Lesereise Schwarzwald - Tomo Mirko Pavlović - E-Book
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Lesereise Schwarzwald E-Book

Tomo Mirko Pavlovic

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Beschreibung

Ungewöhnliches und Historisches berichtet der bekennende Schwarzwaldliebhaber Tomo Mirko Pavlović aus der Zentralregion des deutschen Gemüts, schließlich wird hier immer noch romantisiert, geurlaubt und getüftelt, dass sich die Tannen biegen. Er lässt zwischen Baden-Baden und Freiburg die Kuckucksuhren neumodisch krähen, wandert mit verfemten Zipfelmützen-Philosophen in den dunklen Gedankenwald und starrt in gefeierten Drei-Sterne-Lokalen auf anhängergroße Käsewagen. Und er atmet beim Anblick der wunderschönen Natur tief durch.

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Seitenzahl: 122

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Tomo Mirko Pavlović, 1971 in Stuttgart geboren, studierte Luft- und Raumfahrttechnik, Politikwissenschaften und Germanistik. Er lebt als Autor und Journalist in Stuttgart und Zagreb. Nach seinem Zeitungsvolontariat arbeitete er als Redakteur bei »Sonntag Aktuell« zunächst im Ressort Reise und Zeitgeschehen, nunmehr im Ressort Zeitgeschehen. Seine Theaterstücke wurden zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen und seither an mehreren Theatern in Deutschland aufgeführt. Im Picus Verlag erschienen seine Lesereisen Kroatien (2009) und Schwarzwald (2019).

Tomo Mirko Pavlović

Lesereise Schwarzwald

Schräge Klänge im Wipfelrausch

Picus Verlag Wien

Copyright © 2019 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

Umschlagabbildung:

© imago/imagebroker

ISBN 978-3-7117-1096-3

eISBN 978-3-7117-5411-0

Informationen über das aktuelle Programmdes Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

Inhalt

Bollen oder Krone?

Trachten sind wieder beliebt, gerade bei jungen Leuten. Eine sehr geduldige Gutacher Handwerkerin stellt die Brautkronen her

Männer, die auf Leder stehen

Einen gepflegten Mann erkennt man an seinen Schuhen. Einsichten und Beobachtungen von einem Schuhputzkurs in Baden-Baden

Heideggers Holzweg

Der Todtnauberg im Südschwarzwald ist für Freunde der Philosophie ein besonderer Ort. Denn dort verfasste Martin Heidegger sein berühmtes Werk »Sein und Zeit«

Die haben einen Vogel

Ein Schwarzwälder Traditionsprodukt stand lange unter Kitschverdacht. Doch die geliebte wie verhasste Kuckucksuhr ist moderner geworden. Und nicht jeder ist davon begeistert

Ein Traktor, null Punkte

Den legendären Westweg gibt es seit bald hundertzwanzig Jahren. Der Fernwanderweg hat ein Gütesiegel verpasst bekommen, zum dritten Mal schon. Damit er auch künftig noch von den jüngeren Naturliebhabern betreten wird

Der verlorene Sohn

Wenn ein Sohn das Elternhaus verlässt, gibt es zwei Möglichkeiten: Er kommt wieder zurück – oder er bleibt weg. Wenn dieser aber nicht mehr heimfindet, ist er ein verlorener Sohn

Mein Freund, der Borkenkäfer

Vor einigen Jahren wurde der Nationalpark im Nordschwarzwald eingerichtet – trotz teilweise heftiger Proteste der Nachbargemeinden

»Maidle, mach dir Locke, sonscht bleibsch hocke!«

Schon die alten Ägypter wollten sich mit ihr schmücken, doch erst ein Schwarzwälder fand den lang anhaltenden Dreh heraus

Von Kehren und Sauschwänzen

Im Schwarzwald ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Orten nicht unbedingt die Gerade. Man fährt sich schon mal schwindlig. Unterwegs auf einer Tour der tausend Kurven

Einfach edel

Im Schwarzwald konnte man lange Zeit nur so essen: unglaublich gut oder unendlich bieder. Dazwischen gab es wenig. Das hat sich geändert

An der schönen heiser-rauen Donau

Donaueschingen ist ein weltberühmter Ort. Nein, nicht der Donau wegen. Sondern wegen der Musik

Schlemmen wie Gott im Schwarzwald

Baiersbronn ist der Ort mit der höchsten kulinarischen Sterne-Dichte. Manch einer will deshalb nie mehr wieder weg oder immer wieder hin

Klappe, die nächste!

