Lernende Organisationen - Uwe Vigenschow - E-Book

Lernende Organisationen E-Book

Uwe Vigenschow

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Beschreibung

Systemtheorie, Wissensmanagement, Agilität und erfahrungsbasiertes Lernen unter einem Dach

  • + Zentrales Wertemodell einer lernenden Organisation
  • + Grundlegende Prinzipien und exemplarische Praktiken zur
  • Umsetzung
  • + mit zwei Praxisberichten aus der Industrie

Eine lernende Organisation zeigt sich auf allen Ebenen des Unternehmens, orientiert sich an der Firmenstrategie und durchzieht sowohl mit den Maßnahmen wie in den gelebten Werten das ganze Unternehmen.
Das Buch dient als Leitfaden zur Organisationsentwicklung hin zu einem zukunftssicheren Unternehmen und zeigt Wege zur Umsetzung auf. Der Autor führt die verschiedenen Ansätze aus Innovation und Wissensarbeit, Organisations- und Systemtheorie, Gruppendynamik, Diversität, Agilität und erfahrungsbasiertem Lernen zusammen und bietet ein Wertemodell einer lernenden Organisation, das zwölf grundlegende Prinzipien und 15 zentrale Praktiken beinhaltet. Weiter geht er auf das "Lernen lernen" in Organisationen ein sowie auf typische Risiken bei Kulturveränderung und wie sie umgangen werden können. Zwei Praxisberichte zu "Operational Excellence erreichen" und "Innovationen schaffen" runden das Buch ab. Im Anhang befinden sich thematische Vertiefungen der beschriebenen Konzepte.

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Uwe Vigenschow ist Abteilungsleiter bei Körber Pharma Software. Er ist seit 20 Jahren Führungskraft, Berater, Trainer und Coach in verschiedenen Firmen und Branchen und Experte für Agilität, Leadership, Wissenstransfer, Veränderungsprozesse und den Aufbau flexibler, dynamikrobuster Teams und Abteilungen. Er hat bereits mehrere Bücher u.a. über agiles Projektmanagement, Soft Skills für Ingenieure und Führungskräfte geschrieben wie auch zahlreiche Artikel zu diesen Themen verfasst.

Mit Beiträgen von …

Dr. Andrea Stricker startete nach dem Chemiestudium in Hamburg mit Promotion in der Polymerchemie im Jahr 2000 als Produktentwicklerin bei 3M in Neuss. Es folgten Positionen im technischen Kundenservice, Business Development, Produktsicherheit und Innovationsmanagement. Sie hat dabei für verschiedene Industrien, wie der Druck-, Automobil- und Elektronikindustrie, gearbeitet. Kundennähe, Netzwerke und die Übersicht über die verschiedenen Technologieplattformen bei 3M sind die Schwerpunkte ihrer Arbeit.

(Foto mit freundlicher Genehmigung durch 3M)

Dr. Michele Ceccarelli, Certified Lean Six Sigma Master Black Belt, ist EMEA Operational Excellence Manager bei Rotork in Lucca, Italien. Michele führt konzernweite Operational-Excellence-Programme durch, mit denen er kulturelle Veränderungen fördert und die leitenden Angestellten bei der Anpassung ihrer Führungsaufgaben unterstützt. Dabei erhöht er die Performanz, eliminiert überflüssige Prozessschritte, minimiert Produktqualitätsschwankungen und entwickelt die Fähigkeiten der Mitarbeiter und die Unternehmenskultur weiter. Er ist Autor eines Buches zu Lean Six Sigma und zahlreicher Artikel.

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

www.dpunkt.plus

Uwe Vigenschow

LernendeOrganisationen

Das Management komplexer Aufgaben undStrukturen zukunftssicher gestalten

Mit Beiträgen von Andrea Stricker und Michele Ceccarelli

Uwe Vigenschow

[email protected]

Lektorat: Christa Preisendanz

Copy-Editing: Ursula Zimpfer, Herrenberg

Satz: Uwe Vigenschow

Herstellung: Stefanie Weidner

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print978-3-86490-798-2

PDF978-3-96910-126-1

ePub978-3-96910-127-8

mobi978-3-96910-128-5

1. Auflage 2021

Copyright © 2021 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Hinweis:

Dieses Buch wurde auf PEFC-zertifiziertem Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft gedruckt. Der Umwelt zuliebe verzichten wir zusätzlich auf die Einschweißfolie.

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Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

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Vorwort

Agilität kann doch nicht das Allheilmittel sein, die Silberkugel, die alle unsere Probleme löst. Wie geht es also weiter? Diese Gedanken kamen mir während der Projektarbeit der letzten Jahre. Agilität ist sicher ein zentrales Element einer dynamischen Organisation, doch braucht es mehr. Nur was fehlt?

Im Reflektieren über meine Erfahrungen aus den letzten 20 Jahren als Führungskraft, Berater, Trainer und Coach erkannte ich in der Zusammenarbeit mit anderen Wissensarbeitern verschiedene Muster. Muster, die funktionieren, und solche, die es nicht tun, sogenannte Antipattern. Für ihre Analyse brachte ich verschiedene Wissensstränge zusammen, die ich mehr oder weniger unabhängig voneinander in der Zeit aufgebaut habe. Ein Konzept entstand durch die Leitlinie meiner Arbeit: direkte Arbeit mit den Menschen auf Basis fundierter Methoden.

Eine Analyse der von mir eingesetzten Methoden lieferte eine schwer handhabbare Menge an Ideen, Einflüssen und Techniken. Ein Muster war jedoch erkennbar: Es geht immer wieder darum, in der Zusammenarbeit verschiedene wertvolle Aspekte in eine Balance zu bringen oder diese wieder herzustellen. Das erinnerte mich an das Wertemodell aus dem Agilen Manifest1. So wendete ich die Idee der Wertepaare auf mein Analyseergebnis an und kam analog zu einem Wertemodell, den Werte unterstützenden Prinzipien und konkreten Praktiken, um diese Prinzipien anzuwenden. Dazu nahm ich wieder die grundlegende Literatur von Organisationsentwicklern wie Peter Senge, Ikujirō Nonaka und Hirotaka Takeuchi, Managementvordenkern wie Peter Drucker, Gary Hamel, Henry Mintzberg, Robert Kaplan und David Norton, aber auch Systemtheoretikern wie Gregory Bateson und Niklas Luhmann in die Hand. Im Kontext mit neueren Veröffentlichungen von Lernexperten wie David A. Kolb, Chris Argyris und Donald Schön, Vordenkern des »New Work« wie Frederick Laloux, Markus Väth, Gerhard Wohland und Matthias Wiemeyer sowie etablierten Organisationsexperten wie James March oder Stefan Kühl, die mich in den letzten zehn Jahre inspiriert haben, zeigte sich, wie die unterschiedlichen Konzepte weiterentwickelt wurden. So entstand für mich ein in sich geschlossenes Bild, das meine Erfahrungen beim Auf- und Ausbau von dynamikrobusten und damit zukunftssicheren Organisationseinheiten wiedergibt und für mich ausreichend fundiert ist.

Diese Synthese zeichnet das Buch aus. Mir ist keine Veröffentlichung bekannt, in der versucht wird, die verschiedenen Stränge aus Organisationslehre, Systemtheorie, Wissensmanagement, Agilität und erfahrungsbasiertem Lernen unter einem Dach zusammenzuführen, um ein Modell einer lernende Organisation zu schaffen. So entstand die Idee für dieses Buch.

»Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.« Bei aller Theorie beschreibt dieses Zitat von Johann Wolfgang von Goethe sehr gut, was ich praktisch damit versuche, zu erreichen. Oder wie es im letzten Jahrhundert William McKnight, ehemaliger Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens 3M, sagte: »Wer Zäune um Menschen baut, bekommt Schafe. Geben Sie Menschen den Raum, den sie brauchen!« Es geht darum, mit Menschen in Gruppen und in Teams zu arbeiten. Dabei ist unser Umfeld in den letzten Jahrzehnten durch die Globalisierung und Digitalisierung schrittweise immer komplexer und dynamischer geworden. Die traditionellen Konzepte greifen nicht mehr und Alternativen sind erst am Entstehen. Der Weg kann nur über die Mitarbeiter und Kollegen gehen. Führung bedeutet daher für mich stets, die Mitarbeiter sich weiterentwickeln zu lassen, sie dabei zu unterstützen, neue Türen in noch unbekannte Räume aufzustoßen und so die Flexibilität und Kreativität in einer Abteilung, einem Fachbereich oder einer ganzen Organisation zu entfalten.

Dabei gibt es keine einfachen Lösungen für die komplexen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Oder wie es der amerikanische Autor, Satiriker und Journalist Henry Louis Mencken im Jahr 1921 sagte: »Erklärungen gibt es und hat es seit ewigen Zeiten gegeben; stets weiß man für jedes menschliche Problem eine Lösung – sauber, einleuchtend und falsch.« Die Führungskräfte geben den Mitarbeitern die notwendige Sicherheit und Orientierung, um gemeinsam passende Antworten zu finden. Dabei transformieren sie Irritation in Information, wie Niklas Luhmann es sinngemäß treffend beschreibt2. Bei den Führungskräften liegt für mich der Schlüssel zu einer lernenden Organisation. Weil diese Transformation einer Organisation so komplex und damit kaum planbar ist, können wir uns dabei nur auf unsere Tugenden verlassen. Die Disziplin jeder einzelnen Person innerhalb einer Organisation bildet die Grundlage dafür, kreativ und innovativ zu sein.

Dieser Gedanke führt zu einer Einschränkung: Der Fokus in diesem Buch liegt auf Wissensarbeit. Damit sind Banken, Versicherungen, Beratungshäuser und zahlreiche Dienstleister gemeint sowie die Ingenieurbereiche wie z.B. der Maschinen-, Automobil-, Flugzeug- und Schiffsbau oder die Softwareentwicklung bzw. die Automatisierungsbranche oder die chemische Industrie und Pharmazeutik. Das sind nur einige Beispiele. Überall dort, wo hoch qualifizierte Menschen zusammenarbeiten, um ein komplexes Ergebnis zu schaffen, dominiert die Wissensarbeit. Dieser Teil der Wirtschaft ist bereits riesig und wächst ständig.

