Liebe geht durch den Garten - Ulrike Hartmann - E-Book

Liebe geht durch den Garten E-Book

Ulrike Hartmann

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Beschreibung

Mit den Händen in der Erde wühlen, die Sonne im Gesicht und als Belohnung eigenes Gemüse ernten: für Stadtpflanze Anna ein wundervoller Gedanke. Kurzerhand pachtet sie einen verwilderten Schrebergarten. Doch so idyllisch wie in Annas Träumen ist das Leben mit der Laube nicht. Das Häuschen im Grünen ist reparaturbedürftig, der Vereinsvorsitzende gibt sich kleinlich, und ihre Söhne spielen lieber am Computer als im Garten. Nur der wortkarge und bildschöne Nachbar Paul bietet seine Hilfe an. Wäre da nicht Dr. Sabine Rodenberg, Anwältin und ebenfalls Nachbarin, die Paul für sich beansprucht … Der Kampf um den Garten und die Liebe beginnt!

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Seitenzahl: 345

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Das Buch

Wenn das Leben dir einen Garten schenkt, frag nach Harke und Schaufel.

Eigentlich sollte Singlemama Anna an einem Bilderbuch über einen Gartenzwerg arbeiten – aber die Decke in ihrer Stadtwohnung fällt ihr buchstäblich auf den Kopf. Wegen einer Baustelle ist dort kein Raum für Kreativität. Kurzerhand pachtet Anna einen verwilderten Schrebergarten. Doch mit Problemen hat sie nicht gerechnet: Die Laube hält üble Überraschungen parat, der Vereinsvorsitzende ist kleinlich und ihre Söhne wollen lieber zocken. Nur der wortkarge und bildschöne Gartennachbar Paul bietet seine Hilfe an. Wäre da nicht Dr. Sabine Rodenberg, Anwältin und ebenfalls Nachbarin, die Paul für sich beansprucht … Der Kampf um den Garten und die Liebe beginnt!

Die Autorin

Ulrike Hartmann, geboren 1966, studierte in Münster, Berlin und Paris. Sie arbeitete in verschiedenen Verlagen und unterrichtete als Interkulturelle Trainerin in Kalifornien. 2010 erschien ihr humorvolles Sachbuch Mutterschuldgefühl im Südwest Verlag. Heute lebt die Autorin mit ihrer Familie in Essen. Sie ist leidenschaftliche Kleingärtnerin.

Ulrike Hartmann

Liebe

geht durch den

Garten

Roman

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Originalausgabe 3/2019

Copyright © 2019 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Julie Hübner

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design, München

Umschlagmotive: StarJamforKids/Creative Market

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

e-ISBN 978-3-641-22842-2V001

www.diana-verlag.de

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Für Nils

Inhalt

1

Im Sommer am Waldesrand

2

Der Himmel auf Erden

3

Der Wink mit dem Zaunpfahl

4

Der Traumgarten

5

Eine hübsche Überraschung

6

Die Hecke muss ab

7

Oma in Leipzig

8

Der Duft des Abenteuers

9

Nachwuchs im Garten

10

Der perfekte Mann

11

Ein schönes Picknick

12

Gute Kartoffeln

13

Kaffeeklatsch

14

Anna angelt

15

Die wandelnde Pest

16

Die Unschuld vom Lande

17

Gittas Fruchtpunsch

18

Am Ende des Weges

19

Urlaub daheim

20

Reife Zeiten

21

Der Frühlingssturm

22

Liebe geht durch den Garten

1

Im Sommer am Waldesrand

Der schönste Mann auf Marthas Gartenhochzeit war ihr Cousin Marco. Und er wusste es. Er strich die Haare hinter sein Ohr. Unter der Denkerstirn sahen mich zwei große braune Augen aufmerksam an.

»Du hast wunderschöne Augen, Anna.«

Er lehnte sich vor und ergriff meine Hand.

»Wirklich. So schön …«

»… groß, ich weiß.«

Ich wischte mir mit dem Handrücken einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dass diese blöden Hochsteckfrisuren bei mir auch immer nicht halten wollten.

»Ja, und grün. Wie Waldseen. Ich könnte mich darin verlieren.«

Er strich sich langsam über den gepflegten Bart und beugte sich über das weiße Tischtuch zu mir herüber. Ich roch sein herbes Aftershave durch den lauen Sommerwind. Warum waren die Tische so schmal? Schließlich war das eine Hochzeitsfeier. Wo waren die guten alten Hochzeitstafeln? Nun gut. Es war Marthas Hochzeit. Im Garten. Da konnte man nicht so streng sein. Vor allem, wenn es ein Biergarten war. Ich kicherte.

Ich sah in mein Sektglas. Lustig. Die Perlen stiegen und stiegen und hörten gar nicht auf.

