Lehren und Lernen mit der Fallstudienmethode - Helmut Friedrichsmeier - E-Book

Lehren und Lernen mit der Fallstudienmethode E-Book

Helmut Friedrichsmeier

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Beschreibung

Der Autor möchte den Leserinnen und Lesern mit seinem Buch praxisbezogene Anregungen bieten und sie in die Lage versetzen, ihre eigene Praxis zu hinterfragen. Ausführlich wird auch auf neue Entwicklungen Bezug genommen, die sich sowohl in der Didaktik der Fallstudienmethode wie auch durch lerntechnologische Veränderungen (social media) bedingt abzeichnen.

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Lehren und Lernen mit der Fallstudienmethode

Praktische Erfahrungen aus der Betriebswirtschaftslehre und den Managementwissenschaften

von

Helmut Friedrichsmeier

Wien 2020

facultas

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autoren oder des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2020

Copyright © 2020 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas Universitätsverlag, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Satz: Wandl Multimedia-Agentur

Druck: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ISBN 978-3-8252-5385-1

e-ISBN 978-3-8385-5385-6

epub ISBN 978-3-8463-5385-1

Inhaltsverzeichnis

A.Die Fallstudienmethode in der akademischen Lehre - eine Positionierung

1.Meine erste Fallstudienlehrveranstaltung

2.Wie viele Lösungen gibt es für ein Problem?

3.Fallstudie ist nicht gleich Fallstudie

3.1.Aktives versus passives Lernen!

3.2.Verschiedene Ausprägungen der Fallstudienmethode

4.Das Schreiben einer Fallstudie (case writing)

4.1.Einige Anmerkungen vorweg

4.2.Was lernt der Verfasser selbst beim Schreiben einer Fallstudie?

4.3.Die einzelnen Schritte beim Abfassen einer Fallstudie

4.4.Erstellung einer Teaching Note

5.Wenn Studierende Fallstudien verfassen

5.1.Der Informationsfall

5.2.Die Fallstudie als Rahmen oder „Ankerplatz“ für eine wissenschaftliche Arbeit

6.Fallstudien als Prüfungsgrundlage

6.1.Die mündliche Prüfung

6.2.Die schriftliche Prüfung

7.Weiterentwicklungen der Fallstudienmethode

7.1.Problem-based Learning (PBL)

7.2.IT-gestützte Vorgehensweisen

8.Vor- und Nachteile der Fallstudienmethode

B.Exemplarische Arbeit mit einer Fallstudie im Lehrsaal

1.Fallstudie (1): Aufsichtsratssitzung in einer Maschinenfabrik (Text)

2.Fallstudie (2): Eine missglückte Sendung (Text)

3.Ein erfahrungsgestützter Vorgehensvorschlag für die beiden Fallstudien

4.Systematische Überlegungen zur Frage nach der Verantwortung im operativen Management

C.Was noch anzumerken ist

1.Die Vorbereitung einer Fallstudienlehrveranstaltung

2.Die erste Stunde der Lehrveranstaltung

3.Mögliche Fragen und Probleme im Zuge der Lehrveranstaltung

3.1.Die Gruppenarbeit

3.2.Leistungsbewertung/Notengebung

3.3.„Multikulti“ im Lehrsaal

3.4.Zeitmanagement

3.5.Briefing eines Gastvortragenden

3.6.Der ice breaker oder der attention seeking student

3.7.„Du“ oder „Sie“

3.8.Respekt vor der Sprache

3.9.Feedback geben

3.10. Evaluierung der Lehrveranstaltung

D.„Vitality and Growth Throughout Your Teaching Career“

Danksagung

Autorenbiographie

Quellenreferenz

Eine persönliche Vorbemerkung

Wenn ich dem Anfang des Buches einen persönlichen Bezug und die „Ich-“Form voranstelle, dann will ich damit den Lesern und Leserinnen gegenüber zum Ausdruck bringen, dass ich in diesem Buch ausschließlich persönliche Erfahrungen in aufbereiteter und strukturierter Form wiedergebe, wobei - und das wäre noch hinzuzufügen - fast 40 Jahre Lehre mit und auf Basis der Fallstudienmethode vermutlich einen ziemlich ausreichenden Einblick in (fast) alle Situationen, die sich dabei ergeben können, erlauben. 100 % werden es wohl nie sein können, diese Einschränkung muss ich natürlich vornehmen, aber ungefähr 97 % oder 98 % sind sicherlich auch ein tauglicher Wert für einen umfassenden Erfahrungsbericht. Tauchen wir deshalb in den folgenden Kapiteln gemeinsam in die didaktische Praxis der Fallstudienmethode ein. Anzumerken ist überdies noch, dass ich mich in meinen Ausführungen primär auf den Fallstudienunterricht auf akademischem Boden beziehe, das heißt auf die Lehre an Universitäten und Fachhochschulen. Daraus können selbstverständlich aber auch Anregungen für den Unterricht an höheren Schulen und in höheren Schulstufen gewonnen werden.

