmal in der Hitze des Gefechtes gesehen.

Die Männer zitterten vor Erschöpfung und Angst. Sie hatten den Tod vor Augen, und niemand, nicht einmal der skrupelloseste Söldner, wollte ohne Beichte sterben.

Blackstone setzte die Spitze des Wolfsschwerts an das Wappen. «Welchem Herrn dienst du?», fragte er.

Obwohl die Schwertspitze das Kleidungsstück nur leicht berührte, zerriss der Stoff. Der Mann drückte sich rücklings an die Wand.

«Werner von Lienhard», antwortete er.

Blackstone schwieg; seine Männer warteten darauf, dass er dem Mann die Klinge in die Brust stieß, damit sie seine Wertgegenstände an sich nehmen konnten.

Schließlich brach Blackstone das Schweigen: «Wo ist er, dein deutscher Herr? Mit Viscontis übrigen Soldaten im Norden? Oder bei eurer Haupttruppe?»

«In Mailand», brachte der Mann heiser heraus.

«Wie stark ist die Haupttruppe?», wollte Blackstone wissen.

Die beiden Männer wechselten einen Blick und zuckten unsicher die Schultern.

«Ein paar hundert, Herr.»

«Auf welcher Route kehren sie heim?», fragte Blackstone weiter.

«Durch Vani del Falco. Wir sollten nachkommen.» Der Mann kniete nieder, und sein Kamerad folgte rasch seinem Beispiel. «Gnade, Herr. Wir werden alles tun, was Ihr verlangt. Verschont uns, dann wollen wir Euch dienen.»

Killbere, dessen Gesicht schweißüberströmt war, warf Blackstone einen ungeduldigen Blick zu. «Das Töten ist noch nicht zu Ende, Thomas. Wir können nicht die ganze Nacht hier rumstehen und mit diesen elenden Dreckskerlen palavern.»

Blackstone ließ sein Schwert sinken. «Ich verschone sie», entschied er. «Aber fesselt sie und sperrt sie irgendwo ein.»

«Gott segne Euch, Herr! Gott segne Euch!», riefen die Männer.

Killbere schloss sich Blackstone an, als dieser den Hof überquerte. «Hat das einen bestimmten Grund?»

«Bald bricht der Tag an. Sicher sind diejenigen, die uns entkommen sind, zum Fluss gelaufen. Organisiere die Männer, Gilbert. Und versammele so viele Dorfleute wie möglich.»

«Thomas, du heckst wieder etwas aus, was uns neue Scherereien einbringt. Herrgott, als hätten wir nicht schon genug geblutet. Wir haben heute Nacht mehrere Männer verloren.»

Blackstone wandte sich dem Mann zu, den er höher als jeden anderen achtete. Killbere hatte für seinen König gekämpft, er war vor die englische Armee hingetreten und hatte sie beschworen, geschlossen gegen die Franzosen zu stehen. Und dennoch hatte er sich entschieden, Blackstone ins Exil zu folgen und ihm zu dienen.

«Gilbert, vertrau mir.»

Der ältere Mann zögerte, dann nickte er, zu erschöpft, um weitere Einwände zu erheben. Er murmelte etwas Unverständliches und wandte sich ab, um Blackstones Befehle auszuführen.

KapitelZwei

Ein kleiner Wald weiß befiederter Pfeile ragte aus den Leichen der Männer, die versucht hatten, Blackstones Schwertkämpfern zu entkommen. Will Longdons Bogenschützen konnten noch auf dreihundert Schritt Entfernung sicher zielen; im Schein der Lagerfeuer waren die Fliehenden bei zweihundert Schritt in einen wahren Pfeilhagel hineingelaufen, der völlig überraschend vom Nachthimmel niederprasselte. Die Bogenschützen waren auf ihren Positionen am anderen Flussufer geblieben, bis Blackstone sie rufen ließ, damit sie seine Flanken deckten für den Fall eines Gegenangriffs. Longdons Männer sammelten ihre blutigen Pfeile ein, deren Ahlspitzen leichter aus dem Fleisch der Opfer zu ziehen waren als Blattspitzen. Pfeile waren wertvoll, und diese eine Elle langen Schäfte aus Eschenholz, dick wie der Mittelfinger eines Mannes und mit einer Befiederung aus Gänsefedern, waren besonders schwer zu beschaffen. Anschließend durchsuchten die Bogenschützen das Lager nach Lebensmitteln, um dann, zufrieden mit dem Werk dieser Nacht, ihre Verteidigungsstellung zu beziehen, wo sie sich daranmachten, die Befiederungen auszubessern. Ein guter Pfeil konnte mehr als einmal töten.

Bei Tagesanbruch flatterte Blackstones Banner auf dem Glockenturm von Santa Marina, während der Gestank des vergossenen Blutes durch die Straßen zog. Die Dorfleute kamen aus Kellern und sonstigen Verstecken hervor; andere kehrten zögerlich aus den bewaldeten Bergen zurück, die den Ort umgaben. Um die None trugen sie ihre Toten auf einer Piazza zusammen.

«Zweiunddreißig von Viscontis Männern liegen tot dort draußen, weitere siebenunddreißig hier», meldete Meulon.

«Die meisten dieser Hurensöhne haben es mit der Angst zu tun bekommen, als ihr aus der Dunkelheit auf sie zu stürmtet», ergänzte Perinne, einer der Franzosen, die am längsten in Blackstones Dienst standen. «Der Anblick von dir und Gaillard könnte Milch gerinnen lassen.»

Die erschöpften Männer saßen an die Kirchenmauer gelehnt; sie hatten in den zerstörten Häusern Brot, Dörrfleisch und Wein gefunden und stärkten sich.

«Wie viele haben wir verloren?»

«Neun. Und zwei weitere werden den Tag nicht überleben.» John Jacob nannte ihm die Namen der Männer, die in der Nacht ihr Leben gelassen hatten. Blackstone kannte sie alle, auch wenn er manchem kein Gesicht zuordnen konnte. Egal. Sie hatten tapfer gekämpft und würden auf dem Friedhof von Santa Marina begraben werden. Der Priester des Ortes würde ein Gebet für sie sprechen.

«Wo hatte der Priester sich eigentlich versteckt?», erkundigte sich Blackstone.

«Auf dem Glockenturm», antwortete Gaillard.

«Wir hätten Jack Halfpenny auftragen sollen, die schwarze Krähe abzuschießen», bemerkte Killbere und spuckte aus.

«Will ist der bessere Schütze», wandte Gaillard ein.

«Herrgott noch mal, das spielt doch keine Rolle, du normannischer Trottel! Jeder verdammte Bogenschütze hätte das gekonnt!», grollte Killbere. «Thomas, wie geht es jetzt weiter? Zurück nach Hause? Ich sehne mich nach einem heißen Bad, angewärmtem Wein und einer Frau mit weichen Titten.»

«Noch nicht, Gilbert. Wir haben noch Arbeit vor uns.» Blackstone gab den Soldaten auf der anderen Seite der Piazza einen Wink, woraufhin sie die Überlebenden aus Hauseingängen und Gassen auf den Platz schoben. Die Leute schauten auf ihre Toten hinunter und warteten in ergebenem Schweigen ab, was diese neue Söldnertruppe von ihnen verlangen würde. Der Priester wurde nach vorn geführt.