»Anna, hör zu …«

»Mache ich.«

Kurze Sätze machten mir keine Mühe. Und das nach sechs Gläsern Sekt, vier Gläsern Burgunder und zwei Wodka. Respekt, meine Liebe, Respekt! Ich konnte noch, wenn ich wollte! Und das mit 38. Jawohl! Ich seufzte zufrieden.

Er beugte sich vor.

»Wollen wir zwei nicht irgendwohin gehen, wo wir alleine sind und uns besser kennenlernen können?«

Ich entwand ihm meine Hand und tätschelte seine.

»Marco, hör mal gut zu.«

Er nickte.

»Weißt du, du bist leider überhaupt nicht mein Typ. Männer sind schön oder klug. Und du, Marco, du bist schön.«

Ich strich ihm über das volle Haupthaar. Er lächelte. Dann nicht mehr.

»Schöne Männer sind nichts für mich.«

Ich nahm die Serviette und wischte mir gründlich die Hände daran ab.

»Mit euch will ich nichts zu tun haben. Verstehst du? Nie wieder! Ihr seid treulose Tomaten.«

Meine Stimme klang etwas zu laut in meinen Ohren. Ich fuchtelte mit dem Zeigefinger vor seiner süßen kleinen Nase herum.

»Es gibt Erfahrungswerte, weißt du? Erfahrungswerte. Leider. Ich wünschte, es wäre anders. Versprechungen! Große Liebe! Heirat, Kinder – und dann liegst du mit Antons Kindergärtnerin im Bett und lässt mich mit den Jungs sitzen. Ist das schön? Ich denke nicht!«

Puh, war das anstrengend. Mein Kopf war schwer. Ich musste mal kurz meine Stirn auf den Tisch legen.

Ich blickte auf. Der Platz vor mir war leer. Ein einsames Weißweinglas glänzte unschuldig im Licht der Kerze. Ich ließ meinen Kopf auf die Tischplatte zurücksinken und machte es mir auf einer Wange gemütlich. Gar nicht mal schlecht.

Ich hörte es rascheln. Weißer Satinstoff näherte sich. Es duftete. Marthas Parfüm. Jemand streichelte mir über das Haar.

»Na, Schnecke, hast wohl ein bisschen zu viel getrunken.«

Ich raffte mich auf und sah hoch. Verschwommen erkannte ich die Braut, die vor mir stand. Viel Weiß, rote Lippen, rote Locken.

»Martha! Hübsche Braut. Jetzt bist du verheiratet.«

»Ja, ich weiß.«

Martha setzte sich neben mich auf den freien Gartenstuhl.

»Ich kann es selbst kaum glauben. Ist das nicht verrückt? Und dann so ein Lieber.«

Sie wandte sich zur Tanzfläche unter den Bäumen. Ich drehte mich und folgte ihrem Blick. Rote und gelbe Lampions leuchteten über dem Tanzpodest. Die Musik schallte durch die Sommernacht. Ihr frisch angetrauter Gero schwang seine neue Schwiegermutter gekonnt über das Parkett. Er hielt sie am langen Arm und drehte sie elegant unter seiner Hand durch. Marthas Mutter hatte rote Wangen.

»Er ist ein guter Tänzer, Martha.«

Sie seufzte.

»Ich bin glücklich, Anna.«

»Ich freue mich so für dich.«

Ich beugte mich nach vorne, nahm sie in meine Arme und kuschelte mein Gesicht in ihre Haare.

»Ob es dieses Mal gut geht?«

Weinte sie?

»Hey, natürlich. Gero ist einer von den Guten. So verlässlich und lieb. Der wird dich niemals betrügen. Du wirst sehen – ihr werdet zusammen 200 Jahre alt.«

Martha schniefte.

Ich knuffte sie in den Arm.

»Und dann ein Orthopäde, Martha! Nie wieder Rückenschmerzen! Wo du doch so gern zum Arzt gehst! Wenn dir ein Wirbel rausspringt – zack, schon hast du Gero zu Hause, der dich wieder flottmacht.«

Ein Ober kam mit einem vollen Tablett vorbei. Meine beste Freundin nahm sich ein Glas Weißwein und trank einen großen Schluck.

»Das Leben ist merkwürdig, oder? Da geht man krank zum Arzt – und trifft die große Liebe.«

Sie sah zu Gero hinüber. Er drehte sich um, als hätte er es gespürt, und winkte uns zu. Marthas Mutter fächelte sich Luft zu. Sie wirkte außer Atem. Gero hielt ihr galant den Rücken und zog sie fest in eine Drehung. Martha stellte das Glas ab und ergriff meine Hand.

»Du findest auch wieder einen Mann, Anna. Wart’s ab, auf einmal kommt er um die Ecke, wenn du es am wenigsten erwartest.«

Ich wandte mich abrupt ab.

»Ach, Martha.«

»Ich glaube ganz fest daran. Ich habe neulich sogar davon geträumt. Ihr wart so ein hübsches Paar. Er war groß und schlank und hatte schöne Arme …«

Ich kicherte.

