Let it out and Let it in - Ludger Storp - E-Book

Let it out and Let it in E-Book

Ludger Storp

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Beschreibung

Dieses Buch ist keine chronologische Nacherzählung der Beatles-Geschichte. Es ist auch keine Auflistung ihrer veröffentlichten Platten. Stattdessen versucht es, Fragen wie diese zu klären: Warum erwähnt Leonhard Bernstein Songs der Beatles in einem Atemzug mit Camus und Sartre? Warum vergleicht der Schriftsteller A.S. Byatt 'Eleanor Rigby' mit Samuel Beckett? Und warum hätte Steve Jobs die Masterbänder der Beatles aus dem brennenden Haus gerettet und nicht die der Stones? Und es geht um die wichtigsten Einflüsse, die auf die Beatles gewirkt haben. Um schließlich zu verstehen, wie aus Pop Kunst werden kann. Das geht nicht ohne Bilder und Musik. Deshalb finden Sie mehr als 120 QR-Codes, die Sie zu den entsprechenden Clips von YouTube oder zu Texten im Original weiterleiten. Satisfaction guaranteed!

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Seitenzahl: 295

Veröffentlichungsjahr: 2022

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“You´re writing and … it´s something magical, and sometimes there´s more meaning in it than even you thought there was … “1

(Paul McCartney)

1 Paul McCartney: The Lyrics. New York, 2021. S. 180.

Inhaltsverzeichnis

0. Vorwort

1. Could it have been anybody, really?

2. It´s only a Northern Song

3. Roll up for a Magical Mystery Tour

4. The pilzen kopf

5. I want to be no paperback writer

6. I saw her standing there

7. Sie liebt dich, ja?!

8. Seemingly identical – but they are not

9. The Word is just the way

10. Cheeky! – Faces of a new Britain

11. God help and breed you all

12. One step beyond silly love songs

13. Serve yourself

14. Back in the US (SR)

15. I´m Down

15. Help me get my feet back on the ground

16. The Beatles like those other Beatles

17. Run for your life

18. Slow down

19. Abracadabra

20. I´d like to be under the sea

21. After Geography

22. You know I know when it´s a dream

23. Sit back and let the evening go

24. The time has come, the walrus said

25. Let it out – and let it in

Epilog

Anhang:

A. Zitierte Schriftquellen

B. Die QR-Codes in der Reihenfolge ihres Erscheinens

C.

Die drei grundlegenden Werke

Damian Furniss:

“On the Cast Iron Shore”

(vollständiger Text)

Vorwort

Den Anstoß zu diesem Buch gaben nicht die Beatles selbst, sondern eine Ausstellung von Monets Serienbildern in den 90er Jahren in London: dutzende Heuhaufen, Kathedralen und Seerosen nebeneinander. Ich bin dorthin gegangen, weil ich Monet „schön“ fand. Ich kam heraus mit dem Erstaunen darüber, welch ein Revolutionär für die Malerei er war.

Ich hoffe, dass dieses Buch einen ähnlichen Effekt für die Beatles erzeugen kann. Auch ihre Musik wird oft als „schön“ bezeichnet, aber als sonst nicht weiter bemerkenswert empfunden. Das Etikett „revolutionär“ wird eher in Verbindung mit anderen „progressiveren“ Gruppen benutzt. Ein innovatives Element, etwas Revolutionäres, ist aber notwendig, damit Kunst entstehen kann.

Und das ist ein weiteres Anliegen dieses Buches: zu zeigen, dass und wie Popsongs zu Kunstwerken werden können. Ein schwieriges Anliegen, da – wie bei Monet – die Werke doch so eingängig und einfach zu sein scheinen.

Damit verknüpft ist der Wunsch, die Forderung des Aristoteles von „prodesse et delectare“ zu erfüllen: etwas bereitzustellen, das zugleich Erkenntnisgewinn bringt und Spaß macht. Deshalb die vielen QR-Codes, die einen direkten Zugang zu den Beatles, aber auch zu Forrest Gump, Fawlty Towers oder den Bildern von Klaus Voormann ermöglichen und damit das reine Lesevergnügen multimedial unterstützen sollen.

Und so erklären sich auch die vielen Zitate, die man in diesem Buch findet. Denn natürlich gibt es Verbindungen zu Ideen, die andere auch schon angerissen haben. Diese sind zum Teil dermaßen genial, poetisch, witzig oder abstrus formuliert, dass es ein beträchtlicher Verlust für das Lesevergnügen wäre, würde man diese Gedanken nacherzählen, aber den Wortlaut paraphrasieren. Seien Sie einfach bereit für die Einladung des Sgt. Pepper: „Sit back and let the evening go – we hope you will enjoy the show!”

Could it have been anybody?

“The originality of that band continues to dumbfound me. I don´t know where they were drawing from, but it was such a magnificently original place.”

2

Die Originalität dieser Band macht mich immer wieder sprachlos. Ich weiß nicht, wo die Quelle ihrer Einfälle war, aber es war ein wundervoller Ort voller Schöpfungskraft.