Desgleichen stelle ich es als Gegebenheit in den Raum, dass der auf dem Konzept der Fallstudienmethode beruhende Unterricht aus didaktischen Gründen immer nur mit einer begrenzten Teilnehmeranzahl (max. 20-30 Personen) stattfinden sollte und eine deutlich interaktive Komponente sowohl zwischen den Teilnehmern wie auch gegenüber dem Dozenten aufweisen muss; Gruppenarbeiten, Präsentationen, Plenumsdiskussionen, allenfalls Rollenspiele etc. Diese Feststellung ist insofern auch von Bedeutung, als ich in meinen Überlegungen einem „sinnvollen“ Unterricht auf der Basis der Fallstudienmethode eine gewisse zeitliche Kontinuität von zumindest einigen (kürzeren oder auch längeren) Blocklehrveranstaltungen innerhalb eines Semesters oder auch mehrerer Semester zugrunde lege.

Auf eine „Tradition“, wie sie in vielen Fachbüchern zum Ende eines Kapitels häufig gepflogen wird, möchte ich in diesem Buch allerdings verzichten, nämlich auf eine punktuelle Zusammenfassung der jeweils wichtigsten Aussagen (gewissermaßen gedacht für den „eiligen“ Leser); ich denke, dass sich die wichtigsten Aussagen von selbst aus der Lektüre des Textes erschließen lassen sollten.

Und noch eine letzte, ebenfalls wichtige Anmerkung im Sinne der Lesbarkeit des Buches: Die männliche Form der Begriffsbildung steht für beide Geschlechter; meine Leserinnen (die weibliche Begriffsbildung verwende ich hier mit einigen wenigen, im Einzelfall vielleicht notwendigen oder erhellenden Ausnahmen zum letzten Mal) mögen in großzügiger Weise gemäß dem Postulat der Lesbarkeit darüber hinwegsehen.

Meine erste Bekanntschaft mit der Fallstudienmethode geht auf das Studienjahr 1973/74 zurück, als ich in Vorbereitung meiner ersten Fallstudienlehrveranstaltung an einem mehrmonatigen Sommerprogramm der Harvard Business School, damals genannt International Teachers Programme (wird auch heute noch angeboten), teilnehmen konnte. Dieses Programm diente im Wesentlichen dem Zweck, Universitätslehrer aus allen Weltgegenden mit der didaktischen Konzeption der Fallstudienmethodik vertraut zu machen. Das Programm selbst hatte, wenn ich mich richtig erinnere, beinahe missionarische Züge: Die ganz Welt sollte von den Vorteilen der Fallstudienmethode im akademischen Unterricht überzeugt werden. Und es ist in der Tat auch heute noch so - Harvard war und ist das Mekka der Fallstudienmethode. Wir werden später noch einige Male darauf zurückkommen, doch lassen wir den Dean der Harvard Business School in einem Brief aus dem Jahr 2017 an „seine“ Alumni, zu denen ich mich trotz meines schon lange zurückliegenden Kurzstudiums auch heute noch zählen kann, beispielhaft zu Wort kommen: “The case method is foundational to the School, and case writing is a craft we want to see continue to thrive at HBS.” Programmatischer kann man den missionarischen Auftrag wohl kaum zum Ausdruck bringen.

Auch ich wurde, wenn ich zurückblicke, in gewisser Weise dadurch „missioniert“. Zusammen mit meinem damaligen Professor bildete ich in der Folge unter dessen Federführung an der Universität die Speerspitze für die damals im deutschsprachigen Raum noch sehr innovative und weitgehend unbekannte Fallstudienmethode. Für mich in dieser Zeit ein besonders motivierendes Gefühl, hatte ich doch als ehemaliger Student der Rechtswissenschaften noch allzu gut in Erinnerung, dass dieses Studium (zumindest in seiner damaligen Konzeption) kaum zum eigenen Nachdenken, sondern hauptsächlich nur zu einem mehr oder weniger langweiligen Auswendiglernen anregte.