»Ja, schöne Arme sind besonders wichtig.«

»Und der Po …«

Ich wedelte abwehrend mit dem Arm.

»Nee, lass mal.«

»Ach, komm schon. Lass uns träumen, so wie früher.«

Ich spürte einen Kloß im Hals. Ich würde nicht mehr träumen, nicht nach Raimund. Dieser blöde Alkohol. Spülte all so’n Zeug nach oben.

Ich stand auf.

»Muss mal frische Luft schnappen.«

»Aber wir sind doch an der frischen Luft.« Marthas Stimme klang hilflos.

Ich schlängelte mich rasch an ihr vorbei und rannte zwischen den Hortensien auf dem schwankenden Gartenweg um die Gaststätte herum auf den asphaltierten Parkplatz. Er lag im Dunkeln, am Waldrand. Der Wald! Das war meine Rettung! Ein kleiner Waldspaziergang würde mir guttun.

»Keine Sorge«, murmelte ich vor mich hin, »die Trauzeugin ist gleich zurück.«

Die Musik wurde leiser, die Beleuchtung spärlicher. Ich stöckelte über den Schotterweg. Die Steinchen knirschten unter meinen Schuhsohlen. Diese Luft. Nichts riecht wie Wald. Würzig, frisch, feucht. Ich atmete tief ein. Auf einmal war ich wieder fünf Jahre alt. Unser Garten. Ich im Sandkasten. Die großen Bäume am Zaun. Ich erzählte ihnen Geschichten, und die Äste neigten sich gütig.

Ich schob mich mit den Füßen vorsichtig durch das Unterholz voran, tastete nach dem ersten dicken Baumstamm, der mir begegnete, und lehnte mich an ihn. Ich spürte die kräftige Rinde der Kastanie durch mein Seidenkleid. Spontan breitete ich die Arme aus und umschlang den Baum. Die Borke kratzte an meiner Wange. Ich schmiegte mich fest an und roch das Harz.

Anna-Maria, tönte es in meinem Kopf, so weit ist es also schon gekommen. Du umarmst Bäume!

Ich löste mich und holte tief Luft. Die Welt schwankte.

»Hallo?«, rief ich und wusste nicht, wen ich eigentlich suchte. Ich lauschte. Die Blätter raschelten im Dunkeln.

Mir wurde übel. Ich wich zurück. Ich würde mich nicht an dieser schönen Kastanie übergeben. Das hatte sie nicht verdient. Ich drehte mich um. Schwer atmend stolperte ich den Weg entlang. Da war der Parkplatz. Dort die Gaststätte. Ich nahm die Vordertür und folgte den Pfeilen zu den Toiletten. Eine Vase mit rosa Trockenblumen. Ein Handtuchspender. Weiße Kacheln. Ich riss keuchend die Tür auf, verschloss sie hinter mir und sah unschlüssig in die Toilettenschüssel. Ich war offenbar nicht die Einzige, der schlecht geworden war. Darüber würde ich mich nicht beugen, so viel stand fest. Ich schwankte. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Tür und biss mir auf die Lippen. Ich stand da, und auf einmal liefen die Tränen. Ich rupfte große Stücke Toilettenpapier ab und drückte sie mir fest auf die Augen. Verdammt. Es hörte nicht auf. Die Tränen schmeckten salzig. Jetzt lief auch noch meine Nase.

Ich hörte eine Tür klappen.

»Anna?«

Marthas Stimme.

»Ja.«

»Ich hab dich überall gesucht. Alles okay?«

»Jaaaa, alles okay!« Ich schniefte ordentlich ins Taschentuch. »Ich habe wohl ein bisschen viel getrunken. Mir ist etwas übel.«

Und dann, wie auf Kommando, beugte ich mich vor und erbrach mich im großen Schwall in die Toilette. Es roch scheußlich und sah noch schlimmer aus. Aber das passte. Das passte schrecklich gut. Ich schluchzte.

»Anna! Mach die Tür auf.«

»Nein, Martha, lass mal.« Ich zerriss weiter Papier und schnäuzte mich, schmiss es ins Klo, nahm mir neues und drückte es mir auf die Augen.

Ich hörte draußen wieder die Tür und Stöckelschuhe klappern.

»Oh, Martha«, rief eine hohe Frauenstimme. »Alle suchen dich – der Hochzeitstanz.«

»Anna?«

Ich räusperte mich und sprach mit erstaunlich klarer Stimme.

»Geh, Martha. Ich komme gleich.«

»Bist du sicher?«

»Ja, mir geht es schon viel besser. Jetzt ist das Zeug raus.«

Ich hörte ihr Kleid rascheln.

»Na gut, dann bis gleich.« Schritte, Türklappen, Musik drang laut herein, die Tür fiel zu. Es wurde leiser.

