Liebe Fanatiker! - Markus Tiedemann - E-Book

Liebe Fanatiker! E-Book

Markus Tiedemann

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Beschreibung

Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Frankfurter Rundschau philosophische Briefe an Menschen extremer Glaubensüberzeugungen. Nach dem großen Erfolg der Reihe erscheinen alle Briefe nun in Buchform. Markus Tiedemann gelingt darin das Kunststück, komplexe Zusammenhänge und religiöse wie moralische Zwickmühlen in höchst verständlicher Sprache darzustellen. Das Buch versucht sich an kurzen Antworten auf schwierige Fragen – und regt auf diese Weise sehr zum Nachdenken an. Können wir davon ausgehen, dass Gottes Wille gut ist? Existiert überhaupt ein vollkommenes Wesen? Sind das Böse und die zahlreichen Übel der Welt nicht Grund genug, um an der Existenz eines Gottes zu zweifeln? Woher stammt die Homophobie vieler Religionen? Lässt sich das Gute auch ohne Gott begründen? Können Ungläubige gute Menschen sein? Kann man einen Gott beleidigen? Fragen wie diese mahnen uns gleichermaßen, den Glauben zu überdenken und bescheiden zu bleiben.

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Seitenzahl: 69

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Markus Tiedemann
Liebe Fanatiker!
Gegen extreme Überzeugungen
Alle Rechte vorbehalten • Societäts-Verlag
© 2016 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Julia Desch, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Julia Desch, Societäts-Verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
ISBN 978-3-95542-230-1
Für Jascha und Lukas,die diese Briefeanonym während derKonfirmationszeit erhielten.
Inhalt
Vorwort
Wer willst du sein?
Über die Existenz Gottes
Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? (Teil 1)
Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? (Teil 2)
Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? (Teil 3)
Kann es einen Gott geben, obwohl die Menschen so viel Böses tun?
Kann es einen Gott geben, obwohl die Welt voller Übel ist?
Über Tod und Todesangst
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Muss ein Atheist Angst vor dem Tod haben?
Woher kommen die Höllenängste?
Über Glaube und Sexualität
Welche Probleme bereitet der Sündenfall?
Wieso gilt Sexualität oft als Sünde?
Wieso tun sich Religionen so schwer mit der Gleichberechtigung?
Woher kommt die Schwulenangst?
Über die Religionen und das Gute
Ist Gottes Wille gut?
Ist es gut, religiöse Pflichten und Rituale zu befolgen?
Erziehen Religionen zum blinden Gehorsam?
Kann ein Krieg „heilig“ sein?
Ist ein Gottesstaat wünschenswert?
Wie weit reicht das Recht auf Religionsfreiheit?
Wie unterscheiden sich Religion, Kultur und Tradition?
Über Religion, Meinungsfreiheit und Rechtsstaat
Kann man auf die Interpretation der heiligen Schriften verzichten?
Kann man Gott beleidigen?
Ist die Einschränkung von Religionsfreiheit und kultureller Traditionen eine Form des Rassismus?
Ist Toleranz gegenüber Religionen eine Selbstverständlichkeit?
Wieso muss man die Knabenbeschneidung theoretisch ablehnen und kann sie dennoch tolerieren?
Wie viel Konkurrenz müssen Religionen ertragen?
Über Atheismus und Ethik
Kann ein Atheist ein guter Mensch sein?
Kann es eine Ethik ohne Gott geben? - Tugend
Kann es eine Ethik ohne Gott geben? – Das Glück der Mehrheit
Kann es eine Ethik ohne Gott geben? – Die Pflicht der Vernunft
Können die Menschenrechte ohne Religionen begründet werden?
Über Religion und Lebensqualität
Hat die Religion einen ethischen Mehrwert?
Kann ein Mensch gläubig sein, ohne einer Religion anzugehören?
Sollte man sich einer Religionsgemeinschaft anschließen?
Bildnachweis
Der Autor

Wer willst du sein?