Wir wissen bisher nur grob, was uns im 21. Jahrhundert erwartet. Nach John P. Kotter, Professor für Führungsmanagement, ist eine fundamental neue Form von Organisation notwendig und der Begriff Strategie bedarf einer Neudefinition. Lassen Sie sich auf die Reise einstimmen, auf die ich Sie in diesem Buch mitnehmen möchte. Eine Reise auf dem Weg in die lernende Organisation. Und bleiben Sie trotz aller guter Ideen in diesem Buch kritisch, denn »mit nichts ist man freigiebiger als mit Ratschlägen, und mit nichts sollte man zurückhaltender sein«, wie es François de La Rochefoucauld so passend anmerkt.

Hamburg, im November 2020

Uwe Vigenschow

Inhaltsverzeichnis

Scheitern ist Silber, Lernen ist Gold – ein Einstieg

IDie Ausgangslage

1Wir brauchen lernende Organisationen

1.1Ein Lernmodell für Organisationen

1.2Erfolgsfaktoren: Dynamik und Innovation

2Organisationen lernen sich anzupassen

2.1Die fünf Disziplinen

2.2Der Wandel ist in vollem Gange!

IIKonzepte für die lernende Organisation

3Überblick über die Konzepte

4Innovation und Wissensarbeit

4.1Konkurrenz belebt das Geschäft

4.2Innovationen erzeugen Marktdruck

5Organisationstheorie

5.1Organisation – eine Definition

5.2Firmenstrategie und ihre Umsetzung

5.3Ziele, ihre Struktur und Erfolgsgrößen

5.4Wie lernen Organisationen?

5.5Führung in Organisationen

5.6Organisationen entwickeln

6Theorie komplexer Systeme

6.1Komplexe Systeme

6.2Direkte und indirekte Regelkreise

6.3Retrospektive Kohärenz – die Steuerung

7Systemisches Denken

7.1Konstruktivismus und Systemik

7.2Systemgesetze

7.3Bedeutung in der Praxis

8Gruppendynamik

8.2Erkenntnisse aus der Organisationspsychologie

9Agilität

9.1Definition

9.2Rahmen für die Praxis

9.3Regeln zur Entscheidungsfindung

10Werte und Kulturveränderung

10.1Werte im Zusammenspiel

10.2Werte, Kultur und Mindset

11Diversität

11.1Was steckt hinter Diversität?

11.2Der Preis für Diversität

11.3Langfristig wirksame Entscheidungen

12Erfahrungsbasierter Lernprozess

12.1Lernen – Was steckt dahinter?

12.2Vom Wissen zum Können

12.3Lernen in Organisationen

12.4Experiential Learning Theory

13Wissensmanagement

13.1Daten, Informationen und Wissen

13.2Kreislauf des Wissensmanagements

13.3Wissen schaffen im Unternehmen

IIISo funktioniert eine lernende Organisation

14Lernmodell und Werte

14.1Archetyp des Lernmodells

14.2Das Wertesystem

15Prinzipien und Praktiken

15.1Grundlegende Prinzipien

15.2Zentrale Praktiken

16Die vernetzten Konzepte

16.1Ziele – das Führungskonzept

16.2Rhythmus – das Steuerungskonzept

16.3Miteinander reden – der Kommunikationsplan

16.4Experiential Learning – das Lernkonzept

16.5Werte vermitteln – Personalentwicklung

16.6Beratung – das Kontrollkonzept

16.7Kultur – das Wissensmanagementkonzept

16.8Exzellenz – das Erfolgskonzept

16.9Verantwortlichkeiten – das Rollenkonzept

16.10Supervision – das Metakonzept

17Ziele einer lernenden Organisation

17.1Universelle Lernziele

17.2Lernziele durch Lernpläne erreichen

17.3Nutzen und Wert ermitteln

18Lernen lernen in Organisationen

18.1Lernen in drei Dimensionen

18.2Die drei Stufen des Lernens in Organisationen

18.3Ethische Höchstleitung

18.4Veränderungen gestalten lernen

19Risiken einer lernenden Organisation

19.1Typische Risiken für den Lernprozess

19.2Typische Risiken für die Organisation

20Learning on Demand

20.1Was bedeutet Lernen bei Bedarf?

20.2Vier schlanke Beispiele

20.3Ein umfassendes Beispiel

IVPraxisberichte

21Praxisbericht: Operational Excellence erreichen

21.1Veränderung und Führung

21.2Menschen, Leadership und Verantwortung

21.3Engagement führt zu Performanz

22Praxisbericht: Innovationen schaffen

22.1Wie alles begann

22.2Was bedeutet das heute?

22.3Flexibel und fokussiert bleiben

VWie kann es weitergehen?

23Wie sieht der Anfang aus?

23.1Erste Maßnahmen

23.2Aus dem Lernen ein Lernprojekt machen

24Sinnhaftes, selbstbestimmtes Arbeiten

24.1New Work

24.2Ein kurzer Blick in die Zukunft

VIAnhang

Thematische Vertiefungen

Danksagung

Referenzen

Index

Scheitern ist Silber, Lernen ist Gold

Gebe ich als Suchbegriff bei Google scheitern ein, wird mir auf der ersten Seite eine bunte Sammlung von Artikeln angezeigt, die sich mehr oder weniger darum drehen, wie wichtig Scheitern für den wirtschaftlichen Erfolg ist. Da geht es um die Kunst des Scheiterns, Scheitern als Normalfall, das falsche Verhältnis zum Versagen, Scheitern als Chance usw. Aber mal im Ernst: Scheitern fühlt sich einfach nicht gut an. Warum dann der ganze Hype um das Scheitern?

Fehler begehen oder gar Scheitern alleine nützt gar nichts. Daraus zu lernen, ist die entscheidende Kernkompetenz! Doch wie funktioniert es, in einer Gruppe oder Organisation zu lernen?3

Kulturveränderung

In vielen dieser Artikel geht es eher darum, dass insbesondere in unserem Kulturkreis eine destruktive Fehlerkultur herrscht. Aus Angst vor Fehlern wird lieber gar nichts gemacht und erst recht nichts entschieden bzw. Verantwortung übernommen. Fehler kommen im traditionellen Management nicht vor und Planungsabweichungen machen einfach nur Arbeit. Hier ist ein Umdenken sicherlich dringend angebracht.

Was ist ein Fehler? Jemand macht einen Fehler, wenn er wider besseres Wissen handelt. Solange man in einer konkreten Situation kein Wissen hat bzw. sich aus der Literatur, über Berater oder andere Experten keines aneignen kann, begibt man sich in eine Lernschleife. In solch einer Situation kann man keinen Fehler machen!

Dazu ein Beispiel zur Illustration: Solange jemand keine Erfahrung im Lösen von Differenzialgleichungen hat, gehören Fehler noch zum Lernprozess. Einem Auszubildenden lässt sich schlecht vorwerfen, dass er eine zu lernende Vorgehensweise noch nicht kann. Wenn jemand jedoch das Lösen von Differenzialgleichungen gelernt hat, wäre ein Fehler, der dabei gemacht wird, ein echter Fehler. Natürlich ist es durchaus wertvoll, herauszufinden, warum es zu dem Fehler gekommen ist. Doch damit ist bereits im Lernprozess die nächsthöhere Ebene erreicht.

Mir geht es in diesem Buch um den notwendigen Folgeschritt: das Lernen. Nur zu einem konstruktiven Umgang mit Fehlern zu kommen, bringt einen letzten Endes nicht weiter. Es gilt, aus ihnen zu lernen, um die Fehler konstruktiv zu nutzen. Doch was bedeutet es eigentlich, zu lernen? Und selbst wenn der Einzelne lernt, wie lernen Teams oder gar eine Organisation? Bereits 1990 hat Peter Senge zu dem Thema die erste Auflage seines Klassikers Die fünfte Disziplin herausgebracht [Senge 2017]4. Er war damit seiner Zeit voraus und hat Lösungswege aufgezeigt, die im Wesentlichen immer noch gültig sind. Doch wie verhält es sich 30 Jahre später mit der Lernfähigkeit von Organisationen? Warum ist das überhaupt noch ein Thema? Zum einen findet sich zu selten eine konstruktive Fehlerkultur in Organisationen. Zum anderen ist Lernen ein komplizierter Prozess.

Wie funktioniert Lernen?

Es gibt keine einheitliche Definition des Lernens. Meist werden damit »relativ überdauernde Änderungen der Verhaltensmöglichkeiten bezeichnet, soweit sie auf Erfahrungen zurückgehen« [Arnold u.a. 2007]. Der Lerntheoretiker und emeritierte Professor David A. Kolb bringt seine Definition von Lernen stärker auf den Punkt: »Learning is the process whereby knowledge is created through the transformation of experience« [Kolb 2015]. Lernen erzeugt Wissen und basiert auf Erfahrung. Das kann bewusst oder unbewusst erfolgen und mehr oder weniger gut beschreibbar oder messbar ablaufen.

Lernen ist ein Prozess und damit in seinem Ergebnis von den Rahmen- und Umweltbedingungen abhängig. Lernen ist mit der Wahrnehmung und Bewertung der Umwelt verbunden, der Verknüpfung mit Bekanntem und dem Erkennen von Mustern [Schräder 2007; Zimbardo und Gerrig 1999]. Zu Beginn eines Lernprozesses stehen alle Beteiligten auf ihrem individuellen Niveau an Erfahrung und Fertigkeiten. Nach dem Lernprozess hat sich dieses Niveau individuell verändert.