Ich atmete tief durch, wischte mir ein letztes Mal übers Gesicht und öffnete die Tür. Ich war alleine. Ich trat ans Waschbecken und sah in den Spiegel. Auf meiner Bluse prangten Flecken. Meine Augen waren verquollen, die Nase rot. Wie lange war es jetzt her, dass Raimund mich wegen Antons Lieblings-Bettina verlassen hatte? Drei Jahre und fünf Monate. Und es tat immer noch weh.

Plötzlich fing ich an zu zittern. Jetzt war auch Martha verheiratet. Jetzt war ich wirklich allein. Ich blickte in den Spiegel, und zwei verschmierte Waschbäraugen glotzten zurück.

Macht nichts, dachte ich auf einmal trotzig und wischte wütend mit dem Klopapier unter meinen Augen herum. Wer brauchte schon einen Mann? Ich hatte Max und Anton. Ich hatte meinen Job. Ich war eine aufstrebende Kinderbuchillustratorin. Ich hatte mein Leben im Griff. Ich sah mir fest in die Augen und bleckte die Zähne.

Die Übelkeit kam mit Macht. Ich beugte mich vor und erbrach mich ins Waschbecken.

2

Der Himmel auf Erden

»Frau Baumgarten«, sagte Frau Meyer-Oeden eine gute Woche später, und einer ihrer Zeigefinger deutete zittrig auf die Treppenstufen. »Hier haben Sie aber nicht richtig gewischt.«

Ich drehte mich um und folgte der Richtung ihres Fingers. Es roch nach Essigreiniger, Wischlappen und nach Frau Meyer-Oedens süffigem Parfüm. Meine blaue Jogginghose war nass, meine Haare klebten feucht auf meiner Stirn, und auf dem T-Shirt suppte ein großer Fleck. Der Eimer war mir in der dritten Etage umgefallen. Ich hatte die Nase voll vom Treppenhausputz. Ich stellte mich dumm.

»Wo?«

»Na, daaa!« Über Frau Meyer-Oedens runzliges Gesicht flog ein Schatten von Ungeduld. »Sehen Sie das denn nicht? Hier und vor den Briefkästen.«

»Ach ja. Das muss mir wohl entgangen sein.«

Ich biss mir auf die Lippen, löste meine Pausenstellung und fuhr mit dem Wischmopp neben der Eingangstür herum.

»Frau Baumgarten«, tönte es abermals hinter mir. »Den Ordnungssinn, den hat man, oder man hat ihn nicht! Aber ich kann nicht immer beim Mittwochsputz hinter Ihnen her sein und die Einhaltung Ihrer Pflichten überprüfen.«

Ich unterdrückte ein Seufzen. Da stand sie vor ihrer Wohnung ein paar Stufen über mir, klein, zerbrechlich, wasserblaue Augen. Ihre dünnen Oberarme hingen zart gerötet aus ihrem gebügelten weißen Top. Als wenn sie kein Wässerchen trüben könnte.

»Frau Meyer-Oeden, nun seien Sie nicht so! Das ist doch nur ein winziger Fleck!«

»Es steht alles ganz deutlich in Ihrem Mietvertrag. Alle vier Wochen das Treppenhaus gründlich wischen! Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt!«

»Ist ja gut, ist ja gut!«

Ich drehte mich wieder um und wischte.

Hinter mir wurde es still.

»Nun denn. Kann ja mal vorkommen.«

Ich fuhr herum. Frau Meyer-Oeden lächelte von ihrem Hochparterre zu mir runter.

»Wir fahren jetzt in den Garten«, sagte Frau Meyer-Oeden.

»Wir fahren in den Garten?«, wiederholte ich.

»Ja, der Garten ist ganz wundervoll zu dieser Jahreszeit.«

Ich wischte mir mit dem Handgelenk die feuchten Haare aus der Stirn. Die Gummihandschuhe müffelten vor meiner Nase.

»Ich kann jetzt nicht in Ihren Garten fahren. Ich muss mich um die Jungs kümmern.«

»Kindchen, seien Sie doch nicht albern. Natürlich fahren nicht wir in den Garten, sondern wir – mein Sohn und ich!« Zwischen ihren Augenbrauen erschien eine steile Falte. »Glauben Sie, ich bin doof? Ich werde doch wohl noch wissen, ob wir verabredet sind.«

Frau Meyer-Oeden schlug die Augen ungeduldig gen Himmel und schwankte mit dem Oberkörper leicht nach hinten. Dann pendelte sie wieder nach vorn. Sie hatte sich gefangen.

»Wir fahren in unseren Schrebergarten. Wunderhübsch.«

»Ach!« Ich nickte. Natürlich. Ich wusste von dem Kleingarten am anderen Ende der Stadt. Was erwartete Frau Meyer-Oeden jetzt von mir? Offenbar nichts. Sie beachtete mich nicht weiter. Sie sah mich an und gleichzeitig durch mich hindurch. Sie hätte genauso gut zu einer Topfpflanze sprechen können. Sie wirkte sehr zufrieden und schmatzte mit den Lippen.

