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Leseprobenbuch ONE Frühjahr 2025 E-Book

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Beschreibung

Neue Young-Adult-Romane für das Frühjahr

In diesem Buch sind verschiedene Leseproben versammelt von Romanen, die im Frühjahr 2025 im Young-Adult-Programm bei ONE erscheinen werden - von Romance über Spannung bis hin zu Fantasy ist für jeden Lesegeschmack etwas dabei. Viel Spaß beim Entdecken der neuen Stoffe!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 289

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Katie Kento, Hotel Ambrosia

Kira Licht, Beauty must die

Holly Jackson, Five Survive

Holly Jackson, Kill Joy

Mel Wallis de Vries, Schnick, schnack, tot

Valentina Fast, Die Elite von Ashriver 2 – Broken Lies

Leia Stone, The Ruthless Fae King – Die Chroniken von Avalier 3

Mary E. Pearson, Dance of Thieves

Mary E. Pearson, Vow of Thieves

Alicia Zett, Camp Rainbow – Über mir der Himmel

Kelly Oram, Beauty and the Bachelor

Erscheint am 28. 02. 2025

ISBN 978-3-8466-0259-1

€ 16,00 [D], € 16,50 [A], sFr 21,50 [CH]

Holly Jackson meets Das Fenster zum Hof

Klassischer YA-Krimi mit besonderem Setting: Das Ambrosia ist dem »Horrorhotel« Cecil nachempfunden, das alle True-Crime-Fans kennen

Robyn ist wie besessen vom Ambrosia, dem Hotel gegenüber ihrer Wohnung. Seine düstere Geschichte und die zwielichtigen Langzeitgäste faszinieren die 17-jährige True-Crime-Liebhaberin so sehr, dass sie oft mit dem Fernglas am Fenster sitzt. Sie kennt die Routinen des Personals, die Gewohnheiten der Gäste und das ein oder andere schmutzige Geheimnis. Insgeheim träumt Robyn davon, einen Cold Case zu knacken. Doch dann wird sie Zeugin einer Entführung, und plötzlich ist das Ganze kein Spiel mehr. Sofort ist ihr klar: Sie muss dem Opfer helfen! Da gibt es nur ein Problem: Aufgrund einer Erkrankung kann Robyn ihre Wohnung im 6. Stock nicht verlassen. Wie soll sie diesen Fall nur lösen?

Prolog

[eingehender Notruf, unterdrückte Nummer, 10:43 Uhr]

Leitstelle: 911 – um welchen Notfall handelt es sich?

Anonym: Ich ... ich hab einen riesigen Fehler gemacht. [gedämpft] Shit!

Leitstelle: Wo befinden Sie sich, Ma'am? Sind Sie verletzt?

Anonym: Bitte, dieses Mal müssen Sie mir glauben! [unkontrolliertes Atmen] Wir brauchen Hilfe.

Leitstelle: Wen meinen Sie mit wir? Wie viele Personen befinden sich bei Ihnen?

Anonym: Ich bin allein. [Stimme wird brüchig] Er ist weg.

Leitstelle: Wie lautet Ihr Name?

Anonym: [unterdrücktes Schluchzen] Das ist meine Schuld. Ich hätte ihn da nie runterschicken sollen. Ich wollte nur helfen!

Leitstelle: [eindringlich] Ma'am, bitte sagen Sie mir, was passiert ist.

Anonym: Ich weiß es nicht. Ich ... [brummendes Störgeräusch]

Leitstelle: Sind Sie noch dran?

Anonym: [keuchendes Atmen]

Leitstelle: Ma'am, bitte bleiben Sie in der Leitung. Wo sind Sie?

Anonym: [entferntes Murmeln] Nein. Ich kann nicht ...

Leitstelle: Hilfe ist schon unterwegs. Aber Sie müssen mir Ihren genauen Standort mitteilen. Hören Sie?

Anonym: Das war ein Fehler. Ich ...

[Ende der Aufzeichnung]

Kapitel 1

Betreff: Re: Recherche zum Ambrosia – ein neues Thema für deinen Podcast?

Von: Ivy Cooper

An: Robyn Jackson

Empfangen: Dienstag, 11:02 Uhr

Robyn starrte den Betreff der Mail an. Wieder und wieder las sie ihn, ging die Worte Buchstabe für Buchstabe durch, bis sie auf dem Bildschirm in einzelne Zeichen zerfielen und ihren Sinn zu verlieren drohten. Ihre Augen brannten und juckten, doch sie wagte nicht zu blinzeln. Aus Angst, die neue Nachricht könnte in einem Wimpernschlag der Unachtsamkeit wieder aus ihrem Postfach verschwinden.

Wie viele hundert Male hatte sie in den vergangenen Wochen auf Aktualisieren geklickt und dann enttäuscht den angehaltenen Atem ausgestoßen? Wie sehr würde es ihr das Herz zerreißen, sollte sich hinter dem langersehnten Betreff eine generische Absage verbergen?

Ein Ziehen breitete sich in Robyns Brustkorb aus, und ihre Sicht verschwamm. Es war an der Zeit einzusehen, dass sie den Moment der Gewissheit nicht ewig hinauszögern konnte. Sie musste wieder atmen und blinzeln diese Mail endlich öffnen. Nur ein Klick trennte sie von der Antwort, die sie sich so gewünscht hatte – und plötzlich fürchtete.

War es eine schlechte Idee gewesen, den Kontakt zu suchen? Es hieß doch aus gutem Grund: Never meet your heroes. Und Ivy war mehr als eine Heldin für sie. Obwohl Robyn sie nicht persönlich kannte, war die Podcasterin ihr Fels in der Brandung. Ihre Zuflucht. Und ohne sie ...

»Nicht weiter reinsteigern«, wies sie sich mit einem Brummen selbst zurecht. »Einfach das Pflaster abziehen.« Sie kniff die Augen zusammen und riss sie sofort wieder auf, nachdem sie den Betreff angeklickt hatte.

