Nicht mehr. Mehr nicht - Botho Strauß - E-Book

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Botho Strauß

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Beschreibung

„Wie zwei voreinander sich rasend entkleiden und wieder ankleiden, das wird, im Zeitraffer gesehen, ihre ganze Geschichte gewesen sein.“

Dies ist die Geschichte von Gertrud Vormweg, einer Frau, die vom Bild ihres Geliebten nicht loskommt. Er hat sie verlassen: Nun bestimmen Zorn, Sehnsucht und Enttäuschung, Begehren und Aufbegehren Tag und Nacht ihre Gedanken. Doch zugleich mag sie, die Dichterin, nicht sang- und klanglos die Verliererin dieser Liebe sein. Also erzählt sie von sich in der Figur der karthagischen Königin Dido, der großen Verlassenen der Weltliteratur. Und nutzt Verkleidungen, Chiffren der Literatur, um der Banalität des Geschehenen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. „Wenn schon allein, dann unter Vorbildern begraben.“ In vielen Stimmen, vielen Tonlagen, aus vielfältigen Zuständen entwirft Botho Strauß diese Erzählung einer Verlassenen und setzt damit Bewusstseinsgeschichten der Moderne fort.

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Über das Buch

»Wie zwei voreinander sich rasend entkleiden und wieder ankleiden, das wird, im Zeitraffer gesehen, ihre ganze Geschichte gewesen sein.«Dies ist die Geschichte von Gertrud Vormweg, einer Frau, die vom Bild ihres Geliebten nicht loskommt. Er hat sie verlassen: Nun bestimmen Zorn, Sehnsucht und Enttäuschung, Begehren und Aufbegehren Tag und Nacht ihre Gedanken. Doch zugleich mag sie, die Dichterin, nicht sang- und klanglos die Verliererin dieser Liebe sein. Also erzählt sie von sich in der Figur der karthagischen Königin Dido, der großen Verlassenen der Weltliteratur. Und nutzt Verkleidungen, Chiffren der Literatur, um der Banalität des Geschehenen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. »Wenn schon allein, dann unter Vorbildern begraben.« In vielen Stimmen, vielen Tonlagen, aus vielfältigen Zuständen entwirft Botho Strauß diese Erzählung einer Verlassenen und setzt damit Bewusstseinsgeschichten der Moderne fort.

BOTHO STRAUSS

Nicht mehr. Mehr nicht

Chiffren für sie

Hanser

1

Vor mir steht mein Name. Er schließt alles aus, was ich bin.

Gertrud Vormweg. Mißglückte Anrede. Ich heiße Elissa, die dem größten Aufschneider und Fabelhelden, dem Migranten von Troja zum Opfer fiel, geliebt und verlassen vom wortbrüchigsten Mann, der je den Boden Karthagos betrat. Dido paßt nicht zu mir und ist auch kein schöner Name. Also laß ich mich rufen mit dem heimischen Namen der Verlassensten aller je Verlassenen: Elissa.

Nicht hinter edlen Namen sich verstecken! Wenn nicht anders, bin ich auch mal die Gertrud. Wie’s auf meinen Gedichtbüchern steht.

Als er mich ansah, mir war, ich wär noch ein Kind, und mein Knie konnte nicht aufhören zu bluten … Mein ganzes Leben war wie ein einziges plötzliches Geschehen, das ganze abrupt erlebte Leben.

Ein Mensch muß im ganzen zum Singen gelangen. Seine Stimme allein trägt nicht weit genug. Aber Stimme und Schritt, Lieben und Fragen, Kämpfen und Dulden — die müssen singen, und manchmal im Chor.

So muß man singen können. Mit der ganzen erscheinenden Figur, mit seinem Wesen. Mit Augen, Händen und Schritten.

Wie zwei voreinander sich rasend entkleiden und wieder ankleiden, das wird, im Zeitraffer gesehen, ihre ganze Geschichte gewesen sein.

Zurück zur Garderobenstange. Zwischen vergessenen Mänteln vergessener Männer blieb hängen sein bleicher Wäschesack. Hin und wieder besucht ihn meine Taschenlampe, Lichtmotte, umflattert ihn. Wer weiß wann, und die Motte erlischt.

Wie mag er sich kleiden jetzt, auf und davon? Was trägt er verschwunden?

Abgewandter, fortschreitend! Heller Jackenrücken! Abendrothaar!