Eine Antwort auf diese Frage findet man bei den Beatles selbst, nämlich in der Zeile aus „Hey Jude“: „Let it out / and let it in“. Let it out bedeutet: man muss auf seine eigenen Ressourcen und Talente zurückgreifen können, bereit sein, sich zu öffnen und eigene Begabungen Anderen zu vermitteln. And let it in erfordert die Bereitschaft, mit offenen Augen in seiner Umwelt Elemente zu entdecken, die die eigenen Anlagen stützen und fördern können, um solche Inspirationen dann im Kreislauf des neuerlichen Let it out kreativ zu verarbeiten. Then you can start to make it: daraus kann ein vielversprechender Schaffensprozess folgen. To make it better: in letzter Instanz wäre es nicht nur möglich, irgendetwas zu erschaffen. Vielleicht gelänge es, über den Satus Quo hinauszugehen und neue Einsichten zu ermöglichen. Das wäre dann Kunst. Denn damit das Produkt Kunst werden kann, braucht es ein innovatives Element. Kunst beeinflusst den Wahrnehmungsprozess des Betrachters (oder Zuhörers), eröffnet idealerweise neue Horizonte, verändert schließlich die Welt.

Dies sind Ansatzpunkte um die Frage von oben zu beantworten, warum die Produkte dieser Band ihre Zuhörer so sprachlos machten, worin ihre Originalität liegt, was die Kunst der Verführung ausmachte. Und wie es gelang, aus Pop Kunst zu machen.

Damit verbunden ist eine zweite oft gestellte Frage:

Could it have been anybody, really? ... If it had not been the Beatles, would it have been something else, the same but different, because circumstances, and television, and a new kind of audience, demanded it”?

3

Hätte es tatsächlich jemand anderes sein können? … Wenn es nicht die Beatles gewesen wären, wären es andere gewesen, genau so, nur eben anders, weil die Zeitumstände und das Fernsehen und ein neues Publikum es einfach so verlangten?

Wohl kaum. Dafür haben die Beatles zu sehr agiert – und nicht nur re-agiert auf Publikum und Medien. Für diese Meinung gibt es Unterstützung von sehr prominenter Seite. Steve Jobs hat gesagt: "Somebody else could have replicated the Stones. Nobody could have been Dylan or the Beatles."4 (Andere hätten die Stones kopieren können. Keiner hätte Dylan oder die Beatles sein können.)

Sicherlich gehören zu einer so außergewöhnlichen Karriere wie die der Beatles die zwei Komponenten Talent und Glück. Ohne Talent (Let it out) könnten Melodien wie Yesterday, Hey Jude, Let it be etc. nicht entstanden sein. Und es gab auch glückliche Zufälle, die das Entstehen des Phänomens „Beatles“ begleiteten. Dazu gehört natürlich, dass diese vier Charaktere – und besonders das Gespann Lennon / McCartney – sich überhaupt begegneten. Dazu gehört auch – von ähnlicher Wichtigkeit – dass die Vier dem kongenialen Produzenten George Martin über den Weg gelaufen sind. Aber Glück allein reicht nicht, man muss das Glück auch ergreifen/begreifen, wenn es einem über den Weg läuft (Let it in). Das zeigt die Eingangsszene aus Forrest Gump.

(1) 0:30-2:30

Die Feder, das Glück, ist etwas Wertvolles, das der Himmel geschickt hat, dessen Weg nicht vorhersehbar ist. Die Feder streift Menschen, landet auf deren Autos, ohne dass diese etwas bemerken. Sie lassen sie achtlos weiter schweben. Nur Forrest Gump sieht in ihr etwas – im wahrsten Sinn – Bemerkenswertes.

John Lennon hatte das Glück, Paul McCartney zu begegnen – und er hat das Glück beim Schopf gepackt. Er hat selbst das Dilemma beschrieben, vor dem er stand: ohne Paul als alleiniger Kopf seiner Band Quarrymen weiter zu machen oder Paul als ebenbürtigen Partner in die Gruppe zu lassen, um die Band zu stärken.

Die Beatles hatten das Glück, auf die große Reise nach Hamburg gehen zu können. Andere Gruppen vor/mit/nach ihnen sind nach ein paar Wochen oder Monaten nach England zurückgekehrt, ohne dass sich etwas Wesentliches verändert hätte. Die Beatles haben die Chance genutzt, ihren Horizont nicht nur geographisch zu erweitern. Sie haben Anregungen aufgenommen, die sie erst zu den Beatles machten, die wir heute kennen.

Bei ihrem zweiten Film Help hatte jemand zufällig ein paar indische Musiker als Gag in das Script geschrieben. Für die Beatles wurde das ein Ausgangspunkt für ganz neue Soundexperimente mit Klangbildern einer – für sie bis dahin – eher fremden Kultur.

Man könnte diese Aufzählung fortsetzen mit Namen wie Dylan, Magritte, Stockhausen und vielen anderen, aber diese werden zur passenden Zeit in den folgenden Kapiteln sowieso auftauchen.