Somit hoffe ich, dass ich mich mit diesem Erfahrungsbericht in aufbereiteter Form nicht nur in persönlichen Erinnerungen ergehe, sondern jüngeren sowie nebenberuflich Vortragenden1 und vielleicht auch älteren Lehrenden damit einen Benchmark (der natürlich keinen Absolutwert darstellen kann) mit Anregungen und Empfehlungen anbiete, um die eigene Praxis als Lehrender immer wieder zu hinterfragen und zu optimieren. Ansprechen soll das Buch auch Lehrer und Lehrerinnen von höheren kaufmännischen Schulen und Akademien, die laut österreichischen Lehrplänen angehalten sind, die Fächer Betriebswirtschaftslehre, Management, Entrepreneurship usw. den Schülern auch auf Basis von Fallstudien näherzubringen. In den deutschen Bundesländern und in der Schweiz wird es wohl ähnlich sein.

Wie schon im Buchtitel zum Ausdruck gebracht wurde, resultieren meine Erfahrungen primär, d. h. fast ausschließlich aus den Bereichen Betriebswirtschaftslehre und Managementwissenschaften, wobei im letztgenannten Bereich beispielsweise alle Fragen der Wirtschaftspsychologie, der Organisationslehre, der Planungswissenschaft etc. Platz finden, handelt es sich doch bei den Managementwissenschaften/der Managementwissenschaft um eine typische crossroad-Wissenschaft, auf deren Erkenntnisplattform sich viele Disziplinen wie an einer Kreuzung begegnen und zur Problemlösung beitragen. Und damit ist auch bereits eine der wesentlichen Vorzüge der Fallstudienmethode, nämlich als Basis für interdisziplinäres Denken zu fungieren, direkt angesprochen.

 

1An Fachhochschulen rekrutiert sich der Lehrkörper erfahrungsgemäß zu durchschnittlich etwa 80 % aus nebenberuflichen Vortragenden.

A.Die Fallstudienmethode in der akademischen Lehre - eine Positionierung

Gemäß meiner Absicht, vor allem aus der eigenen Erfahrung zu berichten, möchte ich nicht allzu viele Worte über die Theorie der Fallstudienmethode verlieren (ganz wird es sich im Verlaufe des Buches allerdings nicht vermeiden lassen), sondern gleich in medias res übergehen. Ich darf auch, so hoffe ich, allgemeine Grundkenntnisse über die Fallstudie als gegeben annehmen.

1.Meine erste Fallstudienlehrveranstaltung

Im Theater sagt man angeblich, dass jemand nie ein guter Schauspieler wird, der nicht Lampenfieber vor einem Auftritt hat, und ganz besonders würde das natürlich für den ersten Auftritt gelten. Selbstverständlich hatte ich auch Lampenfieber, als ich im Schlepptau meines Professors als junger Assistent zur ersten Fallstudienlehrveranstaltung (sie wurde damals aus formalen Gründen noch „Vorlesung“ genannt, obwohl sie mit einer klassischen Vorlesung nichts mehr zu tun hatte) antrat, aber ich bewegte mich auch in der Sicherheit, dass ich notfalls auf seine etablierte Autorität gewissermaßen wie auf ein Schutzschild zurückgreifen konnte. Das ging so lange gut, wie er in der Lehrveranstaltung im Co-Training präsent war. Aber eines Tages war er der Meinung, ich hätte mich bereits „freigeschwommen“ und sei dadurch in der Lage, die Lehrveranstaltung mit etwa 30 Studierenden alleine zu meistern. Überraschenderweise hatte ich kaum (Autoritäts-)Probleme, was angesichts des Umstandes, dass diese Zeit noch stark vom antiautoritären, emanzipativen Geist der 68er-Jahre auf universitärem Boden geprägt war, bemerkenswert war, doch wurde mir dann am Semesterende im Rahmen einer Feedback-Runde sehr deutlich kommuniziert, dass ich es verabsäumt hätte, meine Autorität als Lehrender, die ich damals offensichtlich doch nicht in ausreichendem Maß hatte, in kritischen Situationen, beispielsweise bei großen Meinungsverschiedenheiten im Plenum, in die Waagschale zu werfen, und mich vielmehr hinter der „Autorität des Falles“, also hinter dem Text, versteckt hätte. Wie es in meiner Erinnerung ein Student bei diesem Feedback formulierte: „Man hatte immer den Eindruck, dass der Fall in dem Augenblick als höchste Autorität über Ihnen schweben würde, wenn es für uns in der Gruppe wichtig gewesen wäre, Ihre Position zum beschriebenen Problem kennenzulernen.“