Menschen lernen, sobald sie auf der Welt sind [Zimbardo und Gerrig 1999]. Menschen sind Lernmaschinen. Leider hängt es von den inneren und äußeren Parametern ab, was ein Mensch in einem Lernprozess wirklich für sich lernt. Und das ist nicht immer das vom Lehrenden Gewünschte. In einem Unternehmen mit einer eher destruktiven Fehlerkultur, in der jegliche Abweichung vom Plan sofort sanktioniert wird, indem der Überbringer schlechter Nachrichten unabhängig von den Zusammenhängen zum Schuldigen erkoren wird, lernen Mitarbeiter schnell, unbemerkt mit der Gruppe mit zu schwimmen, auf keinen Fall alleine Verantwortung zu übernehmen und bei Problemen ggf. wegzuschauen. Wohin das schlimmstenfalls führen kann, zeigen die Abgasskandale in der Automobilindustrie der letzten Zeit.

Der Lernprozess

Wenn Fehler als Chance zum Lernen begriffen werden, können die Dinge gelernt werden, die ein Individuum, Team und eine Organisation weiterbringen. Ein Lernprozess benötigt daher auch die entsprechende Unternehmenskultur, die ein solches Lernen nicht nur zulässt, sondern einfordert und fördert. Hier sind die Führungskräfte als Gestalter und Vorbilder gefragt [Vigenschow u.a. 2016].

Auch in einer entsprechenden Kultur läuft nur wenig von alleine. Ein expliziter Lernprozess muss daher entsprechend gestaltet sein. David Kolb hat dafür den Experiential Learning Cycle entwickelt (Abb. 1).

Abbildung 1: Experiential Learning Cycle [Kolb 2015]

Dabei werden in den Zyklus immer wieder die beiden zusammenwirkenden Gegenspieler Handlung-Reflektion (horizontaler Bezug Erfahrung umwandeln in Abb. 1) und Erfahrung-Abstraktion (vertikaler Bezug Erfahrung verstehen in Abb. 1) durchlaufen [Kolb 2015]. Es geht also in dem Kreislauf darum, Erfahrungen zu verstehen und durch deren Transformation zu neuen Ideen zu gelangen. Der Antropologe und Systemtheoretiker Gregory Bateson bezeichnet diese Ebene als Lernen 2. Ordnung: Menschen lernen zu lernen. Auf dieser Ebene liegt auch die Basis für eine lernende Organisation.

Lerntypologie nach Gregory Bateson

Man kann nicht nicht lernen [Simon 2007]. Selbst wenn man aus dem Erleben einer problematischen Situation keine neuen Denk- oder Verhaltensweisen ableitet, hat man gelernt, gleiche Muster zu wiederholen. Diese Muster sind in destruktiven Fehlerkulturen z.B. das In-Deckung-Gehen vor und das starre Aushalten der Schelte vom Chef. Gregory Bateson bezeichnet diese Fähigkeit, bestimmten Situationen immer wieder mit denselben Mustern zu begegnen, als Lernen 0.

Mit Lernen I (Lernen 1. Ordnung) bezeichnet Bateson das klassische schulische Lernen, indem ein definierter Lernstoff den Schülern vom Lehrer vermittelt wird. Wer lernt, wie er lernt, hat bereits einen Teil von Lernen II erreicht. Das Lernen 2. Ordnung beinhaltet des Weiteren noch das Verstehen der Zusammenhänge und Herausbilden eigener Sichtweisen. Außerdem wird das Gelernte und auch der Lernprozess mit den Werten in Beziehung gebracht. Die eigene Lebens- und Praxiserfahrung wird damit als zusätzliche Ressource nutzbar.

Lernen III kann als Persönlichkeitsentwicklung betrachtet werden, in der Sichtweisen entwickelt und verändert werden und auch dieser Veränderungsprozess bewusst gelernt wird. Mit Lernen IV wird eine Ebene erreicht, die kein einzelnes Lebewesen mehr erreichen kann, sondern in der der Evolutionsprozess selbst als lernfähige Einheit betrachtet wird [Bateson 1981].

Lernende Organisation

Warum braucht es eine lernende Organisation? Zum einen bedarf es einer hohen Flexibilität, um neue Ideen zu generieren und auf Ideen von Konkurrenten, über die sie auf den Markt Druck ausüben, schnell reagieren zu können. Flexibilität wird benötigt, um immer wieder zügig neue Technologien, Vorgehensweisen usw. zu lernen, da immer häufiger komplexe Projekte zu bewältigen sind. Diese unterscheiden sich von komplizierten Projekten dadurch, dass sie nicht wirklich planbar sind, und daher iterativ vorgegangen wird. Die Iterationen haben dabei den Charakter einer Lernschleife.

Es ist daher unvermeidlich, Organisationen lernfähig zu machen, um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das Topmanagement steht dabei in der Verantwortung, durch sein eigenes Vorbild und Handeln eine konstruktive Fehlerkultur zu ermöglichen. Doch was bedeutet das für die einzelnen Abteilungen und Teams? Gerade die mittlere Führungsebene ist der Schlüssel zum Erfolg. Teams benötigen, um lernende Organisationseinheiten zu werden, drei Dinge: Vertrauen, Freiräume und Moderation.

Die Teammitglieder können bei der Bewältigung komplexer Aufgaben das Vertrauen ihrer Kollegen und Führungskräfte in ihre Arbeit genießen. Ich gehe davon aus, dass jeder gemäß seinen Möglichkeiten und unter den äußeren Rahmenbedingungen sein Bestmögliches geben wird. Ich bin immer wieder überwältigt, wie viele Menschen ein in sie gesetztes Vertrauen bestätigen. Vertrauen bildet den Rahmen dafür, dass sich Mitarbeiter eigenverantwortlich einbringen und motiviert bleiben [Sprenger 2007]. Dieses Vertrauen kommt von den Führungskräften! Deren Rolle ist es, über inhaltliche Visionen und Ziele sowie Randbedingungen und grundsätzliche Regeln den Raum und die Leitplanken zu schaffen, in dem bzw. zwischen denen sich die Organisation durch Lernen weiterentwickeln kann.

Lernen benötigt Zeit und Lernschleifen erst recht. Auch komplexe Projekte profitieren von einer iterativen Planung, selbst wenn man weiß, dass sich viele Aufgaben nicht wirklich planen lassen, weil sie zu viele unvorhersehbare Überraschungen beinhalten. Auch das benötigt Zeit, ebenso wie das erneute Ansetzen einer weiteren Lernschleife. Je nach Komplexität des Projekts braucht es dafür unterschiedlich große Freiräume im Sinne nicht verplanter Zeit bzw. Kapazität. Ein komplexes Projekt kann daher nicht effizient ablaufen, aber effektiv im Sinne des Ergebnisses und seiner Bewertung durch den Kunden. Ohne ausreichende Freiräume kann kein Lernen erfolgen, das über das Lernen des Individuums hinausgeht.

Moderation bedeutet hierbei, nicht nur Meetings zu organisieren und durchzuführen, sondern vielmehr verantwortlich für den Lernprozess zu sein. Im Lernen 1. Ordnung hätte diese Rolle der Lehrer inne. Ab dem Lernen 2. Ordnung, und dabei geht es bei einer lernenden Organisation, kann es keinen Lehrer geben, der die Lösungswege bereits kennt. Daher ist eine Moderation bzw. Begleitung notwendig, die das Lernen ab der 2. Ordnung mit dem Team gestaltet und die Verantwortung für den Lernprozess trägt. Eine Moderator*in ist also die Prozessexpert*in, während das Team aus den Lösungsexperten besteht. Wenn bereits qualifizierte Moderator*innen in einer Organisation vorhanden sind, können diese dafür eingesetzt werden. Anderenfalls werden geeignete externe Personen hinzugezogen.

Systemik

Der Lernprozess selbst kann als entwicklungsfokussiertes Lernen gesehen werden, wobei es ebenso um die Entwicklung der einzelnen Personen wie auch um die Entwicklung von Organisationseinheiten und die Gestaltung des Lernprozesses selbst geht. Damit wird Lernen zu einem Veränderungsprozess, der von einer in solchen Prozessen und systemischen Grundlagen erfahrenen Person begleitet wird. Die systemische Ordnung in Gruppen ist dabei ebenso von zentraler Bedeutung wie der Dreiklang aus Bindung (Zugehörigkeit), Ordnung und Ausgleich. Aus dem Zusammenspiel dieser drei Aspekte ergeben sich systemische Grundregeln für das Verhalten von Menschen in Gruppen. Ursachen für Probleme und ihre sichtbaren Auswirkungen können dabei auf verschiedenen Ebenen liegen (Abb. 2) [Vigenschow u.a. 2016].

Abbildung 2: Das Zusammenspiel aus Bindung (Zugehörigkeit), Ordnung und Ausgleich [Vigenschow u.a. 2016]

Damit aus dem Lernprozess über das Wissen und dessen Anwendung ein praxisrelevantes Können bei jedem einzelnen Teammitglied aufgebaut werden kann, läuft der Lernprozess parallel zur Bewältigung des komplexen Vorhabens ab. Das Lernen ist damit am Thema und am fachlichen Ergebnis orientiert. Es wird das gelernt, was eine Gruppe zur Bewältigung der Aufgaben benötigt. Damit wird ein Team mit der Zeit flexibler und lernt, im Kontext der Organisation zu lernen.

Agilität und Lernen

Da agile Verfahren dafür geschaffen wurden, um mit ihnen komplexe Aufgaben zu bewältigen, sollte es eine enge Beziehung zwischen der hier dargestellten Lerntheorie, lernenden Organisationen und Agilität geben. Am Beispiel Scrum wird dies schnell deutlich. Der Inspect-and-adapt-Regelkreis aus Abbildung 3 ist ein vereinfachter Lernprozess, wie er in Abbildung 1 dargestellt ist [Sutherland und Schwaber 2017]. Die oben benannte Rolle der Moderator*in ist der Scrum Master.