Talent und Glück zu haben genügt jedoch nicht, um Kunst zu schaffen. Es gibt zu jeder Zeit Musiker, die das Talent haben, schöne Melodien zu schreiben. Mir gefällt „Paint it Black“ (der erste Stones-Song mit Sitar) besser als „Norwegian Wood“ (der erste Beatles-Song mit Sitar).5 Aber leider ist „Paint it Black“ keine Kunst mehr, dafür kam der Song ganz einfach zu spät. Ein wesentliches Merkmal für Kunst ist nämlich die Innovation, dass man zum ersten Mal etwas wagt und tut. Nur so ermöglicht man es seinen Mitmenschen, neue Erfahrungen zu machen, die Welt neu oder anders zu sehen, mit alten Gewohnheiten zu brechen. Es gibt auch heute Maler, denen es gelingt, handwerklich hervorragende Bilder im Stil des Impressionismus herzustellen. Der Künstler aber bleibt Monet, die anderen sind nur noch Nachahmer.

Das ist die Tragik der meisten Bands und Musiker, die Zeitgenossen der Beatles waren. Ihnen erging es so wie dem „Helden“ im Song von Mac Davis „Rock 'n' Roll (I Gave You the Best Years of My Life)”: I was always just one step behind you.

I bought all the Beatles records, sounded just like Paul …

I watched them all on TV, making every move they made.

Rock'n'Roll I gave you all the best years of my life …

But you were changing your directionand I never even knew

That I was always just one step behind you.

(2)

Die Kunst und damit die künstlerische und gesellschaftliche Wirkung der Beatles ist also nur zu erklären, wenn man beleuchtet, was in ihnen steckte und welche äußeren Einflüsse sie bereit waren, auf sich einwirken zu lassen. Das ist der Prozess des „let it out – and let it in“, der für die Beatles und ihre Stellung als Künstler entscheidend ist.

Dabei ist es gar nicht so einfach, die Kunst im Beatles-Pop zu erkennen. Das hat unterschiedliche Gründe. Wenn man die Kunst der Beatles beschreiben will, ist ein großes Problem für die Analyse, dass ihre künstlerischen Vorgehensweisen oft sehr subtil und genial einfach sind. Dadurch kann es leicht passieren, dass man den Kunstcharakter der Werke schlicht übersieht.6

It's easy to become so used to these songs that you can no longer hear or appreciate them and they become something that's always been there. Like great buildings of a city that no one even bothers look up at any more”.

7

Man gewöhnt sich an diese Lieder so leicht, dass man sie gar nicht mehr hören oder wertschätzen kann, und sie werden zu etwas, das immer schon da war. Wie bedeutende Gebäude in einer Stadt, zu denen sich keiner mehr umdreht.

Da zeigen sich klare Parallelen zu Künstlern wie Monet. Drucke von Monets Bildern werden in allen Kaufhäusern und Postershops verramscht, Beatlesmusik dudelt im Supermarkt. Hier hat eine „sanfte Revolution“ stattgefunden, die durchaus positive Aspekte hat: Die Kunst dieser Künstler ist gesellschaftsfähig geworden, wir haben die uns angebotene Bewusstseinsänderung anstandslos akzeptiert. Grüne oder violette Gesichter wurden zunächst verlacht und als Unfähigkeit der Impressionisten angesehen, wirklich malen zu können. Heute ist es jedem klar, dass unter einem blauen Sonnenschirm auch ein menschliches Gesicht mit bläulichen Flecken erscheint.

A. Renoir: Frau mit Sonnenschirm zwischen Blüten

Es gibt aber auch negative Aspekte dieser Bewusstseinsänderung: Die revolutionären Ansätze in diesen Werken werden nicht mehr erkannt und weniger gewürdigt als bei solchen Künstlern, die auf den ersten Blick sperriger erscheinen oder die offene Konfrontation mit dem Publikum suchen. Die Bilder (oder die Musik) erscheinen einfach nur noch „schön“.

Damit ist ein weiterer Punkt genannt, der den Kunstcharakter verdeckt: Jemand, der sich ein Ohr abschneidet oder zu Alkohol- und Drogenexzessen neigt8, scheint eher radikaler Künstler zu sein als relativ unauffällige Persönlichkeiten wie Monet oder Turner. Und Bands, die ihre Gitarren auf der Bühne zerschmettern, erscheinen für viele progressiver als die Beatles.9 Trotzdem sollte man Schein und Sein zu trennen wissen und vielleicht Kriterien zur Hand haben, die wirklich künstlerisches Potential belegen. Das ist besonders wichtig, wenn das Außergewöhnliche der Beatles in ihrer scheinbaren Normalität liegt:

“What was ultimately extraordinary about them was their ordinariness, and the way they exploited their time and place, and their time and place exploited them, and they played the given role of greatness with the appropriate amount of grace, cheek and abandonment.”

10

Was letztendlich so außergewöhnlich an ihnen war, war ihre Normalität und die Art und Weise, wie sie sich die Gegebenheiten zunutze machten, und wie Zeit und Ort sie für sich benutzten. Und dann füllten sie die ihnen bestimmte Rolle von Helden mit dem passenden Maß an Charme, frechem Humor und Hingabe.

(3) 1.40 – 3:14

Das Profil eines Popstars bzw. einer Band ist recht komplex. Popmusik als multimediales Phänomen erfordert eine Beschreibung auf mehreren Ebenen. Es lässt sich idealerweise darstellen durch die Komponenten: Persönlichkeit, Performance, Virtuosität, poetische Qualität der Texte, musikalische Qualität der Kompositionen und Innovationspotenzial. Bei der Analyse der Beatles wird man erfahren, wie sich diese Tabelle dauernd verändert, wie einzelne Punkte an Bedeutung gewinnen oder verlieren, und wie am Ende die letzten drei Kriterien ganz oben stehen – wenn aus Pop Kunst geworden ist.