Geh nur! Du wirst mir nicht kleiner. Verlierst nicht dein Maß mit der Entfernung.

Ein Umarmer ohne einen Funken Liebe im Leib. Aber ein Umarmer ohne Fehl und Tadel.

Als plötzlich drinnen oben im Haus hohe Stapel von Rüben zusammenbrachen und die Treppe hinunterpolterten: Kaskaden von roten Rüben stürzten über die Stufen, und eine Ratte, die selbst den Fall der Früchte mit gierigen Bissen ausgelöst hatte, rannte in Panik voraus und entkam der Lawine durch den Haustürschlitz.

Doch wie sie nun sieht, daß es ihm nichts bedeutet, nackt vor ihr zu stehen, daß er sich weder ziert noch zeigt, daß es ihn nicht kümmert, welchen Anblick er ihr bietet, da bedeutet’s auch ihr nichts.

Es scheint, daß einzig das Versehen noch blenden kann, beim Aufreißen einer falschen Tür, und der feindliche Blick einer Frau, die beim Entkleiden überrascht wird.

Du Fremder, du Freund, laß mich zusammenrufen, was uns hielt — ohne Rücksicht, »ob man das so sagen darf«, ob es gefällt oder quält.

Schwindlig wird ihr, sie lehnt sich an. Wem sag ich, was niemanden etwas angeht?

Welche Zeit-Räume durchschritten! Tür auf, Tür zu. Eine Enttäuschte, die sich lieber in die Ruinen ihres dreißigsten Jahrs verkriecht als sich ihrer Kraft und Reife zu erfreuen.

Das Dulden studieren, sechs Semester lang. Im Nebenfach das Genügen belegen. Nicht nochmals an den Stäben rütteln.

Dulden formt deinen Leib. Vorher war da nur ein ausgedehnter Knorpel.

Dichterin, wie sehr wünschtest du jetzt, du hättest Macht und Befehlsgewalt über seine Gedanken gehabt.

Ihr Gesicht fesselte seine Ankunftsblicke, er sah von ihrem Körper so gut wie nichts. Das Vielversprechende lag wie ein Schleier über ihr. Es sollte unverletzt bleiben und durfte nicht durch ein einzelnes eingelöstes Versprechen beschädigt werden.

Ungepflegt, wie er war. Wechselte tagelang sein Hemd nicht. Aber dies Forschen, dies leuchtende Nachdenken … Oh, zuviel hat er bedacht und viel herausgefunden, mein Lionardo!

Sie fand noch eine Dido, frühes Stück von Christopher Marlowe. Zweiter Akt. Erste Begegnung. Dido mißbilligt die Kleidung des Flüchtlings aus Troja. Aeneas möge sich umziehen und einen schmucken Rock ihres (bis dahin) Ewiggeliebten, des verstorbenen Mannes, anziehen.

Gütiger Himmel, laß mich eine würdige, ununterlegene Verliererin sein!

Stimmungsschwankungen sind der Tyrann des Herzens. Auf sie hast du keinen Einfluß. Sie lassen dich denselben Menschen hassen und lieben. Dasselbe Leben kaum ertragen und haltlos verherrlichen. Sie sind das größte Risiko jeder Leidenschaft. Wenn ein Nein sich übernimmt, ein Ja an seiner Leichtigkeit zerbricht.

Der Mann vom Meer. Der Mann aus der Sage, nicht im Hiesigen zu Haus.

Wobei wir beide uns gern berauschten an seinem Geist, auch wenn ich im letzten Moment ihm despektierlich antwortete, kurz noch einmal abrückte von ihm, bevor ich dann ganz Auslage wurde, Angebot, und er, etwas wählerisch, von meinen bescheidenen Köstlichkeiten zu naschen begann.

Oh, er lädt mich ein, mich ganz allein auf der Welt, an seinem männlichen Begreifen teilzunehmen, an seiner männlichen Großzügigkeit, an seiner männlichen Gelassenheit und Wissenswärme … Lauter Eigenschaften, mir wesensfremd, aber es genügte, daß ich Interesse zeigte, und schon hatte er mich! Dieser verirrte Held, der einsame Regent, entfernt von seinem Volk, dem er unverzagt mit reicher Zunge etwas vorspricht, das es niemals vernehmen, geschweige denn beherzigen wird. Aber eine, mich, hat er sich gegriffen, gewiß nicht die einzige, die ihn bewundert, aber die einzige, wie er glaubt, die sich seiner paradoxen Natur, der Flüchtling und der Hochbegabte zu sein, bewußt ist: alle Talente des Gründers zu besitzen, Tatkraft und Planung; doch das Gefäß, das einzige, das all seine Gaben aufnehmen könnte, das Gefäß seines Volks, existiert nicht mehr.