Liebe Robyn,

danke für deine Mail, und entschuldige die späte Antwort. Wie schön, dass du Fan der ersten Stunde bist und Whispering Ivy dich so begeistert! Ich stecke eine Menge Recherchearbeit und Mühe in jede Folge und freue mich, dass mein Podcast mittlerweile an so vielen Orten auf der Welt bekannt ist.

Nun zu deiner eigenen Recherche: Wow! Vom Ambrosia hatte ich bisher noch nie gehört, aber es klingt nach einem echten Horror-Hotel. Danke für den Zeitstrahl und die Links. Das Video von Monica Torres hat mir eine richtige Gänsehaut eingejagt. Dieses ruckartige Öffnen und Schließen der Fahrstuhltüren wirkt fast so, als wollte der Aufzug sie am Einsteigen hindern. Und dass sie dann im Treppenhaus einfach verschwunden ist ... Total gruselig. Das ist definitiv True-Crime-Stoff.

Ein Laut der ungläubigen Euphorie, halb Quietschen, halb Lachen, kam über Robyns Lippen. Sie überflog den letzten Absatz gleich noch einmal. Ivy hatte sich ihre Recherche nicht nur angeschaut, sie lobte ihre Arbeit sogar! Robyn war tatsächlich auf ein Thema gestoßen, das die Podcasterin noch nicht kannte. Sie hatte Ivy beeindruckt! War das zu fassen?!

Nur mit Mühe brachte sie ihre Atmung unter Kontrolle und sammelte sich wieder. Sie umklammerte die Armlehnen des Rollstuhls und neigte sich dem Bildschirm entgegen, während sie weiterlas.

Ich habe bereits nach weiteren Quellen geschaut. So wie es aussieht, hast du alles aufgespürt, was frei verfügbar im Internet zu finden ist. Für eine Podcast-Folge ist die Faktenlage noch sehr löchrig, aber ich habe Zugang zu Zeitungsarchiven, die auch die Los Angeles Times und die San Bernardino County Sun beinhalten. Mal schauen, auf was ich so stoße, wenn ich mich durch die Ausgaben ab 1921 arbeite. Sofern ich genug Material finde, könnte ich mir vorstellen, das Ambrosia als Special zu Halloween zu behandeln.

»Ich. Fasse. Es. Nicht.« Robyn schüttelte den Kopf und murmelte: »Sie will es machen. Sie will es wirklich machen ...« Ihr Thema in Ivys Podcast! Das war ... Das war ... »Unglaublich«, hauchte sie und kniff sich einer spontanen Eingebung folgend in den Arm. Nope. Kein Traum. Sie rieb die schmerzende Stelle und las den Rest der Mail. Ihr Mund klappte auf.

Wie du merkst, bin ich Feuer und Flamme für deinen Themenvorschlag. Deshalb melde ich mich auch mit einer Bitte bei dir zurück. Du weißt ja, dass ich für meine Community immer Bild- und Videomaterial zum jeweiligen Fall auf Social Media teile. Wenn das Foto, das du im Anhang geschickt hast, wirklich von deinem Fenster aus aufgenommen wurde, dann wohnst du ja direkt gegenüber vom Ambrosia!

Hättest du Lust, dich von mir am Wochenende dort einquartieren zu lassen? Quasi als Undercover-Journalistin und direkte Quelle für meine Recherche? Du könntest dokumentieren, wie es heutzutage im Hotel aussieht, und einen Erfahrungsbericht schreiben. Ich weiß, die Zimmer sollen schäbig sein ... Aber vielleicht kommst du ja sogar dem Cold Case, den du erwähnt hast, auf die Spur! (Ich bin neugierig – welcher ist es?) Sag Bescheid, falls du dich aus deiner Deckung wagen und das Ambrosia infiltrieren willst. ;)

Viele Grüße aus dem regnerischen Derbyshire

Ivy

Whispering Ivy – True Crime Enigmas

[email protected]

Kapitel 2

Betreff: Re: Re: Recherche zum Ambrosia – ein neues Thema für deinen Podcast?

Von: Robyn Jackson

An: Ivy Cooper

[Entwurf]

Liebe Ivy,

tausend Dank für die Antwort! Ich habe hier gerade einen richtigen Fangirl-Moment!! Wie schon gesagt, ich LIEBE deinen Podcast. Du musst wissen, dass ich viel Zeit allein zu Hause verbringe und ohne Whispering Ivy wahrscheinlich längst an akuter Langeweile gestorben wäre! :D Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber du bist eine Inspiration für mich, und ich träume davon, mal in deine Fußstapfen zu treten.

Wow. Achtung, Schleimspur. Robyn löschte den letzten Satz.

Du glaubst gar nicht, wie aufregend es für mich ist, dass du das Ambrosia behandeln willst. Ich bin so gespannt, was du alles herausfinden wirst! Besteht die Möglichkeit, dass du mich auf dem Laufenden hältst? Ich würde töten für ein paar inoffizielle Einblicke in deine Arbeit – metaphorisch gesprochen, haha! Nein, ganz ehrlich, bis Halloween kann ich unmöglich warten, das ist ja noch ein halbes Jahr! Ich behalte auch alle Infos für mich, versprochen.

Im Anhang schicke ich dir übrigens eine aktualisierte Version des Zeitstrahls. Ich habe noch ein paar kuriose Fakten zum Jahr 1972 gefunden. Und falls es dich echt interessiert, hänge ich dir auch meine Notizen zu dem Cold Case an, der mich momentan am meisten beschäftigt. Ich weiß, es ist nur eine Theorie, aber es gibt kaum gesicherte Infos zu dem Fall, und irgendwo muss man ja ansetzen. Ohne Arbeitshypothesen keine Ermittlungen, hab ich recht?

Ob Ivy es seltsam fand, dass Robyn eine regelrechte Fallakte angelegt hatte? Kurz überlegte sie, die Datei wieder aus den Mailanhängen zu entfernen. Die Spekulationen waren ihr auf einmal peinlich. Doch als True-Crime-Fanatikerin hatte Ivy solche Dokumente sicherlich selbst schon verfasst.