Abbildung 3: Regelkreis nach Scrum: Inspect and adapt inkl. der notwendigen Retrospektive [Vigenschow 2015]

Agile Verfahren sind adaptive Verfahren, die um einen Lernprozess herum aufgebaut sind. Das zentrale Schlüsselelement des Lernens ist die rückblickende Reflektion, die auch in Abbildung 1 dargestellt ist. In agilen Vorgehensweisen wird dies durch die regelmäßigen Retrospektiven erreicht [Derby und Larsen 2006; Kerth 2005]. Das ganze Team nutzt diese Meetings am Ende jeder Iteration, um auf den Projektverlauf und die Zusammenarbeit zurückzublicken, auftretende Muster zu erkennen, daraus Erkenntnisse abzuleiten und kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zu initiieren. So kann bereits der Verlauf der nächsten Iteration weiter verbessert werden [Vigenschow 2015].

Das Mittel der Retrospektive kann universell eingesetzt werden, um den Lernprozess aus Abbildung 1 zu ermöglichen (reflektierendes Beobachten). Unterstützt wird der Lernprozess durch die Planung der nächsten Iteration (Konzept), ihre Umsetzung (experimentieren und Erfahrungen machen). In der Retrospektive versucht ein Team die Erfahrungen zu verstehen und erst in neues Wissen und dann durch das praktische Ausprobieren in der Folgeiteration in Können umzuwandeln.

Dieser Lernprozess wird auf jeder Hierarchieebene von Teams über Abteilungen zu Bereichen bis in die Geschäftsführung aufgesetzt. Für den iterativen Lernprozess auf jeder Ebene ist es unwichtig, ob alle Iterationen aufeinander abgestimmt sind. Auch dieses Prozessdetail unterliegt den Erfahrungen aus dem Lernprozess. Das bedeutet, dass es auf jeder Ebene, Vertrauen, Freiräume und Moderator*innen gibt. Das klingt aufwendig, ist es auch und gleichzeitig ist das der Weg, eine lernende Organisation zu schaffen und die Flexibilität zu erhöhen.

Retrospektive Kohärenz

Warum ist die Retrospektive ein so zentrales Element in Regelkreisen und damit auch im Lernprozess selbst? Damit das Lernen durch Ausprobieren in komplexen Situationen kein planloses Herumstochern im Nebel wird, sondern ein Team gezielt weiterbringt, benötigt es innerhalb des Lernprozesses feste Orientierungsphasen, in denen es den aktuellen Zustand bewertet und Veränderungsideen entwickelt. Dies erfolgt in regelmäßigen Intervallen in Form einer Retrospektive.

In einem komplexen System können die Wirkungen einer Ursache nicht deterministisch vorhergesagt werden. Dies definiert ja gerade Komplexität. Es kann nur jeweils im Nachhinein erkannt werden, welche Idee wie funktioniert hat. Derartige Erkenntnisgewinne können nur rückblickend herausgezogen werden. Das Verhalten eines komplexen Systems wird allein im Rückblick kohärent. Dies bezieht sich nicht nur auf das Gesamtsystem als Ganzes, sondern im Gegenteil primär auf einzelne Aspekte des Systems. Daher ist die Retrospektive eine Maßnahme, die regelmäßig parallel zu den laufenden Prozessen in einem System durchgeführt wird.

Dieser Weg des Erkenntnisgewinns heißt daher retrospektive Kohärenz. Für die Optimierung von Abläufen oder anderen Veränderungen in komplexen Systemen ist daher der rückblickende Erkenntnisgewinn die einzige Möglichkeit, Erklärungen und Zusammenhänge für ein spezifisches komplexes System zu erkennen. Diese Retrospektiven müssen, damit sie auch wirklich durchgeführt werden, von vornherein regelmäßig eingeplant werden, denn nur rückblickend wird ein bewusstes Lernen möglich.

Sind Fehler zum Lernen notwendig?

Lassen Sie mich zum Abschluss dieser Einführung auf die Eingangsfrage zurückkommen. Je komplexer, also weniger planbarer, ein Vorhaben ist, desto weniger lassen sich Lernschleifen durch Scheitern vermeiden. Wenn etwas nicht vorab geplant werden kann, bleibt nichts anderes übrig, als verschiedene Ideen und Ansätze auszuprobieren. Um komplexe Vorhaben zu bewältigen, braucht es daher iterative Prozesse. Echte Fehler, also Handlungen wider besseres Wissen, können so vermieden werden. Notwendige Lernschleifen jedoch nicht.

Die Kunst besteht darin, diese Lernschleifen so zu gestalten, dass sie das Vorhaben nicht wirtschaftlich gefährden. So beginnt der Weg zu einer dauerhaft lernenden Organisation, die sich immer wieder neu erfindet und dabei kreative Produkte schafft, die Konkurrenten unter Zugzwang setzen und Kunden zufriedenstellen.

Teil I

Die Ausgangslage

Immer mehr Unternehmen haben komplexe Aufgaben zu lösen. Wo stehen diese Unternehmen im Jahr 2020? Wir befinden uns in einer Phase des Umbruchs. Die Modelle und Konzepte des 20. Jahrhunderts passen nicht mehr zu den Herausforderungen, denen sich die Unternehmen im 21. Jahrhundert stellen müssen. Was waren die Treiber in ihren Geschäftsmodellen und was werden die zukünftigen Treiber sein?

In diesem Teil des Buchs werden die Zusammenhänge am Ausgang des 20. Jahrhunderts und die Veränderungen der letzten 20 Jahre analysiert. Die hohe Dynamik in den Veränderungen der Rahmenbedingungen und der Druck, der aus Innovationen entsteht, führen dazu, auch die Organisationen flexibler aufzustellen. Meine These dazu lautet, dass der zentrale Erfolgsfaktor dafür die Fähigkeit ist, eine lernende Organisation zu schaffen. Nur so kann die notwendige Flexibilität und Kreativität erreicht werden.

1Wir brauchen lernende Organisationen

Warum sollten Sie ein Buch über lernende Organisationen lesen? Ist eine agile Organisation nicht automatisch auch eine lernende Organisation? Und über Agilität gibt es doch bereits zahlreiche Veröffentlichungen.

Da Agilität der Weg ist, komplexe Aufgaben zu bewältigen, lernen agile Teams im Laufe eines Projekts eine Menge. Sie sind gezwungen zu lernen, um die Aufgabe bewältigen zu können.

Agilität ist daher notwendig für eine lernende Organisation, jedoch nicht hinreichend. Die Herkunft der Agilität liegt im Projektmanagement. Der Fokus ist klar und verglichen mit den strategischen Themen einer Organisation eher kurzfristig. Ein Projekt ist auf den Projekterfolg ausgerichtet. Wenn wir das auf eine Organisation übertragen, bleiben Fragen offen. Welche Ziele sollen auf der Ebene einer Organisation erreicht werden? Was soll bei deren Verfolgung genau gelernt werden? Wie können agile Teams überhaupt lernen? Wie wird das erlernte Wissen geteilt? Wie kann eine ganze Organisation lernen und welchen Nutzen hat sie davon? Wie gelingt der Kulturwandel hin zu einer agilen und darauf aufbauenden, lernenden Organisation?

1.1Ein Lernmodell für Organisationen

Die zentrale Aufgabe einer Organisation ist nicht die Entwicklung einer erfolgreichen Strategie, sondern deren Umsetzung. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Hier geht es um Innovationen. Diese können Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen betreffen.

Wenn eine Organisation lernen möchte, wie ihre Strategie erfolgreich umgesetzt wird, geht das weit über Agilität hinaus. Seit Peter Senges Grundlagenwerk zu lernenden Organisationen aus dem Jahr 1990 [Senge 2017] ist klar, dass die Systemtheorie und systemisches Denken sowie Gruppendynamik die Basis bilden. Aus der Organisationstheorie nach James March ist bekannt, dass Organisationen erfahrungsbasiert lernen [March 2016]. Ein erfahrungsbasiertes Lernkonzept ist von David A. Kolb seit den 1970er-Jahren kontinuierlich entwickelt und 2015 zur Reife gebracht worden [Kolb 2015]. Wissensarbeit im Sinne von Peter Drucker ist dabei ebenso elementar wie Wissensmanagement nach Hirotaka Takeuchi und Ikujirō Nonaka. Agilität und Organisationsentwicklung runden diese Sammlung ab.

Aus diesen Bausteinen setzt sich zusammen, was eine lernende Organisation ausmacht und wie sie entwickelt werden kann. In meinem Lernmodell für Organisationen, das später ausführlich dargestellt wird, werden diese Konzepte miteinander vernetzt. Ein Rollenmodell mit definierten Aufgaben bildet das Gerüst für seine Umsetzung. Machen Sie sich und Ihre Organisation fit für eine Zukunft, die längst begonnen hat.

1.2Erfolgsfaktoren: Dynamik und Innovation

Warum sind eine lernende Organisation, Agilität und das Management von Komplexität heute so angesagte Themen? Es hat sich doch eigentlich in den letzten 20–30 Jahren nicht viel in der Arbeitswelt verändert. Weshalb weisen zahlreiche Veröffentlichungen darauf hin, dass heute vieles von dem, was die Menschen bislang in ihrem Berufsleben erfolgreich gemacht haben, auf einmal nicht mehr sinnvoll sein soll? Was hat sich verändert?

Für viele kaum merkbar haben sich die Rahmenbedingungen drastisch verändert. Unter dem Oberbegriff der Globalisierung hat sich in der Wirtschaft ein grundsätzlicher Wandel vollzogen. Diese Veränderung hat eine Dynamik zur Folge, die sich fundamental auf die Arbeitswelt auswirkt, natürlich nicht auf jeden Arbeitsplatz gleichermaßen und von Branche zu Branche unterschiedlich. Und dennoch wirkt sich diese Veränderung auf Firmenkultur, Arbeitsweisen, Strukturen und Führung in zum Teil radikaler Weise aus. Zu erkennen ist diese Veränderung in der Zunahme der Komplexität, mit der es die Menschen in Organisationen zu tun haben. Dabei stoßen viele der bewährten Managementkonzepte an ihre Grenzen, da sie nur für gut vorab planbare, aber nicht für komplexe Verhältnisse funktionieren. Andere Handlungsstrategien und Konzepte sind dafür wirkungsvoller [Wohland und Wiemeyer 2012].

