Lesereise Ligurien - Bernadette Olderdissen - E-Book

Lesereise Ligurien E-Book

Bernadette Olderdissen

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Beschreibung

Klippenreiche Küsten und Berge, die sich bis ans Meer herantasten: Ligurien ist eine Region, in der es die Menschen von jeher verstanden haben, mit unwirtlichem Terrain zu leben und der Natur vielfältige kulinarische Höhepunkte zu entlocken. Bernadette Olderdissen macht sich auf den Weg durch die berüchtigten Gassen der Regionshauptstadt Genua, erkundet das Geheimnis aufgemalter Hausfassaden, ergründet die Geschichte der ligurischen Hexenjagd und stolpert über ein Dorf, das sich als eigenes Fürstentum wähnt. Und sie lernt, Ligurien und das Meer durch die Augen eines ligurischen Schriftstellers zu sehen.

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Bernadette Olderdissen

Lesereise Ligurien

Umarmt von Mittelmeer und Bergen

Picus Verlag Wien

Copyright © 2022 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

Umschlagabbildung:

© jon chica parada/iStockphoto

ISBN 978-3-7117-1112-0

eISBN 978-3-7117-5478-3

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter www.picus.at

Inhalt

Die berüchtigten Vicoli von Genua

Ein Ort von Gefahr, aber auch von Inspiration für Künstler und Musiker wie Fabrizio De André

Grünes Glück aus Genua

Pesto genovese ist Genuas ganzer Stolz – doch er kommt nicht auf alle Nudeln

Ardesia – wenn Steine zum Leben erwachen

Der ligurische Stein dient Künstlern als Grundlage für regionales Kunsthandwerk und Sonnenhungrigen als Strandtuchunterlage

Kein Tag ohne Focaccia

Nicht nur der beliebteste Strandsnack: Das ligurische Fladenbrot bestimmt den Duft der Gassen

Optische Täuschung

Das Mysterium der aufgemalten Fassaden

Punta Chiappa, Liguriens schönes Hinterteil

Wer von einem Ort, der Pobackenpunkt heißt, nicht viel erwartet, könnte einiges verpassen

Feuerwerk für die Madonna

Viele Feste Liguriens drehen sich um Heilige – so auch die Fuochi di Recco jeden September

Der Herr der Wellen

Wie der Schriftsteller Mario Dentone seine ligurische Heimat in seinen Werken verewigt

Die Cinque Terre

Liguriens weltberühmte Dorfschönheiten

Elfhundert Stufen zum Meer

Wer zwischen den Klippen Monesterolis baden möchte, hat einen weiten Weg

Liguriens kleines Stonehenge

In den bewaldeten Hügeln zwischen Lerici und Romito Magra verbergen sich Monolithen, auf denen das Licht jedes Jahr zur Sonnenwende einen goldenen Schmetterling hervorlockt

Borghi, die Dörfer über dem Meer

Einige von ihnen zählen zu den schönsten Italiens – die ligurischen Dörfer oberhalb des Meeres

Die Hexen von Triora

Ein Dorf in der Provinz Imperia, wo einst Hexen verfolgt wurden, steckt laut Meinung vieler noch immer voller Geister

Bussana Vecchia – von der Geisterstadt zur Künstlerkolonie

Ein Dorf, das nach einem Erdbeben zerstört und verlassen wurde, hat sich seit den sechziger Jahren zur Heimat für internationale Künstler entwickelt

Auf dem Dach Liguriens

Im Gegensatz zur überlaufenen Cinque-Terre-Wanderung bietet der ligurische Westen einsame Wege in den Seealpen – bis hinauf auf den höchsten Berg Liguriens

Süße Küsse

Die Baci di Alassio sind köstliche Dickmacher mit langer Tradition

Dolceacqua – mehr als nur süßes Wasser

Im Hinterland Liguriens entsteht der angeblich beste Rotwein der Region

Über die Autorin

Die berüchtigten Vicoli von Genua

Ein Ort von Gefahr, aber auch von Inspiration für Künstler und Musiker wie Fabrizio De André