Wo heute »Tatort«-Kommissare nach Spuren und närrischen Mördern suchen, wurden einst die kriegsferne Natur und Halbgötter in Weiß angehimmelt

Der Krieg, die Architekten und das Holz

Manche Bausünden entstellen die Landschaft, doch jüngst punkten Architekten mit liebevoll nachhaltig sanierten uralten Schwarzwaldhäusern

Bollen oder Krone?

Trachten sind wieder beliebt, gerade bei jungen Leuten. Eine sehr geduldige Gutacher Handwerkerin stellt die Brautkronen her

»Zuerst«, sagt Friedhilde Heinzmann lächelnd, »zeige ich den Leuten immer das Foto eines Bollenhuts und einer Schwarzwaldtorte. Und dann sage ich: Daran denken Sie, wenn Sie an den Schwarzwald denken, aber das mache ich nicht. Ich mache Schäppel.«

Schäppel, im Dialekt mit weichem »b« gesprochen – was das sein könnte, ahnen allenfalls Kenner des Mittelhochdeutschen: Kopfschmuck. Nichts für Volksfest-Folklore, Schäppel darf ohnehin nicht jeder tragen. Das Tragen der Gutach-Schäppel ist den Mädchen und Frauen in den Dörfern Gutach, Wolfach-Kirnbach und Hornberg-Reichenbach vorbehalten. Es sind drei evangelische Gemeinden. Der Name Schäppel kommt von Schapel, der bestand in der Regel aus einem Kranz aus Laub und Blumen. Der Kopfschmuck der Jungfrauen. Und der berühmteste Hut der Region, der Bollenhut? Er wurde längst in abstrakter Form, drei rote Punkte, zum Piktogramm des Schwarzwaldtourismus.

Ledige konfirmierte Mädchen setzen Schäppel an Festtagen wie dem Erntedankfest auf. Und zum letzten Mal als Braut, weshalb der Kopfputz mit den vielen Perlen, Bändern und Pailletten auch Brautkrone genannt wird. Danach ist Schluss, der Schäppel kommt in die Kiste, wird für die nächste Generation aufbewahrt. Nach der Hochzeit geht die Frau in Gutach wieder mit Bollenhut. Aber vornehm gesetzt in Schwarz, die roten sind nur für unverheiratete, im Idealfall jungfräuliche Frauen gedacht. »Ohne schwarze Bollen keine roten«, sagt die einundsiebzigjährige Schäppel-Macherin Friedhilde Heinzmann. Sie sitzt in der Arbeitstracht in einem Bauernhofstübchen des Falkenhofs im Schwarzwälder Freilichtmuseum in Gutach.

Der Vogtsbauernhof ist das älteste Freilichtmuseum Baden-Württembergs. Gutach liegt im mittleren Schwarzwald im Ortenaukreis, nur etwas mehr als zweitausend Einwohner zählt die Gemeinde. Und dennoch ist Gutach jedem Badener, jedem Württemberger ein Begriff. Denn hier versucht man etwas zu erhalten, was anderswo im Schwarzwald längst verschwunden ist. Im Freilichtmuseum will man nicht nur dem Leben und dem Alltag vom 16. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gerecht werden, sondern auch den Unterschieden zwischen den einzelnen Ortschaften. Nachdem sich das Museum zunächst landwirtschaftlichen Themen, insbesondere dem ländlichen Lebensstil in den abgelegenen Dörfern, widmete, werden dort seit 1963 historische Gebäude aus verschiedenen Schwarzwaldregionen wieder aufgebaut. Beim Rundgang durch diese Gebäude können die Besucher den bescheidenen Lebensstil vergangener Jahrhunderte nachempfinden. Hier wurde auf Holzöfen in der Küche gekocht, die gleichzeitig während der Eiseskälte im Winter das Haus heizten. Später kamen die Kachelöfen zum Einsatz.

