Legitimität, Autorität und Propaganda des Islamischen Staates. Eine Videoanalyse - Bernadette Sauer - E-Book

Legitimität, Autorität und Propaganda des Islamischen Staates. Eine Videoanalyse E-Book

Bernadette Sauer

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Beschreibung

Am vierten Juli des Jahres 2014 erregte ein Video große Aufmerksamkeit in den westlichen Medien: eine Freitagspredigt und gleichzeitig der Amtsantritt eines „Kalifen“ durch den Mann, der sich Abū Bakr al-Baġdādī nennt. Während seines Auftritts in Mossul rief der Kalif die Muslime zum Kampf gegen die Ungläubigen und Apostaten auf. Dies ist die einzige Videoaufnahme des „Kalifen“. Bis dahin war er lediglich als Anführer der Terrormiliz IS bekannt. Für die Konsolidierung seiner bisherigen Macht hat der IS einen Medienapparat zum Vertrieb von Propaganda geschaffen. Die Medienzentren des Islamischen Staates produzieren eine Vielzahl an Videos und verbreiten diese im Internet. Diese Propagandavideos dienen nicht nur zur Selbstdarstellung sondern auch zur Rekrutierung von Kämpfern und zur Abschreckung der Gegner. Da sich ein Großteil der Forschung bisher auf die Entstehung des Islamischen Staates fokussiert hat, wird hier die Selbstdarstellung in den Videos des IS analysiert. Besonders im Mittelpunkt sollen die Aspekte Legitimität und Autorität stehen, welche als Voraussetzungen für die Gründung eines Kalifats notwendig sind, und auf welche Art und Weise sich das Kalifat zu legitimieren versucht. Weitere zu untersuchende Aspekte des Videos sind Recht und Gesetz sowie die Funktion des Volkes im Kalifat. Zudem soll dargelegt werden, welcher Mittel sich die Propaganda einer radikal-islamischen Gruppierung zur Rekrutierung bedient, um die eigene Ideologie den Rezipienten glaubwürdig zu vermitteln. Außerdem wird die Konstruktion von Wirklichkeit, Identität und Territorium näher erörtert. Aus dem Inhalt: - Propaganda im Digitalen Zeitalter - Ideologie und Propaganda des Islamischen Staates - Sprache der Propaganda - Herrschaft und Legitimation des IS - Artikulation von Identität durch die Medien