Imago, die er noch nicht ist: Erzähler, der sich von seiner Verpuppung, der Sage, löst und schweigt und die Helden-Dichtung vergißt … Und sein Vergessen rinnt in Tränen die Wange herab, Pore um Pore … Seine fremde Stimme, und ich mit dem Gewicht einer Flaumfeder taumle in ihrem Hauch. »Oh!«, sagte ich. »Ich wende mich an dich, denn du sprichst zu mir wie zu einem Menschen, den man nicht so schnell vergessen will.«

Der erste Kuß. Abdruck einer Fährte. Ein Klumpen feuchter Erde oder Schnee, der an den Schalen eines Rotwilds haften blieb, beim Hetzen dann wieder abfiel.

Die Weiden und die Felder, mein langes Land, es gängelt mich, es ist Verführung ohne Ziel. Die Büsche, Seen und Ähren, lauter Stichworte auf dem Spickzettel von jemandem, der aus dem Reich des Unwahrscheinlichen hervortritt, um der preisgekrönten Wahrscheinlichkeit eine kleine Festrede zu halten.

In welchem Alter, fragte mein Fremder, bei welchem Erfahrungsstand hören Gastgeberinnen auf, zur Begrüßung ihre drucklose Kleinmädchenhand in eine feste zu legen? Er meinte, eine solche Hand habe früher bei Mädchen den Knicks begleitet.

Hab ich ihm je eine welke Hand gegeben?

2

Oder ist der Weg verlorengegangen? Vor uns liegt Gebüsch. War hier nie ein Weg oder ist hier noch nie jemand weitergegangen? Der Weg bricht ab — mitten im Weg. Haben wir den letzten Abzweig vielleicht übersehen? Gab es überhaupt Abzweige? Warum verläuft gerade hier die Trennung zwischen geebnetem, gewalztem und zuvor gerütteltem Untergrund und abrupter Wildnis? Warum sperrt sie den Weg ab und übernimmt ihn nicht noch ein Stück weit, so daß er allmählich ausliefe in Unkraut und Niederwuchs? Weil die Menschen immer nur bis an diese Grenze gegangen sind und heute noch gehen? Bequem und ohne zu ahnen, daß er jäh enden wird, beginnen sie ihn und nähern sich der Nahtlinie zwischen geschottertem, geglättetem Weg und unwegsamem Dickicht, stehen unversehens davor.

Ist es so?

Daß sich sein Stürzen zu einem Sinken mäßige, dazu wuchsen dem Menschen die sprachlichen Schwingen.

Da stand ich weiß enveloppiert, stand in einer mit schlechten Versen bekritzelten Männerhemdmanschette in Übergröße, die Brüste voll Milch und selber weiß wie Milch. Nur hin und wieder flammte ein Stirnrot auf. So sprach ich und verblieb mit dem Einen: »Du glaubst viel mehr, als du denkst.«

Getan, um zu vergessen; vergessen, um wieder zu tun.

Ein Befall von Weißung. Ich bin nicht mehr farbig, greifbar, meßbar … Das alles ist mir genommen … die Bleichung, zuviel Bleichung … die entfärbenden Gewässer steigen, sie weißen die Bilder im Kopf … Niemand da, der mich hinüberführte … Nur kalter Bruch, Härte, steiler Schnitt, Fluh, kein Ruf, kein goldenes Winken von der Grenze drüben, kein Lösen, kein Verstehen …

Wie sprechen und nicht tönen? Zunge ohne Getue. Vielleicht indem man vom Wichtigsten nur beiläufig spricht, fast genuschelt, das Wichtigste plötzlich nebenbei erwähnt, gerade so eben noch es ausspricht. Aber klar und festumrissen, nur damit der falsche Druck, den man gewöhnlich in die Sprache setzt, heraus ist.