Doch an diesem Tag braucht es keine bollernden Kachelöfen. Es ist ein warmer Sonntagmittag im Juni. Der Besucherparkplatz ist bereits gut gefüllt, immer mehr Busse rollen heran. Aus der ganzen Welt sind die Leute ins Gutachtal gekommen, Gruppen von Japanern, Indern und Israelis, um an authentisch konservierten Wohn- und Arbeitsstätten, etwa im Falkenhof, Bollenhutmacherinnen, Trachtenschneiderinnen, Korbflechterinnen, Schnapsbrennern, Schwarzwaldmalern und den Schäppel-Macherinnen beim Werkeln zuzuschauen. Mit knapp zweihundertzwanzigtausend Besuchern ist man das besucherstärkste volkskundliche Freilichtmuseum in Baden-Württemberg. Der Anteil an ausländischen Gästen im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof ist erstaunlich hoch, jeder dritte Besucher reist aus dem Ausland an, wobei die größten Besuchergruppen zuletzt aus Spanien, Frankreich, den USA und Italien stammen.

Jedes Haus auf der sieben Hektar großen Museumsfläche hat seine Besonderheiten. Die Funktionen der Gebäude innerhalb der Dörfer, aus denen sie entnommen wurden, werden auf Schautafeln in knappen Sätzen erklärt. Der Falkenhof, auf dessen Vorplatz die Volkstanzgruppe aus Oberprechtal gleich losschwofen wird, ist ein trutziges Gebäude, dessen Baujahr auf 1737 datiert ist und das ursprünglich im Dreisamtal stand. Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde es hierher versetzt – es war die Rettung vor dem endgültigen Verfall. Von Buchenbach aus ging es nach Gutach in den mittleren Schwarzwald. Zwei Jahre lang, von 1997 bis 1999, hat es gedauert, bis die sogenannte Translozierung des Hauses mit vierzig Metern Länge, sechzehn Metern Breite und gut vierzehn Metern Höhe abgeschlossen war. Der letzte Bewohner lebte im Falkenhof bis 1844, danach wurde der Bau als Wirtschaftsgebäude genutzt. Die Zerlegung des Hofes muss einer Sisyphusarbeit geähnelt haben: Tausende Bretter, Balken und Steine wurden bei der Abtragung von den Arbeitern nummeriert, fotografiert und dokumentiert. Schätzungen zufolge besteht der gesamte Hof aus über fünftausend Einzelteilen, von den Verbindungsteilen ganz zu schweigen. Heute schmiegt sich der schwere Bau an die Hügellandschaft, als hätte er nie woanders gestanden.

In einer Stube rechts neben dem geduckten Eingang, die originalgetreu dem Lebensstandard einer großbäuerlichen Familie Mitte des 19. Jahrhunderts entspricht, hat Friedhilde Heinzmann an einem Holztisch ihr Werkzeug ausgestellt und präsentiert den vorbeikommenden Besuchern ihre so selten gewordene Handwerkskunst. Und es sind nicht nur die Älteren, die Nostalgiebesoffenen, die Früher-war-alles-besser-Fraktion, die hier vorbeidefiliert. Die Soziologen drücken es so aus: Der Wunsch nach Tradition und Geborgenheit in unruhigen Zeiten wächst. Konkret heißt das, gerade junge Menschen tragen hier wieder mit Stolz eine Tracht. In Süddeutschland vor allem. Lokalpatriotismus ist nicht mehr bäh.

Eine weiße Haarsträhne lugt unter ihrem geblümten Kopftuch hervor, die Gutacher Arbeitstracht schreibt dazu Rock, Schürze und Leinenbluse vor. Pailletten und kleine Perlen in Rot, Blau, Grün, Gold, Silber liegen vor ihr auf dem Tisch in Holzschälchen, die ihr Mann gedrechselt hat. Wenn sie daheim im Arbeitszimmer am Fenster sitzt und arbeitet, trägt sie keine Tracht, aber an einem Feiertag im Museum ist das schöne Pflicht.

Gerade fädelt sie die Perlen auf versilberten Draht mit Kupferkern auf und wird sie später zu kleinen Sträußen zusammenbinden. Die Sträußchen werden wiederum umhüllt von einem Federüberzug. Dass Friedhilde Heinzmann das Schneiderhandwerk gelernt hat, hilft bei der kniffligen Arbeit, die Konzentration und eine ruhige Hand erfordert.