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsansatz der Arbeit

2.1. Methoden

2.2. Aufbau

3. Propaganda im Digitalen Zeitalter

3.1 Propaganda als Begriff

3.2 Ideologie als Begriff

3.3 Die Ideologie und Propaganda im Islamischen Staat

3.4 Das Videomaterial und Transmediales Storytelling in der IS-Propaganda

3.5 Die Reichweite und Aktualität der Propaganda

3.6 Die Narrative und Sprache der Propaganda

3.7 Die Propaganda als Geschichtskonstrukte und Mythen

4. Die Herrschaft und Legitimation

4.1 Der Staat

4.1.1 Der Kalif und das Kalifat

4.1.2 Das Staatsgebiet

4.1.3 Die Wirtschaft

4.2 Das Gesetz – die Scharia

4.2.1 Der Sharia Court in Raqqa

4.2.2 Das Hisbah Office

4.3. Das Volk

4.3.1 Die Artikulation von Identität durch die Medien

4.3.2 Die Vereinigung der Umma

4.3.3 Der Dschihad als Rite de passage

4.3.4 Die Erhaltung des Kalifat

5. Fazit

6. Bibliographie

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Am vierten Juli des Jahres 2014 erregte ein Video große Aufmerksamkeit in den westlichen Medien: eine Aufzeichnung der Freitagspredigt und gleichzeitig den Amtsantritts eines „Kalifen“ durch einen Mann, der sich Abū Bakr al-Baġdādī nennt. Während seines Auftritts in Mossul rief der Kalif die Muslime zum Kampf gegen die Ungläubigen und Apostaten, diejenigen die vom Glauben abgefallen sind, auf. Dies ist die einzige Videoaufnahme des „Kalifen“.[1] Bis dahin war er lediglich als der Anführer der Terrormiliz mit dem Namen „ISI“ oder “ISIS“ bekannt, die weite Gebiete in Syrien und dem Irak unter ihre Kontrolle bringen konnte. Die Terrormiliz wurde im Jahr 2006 durch den bereits getöteten Anführer Abū ‘Umar al-Baġdādī gegründet und erweist sich als äußerst radikale Institution, welche die Notwendigkeit der Etablierung einer Herrschaft durch einen „Heiligen Krieg“ mittels ideologisch gleichgesinnter Kämpfer sieht.[2] Daher hat der Islamische Staat, der sich nun auch IS nennt, für die Konsolidierung seiner bisherigen Macht einen Medienapparat zum Vertrieb von Propaganda geschaffen. Auch wenn das Video der Freitagspredigt al-Baġdādīs, die einzige Videoaufnahme des Kalifen ist, werden seine Audiobotschaften im Internet verbreitet. Es handelt sich jedoch nicht um das einzige Video der Terrormiliz. Die Medienzentren des Islamischen Staates produzieren eine Vielzahl an Videos und verbreiten diese im Internet. Diese Propagandavideos dienen nicht nur zur Selbstdarstellung sondern auch zur Rekrutierung von Kämpfern und zur Abschreckung der Gegner. In den westlichen Medien sind besonders die Hinrichtungsvideos des IS besonders im Fokus der Berichterstattung.[3] Jedoch handelt es sich bei ihnen nur um eines der Genres, dessen sich die Autoren der Videos in der Vielzahl ihrer Produktionen bedienen. Andere Motive wären beispielsweise der Alltag der Dschihadkämpfer, oder das Fastenbrechen mit anschließender Feier des 'id-Festes, in wieder anderen Videos werben Protagonisten für die Emigration ins Kalifat.[4] Die Propaganda bietet also ein breites Spektrum an Themen und benutzt hochwertiges Equipment, um diese Filme hochauflösend zu produzieren.[5]

2. Forschungsansatz der Arbeit

Der folgende Abschnitt soll als Wegweiser für den Leser dienen und die verwendeten Methoden und den Aufbau der Arbeit erläutern. Des Weiteren werde ich zudem die Theorien der wichtigsten Autoren kurz beleuchten. Dies soll dem Leser eine Orientierung über den Forschungsansatz der Arbeit geben.

2.1. Methoden

Die vorliegende Arbeit untersucht die Propaganda des Islamischen Staates und damit auch die Organisation der Medienzentren des IS. Das Konzept des „Transmedialen Storytellings“ nach Hubert Mohr[6] gibt dazu einige Hinweise. Außerdem soll die Produktivität und Reichweite der Propaganda beleuchtet werden. Inhaltlich gilt es, die Narrative des Islamischen Staates zu erkennen und zu dekonstruieren. Dazu müssen die Inhalte der Videos sinnvoll gegliedert wiedergegeben und analysiert werden. Im Besonderen ist es wichtig anzumerken, dass die Videoaufnahmen des islamischen Staates nicht als Dokumentation des Alltags gesehen werden, sondern als mediales Produkt. Daher gilt es Theorie der Videographie nach Knoblauch et al. herauszufinden, „mit welchen filmtechnischen oder -ästhetischen Mitteln welche Bedeutung hergestellt wird, welcher spezifische Stil dieses mediale Produkt auszeichnet oder welche ›Überzeugungskraft‹ dem Video als Produkt innewohnt.“.[7] Deswegen möchte in ich in dieser Arbeit die Methode der hermeneutischen Videoanalyse heranziehen um die Propagandavideos zu untersuchen. Das bedeutet, dass Text und Inhalt der Videos interpretiert werden. Dazu dienen Transkripte der Videos, die mit Hilfe des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems 2 (GAT 2)[8] nach Selting et al., angefertigt wurden. Die Umschrift der arabischen Begriffe erfolgt nach den Transkriptionsregeln der Deutsch Morgenländischen Gesellschaft[9] mit Ausnahme der im Video genannten Namen der Protagonisten, deren Schreibweise aus den Untertiteln übernommen wurde. Außerdem ist die Analyse der Sprache und des Diskurses ausschlaggebend. Hierzu möchte ich die Theorien der Semiotik von Charles Sanders Peirce[10] anwenden, um die Sprache der Propaganda näher zu beleuchten.

