Liebe an Bord - Maren Frank - E-Book

Liebe an Bord E-Book

Maren Frank

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Beschreibung

Krankenschwester auf einem Kreuzfahrtschiff: Das klingt zu gut, um wahr zu sein. Diana wagt das Abenteuer und verliebt sich prompt in die große, dunkelhaarige Kapitänin Valerie. Viel Zeit, um herauszufinden, ob die Gefühle erwidert werden könnten, bleibt allerdings nicht: Das Schiff wird vom Ersten Offizier mit Hilfe fremder Seeleute gekapert, Diana und Valerie in einem Ruderboot auf See ausgesetzt - der gemeinsame Überlebenskampf beginnt ...

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Maren Frank

Liebe an Bord

Roman

© 2012 2. Auflage 2019édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-015-8

Coverfoto: © by-studio – Fotolia.com

1

»Es tut mir wirklich sehr leid.« Dr. Raschkes braune Augen sahen Diana voller Bedauern an.

Diana schluckte. Sie hatte es ja schon gewusst, aber die Worte nun zu hören, schien etwas in ihr, das gerade noch wackelig gestanden hatte, zum Einsturz zu bringen. »Wann schließen Sie die Praxis?«

»Freitag ist unser letzter Arbeitstag.« Er stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. »In zwei Wochen regiert dann die Abrissbirne.« Bekümmert reichte er ihr einen Umschlag. »Hier. Ich habe Ihnen ein gutes Zeugnis geschrieben. Mit Ihren Qualifikationen finden Sie bestimmt rasch eine neue Anstellung. Wobei ich mir wünschen würde, dass Sie endlich Ihr Studium wieder aufnehmen.« Er hob aufmunternd die Augenbrauen.

Diana seufzte. »Wenn das so einfach wäre, würde ich es tun.«

Er legte ihr väterlich eine Hand auf die Schulter. »Darf ich Ihnen als alter Mann, der ich bin, einen Rat geben?« Diana schaute ihn etwas zweifelnd an, sagte aber nichts. »Lassen Sie sich nicht davon abhalten, das zu tun, was Sie wollen. Egal, wie viele Hindernisse sich auftun, es gibt immer einen Weg.«

Sie haben gut reden, dachte Diana. Sie gehen mit einer schönen Rente nach Spanien und setzen sich in der Sonne zur Ruhe.

Aber sie mochte Dr. Raschke viel zu sehr, um diese Gedanken laut auszusprechen. Sie hatte gern bei ihm gearbeitet, und er war immer freundlich zu ihr gewesen. Dass die Stadt dieses Viertel, in dem seine Praxis lag, nun dem Erdboden gleichmachen wollte, um neue, profitablere Geschäftshäuser hochzuziehen, dafür konnte er ja nichts.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte sie.

»Tun Sie das.« Er nickte und ging hinter seinen Schreibtisch zurück. »Man sollte immer das tun, woran das Herz hängt«, fügte er lächelnd hinzu. »Glauben Sie mir, es lohnt sich.«

Diana atmete tief durch. Sie wünschte, sie hätte Dr. Raschkes Zuversicht. »Wenn sonst nichts mehr ist, mache ich jetzt dann Feierabend.«

»Ist gut.« Dr. Raschke blickte ins leere Wartezimmer. »Bei diesem Baulärm kommt sowieso kein Patient mehr.«

»Dann bis morgen«, erwiderte Diana und verließ sein Büro, um ihren Mantel vom Haken zu nehmen und auch die Praxis zu verlassen. Nachdenklich ging sie zur Bushaltestelle und blätterte in einer liegengelassenen Zeitung, während sie wartete.

Bei den Stellenangeboten war nichts für sie dabei. Es gab die üblichen Annoncen für Callcenter-Mitarbeiter, außerdem wurden Umzugshelfer gebraucht, und eine Tankstelle suchte jemanden auf Vierhundert-Euro-Basis als Aushilfe, besonders für nachts. Diana hatte sich zwar rasch abgewöhnt, wählerisch zu sein, aber die Vorstellung, mitten in der Nacht allein in der Tanke zu stehen, verursachte ihr Gänsehaut.

Umzugshelfer konnte sie genauso vergessen. Das war kaum etwas für eine Frau mit knapp fünfzig Kilo und etwas über einssechzig.

Sie las weiter. »Nette Kolleginnen für ein Dienstleistungsunternehmen«, murmelte sie halblaut. Na danke, dahinter verbarg sich garantiert irgendetwas Sexuelles.

Die letzte Anzeige auf der Seite weckte jedoch ihr Interesse. Sie war so gefesselt davon, dass sie fast die Ankunft des Busses verpasste. Schnell riss sie die Seite ab, stopfte sie in ihre Jackentasche und stieg ein, bevor er ohne sie abfuhr.

Im Bus holte sie die Anzeige wieder heraus und las sie noch einmal. Kreuzfahrtschiff. Arbeiten auf dem Wasser. Eigentlich hatte sie noch nie darüber nachgedacht, dass es auch dort Jobs gab, nicht nur an Land.

Ein träumerisches Lächeln überzog ihr Gesicht. Kreuzfahrt, das klang nach Urlaub. Jeden Tag an einem anderen Ort. Und sicherlich an einem sonnigen. Hier in Deutschland war noch nicht einmal Frühling, gerade erst Ende Januar. Jetzt in die Karibik . . .

Sie seufzte sehnsuchtsvoll. In einer Hängematte zwischen zwei Palmen liegen, deren Palmwedel leise im Wind schaukelten, in der Hand einen farbenfrohen exotischen Drink, dessen fruchtiger Duft sich mit dem salzigen Aroma des Meerwassers mischte, und gleich rechts von ihr lächelte eine schöne Frau ihr verführerisch zu. Diana erwiderte das Lächeln. Die Fremde war betörend schön. Die Sonne ließ ihre gebräunte Haut glänzen, und ihre perfekte Figur wurde von einem dünnen Tuch kaum verdeckt. Leichter Wind spielte in ihren langen Haaren. Mit leiser Stimme forderte sie Diana auf näherzukommen, legte ihr, kaum dass sie in Reichweite war, die Arme um den Körper, zog sie zu sich hinunter und . . .

»Goethestraße!«

Diana fuhr hoch. Das war ihre Station. Sie sprang auf, die Zeitung noch immer in der Hand, und sprintete zum Ausgang. Der Busfahrer wartete ganz bestimmt nicht auf Karibikträumerinnen. Im letzten Moment erreichte sie die Tür. Direkt hinter ihr schloss sie sich, und der Bus fuhr weiter.

Für einen Moment stand Diana auf der Straße, ohne sich zu rühren. Dieser Übergang war so abrupt gewesen, dass sie fast noch die Sonne auf der Haut spüren konnte, die Hände der betörenden Schönheit.

Aber es war nur ein Traum. Sie, die kleine Krankenschwester Diana Melling aus dem Ruhrgebiet, passte da nicht hinein. Sie war noch nie auf die Idee gekommen, über eine Kreuzfahrt nachzudenken, das war ohnehin nur etwas für Rentner. Die konnten sich so was ja auch leisten.