»Nichts ist so schön, wie in der Natur zu sein. Die Vöglein, die prächtigen Blumen, das Grün. Ein bisschen Gartenarbeit an der frischen Luft. Und dann dieser wunderbare Duft des Sommerflieders. Es ist wie ein Jungbrunnen.«

Frau Meyer-Oeden lächelte entrückt.

»Einfach mal die Seele baumeln lassen.«

Sie zupfte entspannt an ihrem Kragen.

Neidisch schaute ich auf Frau Meyer-Oeden und dann auf meinen Wischmopp. Die Seele baumeln lassen, das würde ich auch gerne mal.

In diesem Moment setzte der Presslufthammer im zweiten Stock wieder ein. Es dröhnte, dass der getrocknete Blumenkranz an Frau Meyer-Oedens Wohnungstür erbebte. Mein Kopf platzte.

»Arbeiten Sie selbst im Garten?«, hörte ich mich durch den Lärm brüllen. Und ärgerte mich über mich selbst.

Ich sollte nicht reden, ich hatte es eilig. Ich musste die Küche aufräumen, die Jungs zu den Hausaufgaben anhalten, Wäsche waschen, einkaufen, die offenen Rechnungen abarbeiten und diesen ekligen Fleck aus dem Sofastoff reiben, den Antons Schokocreme dort hinterlassen hatte. Außerdem musste ich für den Verlag neue Entwürfe zeichnen. Meine Illustrationen waren grottenschlecht. Die konnte ich so nicht abgeben. Ganz abgesehen davon, fingen bald die Sommerferien an, und ich sollte mir endlich mal überlegen, wie ich den Jungs mit wenig Geld ein paar schöne Urlaubstage bescheren konnte. Und dann hatte ich auch noch einen Termin. Ich hatte keine Zeit, den Tag mit Frau Meyer-Oeden im Treppenhaus zu verplempern.

Der Presslufthammer verstummte. Frau Meyer-Oeden nutzte die Chance.

»Ach, Kindchen, nein. Ich mache doch keine schwere Gartenarbeit. Das macht mein Sohn. Oder glauben Sie, ich schaufle Kompost mit diesen zarten Armen?«

Frau Meyer-Oeden hob mir ihre Ärmchen entgegen und sah mich kopfschüttelnd an.

»Übrigens, Sie müssen mal in die Sonne, Kindchen. Sie sind ja blass wie ein Sträfling!«

Ich pustete eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.

»Sie würden gut daran tun, mehr auf sich zu achten!«

Frau Meyer-Oeden musterte mich in meiner ausgebeulten Jogginghose und dem Putz-T-Shirt von oben bis unten. »Treiben Sie Sport?«

Ihr Blick blieb an meinem Bauch hängen und wanderte dann über meinen Po.

»Wie alt sind Sie? 42? 44?«

»38«, sagte ich schmallippig.

»Na! Sehen Sie! Sie haben nicht aufgepasst, Frau Baumgarten! Der Abbau hat schon angefangen! Sie müssen sich ranhalten, wenn Sie im hohen Alter kein Pflegefall werden wollen. Schauen Sie mich an – 84 Jahre und topfit! Jeden Tag mache ich meine Gymnastik! Jeden Tag! Seit ich denken kann! Kein Gramm zu viel und immer noch beweglich! Und das schon seit jeher. Das können Sie natürlich gar nicht mehr aufholen!«

Sie wippte munter auf den Zehenspitzen. Dann tippte sie mit einem zittrigen Zeigefinger an ihre Stirn.

»Und achten Sie auf Ihr Hirn! Logisches Denken, mein liebes Kind, logisches Denken! Nichts ist wichtiger! Gedächtnistraining! Lesen Sie Rätsel-Krimis? Machen Sie Kreuzworträtsel? Oder Sudoku? Kann ich nur empfehlen.«

Ich kaute auf meiner Unterlippe.

»Na«, sagte Frau Meyer-Oeden und drehte sich flink zur Seite. »Jetzt habe ich aber wirklich keine Zeit mehr, mit Ihnen rumzubummeln. Mein Sohn holt mich gleich ab, und dann fahren wir zu Kaffee und Kuchen in den Garten.«

»Wie praktisch, wenn der eigene Sohn auch schon im Rentenalter ist.« Ich lächelte ihr zu.

Sie nickte zufrieden.

Von oben kreischte eine Kreissäge. Dann wurde es still. Ich beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, müdes Hirn hin oder her.

»Frau Meyer-Oeden, wo Sie gerade da sind …«

Ich versuchte, so logisch denkend wie möglich auszusehen.

»Wie lange dauern denn diese Umbauarbeiten in den Badezimmern noch?«

»Na, das kann man so genau nicht sagen.«

Frau Meyer-Oeden sah an sich hinab und zupfte ein Haar von ihrem Ausschnitt.

»Die haben ja erst angefangen. Die Badezimmer in der dritten und vierten Etage müssen auch noch gemacht werden. Und dann die Fenster, die Fassadendämmung …«

Sie sah wieder auf und mich ungerührt an.