Lieber Fanatiker!
In unseren Tagen wird viel über den Stellenwert der Religion gestritten. Vielleicht fühlst du dich dadurch gestört, beleidigt oder provoziert. Vielleicht gehörst du zu jenen, die am liebsten alle Kritik an den Religionen verbieten würden. Vielleicht gehörst du zu jenen, die gern alle Religionen abschaffen würden. Wir, die Freidenker der letzten Jahrtausende, haben daher beschlossen, dir einige Briefe zu schreiben. In ihnen versuchen wir zu beschreiben, was uns beim Thema Religion so durch den Kopf geht. Natürlich hoffen wir, dass auch du deine Freude an diesen Gedanken hast. In jedem Fall kannst du uns besser kennenlernen.
Sinn und Wert der Religionen sind nicht leicht zu bewerten. Nur wenige Menschen haben ihren Glauben frei gewählt. Die Mehrheit schließt sich einer Religion an, weil das in ihren Familien schon immer so gemacht wird, weil Tradition eben Tradition ist. Allerdings ist das ein ziemlich schlechtes Argument. Philosophen sprechen in diesem Zusammenhang gern von einem Naturalistischen Fehlschluss. Nur weil etwas schon immer so gemacht wurde, folgt daraus nicht, dass es auch so sein sollte. Auch Sklaverei hat eine lange Tradition. Folgt daraus etwa, dass man Sklaverei betreiben sollte?
Nicht Wenige fügen sich in die religiöse Tradition, weil sie auf eine Feier, viele Geschenke und einen Geldsegen hoffen. Nichts gegen Geschenke, aber dieses Leitmotiv verdirbt den Charakter! Wer ohne Geschenke keinen Grund sieht, sich mit Religion und Glauben zu beschäftigen, der sollte es lieber bleiben lassen. Anderenfalls bringt er sich vor allem eines bei: werde käuflich!
Allerdings gibt es auch viele Menschen, die sich ernsthaft mit ihrem Glauben oder Nicht-Glauben auseinandersetzen wollen und die sich für die religiösen Traditionen ihrer Gemeinschaft interessieren. Wenn es sich um eine ergebnisoffene Beschäftigung handelt, die auch unangenehmen Fragen nicht aus dem Wege geht, so verdient diese Grundhaltung einigen Respekt.
Im Grunde bestehen nur fünf Möglichkeiten, sich zur Religion zu verhalten:
Du kannst ein Dogmatiker werden. Dann bist du jemand, der die kritische Überprüfung seiner Glaubenssätze ablehnt und nicht bereit ist, kritische Einwände zu diskutieren. Genaugenommen erteilt sich der Dogmatiker selbst ein Denkverbot. Was als unumstößliche Wahrheit gilt, darf von niemandem in Frage gestellt werden.
Du kannst dich als Atheisten bezeichnen und die Überzeugung vertreten, dass kein Gott, kein göttliches Wesen und keine übernatürliche Kraft existieren. Allerdings sind damit längst nicht alle Probleme gelöst. Auch der Atheismus kann manches nicht erklären. Wenn die Aussage „Gott existiert nicht!“ nicht diskutiert werden darf, ist der Atheist dem Dogmatiker ziemlich nahe.
Du kannst dich als kritischen Gläubigen verstehen. In diesem Fall fühlst du dich einer religiösen Gottesvorstellung verbunden, weißt aber zwischen Glauben und Wissen zu unterscheiden. Du glaubst an einen Gott und dessen Lehre, bist dir aber bewusst, dass man die Richtigkeit dieser Aussagen nicht beweisen kann.
Du könntest ein Deist sein. Dann bist du von der Existenz eines höheren Wesens überzeugt, lehnst aber alle Religionen und ihre Rituale ab.
Schließlich kannst du Agnostiker werden. In diesem Fall hast du massive Zweifel an allen religiösen Glaubensvorstellungen. Vieles hältst du schlicht für Unfug. Du bist dir aber im Klaren darüber, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass religiöse Menschen irren.
In der kommenden Zeit wirst du den einen oder anderen Brief von uns erhalten. Vielleicht können sie dir dabei helfen, herauszufinden, wer du bist. Also bis bald!
Sokrates (Gründungspräsident)

Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? (Teil 1)

Lieber Fanatiker!
Existiert ein Gott? Einige Menschen sind felsenfest davon überzeugt und berichten, Gottes Nähe selbst erfahren zu haben. Man spricht dann von Offenbarung und meint damit das Wahrnehmen einer inneren Stimme, eines eindeutigen Zeichens oder einer unergründlichen Gewissheit. Einige behaupten sogar, Gott höchst persönlich begegnet zu sein. Allerdings lassen sich Offenbarungen nicht überprüfen. Außenstehende können sich diese Erlebnisse sehr leicht durch Täuschung, Traum oder gar Drogenrausch erklären. Fairerweise muss aber zugegeben werden, dass diese Einwände keinen Gegenbeweis darstellen. Ein unerschütterlicher Glaube an die Existenz Gottes könnte also durchaus eine Gnade sein, die eben nur wenigen zu Teil wird.
Allerdings gibt es auch Personen, die davon überzeugt sind, die Existenz Gottes formal logisch bewiesen zu haben. Einer der bekanntesten war der französische Philosoph René Descartes. Sein Beweis geht so:
1. Schritt: 
Wir haben die Vorstellung von einem vollkommenen Wesen und nennen sie Gott.
2. Schritt: 
Diese Vorstellung von einem vollkommenen Wesen kann nur drei Ursachen haben.
A) 
Die Vorstellung des vollkommenen Wesens kommt aus dem Nichts.
B) 
Die Vorstellung des vollkommenen Wesens kommt von uns.
C) 
Die Vorstellung des vollkommenen Wesens kommt von dem vollkommenen Wesen selbst.
3. Schritt: 
Aus formalen Gründen scheiden die Antworten A) und B) aus. Aus dem Nichts kann nichts entstehen und unvollkommene Wesen wie wir können keine Vorstellung der Vollkommenheit entwickeln. Aus dem Unvollkommenen kann das Vollkommene nicht entstehen. Also besteht nur eine Möglichkeit. Die Vorstellung des vollkommenen Wesens stammt von dem vollkommenen Wesen selbst und wurde durch dieses in unsere Gedanken eingepflanzt! Also: Gott existiert!
Ein harter Brocken, nicht wahr? Was meinst du dazu? Können wir an dieser Stelle unseren Briefverkehr einstellen oder zumindest radikal verändern? Wenn die Existenz Gottes bewiesen ist, sollten wir uns vielleicht nur noch mit der Frage beschäftigen, wie wir mit ihm umgehen sollten.
Viele GrüßeAnselm von Canterbury (Ehrenvorsitzender)

Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? (Teil 2)

Lieber Fanatiker!
Hat Descartes dich überzeugt? Wenn ja: Hat sich dein Lebenswandel geändert? Wenn nicht, würde uns interessieren, wo du den Fehler in Descartes Beweisführung siehst.
Wahrscheinlich ist es aber einfach so, dass dir der Beweis irgendwie merkwürdig erscheint, ohne dass du genau sagen kannst, woran es liegt. In diesem Fall könnte unser verehrter Kollege Immanuel Kant dir weiterhelfen.
Nach Kant hat Descartes zwar eine logische Ableitung vorgelegt. Allerdings ist die Prämisse (Schritt 1) schlicht falsch, weshalb der gesamte Beweis unbrauchbar wird. Nach Kant haben wir eben keine Vorstellung von einem vollkommenen Wesen. Es gibt zwei Möglichkeiten, ein vollkommenes Wesen zu definieren und beide können wir uns nicht vorstellen.
Definition 1