Erneut warf sie einen Blick auf die unsauber herausgerissene Anzeige. Verlockend war es natürlich schon. Dort arbeiten, wo andere Urlaub machten. Und was für einen Urlaub.

Außerdem, was hatte sie schon zu verlieren? Lassen Sie sich nicht davon abhalten, das zu tun, was Sie wollen, hörte sie Dr. Raschkes Stimme. Er hatte damit Dianas Biologiestudium gemeint, das sie wieder aufnehmen sollte, aber eine Kreuzfahrt fiel sicher auch in diese Kategorie.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Ach nein, lieber doch nicht. Das war ein zu großes Risiko.

Während sie die Stufen in den fünften Stock hinaufstieg, zu ihrer kleinen, gemütlichen Dachwohnung, konnte sie dennoch die Gedanken nicht abschütteln. Wie ein leiser, bohrender Schmerz setzte sich die Aussicht in ihr fest. Allem entfliehen, ganz weit weg, alle Sorgen hinter sich lassen.

Sie kam oben an und schloss die Tür auf. Die Sorgen. Sie atmete tief durch. Ach, wäre das schön. Endlich einmal wieder frei sein.

Sie hängte ihren Mantel auf und ging in die Küche. Sie hatte nicht eingekauft, heute musste es eine Dosensuppe tun. Noch einmal rauszugehen, dazu hatte sie keine Lust.

Sie leerte die Dose in einen Topf und schaltete die Platte ein. Während sie mit einem Löffel umrührte, starrte sie in den Topf, als könnte sie dort etwas anderes sehen als Erbsensuppe. Die Gedanken in ihrem Kopf verdichteten sich auf verwirrende Weise, als ob ein Bienenschwarm immer näher käme.

Auf einmal ließ sie den Löffel fallen, ging zum Telefon und wählte die Nummer aus der Zeitung.

Nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine weibliche Stimme. »Kreuzfahrten Südseeträume.«

Nervös schluckte Diana und umklammerte den Hörer so fest, dass das Gehäuse leise knackte. »Diana Melling. Guten Tag. Ich interessiere mich für Ihre Anzeige, als Krankenschwester, für die Kreuzfahrt.«

»Sie möchten sich bewerben?« Eine sehr knappe Frage.

»Ja, gern«, erwiderte Diana so gefasst wie möglich. »Wenn Sie nicht schon jemand haben.«

»Eine Krankenschwester fehlt uns noch.«

Diana hätte am liebsten laut gejubelt. Der erste Schritt war getan. Jetzt bloß keinen Fehler machen!

»Sprechen Sie Fremdsprachen?« Die Stimme klang sehr geschäftsmäßig, nicht persönlich interessiert. Wahrscheinlich hatte diese Sekretärin schon einiges an Bewerbungen abarbeiten müssen und war es müde, zu allen nett zu sein.

»Mein Englisch ist ziemlich gut«, sagte Diana, »auch für den medizinischen Bereich. Französisch . . . na ja, geht so. Ich kann mich verständigen.«

»Spanisch?«, fragte die Stimme. »Portugiesisch? Russisch?«

Wie wäre es mit Kisuaheli? dachte Diana sarkastisch. Wie viele Sprachen brauchten die denn? »Weniger«, sagte sie. »Aber ich kann alles lernen, was verlangt wird.«

»Das wird sich zeigen«, sagte die Frau, von der Diana immer noch nicht wusste, wie sie hieß. Sich am Telefon vorzustellen war wohl außer Mode gekommen. Und als Sekretärin nahm sie sich eine ganze Menge heraus.

»Ich bin gern zu einem Test bereit«, erwiderte Diana etwas aufmüpfig. So unterbuttern lassen wollte sie sich denn doch nicht, »Frau . . .?«

»Kemp«, kam die Antwort knapp und effizient wie das ganze bisherige Gespräch. »Wichtiger als Sprachen sind in erster Linie Ihre medizinischen Kenntnisse. Können Sie morgen vorbeikommen, mit Ihren Unterlagen?«

Puh, das ging ja schnell. Diana war etwas überrascht. Es schien, als suchten sie sehr dringend nach einer Krankenschwester, und das Angebot war anscheinend nicht groß. Gut für mich, dachte sie. Das heißt, wenn sich das Ganze als realistisch herausstellt. Eine Stimme am Telefon kann mir viel von Südseeträumen erzählen. »Ich bin momentan noch arbeitsmäßig gebunden«, erwiderte sie so kühl, als hätte sie tausend Jobangebote und dieses eine würde sie gar nicht interessieren, »aber morgen Nachmittag ist die Praxis geschlossen. Da ginge es.«

»Gut.« Eine Frau der großen Worte war diese Dame nicht. »Die Adresse steht in der Anzeige. Oder soll ich sie Ihnen noch einmal durchgeben?«

Diana hatte das Gefühl, hätte sie jetzt ja gesagt, wäre sie durchgefallen. »Nein«, lehnte sie ab. »Nicht nötig. Ich habe die Adresse.«

»Dann morgen um fünfzehn Uhr«, entgegnete Frau Kemp. »Pünktlich, wenn möglich.«

Diana hätte fast nach Luft geschnappt. »Ich bin immer pünktlich«, erwiderte sie. »Schon im Interesse der Patienten. Es könnte ja etwas Lebensbedrohliches sein.«

»Bis morgen.« Frau Kemp ging nicht mehr auf das ein, was Diana gesagt hatte, sondern legte einfach auf.

Na, wenn sie ein Beispiel für das Betriebsklima ist, kann es ja heiter werden, dachte Diana.

Aber wen interessierte schon die Sekretärin? Die würde sicher nicht auf der Kreuzfahrt dabei sein.

2

Das Büro befand sich im zweiten Stock eines riesigen Gebäudes. Alles wirkte sehr modern, mit vielen großen Fenstern und futuristisch anmutendem Design.

Diana atmete tief durch, ehe sie hineinging und auf den Fahrstuhl zusteuerte. Nervös strich sie über ihren Hosenanzug. Der Aufzug kam fast sofort, und nachdem sie auf der zweiten Etage ausgestiegen war, blickte sie sich um.

Der Flur war mit dunkelgrauem Teppich ausgelegt. Rechts und links befanden sich eine Menge Türen. Alle geschlossen. Langsam ging sie den Korridor entlang und las die Beschriftungen. Ein Makler, eine Versicherungsgesellschaft . . .

Die dritte Tür war mit einem großen Schild versehen. Oben lockte verschnörkelt der Schriftzug Kreuzfahrten Südseeträume, darunter befanden sich bunte Bilder von einer Insel mit Palmen, einem schönen weißen Schiff und einer lachenden Sonne.

Noch einmal tief durchgeatmet, dann betätigte Diana den Klingelknopf. Fast sofort ertönte ein Summen, und die Tür ließ sich aufdrücken. Eine verlassene Rezeptionstheke begrüßte sie.

Ja, ja, pünktlich. Diese Sekretärin hielt das wohl nur für andere für notwendig, nicht für sich selbst.