2 Keith Urban: “What´s your favorite Beatles Song?” In: NEWSWEEK (Special Edition) „The Beatles“. 2012. S. 89.

3 Paul Morley: „Imagine a world without the Beatles“. In: The Observer, 06.09.2009.

4 Matt Rosoff: “The Music And Books That Inspired Steve Jobs”. Auf: Insider, 08.11.2011. https://www.businessinsider.com/steve-jobs-music-books-2011-11?op=1

5 Auch Steve Jobs hatte mehr Stones-Alben auf seinem iPhone als solche von Dylan oder den Beatles, aber: “When asked to choose between the Beatles and the Stones, Jobs said, ‘If the vault was on fire and I could grab only one set of master tapes, I would grab the Beatles.’”

http://www.businessinsider.com/steve-jobs-music-books-2011-11?op=1#ixzz3TMPXowh4

6 Dazu kommt, dass die Beatles selbst es immer abgelehnt haben, als etwas Großes, als Künstler angesehen zu werden. Die Standardäußerung lautete immer: „We´re just a rock ´n roll band“.

7 Trevor Moss, Hannah Lou: “The Beatles re-recorded”. In MOJO, July 2013.

8 Z.B. van Gogh oder Curt Cobain

9 „The first thing you must realise is that you must have more respect for the instrument ….. I never was into those people smashing up their guitars anyway. That was just rubbish.” George Harrison: I Me Mine. Chronicle Books, San Francisco, 2002. S.55.

10 Morley, a.a.O.

It´s only a Northern song

If you're listening to this song

You may think the chords are going wrong

You may feel the words are not quite right

If you think the harmony

Is a little off and out of key

Then you´re right

As it´s only a Northern Song11

Nicht nur die Harmonien und die Texte waren später vielleicht etwas schräg, schräg war vor allem der Humor der Beatles. “We looked a funny lot of buggers. We were dead rough.”12 Der Titel des Songs verweist nicht nur auf den Musikverlag der Beatles, sondern natürlich auch auf ihre geographische Herkunft. Wer sich da in der nordenglischen Hafenstadt gefunden hatte, das waren vier coole Typen, gesegnet mit jeder Menge dieses britischen „sense of humour“, der in Liverpool vielleicht noch ausgeprägter ist als anderswo. So wurde die Geschichte dieser Band zu einem ganz eigenen „Northern Song“.

Derek Taylor beschreibt die Entwicklung von vier „Scousers“ (= Hardcore Liverpoolern), die, wenn sie tiefer in sich hineinschauten, immer mehr von diesem Humor, von diesem Anderssein und Unangepasstsein entdeckten. Das zeigt sich beispielhaft im Song „Strawberry Fields“13, die ja selbst eine Ur-Liverpooler Institution sind, aber auch in „With a little help from my friends“. Ein an sich sentimentales und zartes Lied mit den Worten „Do you need anybody? – I just need someone to love”, in dem sich aber auch die Zeile findet: „What do you see when I turn out the lights? – I can´t tell you but I know it´s mine”. Eine anstößige Anspielung, die Joe Cocker in seiner berühmten Version dieses Liedes nie zu wiederholen gewagt hat.

(4) Anfang – 0:58

Liverpooler Humor hat etwas Direktes, Anarchisches und Surrealistisches. Zu sehen etwa im Drehbuch von „A Hard Day´s Night“, wo der Manager seinem Adjutanten vorwirft, absichtlich größer zu sein als er. Und er zeigt auch Beispiele für die typische direkte Liverpooler Antwort auf bescheuerte Fragen.

(5) 5:03 – 5:06

(6) Anfang – 1:15

Die Quelle für diesen anarchischen Humor, den die Beatles lieb(t)en, findet sich in den Radioshows der Goons14 und in deren Filmen. Hier ein Ausschnitt aus „Napoleon´s Piano“, einer Radiosendung vom 9.11.1954, die auch heute noch – mehr als ein halbes Jahrhundert später – mit ihrem skurrilen britischen sense of humour überrascht.

(7)

Kostproben des eigenen Humors der Beatles sind zahlreich. Die Auftritte in der BBC zu Weihnachten oder die Weihnachtsplatten für den Fanclub sind legendär. Hier könnte man wirklich glauben, die Goons träten auf. Typisch ist die Verballhornung bekannter Elemente durch das Spiel mit Sprache (egal, ob Deutsch oder Englisch) und das wilde Assoziieren. „You may think the bands15 are not quite right – but they are!” 16

(8)