Der Mann hatte achtunddreißig seiner einundsechzig Lebensjahre damit zugebracht, von einem Dorf ins nächste weiterzuziehen, weil er sich überall unbeliebt machte – er wetterte allerorten gegen die hohen Abgaben, die Bischöfe und Grundbesitzer von den Villani verlangten. Doch vor fünf Jahren hatte das gütige Schicksal ihn nach Santa Marina verschlagen. Dieser Ort war von der Pest verschont geblieben, und die Bewohner glaubten, Gott habe ihnen das Leben nicht nur geschenkt, damit sie sich als billige Arbeitskräfte ausbeuten ließen. Der Priester hatte die Leute ermutigt aufzubegehren. Dadurch, so erklärte er, hatte er wohl diesen Vergeltungsakt über sie gebracht.

«Euer Banner weht auf meiner Kirche», sagte er zu Blackstone. «Défiant à la mort. Ich verstehe die Sprache gut genug, um zu wissen, was das heißt. Wenn diese Männer wiederkommen, werden sie die Kirche Stein um Stein niederreißen, um an das Banner zu kommen. Aber ich werde ihnen trotzen. Im Namen Gottes und im Namen von Sir Thomas Blackstone. Das Volk von Santa Marina wird täglich für Euch und Eure Männer beten.»

Killbere zog die Nase hoch und spuckte aus, dann seufzte er, die Arme vor der Brust verschränkt, um dem Priester zu verstehen zu geben, wie wenig ihn das interessierte.

«Für Euch alle», betonte der Priester, mutig geworden.

«Es wird keine weiteren Überfälle auf Euch geben», versprach Blackstone. «Dafür sorgt mein Banner.»

«Es schützt Euch besser als tausend bewaffnete Männer», ergänzte Killbere, um hervorzuheben, was Blackstones Ruf vermochte.

Blackstone fasste den Geistlichen an den Schultern und drehte ihn zu dem versammelten Volk herum. «Wie viele Leute sind hier gestorben?»

Der alte Priester schüttelte den Kopf. «Vielleicht dreihundert, ich weiß es nicht genau. Wir haben noch nicht alle Häuser durchsucht.»

«Und wie viele Überlebende gibt es?»

«Etwa ebenso viele. Ich bete darum, dass es mehr sind.»

«Hört mir zu, alter Mann! Die Männer, die Euch überfallen haben, waren nur ein Teil einer Armee, die sich auf dem Rückweg in ihr eigenes Territorium befindet. Diese Dorfleute kennen die Berge. Werden sie kämpfen?»

Killbere und alle, die in Hörweite waren, schauten erschrocken drein, am erschrockensten war jedoch der Priester. Dorfleute kämpften nicht gegen bewaffnete Krieger. Kein Bauer hatte jemals gegen Soldaten die Hand erhoben. Dem alten Mann fehlten die Worte; er klappte stumm den Mund auf und zu, und seine Augen weiteten sich.

«Werden sie kämpfen?», fragte Blackstone noch einmal. «Gemeinsam können wir denen, die dieses Gemetzel angerichtet haben, einen Hinterhalt legen. Zwar wird es uns nicht gelingen, sie alle zur Strecke zu bringen, aber wir werden Beute machen, die wir mit Euch teilen. Pferde, Waffen, Stoffe, Geld, Nahrung, Karren und Maultiere. Das wäre zumindest eine gewisse Entschädigung. Und wir können die Truppe aufspalten und wenigstens ein Drittel der Männer töten. So viele, wie sie selbst abgeschlachtet haben. Ihr kennt diese Leute. Sprecht zu ihnen. Sagen sie nein, sind wir binnen einer Stunde von hier verschwunden.»

Er schob den widerstrebenden Priester nach vorn, bis er in den Blutlachen stand, die sich um die Leichen auf dem Platz ausgebreitet hatten. Der Geistliche suchte nach Worten, unsicher, wie er das Volk zu einem Gegenschlag anstacheln sollte – doch dann kam ihm seine lebenslange Erfahrung im Predigen zu Hilfe. Mit tragender Stimme, die über den ganzen Platz hallte, forderte er die Leute auf, sich Blackstones Männern anzuschließen und jene, die solches Leid über ihren Ort gebracht hatten, niederzustrecken.

«Thomas, manchmal frage ich mich wirklich, welcher Teufel dich reitet. Diese Bauern können sich kaum selbst den Arsch abwischen», sagte Killbere.

Blackstone betrachtete seine Männer, die offenbar Killberes Zweifel teilten. Der Priester war verstummt. Die Leute schwiegen, niemand sprach sich dafür aus, zu kämpfen. Aber sie blieben stehen, als ob sie auf etwas warteten.

«Sie kennen jeden Hang und jeden versteckten Gebirgspfad; sie können Steine werfen und Felsbrocken loshebeln. Sie können Hunderte Männer in Schluchten locken und mit Stöcken und Mistgabeln über sie herfallen. Wir können noch mehr töten, und wenn wir das tun, werden diese Hurensöhne sich in Zukunft aus der Gegend fernhalten, und diese Leute werden frei sein. Andere werden sich hüten, sie zu drangsalieren.»

Killbere trat dicht an Blackstone heran und sagte ihm ins Ohr: «Thomas, du bist nicht mehr der Steinmetz, der unter Lord Marldons Herrschaft lebt. Du bist mehr als das, immer schon gewesen. Du darfst ihnen keine falschen Hoffnungen auf Freiheit machen. Sie haben nicht im Krieg gekämpft wie du.» Er sprach in gütigem Ton.

Blackstone legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. «Ich werde immer dieser Steinmetz bleiben, Gilbert. Ich bin ein einfacher Mann, daran wird sich nie etwas ändern. Und ich kann in diesen Leuten die Wut entfachen, die sie brauchen, um zu kämpfen.»

«Wie das?», fragte Killbere.

Blackstone gab zweien seiner Männer, die an einer Tür Wache standen, einen Wink. Sie zerrten die beiden Gefangenen hervor. Blackstone trat auf den Platz hinaus, und die Wachen stießen die verängstigten Söldner zu ihm.

«Ihr habt die Chance, euer Leben selbst in die Hand zu nehmen!», rief er. «Wir sind hergekommen, weil wir gedungene Krieger sind! Condottieri! Und ihr habt gesehen, wie wir diese Männer niedergemetzelt haben, obwohl wir ihnen zahlenmäßig unterlegen waren! Schließt euch uns heute an, dann werde ich, Thomas Blackstone, euch eine Gelegenheit verschaffen, euch zu rächen! Ergreift diese Gelegenheit!»

Er packte die beiden verängstigten Männer.

«Sir Thomas, Ihr habt gesagt, Ihr würdet uns verschonen!», bettelte einer von ihnen.

«Das habe ich», bestätigte Blackstone. «Jetzt liegt es an diesen Leuten.»