Von links erklangen Schritte, dann erschien eine Frau in einem dieser typischen Bürokostüme mit taubengrauem Rock, weißer Bluse und passendem Blazer. Ihre Gesichtszüge wirkten kantig, aber vielleicht entstand dieser Eindruck auch nur dadurch, dass ihr dunkles Haar so streng nach hinten frisiert war. »Sie sind Diana Melling, richtig?«

»Ja.« Diana nickte. Ein Guten Tag war wohl zu viel verlangt. Also verzichtete sie ebenfalls darauf. »Frau Kemp?«

Ein knappes Nicken. Frau Kemps Verhalten entsprach offensichtlich ihrem Sprachstil am Telefon. »Kommen Sie bitte mit.« Sie deutete nach links.

Diana folgte ihr in ein geräumiges Büro. An den Wänden hingen farbenfroh leuchtende Poster. Tahiti, Samoa, die Fidschi-Inseln, Tonga. Alles Traum-Urlaubsziele. Und auf einmal schienen sie so nah.

»Haben Sie Ihre Unterlagen mitgebracht?« Frau Kemp drehte sich um und schaute Diana mit einem durchdringenden Blick an.

»Ja, selbstverständlich.« Diana nestelte an ihrer Tasche und zog die Bewerbungsmappe heraus, die sie gestern noch auf den neuesten Stand gebracht hatte.

»Setzen Sie sich.« Frau Kemp wies auf einen Stuhl, nahm den Hefter und setzte sich hinter den Schreibtisch in der Ecke des Raumes. Sie überflog die Seiten. »Sie haben ja einen sehr bewegten Lebenslauf.«

Das klang nicht gut. Diana räusperte sich. »Ja, ich – Ja«, erwiderte sie unsicher. »Nach der Ausbildung zur Krankenschwester –«

»Sie brauchen das nicht zu wiederholen. Ich kann lesen«, unterbrach Frau Kemp sie. »Erfahrungen auf verschiedenen Gebieten sind nicht von Nachteil auf einem Kreuzfahrtschiff.«

Na, Gott sei Dank! Diana wischte sich innerlich den Schweiß von der Stirn. Diese Frau machte sie fertig. Wenn das die Sekretärin war, wie sah dann der Boss aus?

Frau Kemp blickte auf und musterte Diana, als wollte sie sie ausziehen. Diana fühlte ein Kribbeln über ihren Körper laufen. Das war doch kein Date hier! Aber Frau Kemps durchdringender Blick, so hell und so rätselhaft emotionslos, brachte Diana fast zum Zittern. »Wenn Sie noch Fragen haben –«

»Keine Fragen.« Frau Kemp unterbrach sie erneut und schüttelte den Kopf. »Oder vielleicht doch. Eine.« Ihr Blick ließ Diana nicht los. »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich ausgerechnet auf einem Kreuzfahrtschiff zu bewerben? Krankenschwestern werden überall gesucht.«

Diana schluckte. War das eine Frage, die sie beantworten musste? Es gab da doch so Regeln. Wenn man schwanger war, musste man nicht die Wahrheit sagen. Aber sie war nicht schwanger. »Ich . . .« Sie räusperte sich erneut. »Ein wenig Abwechslung kann nie schaden. Und wie Sie schon sagten: Erfahrungen auf verschiedenen Gebieten . . .«

»Sie haben also keinen speziellen Grund? Wollten nicht immer schon mal zur See?« Die hellen Augen schienen bis auf den Grund von Dianas Seele zu blicken.

Diese Vermutung war so überraschend, dass Diana auf einmal lachen musste. Die Spannung löste sich unkontrolliert. »Zur See? Nein, das könnte ich nicht sagen. Bevor ich Ihre Anzeige las, ist mir der Gedanke nie gekommen.«

Etwas wie die Andeutung eines Lächelns huschte über Frau Kemps Gesicht. Oder war es nur Einbildung? »Sie sind wenigstens ehrlich. Was ich da schon gehört habe . . .«

»Ist das ein Ablehnungsgrund?« Jetzt wurde es Diana doch etwas mulmig. »Davon stand nichts in der Anzeige.«

»Nein, nein.« Frau Kemp schüttelte den Kopf. »Kein Grund für eine Ablehnung. Werden Sie seekrank?«

Der abrupte Wechsel zur nächsten Frage ließ Diana sich wie auf einem Rennparcours vorkommen. Sie wusste langsam nicht mehr, ob sie das nächste Hindernis noch nehmen konnte. »Ich glaube nicht«, sagte sie. »Ehrlich gesagt beschränken sich meine Erfahrungen da auf Baggerseen und Butterfahrten. Dabei hatte ich nie Probleme.«

Nun spielte eindeutig ein zuckendes Lächeln um Frau Kemps Mundwinkel. »Dann wollen wir mal hoffen, dass das reicht«, erwiderte sie.

Diana zögerte, dann rang sie sich zu einer Entscheidung durch und befreite ihre trockene Kehle durch ein erneutes Räuspern. »Schwankt ein Kreuzfahrtschiff denn so?«, fragte sie. »Ich dachte immer, solche großen Schiffe gleiten ganz ruhig auf dem Meer dahin.«

»Sie haben zu viele Titanic-Filme gesehen«, entgegnete Frau Kemp genauso trocken, wie Dianas Hals sich anfühlte. »Aber eine Titanic ist unser Schiff nicht.« Sie lachte leicht. »Hoffentlich nicht. Es ist ein umgebauter russischer Frachter.«

»Ach, deshalb Russisch«, antwortete Diana unwillkürlich.

»Weniger wegen des Schiffes als wegen der Teilnehmer an Kreuzfahrten«, erläuterte Frau Kemp auf einmal merkwürdig zuvorkommend. »Heutzutage sind viele Russen darunter. Die haben das meiste Geld.«

»Sehr interessant«, brachte Diana hervor und versuchte, ihr Entsetzen zu verbergen. Ein ehemaliger russischer Frachter? Und auf solch einem Pott sollte sie Wochen oder vielleicht sogar Monate verbringen?

»An Bord gibt es selbstverständlich sämtliche Einrichtungen, wie sie auch auf anderen Kreuzfahrtschiffen zu finden sind«, erklärte Frau Kemp weiter, als hätte sie Dianas Gedanken gehört. »Die Kabinen sind eher zweckmäßig, aber da verbringt man ja auch nur einen kleinen Teil der Zeit.«

Diana hörte ihren Ausführungen zu und zweifelte nun doch daran, dass diese Stelle wirklich etwas für sie war.

Frau Kemp musterte sie erneut. »Habe ich Sie jetzt abgeschreckt? Viele Leute machen sich falsche Vorstellungen, deshalb rede ich da lieber Klartext. Es hat keinen Sinn, wenn Sie dann unterwegs merken, dass das Ganze nichts für Sie ist. Und wir verlieren eine Krankenschwester.«

Wobei Letzteres vermutlich der wichtigste Gesichtspunkt ist, dachte Diana, nicht mein Wohlbefinden.

Frau Kemps Blick wurde fragend und wirkte leicht ungeduldig. »Immer noch Interesse? Oder sollen wir das Gespräch lieber hier beenden?«

Diana konnte nicht sofort reagieren. Es war alles ein bisschen zu viel für sie.