2.2. Aufbau

Um die Legitimierungsansätze im Videomaterial der Propaganda näher untersuchen zu können, habe ich eine Gliederung in die Kategorien Staat, Gesetz und Volk vorgenommen. In der Kategorie Staat möchte ich einige Gedanken islamischer Staatstheoretiker darlegen, dann einen geschichtlichen Abriss geben und die sprachliche Basis, die zur Entstehung des Kalifats geführt hat, erörtern. Außerdem werden im Weiteren die Rituale, die zur Machtkonsolidierung dienen, vorgestellt. Anschließend soll die Bedeutung des Dschihads und das territoriale Selbstverständnis des Islamischen Staates anhand Yosef Jabareens[11] These des „Deterritorializing and reterritorializing the colonial geopolitical heritage“ erläutert werden. Auch in Bezug auf die Wirtschaft und die Rückkehr von Gold- und Silbermünzen als Zahlungsmittel versucht der Islamische Staat ein Zeichen zu setzen. Dazu möchte ich die Bedeutung eines Zahlungsmittels für einen Staat nach Weber[12] beginnen und dann das Videomaterial näher untersuchen. Im Abschnitt zu den Gesetzen möchte ich die Darstellungen der Institutionen, die sich mit Recht und Gesetz in Bezug auf den Islamischen Staat im Video „The Islamic State“[13] von Vice News genauer erörtern. Im weiteren Verlauf soll in der Kategorie „Das Volk“ die Konstruktion von Identität, das Ziel der Vereinigung der religiösen Gemeinschaft und den Dschihad als Rite de passage erläutert werden. Vor allem Victor Turners[14] Konzept des Communitas und Shmuel Eisenstadts[15]

3. Propaganda im Digitalen Zeitalter

Um die Propaganda besonders schnell an den Konsumenten zu transportieren, benutzt der Medienapparat des IS das Internet. Das Internet stellt sich als Verbreitungsmedium mit massenmedialem Charakter dar. Es bietet den Nutzern die Plattform, „das Alltagsleben von Menschen über den Globus hinweg miteinander“[16] zu verbinden. Im Internet können Nachrichten und Informationen sekundenschnell verbreitet werden. Ein weiteres Phänomen des Internets ist die Netzwerkbildung, indem sich die Menschen kommunikativ miteinander vernetzen können. Daher haben auch die Dschihadisten das Internet als Distributionsmedium gewählt. Die Verbreitung von Nachrichten, Videos und anderen Propaganda-Erzeugnissen ist im Rahmen der niederschwelligen Eigenschaften des Internets besonders erfolgreich. Die Vernetzung in Sozialen Medien bietet zudem eine große Reichweite, da die Verbreitung und das Konsumieren von Videos nur wenige Mausklicks erfordert.[17]

3.1 Propaganda als Begriff

Zunächst erscheint es mir sinnvoll, den Terminus Propaganda in seiner historiographischen Definition zu beschreiben. Es handelt sich „um einen gesamten Komplex von Maßnahmen zur Inszenierung und Legitimierung von Herrschaft“[18] und wird sowohl in politischen, als auch militärischem Handeln angewendet. Ein wichtiges Ziel der Propaganda ist die Herrschaftsstabilisierung, welche durch eine gezielte „Erstellung und Verbreitung von Medien wie Texten, Münzen, Medaillen und Bildern (Bildpropaganda) auch öffentliche Reden[...]“[19] gewährleistet werden soll.

3.2 Ideologie als Begriff

Das Fundament der Propaganda ist die Ideologie. Dieser Begriff weist mehrere Definitionen auf. Somit kann er im neutralen Sinn als ein „Prozess der Produktion von Ideen, Überzeugungen und Werten“[20] gelten. Oft wird dies in erweitertem Maße verstanden, sodass die Ideen und Werte eine lebensbestimmende Funktion für bestimmte Gruppen erfüllen. Neben dieser Erläuterung kann Ideologie auch den Legitimierungsgedanken eines Herrschers oder der eigenen Ideenkomplexe zur Abgrenzung von Oppositionellen bedeuten. Außerdem bezeichnet der Begriff auch die „absichtliche Täuschung oder Verzerrung von Tatsachen im Interesse der Beherrschung.“[21] oder kann „als Angelegenheit der gelebten Verhältnisse“[22] gelten.