Bevor es tiefer in das Thema lernende Organisation geht, lassen Sie mich einen Blick darauf werfen, warum die Globalisierung eine solche Auswirkung haben konnte. Dabei setze ich sie als Rahmenbedingung voraus und bewerte nicht ihre politischen oder sozialen Auswirkungen, sondern nur ihre Konsequenzen hinsichtlich der Zunahme komplexer Aufgaben in der Arbeitswelt.

1.2.1Die Taylor-Wanne

Wenn ich auf die letzten 150 Jahre zurückblicke und die dominierenden Wirtschaftsstrategien betrachte, lassen sich um 1900 und 2000 vergleichbare Verdrängungseffekte erkennen (Abb. 1.1). Der erste Effekt Anfang des 20. Jahrhunderts ist unter dem Namen Taylorismus bzw. treffender als Scientific Management bekannt. Er beginnt am Übergang von der handwerklichen Manufaktur zur industriellen Massenproduktion. Ermöglicht wurde dieser Wechsel im Wesentlichen durch Erfindung von dampf-, dieseloder elektrisch betriebenen Produktionsmaschinen und einer durch Eisenbahn und Dampfschifffahrt sprunghaft verbesserten Logistik [Wohland und Wiemeyer 2012].

Abbildung 1.1: Die Taylor-Wanne – die führenden Wirtschaftsstrategien einst und jetzt [Wohland und Wiemeyer 2012]

Der amerikanische Ingenieur Frederick Taylor erkannte diesen Umbruch und die damit verbundenen Möglichkeiten. Der vielseitig gebildete, metallurgische Forscher und spätere Unternehmensberater begründete das Scientific Management. Nach ihm wurde das Konzept der industriellen Fertigung später auch als Taylorismus bezeichnet.

1.2.2Scientific Management

Um zu verstehen, was das Besondere am Scientific Management war, geht es noch etwas weiter in die Vergangenheit zurück. Zu Zeiten der durch Handwerksbetriebe geprägten Manufaktur waren die Märkte überwiegend lokal begrenzt, da die Transportkosten vergleichsweise hoch waren und die handwerkliche Fertigung eher individuellen Charakter hatte. Auch waren nationale oder gar internationale Standards, die eine Austauschbarkeit von Waren erleichtern, noch nicht ausreichend vorhanden.

Die Handwerker waren hoch qualifiziert und in der Lage, alle notwendigen Produktionsschritte selbst bzw. in ihrer Werkstatt auszuführen. Vieles entstand nach Maß bzw. wurde individuell gefertigt. Auch wenn eine gewisse Planbarkeit und Vorhersehbarkeit gegeben war, so war die Qualifikation der Handwerker deutlich höher als die der Arbeiter im frühen 20. Jahrhundert und damit auch die Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben (Abb. 1.1, links). Die einzelnen Handwerksberufe waren seit dem Mittelalter durch Zusammenschlüsse in Zünften geschützt und intern geregelt. Die Märkte waren lokal begrenzt und Methoden sowie Werkzeuge waren gut daran angepasst.

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden durch die vereinfachten und verbilligten Transportmöglichkeiten völlig neue Märkte, die fast beliebig aufnahmefähig für billige Massengüter waren. Die Manufakturen waren jedoch nicht in der Lage, die Nachfrage dieser Massenmärkte zu befriedigen. Eine Manufaktur kann dafür u.a. aufgrund fehlender Handwerker nicht ausreichend skalieren. Hier kommt nun Taylors Konzept zum Tragen. Es markiert den Übergang von der Manufaktur- zur Fabrikorganisation und basiert auf fünf Grundsätzen [Taylor und Wallichs 2007]:

Ein großes tägliches Arbeitspensum

Gleichmäßigkeit und geregelte Arbeitsbedingungen

Hohe Löhne bei hoher Arbeitsleistung

Einbuße an Lohn bei Minderleistung

Wenn das System bereits erfolgreich eingeführt wurde: Das tägliche Arbeitspensum wird so hoch bemessen, dass es nur durch einen erstklassigen Arbeiter vollbracht werden kann.

Damit wollte Taylor die Arbeiter zur vollständigen Erbringung ihrer Arbeitsleistung bewegen. Dabei ging es ihm durchaus um die Gleichwertigkeit der Ansprüche der Unternehmer und der arbeitenden Gesellschaftsschichten. Durch die Planbarkeit und Messbarkeit sah er eine sinnvolle Basis, um Konflikte zu entschärfen. Für ihn war Arbeit Arbeit und Freizeit Freizeit und beide hatten für ihn keinen direkten Bezug zueinander. Diese Einstellung ist auch an den sechs Prinzipien zu erkennen, auf denen seine Methoden basieren [Taylor und Wallichs 2007]:

Vollständige Kontrolle und Steuerung: Die externen Schnittstellen wie z.B. durch Zulieferer und die internen Prozesse eines Unternehmens können berechnet und beherrscht werden.

Management und Umsetzung: Die Arbeit kann in ausführende und planende Arbeit getrennt werden.

Spezialisierung und Zentralisierung: Die Arbeiter und Maschinen erfüllen lediglich einzelne Funktionen, die sich zentral planen und steuern lassen.

Die beste Art und Weise zur Ausführung eines Arbeitsschrittes kann anhand wissenschaftlicher Methoden ermittelt werden.

Die notwendigen Arbeitsabläufe, um ein Produkt zu fertigen, bestehen aus einer definierten Abfolge von Ausführungsschritten.

Menschen arbeiten lediglich, um Geld zu verdienen.

Diese Prinzipien berücksichtigen realistische Störungen wie Verspätungen, Krankheit oder produzierten Ausschuss nicht weiter, sodass bei der Umsetzung z.B. ein deutlich aufwendigerer bürokratischer Überwachungsprozess und zusätzliche Reserven berücksichtigt werden müssen als vorher. Dennoch war das Scientific Management im 20. Jahrhundert anderen Organisationsformen überlegen und setzte sich bereits in kurzer Zeit in den Industrienationen durch (Abb. 1.1 in der Mitte).

Beflügelt wurde das Scientific Management durch eine Entwicklung aus dem Automobilbau: Henry Ford perfektionierte die von Ransom Olds eingeführte Fließbandproduktion. Die Trennung der Arbeitsschritte konnte nun auf einzelne Handgriffe reduziert werden. Damit einher ging die dramatische Reduktion der Komplexität in den Produktionsprozessen, die durch angelernte Arbeiter durchgeführt werden konnten. Gleichzeitig wuchs die Produktivität innerhalb weniger Jahrzehnte um das Fünfzigfache [Drucker 1999].

1.2.3Globalisierung schafft Enge

Bis in die 1990er-Jahre waren die auf dem Scientific Management basierenden Organisationsformen enorm erfolgreich. Auch das von Taiichi Ohno entwickelte Toyota-Produktionssystem, auf dem die Konzepte von Kanban, Just-in-Time-Produktion und Kaizen basieren und mit dem Toyota seit den 1960er-Jahren die Produktionsverfahren nicht nur im Automobilbau revolutionierte, ist im Kern tayloristisch. Aufgrund der Verfügbarkeit hochwertig ausgebildeter Arbeiter konnte ein Teil der Verantwortung wieder vom Management an die Arbeiter zurückfließen. Oberstes Ziel ist aber weiterhin der konstante Produktionsfluss [Ohno 1993].

Die Wende kam in den 1990er-Jahren, als die wichtigsten Märkte global wurden und damit kurze Zeit später an ihre Grenzen stießen. Es veränderten sich die Rahmenbedingungen. Die schnell wachsenden Unternehmen können nicht mehr weiter wachsen und erfahren einen bislang unbekannten Marktdruck durch dynamische Unternehmen, die sich schneller an diese Veränderungen anpassen. Diese dynamischen Unternehmen verdrängen mehr und mehr die trägeren Organisationen. Durch die Enge haben trägere Unternehmen keine Ausweichmöglichkeit mehr für ihr Wachstum.

Was macht die Trägheit einiger Unternehmen aus und was die Dynamik anderer? Flexible Unternehmen überraschen weniger flexible mit neuen Ideen! Der Marktdruck entsteht wie bereits 100 Jahre vorher durch Konkurrenten, die eine Idee haben, wie sie mit veränderten Rahmenbedingungen sinnvoll umgehen können.

Diese Erkenntnis ist wichtig: Marktdruck entsteht durch innovative Ideen der Konkurrenten und nicht durch die Kunden bzw. Käuferinnen. Daher trägt auch Marktforschung, die die Kunden im Fokus hat, nichts zur Lösung dieses Problems bei. Die Kunden kennen nur, was es bereits gibt. Auf Henry Ford soll das bekannte Zitat zurückgehen: »Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.« Innovation kommt entweder aus dem eigenen Unternehmen oder von der Konkurrenz.

Dynamische Unternehmen, die Marktdruck erzeugen wollen, erhöhen die Komplexität der Arbeit, um reaktionsfähiger zu werden und neue Ideen im direkten Kontakt mit dem Markt zu entwickeln und auszuprobieren. In Abbildung 1.1 ist rechts der erneute Anstieg der Komplexität für eher dynamische Unternehmen zu sehen. Doch was genau macht den Marktdruck dynamischer Unternehmen aus? Sie reagieren schneller und hochwertiger auf Veränderungen der Rahmenbedingungen bzw. schaffen durch innovative Ideen neue Rahmenbedingungen. Eher träge Unternehmen geraten damit unter Zugzwang. Für die Lösung der dadurch entstehenden Probleme benötigen sie jedoch andere Methoden und Strukturen, als die, mit denen sie bislang erfolgreich am Markt agiert haben.