Sobald alle Sträuße gebunden sind, werden sie an einem mit rotem Krepppapier umwickelten Gestell befestigt. »Das ist dann die schönste Arbeit«, sagt Friedhilde Heinzmann. Hinzu kommen die Bänder in Rot und achtundzwanzig kleine runde Spiegel, die von Perlenringen eingefasst sind. »Die Spiegel sollen das Böse abhalten«, erklärt sie. So viel Aberglaube ist auch bei einer evangelischen Tracht erlaubt.

Auch wenn heute Trachten vor allem auf Volksfesten getragen werden, fertigt Friedhilde Heinzmann gelegentlich Schäppel an, die tatsächlich auf einer Hochzeit zum Einsatz kommen. Damit die Tradition dieses Handwerks nicht mit ihr endet, hat sie kürzlich in der Gutacher Trachtengruppe eine Bekannte ihrer Tochter gefragt, ob sie ihre Nachfolgerin werden will. Und die sagte Ja. Friedhilde Heinzmann sieht man ihre Genugtuung an. »Ich bin glücklich, dass das Handwerk weitergeht.«

Es muss eine Frau mit Geduld sein. Bis die rund zweitausend Hohlglasperlen, Pailletten, Spiegelchen teilweise fest und teilweise beweglich mit versilbertem Draht an dem Gestell angebracht sind, bis einzelne Perlensträußchen mit roten Bändern in Schleifen gelegt und am Gestell festgebunden sind, dauert es hundert Stunden. Die Braut hat dann ganz schön schwer zu tragen – der ein Kilogramm wiegende Schäppel wird mit rot gemusterten Bändern am Kopf festgebunden. »Der Abdruck eines Zehn-Pfennig-Stückes, das zwischen Kopf und Krone gesteckt wird, bleibt noch eine Woche lang sichtbar«, sagt die Schäppel-Macherin. Am Tag der Hochzeit werden die Schäppel zu dunkler Tracht mit weißem, gestärktem Leinenkragen über dem Goller (Halsmäntelchen) getragen. Dazu ein Liebli, also ein ärmelloses Oberteil, ein Hemd mit Puffärmeln und ein Steingürtel, ein Samtband mit aufgenähten Glassteinen. Schäppel werden seit etwa 1820 hergestellt. Da Glasbläsereien im Schwarzwald damals beheimatet waren, lag es nahe, sich mit gläsernen Perlen zu schmücken, um familiären Reichtum zu dokumentieren.

Die Kleider hingegen waren anders als heute nicht aus Seide. Der in Falten gelegte Rock und die Schwärze dieser Tracht waren ursprünglich aus Wiefel, einem einfachen Gewebe aus Wolle und Leinen. Der Stoff wurde mit einer Leim-Appretur glänzend gemacht.

Ganz günstig sind Trachten samt Schäppel nicht, der Preis kann bis zu tausend Euro betragen. Auf Dauer ist das aber günstiger, als jedes halbe Jahr tütenweise unter dubiosen Umständen gefertigte Wegwerfklamotten heimzutragen. Dass die prachtvollen Kronen überhaupt noch hergestellt werden können, ist auch Handwerkern in Tschechien zu verdanken. Als Friedhilde Heinzmann ihr Amt von ihrer Vorgängerin vor fünfundzwanzig Jahren übernahm, sagt sie, habe sie Mühe gehabt, vor Ort Hersteller für Hohlglasperlen zu finden: »Viele Firmen gab es gar nicht mehr. Das traditionelle Handwerk der Glasbläserei lohnte sich für viele nicht mehr.« In Osteuropa wurde sie noch fündig. »Hohlglas ist besser, weil es leichter als das schwerere Plastik ist, und wenn die Perlen aneinanderstoßen, klingeln sie auch heller und feiner.«

Tracht, klingelnd oder nicht, sagt nicht nur viel über den Beziehungsstatus der Frau aus, sie ist schlicht praktisch. Kürzlich, erzählt Friedhilde Heinzmann, habe es ein Fest gegeben, die Einweihung eines Hauses im Freilichtmuseum. Was soll man anziehen, damit man nicht zu lässig oder allzu aufgebrezelt erscheint? Die Frage sei leicht geklärt gewesen. Friedhilde Heinzmann und ihr Mann gingen in Gutacher Tracht. Er in schwarzer Hose, samtenem, innen rot gefüttertem Gehrock und Hut mit breiter Krempe. Sie mit schwarzer Seidenschürze, Jacke und schwarzen Bollen auf dem Hut. Die Fotos von der Veranstaltung zeigen: Das Paar legte einen perfekten Auftritt hin.