Robyn biss sich auf die Unterlippe. Jetzt kam der weitaus unangenehmere Part. Wie um alles in der Welt sollte sie das beste Angebot, das sie in ihrem Leben jemals erhalten hatte – und wahrscheinlich erhalten würde –, ablehnen? Ihr größtes Idol bat sie um Hilfe bei der Recherche! Auf Robyns linkem Oberarm bildeten sich mittlerweile mehrere kleine Blutergüsse, so viel Zwicken und Kneifen war nötig gewesen, um sich selbst zu überzeugen, dass sie tatsächlich wach war. Sie als Undercover-Journalistin, das war ein wahrgewordener Traum! Wäre ein wahrgewordener Traum.

Was deine Einladung ins Ambrosia angeht, muss ich leider absagen, ich bin nämlich

Robyns Zeigefinger schwebte über dem K. K wie krank. Dann schwenkte er rüber zur Backspace-Taste, und sie sah zu, wie der neue Satz Buchstabe für Buchstabe vom Bildschirm verschwand. Das hier war ihre Chance, mit einer der erfolgreichsten True-Crime-Journalistinnen der Podcast-Welt zusammenzuarbeiten! Minutenlang suchte sie nach den richtigen Worten, bevor sie weiterschrieb.

Ich würde unheimlich gern mal im Ambrosia einchecken, nur lässt mein gesundheitlicher Zustand das leider nicht zu. Ich habe ME/CFS. Das sagt dir vermutlich nichts, aber bestimmt ist dir Long Covid ein Begriff? Im Grunde genommen sind die Symptome sehr ähnlich. In meinem Fall

Robyn stöhnte, markierte den Absatz und löschte ihn. Too much information. Danach hatte Ivy doch gar nicht gefragt. Sie hatte ihr angeboten, verdeckte Journalistin für den Podcast zu sein. Und das wollte sie, verdammt! So sehr, dass es beinahe physisch wehtat, diese einmalige Gelegenheit auszuschlagen.

Ich bin momentan verhindert und kann das Ambrosia deshalb nicht besuchen. Falls sich die Situation in nächster Zeit ändert, melde ich mich bei dir. Danke für das Angebot!

Sie zog eine gequälte Grimasse, während sie die nichtssagenden Zeilen wieder löschte. So schnell würde ihre Situation sich vermutlich nicht ändern. Es war albern, das zu schreiben. ME/CFS galt noch immer als nicht heilbar. Es gab bisher nur wenige Erkenntnisse über die Ursachen und noch weniger Ansätze zu erfolgreichen Therapien. Behandelt wurden nur die Symptome.

Doch was sollte sie Ivy sonst antworten? Wenn sie ihr von der Erkrankung erzählte, würde sie Robyn bei den Ermittlungen womöglich komplett außen vor lassen, weil sie ihr nicht zutraute, helfen zu können. Dabei war sie wirklich gut im Recherchieren und hatte den perfekten Blick auf das Ambrosia!

Ein entferntes Klackern ließ sie zusammenzucken. Nellys Schlüssel drehte sich im Schloss der Wohnungstür. Robyn sah zur Zeitanzeige des Bildschirms. 11:15 Uhr. Eine frühe Mittagspause.

»Spätzchen«, erklang der vertraute Singsang im Flur. Ihre Großtante hielt die Stimme gesenkt, für den Fall, dass Robyn schlief. Sie verursachte kaum ein Geräusch, als sie durch den Flur und die drei Stufen zu ihrem Zimmer hoch huschte, um die potenziell kontaminierte Kleidung zu wechseln.

Robyn nagte an ihrer Unterlippe. Dann flogen ihre Finger wie von selbst über die Tastatur.

Natürlich darfst du mich im Ambrosia einquartieren! Du bekommst einen erstklassigen Bericht mit Fotos, Videos und allem Drum und Dran, versprochen! Ich kann's kaum erwarten. :)

Liebe Grüße aus dem sonnigen Kalifornien

Robyn

Bevor sie verarbeiten konnte, was sie da getippt hatte, klickte sie auf Senden. Ein Signalton ihres Mailprogramms bestätigte, dass sie das gerade tatsächlich getan hatte und nun nichts mehr rückgängig zu machen war.

»Was zum ...?« Ungläubig musterte Robyn erst den Bildschirm, von dem ihre Mail nun verschwunden war, dann ihre Hände. War sie jetzt vollkommen übergeschnappt? Was hatte sie getan?!

Es war die einzig logische Antwort, behauptete eine trotzige Stimme ganz hinten in ihrem Kopf. Dabei wusste sie, wie falsch das war. Schon allein die Verabschiedungsfloskel ihrer Mail war eine halbe Lüge – als ob sie den kalifornischen Sonnenschein jemals zu Gesicht bekam. Aber was sie davor geschrieben hatte, das war schlichtweg Betrug! Ivy würde Geld für ein Hotelzimmer zahlen, in das nie jemand eincheckte. Sie würde mit Hintergrundrecherchen für ihren Podcast rechnen, die Robyn nicht liefern konnte.

Beinahe lautlos schlüpfte Nelly ins Zimmer. »Wie schön, du bist wach.«

Eilig schloss Robyn das Mailprogramm und schaute zu ihrer Großtante auf. Sie versuchte sich an einem gelangweilten Gesichtsausdruck, dabei tobten die Gedanken hinter ihrer Stirn wie ein Orkan. Was zur Hölle sollte sie jetzt tun? Eine weitere Mail schicken, um die Sache richtigzustellen? Ivy würde sie für eine Lügnerin halten! Einen Bericht fälschen und sich Bildmaterial aus dem Internet zusammen klauen? Das ließ ihre Ehre als Hobbyjournalistin nicht zu, außerdem würde es sicher auffliegen! Einen Weg finden, das Ambrosia wirklich zu besuchen? Nette Idee, aber wie sollte der aussehen?