Prominente Beispiele gibt es viele: So hat z.B. der Handymarkt bereits mehrere solche Phasen durchlaufen, wobei ehemalige Marktführer innerhalb kurzer Zeit vor riesige Probleme gestellt wurden. So wurde Siemens u.a. durch den Trend zu Klapphandys überrascht und ist in der Folge vor Jahren aus dem damaligen Markt ausgeschieden. Noch fundamentaler war der Einstieg von Apple in den Smartphone-Bereich. Hier lagen die innovativen Ideen weniger in der Hardware, sondern in der Bedienung und im Design. Als großer Gegenspieler ist Samsung aktiv, ein dynamisches Unternehmen, das überhaupt erst mit seinen Smartphones am weltweiten Handymarkt sichtbar wurde. Ehemalige Marktführer wie Nokia oder RIM hatten das Nachsehen, wobei für die Blackberrys von RIM auch noch der Use-your-own-Device-Trend negative Auswirkungen hatte, da die Blackberrys primär als Firmengeräte eingesetzt wurden. Gerade an einem mit ein bis zwei Modellwechseln pro Jahr extrem dynamischen Markt wie dem der Handys/Smartphones lässt sich diese Dynamik besonders gut erkennen. Natürlich ist diese knappe Darstellung stark vereinfacht und lässt z.B. die Betriebssystemthematik außen vor, die alleine für sich genommen bereits ein weiteres Beispiel für eine veränderte Marktdynamik ist.

Auch reine Softwareunternehmen sind von der erhöhten Dynamik betroffen. So ist der Markt der UML-Werkzeuge durch die Einführung der UML 2 als weltweiten Standard auf den Kopf gestellt worden. Ehemalige Marktführer konnten ihre Produkte nicht schnell genug an die durchgängig metamodellbasierte UML 2 anpassen und wurden von dynamischeren Unternehmen an den Rand gedrängt, die entweder mit brauchbaren Produkten deutlich günstiger waren oder deutlich leistungsfähigere sowie besser bedienbare Produkte hatten. Hier sind die alten Marktführer u.a. durch ihre Softwarealtlasten im Vergleich zu ihren Konkurrenten zu träge geworden. Oder anders ausgedrückt: Der große Erfolg der alten Produkte ging zulasten von Neuentwicklungen. Neueinsteiger in den Markt, die diese Altlasten nicht hatten, konnten freier und damit schneller agieren.

Durch die Erhöhung der Komplexität in der Arbeit dynamischer Unternehmen rückt der individuelle Mensch als Mitarbeiter wieder mehr ins Zentrum betriebswirtschaftlicher Analysen. Im Endeffekt bedeutet das, dass die gefühlte Zunahme der Komplexität in der Arbeit in den letzten 10 bis 20 Jahren tatsächlich erfolgt ist. Damit verändert sich für sehr viele Menschen das Arbeitsumfeld bzw. haben sich die Rahmenbedingungen gewandelt. Der Anteil komplexer Aufgaben ist gestiegen, weshalb ein angemessener Umgang mit Komplexität so besonders wichtig geworden ist. Das gilt für jeden Mitarbeiter, weil sich die Arbeit verändert hat, und für Unternehmen, weil sich die Parameter verschoben haben, die Marktdruck erzeugen.

1.2.4Digitalisierung – der nächste große Wandel

Wer denkt, mit der Globalisierung wäre es dann mit den Veränderungen vorbei, wird sich täuschen. Ebenso wie das Internet ganze Branchen verändert und neue geschaffen hat, wird die Digitalisierung das Arbeitsumfeld drastisch verändern. Doch nicht nur das. Durch die Automatisierung definierter Prozessabläufe und den Einsatz von KI, künstlicher Intelligenz, werden ganze Berufsgruppen überflüssig werden. Die Digitalisierung hat damit gesellschaftspolitische Dimensionen, die es mit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts aufnehmen kann.

In den letzten Jahrzehnten wurde unter Digitalisierung die Umwandlung analoger in digitale Daten gemeint. Da mittlerweile über 90% des Informationsvolumens in digitaler Form vorliegen, ergeben sich ganz andere Möglichkeiten, die derzeit kaum abschätzbar sind. Liegen die Informationen erst einmal digital vor, können auch die Prozessabläufe, die auf den Daten stattfinden, teilweise oder vollständig automatisiert werden. Notwendige Beurteilungen erfolgen bereits über Scoring-Methoden und können mit KI umfassend erweitert werden. Viele Verwaltungstätigkeiten sind damit bereits jetzt schon automatisierbar. Mit der Qualität und dem Umfang der Beurteilungsfähigkeit wird die Digitalisierung im Zusammenspiel mit dem Internet of Things (IoT) oder umfassenden Data-Warehouse-Lösungen bis hin zu Data Lakes weit über die reine Verwaltung menschliche Arbeit enorm reduzieren.

Dazu kommen wirtschaftliche Effekte, wie sie z.B. 2020 durch die Coronapandemie erfolgt sind und erst durch die Globalisierung so umfassende Wirkung erreichen können. In wenigen Wochen müssen Unternehmen zeigen, wie flexibel sie sind, um ihre Produktivität zu stabilisieren und die notwendigen Prozesse am Laufen zu halten. Für Pharmaunternehmen heißt es z.B., die Produktion zu steigern und die Logistik sicherzustellen, für andere Branchen gilt es, mit Umsatzeinbrüchen, Verschiebungen und Stornierungen umzugehen und das Überleben zu sichern.

Wer sich für die zu erwartende Dynamik wappnen möchte, muss selbst dynamisch werden und auch bleiben. Da die Zukunft kaum vorhersehbar ist, bedeutet das, mit seiner Organisation schnell anpassungsfähig zu sein. Wir brauchen lernende Organisationen!

2Organisationen lernen sich anzupassen

Um sich in dieser dynamischen Welt besser und schneller anpassen zu können, bedarf es immer wieder der Adaption neuer Themen. Unternehmen können tagtäglich Neues lernen. Dazu müssen sie jedoch zuerst lernen zu lernen. Die lernende Organisation ist, wie es Peter Senge bereits 1990 vorhergesagt hat, die Organisationsform von heute und morgen. Im Folgenden setze ich auf den Erkenntnissen von Peter Senge sowie Gerhard Wohland und Matthias Wiemeyer auf.

Häufig reicht es dabei nicht aus, sich nur besser an die Dynamik des Marktes anzupassen. Es gilt durch Innovation Druck auf die Konkurrenten auszuüben. Und auch Innovation bedeutet, zu lernen. Innovative Firmen sind lernende Organisationen.

2.1Die fünf Disziplinen

Peter Senge forscht auf dem Gebiet der Organisationsentwicklung und gilt als Vordenker der lernenden Organisation. Sein Ausgangspunkt ist die Frage, warum Organisationen immer wieder die gleichen Fehler wiederholen. Daraus leitet er drei Thesen ab [Senge 2017]:

Die Umwelt von Organisationen ist hochdynamisch und ist geprägt von innovativem Wettbewerb und radikalen Veränderungen.

Die Mitglieder einer Organisation sind lernfähig und motiviert, zu lernen. Sie haben ein Bedürfnis nach sinnvoller Arbeit und einer individuell geförderten Entwicklung.

Organisationen sind so lange relativ unfähig, zu lernen,

wie sie zum einen nur ihr Topmanagement entsprechend fördern – dies reicht bei der gestiegenen Umwelt- und Organisationskomplexität bei Weitem nicht mehr aus – und

wie sie zum anderen ein Lernen verhinderndes Verhalten innerhalb der Organisation nicht minimieren.

Davon ausgehend hat Senge elf Gesetze abgeleitet. Er hat sie als Metaphern formuliert, was sie leicht erfassen lässt [Senge 2017]:

Die Lösungen von gestern sind die Probleme von heute.

Je mehr man sich anstrengt, desto schlimmer wird es.

Das Verhalten verbessert sich, bevor es sich verschlechtert.

Der bequemste Ausweg erweist sich zumeist als Drehtür.

Die Therapie kann schlimmer sein als die Krankheit.

Schneller ist langsamer.

Ursache und Wirkung liegen zeitlich und räumlich nicht nahe beieinander.

Kleine Veränderungen können eine Riesenwirkung haben – aber die Maßnahmen mit der stärksten Hebelwirkung sind häufig zugleich auch die unauffälligsten.

Sie können den Kuchen essen und behalten – nur nicht gleichzeitig.

Wer einen Elefanten in zwei Hälften teilt, bekommt nicht zwei kleine Elefanten.

Niemand ist schuld.

Er sieht daher Lernen als qualitative Steigerung des Wissensstands, die dazu eingesetzt wird, effektiver zu handeln. Dazu benennt er fünf Grundanforderungen, die er Disziplinen nennt, auf denen der Austausch von Wissen und Erfahrungen zwischen Mitarbeitern und damit in einer Organisation beruhen (Abb. 2.1) [Senge 2017]:

Systemisches Denken: In der Systemik werden den einzelnen Elementen eines Systems keine Eigenschaften zugeordnet, sondern auf die konkrete Systemkonstellation zurückgeführt. Damit wird versucht, ein System ganzheitlich zu betrachten.

Persönliche Perfektion: Darunter wird der lebenslange Prozess verstanden, in dem eine Person einerseits regelmäßig klärt, was für sie wichtig ist, und sich andererseits kontinuierlich darum bemüht, ihre Wahrnehmung zu verbessern.

Mentale Modelle: Über Modelle lässt sich die meist als selbstverständlich erachteten Interaktionen zwischen Menschen wie z.B. ihr Kommunikationsverhalten in schwierigen Situationen beschreiben. Durch die Reflexion über diese Modelle können Menschen ihr Verhalten verändern, sodass in Diskussionen echtes Lernen erfolgen kann.

Gemeinsame Visionen: Einer gemeinsamen Vision fühlen sich alle Mitarbeiter persönlich verpflichtet. Sie spiegelt ihre persönlichen Zielsetzungen wider und schafft die Basis für effektive Zusammenarbeit.

