Lesereise Slowenien - Irene Hanappi - E-Book

Lesereise Slowenien E-Book

Irene Hanappi

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vormittags Eisklettern, nachmittags Strandpromenade. Frühstück im Karst, Picknick in der Puszta. Kein anderes Land in Europa bietet eine derartige landschaftliche und kulturelle Vielfalt auf so kleinem Raum wie Slowenien. Irene Hanappi und Stefan Schomann begeben sich an literarische Schauplätze und verwunschene Orte, huldigen kulinarischen Kultstätten und betörenden Naturwundern, entdecken Dörfer, die ihre Seele bewahrt haben, und Städte, die sich neu erfinden. Sie erkunden den Karst und seine Höhlen, besuchen Stars der slowenischen Spitzengastronomie und und flanieren durch Ljubljana und die Zwillingsstadt Görz / Nova Gorica, die 2025 die erste europäische Kulturhauptstadt sein wird, die in zwei Ländern liegt. So nimmt Slowenien Konturen an als Scharnier zwischen Mittel- und Südosteuropa.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 140

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Irene Hanappi Stefan Schomann

Lesereise Slowenien

Erkundung eines Miniaturkontinents

Picus Verlag Wien

Copyright © 2023 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

Umschlagabbildung: © Sergey Novikov/Adobe Stock

ISBN 978-3-7117-1118-2

eISBN 978-3-7117-5502-5

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

Inhalt

Zwei Slowenen – ein Chor

Ein Land und seine Leute

Wenn Steine sprechen könnten

Wanderung im Karst vom Hochland zum Meer

Die Frau mit dem Koffer

Drei literarische Schauplätze

Die Stadt der Brücken

Ein Streifzug durch Ljubljana

Zum Sterben schön

Die

Soča

– Naturparadies und Weltkriegshölle

Die Besten am Herd

Zwei Porträts

Roadmovie

durchs Rebenland

Von der Goriška Brda in die Štajerska

Verwunschene Orte

Zimmer, Schlösser, Zauberberge

Paradepferde und Proleten

Lipizzaner & Co.

Unergründliche Hohlräume

Im Souterrain des Karstes

Die ungleichen Schwestern

Gorizia und Nova Gorica

Zwei Wintermärchen

Die Bergsteigerdörfer

Luče

und Jezersko

Dank

Zwei Slowenen – ein Chor

Ein Land und seine Leute

Lange Zeit existierte Slowenien nur als Traum. Tauchte in den Köpfen der Menschen auf und verschwand wieder. Blieb in ihren Liedern und Melodien. War als Sprachinsel vorhanden. Als etwas Ephemeres, denn Sprache stirbt aus, sobald niemand sie mehr spricht.

Auf der Landkarte ist es erst seit 1991 verzeichnet. Davor gab es zwar die Slowenen, aber kein Slowenien. Als Anfang der neunziger Jahre die Republika Slovenija gegründet wurde, waren Künstler, Grafiker, Komponisten und Designer aufgerufen, etwas, das bisher nur ein gedankliches Gebilde gewesen war, in visuelle und klangliche Formen zu gießen. Flagge, Hymne, Wappen und Uniformen entstanden. Und seit 2007 auch eigene Euromünzen, wobei es die mit der Eins drauf ist, die allseits besondere Aufmerksamkeit genießt.

Der darauf dargestellte, streng dreinblickende Mann ist Primož Trubar, Reformator und Verfasser des ersten auf Slowenisch gedruckten Buches. Sein »Catechismus in der Windischen Sprach« versprach im Untertitel eine kurze Anleitung zu sein, »mit welcher jeder Mensch in den Himmel kommen kann«. Ein Versprechen, das seine Wirkung nicht verfehlte, das man sich von Generation zu Generation stets zu Herzen nahm. Denn die Slowenen waren nicht nur seit 1456 treue Untertanen der Habsburger, auch innerhalb Jugoslawiens galten sie als die Verlässlichsten und Fleißigsten.

Zur Sprache, die Primož Trubar kodifizierte, entwickelten sie eine starke emotionale Bindung. Sie trat an die Stelle des eigenen Reiches, das es nie gegeben hat. Über das gesprochene und geschriebene Wort hielt man das Gefühl der Zusammengehörigkeit lebendig.

Doch ohne den genialen France Prešeren, der im 19. Jahrhundert die slowenische Poesie mit einem Schlag auf die Höhen der Weltliteratur führte, stünde es schlecht um die »slowenische Sache«. Prešerens schönste Gedichte sind seiner Liebe zu Julija gewidmet, einer reichen Kaufmannstochter, die ihn zurückwies. In seinem persönlichen Drama, dem Bangen und Hoffen erkannte das Land sich wieder. Das verhinderte Lebensglück des Dichters machte ihn zur Galionsfigur einer ganzen Nation.