3.3 Die Ideologie und Propaganda im Islamischen Staat

Ähnliche Aspekte kann man auch in der IS-Propaganda entdecken. Durch ihre subjektive Wirklichkeitskonstruktion entwirft sie Ideologien auf verschiedenen Ebenen. Aus diesem Grund ist eine enorme Selektion in der Kommunikation der Propaganda zu erkennen. Diese Taktik dient der Manipulation, die in Kombination der Wiederholung gleicher Inhalte, ein der ideologie-konformes Wirklichkeitsmodell kreiert. Die Wirksamkeit der Propaganda wird noch einmal durch die Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls unterstützt. Daher findet eine Abgrenzung zu Oppositionellen statt, indem eine sprachliche Distanz, nämlich „wir“ und „die anderen“ geschaffen wird.[23] Diese Methode zeigt sich in der Ideologie des IS in der Schaffung einer Dichotomie, welche die „Alleingültigkeit“ der Sunna erhebt und damit die Stigmatisierung der gesamten schiitischen Bevölkerung, des Westens und der säkularisierten Gesellschaften im Allgemeinen vornimmt. Die Weltanschauung des Islamischen Staates ist durch eine extreme apokalyptisch-kriegsverherrlichende Ideologie geprägt. Ihre Motivation ist es, die existierende Weltordnung zu überwinden, die als korrupt und unislamisch wahrgenommen wird.[24]

Ein weiteres Ziel ist die Mission und damit die Schaffung einer Einheit der islamischen Glaubensgemeinschaft über lokale Grenzen hinaus. Die Legitimierung des Islamischen Staates wird durch den ständigen Bezug auf das Kalifat der Nachfolger Muḥammads, welches als Vorbild für die eigene Herrschaft dient, vermittelt.[25]

Die Plausibilität der Inhalte und Aussagen der Propaganda wird von den Autoren durch das Anfügen von Koranrezitationen unterstützt. Hier haben wir es mit einer Legitimation über bereits gefestigte Autorität, nämlich die des Korans zu tun, welche das Vertrauen des Rezipienten in die Wahrhaftigkeit der vermittelten Botschaft und eine emotionale Verbundenheit bei einer möglich großen Menge von Zuschauern erzeugen soll.[26]

Die Kämpfer des Dschihads haben das Potenzial der Verbreitung von Propaganda über das Internet und der Sozialen Medien im digitalen Zeitalter erkannt. Im Fall des Islamischen Staates wurden mehrere Medienapparate geschaffen, die Propagandamaterial erstellen, bearbeiten und im Internet verteilen. Diese Instanzen des Islamischen Staates sind sehr produktiv. Innerhalb eines Monats, vom 24. April bis 24. Mai 2015, haben die offiziellen IS-Quellen laut Aaron Zelin mindestens 250 verschiedene Medienerzeugnisse, darunter Fotos, Videos, Audioaufnahmen, Graphiken, Nachrichten, Radiosendungen, PDFs und andere Kundgebungen, im Internet verbreitet.[27]

Zur Erstellung ihrer Propaganda wurde zunächst ein Medienzentrum, namens „al-Furqān Media“ geschaffen. Dann erfolgte jedoch eine Dezentralisierung der Medienzentren. Es bildeten sich drei neue Instanzen neben dem ursprünglichen Medienzentrum. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl an provinziellen Produktionen. Die vier wichtigsten Medienzentren sind somit “al-Furqān Media“, „al-I'tiṣām Media“, „Ajnād-Media“ und „al-Ḥayāt Media“. Das deutet auf ein Wachstum nicht nur in geographischer Ausbreitung, sondern auch in technischer Kapazität hin. In den Statistiken der veröffentlichen Propagandavideos zeigt sich, dass die auf provinzieller Ebene produzierten Videoaufnahmen ungefähr 78% der Gesamtproduktion ausmachen, während die Produktion der vier Hauptvertreter lediglich 22% beträgt.[28]