2:48

(9) 3:00 – 3:35 3:00 – 3:40 bis 2:14

Eine humoristische Verfremdung kann sich auf zwei Ebenen abspielen. Da ist einmal die Ebene der Sprache und des spielerischen Umgangs mit ihr – doch dazu später mehr17. Zunächst interessiert hier das Spiel mit der „Realität“, der Welt so, wie wir gewohnt sind, sie wahrzunehmen. Diese wird durch „unrealistische Zufälle“ gebrochen, wenn etwa bei den Goons mitten in Paris der Asiate aufkreuzt, nur um ein bisschen „Farbe“ / „Lokalkolorit“ (hier: Bezug zur Hautfarbe) in das Spiel zu bringen: „What´s this idiot doing here?“ „Oh, he is adding some colour to the play!“

John Lennon haben diese „Nonsense-Welten“ schon früh fasziniert, zum Beispiel bei der Lektüre von Alice in Wonderland, seinem Lieblingsbuch. Später lernten die Beatles mehr über den Surrealismus kennen durch die Werke von Magritte, den sie sehr schätzten, weil auch er ein „Eye-opener“ war. Paul McCartney besitzt mehrere Originale, und Magrittes Brille liegt auf seinem Schreibtisch. Magrittes Bilder zeigen diese „conspiracy against reality“, die Lennon später in seiner Rezension zu den Goon Scripts beschreibt.18

“Georgette, his wife, was selling the contents of his studio and Linda

19

bought me the easel and his spectacles …that was just mega … What I love about Magritte is he turned the

Als Georgette, Magrittes Frau, die Einrichtungsgegenstände seines Studios verkaufte, ersteigerte Linda die Leinwand und die Brille für mich … was einfach mega war … Was ich an

world upside down and inside out in terms of meaning and significance … Magritte's specs are a reminder: the world is a jungle of crazy interpretations.”

20

Magritte mag, ist, dass er die Welt auf den Kopf gestellt hat in Sachen Bedeutung und Relevanz … Margrittes Brille erinnert mich daran, dass die Welt ein Dschungel voller verrückter Sehweisen ist.

René Magritte : La Tentative de l'impossible (Das Unmögliche versuchen), 1928

Eine der Aussagen in „Strawberry Fields“ ist, dass unser visueller Eindruck von der Welt durchaus eine Täuschung sein kann. Vielleicht werden wir durch unsere „normalen“ Sichtweisen völlig in die Irre geführt: „Misunderstanding all you see“ (Strawberry Fields). Das bekannteste Beispiel ist wohl Magrittes Pfeife. Was wir da sehen, ist eben keine Pfeife, es ist das ABBILD einer Pfeife, so wie der Künstler sie sieht.

(10) René Magritte: „Ceci n´est pas une pipe“

Andererseits kann es durchaus reizvoll und erkenntnisreich sein, die Außenwelt in ganz neuen Bildern wahrzunehmen, um so Zugang zu eigenen inneren Welten zu gewinnen. Macht Magrittes Bild „La corde sensible“ nicht „Sinn“, wenn man es ansieht als eine Darstellung der inneren Freude bei einem himmlischen Genuss, als Leichtigkeit des Seins im Bouquet eines guten Getränks in einer perfekten Umgebung?

René Magritte: La corde sensible

Eigentlich ist es unmöglich, solch ein Gefühl visuell und zweidimensional darzustellen, aber Magritte versucht das Unmögliche: „La tentative de l´impossible“. Durch die surrealistische Brechung der Realität werde ich in die Lage versetzt, solch eine Bedeutung in ein an sich „un-sinniges“ Bild zu legen. Dazu braucht es Phantasie und die Bereitschaft, selbst Bedeutung zu stiften. Es braucht die „imagery in my mind“, wie John Lennon es ausdrückt. Dann ist das Bild nicht mehr unsinnige „insanity“, sondern eine gleichberechtigte Form der Realität.21

In vielen Liedern sprechen sich die Beatles ganz klar für Traumerfahrungen und gegen die „Realität“ des Wachzustandes aus. Das wird deutlich bei einer genaueren Analyse von „Strawberry Fields“22, ist aber auch Thema in „I´m Only Sleeping“, „Fool on the Hill“ etc. Eine der wichtigsten Quellen solcher surrealen Gegenwelten sind jedoch von Anfang an die Goon Shows.

Als diese Sendungen in Buchform veröffentlicht wurden, gewann die New York Times John Lennon als Rezensenten für die Goon Show Scripts. John Lennon beschreibt dort den großen Einfluss dieser Art von Komik auf sich und die Beatles so:

"I was 12 when The Goon Show first hit me, 16 when they finished with me. Their humour was the only proof that the world was insane ….. The Goon Show was long before and more revolutionary than "Look back in anger" (it

Mit 12 überwältigte mich die Goon Show zum ersten Mal, mit 16 war die Zeit vorbei. Ihr Humor war der alleinige Beweis, dass die Welt verrückt war … Die Goon Show war früher und noch revolutionärer als „Blick zurück im Zorn“ (sie war etwas für Intellektuelle genauso wie für

appealed to "eggheads" and "the people"). Hipper than the hippest and madder than "Mad" , a conspiracy against reality ….. One of my earlier efforts at writing was a 'newspaper' called The Daily Howl. I would write it at night, then take it into school and read it aloud to my friends. Looking at it now, it seems strangely similar to The Goon Show."