Prešerens Werk ebnete den Weg zur Genesis Sloveniensis, die 1848 einsetzte, als erstmals das Recht auf Selbstbestimmung eingefordert wurde. Die »Zdravljica«, ein unbeschwertes Trinklied, lieferte dann 1991 auch den Text für die neue Nationalhymne. In der siebenten Strophe heißt es:

Ein Lebehoch den Völkern,

die sehnend nach dem Tage schau’n,

an welchem aus dem Weltall

verjaget wird der Zwietracht Grau’n;

wo dem Freund

Freiheit scheint,

und wo zum Nachbar wird der Feind.

Neben Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – den Prinzipien der Französischen Revolution – klingt auch der Wunsch nach Frieden durch. Die nationale Sache wurde ohne Blutvergießen vorangetrieben – ein ganz zentrales Element im Selbstverständnis der Slowenen. Wir haben nie einen Angriffskrieg geführt, hört man immer wieder im Gespräch.

Der Klang der Sprache, deren Schönheit in der Häufung melodiöser Wörter und ausdrucksstarker Verben zu finden ist, tröstete über die Selbstverleugnung hinweg. Denn es war sicherlich nicht leicht, sich innerhalb der Habsburgermonarchie, gegenüber weit mächtigeren Nachbarn zu behaupten. Über Jahrhunderte bewiesen die zahlenmäßig schwächeren Slowenen – offiziell sprach man von Krainern, Kärntnern, Unterkrainern, Untersteirern – eine erstaunliche Hartnäckigkeit im Abwehren oder Zurückweisen magyarischer, italienischer und germanischer Einflüsse.

Dass dem Dichter Prešeren und nicht etwa einem Volkstribun oder Kriegshelden auf dem damaligen Marienplatz im Herzen Ljubljanas 1905 ein Denkmal errichtet wurde, zeichnet ein spezifisches Selbstbild, an dem bis heute festgehalten wird. Das um sein Reich betrogene Volk ehrt den über alles Menschliche erhabenen Dichterfürsten. Schülerinnen, die in Gruppen fast täglich hergeführt werden, blicken ehrfurchtsvoll zu ihm empor. Überirdisch groß wacht Prešeren über das Land, während Rudolf Maister, dem die Geschichtsbücher die Rolle des Vaters der Nation zuschreiben, auf seinem dahinschreitenden Ross eher filigran erscheint. Das 1999 in Ljubljana errichtete Denkmal zeigt den Mann, der die Territorien in der Untersteiermark und in Kärnten zu Slowenien gebracht hat, nicht in Uniform, auch fehlt ihm eindeutig die Siegerpose. Sollte im Gedächtnis der Nation auch er, der seit seiner Kadettenzeit schon Gedichte schrieb, als Künstler lebendig bleiben?

Gut möglich. Denn dem Temperament der zur Melancholie neigenden Menschen hier entspricht der Dichter mehr als der General. Für die unzähligen Lieder, die bis heute gesungen werden, geben Ljubezen – Liebe – und Dežela – Heimat – die am meisten gebrauchten Motive ab. Zweitausendfünfhundert Chöre im Land widmen sich der Kunst, die menschliche Stimme erklingen zu lassen. »Zwei Slowenen – ein Chor«, sagt man, und es kommt tatsächlich vor, dass zwei Leute, die beisammensitzen, einfach so zu musizieren beginnen. Aus dem Stegreif. Ohne Noten vom Blatt zu lesen oder gar lange zu proben. Genauso gut kann es passieren, dass man irgendwo auf dem Land ein Wirtshaus betritt und unerwartet die Darbietung einer jungen Künstlerin erlebt. Das Singen spielt im slowenischen Alltag eine weitaus größere Rolle als anderswo. Es war ein Stück Selbstbehauptung. Und ein probates, unverfängliches Mittel, der Vorherrschaft der deutsch-österreichischen Kultur zu begegnen.

Viele Slowenen lebten innerhalb des Habsburgerreichs inkognito in Bezug auf ihre Zugehörigkeit. Wer denkt bei Hugo Wolf, dem Komponisten, schon an Slowenien? Dass Anton Janša, Pionier der Bienenzucht, Slowene war, erfahren Spaziergänger im Wiener Augarten erst durch eine nach der Jahrtausendwende angebrachte Tafel. Und Jože Plečnik, Architekt und erfolgreichster Schüler Otto Wagners, gibt in einem seiner Briefe gar zu: Wer ein Hatschek im Namen trägt, hat immer mit Nachteilen zu kämpfen.