»Das dauert noch.«

Ich fühlte mein Herz schneller schlagen.

»Was denn für neue Fenster und eine neue Fassade?«

»Na, die Renovierung! Die neuen Isolierfenster, Kindchen. Das habe ich Ihnen doch alles geschrieben, vor Wochen schon. Nächsten Monat fangen Sie bei Ihnen im Dachgeschoss erst mal mit dem Badezimmer an!«

Das hatte sie nicht geschrieben. Niemals! Das hätte ich nie vergessen! Oder? Ich dachte an den Stapel ungeöffneter Werbesendungen, der sich neben dem Telefon bildete. Hatte ich einen Brief von Frau Meyer-Oeden übersehen? Ich fühlte schon die ersten Herpesbläschen am Mund jucken. Baustelle. Lärm. Staub. Krach. Auf Monate hinaus. Wie sollte ich in diesem Chaos arbeiten?

»Alle Mieter kriegen neue wunderschöne Fenster. Teuer, sage ich Ihnen, teuer.«

Frau Meyer-Oeden sah prüfend auf ihre Fingernägel und sprach unbekümmert weiter. »Isolierverglast, Wärmeschutz, das ganze Tamtam. Und dann die Fassadendämmung! Sie ahnen gar nicht, was das kostet.«

Mein Herz raste. Das bedeutete Mieterhöhung.

»Seien Sie froh, dass Sie keine Häuser haben! Nichts als Scherereien!«

Plötzlich plärrten laute Klingeltöne des Rosaroten Panthers durchs Treppenhaus. Frau Meyer-Oeden fuhr zusammen. Sie fummelte ein schmales weißes Handy aus ihrer vorderen Hosentasche und warf einen kritischen Blick auf das Display.

»Ah! Das ist mein Sohn. Er wartet im Auto an der Ecke. Er erträgt diesen Krach hier nicht. Ja, ja, der Lärm. Kindchen, da müssen wir eben alle durch! Na, ich muss jetzt gehen.«

Frau Meyer-Oeden lächelte beglückt, drehte sich eilig um und verschwand in ihrer Wohnung. Ich stand unschlüssig auf der Treppe. Sollte ich auf sie warten? Wir hatten uns nicht verabschiedet. Aber da war sie schon wieder. Sie trug jetzt ein weißes Baseballcap und eine riesige schwarze Sonnenbrille. Ich musste an eine gigantische weiße Stubenfliege denken. An ihrem Arm baumelte eine große weiße Handtasche. Frau Meyer-Oeden schloss ihre Wohnungstür sorgfältig ab und lief für ihr Alter erstaunlich flink die Treppen hinunter. Als sie mich passierte, krallte sie sich kurz fest an meine Schulter, »Tschüss, Frau Baumgarten«, dann war sie auch schon weg. Die Tür fiel mit einem leisen Klacken hinter ihr zu. Ich sah ihr stumm hinterher.

»MAMAAA!«

Ich schaute hoch.

»MAMAAA! Wo bist du?«, rief Max aus unserer Dachgeschosswohnung.

»Hier, Max, ich bin hier unten.« Ich bückte mich, griff Wischmopp und Eimer und stapfte müde hinauf. Mein Großer stand im Türrahmen und kaute einen Kaugummi.

»Max, was hast du denn vor? Du sollst doch Hausaufgaben machen.«

»Anton und ich gehen jetzt zu Milan. Spielen!« Er blies eine beachtliche Kaugummiblase aus seinem kleinen Mund.

»Nein, ihr geht jetzt nicht zu Milan spielen, ihr macht erst Hausaufgaben.«

Max zog einen Flunsch. Ich gab ihm einen feuchten Kuss auf die Stirn.

»Tut mir leid, mein Großer.«

Ich schob ihn sacht mit dem Bauch in die Wohnung zurück, links und rechts baumelten Eimer und Wischmopp an meinen rosa Gummihänden. Die Tür schob ich mit dem Fuß hinter uns zu und schleuderte die Latschen von den Füßen. Max trottete ins Kinderzimmer, und ich eilte ins fensterlose Badezimmer. Ich goss das dreckige Wischwasser im Halbdunkel in die Toilette, spülte, nahm Mopp und Eimer und lief in die Küche. Dort öffnete ich die schmale Balkontür und drängte mich mit dem Putzzeug nach draußen. Der winzige Balkon lag in der prallen Sonne. Die Luft stand. Was würde ich darum geben, jetzt unter einem Baum in einem schattigen Garten zu sitzen. Wenigstens trocknete so alles schnell. Ich stellte Mopp und Eimer ans Mauerwerk, zog die Gummihandschuhe von den Händen, legte sie über den Eimerrand und beugte mich so weit wie möglich über die beiden kleinen Blumenkästen auf der Suche nach etwas Frischluft. Ich musste sofort husten. Feiner Staub wirbelte von unten an der Mauer nach oben. Warum ließen Handwerker immer die Fenster offen? Meine Blauen Gänseblümchen und das Basilikum waren weiß bestäubt. Ich würde die nächsten Monate sicher nicht in Öl malen können. Meine Bilder würden verkrusten. Ach, war ja auch egal. Ich schaute missmutig auf die Staubwolke. Als ob ich überhaupt Zeit zum Malen hätte.