Er stieß sie auf den Platz, wo sie über die Toten stürzten. Als sie sich wieder hochrappelten, rutschten sie auf dem blutigen Pflaster aus. Schließlich standen sie da wie verwundete Tiere, die von einem Wolfsrudel umzingelt waren. Einer hob flehentlich die Hände. Nichts geschah. Keiner rührte sich. Die beiden Männer versuchten zaghaft, sich zurückzuziehen, wobei sie über die Leichen von Frauen und Kindern hinwegsteigen mussten. Es schien, als hätten sie eine Chance, davonzukommen. Doch dann ertönte aus der Menge ein gequälter Aufschrei, so durchdringend, dass die Krähen auf den Dächern erschrocken aufflatterten. Eine zweite Stimme fiel ein, dann immer mehr, eine Kakophonie des Schmerzes. Kein Wort fiel, kein Fluch, keine Drohung. Nur unartikulierte Schreie, die das Blut in den Adern gefrieren ließen.

Schließlich warf jemand aus der Menge einen Stein auf einen der Söldner. Der Mann fiel auf ein Knie, rappelte sich jedoch wieder hoch. Beide Männer versuchten, sich weiter zurückzuziehen, aber die Schreie steigerten sich zu einem Wutgebrüll. Ein Mann mit einem Knüppel drängte sich nach vorn, während sich von der anderen Seite des Platzes eine Frau näherte, die einen Schürhaken schwang. In wenigen Augenblicken stürmten noch andere über die Leichen ihrer Lieben hinweg auf die hilflosen Männer zu. Deren Schreie um Gnade gingen im Lärm der Menge unter. Binnen kurzem gingen sie zu Boden und waren wenig später tot, bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert.

Thomas Blackstone hatte den Blutdurst der Dorfbewohner geweckt.

 

Die Dorfleute rannten über kaum erkennbare Gebirgspfade. Sie liefen wie ein Schwarm – statt auf einem Weg zu bleiben, überschwemmten sie die Hänge, benutzten Pfade, die in Gebrauch waren, seit ihre frühesten Vorfahren einst hoch in den Bergen Ziegen geweidet hatten.

Blackstone bemühte sich nach Kräften, Schritt zu halten, aber diese trittsicheren Bauern waren an steile Anstiege und unwegsames Gelände gewöhnt, und er und seine Männer mussten keuchend innehalten, als sie zwei Drittel des steilen Hanges bewältigt hatten.

Ihre Lungen schmerzten, aber wenn sie zu lange Pause machten, würden ihre Muskeln sich verkrampfen, sodass das letzte Stück bis zum Gipfel desto beschwerlicher würde.

«Sie sind wie Flöhe auf einem Hund», bemerkte Perinne. «Wir werden die Vordersten aus den Augen verlieren, und der Himmel weiß, was sie anstellen, wenn sie die Söldner entdecken.»

«Er hat recht», bekräftigte Killbere. «Thomas, du solltest mit den Bogenschützen und ein paar anderen mit ihnen hinaufsteigen. Ich bin zu langsam, ich folge denen, die nach rechts abzweigen. Dort geht es nicht so hoch hinauf, und sie müssen um den Gipfel herum, um die Truppe von der Flanke anzugreifen.»

Die Männer husteten und standen vornübergebeugt, um den Schmerz zu lindern.

«Ich nehme dreißig Mann und gehe mit Sir Gilbert», sagte John Jacob. «Wenn du mit Will Longdons Jungs von oben angreifst, könnt ihr Viscontis Männern eine Lektion erteilen und diesen verrückten Bauern eine Chance verschaffen, nicht abgeschlachtet zu werden.»

«Heilige Jungfrau», stieß Longdon hervor, dann grinste er. «Ihr Waffenknechte erwartet doch immer, dass wir Bogenschützen die schlimmste Schinderei auf uns nehmen.»

«Das zeigt nur, wie hoch wir eure Fähigkeiten schätzen», versetzte Killbere sarkastisch. Dann machte er Anstalten, sich wieder in Bewegung zu setzen, entschlossen, den jüngeren Männern zu zeigen, dass er noch kräftig genug war, den Angriff von der Flanke anzuführen.

«Stell deinen Trupp zusammen», befahl Blackstone, wandte sich ab und lief weiter den Hang hinauf.

Longdon biss die Zähne zusammen, schob seinen Kriegsbogen in die Leinenhülle, die er auf dem Rücken trug, und folgte seinem Befehlshaber und Freund. Die Bogenschützen kletterten hinterher, während Killbere und Jacob mit stummen Gesten weitere Männer auswählten, die sich ihnen anschließen sollten. Reden beanspruchte ihre Lunge zu sehr, und sie brauchten alle Luft für die letzte Etappe.

Ein berittener Trupp mit Fuhrwerken und Vorräten hätte fast einen Tag gebraucht, um den oberen Rand des Hanges zu erreichen, an dessen Fuß der Pass verlief. Die Männer und Frauen von Santa Marina brauchten über steile Abkürzungen weniger als drei Stunden. Blackstone, der schweißgebadet war, nahm seinen Helm ab und hielt den Kopf unter das kalte Rinnsal, das über eine Felskante strömte.

«Scheiße!», fluchte Jack Halfpenny, der sich wie die anderen Bogenschützen auf den Boden hockte. «Ich habe kaum noch die Kraft auszuspucken, geschweige meinen Bogen auszuziehen.»

«Aufstehen», befahl Longdon. Seine Beine schmerzten ebenso wie die der anderen, aber er musste die Bogenschützen für Blackstones nächste Befehle in Bereitschaft halten. Die rachedürstenden Dorfleute waren nicht mehr zu halten; sie hatten keinen Anführer, niemanden, der ihnen befehlen konnte. «Sie haben Blut gewittert, Thomas. Wie ein durchgehendes Schlachtross. Jetzt sind sie nicht mehr zu bändigen.»

«Sie werden jedenfalls erheblichen Schaden anrichten», erwiderte Blackstone.

Die Dorfleute rückten jetzt schweigend hangabwärts weiter vor. Noch hatte keiner der Söldner nach oben geschaut und sie bemerkt. Die Truppe hatte sich geteilt; die Vorhut verschwand bereits um eine Biegung ein Stück voraus, der Haupttrupp jedoch folgte langsamer mit den Fuhrwerken. Da die meisten Reiter bei der Vorhut waren, hatten diese Männer schlechte Chancen zu einem Gegenangriff.

Zu seiner Rechten sah Blackstone jenseits der Straße bewaffnete Männer quer zum Hang herannahen. Es waren Killbere und John Jacob mit den Übrigen. Sie waren noch etwa tausend Schritt entfernt. Blackstone musste seine Bogenschützen an der linken Flanke über dem Abhang in Position bringen.

«Weiter geht’s, Jungs», sagte er.