Weil der lächerlich kleine Ein-Personen-Aufzug zu schmal für sie und ihren Rollstuhl war, selbst wenn sie ihn zusammenklappte, brauchte sie Nellys Hilfe, um das Haus zu verlassen. Doch wie sollte sie bitte in Begleitung ihrer neugierigen und übervorsichtigen Großtante, die hinter jeder Straßenecke tödliche Killerviren vermutete, ins versiffte Ambrosia einchecken? Diese Vorstellung war absurd.

Jeden Tag hoffte Robyn darauf, die Hausverwaltung würde ihr Versprechen doch noch wahrmachen und mit den Arbeiten an einem neuen Aufzug beginnen. Nur aufgrund dieser Zusage hatte Nelly ihr Erspartes in den Umbau der Wohnung gesteckt. Jetzt war ihr Zuhause so gut wie barrierefrei, ihr Konto so gut wie leer, aber der verfluchte Aufzug noch immer zu schmal. Da die Hausverwaltung alle Nachfragen ignorierte und Nelly sich ein Gerichtsverfahren nicht leisten konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als nach einer neuen Wohnung zu suchen. Aber das gestaltete sich schwierig mit dem nun sehr begrenzten Budget. Robyn mochte die Vorstellung, bald ebenerdig zu wohnen, stellte sich aber darauf ein, noch ein paar Wochen, wenn nicht Monate auf den Umzug warten zu müssen.

»Alles okay?« Die Lachfältchen in Nellys Augen- und Mundwinkeln nahmen einen skeptischen Ausdruck an. Aus ihren warmen, braunen Augen musterte sie Robyn, dann streifte ihr Blick den Bildschirm, der nun eine Shakespeare-Analyse zeigte. »Hast du überhaupt eine Pause gemacht seit heute Morgen?«

»Du kennst die Antwort.« Robyn schob die Gedanken an den Aufzug und die Wohnungssuche, an Ivy und den Podcast beiseite. Mit ihrer unüberlegten Aktion und dieser verlogenen Mail würde sie sich später auseinandersetzen. »Im Gegensatz zu dir habe ich einen geregelten Tagesablauf«, neckte sie und bereute es sofort, als Nelly zerknirscht seufzte.

Das San Bernardino Hospital hatte seit Jahren mit Personalmangel zu kämpfen, und ihre Großtante war eine der engagierten Pflegekräfte, die das ausbaden mussten. Spontane Bereitschaftsdienste, Schichtwechsel, Überstunden und unregelmäßige Pausen gehörten zu ihrem Alltag. Wie wohl jede berufstätige Alleinerziehende hatte sie ein schlechtes Gewissen, so selten zu Hause zu sein.

»Ich möchte nur sichergehen, dass du auf dich achtest, Spatz.«

Mit gespielter, aber nicht ganz falscher Gereiztheit versicherte Robyn: »Keine Sorge, ich führe das Leben einer vorbildlichen vierundneunzigjährigen Granny. Ich vergesse weder die Medikamente noch die Nickerchen.«

Nellys Grinsen kehrte zurück. »Meine Güte, für vierundneunzig hast du dich aber ausgezeichnet gehalten! Was ist dein Geheimnis?« Sie warf einen kurzen Blick zum Sessel, der mit Cardigans, T-Shirts und Hosen behangen neben dem Schreibtisch stand. Dann setzte sie sich stattdessen auf die Tischkante, befreite ihre grauen Locken aus dem Haargummi und neigte sich Robyn verschwörerisch zu. »Gurkenwasser? Aloe vera? Gesichtsyoga?«

»Das Übliche. Schlangengift-Cremes und Gesichtsmasken aus Kartoffelsalat.« Robyn manövrierte ihren Rollstuhl ein Stück nach hinten, in der Hoffnung, den Blick auf das Fernglas und den Notizblock auf dem Beistelltisch vor ihrem Fenster zu verstellen.

Nelly schmunzelte und strich ihr mit dem Handrücken über die Stirn. Eine vertraute und zärtliche Geste, es war ihre Art einer flüchtigen Umarmung oder eines gehauchten Kusses. Trotzdem war Robyn der Zweck dieser Handbewegung immer bewusst: Sie kontrollierte ihre Temperatur.

Ihre Großtante drehte den Laptop und überflog die Analyse des Sommernachtstraums. Auf ihren Wangen hatte die FFP2-Maske, die sie außerhalb der Wohnung immer trug, hellrote Abdrücke hinterlassen. »Ich weiß ja, dass du auf dich aufpassen kannst«, murmelte sie, nun wieder ernst. »Aber mach dir bitte nicht zu viel Druck mit den Hausaufgaben, ja? Die wenigsten Siebzehnjährigen in deiner Verfassung würden es schaffen, mit Gleichaltrigen mitzuhalten. Akademisch, meine ich.«

Robyn brummte in sich hinein. Akademisch. Sozial. Physisch ... Sexuell. Es gab keinen Lebensbereich, in dem sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht außen vor war. Sie brauchte keine übervorsichtige Glucken-Großtante, um sie ständig daran zu erinnern. »Ich übernehme mich schon nicht«, sagte sie betont nüchtern und verkniff sich das Geständnis, dass es die Lösungen zu all ihren Schulaufgaben online gab. Wer einer Teenagerin ihr eigenes Homeschooling überließ, musste damit rechnen, gelinkt zu werden, oder?

»Gut.« Mit einem verschwörerischen Grinsen wechselte Nelly das Thema. »Ich hab uns widerlich süßen Apfelkuchen zum Aufbacken besorgt. Hast du Lust?« Mit gespieltem Ekel verzog sie das Gesicht und nickte Richtung Küche. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass sie Robyns Liebe zu Tiefkühlkost nicht teilte. Aber da sie nur selten Zeit – und leider keinerlei Talent – zum Kochen hatte, lief es trotzdem oft auf Fertiggerichte hinaus. Lieferdienste hielt sie für absolute Virenschleudern – andauernd erzählte sie die Geschichte, wie sie sich 1982 an einem Hähnchen-Burrito den Magen verdorben und zwei Wochen lang kein Tageslicht gesehen hatte. Auch wenn ihre Angst vor Keimen völlig übertrieben war, kam man mit rationalen Argumenten nicht dagegen an.