23

die einfachen Leute). Hipper als alles andere, verrückter als [die Zeitschrift] „Mad“, eine Verschwörung gegen die Wirklichkeit … Einer meiner ersten Schreibversuche war die „Zeitung“ The Daily Howl. Ich schrieb sie nachts, nahm sie mit in die Schule und las sie meinen Freunden vor. Im Rückblick hat sie eine seltsame Ähnlichkeit mit der Goon Show.

Ähnliche Erinnerungen hat der Rezensent, der das Vorwort zur englischen Ausgabe der Goon Scripts verfasst hat - HRH Charles, Prince of Wales. Auch er unterstreicht den „mental slapstick“ bei dieser Gruppe.

„I … discovered that the Goontype humour appealed to me with an hysterical totality … at once I knew it by heart … to such an extent that when my small brothers heard a recording of the Goons for the first time they thought it was their elder brother!

Ich entdeckte, wie sehr der für die Goons typische Humor in seiner ganzen durchgeknallten Art mich beeindruckte … ich konnte sofort alles auswendig … so gut, dass meine Brüder, als sie die Goons zum ersten Mal im Radio hörten, glaubten, das wäre ich, ihr älterer Bruder!

No matter how much “fashion” in humour changes, there will always be thousands of people whose minds are atuned to the kind of mental

Egal, welchen Modeströmungen Humor unterliegt, es wird immer Tausende von Leuten geben, die eine Antenne haben für diese Art von intellektuellem Slapstick und visionärer Komik,

slapstick and imaginary cartoonery that typifies Goonery … to their dotty and devoted supporters.”

24

die so typisch ist für die Goons … Das sind ihre ergebenen und etwas verrückten Fans.

Lennon beschreibt bei den Goons eine Eigenschaft, die später auch die Beatles auszeichnen sollte: Ihre Anziehungskraft war altersübergreifend und klassenübergreifend („appealed to eggheads and the people“). Man denke an die kreischenden Kids, aber auch an die Tatsache, dass Künstler, typische Vertreter der Oberschicht und Intellektuelle von Beatlesliedern gleichermaßen angesprochen wurden. Selbst seriöse Musikkritiker beschäftigten sich mit dem Phänomen Beatles und lobten deren Musik zum Erstaunen eines zum Teil ungläubigen Publikums über alle Maßen. Professor Wilfrid Mellers, Gründungsprofessor der Musikfakultät an der 1964 neu gegründeten University of York, überraschte die Öffentlichkeit mit seiner Behauptung, die Songs der Beatles würden als seriöse Kunst Bestand haben. Einen Beleg lieferte er mit seiner Analyse von „She´s Leaving Home“25, die mit den Worten endet: „That´s genius, you see. That´s how it happens.“26 Noch einen Schritt weiter geht Howard Goodall27, wenn er behauptet, dass die gesamte zeitgenössische Musik – die Klassik eingeschlossen – von den Leistungen der Beatles profitiert und ihre Erfolge diesen Persönlichkeiten zu verdanken hat. Ihr größtes Verdienst liegt demnach darin, dass sie ein für alle Mal die absurde Idee widerlegt hätten, erfolgreiche Musik mit „mass appeal“ könne per se keine Kunst sein.

(11) 47:10 - Schluss

Doch zu Zeiten der Goons wisssen die Beatles selbst noch nicht, wohin die Reise führen wird. Fest steht, dass der Einfluss der Goons bis zur letzten Single ihrer Karriere zu hören ist. „You know my name (Look up the number)“ ist die B-Seite von „Let It Be“ und nicht weit entfernt vom (in England berühmten) „Ying Tong Song“.

(12) ab 2:19 und besonders 3:50

(13)

11 Northern Songs war der erste Verlag mit den Rechten an der Musik der Beatles. Das Unternehmen wurde mehrmals verkauft, bevor es 1985 für 24,4 Millionen Pfund von Michael Jackson erworben wurde. Der Verlag wurde 1995 aufgelöst, die Rechte an der Beatles Musik liegen heute bei Sony/ATV Music Publishing.

12 Harrison, a.a.O. S. 30.

13 Siehe das Kapitel „You know I know when it´s a dream”.

14 “The Goon Show”. Britisches Comedy Radioprogramm zwischen 1951 und 1960. Mit Spike Milligan (Hauptautor), Peter Sellers und Harry Secombe.

15 Es sind nicht verschiedenen Bands gemeind sondern nur die Beatles als Gruppe von vier einzelnen Mitgliedern. Vgl.: „My trousers are too long“. Die Rede ist von einer einzelnen Hose, die hat aber zwei Beine.

16 Leider sind auch hier die besten Beispiele nicht mehr als Clip verfügbar.

17 Siehe auch S. 28 „At the Dennis“.

18 S.u. Fußnote 23.

19 Linda McCartney, geb. Eastman (1941-1998). Fotografin und Pauls erste Ehefrau.

20 Paul McCartney zitiert in: Michael Odell: „Percy Thrillington, Magritte & me”. In: The Guardian, 29.11.2008. https://www.theguardian.com/music/2008/nov/29/paul-mccartney-the-fireman-interview

21 John Lennon: “Surrealism had a great effect on me because then I realised that the imagery in my mind wasn´t insanity. Surrealism to me is reality”. In: “The Playboy Interviews with John Lennon and Yoko Ono.” Putnam Publication Group, 1981.