»Ich würde vorschlagen, Sie schlafen noch mal eine Nacht darüber«, fuhr Frau Kemp fort. »Solche Entscheidungen sollte man nicht übers Knie brechen. Wenn Sie morgen immer noch wollen, unterschreiben wir den Arbeitsvertrag.«

So schnell? »Sie haben keine andere Krankenschwester, die sich beworben hat«, vermutete Diana. So etwas Ähnliches hatte Frau Kemp ja auch schon gestern am Telefon gesagt.

»Eine.« Frau Kemp wirkte, als wollte sie das Gespräch möglichst schnell beenden. »Aber wir brauchen zwei. Wenn Sie nicht zusagen, müssen wir weitersuchen.« Es schien, als wäre das ein Vorwurf, der direkt an Diana gerichtet war.

»Das kann ich ja kaum verantworten«, erwiderte Diana. Sie wusste, dass ihre Augen in diesem Augenblick mutwillig blitzten. Aber das sollte diese Sekretärin ruhig mitbekommen. Was sie konnte, konnte Diana schon lange. Diese Frau Kemp hatte ihren unsichtbaren Chef – Diana fragte sich, wo er war – bestimmt ganz schön unter dem Pantoffel. »Wenn Sie wollen, unterschreibe ich den Vertrag gleich jetzt. Wer kann einem russischen Frachter schon widerstehen?«

»Ich hoffe, Sie bewahren sich Ihren Humor dann auch auf der Reise«, entgegnete Frau Kemp erneut so trocken, dass Diana sofort einen Hustenreiz verspürte. »Das hilft über vieles hinweg.«

Diana fragte sich, über was ihr Humor ihr wohl würde hinweghelfen müssen, aber sie entschied sich, lieber nicht zu fragen. Immer mehr erschien ihr dies als eine Chance, als ein Tor zu neuen Ufern, mit dem sie nicht im entferntesten gerechnet hatte. Diese Chance nicht zu nutzen hätte sie sich nie verziehen, das wusste sie jetzt schon. »Ich kann auch morgen wiederkommen, wenn Sie möchten«, sagte sie. »Aber ich glaube nicht, dass meine Meinung sich ändern wird. Wenn ich mich einmal für etwas entschieden habe, bleibe ich meistens dabei.« Bis auf Ausnahmen, dachte sie, die ich jetzt einfach mal ausklammere.

Frau Kemp musterte sie in der für sie typischen Art, die Diana eine Gänsehaut verursachte.

Vielleicht hast du die anderen Krankenschwestern abgeschreckt, dachte sie trotzig, aber bei mir wird dir das nicht gelingen. Ich bin kein Mäuschen, das einfach klein beigibt. An mir wirst du dir die Zähne ausbeißen.

»Gut«, sagte Frau Kemp in diesem Moment. Sie griff zu einem dünnen Papierstapel. »Dann müssen wir das hier nur noch ausfüllen.« Auffordernd schob sie die Blätter zu Diana über den Tisch.

Diana betrachtete die Blätter für einen Augenblick verwundert, als ob sie noch nie einen Arbeitsvertrag gesehen hätte. Diese ganze Situation erschien ihr auf einmal unwirklich.

Ihr Blick schweifte zu den Postern, die ihr nun ganz anders erschienen als zu Beginn. Das waren keine unerreichbaren Traumziele mehr, die sie sich nie würde leisten können, das war ihre nahe Zukunft. Sie würde tatsächlich dort unter Palmen liegen, den Drink in der Hand – und die betörenden Südseeschönheiten in greifbarer Nähe.

»Unterschreiben Sie nun oder nicht?«, unterbrach Frau Kemps Stimme harsch ihre Gedanken. »Ich habe noch eine Menge zu tun.«

Das bereue ich bestimmt, dachte Diana unvermittelt. Doch ohne richtig hinzusehen unterschrieb sie den Vertrag.

3

Diana saß auf der Couch, blickte auf die Unterlagen und konnte immer noch nicht ganz glauben, dass sie diesen Job wirklich hatte.

Frau Kemp hatte ihr neben dem Vertrag auch Fotos und Prospekte mitgegeben. Bisher hatte Diana solche Werbung ignoriert, da sie sich eine Kreuzfahrt sowieso nicht leisten konnte. Nun aber würde sie in den Genuss kommen. Und das schon bald. Am ersten März sollte das Schiff vom Hamburger Hafen auslaufen.

Das waren noch gut vier Wochen. Diana lehnte sich zurück und starrte in die Luft. Die Wände ihres kleinen Wohnzimmers verschwanden. Zuerst verwandelten sie sich in die Wände von Frau Kemps Büro. Oder eher in die Poster an den Wänden. Wie Alice im Wunderland durch ihren Spiegel konnte Diana durch diese Poster hindurchsehen und dann auch hindurchgehen, bis sie am Strand stand.

Ihre Träumerei aus dem Bus setzte sich fort. Wieder spürte sie die warme Luft auf ihrer Haut, den salzigen Geschmack des Meeres auf der Zunge und die hellen Sonnenstrahlen, die sie dazu veranlassten, sich die Hand über die Augen zu halten.

Das hier war ein Traum. Sie wusste, dass es ein Traum war, und doch erschien ihr die Umgebung so real, als ob sie schon da wäre. Konnte es so ein Paradies überhaupt geben? Vielleicht waren alle diese Poster nur Fälschungen, um die Touristen anzulocken, und in Wirklichkeit sah es dort völlig anders aus.

Aber sie hatte Berichte über solche Kreuzfahrten im Fernsehen gesehen, über die Schiffe, über den Luxus und auch über die Strände. Und was war mit dem Traumschiff? Die schipperten doch auch immer in solchen Gegenden rum.

Nein, das musste schon eine reale Grundlage haben, auch wenn Diana sich das mit dem grauen Ruhrpotthimmel über sich nicht vorstellen konnte.

Ein Geräusch störte die paradiesische Ruhe am Strand. Obwohl Diana zuerst irritiert war, weil das Geräusch so gar nicht in die Umgebung passte, erkannte sie es nach einer Weile. Ihr Telefon klingelte.

Die Fantasie verschwand, und Diana kehrte in ihre eigene Wohnung zurück. Wollte Frau Kemp noch etwas von ihr? Diana dachte, sie hätten alles besprochen. Für einen Moment erschienen Frau Kemps graue Augen vor ihrem Gesicht. Diese durchdringenden Augen, die keines Gefühls fähig schienen.

Diana nahm ab. »Ach, Tante Magdalena.« Fast hätte sie erleichtert ausgeatmet. Noch einmal mit Frau Kemp sprechen zu müssen, war ihr nicht sehr verlockend erschienen. Gut, dass sie sie nie mehr wiedersehen würde.

»Du hast dich lange nicht gemeldet«, sagte ihre Tante. »Ich wollte mich nur mal erkundigen, wie es dir geht. Und Brigitte«, fügte sie mit offensichtlichem Widerwillen hinzu.

Diana atmete tief durch. »Brigitte wohnt nicht mehr hier.«

»Na, Gott sei Dank!«, rief ihre Tante begeistert aus. »Endlich!« Nach einer kleinen Pause fuhr sie misstrauisch fort: »Oder ist sie nur ausgezogen, aber –?«

»Nein.« Diana schüttelte den Kopf. »Sie ist . . . weg.«

»Ich atme wirklich auf«, Tante Magdalena konnte ihre Freude nicht verbergen, »dass du sie endlich los bist.«

»Tante Magda . . .« Diana runzelte die Stirn.