Traf man sich auf der Straße, sprach man Deutsch miteinander. Dass jemand Slowene war, merkte man höchstens daran, dass er die Mutter Mati oder Matica nannte und er selbst Janez, Vanja oder Žan gerufen wurde und nicht Johann. Janez Puh alias Johann Puch erging es so. Der »österreichische Henry Ford«– erfolgreichster Automobilbauer des Landes – erblickte 1862 in der Untersteiermark als zweites Kind einer bitterarmen Familie das Licht der Welt. Seine Erfolgsstory setzt ein, als er 1889 in Graz eine Fahrradwerkstätte eröffnet und das erste Puch-Rad ausliefert. Das Puch Waffenrad ist wie das Puch Moped oder der Puch 500 – im Volksmund »Pucherl« oder »Puch-Schwammerl« – ein Kultobjekt geworden, ein Stück »Austrianess« fast vom gleichen Rang wie die Sachertorte, die Lederhose oder das Dirndl. Die »Puchianer« mögen sich über die Zugehörigkeit ihres Helden streiten, Slowenien hat dabei längst schon gewonnen, denn im Geburtsort Sakušak steht seit 2000 ein Lehmhaus, das die Charakteristika der damaligen Zeit trägt und als Museum für Janez Puh eingerichtet wurde. Gefeiert wird der Mensch. Und der geniale Erfinder. Dass Puch selbst es liebte, in die Pedale zu treten und siegreiche Radrennfahrer unter Vertrag hatte, weist ihn ein weiteres Mal als »echten Slovenec« aus.

Die Liebe zum Sport ist den Slowenen in die Wiege gelegt. Haben nicht die beiden Helden der Tour de France Tadej Pogačar und Primož Roglič schon in jungen Jahren erste Wettkämpfe gewonnen? Und waren es nicht die Bauern aus der Krain, die erstmals auf Skiern verschneite Hänge hinunterflitzten? Den Beweis dafür liefert Johann Weichard Valvasor (slowenisch Janez Vajkard Valvasor) in seiner 1689 erschienen Dokumentation über »Sprache, Trachten, Sitten und Gebräuche des krainischen Volkes«. Hier im Originalton sein Bericht über die Skifahrer der ersten Stunde: »Sie nehmen zwey hülzerne Brettlein. Vorn seynd solche kleine Brettlein gekrümmt und aufgebogen: mitten drauf, hafftet ein lederner Riemen, darein man die Füsse steckt. Auf jedweden Fuss thut man von solchen Brettlein eines …«

Die Begeisterung für die Berge schlägt ganz offensichtlich auch im südöstlichen Teil der Alpen lange schon feste Wurzeln. Wer etwas auf sich hält, muss mindestens einmal den höchsten Gipfel des Landes erklommen haben, sagt ein ungeschriebenes Gesetz. Der Triglav mit seinen zweitausendachthundertvierundsechzig Metern ist ein mythischer Ort. Seine dreizackige Kontur findet sich im Wappen und auf der Flagge Sloweniens wieder. Bis heute wächst jedes Kind mit der Sage vom Zlatorog (dem »Goldenen Horn«) auf. Sie handelt von einem weißen Gamsbock mit goldenen Hörnern, der hoch oben im Triglav einen Schatz hütet und vor der Gier der Menschen bewahrt, so lange, bis ein Jäger kommt, um ihn zu erschießen. An der Stelle, wo sein Blut die Erde benetzt hat, wächst eine Blume aus dem Boden, die Zlatorog neues Leben schenkt. Doch es kommt nicht zum Happy End: In seinem Zorn zerstört das Tier alles um sich herum, verschwindet und ward nie mehr gesehen. Der Schatz blieb unentdeckt und ruht bis heute im Triglav.

Es macht keinen Sinn, fremden Reichtümern nachzujagen … Auch wenn es so aussieht, als wäre man besiegt, wächst aus dem Ureigensten, der eigenen Identität neue Kraft. So könnte die Sage interpretiert werden. Bescheidenheit wird in Slowenien als Tugend angesehen, und als Lebensmotto in Familie, Schule und Arbeitswelt gilt: Du kannst alles erreichen, wenn du nur hart genug arbeitest.