Dieser Satz aus dem Mund eines Studierenden weist bereits auf ein grundsätzliches Problem im Umgang mit der Fallstudienmethode im Unterricht hin: Wie viel von seiner Autorität soll der Lehrende mit Blickrichtung auf die Bearbeitung und Lösung eines Fallstudienproblems einbringen? Welche Rolle soll er einnehmen? Kann er sich auf die Rolle des neutralen Mediators zurückziehen und muss er jeden Lösungsvorschlag, selbst wenn dieser wenig „intelligenzgeleitet“ ist, als zumindest „interessant“ und „diskussionswürdig“ bewerten, ohne sich selbst in Stellung zu bringen? Oder sind klare Worte gefordert?

Diesen Fragen werden wir im nächsten Kapitel nachgehen.

2.Wie viele Lösungen gibt es für ein Problem?

Unsere Lernkultur ist traditionell darauf ausgerichtet, dass es für ein Problem im Wesentlichen nur eine Lösung gibt. Das mag in der Mathematik oder in anderen naturwissenschaftlichen Fächern durchaus richtig sein, doch das Leben kennt in der Regel viele mögliche Lösungen für ein Problem, und es ist ja gerade die Fallmethode, die mit ihren Problembeschreibungen das reale Leben und vor allem die unternehmerische Praxis abbilden soll. Entsprechend dieser „kulturpädagogischen Prägung“ sind auch die Studierenden von einer „Sehnsucht“ nach der einzig richtigen Lösung geleitet - und die wird im Lehrsaal aus dem Mund des Dozenten erwartet. Hunderte Male habe ich so sinngemäß die Frage gehört: „Und wie würden Sie das Problem jetzt lösen?“ Durch diese Frage wird der Lehrende nicht nur um seine Meinung ex cathedra gefragt, sondern zusätzlich auch ganz plötzlich und unfreiwillig in die Position des Schiedsrichters gedrängt, wenn beispielsweise mehrere Gruppen verschiedene Lösungen erarbeitet haben. Welche Gruppe hat die beste oder gar die „einzig richtige“ Lösung präsentiert?

Einer Antwort auf diese Frage kann sich die Lehrperson natürlich nicht entziehen, sie hat sich ihr in jedem Fall zu stellen - denn die Strafe folgt oft auf den Fuß. Ich erinnere mich noch an die Bewertung der Lehrpersonen zum Ende des schon genannten International Teachers Programme, wo ein neben mir sitzender Universitätslehrer aus Australien meinte: „I do not ask for solutions in a case study but this guy gave us no fundamental analysis from his side; he reduced his job to only asking us more or less simple questions. Therefore he got the least ranking among all teachers from me.“

Zusammenfassend: Der Dozent kann/darf/soll/muss (das hängt von der unmittelbaren Situation ab) seine Meinung zur Fallstudie darlegen, er darf diese Aussage aber nicht nur auf seine Autorität als Lehrer stützen. Seine Meinung ist im diskursiven Prozess vielmehr nur eine von mehreren Meinungen, die genauso hinterfragt werden kann, wobei aber, und das ist sicherlich anzunehmen, die Position des Lehrenden nach mehreren wiederholten Bearbeitungen der Fallstudie durch seine Erfahrungen ziemlich fundiert sein wird.

Aber die vergleichsweise wichtigere Fähigkeit des Dozenten im kollektiven Problemlösungsprozess besteht vielmehr darin, durch geeignete Diskussionsinputs und mittels der richtigen Fragen die Studierenden zu analytisch fundierten Lösungen zu führen!

Doch welche Lösung auch immer in der „geschützten“ und unverbindlichen Atmosphäre des Lehrsaals gefunden wird, würde sie sich auch in der Praxis, um die es ja letztlich geht, bewähren?