»Nun komm.« Ihre Tante ließ sich nicht bremsen. »Du weißt genau, dass ich recht habe. Ich wollte dir nicht reinreden, schließlich ist es dein Leben, aber diese Brigitte war einfach nur furchtbar. Sie hat dich nach Strich und Faden ausgenutzt. Du wolltest es aber nicht sehen.«

Hin und wieder habe ich es gesehen, aber ich wollte nicht allein sein, dachte Diana. Verstehst du das nicht? Sie hatte sich immer noch nicht von der Trennung von Brigitte erholt. Auch wenn sie wusste, dass es absoluter Blödsinn war, sich Brigitte zurückzuwünschen, tat sie es manchmal. Besonders, wenn sie nachts allein im Bett lag.

»Dann geht es dir jetzt auf jeden Fall besser«, vermutete ihre Tante. »Das freut mich.«

Diana wollte ihrer Tante nicht widersprechen und keine alten Diskussionen heraufbeschwören, deshalb schwieg sie zu dieser Aussage. »Dr. Raschke schließt am Freitag seine Praxis«, sagte sie. »Er geht in Rente.«

Ihre Tante war für einen Moment sprachlos. »Und dein Job?«, fragte sie dann.

»Futsch«, erwiderte Diana. Dann schlich sich ein Lächeln in ihr Gesicht. »Aber ich habe einen neuen.«

Sie hörte das Luftholen ihrer Tante am anderen Ende der Leitung. »Jetzt hast du mir aber einen Schreck eingejagt«, sagte sie. »Wieder bei einem Arzt? Oder in einem Krankenhaus?«

»Auf einem Kreuzfahrtschiff«, sagte Diana und versuchte sich zu beherrschen und so ruhig wie möglich zu erscheinen.

»Wie bitte?« Ihre Tante war genauso überrascht, wie Diana es erwartet hatte. »Auf einem Schiff? Ist das ein Witz?«

»Ich neige nicht zu Witzen«, entgegnete Diana, aber sie musste schmunzeln. »Das weißt du doch.«

»Ja, eigentlich . . .« Ihre Tante wusste wohl immer noch nicht, was sie sagen sollte. »Also meinst du das ernst?«

»Ich habe eben den Arbeitsvertrag unterschrieben«, bestätigte Diana. »Am ersten März geht es los. Südsee, Karibik . . .«

Ihre Tante schüttelte ganz sicher ungläubig den Kopf. »Das sieht dir gar nicht ähnlich«, sagte sie.

»Darf man denn immer nur das tun, was einem ähnlich sieht?«, fragte Diana, obwohl sie es selbst noch nicht glauben konnte. »Hast du das getan?«

Ihre Tante lachte. »Nein. Ein Kreuzfahrtschiff, sagst du? Welches? So eins wie das Traumschiff?«

»So ähnlich.« Diana wollte ihre Tante nicht mit dem umgebauten russischen Frachter schockieren, das musste sie nicht wissen. »Ich werde auf der Krankenstation arbeiten. Kreuzfahrt in der Südsee und dafür noch bezahlt werden. Da kann ich doch nicht nein sagen.«

»Das ist allerdings schwer«, gab ihre Tante zu. »Am liebsten würde ich dich begleiten. Aber leider kann ich mir das nicht leisten.«

»Ich verstecke dich als blinden Passagier an Bord«, schlug Diana grinsend vor.

»Das fehlt noch.« Ihre Tante lachte. »Na, das ist ja eine Überraschung und ausnahmsweise einmal eine gute.«

Das gab Diana einen Stich. »Habe ich dich bisher denn immer nur negativ überrascht?«, fragte sie enttäuscht.

»Aber nein.« Sie konnte das freundliche, wohlwollende Gesicht ihrer Tante jetzt geradezu vor sich sehen. »Du weißt, wie ich es meine. Du hast eben einfach Pech gehabt. Und jetzt hast du Glück. Freu dich und genieß es.«

Diana lächelte. »Das tue ich. Ich kann es nur immer noch nicht glauben. Es ist alles so frisch. Gestern habe ich die Anzeige gelesen, heute hatte ich das Vorstellungsgespräch und habe auch gleich den Vertrag unterschrieben, und in vier Wochen bin ich schon unterwegs. Das geht alles ziemlich schnell.«

»Wie lange geht die Kreuzfahrt?«, fragte ihre Tante.

»Sechs Monate.« Ein halbes Jahr. Diana dachte darüber nach, was in einem halben Jahr alles passieren konnte. Was vor einem halben Jahr noch gewesen war.

»Eine ganz schön lange Zeit«, stellte Tante Magda fest. »Behältst du deine Wohnung?«

»Oh.« Diana wachte aus dem Traum, in den sie schon wieder halb versunken war, auf. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.«

»Du kannst vielleicht untervermieten«, schlug ihre Tante vor. »Wenn du die Wohnung nicht ganz aufgeben willst.«

»Ich hätte schon gern etwas, wohin ich zurückkehren kann, wenn die Kreuzfahrt vorbei ist«, gab Diana nachdenklich zu. »Andererseits muss ich dann die ganze Zeit Miete zahlen, obwohl ich nicht hier bin. Und falls die Untermieter nicht zahlen –«

»Bleibt es an dir hängen«, beendete ihre Tante den Satz. »Du weißt, du kannst jederzeit zu mir kommen. Meine Tür steht dir immer offen.«

»Das weiß ich«, sagte Diana gerührt. »Aber so groß ist deine Wohnung ja auch nicht.«

»Ach, für dich ist immer noch Platz«, erwiderte ihre Tante gelassen, »klein und zierlich, wie du bist. Aber vielleicht entschließt du dich ja auch ganz dafür, auf dem Schiff zu bleiben, gleich für die nächste Kreuzfahrt.« Wahrscheinlich zwinkerte ihre Tante jetzt mit dem linken Auge, wie sie es immer tat, wenn sie Diana aufziehen wollte.

Diana lachte. »Pass bloß auf, was du sagst. Nachher tue ich es noch.«

»Wenn du damit glücklich bist«, erwiderte ihre Tante. »Man sollte immer das tun, was einen glücklich macht.«

»So etwas Ähnliches hat Dr. Raschke auch gesagt«, bemerkte Diana nachdenklich. Das waren immerhin schon zwei lebenserfahrene Leute, die Diana zurieten. Vielleicht glich das ihre eigenen Zweifel aus.

»Aber vorher kommst du noch mal bei mir vorbei«, verlangte ihre Tante streng.