Längst hat die Welt sich schon daran gewöhnt, bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften die slowenische Hymne zu hören. Sportlerinnen und Sportler aus dem kleinen Land mit knapp zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern erringen Höchstleistungen in fast allen Disziplinen – nicht nur im Radrennfahren, auch bei großen Ruderregatten, im Fliegen, beim Angeln, im Slalom, beim Basketball oder Volleyball. Jüngst auch im Klettern – wo Janja Garnbret, Kosename »The G.O.A.T«, als Königin der gefährlichen Disziplin gefeiert wird. Misst man die Anzahl der gewonnenen Medaillen an der Einwohnerzahl, wäre es also gar nicht so falsch, von einer »Grande Nation« zu sprechen.

Wir sind zwar ein kleines Land, hört man oft sagen, aber … und dann wird aufgezählt: Wir gehören zu den waldreichsten Gebieten Europas, bei uns gedeiht die älteste Rebe der Welt, und wir haben den größten Sickersee auf Erden. Wir haben auch die meistbesuchte Höhle Europas. Und den tiefsten und längsten unterirdischen Canyon …

Vierundzwanzigtausend Tierarten, so viele wie nirgendwo sonst in Europa, teilen sich hier den Lebensraum, geht die Aufzählung weiter. Darunter auch die Etruskerspitzmaus – »das kleinste Säugetier der Welt«, wird dann noch schnell hinzugefügt. Die größte Braunbärenpopulation in diesen Breiten mit an die siebenhundert Exemplaren lebt ebenfalls auf slowenischem Boden.

Wie um das Schattendasein ein für alle Mal abzulegen und endlich Sichtbarkeit zu erlangen, hat man sich angewöhnt, alles, was Land und Leute betrifft, in einem größeren Zusammenhang zu sehen, innerhalb einer Größenordnung, eines Rankings darzustellen.

Gerne werden zur Untermauerung der Erfolge Zahlen genannt. Das betrifft nicht nur die Wirtschaft. Statistiken listen selbst die Anzahl von Brotsorten auf – es sind über zweihundert! –, dokumentiert von Professor Janez Bogataj, dem kulinarischen Gewissen der Nation.

Ein Land von Ehrgeizlingen? Von Musterschülern? Von Erbsenzählern?

Könnte man meinen, wäre da nicht diese sympathische Retromania, die nichts Gestriges oder Verkorkstes hat, sondern sich modern gibt und ganz natürlich rüberkommt. Fundstücke vom Dachboden – Krüge, Sodawasserflaschen, Reisekoffer, Vogelkäfige, Bügeleisen –, Dinge, die an die gute, alte Zeit erinnern, finden sich in jedem Haushalt und in so mancher Gostilna auf dem Land. Zweifellos auch bei der besten Köchin der Welt – Ana Roš aus Kobarid, ebenfalls eine Slowenin. Wie könnte es auch anders sein?

IH

Wenn Steine sprechen könnten

Wanderung im Karst vom Hochland zum Meer

Sich den Traum vom Meer erwandern. Sich Schritt für Schritt einer Szenerie nähern, die aus nichts als glitzerndem Blau und salziger Luft besteht, während die andere Welt, die der Berge, als inneres Echo noch nachhallt, aber nie wirklich verstummt, denn würde man innehalten und den Blick nach rückwärts wenden, sähe man sie in der Ferne aufragen, die schneebedeckten Gipfel. Sie lassen einen nicht los.

Der Karst, berühmt für seine Naturphänomene – die Höhlen, die Sickerseen, die unterirdischen Wasserläufe –, existiert als eine »Welt dazwischen«, als Zwischenreich am Übergang zwischen Nord und Süd, zwischen den Dinarischen Alpen und dem Golf von Triest.

Die Wälder, die es früher einmal gegeben hat, wurden längst abgeholzt, fruchtbare Erde fegte der Sturm hinweg. Denn hier heroben hat nicht etwa ein Herzogen- oder Fürstengeschlecht das Sagen, sondern die Bora, der unbändige Nordostwind, der bis zu zweihundertvierzig Stundenkilometer erreichen kann.

Für die Fortbewegung zu Fuß ist der Karst wie geschaffen. Wege und Schotterstraßen führen eben dahin und nichts engt den Blick ein. Das Gehen wird zur besonderen Erfahrung, zur Übung im Schauen und im Achtsamsein. Mit jedem Schritt liegt sie einem mehr am Herzen, diese Landschaft, die so betont anders ist. Es heißt, sie sei nicht schön. Manche haben sie mit einer Steinwüste nach der Sintflut verglichen, einem »Trümmerfeld ungeschlachter grauweißer Formen«, einem »furchtbaren versteinerten Schrei«.