Ach, es war leider nur wie. Wie als hätte der Himmel die Erde still geküsst — aber es durchfuhr mich als Seligkeitsstromstoß, verbrannte mich und ließ nichts als ein Häufchen Glück übrig, das ich nie hatte.

Sie schloß ihre Augen. Brautsegenweiß waren die Blüten, die hinter ihren Lidern zu sinken nicht aufhörten. Weiß wie ihre Zähne, weiß wie das Laken, das sie um die Hüfte schlang, den Schauplatz früher Rüpelspiele verbergend.

Der weiße Blütenfall des Lassens.

Aufgeben, das gibt.

Hände, aus denen Blüten rinnen,

Hände, die nur lassen, die nichts halten können.

In ihrem Glockenärmel schwebt noch Duft vom Abtrünnigen, und wenn sie am Ufer immer denselben Sand durch ihre Finger rieseln läßt, schnüffelt sie manchmal an Armen und Beinen noch etwas von ihm. »Aber ich bin allein«, sagt zum Schluß das Frau gewordene Liebestier und schreit schnell etwas in die Luft.

Bei aufgestütztem Ellbogen entblößte sein loser Hemdsärmel einen behaarten muskulösen Unterarm, und fleischige Finger kraulten das runde Kinn, am Handgelenk prangte eine Armbanduhr mit metallischem Zugband.

Wir werden uns nichts gemeinsam erschwiegen haben. Vielleicht werden wir uns auch nie etwas gesagt haben. On n’aura pas eu parlé l’un à l’autre. Lange war es unergiebig still, dann wurde es unergiebig laut.

Ich habe viele Freuden gekannt, auch Heiterkeit genug und Vernunft, aber ich weiß, wie auch jeder meiner spröden Verse und Poesiebrocken es weiß, daß unsere einzige Daseinsberechtigung in der Verlassenheit besteht. Wie das Haupt von einem Meeres-Koloß taucht übergroß der Schädel des Schamlosen auf über der Wellen-Wüste!

Der Migrant, so nenne ich ihn nach seinem Urbild, dem Trojaner, der angeblich auf Götter-Befehl seine Herzliebste verließ, um den Erfinder von Rom zu geben. Auch der meine war ein Irrfahrer, der seine Intelligenz in der Miene, Gebärde, in den Augen, Augenbrauen hatte, während ihm zugleich die größte Torheit aus schön sprechendem Mund schlüpfte.

»Ich habe seit langem keinen Menschen mehr gerne reden gehört«, waren meine ersten Worte an ihn, nachdem er mir vieles von seinem Land und seiner Flucht erzählt hatte.

»Ich ginge gern noch ein Stück weiter mit Ihnen. Es ist alles so, wie Sie sagen. Ich finde keinen Einwand. Ich finde einfach keinen.«

(Und ich dachte: Überleg einmal, wer von deinen Freunden hat eine Art zu sprechen, nach der du dich wirklich sehnst? Die wunderbar ist, bezwingend. Jeder in seiner Art spricht unschön. Es sei denn ein Schauspieler, so ein trompe l’œil von Mensch, auf der Bühne oder im Film, der kann manchmal etwas Begehrenswertes, so wie er spricht, hinzaubern.)

Irgendwo ist deine Sage schon, bist du erzählt vom Anfang bis zum Ende. Der fertigen Geschichte lebst du hinterher.

Zurückzucken ist ein verläßlicher Navigator. Sich sträuben bahnt den richtigen Weg.

Zu Tal! Zu Tal! Zur Mutter zurück und zu den Papierschiffchen aus Silberpapier, die sie so geschickt falten konnte. Und wie es mich freute, noch einmal die Kleine zu sein und wie ein Papierschiffchen zu schaukeln auf den sanften Wellen der beiden endlich Verständigten, Mutter und Kind.

Sprache nur, um zu deuten himmelan des Menschen Schritt, der Tiere Spur: aufwärts.

Ich las ein wißbegieriges Gedicht. Da quoll ein frisches Buch aus dem Bund des aufgeschlagenen.

Richard Kroninger schreibt mir, mein alter Romanistik-Lehrer:

»Es bleibt für den Leser ewig ungewiß, ob er das Schönste, das je geschrieben wurde, bereits gelesen hat oder ob es ihm noch bevorsteht oder ob er es vielleicht in seinem Leben niemals zu Gesicht bekommt.