Robyn wünschte sich, Nelly wenigstens ab und zu mal nach einer Doppelschicht mit selbst gekochtem Essen zu Hause zu empfangen. Aber die wenige Energie, die sie besaß, musste sie eisern einteilen und klug investieren. Deshalb machte sie auch seit Wochen keine Schulaufgaben mehr. Sie spürte, wie ihre Aufmerksamkeit zum Fenster wandern wollte. Zum Notizbuch, zum Fernglas, zum Hotel.

»Sag jetzt nicht, du hast keinen Appetit. Der Kuchen ist schon im Ofen, und ich esse dieses abscheulich zuckrige Zeug sicher nicht allein.«

Robyn riss ihre Gedanken vom Ambrosia los. Sie schloss das Textdokument, dahinter kam der Desktop mit dem Hochzeitsfoto ihrer Eltern zum Vorschein. Kurz blieb ihr Blick an den lachenden Mündern und liebevoll verschränkten Händen hängen. Beth, ihre Mutter, sah in dem schneeweißen Kleid aus wie eine gute Fee. Sie hatte eine Stupsnase, braune Augen und blonde Locken. Robyn selbst war eher nach ihrem Vater Hugo gekommen. Der Highschool-Lehrer, ein schlanker Latino, hatte ihr neben dem schwarzen Haar, den bernsteinfarbenen Augen und dem warmen Teint mit bronzenem Unterton außerdem die Liebe zu Kriminalfilmen vererbt.

Sie lächelte ihren Eltern flüchtig zu, schloss dann den Laptop und grinste ihre Großtante an. »Ich hoffe, du hast auch pappiges Eis mit künstlichem Vanillegeschmack gekauft?«

Kapitel 3

Anhang 1, Dokument zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11:08 Uhr

HOTEL AMBROSIA – ein Zeitstrahl, von Robyn Jackson

1921/22: Erbauung des Apartmenthotels durch Henry T. Anderson. Noch vor Fertigstellung des Gebäudes wird Anderson in einem Indizienprozess des Mordes an seinen Söhnen schuldig gesprochen. Als Motiv führt die Staatsanwaltschaft seine Zweifel an der eigenen Vaterschaft an. Eine Zeugenaussage über ein angebliches alkoholisiertes Geständnis belastet ihn schwer. Die Kinder werden nie gefunden. Gerüchten zufolge liegen ihre Körper unter dem Fundament des Ambrosia.

1929: Ein Geschäftsreisender erhängt sich in seinem Hotelzimmer. Der Suizid wird mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise in Zusammenhang gebracht.

1932: Durch ein Gasleck kommen beinahe alle Bewohner der sechsten Etage ums Leben, darunter eine Großfamilie. (Anm. R.J.: Gerüchte um einen erweiterten Suizid. Nicht bestätigt.)

1940er und 50er Jahre: Keine Informationen.

1960er und 70er Jahre: Serie von Suiziden durch Sprung aus dem Fenster. Betrifft häufig Frauen, deren Lebensgefährten während der Taten schlafen. (Anm. R.J.: Verschleierte Femizide?)

1972: Sammelklage der Parkplatzbesitzer wegen der Reinigungskosten und Schäden an Autos. Erst jetzt werden im Hotel Fenster eingebaut, die sich nicht komplett öffnen lassen.

1980er und 1990er Jahre: Vermehrte Drogentode durch Überdosen. (Anm. R.J.: Kaum nennenswerte Ermittlungen. Vor allem Obdachlose betroffen, die wochenweise in den billigen Apartments wohnen.)

1984 – 1986: Der San Bernardino Slasher (SBS) wohnt in einem Apartment des Ambrosia und wird letztlich dort gestellt. Richard Reed sitzt bis heute in Haft.

1992: Der Besitzer des Ambrosia begeht Suizid. Seine Ehefrau übernimmt die Hotelleitung.

1994: Die Touristin Monica Torres wird von einer Überwachungskamera dabei gefilmt, wie sie vergeblich versucht, einen Fahrstuhl im siebten Stock zu betreten. Der Türmechanismus spielt verrückt. Sie nimmt die Treppe, kommt aber nie im Foyer an. Bis heute ungeklärt. (Anm. R.J.: Video auf YouTube verfügbar.)

1997: Aus unbekannten Gründen stürzt ein Junge in den Müllschlucker der neunten Etage und stirbt. (Anm. R.J.: Keine verlässlichen Quellen. Urbane Legende?)

2008: Eine Schwangere bringt ihr Kind im Hotelzimmer zur Welt und verliert das Bewusstsein. Als sie zu sich kommt, ist ihr Ehemann mit dem Baby verschwunden. Dem Vorfall ging ein Streit in der Lobby voraus. Kindesentführer John García nie gefasst.

Seit ca. 2010: Gäste des Ambrosia berichten in Online-Bewertungen von gruseligen Erlebnissen, u. a. von Gasgeruch, Babyschreien, Blutflecken, schwarzem Wasser, Geräuschen aus dem Müllschlucker. (Anm. R.J.: Vermutlich auf mangelhafte Hygienestandards und Einbildung zurückzuführen.)

2019: Eine Studentin wacht am frühen Morgen mit dem Kopf in einer halb zerrissenen Plastiktüte zwischen den Mülltonnen hinter dem Hotel auf. Sie besitzt keine Erinnerung an die vergangene Nacht, doch es kann rekonstruiert werden, dass sie auf einer Party im Ambrosia war. Die Polizei geht von einem versuchten Tötungsdelikt unter Einsatz von K.-o.-Tropfen aus, kann jedoch kaum die Hälfte der Partygäste ausfindig machen. Ermittlungen 2022 eingestellt.

