Leichtes Spiel - Botho Strauß - E-Book

Leichtes Spiel E-Book

Botho Strauß

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Beschreibung

Kathie, Kattrin, Katharina – dieselbe Frau oder immer eine andere? Mal ist sie seltsam entrückt, mal zupackend, mal abweisend, mal voller Hingabe. Ihre wechselnden Temperamente und Lebenshaltungen fächert Botho Strauß in zehn prägnanten Szenen auf, die sich nach und nach zu einem Ganzen fügen. Ob Liebe als Geschäftsmodell in den Zeiten der Finanzkrise, Liebe als ewig unerfüllte Sehnsucht oder Liebe, die nach vielen Ehejahren deutlich nachgelassen hat: Kaum einem anderen Autor gelingt es so wie Strauß, die Abgründe des Paar-Alltags in ihrer ganzen Komik auszuloten und in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Zwischen Traum und Wachen wird die Unterschiedlichkeit der Geschlechter nicht mehr als Kampfzone vermessen, sondern erscheint als schwebend leichtes, zart melancholisches Spiel des ständigen Sichverfehlens. Nicht zufällig heißt es einmal im Text: «Die Sache zwischen Mann und Frau, ich, für meine Verhältnisse, steh da wie ganz am Anfang.» «Sollten kommende Generationen wissen wollen, wie sie wurden, was sie sind, werden sie in Botho Strauß' Theater- und Gedankenstücken ihre Vorfahren finden, unsere Hypochondrien und Phantomschmerzen, unsere Fragen und Irrtümer.» Thomas Hürlimann

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Seitenzahl: 95

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Botho Strauß

Leichtes Spiel

Neun Personen einer Frau

Ein Theaterstück

Mein Leben, leichtes Spiel dem Todeswind,

hängt federleicht auf meinem Handrücken.

T.S.Eliot, Ein Lied für Simeon

1PANIKTAG

(Die Ängstliche)

Supermarkt. Einkaufsregal mit Haushaltswaren, zum Teil leergekauft. Die junge Mutter, das Baby um den Oberkörper gewickelt, schiebt ihren halbgefüllten Einkaufswagen am Regal entlang. Zu ihr tritt der linkische Mann, mit einer Sammelpackung Apfelsaft unter dem Arm.

DER LINKISCHE MANN Ich habe keinen Wagen mehr bekommen. Darf ich meine Sachen mit in Ihren Wagen legen?

Die junge Mutter, etwas ratlos, will weitergehen. Doch der linkische Mann hält den Wagen auf.

DIE JUNGE MUTTER Wie soll das gehen?

DER LINKISCHE MANN Nur bis zur Kasse.

Warum kaufen wir das alles?

DIE JUNGE MUTTER Weil irgendeine Krise ausgebrochen ist und ich ein kleines Kind habe.

Sie nimmt Windeln und Wischtücher aus dem Regal, sucht nach irgendeiner anderen Ware.

DER LINKISCHE MANN Wie heißt der Laden? Rewe?

DIE JUNGE MUTTER (stutzt) Nein… Das ist doch Spar hier.

DER LINKISCHE MANN Es ist also eine Krise ausgebrochen.

Welche?

Ich habe heute früh keine Nachrichten gehört.

DIE JUNGE MUTTER Ich weiß nicht. Vielleicht ein Attentat. Oder ein Börsenkrach.

Am schlimmsten wäre Seuchenalarm.

DER LINKISCHE MANN Ich habe keine Alarmsirene gehört.

Alles ist still auf den Straßen.

Die Leute sind wie die Heuschrecken über die Geschäfte hergefallen.

DIE JUNGE MUTTER Nein, wie die Hamster. Es muß irgend etwas ganz plötzlich passiert sein.

Meine Nachbarin sagte: Mach schnell, kauf ein.

Bevor es zu spät ist. Denk an den Kleinen.

DER LINKISCHE MANN Wir scheinen hier die Letzten zu sein.

Die Regale sind schon ziemlich geplündert.

DIE JUNGE MUTTER Topflappen gibt es noch jede Menge.

Aber Wäscheklammern sind keine mehr da.

DER LINKISCHE MANN Ich saß zu Hause über meinen Büchern.

Vollkommen abgeschirmt. Auf einmal ergriff mich eine diffuse Unruhe. Ich sprang auf und rannte auf die Straße.

Bei Aldi gab es keine Getränke mehr. Das sieht nach einer Massenpsychose aus.