3.4 Das Videomaterial und Transmediales Storytelling in der IS-Propaganda

Die Verwendung von Video-Propaganda ist besonders populär, da sie sich als niederschwellig erweist und somit ein größeres Publikum erreicht. Die Gestaltung der Videos obliegt dem jeweiligen Medienvertreter. Da die Video-Botschaften eine ansprechende Wirkung auf ein möglichst breites Spektrum von Rezipienten haben sollen, bieten die Produktionen einen Reichtum an verschiedenen Themen. Während Aaron Zelin die Hauptthemen der Propaganda in Militär, Regierung, Mission, Kontrolle des Alltags, Bewerben des Kalifats, Angriffe auf die Gegner definiert, bestimmt Charlie Winter Brutalität, Barmherzigkeit, Opferrolle, Krieg, Zugehörigkeit und Utopie als Hauptmotive der Propaganda.[29]

Es ist somit eine Vielfalt von Narrativen in den Werbemitteln des Islamischen Staates auszumachen. Dennoch können nicht nur die Motive der Propaganda je nach Medienvertreter variieren, sondern es können auch innerhalb eines Medienapparates viele verschiedene Geschichten erzählt werden. Beispielsweise zeigt al-Ḥayāt Media neben Kindern, die abgetrennte Köpfe in Händen halten, auch IS-Kämpfer, die mit Nutella-Gläsern posieren.[30]

Vor allem durch die dezentrale Ordnung der Medienvertreter ist es eine Herausforderung sicherzustellen, dass die Propaganda IS-konform bleibt. Daher kann davon ausgegangen werden, dass es Vorgaben zur Gestaltung der Videos gibt. Das Konzept des „Transmedialen Storytellings“[31] könnte mehr Hinweise auf die Erzählweise und Narrative der Propaganda des IS geben. Die Medienindustrie schafft beispielsweise zunehmend erzählerische Universen, welche durch narrative Extensionen erweiterbar sind. Das bedeutet, dass es eine Kerngeschichte gibt, die offen und erweiterbar ist. Damit ein Rezipient in ein solches Universum eintauchen kann, werden mehrere Einstiegspunkte geschaffen. Auch wenn das Konzept die Produktionen der Medienindustrie in den Fokus rückt, kann man das Transmediale Storytelling nichtsdestotrotz auf religiöse Narrative anwenden, da diese selbst einen erzählerischen Raum konstruieren. Ein Exempel dafür sind unter anderem die römisch-griechischen Mythen, die Bibel samt christlicher Heiligenverehrung, der Koran samt Sammlung der Hadithe und ganz generell Heilige Schriften, da sie von Menschenhand aufgezeichnet und wahrscheinlich auch redaktionell überarbeitet wurden. Diese Erzähluniversen besitzen einen Reichtum an Fabelwesen, Göttern, Engeln, Dämonen, Geistern und vielen weiteren Wesen. Das Erzählen dieser imaginären Universen schafft einen mythischen Raum und diese können ihre Zeit sogar überdauern.[32]

Besonders spannend erweist sich die Anwendung dieser Theorie auf die Propaganda des Islamischen Staates. In Bezug auf die Geschichten ihrer Werbevideos kann man ähnliche Strukturen erkennen. Die dezentralen Strukturen des IS-Medienapparates lassen darauf schließen, dass ein Erzähluniversum geschaffen wurde, um die wichtigsten Narrative zu transportieren. Diese Kernelemente des Universums können dann beliebig durch eine umfassende Erzählung erweitert, oder auch auf unterschiedliche Weise erzählt werden. Ein Beispiel dafür können die beiden Propagandavideos mit dem Titel „The Dark Rise of Banknotes and the Return of the Gold Dinar“ dienen. Der Plot handelt jeweils von der Etablierung eines neuen Zahlungsmittel durch den IS. Die Tatsache, dass zwei Varianten des Videos mit dem selben Titel im Netz kursieren ist besonders betrachtenswert. Eines der beiden Videos erschien im August des Jahres 2015. Es ist in zwei Teile gespalten und dauert insgesamt 54:59 Minuten.[33] Das Andere erschien im Oktober 2015 und dauert nur 5:25 Minuten. Beide Videos behandeln die gleiche Thematik. Teilweise werden identische Szenen mit fast identischen Texten gezeigt. Das veranschaulicht deutlich die Wiederverwendbarkeit des Propagandamaterials und seine Anschlussfähigkeit zur Erweiterung.[34]