Ich zwängte mich schnell wieder in die Küche, schloss die Tür und blickte mich in diesem winzigen Raum um. Eine heftige Welle von Selbstmitleid schwappte über mich. Aufräumen und putzen. Warum immer ich? Auf dem kleinen Küchentisch standen schmierige Gläser und abgegessene Teller. In der Spüle stapelte sich Geschirr. Die Spülmaschine stand offen und war noch nicht ausgeräumt, und auf dem Herd prangten dreckige Töpfe mit Resten von Spinat und Kartoffeln. In der Pfanne lag einsam ein schrumpeliges Fischstäbchen in einer Fettpfütze. Ich starrte darauf. Ich bin dieses Fischstäbchen, dachte ich. Eben noch knusprig und frisch, jetzt vergammelt und fettig. Frau Meyer-Oeden hatte recht. Ich hatte nicht aufgepasst. Der Zug war abgefahren.

»MAMAAA!«

Ich stellte mich taub.

»MAMAA! MAMAA! Wir haben kein Klopapier mehr!«

Ich öffnete die Besenkammer, angelte nach einer neuen Rolle Toilettenpapier und ging zum Badezimmer. Ich klopfte an die Tür.

»Aber nicht gucken!«, rief Anton.

»Versprochen!«

Auf der Toilettenschüssel hockte mein Kleiner und kaute versonnen einen Kaugummi. Ich schaute diskret in die Luft und reichte ihm die Klorolle.

»Anton, wie oft habe ich dir gesagt, du sollst vorher nachsehen, ob noch genug Papier da ist.«

»Habe ich ja. Der bescheuerte Max hat mir das letzte Papier zum Naseputzen weggenommen.«

»Ist ja gar nicht wahr«, schrie es aus dem Kinderzimmer. »Da war noch was dran. Du lügst wie gedruckt!«

Anton brüllte zurück: »DU lügst, du Sau!«

»Hey!«

Ich fuhr dazwischen.

»Ich will hier so etwas nicht hören.«

Ich wich zurück. Und stand prompt auf einem nassen Badetuch. Ich hob das Tuch auf, warf es über den Badewannenrand und hastete in die Küche. Ich ließ Wasser ins Spülbecken laufen und versuchte, mit einem Messer den eingetrockneten Spinat in dem einen Topf abzukratzen. Spinat war übel. Er setzte sich überall fest. Verdammt! Dieses Zeug ging nicht ab.

»Anton, du kannst dir demnächst auch mal selbst Klopapier holen. Du bist immerhin schon acht Jahre alt«, schrie ich voller Wut.

»Max ist zehn und holt auch kein Papier«, tönte es zurück.

»Max! Hast du gehört? Du auch!« Ich kämpfte verbissen mit dem Topf.

Keine Antwort.

Mist! Ich schmiss das Messer ins Spülwasser. Angewidert starrte ich auf die dreckigen Teller und den verklebten, dunkelgrünen Spinat. Ich ließ die Hände sinken. Es hatte keinen Zweck. Ich konnte das nicht. Nicht jetzt. Überhaupt gar nicht mehr heute!

Ich drehte mich kurz entschlossen um, öffnete das Eisfach des Kühlschranks und rief meinen Kindern zu: »Wer möchte ein Eis?«

»Ich!«, schrie es aus Bade- und Kinderzimmer.

Fünf Minuten später saßen wir auf dem Wohnzimmersofa und schleckten an unseren Eishörnchen.

»Mama, dieses Eis musst du unbedingt wieder kaufen. Das ist lecker.« Anton hatte seinen Lockenkopf an meine Schulter gelehnt.

»Morgen, Anton, ich gehe morgen einkaufen und hole neues.« Und morgen wasche ich die Wäsche, dachte ich müde. Und bezahle die Rechnungen. Und räume die Küche auf.

»Bringst du mir dann auch ein neues Buch aus der Bibliothek mit?«

Ich streichelte ihm über den Kopf und atmete den Duft seiner Haare ein.

»Schon wieder eines? Gut, ich schau mal.«

Ich drehte mich zu Max neben mir. »Soll ich dir auch ein Buch mitbringen?«

Mein Großer schüttelte den Kopf und biss von der Eiswaffel ab.

»Nö, ich lese nicht so viel wie Anton. Weißt du doch.«

»Lesen ist cool!« Anton lächelte. Ich strich ihm über den Arm. Es war so schön, dass er gerne las. Er sog alles auf, was ihm unter die Finger kam, selbst die Texte auf den Milchpackungen. Ich wandte mich wieder an Max.