Wahrscheinlich am ehesten fände man es in Gedichtbüchern, auch solchen unserer Gegenwart, seltener im Deutschen, wo man krampfhaft, als müßte man sich noch immer von Klopstock befreien, das Leichte verehrt, namentlich das Leichte, das schwer zu machen ist und dann doch nicht viel wiegt. Jedenfalls keine Zeile der Achmatowa aufwiegt, keine von Ekelöf, Bonnefoy, Gertrud Kolmar, Aigi — und Dir … Bevorzugt nicht mehr in Sold stehende Worte, Eluard. Worte der vollkommenen Sinnlichkeit, wie keine Haut, kein Körper sie je erregen könnte. Worte, an die man sich lehnt, in sie verloren, wie an eine Mauer im Weinberg.«

Wenn schon allein, dann unter Vorbildern begraben.

3

Die Winteroblate reicht mir Saturn.

Schneewind aus Nordwest, Gestöber. Ist es vollzählig an Flocken wie angeblich der Himmel an Sternen? Wann ist je etwas vollzählig?

Verschwommene Glut im blaugrauen Schneehimmel. Wintersonne.

Da turnen die Vögel und hasten zwischen den Ästen und Sträuchern, als entzöge sich ihnen morgen die Welt, als verschlössen sich Baum und Wiese mit dicker Eiskruste.

Zu tausend heftigen Augenblicken hängen Schlüssel am großen Bund der Literatur. Doch keiner paßt, um die Pforte zur stillen Dauer zu öffnen.

Bruch Sturz Hagel Wetter Blitzschlag. Der Tag stürzt ein. Blinde Würfel sprengen über den Tisch. Mein Liebster ist um ein Hiersein verlegen. Wird gehalten im Zaum von Zäunen.

Laß mich nicht im Regen stehen! … In der Not, im richtigen Ton ist Umgangssprache durch nichts zu überbieten: Laß mich nicht im Regen stehen! Ihre ernste Bitte, sobald er im Gespräch nur einen Schritt tat, sich umzudrehen, nicht einmal sich abzuwenden von ihr.

Zuletzt betreibt das Herz der Enttäuschten ein downsizing jener Stunden, die sie einst überwältigten. Es wird zur Verkleinerungsinstanz von Vorgängen, die es im Glück kaum fassen konnte.

Alles Neue wird schlafendes Altes wecken. Die Zeiten-Schaukel, die Gedächtniswaage. Der Grenz-Wein.

Ein wohlgesetztes Präteritum gehört in meinen Augen zum Verführerischsten, was die Kunst des Erzählens zu bieten hat. Die unwiderstehliche Vergangenheitsform, die den Leser das eigene Vergehen vergessen läßt.

Wer es vollkommen beherrscht, ist ein Seelengeleiter. Mein größter Kummer: Das, was war, regiert bei mir das Leben. Ich bekäme es niemals lupenrein in den Satz.

Wieder und wieder zu denken das noch Rohe, bisher nur roh Gedachte.

Wer denkt, gerät irgendwann unter die Fuchtel des Undenkbaren. Wer schreibt, tut es unterm Eishauch des Unbeschreiblichen.

Sie assimiliere sich ins Freie hinaus, gleiche sich jedem an, bis es niemanden mehr gibt, dem sie nicht gleich wäre. Im Verhältnis dazu ist sich unterscheiden das Kobolzen eines Zwergs.

Dichterin. Empathie-Kranke. Zu jedem Mann spricht sie aus ihm heraus.

Sie befinde sich stets auf der Flucht vor tieferen Einsichten. Sie kenne die meisten, sie brächten nichts Neues. Tiefere Einsichten gibt es seit Menschengedenken. Sie lasse sich nicht von den Fumarolen erloschener Geistesvulkane die Sinne betäuben. Ein einziges bescheidenes Mal habe sie einer Schwäche nachgegeben und einigen tieferen Einsichten freien Lauf gelassen. Und was kam heraus dabei? Ein Haselnußparfait!

Wohin zerfällt das Gewissen, wohin das Wissen, der Wortwille, das Sagen? Zerfällt denn nicht alles zu einem neuen Gesicht? (Vielleicht zu einem, das mich sucht.)

Aufgelöst in den rauchigen herbstblühenden Abend, hinter den Wipfeln schäumt der Sonnenuntergangsfluß … Wie soll ich je wieder fest werden, was hält mich, daß ich nicht mit verschwimme?