«Natürlich, Sir Thomas», erwiderte Robert Thurgood, ein Bogenschütze, der zusammen mit Jack Halfpenny erst kürzlich zu Blackstones Truppe gestoßen war. Beide waren nicht einmal zwanzig Jahre alt, schmal, drahtig und nicht besonders groß, aber stark genug, einen englischen Kriegsbogen auszuziehen. Sie stammten aus demselben Dorf und waren mit dem Prince of Wales quer durch Frankreich gezogen, auf seinem großen Feldzug, der mit dem Gemetzel von Poitiers geendet hatte. Als Kinder hatten sie an den Schießständen zugesehen, wie die älteren Jungen sich im Bogenschießen übten. Von ihnen beiden hatte Halfpenny als Erster die Stärke eines Bogens in der Hand gespürt und das Glücksgefühl in seiner Brust, wenn er den Pfeil löste. Thurgood war mehr darauf aus, sich vor der Arbeit auf dem Anwesen ihres Herrn zu drücken, und er war für sein aufbrausendes Temperament bekannt, das ihm schon des Öfteren Strafen eingebracht hatte. Jack Halfpenny zeigte seinem Freund, wie ein guter Bogenschütze sich Anerkennung erwarb und beim Jahrmarkt die Aufmerksamkeit der Dorfmädchen auf sich zog. Als sie sich bei Blackstones Hauptleuten bewarben, prüfte der narbengesichtige Ritter selbst ihre Fähigkeiten und hörte sich ihre Geschichten an, und Halfpenny überzeugte den sagenumwobenen Befehlshaber, sie in seine Truppe aufzunehmen. Zuerst stand Halfpenny stumm dabei, während Thurgood von Schlachten redete und betonte, die englischen und walisischen Bogenschützen seien die größten Krieger und die Juwelen in der Krone des Königs. Doch dann sprach Halfpenny von dem Gefühl des Eibenholzbogens in seiner Hand, der ausgezogenen Sehne an seiner Wange, davon, wie mit dem Losschnellen des Pfeils ein Teil von ihm befreit würde, den er nicht in Worte fassen könne, er wisse nur, dass es eine Gabe Gottes sei. Diese Worte verschafften den zwei Freunden die Gelegenheit, sich dem berühmten Thomas Blackstone anzuschließen. Wie alle Krieger gierten sie nach Beute, aber Killbere war der strengste Lehrmeister, unter dem sie je gedient hatten. «Und wir sollten uns ans Werk machen, ehe Sir Gilbert noch denkt, wir wären nicht besser als tratschende Weiber in einem Badehaus», keuchte Halfpenny.

Der Pfad entlang der Oberkante des Abhangs war eben genug, dass Blackstone und seine dreiundfünfzig Mann einen Vorsprung vor der Truppe unter ihnen gewannen, und als die schwerfälligen Fuhrwerke die Straßenbiegung erreichten, begannen die Dorfleute, Steine hinunterzuwerfen. Unten brach das Chaos los. Männer, die, vom gemächlichen Tempo der Lasttiere und Ochsenkarren eingelullt, zusammengesunken im Sattel gekauert hatten, gerieten augenblicklich in Panik.

Die Bogenschützen nahmen in einer Reihe Aufstellung, zogen die Sehnen auf und hielten ihre Pfeile bereit.

«Wartet», befahl Longdon seinen Männern und sah zu, wie Blackstone das halbe Dutzend Waffenknechte versammelte, um sich hangabwärts in den Kampf zu stürzen. Wenn den Söldnern unten klarwurde, dass sie von ihrer Vorhut abgeschnitten waren, würden sie erbittert um ihr Leben kämpfen. Die Männer und Frauen von Santa Marina schoben indessen Eisenstangen unter lose Felsbrocken; andere stemmten sich gegen morsche Bäume, und bald ging eine wahre Lawine aus Stein und Holz auf die Söldner nieder.

Schreckensschreie mischten sich mit Kommandos, Pferde gingen durch, glitten aus und stürzten, während die Reiter versuchten, die panischen Tiere unter Kontrolle zu bringen. Fußsoldaten erholten sich rasch vom ersten Schreck und begannen, den Hang hinaufzuklettern, ihren Angreifern entgegen. Unbewaffnete Bauern würden gewiss bald die Flucht ergreifen.

Blackstone beobachtete, wie sich die Söldner neu formierten. Sie waren dazu ausgebildet, bei einem Hinterhalt schnell zum Gegenangriff überzugehen. Aber wenn die Dorfleute ihre Stellung hielten, waren Killbere und die anderen im Vorteil, da Viscontis Männer bergauf kämpfen mussten. Der Carroccio der Söldner war ein schwerfälliges, von Ochsen gezogenes Gefährt, verziert mit den Bannern ihres Befehlshabers – ein Kommandoposten, der es wert wäre, erobert zu werden; jetzt allerdings machte er es den in den Hinterhalt geratenen Männern schwer, schnell zu reagieren. Die vorgespannten Ochsen blieben mitten auf der Straße stehen und teilten so den Haupttrupp noch einmal auf.

Als Männer an ihnen vorbeirannten, wurden die Ochsen panisch und brachten den Carroccio ins Wanken, während der Wagenlenker sich bemühte, die Tiere im Zaum zu halten. Der Wind blähte die Fahnen, sodass Blackstone die Viper der Visconti sich winden sah, als würde sie in diesem Augenblick das Kind verschlingen.

Blackstone wollte dieses Banner. Er reckte das Wolfsschwert in die Höhe und hörte, wie auf sein Zeichen Will Longdon den Bogenschützen die Befehle zurief.

«Pfeil auflegen! Bogen ausziehen! Lösen!»

Als Blackstone hörte, wie die gewachsten Hanfsehnen gespannt wurden, fühlte es sich an, als wären sie ein Teil von ihm. Während die Pfeile durch die Luft zischten, rannte er, als wäre er selbst von einem Eibenholzbogen losgeschnellt.

Die Erkenntnis traf die Söldner, die den Hang gegenüber erklommen hatten, wie ein Schlag. Gerade wollten sie sich auf die wehrlosen Bauern stürzen und sie niedermetzeln, wobei sie sich fragten, warum die bewaffneten Männer ein paar Schritt dahinter einfach stehen blieben. Und dann begriffen sie. Die Pfeile trafen sie mit solcher Wucht, dass sie ihre Rüstungen durchschlugen. Männer gingen zu Boden und wanden sich in Todesqual. Viele waren binnen Sekunden tot, manche erstickten an ihrem eigenen Blut, weil die Pfeile die Lunge durchbohrt hatten. Diejenigen, die die erste Salve überlebt hatten, zauderten und versuchten, den Standort der Bogenschützen zu bestimmen. Eine zweite vernichtende Salve traf sie. Und dann rückte Killbere mit seinen Männern zwischen den entgeisterten Dörflern vor, die noch nie gesehen hatten, was Bogenschützen anrichten konnten.

Blackstone rannte aus Leibeskräften. Die Männer auf der Straße hatten erkannt, dass sie überlistet waren, und änderten die Richtung, um dem Angriff zu begegnen. Jetzt waren bewaffnete Männer sowohl vor als auch hinter ihnen, und sie sahen, dass die Bogenschützen nun auf die hinteren Teile ihrer bedrängten Truppe zielten, während Reiter zu fliehen versuchten. Blackstone sah Killbere und Jacob in der Mitte einer breiten Frontlinie, die hangabwärts vorrückte. Meulon und Gaillard kämpften mit ihren Speeren, während die Männer und Frauen aus dem Ort hinter den Kriegern nachfolgten und den Verwundeten mit Messern den Rest gaben.