Links zu den Quellen:

Los Angeles Times (05. 04. 1932) über das Gasleck

Überwachungsvideo von Monica Torres vor dem Aufzug auf YouTube

Statistik des SBPD zu den Drogentoden des Jahres 1986

Wikipedia-Eintrag zum San Bernardino Slasher (SBS)

Fahndungsplakat von Kindesentführer John García

KVCR-Radiobericht über den Plastiktütenfall (17. 12. 2019)

San Bernardino Sun (12. 10. 2022) zum Jubiläum des Ambrosia

Sammlung von Hotel-Reviews über unheimliche Erlebnisse

Anhang 2, Dokument zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11:10 Uhr

DER PLASTIKTÜTENFALL – eine Theorie, von Robyn Jackson

*Der Name des Opfers ist nicht öffentlich, daher nenne ich sie Jane.

Gesicherte Tatsachen:

• Janes* Alter zum Tatzeitpunkt: zweiundzwanzig Jahre

• Blutanalyse ergab: geringer Restalkohol, keine Drogen

• Petechien (Einblutungen) im Bereich der Augen und Lider, Hämatome im Halsbereich → laut Gerichtsmedizin Folge von Strangulation

• keine verwertbaren DNA-Proben an Körper/Kleidung des Opfers

• sexueller Übergriff rechtsmedizinisch ausgeschlossen

• drei Uhr: Jane verlässt die Party laut Überwachungsaufnahmen, danach verliert sich aufgrund defekter Kameras ihre Spur

• fünf Uhr: Party im siebten Stock des Ambrosia wird auf Initiative des Hotelpersonals hin aufgelöst

• kurz nach sieben Uhr: Jane kommt zwischen den Mülltonnen hinter dem Hotel zu sich, ihr Kopf steckt in einer nachlässig am Hals zusammengeknoteten Plastiktüte, die sie vermutlich selbst auf der Höhe des Mundes zerrissen hat

• die Bewohner der Apartments, in denen gefeiert wurde, haben diese im tatrelevanten Zeitraum nicht verlassen

• viele Partygäste sind ohne festen Wohnsitz → nur wenige konnten von der Polizei ermittelt und befragt werden

• niemand will Jane gekannt haben

• die Polizei hat keine tatverdächtige Person ermittelt

• Jane blieb ohne Erinnerung

• ein jadegrünes Perlenarmband mit chinesischen Schriftzeichen, das sie in der Tatnacht verlor, tauchte nicht wieder auf

Meine Schlussfolgerungen:

Da nirgendwo von Kampf- oder Abwehrspuren die Rede ist, wurde Jane vermutlich mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt. Die meisten Substanzen, die zu diesem Zweck missbraucht werden, verflüchtigen sich innerhalb von sechs bis zwölf Stunden und sind dann im Blut nicht mehr nachweisbar.

Es ist nicht auszuschließen, dass der Täter (die Täterin?) sie geplant in das schlecht überwachte Hotel gelockt hat. Aus kriminalstatistischen Gründen vermute ich, dass der Täter männlich ist, auch wenn man sich darauf niemals einschießen darf.

Es ist nicht gesichert, ob Jane mit Absicht oder versehentlich am Leben gelassen wurde. Doch der gewaltsame Erstickungsversuch lässt mich auf versuchten Mord schließen. Einen Menschen zu ersticken dauert mehrere Minuten und damit viel länger, als es in Filmen und Serien dargestellt und deshalb von der Allgemeinheit angenommen wird. Vielleicht ist es schiefgegangen, weil der Täter unerfahren und Jane sein erstes Opfer war? Zumindest sein erstes menschliches Opfer. Was mich zu meiner Theorie bringt.

Die Tierquäler-Theorie:

Auf viele Gewaltverbrecher und Serientäter treffen angeblich folgende drei Fakten zu, die nach dem forensischen Psychiater benannte Mcdonald Triade:

1. Sie waren weit über das übliche Alter hinaus Bettnässer.

2. Sie haben einen Hang zur Pyromanie (Brandstiftung).

3. Sie sind Tierquäler.

Auch wenn Mcdonalds Aufsatz nicht unumstritten ist, gilt Gewalt an Tieren in der Psychologie als frühes Anzeichen für antisoziales Verhalten, das später durchaus in Gewalttaten gegenüber Menschen münden kann. Es ist außerdem allgemein bekannt, dass die Verbrechen von Serientätern mit wachsender Erfahrung meist an Grausamkeit zunehmen. Die Täter werden selbstsicherer und steigern sich in ihre Gewaltfantasien hinein. Umgekehrt lässt sich beobachten, dass diese Gewaltfantasien vor dem ersten Kapitalverbrechen oft an Tieren ausgelebt werden.

Seit ich in einem True-Crime-Forum auf die Ermittlungen von Hobbydetektiven gestoßen bin, glaube ich, dass das auch auf den Täter im Plastiktütenfall zutrifft. Diese Ermittlergruppe hat es sich nämlich zum Ziel gemacht, einen Tierquäler aufzuspüren, der seine Taten filmt – und ihren Analysen zufolge wahrscheinlich in einem heruntergekommenen Hotel in Amerika wohnt. Die Titel der Videos sprechen für sich:

Junge, Katze, Plastiktüte (ursprünglich hochgeladen 2014)**

Junge, Hund, Ecstasy (ursprünglich hochgeladen 2016)**

Junge, Hände, Hamster (ursprünglich hochgeladen 2017)**

**Die Videos wurden von YouTube gelöscht, sind aber durch Mitglieder eines True-Crime-Forums gesichert worden.

Man muss die Aufnahmen weder anschauen, um den Inhalt zu erahnen, noch um eine Verbindung zu Janes Fall zu ziehen: die Plastiktüte, die Partydroge, die würgenden Hände – der Sadismus! Man muss sie allerdings schauen, wenn man dem Verdacht der Hobbyermittler nachgehen und die Identität des Täters ermitteln will. Ich habe die dunklen, verschwommenen Bilder Frame für Frame analysiert und bin dabei auf Folgendes gestoßen:

• ein Wandtuch mit buntem Mandala-Muster – exaktes Produkt in Onlineshop gefunden: Lieferung nur innerhalb von Nordamerika

• amerikanische Steckdosen? (schwer zu erkennen)

• grünliches Licht

• ein altes Telefon neben dem Bett

• dunkler Teppichboden

• weiße Einweghandschuhe

Den verrauschten Sound habe ich mithilfe verschiedener Demo-Softwares bearbeitet. Dadurch ist mir Folgendes aufgefallen:

• Musik aus dem Nachbarraum (lateinamerikanisch?)