Genua, Liguriens Hauptstadt, ist die Stadt der »Viertel, wohin die Sonnenstrahlen des lieben Gottes nicht reichen« (quartieri dove il sole del buon Dio non dà i suoi raggi). So zumindest beschreibt Fabrizio De André (1940–1999), Genuas wohl bekanntester Liedermacher, die Altstadtgassen seiner Heimatstadt in seinem Lied »La Città Vecchia«. Es geht um betagte Männer, die draußen an den Tischen der Bars zusammensitzen und sich über Gott und die Welt beschweren. Um Mädchen, die Prostituierte als Models ansehen und sich vorstellen, eines Tages wie sie zu sein. Auch um Herren in gehobenen Positionen, die die leicht bekleideten Damen regelmäßig besuchen (frei übersetzt: »Was suchst du in jenem Tor, alter Professor?«), um Betrüger und Kleinkriminelle (»Diebe, Mörder und komische Typen … einen, der für dreitausend Lire seine Mutter an einen Zwerg verkauft hat«).

Die Gassen, auf Italienisch vicoli, inspirierten De André allerdings nicht nur zu »La Città Vecchia«. Viele weitere seiner Liedtexte gelten bis heute als musikalische Entdeckungstour von Genuas Altstadt und als Manifest der doppelten Bürgermoral, sei es in »Via del Campo« mit ebenfalls einer Prostituierten als Protagonistin oder in »A dumenga« (Der Sonntag), einem in genuesischem Dialekt geschriebenen Lied. Diesem zufolge gestand der Senat den Freudenmädchen der Stadt nur sonntags nach getaner Arbeit zu, ihr Gassenviertel zu verlassen und die Messe zu besuchen – unter öffentlich geäußerter Empörung der schaulustigen Viertelbewohner, inklusive dem Hafendirektor. Diesen erwähnte De André sicher nicht zufällig, denn Dokumentationen beweisen, dass Instandhaltungsarbeiten im Hafen auch dank der Mieteinnahmen durch Bordelle finanziert wurden.

Doch nicht nur De André dienten die vicoli mit ihrem sündigen Treiben als Muse: Wer »Il cielo in una stanza« (Der Himmel in einem Zimmer) von Liedermacher Gino Paoli (geboren 1934) lauscht, sollte sich von den vor Romantik triefenden Worten nicht täuschen lassen: Die Angebetete ist eine Prostituierte, in die sich Paoli laut Interviews verliebt hatte, und die mehrfach besungene »fliederfarbene Decke« befindet sich im Zimmer des Bordells »Il Castagna«. Wer neugierig ist, kann sich noch heute auf die Spuren des Sängers begeben, denn das Bordell befand sich im Vico dei Castagna 4 und steht auf der To-See-Liste von Altstadtführungen zur reichen Geschichte der genuesischen Gassen.

Nun hat sich viel verändert in Genuas Altstadtgassen, seit De André und Paoli diese Lieder Ende der fünfziger Jahre und in den Sechzigern schrieben. Bella Italia wie aus dem Bilderbuch mit Sonnenschein, der hübsch restaurierten und erleuchteten palazzi, mit unübertroffenem Pizza-Duft und glücklichen Menschen, die zwischen schicken Boutiquen flanieren, findet man in Genuas vicoli jedoch noch immer nicht. Der angeblich größte erhaltene Altstadtkern Europas reißt Genua-Anfängern selbst ein gutes halbes Jahrhundert nach den realitätsnahen Beschreibungen der beliebten Liedermacher die rosarote Italien-Brille von der Nase. Er entführt sie in einen zunächst gewöhnungsbedürftigen Mikrokosmos, der hinter fast jeder Ecke auch Überraschungen verbirgt. Schnell verleitet er vor allem zu Einem: den Reiseführer oder das Handy mit der App einfach mal wegzustecken und sich treiben zu lassen. Von Gasse zu Gasse, einer spontanen Eingebung folgend oder Neugier, die der Blick nach rechts oder links erweckt. Auf die kleinen Dinge zu achten, und zwar nicht nur auf die Hundehaufen auf dem Boden, sondern auch auf die Madonnen- und weiteren Statuen an zerfallenen Hausfassaden. Auf unscheinbare Bar- oder Restaurantschilder, hinter deren Graffiti-verschmierten Türen sich gemütliche Einkehrmöglichkeiten eröffnen. Auf das Stimmengewirr aus verschiedenen Sprachen, das manche Gassen bis in die späten Stunden durchzieht. Und wer staunend an der schmucken Cattedrale San Lorenzo emporschaut, sollte noch einmal an die Freudenmädchen aus De Andrés und Paolis Liedtexten denken – der Bau des Gotteshauses wurde größtenteils aus Steuergeldern finanziert, und dazu leisteten die Prostituierten wie alle anderen Arbeiter Genuas einen erheblichen Beitrag.