Viscontis Männer, durch den Hinterhalt von vornherein im Nachteil, waren rettungslos unterlegen, und noch immer warfen die Dorfleute mit Steinen und hieben mit Stöcken und Sensen. Wieder begannen die Bauern zu schreien und zu brüllen. Blackstone und Perinne sahen sich vier Männern mit gekürzten Lanzen gegenüber. Keiner von ihnen hatte einen Schild, und allein mit ihren Schwertern konnten sie gegen die fünf Fuß langen, angespitzten Lanzen nichts ausrichten. Perinne bückte sich, hob einen Stein auf und schleuderte ihn einem der Söldner ins Gesicht. Der taumelte rücklings. Blackstone folgte dem Beispiel des Franzosen und bewarf die überraschten Gegner mit scharfkantigen Steinbrocken. In dem Versuch, sich vor den Steinen zu schützen, zogen sie die Schultern hoch und drehten sich seitlich. Blackstone nutzte die Gelegenheit, an den tödlichen Spitzen der Lanzen vorbeizukommen, und er und Perinne metzelten die panischen Söldner nieder.

Feindliche Reiter trieben ihre Pferde zum Angriff an, und drei von Blackstones Männern gingen zu Boden, aber die Söldner erkannten, dass es kein Entrinnen gab, solange sie nicht aus der Reichweite der Bogenschützen und zu ihrer Vorhut hinter der jetzt von Felsbrocken übersäten Wegbiegung gelangten. Als einer der Reiter vorwärtsstürmte, packten Blackstone und Perinne zusammen eine Lanze und rammten sie mit Wucht dem Pferd in die Brust. Der Reiter stürzte, und Perinne wich behände den schlagenden Hufen aus und stieß dem Verwundeten sein Messer in die Kehle.

Während die Klagelaute der Pferde und der sterbenden Männer allmählich verstummten, bahnte sich einer der Reiter einen Weg durch das Chaos und ergriff das Banner der Visconti. Die Niederlage würde ihm auf jeden Fall eine Strafe von seinem Herrn einbringen, aber wenn er wenigstens die Fahne vor dem Feind rettete, konnte er vielleicht auf Gnade hoffen. Blackstone hob einen am Boden liegenden Schild auf und kämpfte sich zwischen den Männern hindurch, die dank Killberes Vorstoß aus der Ordnung gebracht waren. Während er die Klinge des Wolfsschwerts einem Mann in den Rücken stieß, der sich zu Jacob und den anderen umgewandt hatte, erkannte er, dass es zu spät war, die Fahne zu erbeuten. Er sah zu, wie der Reiter sein Pferd in einen Graben lenkte und dann durch Gestrüpp, das unberittene Verfolger aufhalten würde. Die wehende Schlange verschwand.

Manche machten kehrt und wollten fliehen, als sie sahen, dass die Fahne in Sicherheit gebracht wurde. Es war ein Spießrutenlauf zwischen Bauern und Blackstones Männern, aber ein paar der Söldner erreichten den Wald. Blackstone hörte Killberes Befehl, diejenigen, die sich ergaben, zu verschonen. Man konnte Lösegeld erpressen, also nutzten sie lebend mehr als tot. Widerstrebend gehorchten die Bauern, deren Blutdurst ein wenig gestillt schien.

Auf den Tumult folgte die Stille nach der Schlacht. Es war kaum mehr als ein Scharmützel gewesen, aber Blackstones Männer hatten eine Truppe angegriffen, die dreimal so zahlreich war wie sie selbst, und mit Hilfe der Bewohner von Santa Marina diese gut ausgebildeten Söldner geschlagen. Fast dreihundert Gegner lagen tot auf der Straße und den Hängen, und während die Bauersfrauen zwischen den Toten herumgingen, um ihnen Kleidung, Gürtel und Waffen abzunehmen, richteten die Männer die großen Ochsenkarren wieder auf und beluden sie mit der Beute: Säcke mit Getreide, Tuch, Sättel und Zaumzeug, Beutel mit Münzen und Rüstungsteile. Manche der herrenlosen Pferde liefen wild auf den Hängen herum, andere grasten. Insgesamt gab es mehr als zweihundert Tiere einzufangen. Achtundzwanzig Einwohner von Santa Marina waren tot, halb so viele verwundet. Blackstone hatte nur drei Männer verloren.

Eine Ortschaft war gerettet, Vergeltung geübt und Beute gemacht. Und die Unterlegenen wussten, dass es Thomas Blackstone war, Condottiere von Florenz, der geächtete englische Ritter, Veteran von Crécy und Poitiers, der ihnen diese Niederlage beigebracht hatte.

KapitelDrei

Blackstone und seine Männer überwinterten an ihrem sicheren Zufluchtsort in den Bergen, von wo aus sie über die reiche Stadt Florenz im Süden wachten. Italienische Herrscher verabscheuten die Ausländer in ihrer Mitte, die so blutrünstig kämpften, dass es jeden Bürger eines zivilisierten Staates grausen musste. Doch zugleich wurden sie für ihre Fähigkeiten respektiert. Diesen Männern schien das raue Wetter nichts anhaben zu können; sie kämpften im Schnee ebenso wie bei größter Sommerhitze. Kämpfen war ihr Lebensinhalt, und den Lohn für ihre Strapazen erwarteten sie in diesem Leben, nicht im nächsten.

Das Verhängnis des Ortes Santa Marina war aus einem Vertragsbruch entstanden, einer unbeglichenen Schuld bei den Visconti in Mailand, und auch wenn die Condottieri normalerweise nur auf dem Gebiet des jeweiligen Stadtstaats eingesetzt wurden, gab es gelegentlich Vereinbarungen zwischen verfeindeten Herrschern, damit ihre Truppen durch das Gebiet des jeweils anderen ziehen konnten. Die Herrscher, die ihrem Feind das Geleitrecht gewährten, zählten darauf, dass die andere Seite zu gegebener Zeit den Gefallen erwidern würde. Florenz hatte also eingewilligt, dass die Visconti ein nicht gezahltes Lösegeld eintrieben. Bedingungen wurden vereinbart, eine Geldzahlung und eine angemessene Entschädigung für jeglichen Schaden an Ernte oder Vieh, den die Truppe auf ihrem Durchmarsch verursachte. Aber auf dem Heimweg hatten die Männer der Visconti ihre Marschroute geändert, und die Nachhut des Heeres war auf der Suche nach Proviant nach Santa Marina gekommen, wo es Streit mit den Ortsbewohnern um die Bezahlung der Lebensmittel gab. Dass diese skrupellosen Söldner von ihrem Weg abwichen, rief Blackstone und seine Männer auf den Plan, um die Bedingungen der Vereinbarung durchzusetzen. Doch für viele Bewohner des Ortes war es bereits zu spät, als die Nachricht Blackstone erreichte.

Jetzt, Monate später, hatte sich die Geschichte des ruhmreichen Gefechtes verbreitet, und die Bewohner von Santa Marina galten als Helden. Die Taten von Thomas Blackstone und seiner gemischten Truppe aus Engländern, Walisern, Franzosen und Gascognern gingen in die Geschichte ein, allerdings wurde in der Überlieferung hauptsächlich die Tapferkeit der Dorfbewohner hervorgehoben und weniger die der Condottieri. Manche warfen Blackstone sogar vor, die Gewalt angezettelt zu haben. Solche Gerüchte kamen schließlich auch seinen Männern zu Ohren.

