Leibhaftig - Jan Weidner - E-Book

Leibhaftig E-Book

Jan Weidner

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Beschreibung

Mit ironischem Zwinkern und poetischem Furor schreibt sich Jan Weidner in diesen "letzten Aufzeichnungen" in die Figur des Marquis de Sade. In privaten Dokumenten, Skizzen und Textfragmenten prallt seine obszöne Bildsprache unvermittelt auf die leibhaftige Symbolik des dörfischen Katholizismus.

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Seitenzahl: 31

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Das Buch

Mit ironischem Zwinkern und poetischem Furor schreibt sich Jan Weidner in diesen »letzten Aufzeichnungen« in die Figur des Marquis de Sade. In privaten Dokumenten, Skizzen und Textfragmenten prallt seine obszöne Bildsprache unvermittelt auf die leibhaftige Symbolik des dörfischen Katholizismus.

Der Autor

Jan Weidner, geboren 1982 in Tauberbischofsheim, lebt seit 2002 als Schriftsteller in Berlin. 2016 gewann er mit seinem Text »Fragmente« den Literaturpreis Prenzlauer Berg.

www.wababbel.de/ekelundekstase

Inhaltsverzeichnis

A rimbab

Pauline

Augustine

Magdeleine

Ta talak pranas

A rimbab

Warum ausgerechnet Sade?

Von allen Autoren, an denen ich mich bisher abgemüht habe – Miller, Jahnn, Genet, um die üblichen Verdächtigen beim Namen zu nennen – ist mir dieser sogenannte Marquis de Sade immer am meisten am Herzen, oder am schwersten im Magen gelegen. Starrköpfig und unbelehrbar wie eh und je, unfähig, seine Meinung oder wenigstens seine Sätze zu ändern, hat mich dieser sogenannte Marquis de Sade so oft vor den Kopf gestoßen, dass er schließlich eine taube Stelle auf und hinter meiner Stirn hinterlassen hat, einen Flecken verbrannter Erde, auf dem nicht einmal das zarte Pflänzchen eines Gedankens Wurzeln schlagen kann, kein Strohhalm mehr steht. Muss ich, um mich endlich von Sade zu befreien, diesen Sauhund drei Mal verleugnen oder sieben Mal beschwören?

Ich könnte mich für die Mitte entscheiden und fünf Mal gegen ihn anschreiben.

Ich werde den Teufel tun, mir über den Autor der Justine & Juliette und der Philosophie im Boudoir Fragen zu stellen. Ich kann aber von allen Büchern, die mir bisher unter die blätternden Finger gekommen sind, nur die wertschätzen, die mich in Frage stellen – die mich beim Lesen mehrfach ins Straucheln bringen, deren Sätze sich dagegen sträuben, kopfnickend beiseite gelegt zu werden. Manche Worte, die mir diese wertgeschätzten Bücher wie Stolpersteine in den Weg legen, trage ich heute noch mit mir herum, als Antwort auf die Frage: Wo drückt der Schuh?

Da mir das Lesen nie schwerfiel, schon zu Schulzeiten nicht, habe ich mit den Jahren begonnen, seiner vermeintlichen Mühelosigkeit zu misstrauen. Wenn ich den Marquis de Sade lese, schnalze ich nicht genüsslich mit der Zunge, sondern warte darauf, dass sie mir bis zum Hals schlägt, mir an den Gaumen springt, geschwollen und schwer von Blut wie ein Herz eines Ochsen. Ich lese so lange im Marquis de Sade, bis mir die Eichel von innen an den Hosenstall klopft, das Signal, das Buch beiseite zu legen.

Über die beiden Bände der Justine & Juliette stolpere ich in der Auslage des Eberbacher Bahnhofskiosk, ich packe sie in meine Schultasche und lese während der Busfahrt darin, bis mir übel wird, das Signal, das Buch beiseite zu legen. Der Bus voll später Schulkinder müht sich den Odenwald hinauf, seine Scheinwerfer setzen die an den Leitplanken aufgereihten Unfallkreuze ins Schlaglicht, die Laiendarsteller der wöchentlichen Dorftragödien, denen vor Aufregung und Lampenfieber der Text im Holz steckenbleibt – es bleibt ihnen, stumm mit Kreuzstamm und Querbalken zu klappern, unbeholfen, beinah hölzern im Ausdruck, bis man ihnen Blumensträuße zu Füßen wirft. Die Fahrt entlang der Serpentinen bekommt mir nicht, ich packe das Buch, die Justine, in die Schultasche zurück. Während ich versuche, das eben Gelesene mit meinen Erwartungen in Einklang zu bringen – der schillernde und doch nur flüchtig bekannte Name des Autors, die Szenerie der Titelillustration mit den entblößten und in frivole Handgreiflichkeiten verwickelten Nonnen – nimmt der Schulbus die ganze Schleife über meine abendlichen Dörfer, auch den Halt in Mülben, wo Jahre später, ich lebe inzwischen in der Stadt, der Gedenkstein für die in Mülben geborene Ordensschwester unter Anteilnahme der Bevölkerung