Zugegeben, ich selbst habe eine Weile gebraucht, bis ich mich mit Genuas vicoli anfreunden konnte. Und das, obwohl ich 2009 spontan einen Job in Genua annahm, von einem Tag auf den anderen in die Hafenstadt zog und die nächstbeste Wohnung anmietete – inmitten der vicoli. Noch heute erinnere ich mich lebhaft an den ersten Eindruck, den ich später in einem humoristischen Roman über meinen Neuanfang in Italien folgendermaßen verarbeitete:

»Es stinkt. Ich halte den Atem an. Hauptbestandteile der Note sind Hundekot und Urin, Feuchtigkeit, die sich tief in die alten Gemäuer geschlichen hat und vergossener Alkohol. Dunkelheit und Verfall umklammern die kleinen Straßen und ihre fleckigen Gebäude, an denen der Putz abbröckelt. Dazwischen mischt sich eine kaum wahrnehmbare Brise mit dem Duft nach frisch gewaschener Wäsche, die zwischen Hauswänden tropfend und schlapp über den Gassen hängt. Erbrochenes vom Wochenende klebt noch in manchen Ecken, lässt darauf schließen, was die Genueser vor dem Diskoabend zu sich nehmen. Mitten auf dem Weg liegt ein zerschmettertes Ei. Eine Möwe versucht, aus einer Durchfallpfütze einen matschigen Hamburger zu retten. Wäscheklammern, Hundehaufen und Müll aller Art zieren die Straßen wie Konfetti. Ich lege einen unfreiwilligen Slalom ein, um den übelsten Bodenbelägen bestmöglich auszuweichen. Zwei Nachbarinnen schreien sich aus gegenübergelegenen Häusern entgegen, es geht um pasta, ristorante und stronzo, was ich nicht verstehe. Aus einem anderen Fenster brüllt Musik: Che sarà, sarà. Ein Mann krächzt dazu – von Rhythmus und Tonlage hat er noch nie gehört. Wir erreichen eine ansteigende Gasse. ›Vico Vegetti‹, steht auf dem Straßenschild, ›merda‹ in Großbuchstaben auf der ersten Hauswand – die Künstler dieser Aufschrift haben die Gedanken vieler vorbeikommender Passanten erraten. Über der ganzen ›Scheiße‹ wacht an einer Fassade eine Madonnenfigur. Lächelnd, die Lippen entschuldigend zusammengepresst, sieht sie auf mich herab. Aus einem höheren Stock des gleichen Hauses fliegt zwischen frischer Wäsche hindurch verschimmeltes Brot, das um ein Haar auf meinem Kopf landet. Eine Heerschar hungriger Tauben stürzt sich dankbar darauf.«

Nein, es war keine Liebe auf den ersten Blick zwischen Genuas vicoli und mir und den allermeisten Besuchern wird es beim Gassenspaziergang ähnlich ergehen. Manche Zonen der vicoli wurden über die letzten zehn Jahre ordentlich aufgehübscht und beheimaten nun brandneue, hippe Restaurants und Läden. Aber auch das wahre Genua, wo es mal stinkt, nicht alles touristenfreundlich herausgeputzt ist und wo das echte Leben in den Straßen pulsiert, ist erhalten geblieben. Zum Glück.

Anfängern empfiehlt es sich, die vicoli tagsüber zu erkunden. Noch heute erzählt man sich gerne Schauergeschichten, was nach Einbruch der Dunkelheit insbesondere in den Gassen rund um die berüchtigte Via di Prè alles vor sich geht – meist Drogenhandel, in den man während der Sightseeing-Tour nicht unbedingt verwickelt werden möchte. Lange sagte man, die Gassen links der Via San Lorenzo (von der Piazza De Ferrari in Richtung Porto Antico laufend) seien in Ordnung, aber rechts davon, vor allem in Richtung Bahnhof und Piazza Principe, solle man sich vorsehen.