«Wir sind vertraglich verpflichtet, zu kämpfen», sagte John Jacob eines Morgens am Feuer in ihrem Lager. Er empfand es als Ehre, dass Blackstone ihn in der Vergangenheit mehrmals für Aufgaben ausgewählt hatte, die einen geringeren Mann abgeschreckt hätten. Vor Jahren hatte er mit einem Trupp die Mauern einer Burg erklommen, um zu helfen, Blackstones Familie zu retten. Die Männer, die John Jacob unterstellt wurden, fassten schnell Vertrauen zu dem wackeren Krieger.

«Ja, und wenn wir unseren Vertrag nicht einhalten, wird es uns übel ergehen», pflichtete Killbere ihm bei.

«Wenn wieder mal ein verdammtes Dorf in der Scheiße steckt, täten wir besser daran, uns mit den Hurensöhnen, die dafür verantwortlich sind, zu einigen. Wozu unser Leben riskieren?», ergriff Will Longdon das Wort. «Wir könnten ein paar Florins nebenbei einstreichen, ein bisschen Beute.»

«Wir sollten den Ort retten, nicht plündern», wandte John Jacob ein.

Will Longdon stocherte mit einem Schürhaken im Feuer. «Ich habe ein Recht auf meine Meinung, und wenn ich eine Gelegenheit sehe, wie wir etwas dazuverdienen können, ohne Leib und Leben zu riskieren, dann sage ich, wir sollten sie ergreifen. Lieber Lösegeld fordern als töten.»

«Will hat recht», sagte Blackstone.

«Wirklich?» Longdon konnte seine Überraschung nicht verhehlen.

«Aber nicht, was Santa Marina angeht», fuhr Blackstone fort. «Mit Viscontis Männern kann man nicht verhandeln. Sie geben keinen Pardon und erbitten keinen. Man muss sie töten.»

Killbere saß mit ausgestreckten Beinen am Feuer, in seinen Mantel gehüllt, auf dem Kopf eine pelzgefütterte Samtmütze, die angeblich aus Russland stammte.

«Wir werden für unsere Arbeit gut bezahlt», schaltete er sich ein. Doch seine Stimmung schien gedämpft.

«Die Winterrationen machen euch immer unzufrieden», stellte Blackstone fest. «Dabei haben wir die letzten Monate nicht schlecht gegessen. Es gab reichlich Wildschwein.»

«Das allmählich nach alter Ziege schmeckt. Ich mag diese italienischen Winter nicht, Thomas. Der Wein ist wässrig, und das Essen reicht gerade, um einem Hund etwas auf die Rippen zu füttern.»

«Aber die Frauen hier haben was auf den Rippen», bemerkte John Jacob. «Bei denen finde ich Wärme und Trost.»

Die anderen murmelten zustimmend, während der hünenhafte Meulon Holz im Feuer nachlegte. «Der Frühling kommt, Sir Gilbert. Die Sonne ist schon warm.»

«Und du willst mir erzählen, damit allein wärst du zufrieden?», entgegnete Killbere. «Du und Gaillard – ich höre doch, wie ihr über die Normandie redet. Heilige Mutter Gottes, wir haben eben alle Heimweh.»

Es war immer schwierig, die Männer im Winter bei Laune zu halten. Wie viele Beutezüge oder Verteidigungskämpfe sie auch unternahmen, die Jahreszeit machte allen zu schaffen.

«Wir leben, wir haben zu essen und bekommen ohne Probleme unseren Sold», stellte Gaillard fest. Die anderen Hauptleute nickten zustimmend. In ihren Heimatländern war das keine Selbstverständlichkeit für einen Krieger.

«Und die Florentiner verlangen nicht viel von uns», betonte Blackstone. «Wir können auf eigene Faust Beutezüge unternehmen und entscheiden selbst, wann und gegen wen wir kämpfen. Wir geben ihnen unsere Treue; sie geben uns Geld.»

«Und zusätzlich machen wir noch Beute», warf Jacob ein. «Wisst ihr noch, wie wir vorigen Sommer in dem Bordell in Monte di Castellano siebzig Huren gefangen genommen haben?»

«Und wir greifen mit harter Hand durch», fügte Gaillard hinzu.

Die anderen lachten.

«Gaillard, deine schwielige Hand könnte einem Schwein die Haut abscheuern», bemerkte Will Longdon.

«Ich meine ja nicht die Huren, ich meine, dass wir andere Dreckskerle in die Schranken weisen», entgegnete Gaillard.

«Das wissen wir doch, mein Freund», beschwichtigte ihn Meulon. «Du redest nur manchmal schneller, als du denkst.»

Das Gespräch verebbte. Sie hatten genug geklagt.

Plötzlich ertönte der Ruf eines Wachpostens von der Straße unterhalb des Lagers.

Und dann kam ein Zwerg auf einem weißen Esel in Sicht.

KapitelVier

Thomas Blackstone hasste Städte. Für ihn waren es Wälder, die kreuz und quer von Wildpfaden durchzogen waren, und in den Schatten lauerten gefährliche Bestien. Einem Feind begegnete man am besten im offenen Gelände. Jetzt blickte er von seinem Lager in den Bergen nördlich des italienischen Stadtstaats Lucca auf die Türme, die trutzig hinter hohen Mauern aufragten. Es war ein überraschend warmer Frühlingstag, und der Duft von Ginster und wildem Jasmin lag schwer in der Luft.

Lucca. Ein Ort des unermesslichen Reichtums. Und des Verrats.

«Es ist eine Falle», sagte John Jacob, der auf einem Grashalm kaute und auf die weite Ebene hinunterschaute.

«Sie wollen dich in einen Hinterhalt locken, Thomas», bekräftigte Elfred, der Befehlshaber seiner Bogenschützen. «Sie werden dich ausweiden und an ihren Mauern aufhängen, und wir werden nicht da sein, um es zu verhindern. Verdammt, begreifst du es denn nicht?»

Blackstone nickte. Elfred wurde alt, aber als erfahrener Krieger witterte er ein drohendes Verhängnis.

«Meulon?» Blackstone rief den Normannen, der seit zwölf Jahren an seiner Seite war und der jetzt wie ein Wächter dastand, einen Fuß auf einen Felsen gestützt, Helm und Rüstungsteile zu seinen Füßen. Der Bär von einem Mann fuhr sich mit den Fingern durch den Bart, den er mit einer Lederschnur zusammengebunden trug. Mit seiner Mähne und den buschigen Brauen über dunklen Augen war er eine furchterregende Erscheinung – manchmal schien es, als ob sein bloßer Anblick den Feind zaudern ließ. Ein fataler Fehler. Jetzt drehte er sich zu Blackstone um.

«Du hast mehr Feinde, als wilde Bienen um die Sommerblumen schwärmen», stellte er fest. «Und du könntest keine Männer mit in die Stadt nehmen. Nicht einmal du kannst es allein mit einer ganzen Garnison aufnehmen.» Er schaute zu den anderen, die zustimmend nickten.

Auch Perinne hatte Blackstone schon vor Jahren in der Normandie die Treue geschworen, damals, als sie den Söldnerführer Saquet zur Strecke gebracht hatten. Er fuhr sich mit einer Hand über den vernarbten Kopf. «Geh nicht. Es ist keine Schande, wenn du dich weigerst.» Niemand konnte von einem Mann verlangen, sich an einen Ort zu begeben, wo er in die Falle gehen konnte wie ein Kaninchen.