Diana wusste, dass diese Strenge nur gespielt war. Ihre Tante war der liebste Mensch auf Erden. Wenn Diana sie nicht gehabt hätte nach dem Tod ihrer Eltern, hätte sie nicht gewusst, wohin. »Aber natürlich«, sagte sie. »Wir müssen doch Abschied feiern. Es sei denn, du willst nach Hamburg kommen und dem Schiff beim Auslaufen nachwinken.«

»Sei mir nicht böse«, antwortete ihre Tante, »aber um mir im kalten Wind die Beine in den Bauch zu stehen, dazu bin ich zu alt. Lass uns lieber gemütlich Kaffee trinken.«

»Gern.« Diana lächelte. »Sobald ich das wichtigste erledigt habe, komme ich. Ich glaube, ich muss mal eine Liste machen, sonst vergesse ich noch was. Wenn man erst mal auf dem Schiff ist, kann man nicht einfach so zurücklaufen und etwas holen.«

»Wenn überhaupt, müsstest du wohl schwimmen«, meinte ihre Tante lachend. »Du kannst mir ja dann alles erzählen, wenn du kommst. Ich freue mich schon darauf.«

Nach der Verabschiedung legte Diana auf. Ihre Tante wohnte nicht in derselben Stadt, deshalb musste sie für die Fahrt zu ihr etwas mehr Zeit einplanen, aber das würde erst zum Schluss kommen. Für den Moment musste sie sich erst einmal um ihre Papiere kümmern, ihren Pass verlängern lassen, alles besorgen, was sie auf dem Schiff brauchen würde.

Und sich mit dem Gedanken an die Südseeschönheiten anfreunden.

4

Viel war es nicht, was Diana eingepackt hatte. Als sie nun im gigantischen Hamburger Hafen stand, kamen ihr ihre Reisetasche und der Koffer, der ihr zu Hause noch so groß erschienen war, auf einmal winzig vor.

Sie fühlte sich etwas verloren. Es war so früh am Tag, dass es gerade erst hell wurde, aber überall leuchteten Lichter, von den Schiffen, die vor Anker lagen, von der Hafenanlage. Und so viele Menschen um sie herum. Keiner beachtete den anderen, alle strebten auf ihr eigenes Ziel zu. Arbeiter, wichtig aussehende Anzugträger, aufgestylte Frauen. Diana überlegte, ob darunter wohl auch Passagiere für die Kreuzfahrt waren, während sie ihnen mit den Blicken folgte.

Sie ging an mehreren Schiffen vorbei. Wie groß diese Schiffe waren. Bis man die ganze Länge hinter sich gebracht hatte, dauerte es eine Weile. Langsam wurden ihre Arme vom Schleppen des Gepäcks lahm.

Doch dann sah sie es endlich, ihr Kreuzfahrtschiff.

Königin der Wellen stand am Rumpf. Als Diana jedoch ganz genau hinsah, erkannte sie im Lichtkegel der Laterne unter der Farbe noch die Umrisse von russischen Buchstaben. Davon abgesehen wirkte die Königin nicht mehr wie ein Frachter. Sie war zwar nicht so hoch wie die Kreuzfahrtschiffe, die Diana im Fernsehen bewundert hatte, aber bestimmt genauso lang. Und sie strahlte genauso weiß mit einigen rot abgesetzten Linien. Eine deutsche Flagge bewegte sich am Heck leicht im Wind.

Diana ging weiter und sah einen Matrosen an der Treppe stehen.

Er grinste sie an. »Moin!«

»Guten Morgen. Ich bin Diana Melling.« Sie nickte in Richtung des Schiffes. »Frau Kemp hat mir gesagt, dass ich jetzt schon an Bord könnte.«

»Klar.« Er machte eine Geste in Richtung der Gangway, die direkt vor Diana aufragte.

Diana blickte hinauf. Das Schiff wäre nicht so hoch, hatte sie gedacht? Na, um an Bord zu gehen, war es hoch genug.

Oben angekommen warf sie einen Blick zurück auf den Pier. Der lag nun weit unter ihr. Eine Perspektive, die ihr auf einmal den Unterschied zwischen diesem Job und jedem anderen, den sie bisher gehabt hatte, klar machte.

Sie schaute sich um. Wo sollte sie nun hin? Sie wusste nicht, wo ihre Kabine lag. Überhaupt kannte sie sich auf dem Schiff nicht aus. Sie hätte vielleicht doch die Prospekte mitnehmen sollen.

»He, du siehst so neu aus!« Ein lachendes, sommersprossiges Gesicht strahlte sie an, als sie sich umdrehte. Anscheinend war hinter ihr noch eine junge Frau an Bord gekommen.

Diana verzog etwas verlegen das Gesicht. »Ja, stimmt, ich bin neu. Diana Melling.« Sie streckte der anderen Frau die Hand hin. »Ich soll auf der Krankenstation arbeiten.«

Die junge Frau mit den Sommersprossen nahm die Hand und schüttelte sie. »Dann bist du die andere. War schon gespannt, wie du aussiehst.«

»Die andere?« Diana runzelte die Stirn.

»Die andere Krankenschwester.« Ein herzhaftes Lachen begleitete diese Aussage. »Wir sind Kolleginnen.«

»Dann weißt du, wo wir hinmüssen?«, fragte Diana hoffnungsvoll.

»Aber klar. Ich war gestern schon mal hier und habe den Hausdrachen kennengelernt.« Die Frau schüttelte den Kopf. »Wird nicht einfach, mit der zu arbeiten.«

Diana war verwirrt.

»Also ich bin Melly«, stellte die andere sich endlich vor. »Und mit Hausdrachen meine ich unsere Schiffsärztin. Du wirst dich wundern. Es sei denn, du hattest schon mal so eine Xanthippe als Chefin.«

»Kann ich nicht sagen«, antwortete Diana, während sie Melly, die vor ihr herging, folgte. »Ich war eigentlich immer ganz zufrieden.«

»Bin mal neugierig, ob du das hier auch schaffst.« Melly drehte sich fröhlich blinzelnd kurz um. »Dann bist du wirklich gut.« Nachdem sie Diana durch diverse Gänge und einige Treppen hinunter in immer engere Gefilde geführt hatte, blieb sie abrupt stehen. »So, und das hier ist unser Reich.« Mit einer theatralischen Bewegung stieß sie eine Tür in einem schmalen Gang auf. »Treten Sie ein, junge Frau, aber treten Sie mir nicht auf die Füße!« Erneut begleitete diese Aussage ein herzhaftes Lachen.

Und Diana begriff sofort, was Melly meinte. Sie zwei sollten sich anscheinend eine Kabine teilen, die schon für eine Person fast zu klein wirkte. Zwei Kojen waren an der linken Seite übereinander angebracht. Dagegen erschien selbst die Hängematte, von der Diana geträumt hatte, bombastisch.

»Tja, Kreuzfahrt mit Spareffekt. Hast du was anderes erwartet?«, fragte Melly offensichtlich diebisch amüsiert. »Die Schiffseigner haben sich wohl gedacht, das Personal braucht nicht viel Platz, soll lieber arbeiten. Aber wir sind ja jung und brauchen das Geld.« Sie nahm das alles ganz klar von der humorigen Seite.

Diana fühlte sich etwas geschockt. Zweckmäßig hatte Frau Kemp gesagt. Das verstand sie also darunter. Welchem Zweck auch immer das dienen sollte, einer gemütlichen, entspannten Reise bestimmt nicht. »Gibt es denn keine Einzelkabinen?«, fragte sie.