Männer, die auf Leder stehen

Einen gepflegten Mann erkennt man an seinen Schuhen. Einsichten und Beobachtungen von einem Schuhputzkurs in Baden-Baden

Pause. Die Männer genehmigen sich eine Stärkung. Beschürzt, mit verschmierten Fingern und aufgekrempelten Ärmeln stehen sie am Büfett. Soljanka, Flammkuchen und »Opas Eiersalat«: Die Mutter von Martin Stoya ist eine tolle Köchin. Es duftet nach Eintopf, Röstzwiebeln – und gewachstem Leder. Ein Weinkorken ploppt. Jemand erzählt einen dreckigen Herrenwitz. Gemeinsames Schuheputzen kann so schön sein. Matthias Vickermann und sein Partner Martin Stoya haben vor fünfzehn Jahren die Schuhmanufaktur im Herzen von Baden-Baden gegründet. Eine mutige Entscheidung. Maßschuhe sind nicht jedermanns Sache, was auch am Preis liegt. Wer bei Vickermann und Stoya Maß nehmen lässt, muss mit einem vierstelligen Betrag rechnen. Je nach Ausstattung und Modell können von der Übertragung der Fußform auf den Leisten bis zur Schlusspolitur dreißig Stunden vergehen. Deutsche Arbeitsstunden. Ein Billigschuh mit geklebter Kunststoffsohle aus einer asiatischen Fabrik ist nach wenigen Minuten fertig – und sieht dementsprechend aus.

»Es ist eine geistlose Stadt. Voll von Schein und Schwindel und mickerigem Betrug und Aufgeblasenheit – aber die Bäder sind gut.« Das unmissverständliche Notat stammt aus der Feder von Mark Twain, nachdem der amerikanische Tausendsassa 1878 auf seiner Europareise unter anderem die Bäderstadt Baden-Baden besucht hatte. Twain, der sich sein Brot schon als Goldgräber, Reporter in San Francisco und Lotse auf dem Mississippi verdient hatte, war zum Zeitpunkt seines Ausflugs in den Schwarzwald schon ein gemachter Autor. Zu seinen bekanntesten Romanen gehört »Die Abenteuer des Huckleberry Finn«.

»Ich werfe niemandem etwas vor. Wer kein Geld hat, der kann sich nun mal keine Qualität leisten. Was mich allerdings ärgert, das ist ein Mann, der aus einem Porsche steigt und einen billigen Schuh mit schief getretenen Absätzen trägt«, sagt Matthias Vickermann. »Deutschland hat leider immer noch eine dürftige Schuhkultur.« Der Anfangvierziger kommt aus dem Ruhrgebiet, er ist alles andere als elitär. Ein bodenständiger Macher mit einem ausgeprägten Sinn für schöne Dinge. Er liebt die Kunst. Nach seiner Ausbildung zum Steuerfachwirt schmeißt er den Bürojob hin und heuert in der Bäderstadt bei einem Schuhmacher an. Bald erkennt er, dass trotz der Geiz-ist-geil-Mentalität in Sachen Kleidung in Baden-Baden gegen den Trend eine zahlungskräftige Klientel aus dem In- und Ausland unterwegs ist, die für einen maßgefertigten Oxford zweitausend Euro zahlt.

Mark Twain hatte seine Familie mit nach Europa genommen, um in Deutschland, der Schweiz, in Italien, Frankreich und England für sein Projekt eines nicht ganz ernsthaften Reisebuchs zu recherchieren. Auf einer Schwarzwaldwanderung entdeckte er unter anderem, woran man den Reichtum eines Schwarzwaldbauern erkennt – nämlich an der Größe der Misthaufen. Das aus diesen Recherchen entstandene Buch »A Tramp Abroad«, das schließlich 1880 erschien, ist aber eher kein »Bummel durch Europa«, wie gern übersetzt wird, sondern ein skurriles bis amüsantes Sittengemälde.