Organisatorisches Lernen: Das Lernen der Teams, Abteilungen bis hin zur gesamten Organisation und die damit einhergehenden Möglichkeiten basieren auf der Ausrichtung jedes Mitglieds einer Organisation auf individuelles Lernen.

Abbildung 2.1: Die fünf Disziplinen im Zusammenspiel nach [Senge 2017]

Lernende Organisationen zeichnen sich meist durch flache Hierarchien aus. Dabei werden gleichermaßen Verantwortung und Rechte auf die Mitarbeiter übertragen, sodass ein hoher Grad an Selbststeuerung erfolgt. Informationen werden transparent bereitgestellt. Das trifft im Besonderen auf traditionell eher nur im begrenzten Kreis bekannte Managementinformationen zu. Dieses Konzept wird dabei deutlich weiter ausgedehnt als in den meisten Organisationen, sodass auch wesentliche unternehmenspolitische und strategische Entscheidungen unter Beteiligung aller Betroffenen wie Mitarbeiter, Kunden, Eigentümer oder Lieferanten erfolgen.

Drei grundsätzliche Einstellungen müssen in einer lernenden Organisation vorhanden sein [Füser 1999]:

Offener Informationsaustausch

Etabliertes Lernklima

Konstruktiver Umgang mit Fehlern (konstruktive Fehlerkultur)

Der Aufbau einer lernenden Organisation braucht daher Zeit und ist nie wirklich beendet. Es herrscht daher stets eine gewisse Unruhe im Unternehmen. Dies stellt eine Reihe von Anforderungen an die Mitarbeiter einer lernenden Organisation. Dazu gehören Kreativität, Gestaltungskraft, Intuition, Vision, Vorstellungskraft, Reflexionsfähigkeit und eine gewisse Lernbegabung bzw. Wille zum Lernen und Weiterentwickeln [Burgheim 1996].

Den Führungskräften kommt darin die Aufgabe zu, das eigene Unternehmen forschend zu erkunden und die Abläufe und sozialen Prozesse im Hinblick auf ein lernendes Unternehmen zu gestalten. Gleichzeitig sind sie verantwortlich für das Wissensmanagement und sorgen als Lernhelfer für die Mitarbeiter und Kollegen dafür, dass sie das Unternehmen mit seinen Produkten, dynamischen Prozessen und sich anpassenden Märkten immer wieder aufs Neue durchdenken [Burgheim 1996].

2.2Der Wandel ist in vollem Gange!

Dieser Wandel in den letzten Jahren lässt sich an der Veränderung des Verhältnisses von eher statischen zu dynamischen Aufgaben erkennen, die es zu bewältigen gilt. Unter statischen Aufgaben verstehen die beiden Berater und Spezialisten für dynamikrobuste Organisationen, Gerhard Wohland und Matthias Wiemeyer, Arbeiten, die nach festen Abläufen gut planbar durchzuführen sind. Dynamische Aufgaben erfordern deutlich mehr Flexibilität und können nicht durch standardisierte Abläufe gelöst werden [Wohland und Wiemeyer 2012].

Statische Aufgaben können auch als gut planbare, aber komplizierte Tätigkeiten begriffen werden, während die dynamischen Aufgaben in den Bereich der nicht vorab vollständig planbaren, komplexen Problemstellungen fallen, für die man sich im Laufe der Bearbeitung immer wieder an unvorhersehbare Ereignisse anpassen muss. Die dynamischen Aufgaben haben in den letzten Jahren zugenommen und ihr Anteil wird vermutlich in Zukunft noch weiter ansteigen. Dieser Wandel ist nur die logische Folge der zunehmenden Komplexität der Umwelt einer Organisation. Mit zunehmender Umweltkomplexität wird als Reaktion die innere Komplexität einer Organisation ebenfalls größer. Das System Organisation folgt dabei seiner Umwelt (Abb. 2.2).

Abbildung 2.2: Mischung aus statischen und dynamischen Aufgaben nach [Wohland und Wiemeyer 2012]

Das bedeutet, dass sich niemand diesem Prozess entziehen kann. Früher oder später wird jeder mitziehen oder von der Konkurrenz an den Rand gedrängt werden. Die Dynamik ist von Branche zu Branche und von Land zu Land unterschiedlich. Es handelt sich dabei um eine Folge der Globalisierung, weshalb sie jeden irgendwann erreichen wird. Der Weltmarkt ist begrenzt, weshalb ein weiteres Wachstum nicht mehr möglich ist. Die Wachstumsfähigkeit einer Organisation tritt mehr und mehr in den Hintergrund und wird von der Fähigkeit zu Innovationen und der Fähigkeit zur Realisierung von Innovationen, neuen Strategien sowie der Anpassungsfähigkeit an Veränderungen verdrängt.

Wer sich dabei an einen evolutionären Prozess erinnert fühlt, ist auf der richtigen Spur. »Survival of the fittest« bezieht sich nach Charles Darwin genau auf die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. Nicht die stärkste, größte oder aggressivste Art überlebt, sondern die anpassungsfähigste. Das wird gerade dann sichtbar, wenn ein weiteres Wachstum nicht mehr möglich ist. Natürlich ist aktuell bei vielen Internet-Start-ups noch genau die Strategie sichtbar, den maximalen Marktanteil zu erreichen, bevor überhaupt erst Gewinne möglich sind. Doch werden nach und nach auch dazu Alternativen erarbeitet. Das ist auch notwendig, da nicht jedes Unternehmen das neue Facebook sein kann, vermutlich noch nicht einmal Facebook selbst.

Die Strategie für eine Organisation kann daher nur sein, eine notwendige Anpassungsfähigkeit zu erreichen. Das ist ein zentraler Bestandteil einer lernenden Organisation. Wollen Unternehmen langfristig erfolgreich sein, kommen sie nicht darum herum, eine lernende Organisation zu schaffen.

Teil II

Konzepte für die lernende Organisation

Eine lernende Organisation aufzubauen bzw. zu entwickeln ist deshalb so schwierig, weil nicht nur einem in sich geschlossenen Konzept zu folgen ist. Ganz im Gegenteil spielen zahlreiche Konzepte eine tragende Rolle. Sie zu integrieren, aufeinander abzustimmen und zum Leben zu erwecken, ist eine schwierige und gleichzeitig sehr lohnenswerte Aufgabe.

In diesem Teil werden die wichtigsten Konzepte vorgestellt und in ihrer Wirkung auf eine lernende Organisation beschrieben. Zu jedem dieser Konzepte gibt es zahlreiche Bücher, in denen sie näher beschrieben werden. Mir geht es hier um ihr Zusammenspiel innerhalb einer lernenden Organisation.

3Überblick über die Konzepte

Organisationen sind komplexe Systeme. Das bedeutet, dass es keine einfache Antwort auf die Frage gibt, wie eine lernende Organisation entstehen kann oder entwickelt wird. Es gehören viele verschiedene Aspekte zur Antwort. Es gibt noch nicht einmal eine Antwort, sondern nur ein übergeordnetes Konzept, das möglichst viele der notwendigen Aspekte oder Teilkonzepte abdeckt und flexibel genug ist, um sich an die aktuelle Situation einer Organisation anpassen zu lassen. So ist die Idee eines Konzeptpools entstanden.

Anders als die in Teil III vorgestellten Praktiken handelt es sich hier um Konzepte oder grundlegende Themen, mit denen sich manchmal bereits für sich alleine ganze Abteilungen beschäftigen. In diesem Teil werden die einzelnen Themen kurz aufgegriffen und ihre Bedeutung für eine lernende Organisation erläutert. Einige dieser Themen werden im Anhang Thematische Vertiefungen ab Seite 297 weiter vertieft und theoretisch unterfüttert. Begriffe, auf die dort näher eingegangen wird, erkennen Sie durch einen Pfeil () jeweils an der passenden Stelle im Buch.

Der Konzeptpool ist aufgrund der Anzahl und des Umfangs der einzelnen Themen eher ein Wissensschrank (Abb. 3.1). Im Einzelnen befindet sich darin:

Innovation und Wissensarbeit

Organisationstheorie

Theorie komplexer Systeme

Systemisches Denken

Gruppendynamik

Agilität

Werte und Kulturveränderung

Diversität

Erfahrungsbasierter Lernprozess

Wissensmanagement

Das ist eine lange Liste unterschiedlich umfangreicher Themen. Später in Teil III gilt es, alle diese Aspekte miteinander zu verzahnen und aufeinander abzustimmen. Jetzt geht es darum, einen Überblick über die einzelnen Themen zu erhalten und zu versuchen, ihre Bedeutung für eine lernende Organisation zu erfassen.

Abbildung 3.1: Übersicht der Konzepte einer lernenden Organisation

4Innovation und Wissensarbeit

Eine Innovation bedeutet eine Erneuerung eines Prozesses oder eines Produkts. Genaugenommen bezeichnet nicht die Erneuerung selbst die Innovation, sondern die Durchdringung der neuen Idee im Markt bzw. bei den Abläufen [Schumpeter 2006]. Bei der Entstehung und der nachfolgenden Durchdringung spielt die Wissensarbeit die entscheidende Rolle. Wissensarbeiter haben neue Ideen oder transformieren sie in ihre eigenen Kontexte. Im Folgenden wird diese Dynamik genauer betrachtet.

4.1Konkurrenz belebt das Geschäft

Der Begriff Marktdruck suggeriert, dass der Druck auf Firmen und Organisationen durch die Kunden des Marktes entsteht. Durch das Kundenverhalten äußert sich der Marktdruck auf ein Unternehmen. Die Kunden selbst sind aber nicht die Ursache dafür. Der Marktdruck entsteht durch Konkurrenten, die mit neuen Ideen für Produkte und/oder Dienstleistungen das Kundenverhalten verändern. Die Kunden sind das verbindende Medium zwischen konkurrierenden Unternehmen. Die Kopplung der konkurrierenden Organisationen erfolgt über das Verhalten der Kunden, das durch traditionelle oder digitale Massenmedien beeinflusst wird. (Abb. 4.1).