Während sie miteinander sprechen, packen sie immer mehr Waren in den Wagen, bald ganz ohne zu wählen.

DIE JUNGE MUTTER Haben Sie was mit Medizin zu tun?

DER LINKISCHE MANN Nein.

DIE JUNGE MUTTER Klingt, als hätten Sie was mit Medizin zu tun.

DER LINKISCHE MANN Wenn Sie wollen, trage ich Ihnen nachher die Einkaufstüten nach Hause.

DIE JUNGE MUTTER (bleibt stehen, mustert den linkischen Mann) Können Sie eventuell eine kaputte Jalousie reparieren?

DER LINKISCHE MANN Kommt drauf an. Ich bin nicht gerade der Typ Heimwerker.

DIE JUNGE MUTTER Es ist so eine Art Lamellenjalousie.

DER LINKISCHE MANN Hängt sie bloß schief oder –?

DIE JUNGE MUTTER Hängt schief, ja. Klemmt. Läßt sich nicht mehr ziehen.

DER LINKISCHE MANN Ich meine: Hängt sie oben? Kann man sie nicht mehr runterlassen?

DIE JUNGE MUTTER Genau. Sie geht nicht mehr runter.

Ich kann tagsüber nicht aufs Klo.

Man sieht alles vom Nachbarblock.

DER LINKISCHE MANN Haben sich die Strappen – die Strippen, das, woran man zieht – sind die verdrillt?

DIE JUNGE MUTTER Verdrillt?

DER LINKISCHE MANN Verwickelt, verdreht…

DIE JUNGE MUTTER Sie sprechen manchmal wie mein Mann.

Der will auch alles pitzelgenau wissen.

DER LINKISCHE MANN Warum repariert Ihr Mann nicht die Jalousie?

DIE JUNGE MUTTER Mein Mann… ist Arzt. Aber zu was Praktischem nicht zu gebrauchen.

Gegenwärtig ist er auf einem Fortbildungsseminar.

Haben Sie die Haferflocken reingetan?

DER LINKISCHE MANN Erwarten Sie, daß er zu Ihnen zurückkehrt?

DIE JUNGE MUTTER (mustert den linkischen Mann) Nein.

DER LINKISCHE MANN Ich bin wahrscheinlich im Haus genauso ein Nichtsnutz wie er.

Aber die Jalousie kriege ich hin.

DIE JUNGE MUTTER Er ist ein Genie. Ein blitzgescheiter Mensch.

DER LINKISCHE MANN Ist das Kind von ihm?

DIE JUNGE MUTTER Darius heißt er. Darius heißt auf persisch: nur Gutes!

Ein Kind braucht im Durchschnitt fünftausendachthundert Windeln, bis es trocken ist.

Wußten Sie das?

DER LINKISCHE MANN Überall Kameras. Absurd. Wir sind hier mitten im Film.

Die Letzten mit den Resten.

DIE JUNGE MUTTER Man traut eigentlich niemandem mehr.

DER LINKISCHE MANN Irgendwo findet sich immer ein guter Onkel, der einem zu Hause etwas in Ordnung bringt.

DIE JUNGE MUTTER Sind Sie sicher?

DER LINKISCHE MANN Sicher? Worin?

DIE JUNGE MUTTER Daß Sie ein – guter Mensch sind?

DER LINKISCHE MANN Wie kann man da sicher sein?

DIE JUNGE MUTTER Sehen Sie.

DER LINKISCHE MANN Manchmal genügt ein Blick auf die eigenen Fußspitzen, und man starrt ins Bodenlose.

DIE JUNGE MUTTER (mustert den linkischen Mann) Es fallen einem tausend Horrorgeschichten ein, wenn man dran denkt, daß ich Sie mit nach Hause nehme, obwohl wir uns doch erst eben zufällig kennengelernt haben.

DER LINKISCHE MANN Hören Sie, Sie sind doch eine gescheite Frau –

DIE JUNGE MUTTER (brüllt plötzlich) Gescheit?! Was heißt da gescheit?!

DER LINKISCHE MANN (legt ihr die Hand auf den Mund)

Psst!… Der Kleine.

Wenn Sie mich etwas genauer ansähen, dann wüßten Sie, an wen Sie geraten sind.

DIE JUNGE MUTTER Was tun Sie? Was machen Sie denn?

Beruflich?