Blackstone musterte das halbe Dutzend Männer vor dem Kuhstall, wo es durchdringend und anheimelnd nach Mist und Frühlingsgras roch. Die Sonne Italiens hatte ihre Haut gebräunt, sodass die Narben von den Kämpfen an seiner Seite deutlicher hervortraten. Jeder Einzelne von ihnen war ein vertrauter Gefährte und Hauptmann seiner Soldaten. Blackstone und seine Männer waren vor weniger als zwei Jahren über die Alpen gezogen, nachdem er vom englischen Prinzen ins Exil geschickt worden war. Die Schlacht von Poitiers war für England ein bedeutender Sieg gewesen, aber Blackstone hatte sich von Blutdurst hinreißen lassen und versucht, aus Rache für die brutale Ermordung eines Freundes den französischen König zu töten. Damit hatte er König Edwards Sohn, den Prince of Wales, gegen sich aufgebracht. Er und Blackstone waren gleichaltrig – Männer, deren Schicksale in einer Schlacht Jahre zuvor miteinander verflochten worden waren. Seitdem verdankte der Königssohn dem Bogenschützen sein Leben. Der einfache Mann wurde auf dem Schlachtfeld zum Ritter geschlagen und entwickelte sich zu einem außergewöhnlichen Krieger. Sir Thomas Blackstone war eine Geißel für die Franzosen und jeden, der ihn herausforderte. Doch seine Entschlossenheit, König Johann zu töten, machte Blackstone taub für die Befehle des Prinzen, der ihm daraufhin seinen sämtlichen Besitz in Frankreich nahm und die Zahlungen für den Unterhalt seiner Truppe strich. Und nach der Schlacht war Blackstones schreckliches, lange gehütetes Geheimnis bekannt geworden, und er hatte seine Frau und seine Kinder verloren.

Diese Männer dienten ihm; manche hatte er schon als Junge gekannt. Andere hatten von seiner Treue und Freundschaft profitiert. Bei ihm sollte jeder seine Meinung sagen. Einer der Männer zog sich in den Schatten eines Olivenbaumes zurück. Wie die anderen war auch Will Longdon durch das harte Leben in Blackstones Dienst hager und sehnig geworden, hatte jedoch wie jeder englische Bogenschütze starke Muskeln an Schultern und Rücken. Nur wenige Männer konnten das gewaltige Zuggewicht eines englischen Langbogens ausziehen, und keiner hatte es besser gekonnt als Blackstone selbst, bevor ein deutscher Ritter ihm in Crécy den Arm zertrümmert hatte. Die Soldaten der größten Armee der Christenheit waren zu Tausenden gefallen. Die Erinnerung an das Gemetzel von Crécy war in ihre Seelen eingegraben, die rau wie eine schartige Schwertklinge waren.

«Nur ein Betrunkener wäre so töricht, gegen den Wind zu pissen», stellte Longdon fest. «Kein Mann bei klarem Verstand täte so etwas. Wir haben lange und hart gekämpft, und jetzt willst du die Hosen runterlassen und dich einer Horde räudiger Hurensöhne ausliefern, die mehr Geld haben als Läuse in ihrer Matratze und Scharen von Dienern, die ihnen den Arsch nachtragen. Piss auf sie, ja, aber mit dem Wind. Wir könnten eins ihrer Tore in Brand stecken und den Wachen die Kehlen durchschneiden, um sie abzulenken, während du durch die Gassen schleichst. Und ich wette, dabei könnten wir noch ein paar Silber- und Goldringe erbeuten», fügte der altgediente Bogenschütze hinzu, der Elfreds Centenar war – ein Befehlshaber über hundert englische Langbogenschützen, die durch Sir Thomas Blackstones Ruf angezogen worden waren, als er sich mit seinen Kriegern in Florenz verpflichtet hatte.

Inzwischen hatte Blackstone fast tausend Mann hinter sich, über mehrere hochgelegene Orte und Festungen verteilt, von denen aus sie Florenz vor Angriffen von Norden und Westen schützten. Ein Schutzwall aus Schwertern, Speeren und Pfeilen mit Blackstones Männern dahinter.

Halb im Schatten der Turmruine verborgen, in der ihre Pferde untergebracht waren, stand ein weiterer Krieger. Wie auch bei den Männern im Gras war schwer zu erkennen, ob es sich um einen Ritter oder einen einfachen Soldaten handelte. Alle trugen Kettenpanzer unter Wappenröcken mit Blackstones Wappen, außerdem Rüstungsteile an Oberschenkeln, Armen und Schultern, die ihre Beweglichkeit kaum einschränkten. Über die Jahre hatten sie von getöteten Gegnern wertvolle Waffen erbeutet, aber ihre bedeutendste Waffe war der Ruf, der ihnen vorauseilte.

«Der Zwerg ist ein Omen!», verkündete Killbere, während er aus dem Schatten der Ruine trat. Er war nicht anders gekleidet als die Übrigen, obwohl er als Ritter und in die Jahre gekommener Veteran über ihnen stand und früher einmal Blackstones erster Befehlshaber gewesen war. Jetzt war Killberes Bart von weißen Strähnen durchzogen, sein Haar angegraut. Er war ein wüster Krieger, der es vermochte, Männer gegen einen viel stärkeren Feind aufzustacheln. «Aberglaube geht Hand in Hand mit dem Mysterium von Christus und seinen Engeln.» Er grinste die ruhenden Männer an, dann richtete er den Blick auf die Stelle, wo der gesattelte Esel im Olivenhain angebunden stand. Der Zwerg saß auf einem Felsen daneben, mit den Beinen baumelnd, geduldig wie ein Kind, jedoch mit dem Gesicht eines alten Mannes. Er trug eine Tunika aus edlem Stoff mit beinernen Knöpfen. Auf seinem unförmigen Kopf, der zu groß für den Körper war, saß eine Samtmütze, und an den Füßen trug er teure Stiefel. Zwerge waren häufig in den Häusern der Reichen zu finden: Sie schienen eine beruhigende Wirkung auf Pferde zu haben, und reiche, hochgestellte Männer hielten sich oft ein ganzes Gefolge dieser kleinen Männer, die sie in teure Livree kleideten.

«Ein Zwerg kann Unglück bringen», sagte Elfred und spuckte aus. «Teufelsbrut.»

«Aber auch Glück, besonders wenn er einem reichen Priester dient», entgegnete Will Longdon.

«Du würdest eher auf einem Friedhof eine Hure vögeln, als an die Macht des Teufels zu glauben», versetzte Perinne.

«Nur wenn es die Hure eines Priesters wäre, denn dann bringt es Glück!», antwortete Longdon. «Und dann würde ich ihre Knochen zum Klappern bringen, bis die Toten erwachen!»

Die Männer lachten, aber alle warfen skeptische Blicke zu dem Zwerg, der sich an ihren Überlegungen nicht zu stören schien. Er hatte die Botschaft von seinem Herrn überbracht – dem Florentiner Priester Niccolò Torellini, welcher der Bankiersfamilie Bardi diente –, und jetzt wartete er, wie es sich für einen Diener gehörte, außer Hörweite gleichmütig Sir Thomas Blackstones Antwort ab.