• Staubsaugergeräusche (vom Flur?)

• entfernte Polizeisirene – womöglich aus Kalifornien – höre ich hier jeden Tag!!

Die Metadatenanalyse der Videos hat nichts ergeben. Trotzdem möchte ich der Ermittlungshypothese nachgehen, dass sie in einem Apartment des Ambrosia aufgenommen wurden. Warum?

1. Der Teppichboden und das alte Telefon könnten zur Einrichtung der Zimmer passen (laut Abgleich mit Fotos von Hotel-Reviews).

2. Das grünliche Licht könnte vom Neonschild stammen, das außen an der Hotelfassade hängt.

3. Der Account, über den die Videos hochgeladen wurden, hat laut einem Mitglied des True-Crime-Forums genau ein Video gelikt, und zwar einen Song der Band Nectar and Poison. Was ist sowohl Nektar als auch Gift? Ambrosia. (Mir fallen auf Anhieb zehn Serientäter ein, die sich für unerreichbar hielten und die Polizei mit Hinweisen dieser Art, die sie am Tatort zurückließen oder in kryptischen Briefen festhielten, aufziehen wollten.)

Mir ist bewusst, was für ein riesiger Zufall es wäre, wenn ich im Internet genau auf den Täter gestoßen wäre, der 2019 direkt vor meiner Haustür ein Gewaltverbrechen begangen hat. Ich weiß, dass ich mich bei dieser Theorie auf einige sehr vage Indizien stütze. Aber mein Bauchgefühl sagt mir: Jane wurde in jener Nacht von einem Langzeitgast des Hotels überwältigt. Womöglich von jemandem, der schon lange zuvor Tiere in seinem Apartment gequält und das Ganze gefilmt hat.

Der San Bernardino Slasher hat für zwei Jahre unbemerkt im Ambrosia Zuflucht gefunden. Das ist kein Ort, an dem man sich über seltsame Geräusche, Gerüche oder Verhaltensweisen wundert. Richard Reed soll mehrmals mit blutiger Kleidung nach Hause gekommen sein, und niemand hat die Polizei gerufen. Was, wenn bereits der nächste zukünftige Serienmörder im Hotel wohnt?

Falls meine Theorie stimmt, muss sein Zimmer Richtung Hauptstraße liegen, weil dort das grüne Neonschild an der Fassade hängt. Es müsste also möglich sein, ihn zu finden, indem ich das Hotel observiere. Denn wenn ich mit meinen Vermutungen richtig liege, kann ich ihn sehen.

Erscheint am 28. 03. 2025

ISBN 978-3-8466-0260-7

€ 16,00 [D], € 16,50 [A], sFr 21,90 [CH]

Bestsellerautorin Kira Licht schreibt Romantic Suspense

Hier trifft ein spektakulärer Crime-Plot auf jede Menge Gefühl

Mae ist alles andere als begeistert, als sie zu ihren Großeltern in das kleine Örtchen Tallahawney in die Südstaaten ziehen soll, um endlich Disziplin zu lernen und ihren Highschool-Abschluss nachzuholen. Doch kurz nach ihrer Ankunft geschieht Schreckliches: Mitschülerin Shirley wurde kaltblütig ermordet. Die Polizei tappt im Dunkeln. Mae beschließt, selbst Nachforschungen anzustellen, und wird dabei von dem beliebten, aber verschlossenen Nathan unterstützt, der ihr Herz zum Rasen bringt. Bald wird klar, dass jeder im Dorf etwas zu verbergen hat. Mae gerät in ein gefährliches Netz aus Lügen und Intrigen, das auch die gut gehüteten Geheimnisse ihrer eigenen Familie ans Licht bringen könnte

1. Kapitel

Der Anfang vom Ende

USA, Florida, Tampa

Das Blaulicht erhellte die Dunkelheit in dem pulsierenden Takt eines Herzens.

»Die Beine auseinander.« Der Polizist war grob bei der Durchsuchung. Ich presste die Lippen zusammen, um einen Kommentar zu unterdrücken.

Bleib ruhig. Mach einfach, was er sagt.

Ich spreizte die Finger auf der Motorhaube des Streifenwagens, fühlte den Lack, der durch den Motor erwärmt worden war, versuchte, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Weg von der Wut, der Hilflosigkeit, der Angst.

»Geht doch.« Schon wieder berührte er mich so grob.

Jetzt konnte ich meinen Mund doch nicht mehr halten. »Darf das nicht nur eine weibliche Beamtin?«

Der Cop lachte, während er hinter mir in die Hocke ging und meine Beine hinabtastete. »Glaubst du, ich habe Lust darauf, dass du gleich ein Messer ziehst?«

Ich schnaubte und schenkte mir eine Antwort. Es war lächerlich. Meine Hose war so eng, dass sich die Taschen unter dem Stoff abmalten. Dazu trug ich ein bauchfreies Top und Flip-Flops. Ob er annahm, dass ich die Waffe unter meinem Pony versteckt hatte?

Verstärkung rückte an. Zwei weitere Streifenwagen fuhren auf das Gelände der Tankstelle und kamen mit quietschenden Reifen neben den abgeschalteten Zapfsäulen zum Halt. Beamte stiegen aus und näherten sich uns, begleitet von einer Wolke aus Abgasen und den verzerrten Stimmen aus ihren Funkgeräten. Ihr Unbehagen war deutlich zu spüren. Verständlich. Touristen wurden vor East Ybor eindringlich gewarnt. Hier gab es die höchste Kriminalitätsrate, die meisten Morde in ganz Tampa.