DER LINKISCHE MANN An mir können Sie die Beobachtung machen, daß ein Mensch noch senkrecht vor Ihnen steht, während er in Wahrheit bereits kopfüber in die Tiefe saust.

DIE JUNGE MUTTER Ich bin nicht fähig, Ihnen länger zuzuhören.

Ich platze vor Angst.

DER LINKISCHE MANN Ich werde Sie nicht quälen. Aber Sie hängen ja an meinen Lippen –

DIE JUNGE MUTTER Tun Sie nicht so. Nehmen Sie Ihre Sachen aus dem Wagen.

DER LINKISCHE MANN Wie soll das gehen?

DIE JUNGE MUTTER Die jungen Mütter sitzen abends auf ihren Balkonen.

Sie sitzen nach der Arbeit reihenweise auf ihren Balkonen und heulen, heulen haltlos in den Abend hinein.

DER LINKISCHE MANN Warum heulen sie denn?

DIE JUNGE MUTTER Sie heulen – weil sie heulen müssen! Fünf junge Männer überfallen im Hausflur eine Schwangere und ziehen sie aus.

Sie sehen ihren vorquellenden Nabel und werfen mit Dartspitzen nach ihrem Nabel!

Und alle treffen ins Schwarze! Der Nabel ist rund mit Pfeilen gespickt.

DER LINKISCHE MANN Das gibt es nicht. Das geht doch gar nicht!

DIE JUNGE MUTTER Ach so? Das geht gar nicht? Na!

Eine Frau mit leerem Einkaufswagen nähert sich aus einiger Entfernung.

DIE JUNGE MUTTER Meine Schwester!… Gott sei Dank!

DIE SCHWESTER (schroff) Wer ist das? Bist du verückt geworden?

DIE JUNGE MUTTER Ich weiß nicht… Wie heißen Sie?

DER LINKISCHE MANN (leise, wird überhört) Jörg Bruhns.

DIE SCHWESTER Du läßt dich mit einem wildfremden Mann ein.

Weißt du nicht, was passiert ist?

Hast du komplett die Kontrolle verloren?

DER LINKISCHE MANN Was ist denn passiert? Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.

DIE JUNGE MUTTER Der Mann will nur meine Jalousie auf dem Klo reparieren.

DIE SCHWESTER Ich höre wohl nicht richtig.

(wendet sich an den linkischen Mann) Sie ist Physiotherapeutin. Ihr Chef zahlt nicht.

Er meint, sie soll ihre Überstunden abbummeln.

Jetzt rennt sie den ganzen Tag im Supermarkt herum und weiß nichts mit sich anzufangen.

(zu ihrer Schwester) Kattrin! Nimmst dir fremde Männer mit nach Haus!

Und das Kind? Du mußt doch wenigstens spüren, daß dieser Mann eine Gefahr für dein Kind sein könnte.

Soviel Instinkt muß doch selbst eine dumme Maus wie du besitzen!

DIE JUNGE MUTTER Gut, daß du rechtzeitig gekommen bist.

DIE SCHWESTER Zufall! Der pure Zufall.

Und was, wenn nicht? Kattrin!

DER LINKISCHE MANN Wir haben bloß zusammen eingekauft.

Ich bekam draußen keinen Einkaufswagen mehr.

DIE SCHWESTER Wie heißen Sie?

DER LINKISCHE MANN (murmelt, wird wieder überhört)

Jörg Bruhns.

DIE SCHWESTER Ich sage euch, die Stadt ist wie ausgestorben.

Vom Treidelplatz bis zum Albrechtsdamm die reine Geisterzone.

DER LINKISCHE MANN Aber die Menschen werden sicher bald wiederkommen.

DIE SCHWESTER Kein Mensch kommt. Kein einziger weit und breit.

Da hättest du brüllen können wie am Spieß. Niemand wäre dir zu Hilfe gekommen.

Kein Mensch. Jedes Kind weiß, daß man einen wildfremden Mann nicht mit nach Hause nimmt, und du hast ein Kind und bringst es trotzdem in Gefahr.

DIE JUNGE MUTTER Es ist ja weiter nichts passiert.

DIE SCHWESTER (zum linkischen Mann) Mit ihr hätten Sie leichtes Spiel gehabt.

DER LINKISCHE MANN Ich glaube, es ist heute der sechste oder der siebte April.

Jedenfalls ein Dienstag. Wahrscheinlich wird er schon morgen der Schwarze Dienstag genannt.