Fans von Schauergeschichten wird gefallen, dass einer der bekanntesten Serienmörder Italiens, Donato Bilancia (1951–2020, im Gefängnis an Covid-19 verstorben), das »Monster von Ligurien« genannt, seine ersten Morde in Genuas vicoli beging. Er war eine Gassen-Figur wie aus dem Klischeekatalog geschnitten: ein spielsüchtiger Dieb, der eines Tages einen Freund ermordete, an den er beim Spiel viel Geld verloren hatte, und zwar angeblich unweit der Piazza Cavour. Wer an Gespenster glaubt, könnte in der Via Luccoli das Glück haben, einem zu begegnen: Nach einer Legende befand sich dort in der Antike ein Wald, wo heidnischen Göttern auch Menschenopfer gebracht wurden. Unter diesen Opfern soll sich ein Kind befunden haben, bekannt als il bambino di Via Luccoli. Die Genueser erzählen sich bis dato, dass dessen lächelnder Geist all jenen erscheint, die traurig oder schlecht gelaunt durch die Via Luccoli laufen – vielleicht, um ihnen ein wenig Mut zu machen? Schleicht dagegen ein eher mürrisch wirkendes Gespenst in Soldatenkleidung an einem vorbei, handelt es sich um einen 1943 in den Gassen ermordeten deutschen Soldaten. Der hatte sich nämlich trotz der Warnungen seiner Kumpels ins düsterste Gassengewirr vorgewagt, um seine Gelüste bei einer Prostituierten zu stillen. Er verirrte sich dummerweise und lief irgendwelchen üblen Gestalten in die Arme, die ihn kurzerhand um die Ecke brachten.

Mittlerweile haben sich die vicoli in eine gezähmte Version ihrer Legenden verwandelt. Selbst wenn man am helllichten Tag in die Via della Maddalena spaziert und sich kurz über die vielen leicht bekleideten Damen wundert, die aufreizend vor Hauseingängen lümmeln – bald scheinen einem auch diese so sehr ein Teil des Gassenbildes zu sein wie die unzähligen Geschäfte mit arabischen Gewürzen und Spezialitäten, Handwerkskunst aus Schwarzafrika oder Klamotten aus China, die sich an genuesische Focaccia-Bäckereien oder Spezialitätengeschäfte mit pesto und hausgemachter pasta schmiegen.

Hat man sich mit den vicoli angefreundet, überwiegt der Duft nach frisch Gebackenem und Gekochtem und die von Fenster zu Fenster ausgefochtenen Kämpfe zwischen Nachbarn werden ebenso zu Musik wie die in Höchstlautstärke geführten Gespräche vieler Immigranten und das Knallen der Rollläden in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Und längst nicht alle vicoli werden mit Mord und Totschlag assoziiert – es gibt durchaus auch welche, die mit herzerwärmenden und romantischen Legenden verbunden sind, allen voran die Piazza dell’Amor Perfetto, der Platz der perfekten Liebe. Der winzige Platz ist so gut versteckt zwischen Via degli Orefici und Vico delle Vigne, dass man schon ganz genau hinschauen muss, um ihn zu finden. Pärchen schießen gerne ein Selfie mit dem Straßenschild, doch die Geschichte dahinter kennen meist nur echte Genueser: Um 1500 soll der französische Herrscher Louis XII Genua besucht und dabei die genuesische Edeldame Tommasina Spinola kennengelernt haben. Es war Liebe auf den ersten Blick, doch die Schöne war bereits mit dem Angehörigen eines genuesischen Adelshauses verheiratet. Dennoch entwickelte sich zwischen beiden eine die Jahre überdauernde, tugendhafte und platonische Liebe.

Tommasina konnte es kaum erwarten, Louis bei seinem nächsten Genuabesuch wiederzusehen, doch da erreichte sie die Nachricht seines Ablebens in einer Schlacht. Als sich herausstellte, dass diese falsch war und Louis lebte, war es bereits zu spät: Tommasinas Herz war in so viele Stücke zerbrochen, dass die Trauer sie verzehrte und sie wenige Wochen später starb. Louis, der schließlich nach Genua zurückkehrte und vom Tod der Geliebten erfuhr, erwies ihr die letzte Ehre, indem er sich zu ihrem palazzo an der heutigen Piazza dell’Amor Perfetto begab. Und er äußerte die Worte, die in die Geschichte Genuas und seiner Gassen eingingen: »Sarebbe potuto essere un amore perfetto«. Es hätte die perfekte Liebe sein können.