Doch ich war in diesem Stadtteil aufgewachsen, das hier war mein Viertel. Die abbruchreifen Häuser, der Müll in den Straßen, die gescheiterten Existenzen, die hier gestrandet waren. Das alles war für mich Heimat.

Ich drehte den Kopf zur Seite, als könnte ich so verhindern, dass die Cops mich ansahen. Mein Blick glitt in Richtung des Nachtschalters. Dort saßen meine vier Begleiter mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Asphalt.

Slade fixierte die Polizisten, als wolle er jeden einzelnen abstechen, sobald man ihm die Hände losband. Mike kaute auf seinem Kaugummi und sah mit wütendem Blick ins Leere. Die beiden anderen Typen, angeblich Kumpels von ihm, hatte ich heute Abend zum ersten Mal getroffen. Einer der beiden sah zu, wie der Cop mich betatschte, was Ekel in mir aufsteigen ließ. Er war älter als Mike und Slade, die mit mir gemeinsam die Abschlussklasse der High School besuchten. Mike kannte ich aus dem Unterricht, aber wir hingen nicht zusammen rum.

Slade und ich hatten was miteinander. Er war auf eine raue Art attraktiv, hatte mit 17 schon Tattoos und besaß das kantige Gesicht eines TikTok-Stars. Er klaute hin und wieder und dealte mit dem Oxycodon seines Stiefvaters. Immer, wenn er Geld hatte, kaufte er mir teures Zeug, das mir völlig egal war. Wir hatten kaum Gemeinsamkeiten, aber trotzdem war ich gern in seiner Nähe. Ob wir zusammen waren? Schwer zu sagen.

Er war es gewesen, der mich zu dem hier überredet hatte.

Ein Cop mit Bierbauch und struppigem Schnauzer walzte jetzt auf die Jungs zu und deutete dann nacheinander mit dem Finger auf sie. »Vorbestraft, vorbestraft, vorbestraft, vorbestraft.« Dann drehte er sich zu mir und spazierte betont lässig in meine Richtung, während er auf seinen Notizblock sah.

»Mae Zara Tolliver. Die Einzige in diesem Quintett, die noch nicht vorbestraft ist.« Er verzog abschätzig die wulstigen Lippen. »Ein eingestelltes Verfahren nach Jugendstrafrecht und ein laufendes Verfahren.« Er gab seiner Stimme einen Tonfall, als hätte ich etwas gewonnen. »Glückwunsch, Sonnenschein. Ab dieser Nacht stehst du deinen Kumpels in nichts mehr nach.«

Angst kroch in mir hoch. Vorbestraft. Dank dieser dämlichen Nummer hier würde ich vorbestraft sein. Dieses Wort war wie ein Stempel, ein Stigma, das ich für den Rest meines Lebens tragen würde. Auf was hatte ich mich hier nur eingelassen?

»Was haben wir?« Eine mittelalte Polizistin stellte sich neben den Cop, der immer noch die Wirkung genoss, die seine Worte auf mich hatten. Cop Nummer zwei mit den aufdringlichen Händen rückte ein Stück von mir weg.

Die Frau schien im Rang über den anderen zu stehen, denn die Männer kuschten sofort.

»Einen Einbruchdiebstahl, Ma'am«, erwiderte der mit dem Block, während der andere mir Handschellen anlegte und mich dann umdrehte.

»Wir konnten den Eigentümer der Tankstelle telefonisch erreichen«, redete der andere mit dienstbeflissener Miene weiter. Keine Spur mehr von Hohn und Spott. »Er ist auf dem Weg hierher. Er gibt an, dass sie heute Nachmittag aufgrund eines Rohrbruchs geschlossen werden musste. Vermutlich ein Insiderjob. Sie haben die Kasse aufgebrochen und Zigaretten sowie alkoholische Getränke mitgenommen.«

Die Frau nickte knapp, dann drehte sie sich zu den Jungs. »Wer von euch arbeitet hier?«

Keiner reagierte. Mike, der eine ziemlich kurze Zündschnur besaß, murmelte sogar irgendetwas, das wie »Verpiss dich« klang.

Die Polizistin kräuselte die Lippen und überging seinen Einwurf, dann glitt ihr Blick zu mir. »Ist sie gesprächiger?«

»Sie steht direkt hier und kann Sie hören«, blaffte ich.

Schon wieder so ein Kräuseln der Lippen. »Also?«

Es ärgerte mich, wie viel Respekt sie mir einflößte.

»Vergessen Sie's.« Weil ich nun mit dem Po am Streifenwagen lehnte, sah ich geradeaus an ihr vorbei zum Tankstellenhäuschen.

»Dann ab aufs Revier mit allen.« Die Frau klang immer noch unbeeindruckt. Sie sah auf ihre Uhr. »Fast Mitternacht. Ich lasse die Bereitschaft der Spurensicherung anreiten, sie sollen Beweise sichern.«

»Sie hat nichts damit zu tun«, hörte ich plötzlich Slades Stimme. Überrascht sah ich zu ihm.

»Sie wollte bloß was kaufen und hat dann gemerkt, dass der Laden zu ist. Keine Ahnung, wer sie ist.«

Er klang so überzeugt von seinen Worten. Ich lächelte ihm zu. Niemals hätte ich gedacht, dass er so ein guter Schauspieler war. Die anderen drei hatten ihre Pokerfaces aufgesetzt und wichen den Blicken der Cops aus. Fakt war, ich war der Späher gewesen. Ich sollte auf der Vorderseite der geschlossenen Tankstelle beobachten, ob sich jemand im Gebäude näherte, während die anderen durch die Hintertür in das Büro einbrachen.

Die Frau lachte trocken. »Niemand, der unschuldig ist, flüchtet, wenn die Polizei anrückt.«