DIE SCHWESTER Und was machen Sie sonst so um diese Zeit?

DER LINKISCHE MANN Na, ich esse einen Happen bei Subway, und anschließend mache ich einen kleinen Spaziergang im Ostpark.

DIE SCHWESTER Dann kommen Sie. Essen wir einen Happen bei Subway und machen anschließend einen kleinen Spaziergang im Ostpark.

DER LINKISCHE MANN Beruhigen wir uns doch alle erst einmal.

DIE SCHWESTER Sie ist meine Schwester. Sie will es so.

Sag, daß du es so willst. Kattrin!

DIE JUNGE MUTTER Ich will es so.

Die Schwester und der linkische Mann wenden sich zum Gehen.

DIE SCHWESTER Es gibt Menschen, die können nicht einmal danke sagen.

DIE JUNGE MUTTER Danke.

Die beiden ab. Die junge Mutter bemerkt die Waren des linkischen Manns in ihrem Wagen und ruft leise hinter ihm her.

DIE JUNGE MUTTER Ihre Sachen… Jörg Bruhns… Ihre Sachen.

Darius, mein Kleiner. Deine Mutter hat sich wieder mal dumm angestellt.

Aber du mußt auch ein bißchen aufpassen auf mich.

Du weißt doch besser als ich, wer gut ist und wer nicht.

Wildfremde Menschen gehen uns beide nichts an. Obwohl sie im Prinzip ganz nett sind. Nur Gutes. Nur Gutes.

2DIE SCHÖNE TRÄGE

Auf der linken Seite im Hintergrund ein langer ovaler Tisch, auf dessen beleuchteter Glasplatte die schöne Träge als Schläferin liegt, während sie gleichzeitig in derselben Bekleidung auf der Vorderbühne in einem geflochtenen Lehnsessel auf ihrer Sommerterrasse sitzt, neben sich einen zweiten, leeren Lehnsessel.

Mit Hilfe von Licht und Ton sinnliche Vergrößerung der Schläferin auf der Glasplatte. Das gelbe T-Shirt ist über den Nabel gerutscht, das linke nackte Bein gestreckt, das rechte angezogen, der Rand des weißen Slips schnürt vom

Gesäß eine schmale Wulst ab. Der Schläferin Quellrauschen, Blätterwispern, Mondlächeln.

Neben dem Tisch auf einem Stuhl der Gast, ein etwa vierzigjähriger Mann in olivfarbenem Hemd und brauner Leinenhose. Sein Jackett hängt über der Lehne.

DER GAST Drei Wege führten zum Strand.

Katja, die Tochter meiner Gastgeberin, fuhr mit mir hinunter, als die Sonne schon sank.

Ich sah, wie der Weg mehr und mehr von auslaufenden Wellen unterspült wurde. Die starke Flut trieb das Wasser die Anhöhe hinauf. Ich sagte: Fahr nicht diesen Weg. Nimm einen anderen.

KATJA (im Lehnstuhl auf der Terrasse) Wieso? Macht doch Spaß.

DER GAST Da kam uns ein Rover vom Strand entgegen, und die Reifen quetschten das Wasser in hohem Schwall nach beiden Seiten weg.

Ich fragte das Mädchen:

Hat dein Wagen Allrad?

KATJA Ja. Allrad mit Sperrdifferential.

DER GAST Das wird dir wenig nützen, wenn du in eine Schlammkuhle rutschst.

KATJA Es wird schon gehen.

DER GAST Warum fahren wir zum Wasser runter, wenn es uns doch entgegenkommt?

KATJA Es steigt. So hoch stand es noch nie.

DER GAST Sie war ein hölzernes Mädchen. Bildhübsch, aber erloschen. Man hätte sie allenfalls zerbrechen können, aber niemals verwirren.

Müde?

KATJA Ja. Ein bißchen.

DER GAST Dabei war ich bereit, eine lächerliche Figur abzugeben. Ich hatte gehofft, sie würde mit mir spielen.

Mich verspotten, triezen, hereinlegen. Wie man das so kennt von schönen Ferientagen. Aber sie kannte das Spiel nicht. Ich bin überzeugt, sie hätte es gespielt. Aber sie kannte es nicht.

Sie konnte einfach nicht flirten.

KATJA Mein Bauch tut weh.

DER GAST Seit gestern bildet sie sich ein, schwanger zu sein. Ich dachte erst: nur um mich abzuschrecken –