22 Siehe dazu das Kapitel „You know I know when it´s a dream”.

23 John Lennon: The New York Times, 30. 9. 1973, „The Goon Show Scripts“. In: The New York Times, 30.09.1973. Zitiert nach: http://www.telegoons.org/famous_fans.htm

24 HRH The Prince of Wales: Foreword. In: More Goon Show Scripts. Written and selected by Spike Milligan. Sphere Books, 1974. S.10.

25 Im Kapitel „Sit back and let the evening go”.

26 Siehe QR-Link 110.

27 Musiker und Kompnist (geb. 1958), Commander of the Order of the British Empire (CBE) for services to music education. Komponierte u.a. die Titelmelodie zu “Mr. Bean”.

Roll up for a Magical Mystery Tour

Um den oft verrissenen Film “Magical Mystery Tour“ aus dem Jahr 1967 richtig zu verstehen, sollte man sich “The Running, Jumping & Standing Still” von Richard Lester und „Goon“-Mitglied Peter Sellers aus dem Jahr 1959 vorher angeschaut haben sowie Paul McCartneys Warnhinweis berücksichtigen, dass Magical Mystery Tour keinen kohärenten Handlungsstrang und keinen Plot enthält, auf den die Handlung abzielt.

It hasn’t got a plot.’ But yeah. We thought, ‘You don’t need a plot. You don’t always need one.’ Because, like, the things you did today probably didn’t have plot.

28

much of a

Er (=der Film) hat keinen stringenten Handlungsverlauf. Aber egal. Wir dachten uns: Man braucht auch nicht immer einen. Denn wahrscheinlich ähnelt auch das, was du heute getan hast, nicht gerade einem stringenten Handlungsverlauf.

Wer diese Aspekte nicht im Hinterkopf behält, hat wahrscheinlich solch ein „disconnected piece of nonsense“ (ein unzusammenhängendes Stück voller Unsinn) vor Augen, wie die Mehrzahl der geschockten Zuschauer am Weihnachtsabend 1967.

“Looking at it now, it seems strangely similar to The Goon Show”. Dieser oben zitierte Satz von John Lennon beschreibt nicht nur seine frühen Comics, sondern auch überraschend gut die Magical Mystery Tour. Leider ist der Film “The Running Jumping & Standing Still” auf YouTube nicht mehr verfügbar. Es lohnt sich aber, ihn auf anderen Quellen anzusehen, um die verblüffenden Ähnlichkeiten einiger Sequenzen mit „Magical Mystery Tour“ zu entdecken. Dazu gehören die Szenen mit einem Zelt auf der Wiese, in dem die Protagonisten verschwinden, oder die vier schrägen Gestalten, die an einem Seil ziehen und hintereinander herlaufen wie in der Schlussszene von „I´m the Walrus“. Dabei glaube ich nicht einmal, dass die Beatles bewusst kopiert haben, sondern dass Erinnerungen an die Goons im Unterbewusstsein haften geblieben sind. So ist es kein Wunder, dass eine ganze Reihe von Szenen aus Magical Mystery Tour eine Art visualisierte Goon Show sein könnten.

Leider ist auch Magical Mystery Tour nicht mehr frei verfügbar. Dabei hat dieser Film es verdient, dass man sich ihn noch einmal genauer ansieht, um ihn neu würdigen zu können. Denn Goons wie Beatles könnten unter das fallen, was der „Express“ beim Erscheinen von Magical Mystery Tour „tasteless nonsense“ (= geschmackloser Unsinn) und „blatant rubbish (= himmelschreiender Blödsinn)“ nannte.29 Der „Guardian“ erkannte jedoch schon früh den symbolischen Wert dieses Films und bezeichnete ihn als

an inspired freewheeeling achievement … a kind of fantasy morality play about the grossness, warmth and stupidity of the (Beatles‘) audience.

30

ein geistreiches, unbekümmertes Werk … eine Art Sittenspiegel, der die Grobschlächtigkeit, aber auch die Warmherzigkeit und Dummheit des Publikums der Beatles widerspiegelt.

Die Goons wie die Beatles (und später auch die Pythons) verarbeiten hier in satirischer Überzeichnung das England ihrer Jugend (und teilweise noch ihrer Gegenwart):

“ ... an England of

decaying authority

, bad food

and anticlimactic entertainment

: the country in which the Beatles had grown up, embodied by the hollering sergeant …; the dream sequence in which Lennon serves bucketfuls of vomitlike spaghetti; and the very idea of a mystery tour on a coach.”

31

… ein England der verblassenden Autoritäten, des schlechten Essens und einer langweiligen Unterhaltungsindustrie ohne Höhepunkte: das ist das England, in dem die Beatles aufwuchsen, verkörpert durch den brüllenden Armeeoffizier … die Traumsequenz, in der Lennon haufenweise Spaghetti serviert, die wie ausgekotzt aussehen; und überhaupt die Idee einer Fahrt ins Blaue, bei der man sich überraschen lässt.

Auszüge sieht man im Trailer zur digital überarbeiteten Neuausgabe von „Magical Mystery Tour“ aus dem Jahr 2012.