Doch stimmt das? Was Reiseschriftsteller vor hundert Jahren dazu bewog, von »Verwüstung« und »Monotonie« zu schreiben, kommt uns, die wir so vielen Reizen ausgesetzt sind, gerade recht. Eine Stunde über Feldwege und Dorfstraßen zu marschieren, ohne einem einzigen Auto zu begegnen, ist ein sehr exklusives Erlebnis. Fast schon Luxus. Statt die Welt zu betrachten, sie in ihrer Bildhaftigkeit zu erfassen, nimmt man sie körperlich wahr.

Zunächst die Stille. Für manche mag sie schwer zu ertragen sein. Sie senkt sich auf einen herab in ungeheuerlicher Intensität. Und eröffnet neue akustische Erfahrungen. Wann – und vor allem wo – ließ sich jemals der Flügelschlag eines Schmetterlings vernehmen? Mag sein, es war nur Einbildung. Die Feinabstimmung des Gehörs jedenfalls nimmt mit jedem zurückgelegten Kilometer zu. Zunächst ist es aber nur das Rauschen der Föhren, deren haushohe Wipfel tanzen und schwingen im Wind, auf das man aufmerksam wird. Oder Vogelgezwitscher, manchmal so laut, als käme man gerade an einer Voliere vorbei. Mit der Zeit aber ist man in der Lage, auch den Windhauch zu hören, den Atem des Himmels.

Über diese Hochebene zu wandern, heißt schweben. Schweben im unbegrenzten Raum. In unbegrenzter Weite. Die durch das Fehlen starker Kontraste akzentuiert wird. Wie immer man es nennen mag, ob Gleichklang oder Eintönigkeit, die karstgraue Masse zwingt einem die Beschäftigung mit sich selbst auf. Einen Moment lang entkoppelt man sich vom »Draußen« und hält Einkehr ins »Drinnen«. Diese innere Ruhe ist dem Fehlen dramatischer Naturelemente geschuldet. Es gibt keine Vertikalen wie Gipfel, Felswände, Wasserfälle. Alles bleibt in der Horizontalen. Die Häuser sind in einer Reihe angelegt, sodass sie dem Wind standhalten, eine Barriere bilden, die Windsbraut bändigen können. Die Steinmauern, die als Einfassung der Wege dienen und die Felder umzäunen, ziehen mal gerade, mal geschwungene Linien durchs Grün, genau wie die Reben, die entlang von Holzpflöcken gezogen werden.

Nichts sticht hervor. Keine Schlösser oder Herrenhäuser inmitten der Siedlungen, die auf eine Differenzierung in Arm und Reich, in Bäuerlich oder Aristokratisch hätten hindeuten können. Markant sind einzig die Kirchtürme. Den Kampaniles nachempfunden, bezeugen sie die Nähe zu Venedig. Manche stehen neben dem Gotteshaus und verfügen über eine kunstvoll ziselierte Spitze. Meisterwerke der Steinmetzarbeiten sind das. An der Uni in Sežana sorgt der Studienzweig »Steindesign« dafür, dass dieses alte Handwerk nicht ausstirbt.

Dächer, Wände, Mauern, Wege … Alles hier besteht aus Stein. Sogar die Türangeln in den Häusern. Was anderswo das Holz ist, ist hier der Stein. Er scheint aus dem Boden zu wachsen. Um die Erde bestellen zu können, mussten die Menschen sie erst einmal von den Felstrümmern befreien. In Handarbeit schichteten sie die Gesteinsbrocken am Rande der Felder auf. So entstanden die für den Karst charakteristischen Trockensteinmauern, die mittlerweile zum immateriellen Weltkulturerbe gehören. Ohne Mörtel und ohne Zement errichtet, legen sie Zeugnis ab von der Geschicklichkeit der Hände und der Geduld der Gemüter. Noch heute kann man beobachten, wie ältere Menschen sich bücken, einen Stein, der ihnen im Weg liegt, aufheben und der Mauer am Wegesrand hinzufügen. Es ist wie ein Reflex, der sich in die DNA der Bewohnerinnen und Bewohner eingeschrieben hat.

Die Distanz zwischen den Dörfern beträgt nie mehr als eine Wegstunde. Das Gehen war und ist die adäquate Bewegungsform in dieser Landschaft, die aus Weideflächen, Weingärten, Waldstücken besteht. Da und dort leuchtet das Rot der Erde in den windgeschützten Mulden, wo Getreide und Mais angebaut wird. Von dieser »Terra rossa« erhielt der Teran, der charaktervolle Wein der Gegend, seinen Namen. Von seiner dunkelvioletten Farbe und seinem hohen Anteil an Säure- und Mineralstoffen geht eine fast magische Wirkung aus. Sie trug ihm den Ruf ein, Heilmittel zu sein.