»Doch, klar. Für die oberen Zehntausend. Aber nicht für uns. Die Passagiere sollen es gut haben. Wir brauchen das nicht.« Melly grinste. »Bist du wohl nicht gewöhnt, was? Prinzessin auf der Erbse?«

Diana schüttelte irritiert den Kopf. So hatte sie noch nie jemand genannt. »Nein, gar nicht«, sagte sie. »Wird schon gehen. Welches Bett willst du?«

»Oben«, beschied ihr Melly. »Wenn du nichts dagegen hast.«

»Mir ist es egal.« Diana stellte ihre Reisetasche auf das untere Bett. Wo sie mit dem nun wieder riesig erscheinenden Koffer hinsollte, wusste sie noch nicht.

»Deine erste Kreuzfahrt?«, fragte Melly.

»Merkt man das?« Diana verzog schief das Gesicht.

Melly grinste erneut. »Fast gar nicht. Bei mir ist es schon die dritte. Hab es nicht bereut. Bei dem, was man hier verdient, kann man nicht meckern. Halbes Jahr Arbeit, halbes Jahr Urlaub. Wo geht das schon?«

»Ja, stimmt, der Verdienst ist nicht schlecht«, bestätigte Diana. »Kost und Logis ist frei, und viel Geld kann man an Bord nicht ausgeben.«

»Kann man schon«, widersprach Melly. »Bei den Passagieren ist das sogar sehr gewünscht. Aber unsere Möglichkeiten sind da eher beschränkt. Es wird nicht gern gesehen, wenn wir uns wie Passagiere benehmen.«

»Ach ja?« Diana suchte nach Möglichkeiten, ihre wenigen Habseligkeiten irgendwo unterzubringen.

»Ach ja«, bestätigte Melly.

Wie Diana entdeckte, hatte Melly ihre Sachen schon in einen der beiden Spinde eingeräumt, also nahm sie den anderen.

»Wenn du denkst, dass du hier quasi auf Urlaub bist, bist du schief gewickelt. Hab ich beim ersten Mal auch gedacht, aber so einfach ist die Sache nicht.« Melly kletterte auf das obere Bett, um Diana nicht beim Einräumen im Weg zu stehen. »Wir sind hier nur die Sklaven.«

Diana lachte überrascht auf. »So schlimm wird es schon nicht sein.«

»Schlimmer«, behauptete Melly. »Wirst schon sehen.«

»Warum machst du das dann schon das dritte Mal?«, fragte Diana. »Wenn es dir nicht gefällt?«

»Das habe ich nicht gesagt.« Melly legte sich auf den Bauch und lümmelte zu Diana herunter. »Je nachdem, was für Männer an Bord sind, gefällt es mir schon.«

»Ach so.« Diana schmunzelte. »Deshalb.«

»Vor allem sieht man die Kerle hinterher nie wieder«, griente Melly. »Besonders die verheirateten.«

Diana hob die Augenbrauen. »Obwohl die Frauen dabei sind?«

»Das macht doch nichts«, behauptete Melly. »Dadurch wird es nur spannender. Aufregender. Du verstehst?«

»Nicht so richtig«, erwiderte Diana. »Ich glaube, das wäre nichts für mich.«

»Hast du einen Freund zu Hause, dem du treu bleiben willst?« Melly hielt sich fast den Bauch vor Lachen.

Diana zögerte. »Nein«, sagte sie dann. »Wir haben uns getrennt.«

»Das ist doch toll!« Melly war begeistert. »Dann findest du hier bestimmt Trost. Schneller als du gucken kannst. Du hast so was . . .«, sie musterte Diana abschätzend, »Sissimäßiges.«

»Was?« Diana drehte sich ungläubig um.

»Nimm es als Kompliment«, ergänzte Melly. »Die Kerle mögen so was, dieses Unschuldige, Zarte. Als ob du noch nie – na, du weißt schon. Die lassen sich das ganz schön was kosten.«

»Ich dachte, wir wären als Krankenschwestern engagiert«, bemerkte Diana misstrauisch. Langsam kam ihr der Verdacht, dass sie vielleicht auf die falsche Anzeige geantwortet hatte.

»Sind wir ja auch.« Melly winkte ab. »Aber das heißt doch nicht, dass wir nicht auch ein bisschen Spaß haben können.«

»Wenn du dich schon auskennst«, Diana blickte Melly fragend an, »erzähl mir doch mal, wie es jetzt weitergeht. Sind wir heute schon im Dienst?«

»Immer«, erwiderte Melly und sprang locker vom oberen Bett herunter. »Vierundzwanzig Stunden am Tag. Wenn die Passagiere an Bord kommen, müssen wir uns in Montur schmeißen. Aber jetzt noch nicht. Wenn du willst, können wir uns das Schiff ansehen.«

5

Die Schiffstour ließ Diana nur staunen, was ein ehemaliger Frachter alles bieten konnte. In diesem Punkt erfüllte das Schiff all ihre Erwartungen. Mehr als das. Das Kreuzfahrtgefühl, das sie nach Besichtigung ihrer Kabine für eine Weile verlassen hatte, kehrte zurück.

»Willst du deinen Arbeitsplatz auch noch besichtigen?«, fragte Melly, nachdem sie sämtliche Decks abgegrast hatten, sodass Diana sich wie auf einem Karussell vorkam. Sie zweifelte sehr daran, dass sie sich hier allein würde zurechtfinden können. Die Gänge, die Treppen, alles ähnelte sich auf eine verwirrende Weise.

»Wäre ganz gut«, antwortete sie.

Melly verzog das Gesicht. »Ich könnte noch eine Weile auf ein Wiedersehen verzichten.«

»Wenn du mir sagst, wo es ist, gehe ich allein«, schlug Diana vor, obwohl sie sich lieber von Melly hätte führen lassen.

»Ist nicht schwer zu finden«, erklärte Melly. »Du folgst einfach den Schildern.« Sie wies auf ein Zeichen, das auf die Bordwand vor der Treppe gemalt war, an der sie gerade standen.

»Ist gut.« Diana nickte. »Dann bis später.«

Melly hüpfte los wie ein Kind, das Seilspringen spielt, und lachte. »Ich check noch mal den Jungen im Maschinenraum!«

Diana schüttelte leicht lächelnd den Kopf. Gegen Melly kam sie sich doch schon sehr erwachsen vor. Sie betrachtete das Zeichen für die medizinische Station. Dann mal los.

Trotz der eigentlich eindeutigen Zeichen verlief sie sich jedoch schon bald. Die Gänge sahen wirklich alle gleich aus. Wie sollte man sich da zurechtfinden?

Nachdem sie erneut dem Zeichen eine Treppe hinab gefolgt war, deutete es plötzlich wieder hinauf. »Können die sich mal entscheiden?«, murmelte Diana leicht verärgert. So würde sie die Krankenstation nie finden. Und was das betraf: wahrscheinlich noch nicht einmal ihre eigene Kabine.

Seufzend betrat sie die Treppe nach oben und nahm ein paar Stufen. Plötzlich spürte sie ein leises Vibrieren. Jemand kam vom oberen Deck herunter.

Auch das noch, dachte Diana. Wie ist denn hier die Vorfahrtsregelung?

Sie blieb stehen und schaute nach oben. Die Beine einer weißen Uniformhose erschienen, dann die ebenso weiße Jacke, Arme, Schultern. Diana erstarrte.