Ein wichtiger Aspekt dieses Konzepts ist die Partizipation durch die Anhänger, die Fans, die Gläubigen oder im Falle des IS die Dschihadisten. Diese sogenannten „Subkulturen der Teilnahme“ schaffen eine eigene Rezeption der Rezeption, durch Gebetskreise, Rituale und Liedkulturen.[35] Das Transmediale Storytelling des Islamischen Staates beinhaltet auch Rituale, wie die Aufforderung zum Takbir[36], oder den Bay'a-Treueschwur[37]. Die Rituale werden in der Videopropaganda des IS häufig gezeigt. Das Ritual des Takbir wird meist zur Besiegelung des bayʿa ausgeführt. Die Lobpreisformel „Allāhu akbar“ wird Takbir genannt und bedeutet soviel wie „Gott ist groß“ oder „Gott ist am Größten“. Der Loyalitätsschwur wird von der Bevölkerung abgeleistet, die damit zu verstehen gibt, dass sie den Kalifen anerkennt, welches ich im Folgenden noch näher beleuchten werde.

Außerdem kann zu den Inhalten der Propaganda eine passende musikalische Untermalung gewählt werden. Dabei handelt es sich meist um eine Form des A-Capella Gesangs, dem Našīd, welche oftmals zur Lobpreisung Allahs oder auch in Zusammenhang mit dem Dschihad gesungen werden. Die Verschmelzung von visuellen und auditiven Beiträgen in den Videos kann die Wahrnehmung einer übernatürlichen Wirkmacht bei den Rezipienten auslösen.[38] Es gibt einige Našīds, welche oftmals durchgehend in den Videos als Untermalung eingesetzt werden. Sobald der Erzähler oder Protagonist zu erzählen beginnt wird die Lautstärke des musikalischen Hintergrunds angepasst. So ertönt selten dasselbe Lied in den Propagandavideos, mit Ausnahme der IS-Hymne „Dawla al-islāmīya qāmat“, die ich im Gliederungspunkt „Hymne und Fahne - Zeichen eines Staates“ noch näher untersuchen werde.[39]

3.5 Die Reichweite und Aktualität der Propaganda

Die modernen Massenmedien erreichen eine große Menge von Rezipienten, die dschihadistische Inhalte im Internet und Fernsehen konsumieren können.[40] Das Internet dient dem IS als ideale Plattform zur Verbreitung von Medienerzeugnissen, da es über eine enorme Reichweite verfügt. Daher spezialisierte sich einer der Medienapparate, nämlich al-Ḥayāt Media, auf den Vertrieb für ein Internationales Publikum. Das zeigt sich auch durch die Verbreitung der kurzen Variante des Videos „Return of the Gold Dinar“. Dieses Video ist in arabische, englische, türkische, französische und russische Sprache übersetzt worden um eine möglichst große Menge an Rezipienten zu erreichen.[41]

Die Videos von al-Ḥayāt beginnen meist mit dem Schriftzug „Bismallah ar-rahman ar-rahim“.[42].Das Lobpreis „biʾsmi llāh l-raḥmān l-raḥīm“[43] wird auch „tasmiya“ genannt und lässt sich mit „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes“ übersetzen. Diese Formel wird meist vor dem Aussprechen des göttlichen Namens gesagt. Danach wird eine bewegte Animation einer Kalligraphie des Wortes „al-Ḥayāt“ gezeigt. Die Animation ist nicht immer die gleiche. Einmal hat es den Anschein als würde sie die Kalligraphie aus Wasser formen[44], ein anderes Mal wirkt es als regnete es die Kalligraphie[45]