Grünes Glück aus Genua

Pesto genovese ist Genuas ganzer Stolz – doch er kommt nicht auf alle Nudeln

Fragt man einen Ligurer, was man zur Zubereitung des pesto genovese genau braucht, wird man hören: »Ganz einfach – eine Knoblauchzehe, Basilikum, sardinischen Käse, feines Öl und einen guten Mörser, in dem man alles am Ende vermischt!«

Aber wie sieht es mit den Mengen aus? »Guter Gott, regulier die einfach selbst! Möge dir die Vorsehung dabei zur Seite stehen!«

Probiert man in ligurischen Restaurants einen primo piatto – ersten Gang – aus trofie (eine ligurische pasta aus Hartweizengrieß, die aussieht wie winzige, an den Enden spitz zulaufende Würmchen) oder gnocchi al pesto, die absoluten Klassiker, lassen sich jedes Mal feine Unterschiede erkennen. Der eine Koch gibt mehr Öl in den pesto, der nächste weniger, manchmal ist der Knoblauch deutlich herauszuschmecken, dann wieder ist der pesto knoblauchfrei. Wobei das italienische Verb pestare in etwa »zertreten« oder »zermanschen« bedeutet, was die Essenz des pesto beschreibt: Letzten Endes handelt es sich um eine zerstampfte Masse.

Dabei ist die Pesto-Erfindung angeblich noch gar nicht so alt: Als geborene Seefahrer, Eroberer und Herrscher brachten die Genueser über mehrere Jahrhunderte immer neue Gewürze und Rezepte des Mittelmeerraums mit nach Hause. Für die Pesto-Rezeptur sollen die Ligurer jedoch bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebraucht haben: Da erwähnte den pesto nämlich erstmals der damals namhafte Gastronom Giovanni Battista Ratto in seinem Werk »La Cuciniera genovese« (Die genuesische Köchin), und zwar als Sauce für lasagne oder gnocchi beziehungsweise trofie. Überhaupt galt die Region Ligurien schon seit dem Mittelalter als »Wiege der Kräutermischungen«. Die reicheren Bevölkerungsschichten zierten ihre Bankette mit ausgewählten Gewürzen aus den verschiedensten Ländern und die ärmeren Menschen nutzten lokale Gewürze, um ihren eher faden Gemüsesuppen etwas Geschmack zu verleihen.

Die Legende besagt allerdings, es seien gar nicht die Seefahrer, sondern ein Pater des Konvents San Basilio oberhalb von Genua-Prà gewesen, dem der pesto zu verdanken ist. Der soll nämlich in den dortigen Hügeln Kräuter gesammelt und diese als »basilium« bezeichnet haben – zu Ehren des Heiligen Basilio. Diese habe er dann mit einigen wenigen Zutaten, die ihm die Gläubigen brachten, vermischt und so die erste Art von pesto geschaffen, der nach und nach verfeinert wurde. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte sei dahingestellt, doch als wahrscheinlich gilt, dass der pesto in früheren Zeiten sehr viel mehr Knoblauch enthielt. Nicht um mit dem eigenen Atem Vampire vertreiben zu können, sondern aufgrund des arabisch-persischen Einflusses, der die genuesischen Saucen zwischen dem Mittelalter und dem 18. Jahrhundert prägte, und wegen eines besonderen Bedürfnisses der Seefahrer: Auf See galt Knoblauch nämlich während langer Überfahrten als wahres Wundermittel. Er sollte nicht nur Bakterien aus fauligem Wasser bekämpfen, sondern war unter anderem auch ein wertvoller Vitamin-C-Lieferant.

Ein Genueser, der sich den pesto seit 2011 zum Lebensmittelpunkt macht und damit in die Welt gezogen ist, heißt Claudio Masala, der »Travel Cook« – Reisekoch, wie er seine Berufung selbst nennt. Um den pesto