»Ach, Sie sind schon da«, begrüßte Valerie Kemp sie in ihrer typisch trockenen Art. Dass sie Valerie hieß, hatte Diana der Visitenkarte entnommen, die an die Prospekte angeheftet gewesen war.

»Frau . . . Kemp.« Diana konnte es nicht verhindern zu stottern. Sie blickte zu der Frau hinauf, von der sie nie gedacht hätte, dass sie sie noch einmal wiedertreffen würde. Jedenfalls nicht auf diesem Schiff. »Ich wusste nicht –« Diana räusperte sich. »Fahren Sie auch mit?«

Ein leichtes Zucken schien Valerie Kemps Mundwinkel zu verunsichern. »Da ich der Kapitän bin, erscheint das wohl zweckdienlich.«

»Sie sind –?« Diana schnappte nach Luft.

Sie hatte den Eindruck, Valerie Kemp ragte geradezu wie ein Berg über ihr auf, da sie erstens ein ganzes Stück größer war als Diana und zweitens ein paar Stufen höher stand. Und nun war sie auch noch der Kapitän dieses Schiffes.

Nicht die Sekretärin, dachte Diana verzweifelt. Sie ist nicht die Sekretärin. Fetzen ihres Gesprächs rasten ihr durch den Sinn. Hatte sie irgendetwas Falsches gesagt? Was hatte sie überhaupt gesagt? Auf einmal wusste sie es nicht mehr. Wie betäubt starrte sie auf die Rangabzeichen an der Uniform. Sie wusste zwar nicht genau, was sie bedeuteten, aber es waren ganz schön viele. Viele goldene Streifen.

Kapitän Kemp schien auf etwas zu warten, dann machte sie einen Schritt auf Diana zu. »Ich fürchte, es bringt nicht viel, wenn wir beide hier stehenbleiben.«

Diana brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass der Kapitän sie aufforderte, ihn vorbeizulassen. »Oh, ja, natürlich . . .« Sie drängte sich so weit an die Seite, dass der Kapitän passieren konnte.

Als Valerie Kemp an ihr vorbeiging, streifte Diana ein leichter Duft. Wieso hatte sie den damals im Büro nicht wahrgenommen? Es war ein Duft, in dem sich Stärke und Weiblichkeit mischten, ein ganz besonderer Duft.

Kapitän Kemp drehte sich unten an der Treppe um und schaute zu ihr hoch. »Suchen Sie etwas?«

»Ähm, ja. Die Krankenstation«, gab Diana verlegen zu. »Ich suche sie schon eine ganze Weile.«

»Sie müssen nur den Zeichen folgen«, bemerkte der Kapitän leicht irritiert.

»Ja.« Diana atmete tief durch. »Das habe ich schon mal gehört.«

Valerie Kemp musterte sie kurz. »Kommen Sie mit«, sagte sie dann, drehte sich um und ging los. Offenbar war sie es nicht gewöhnt, dass man ihren Befehlen nicht Folge leistete, denn sie schaute sich nicht nach Diana um.

Schnell kletterte Diana die Treppenstufen hinunter und lief der großen Frau in der weißen Uniform hinterher. »Aber das ist die falsche Richtung«, keuchte sie etwas, als sie sie eingeholt hatte. »Das Zeichen zeigt nach oben.«

»Was Sie nicht sagen.« Valerie Kemp warf nur einen flüchtigen Blick auf sie.

»Entschuldigung«, erwiderte Diana eingeschüchtert. Es war wohl nicht angebracht, die Entscheidungen des Kapitäns in Frage zu stellen. Das machte dieses Gespräch deutlich klar.

Was habe ich mir da nur eingebrockt? dachte sie. Hätte sie mir nicht gleich sagen können, dass sie der Boss ist? Ein wenig Ärger kam in ihr hoch. Es war ja schließlich nicht ihre, Dianas, Schuld. Wer kam schon auf den Gedanken, dass der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes auch die Leute einstellte und den Papierkram erledigte?

Der Kapitän bog mehrmals in Gänge ab, von denen Diana nicht hätte sagen können, ob sie sie schon einmal durchlaufen hatte oder ob sie einfach nur aussahen wie all die anderen Gänge, in denen sie gewesen war, und blieb dann stehen. »Hier.« Sie wies mit einem Nicken auf eine Tür hin, auf der groß Krankenstation stand. »Das ist es.«

»So, wie Sie gelaufen sind, hätte ich das nie gefunden«, stellte Diana überrascht fest.

Valeries Mundwinkel verzogen sich leicht. »Ich kenne mich ein bisschen aus auf meinem Schiff.«

»Selbstverständlich.« Diana räusperte sich und senkte den Blick. Das war alles so peinlich.

Und warum machte ihr Valerie Kemps körperliche Nähe auf einmal so zu schaffen? Nur weil sie eine Uniform trug, in der sie zugegebenermaßen ziemlich attraktiv aussah?

Kapitän Kemp stieß die Tür auf, als Diana es nicht tat, und trat ein. »Sind Sie da, Doktor?«

Eine grobknochige Frau mit leicht angegrauten schwarzen Haaren kam aus einer Tür im hinteren Teil der Station. »Dr. Galina Fjodorowa”, stellte Kapitän Kemp vor. Sie schaute die Ärztin an. »Und das hier ist Ihre neue Krankenschwester, Doktor.«

»Ich habe schon auf Sie gewartet«, erwiderte die Ärztin mit einem strafenden Blick auf Diana und einem starken russischen Akzent. Ihre Augen musterten Dianas Gestalt wie etwas, das am Straßenrand liegengeblieben war.

Melly hat recht, dachte Diana. Das wird nicht einfach. »Ich dachte«, sie räusperte sich. »Melly sagte –«

»Sie sollten sich besser nicht nach Ihrer Kollegin richten«, unterbrach Doktor Fjodorowa sie. »Die scheint mir nicht sehr zuverlässig.«

»Sie haben nur die beiden«, warf Kapitän Kemp knapp ein. »Also kommen Sie damit klar.« Sie hob leicht die Augenbrauen.

»Aye, Käpt’n«, antwortete die Ärztin.

Ob sie es auch so meinte, war nicht zu erkennen. Sie strahlte selbst so viel Autorität aus, dass es fraglich war, ob sie den Kapitän als übergeordnet akzeptierte, dachte Diana.

»Dann lasse ich Sie beide jetzt allein«, teilte Valerie Kemp ihnen in einem dienstlichen Tonfall mit. »Sie werden ja noch einiges zu besprechen haben. Und ich habe auch noch ein paar Pflichten.« Sie streifte Diana mit einem Blick, der zu sagen schien: von denen du mich durch deine Orientierungslosigkeit abgehalten hast.

»Tut mir leid –«, setzte Diana an, aber da war der Kapitän schon durch die Schwingtür verschwunden.

Dr. Fjodorowa musterte Diana aus dunklen Augen. Das Alter der Ärztin ließ sich schwer schätzen – sie konnte irgendetwas zwischen vierzig und sechzig sein. Und sie war riesengroß, bestimmt über einsachtzig. Als der Kapitän neben ihr gestanden hatte, waren sie fast gleich groß gewesen. »Sie sehen ja nicht sehr belastbar aus«, warf sie Diana in einem abschätzigen Tonfall hin.