Eine Frage, die in dieser Form mangels praktischer Umsetzbarkeit so nicht beantwortet werden kann, aber auch dafür gibt es im Lehrsaal gewissermaßen Behelfsbrücken, die in die Richtung einer praktikablen Umsetzung weisen können:

•Wie sind die Studenten vom Problem, also dem Ausgangspunkt der beschriebenen Situation, zur Lösung gelangt? Sind sie dabei einem nachvollziehbaren, logisch strukturierten Weg gefolgt? Oder war es eher eine erratische Diskussion, wo man sich dann unter Zeitdruck auf eine Gruppenlösung einigen musste? Psychologen behaupten ja gemeinhin, dass mehr als 50 % (?!) der Entscheidungen, die in einem Unternehmen oder in einer Organisation getroffen werden, letztendlich „Bauchentscheidungen“ seien oder unter Zeitdruck gefällt würden - mögen auch noch so viele Berater Ratschläge eingeflüstert haben und noch so viele Informationen im Vorfeld der Entscheidung von Stabsstellen recherchiert worden sein. Diesen allein „vom Bauch“ getragenen Entscheidungen sollte zumindest im Lehrsaal einmal mit Rationalität und systematischem Vorgehen vorgebeugt werden, verhindern kann man sie ohnehin nie. Um das festzustellen, muss der Weg zur Lösung nachvollziehbar dargestellt werden.

Ein bisschen darf ich allerdings das Gesagte unmittelbar und sofort wieder relativieren: Ganz so schlecht sind die sogenannten „Bauchentscheidungen“ auch wiederum nicht, weiß man doch aus der Neurowissenschaft, dass Gefühle - und um solche handelt es sich ja in der Regel bei Bauchentscheidungen - das Produkt von komplexen und sekundenbezogenen Algorithmen sind, die in unserem Gehirn ablaufen und bisherige Erfahrungen in Bruchteilen von Sekunden verarbeiten.

•Bei der Präsentation der Lösung im Plenum - unter der Voraussetzung, dass die Fallstudie von mehreren Gruppen bearbeitet wurde - vermittelt die kritische Diskussion aller Beteiligten im Plenum (Plenumsdiskussion, peer group evaluation) in jedem Fall ein „Gefühl“ für die Qualität der Problemlösung in der Praxis.

•Man bemühe schlussendlich auch den „Hausverstand“; ein Begriff, der auf akademischem Boden wegen seiner trivialen Anmutung nicht sonderlich hoch geschätzt und von der Werbung auch sehr häufig missbraucht wird. Er ist trotzdem eines der wichtigsten Problemlösungsinstrumente (im Verbund mit anderen, more sophisticated Problemlösungsinstrumenten). Ein Gastvortragender, der im Rahmen meiner Lehrveranstaltung mehrmals eine Fallstudie aus seinem Unternehmen zur Bearbeitung und Diskussion anbot, pflegte dann bei eher wirklichkeitsfremden Lösungsvorschlägen der Studierenden zu sagen: „Verwenden Sie einfach den Hausverstand und denken Sie daran, dass das Wasser nicht bergauf, sondern ohne technische Hilfe immer zum tiefsten Punkt hinunter fließt.“ Gegen die Gesetzmäßigkeiten des Lebens oder der Natur könne man sich eben nicht stemmen. Er war, nebenbei bemerkt, ein Unternehmer, der sich mit der Produktion und dem Bau von Kunststoffrohrleitungssystemen befasste.

Auch dazu darf ich eine persönliche Anmerkung anschließen: Wenn ich im Internet einer fallstudienbezogenen Frage nachgehen möchte, dann bemühe ich - wie Millionen anderer Zeitgenossen - die Google-Suchmaschine. Niemand oder besser gesagt fast niemand weiß genau, wie die Algorithmen der Suchmaschine programmiert sind, doch mir fällt bei solchen Suchanfragen immer wieder auf, dass, wenn ich beginne, das Wort „Fallstudie“ zu schreiben, nach der Buchstabenfolge „Falls..“ im Wege des Autocomplete-Programms sofort der Begriff „Fallschirm“ erscheint. Offensichtlich interessieren sich die Leute, die bei Google suchen, mehr für Fallschirmspringen, Fallschirmjäger oder für tödliche Unfälle beim Fallschirmspringen. Der Begriff „Fallschirm“ schlägt aber auch eine durchaus reizvolle assoziative Brücke zur Fallstudienmethode: Die Arbeit mit einer Fallstudie - vor allem im Team -verhindert möglicherweise einen allzu harten Aufprall der Theorie in der Realität.

3.Fallstudie ist nicht gleich Fallstudie

3.1.Aktives versus passives Lernen!