(14)

Trotz des teilweise etwas amateurhaften „Konzepts“ und seiner Ausführung erhielt der Film Lob von Größen wie Martin Scorsese, der ihn als Inspirationsquelle für sich selbst und für die Teilnehmer seiner Filmakademie ansieht. „For me, the freedom of the picture was very important, their sense of breaking all the form”32. (Für mich waren die Freiheiten in diesem Film so wichtig, ihr Gespür dafür, das ganze Format aufzubrechen.) Die Beatles hatten gerade mit Sgt. Pepper bewiesen, wie man traditionelle Grenzen eines Genres sprengen konnte. Bewusstseinserweiternde Substanzen wie LSD und die Begegnung mit Künstlern wie Stockhausen oder Magritte spielten bei der Entstehung dieses Films eine Rolle – etwa im psychedelischen Farbenrausch der Strandbilder (was die Zuschauer vor ihren Schwarzweißfernsehern natürlich kaum mitbekommen konnten), bei surrealistischen Textversatzstücken in „I´m the Walrus“ oder durch die Verwendung von Tapeloops33 in der Instrumentierung der Songs. Scorsese betrachtet den Film als eine gelungene und kreative Darstellung, wie die Beatles die Welt um sich herum sehen. Diese Einschätzung teilt Gavrik Losev im Guardian:

“It remains a very interesting observation of English society from the point of view of four very bright guys who had the money to pay for it."

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Er bleibt uns erhalten als eine überaus interessante Betrachtung der englischen Gesellschaft aus der Sicht von vier sehr cleveren Kerlen, die das Geld hatten, so etwas zu finanzieren.

In John Harris‘ Artikel findet sich auch das Szenenfoto The Beatles stop for fish and chips35, in den Zeiten vor Kebab und Pizza die urbritischste aller Institutionen. Diese Situation taucht ebenfalls auf in der exzellenten BBC-Produktion „The Beatles - Magical Mystery Tour Revisited“, wo Paul Gambacini, der aus den USA stammende Produzent von „Magical Mystery Tour“, sie als beispielhaft für den Film erachtet. Für ihn ist sie eines dieser urenglischen Elemente, die im Film verschmolzen werden mit psychedelischen Komponenten, um ein umfassendes Abbild einer Kultur zu komponieren, von der die Beatles geprägt wurden, und die sie teils selbst geprägt haben. Die Szene hat es nicht in die Endfassung geschafft, aber das Militär, die Spaghettiszene und die unsäglichen feucht-fröhlichen Busfahrten nach Blackpool, die bei jedem Schulfest stattfindenden „marathons“36, fotografiert von „World Cup Willy“ (dem Maskottchen der 1966 gewonnenen Fußballweltmeisterschaft), die Liebesromanze zweier skurril-britischer Typen am Strand: all das findet man in dieser „Magical Mystery Tour“.

(15) 43:35 – 44:06

A softly satirised presentation of the culture they grew up in. They celebrate it but take the piss.

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Eine leicht satirische Darstellung der Kultur, in der sie aufgewachsen sind. Sie feiern sie durchaus, verarschen sie aber auch.

(16) Der Artikel mit dem Bild

Für Gambacini ist der gesamte Film durch und durch englisch. Schon die Idee, in einen Bus zu steigen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht, sei für Amerikaner völlig unverständlich. Ebenso abstrus erscheine die Vorstellung, mit allen möglichen Freunden und entfernten Familienangehörigen – wie peinlich diese auch zum Teil sein mögen – einen Tag auf dieser Bustour zu verbringen. Kaum vorstellbar für (amerikanische) Musiker, die „hip“ sein wollen. Da denkt Gambacini sicher an die Szenen, in der Ringo sich dauernd mit seiner beleibten „Tante“ streitet. “‘Why are they hanging around with fat old women?’ I don´t think Americans would have gotten it.”38

Die liebevolle Beschäftigung der Beatles mit „Good Old England” zieht sich durch ihr ganzes Werk39 und reicht bis in die Nach-Beatlesphase. Aber immer wird die Idylle, wenn sie droht, in den Kitsch abzugleiten, entweder ironisch überhöht oder durch störende Bilder gebrochen. Eine charmante Überzeichnung solch einer urenglischen Tradition ist McCartneys „English Tea“.

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Das Setting ist wie aus dem Bilderbuch: Sunday morning, miles and miles of English garden, romantische Blumen des typischen „cottage garden“ wie Malven und Rosen, der „willow tree“ am Fenster, eine Nanny serviert Plätzchen zum Tee, und auf dem englischen Rasen spielt man „croquet“. Im Zeitalter von „Abseiling“ oder „Freeclimbing“ wirkt „Croquet“ sowieso total veraltet und wie aus einer anderen Welt. Wenn dann noch dieses Spiel, bei dem man sich kaum bewegen muss, als „adventure“ bezeichnet wird, ist das sicherlich „a softly satirised presentation of the culture they grew up in“.

(18) Besonders „Wivenhoe Park“ oder „Osmington Village“

Dass auch die McCartney-typische harmonisch-verspielte Melodie durchaus mit einem Augenzwinkern gedacht ist, sieht man am eher ironisch wirkenden Schlussakkord. Der anachronistische Anfang erinnert stark an die comichafte „Kurkapelle“ aus Pepperland41