Abbildung 4.1: Das Kundenverhalten koppelt Konkurrenten im Markt.

Ihr Verhalten, also jede Form ihrer Kommunikation untereinander und mit Vertretern der Organisationen, bestimmt das System Markt. Das Kundenverhalten erfahren Unternehmen direkt durch Kauf, Nutzung oder Ablehnung ihrer Produkte bzw. Dienstleistungen oder z.B. in Verhandlungssituationen. So oder so: Die Kunden kommunizieren mit Mitarbeitern als Systembestandteilen einer Organisation und darüber erfahren sie etwas über den Markt und die Veränderungen darin.

Der Einfluss auf das Verhalten der Kunden erfolgt dabei über Marketing und Vertrieb der Organisationen sowie über andere gesellschaftliche Kanäle, die im Wesentlichen ihre Wege in die Massenmedien über traditionelle Kanäle und das Internet finden. Virales Marketing ist nur eine aktuelle Form, die Kommunikation im System Gesellschaft dafür zu nutzen.

4.1.1Wettkampf der günstigsten Anbieter

Im Scientific Management besteht der Wettbewerb der Unternehmen im Wesentlichen in einem Preiskampf. Wer kann am günstigsten produzieren und wer hat die effizienteste Logistik? Wie wird die Kostenstruktur der Vertriebskanäle und der Point of Sales optimiert? Diese Fragen dominieren eine tayloristische Organisation. Durch die Möglichkeiten des Internets hat es hier Ende der 1990er-Jahre noch einmal einen enormen Schub gegeben. Gleichzeitig wurden die Grenzen dadurch noch schneller erreicht. Auch die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren noch für einen mächtigen Schub sorgen.

Naturlich bleiben die Kostenstrukturen auch weiterhin ein zentraler Aspekt eines Unternehmens. Der Discount-Bereich definiert sich über dieses zentrale Element. Dennoch kommen die Möglichkeiten, über die Kostenstrukturen Vorteile zu erarbeiten, an ihre Grenzen. Es braucht andere Ideen, um weiterhin erfolgreich zu sein und Druck auf die Konkurrenz ausüben zu können. Der Erfolg von Firmen wie Apple besteht offensichtlich nicht darin, besonders günstige Produkte anzubieten.

4.1.2Wettkampf der Ideen

Ein gewisser Marktdruck durch neue Ideen war in der Vergangenheit natürlich auch während der Blütezeit der Manufakturen und im Scientific Management vorhanden. Diese neuen Ideen kamen meist von einzelnen Tüftlern, die sich eines Problems annahmen und dieses erfinderisch gelöst haben. Ein wirksamer Schutz dieser Ideen ist erst im 19. Jahrhundert erfolgt. So wurde z.B. das deutsche Patentgesetz 1877 in Kraft gesetzt [DPMA 2019]. Davor haben sich gute Ideen innerhalb der Zünfte zwar schnell durchgesetzt, ohne jedoch den Erfinder davon profitieren zu lassen. Vielfach ist der eigentliche Erfinder sogar unbekannt1.

Im Scientific Management besaßen diese Tüftler zwar oft auch eigene Firmen, haben meist jedoch ihre Ideen erst in Zusammenarbeit mit größeren Firmen oder Konzernen zum Erfolg bringen können. Der Erfolg von Thomas Edison ist da eher die Ausnahme als die Regel.

Dafür, dass nicht automatisch die beste technische Umsetzung einer Idee gewinnt, sondern andere Aspekte der Marktdynamik den Ausschlag für den Erfolg oder Nichterfolg geben, gibt es eine Reihe von Beispielen wie der Video-Formatkrieg der privaten Videoaufzeichnungssysteme in den zehn Jahren von 1976 bis 1986. Oft macht nicht eine einzelne Idee, sondern eine geschickte, neue Kombination von Ideen den Unterschied.

4.2Innovationen erzeugen Marktdruck

Es sind Innovationen, mit denen Druck über den Markt bzw. die Kunden auf die Mitbewerber ausgeübt werden kann. Neue technische Lösungen in den Produkten oder im Produktionsprozess oder bei Dienstleistungen und ihrer Nutzbarmachung sind der Schlüssel zum Erfolg. So kann schneller oder günstiger angeboten oder ein Mehrwert erbracht werden, den die Konkurrenz nicht im Angebot hat.

4.2.1Was macht Innovationen so kraftvoll?

Nicht jede Innovation hat die gleiche starke Wirkung. Innovationen erhalten ihre Kraft über die Akzeptanz bei den Kunden. Hier spielt das Marketing ebenso eine Rolle wie das passende Timing. Zu früh können Ideen verpuffen, die später Revolutionen auslösen. Die Kunden müssen von der Neuigkeit erfahren und diese Innovation muss ihnen einen Vorteil bieten, damit sie angenommen wird. Diese Vorteile sind nicht ausschließlich rational, sondern stets auch emotional. Kunden möchten stolz auf die Marken oder Anbieter sein, auf die sie sich einlassen.

Wenn diese Kombination aus Innovation, Marketing und Timing gelingt, ist der Druck über die Kunden auf die Mitbewerber enorm. Nur wer jetzt schnell genug handeln kann, bleibt noch im Geschäft. Günstigere oder wertigere Konkurrenzprodukte entstehen oder Gegenstrategien werden verfolgt, um den Markt neu aufzuteilen. Nach teilweise enorm kurzer Zeit hat sich der Markt gewandelt und wieder stabilisiert. Bis die nächste Innovation kommt.

4.2.2Wissensarbeiter schaffen Innovationen

Wie gelangen Organisationen zu Innovationen, mit denen sie ihre Konkurrenten zumindest für eine gewisse Zeit unter Druck setzen können? Das entscheidende Element ist die Wissensarbeit. Die ausführenden Personen sind daher die Wissensarbeiter. Auch hier lässt sich der entscheidende Umbruch erkennen, der sich in den letzten beiden Jahrzehnten vollzogen hat. Die Monteure geben nicht mehr mit ihrer Arbeit das Tempo vor, sondern die Wissensarbeiter.

Mit der steigenden Bedeutung von Wissensarbeit hat sich der Bedarf nach dem Management von Wissen und dem strukturierten Lernen in Organisationen deutlich erhöht. Da sich nicht vorhersehen lässt, wo sich die nächste Innovation ergibt, findet die Wissensarbeit nicht mehr nur ausschließlich in den Büros der Planer und Ingenieure statt. Sie hat alle Bereiche einer Organisation erreicht. Von den Arbeitern in der Produktion oder den Lagern bis zu den unterstützenden Abteilungen des Einkaufs oder Controllings gibt es kaum noch einen Bereich, der sich der Wissensarbeit entziehen kann.

Aufgrund der hohen Dynamik in den Märkten durch eine schnelle Abfolge von Innovationen verliert die Ausbildung der Mitarbeiter, die sie beim Einstieg in ein Unternehmen hatten, zunehmend an Bedeutung. Auf allen Ebenen einer Organisation ist regelmäßige Weiterentwicklung notwendig. Die Werkzeuge entwickeln sich weiter und die Einbindung in unternehmensweite Informationssysteme ist essenziell, um die tägliche Arbeit leisten zu können. Damit bekommen es immer mehr Menschen in Organisationen mit Wissensarbeit oder zumindest ihren Auswirkungen zu tun.

Eine Organisation kann diesen Entwicklungsprozess fördern und steuern, um Vorteile daraus ziehen zu können. Dabei Lernen die Mitarbeiter und entwickeln sich weiter. Um die Kraft der Innovationen dauerhaft zu nutzen, gilt es, das Lernen zu lernen. Dann befindet man sich auf dem Weg in eine lernende Organisation, die über Innovationen Marktdruck erzeugt und auf Innovationen der Konkurrenz schnell und angemessen reagieren kann.

So verwundert es nicht, dass in den letzten 30 Jahren eine Reihe von Ansätzen zur Entwicklung neuer Ideen entstanden sind. Design Thinking ist davon eine der am weitesten verbreiteten Methodensammlungen. Ein kurzer Überblick über Design Thinking in unserem Kontext wird in Abschnitt 15.2.12 ab Seite 176 gegeben.

5Organisationstheorie

Was definiert eine Organisation? Warum ist eine Familie per se keine Organisation? Manche Organisationen sind doch wie eine Familie. Was ist das Besondere an Organisationen? Worauf basiert eine Unternehmensstrategie und wie kann sie umgesetzt werden? Wie lernen Organisationen? Wie erfolgt Führung in einer Organisation? Und wie kann eine Organisation weiterentwickelt werden? Doch der Reihe nach …

5.1Organisation – eine Definition

Nach Alfred Kieser und Herbert Kubicek sind Organisationen soziale Gebilde, die geschaffen wurden, um dauerhaft ihre in der Regel selbstdefinierten Ziele zu verfolgen. Um das zu erreichen, bilden sie eine formale Struktur aus, um die Aktivitäten ihrer Mitglieder auf diese Ziele auszurichten. Über ihre Mitglieder bestimmt eine Organisation dabei selbst.

Abstrakt kann daher eine Organisation als Gemeinschaft kooperativer Akteure bzw. ein Ressourcenpool betrachtet werden. Individuen stellen dabei einen Teil ihrer Ressourcen einer zentralen Verwaltung zur Verfügung. Dabei kann es sich um Geld, Arbeitskraft oder auch bestimmte Rechte handeln. Da ein Individuum dabei meist nicht alle seine Ressourcen einbringt, kann es Mitglied in mehreren Organisationen sein. Damit hat die Organisation für ihre Mitglieder zwei grundlegende Fragen zu beantworten [Kieser und Walgenbach 2010]:

Wie wird die Leitung über den Ressourcenpool organisiert?

Wie wird der Ertrag verteilt?