«Pater Torellini hat vor Poitiers meine Familie nach Avignon in Sicherheit gebracht», erklärte Blackstone mit einem Blick zu John Jacob, der Blackstones Frau Christiana und die Kinder auf jener unglückseligen Reise begleitet und dem Mann, der sie vergewaltigt hatte, die Kehle durchgeschnitten hatte.

«Das hat er», bestätigte John Jacob. «Und wie Sir Thomas schon sagte, haben wir uns bei seinem Herrn verpflichtet und werden gut bezahlt. Wir sind für diese Leute von großem Wert.» Er zögerte. «Trotzdem», fuhr er fort und sah Blackstone an, «findest du es nicht seltsam, dass ein Priester aus Florenz sich in einer Kirche in Lucca, einer verfeindeten Stadt, versteckt hält und nach dir schickt?»

«Sein eigener Herr, Bardi von Florenz, zahlt unseren Sold. Warum sollte er mich jetzt verraten?», fragte Blackstone zurück.

«Vielleicht hat jemand ein hohes Kopfgeld auf dich ausgesetzt», mutmaßte Killbere. «Diese Herren sind anders als die, denen wir in England und Frankreich gedient haben – die haben uns wenigstens die Treue geschworen und selbst auch das Schwert geführt. Diese reichen Städte erkaufen sich Schutz von uns und unseresgleichen, und wir übernehmen für sie das Töten und riskieren unser Leben für sie. Geldverleihern darf man niemals trauen, Thomas. Sie dienen einem anderen Gott als wir.»

Killbere stand inmitten der Männer und sah den Jüngeren an, legte ihm in freundschaftlicher Sorge eine Hand auf die Schulter. «Du bist ein Geächteter, Thomas. Viele glauben, es wäre dem Prince of Wales ganz recht, wenn jemand dich tötet. Die Italiener machen Geschäfte mit den Herrschern Europas. Wenn es nach mir ginge, würde ich den Zwerg am Spieß braten und die Wahrheit aus ihm herausbrennen. Dann wüssten wir bald, ob er ein Teufel ist oder der Bote eines Priesters.»

Blackstone warf noch einen Blick auf die Türme von Lucca, die wie Speere in den Himmel stachen, jeder ein Zeugnis der Macht seines Besitzers. Reiche Familien bauten ihre Türme an einer Piazza, mit einem Haus daran und einem weiteren Turm an einer anderen Ecke, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Die Straßen wurden von rivalisierenden Banden mit ständig wechselnden Loyalitäten beherrscht; in den Gassen schlichen dunkle Gestalten umher, die ihre Messer und Schwerter in arglose Opfer senkten. Aber die Lucceser waren dafür bekannt, ihre Feinde zu kaufen und sich den Schutz stärkerer Stadtstaaten zu sichern. Sie schützte ein mächtiges Bündnis mit Pisa und Mailand, Feinden von Florenz. Die Gefangennahme von Thomas Blackstone wäre ein herber Schlag für die Florentiner.

Blackstone war abergläubisch wie jeder andere auch. Es gab einen Gott zu fürchten, aber er trug einen silbernen Talisman einer keltischen Göttin um den Hals. Das Medaillon der Arianrhod hatte ihm vor Jahren, während der Straßenkämpfe in Caen, ein tödlich verwundeter walisischer Bogenschütze in die blutigen Hände gedrückt – und sie hatte ihn seitdem stets beschützt.

«Der Zwerg ist ein Omen», wiederholte Gaillard.

Blackstone überdachte die Befürchtung, dann lächelte er. «Es ist wie damals im Tal der Verlorenen Seelen», entgegnete er.

«Verdammt, Thomas», stöhnte Killbere.

Die Übrigen machten statt einer Antwort nur beschämte Gesten oder zuckten zusammen bei der Erinnerung, die Blackstone heraufbeschworen hatte.

Auf ihrem Marsch über die Alpen in die Toskana hatten sie einmal ihr Lager in den Bergen vor Florenz aufgeschlagen. Als es dunkel wurde, erschien ein flackerndes Licht, dann noch ein Dutzend mehr, und irgendwann waren es hundert. Aus Büschen und Bäumen schwebten sie auf die Männer zu, die vor Angst vor der übernatürlichen Erscheinung wie gelähmt dastanden. Der Legende nach hatte in dem Tal einst ein grauenhaftes Gemetzel stattgefunden, und nun war es von tausend Seelen erfüllt, die ohne Sakrament gestorben waren. Körperlos geworden, drangen sie in die Leiber argloser Reisender ein. Blackstone überlief beim Anblick der flackernden Lichter ein eisiger Schauder: Es waren Untote, unerlöste Geister, die verzweifelt versuchten, einen menschlichen Körper in Besitz zu nehmen. Die Männer zogen ihre Schwerter, bekreuzigten sich und schickten sich an, sich gegen die bösen Geister zu verteidigen. Blackstone und seine Truppe befanden sich in einem fremden Land, und ihm war klar: Wenn seine Männer sich auf Schritt und Tritt von unbekannten Flüchen und Mythen aufhalten ließen, wären sie als Krieger nutzlos. So trat er entschlossen zwischen die flackernden Lichter und ließ sie um sich schwärmen. Seine Männer fluchten und beteten im selben Atemzug und beschworen ihn zurückzukommen. Blackstone jedoch streckte eine Hand in das Geflimmer, sah zu, wie eines der Lichter sich darauf niederließ, und schloss die Faust.

Im Schein einer Fackel zeigte sich, dass ein kleiner Käfer zerquetscht in seiner Hand lag, an der keine Wunden oder Blasen zu sehen waren, keinerlei Anzeichen dafür, dass etwas in seinen Körper eingedrungen war. Bald wurde ihnen klar, dass die Lichter nichts als Glühwürmchen waren, und wie jeder wusste, waren Glühwürmchen die Seelen ungetaufter Kinder. Die Scham der Männer war grenzenlos gewesen, bis sie sich mit Trinken und Kämpfen davon gereinigt hatten.

Wenn der Zwerg nicht von einem Hexer oder einem Feind geschickt worden war, um ihn in die Stadt der Türme zu locken, dann brauchte Pater Niccolò Torellini seine Hilfe.

Killbere erkannte, dass er seinen Freund nicht umstimmen konnte. «Dann lass mich wenigstens mit dir kommen. Ich spreche die toskanische Sprache besser als die meisten.»

«Du beherrschst die Sprache nicht besser als Will Longdon, der fließend darin fluchen kann», entgegnete Blackstone. «Ich gehe allein, und ihr wartet zwei Tage in den Bergen, ehe ihr zu den anderen zurückkehrt. So oder so werdet ihr erfahren, wie die Sache ausgegangen ist.» Er warf einen Blick auf den Zwerg. «Haltet ihn solange fest. Wenn es eine Falle war, gebt ihm einen Florin und lasst ihn gehen.»

«Was?», protestierte John Jacob. «Wir sollen den Zwerg mit einer Belohnung ziehen lassen, wenn du in einen Hinterhalt gerätst?»