»Brauchst du denn etwas anderes aus der Bibliothek?«

»Vielleicht ein Computerspiel?«

»Ach, Max. Ihr sitzt schon viel zu viel vor dem Computer. Du weißt genau, dass ich das nicht mag.«

Max verdrehte die Augen. Dann biss er in sein Hörnchen und nuschelte mit vollem Mund: »Zeichenpapier. Aus dem Laden.«

Ich nickte. »Ja, das ist doch eine gute Idee. Ich brauche auch noch welches. Wann zeigst du uns denn deinen neuen Comic? Du zeichnest so schön!«

Er zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Wenn er fertig ist.«

»Mach das, wie du willst. Ein Künstler muss sein Werk schützen.«

Ich küsste ihn. Max lächelte und wischte sich gespielt empört über die Wange.

»Apropos zeichnen.« Ich schluckte das letzte Stückchen Waffel und verzog das Gesicht. »Es tut mir sehr leid, aber ich muss jetzt wirklich an die Arbeit. Und ihr solltet eure Hausaufgaben machen. Danach könnt ihr zu eurem Freund gehen.«

»Was zeichnest du denn gerade?«, fragte mein Kleiner und umarmte meinen Bauch. Ich drückte ihn. Es war so schön, mit ihm zu kuscheln. Ich hätte ewig so verweilen können.

»Ich muss die Entwürfe für dieses Gartenzwergbuch zeichnen.«

»Zeigst du sie uns?«

»Wenn sie fertig sind, Anton. Aber zurzeit sind sie einfach schlecht. Ich habe gestern Abend noch so lange daran gesessen, aber sie sind nichts geworden. Vielleicht sollte Max besser den Auftrag übernehmen.«

Anton kicherte.

»Macht ihr jetzt bitte eure Hausaufgaben?«

Widerwillig erhoben sich meine Söhne vom Sofa und trotteten davon.

Ich sah das Grafiktablett und Ausdrucke meines Werks auf dem Schreibtisch gegenüber liegen. Ich raffte mich auf und besah mir den Zwerg. Wolli, der Gartenzwerg. Er hatte es schön. Er saß im Grünen und blätterte in einem Buch. Aber er sah langweilig aus mit seinen roten Bäckchen und der Zipfelmütze. Tausendmal gesehen. Missmutig schaute ich auf die dicke Schnecke mit rosa Hütchen an seiner Seite. Ich hatte überhaupt keine Lust mehr zu zeichnen.

Auf der anderen Seite lockte mein Sofa. Vielleicht noch eine winzige Pause nur für mich? Ich hatte schließlich bis spät in die Nacht hinein gearbeitet!

Ich schmiss mich rücklings auf die weiche Couch, kuschelte mich trotz der Hitze tief in die Kissen und griff nach dem Buch auf dem Couchtisch, das Martha mir gegeben hatte, »damit du mal wieder ein bisschen in Schwung kommst.« Sie hatte es in Zeitungspapier eingeschlagen und verschwörerisch gelächelt, als sie es mir überreichte. Ich hatte es noch nicht aufgeschlagen. Ich öffnete misstrauisch den Buchdeckel, blickte auf die erste Seite und las:

»Lodern der Leidenschaft.«

Ich klappte den Umschlag wieder zu. Ach, Martha. Sie gab einfach nie auf. Bei mir loderten schon lange nur noch Kopfschmerzen. Ich schaute ins Aquarium auf unseren kleinen grauen Wels Percy, der an der Scheibe klebte und seinen bleichen Bauch zeigte. Ich dachte daran, wie ich Raimund mit Antons Kindergärtnerin in unserem Bett erwischt hatte. Es fühlte sich an, als wäre es gestern gewesen. Ich versuchte, das brennende Gefühl im Magen zu ignorieren, und öffnete erneut Marthas Buch.

Das weit geöffnete Hemd ließ einen Blick auf seine muskulöse Brust zu. Seine vollen Lippen waren geöffnet. Eine schwarze Locke fiel über seine Stirn. Ernestos Blick war dunkel vor Leidenschaft. Raffaella fühlte jede Faser ihres Körpers beben. Sie roch seinen männlich herben Duft. Er kam näher und umschlang fest ihren sehnsüchtigen Körper.

Ich schlug das Buch zu und schmiss es mit Schwung auf den Couchtisch. Es traf auf eine halb gegessene Schokoladentafel und fegte diese in hohem Bogen auf den weißen Wollteppich. Egal, wenigstens war es weiße Schokolade.

Halt! Schokolade! Mein Gehirn versuchte, sich in der stickigen Luft der Dachgeschosswohnung zu erinnern. Ein dunkelbrauner Fleck tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ich drehte mich auf die Seite und spähte unter meinen Po. Antons dunkler Schokoladenfleck! Ich hatte vergessen, ihn auszuwaschen.

Ich ließ mich in die Kissen zurückfallen. Es hatte sowieso keinen Zweck. Ich war unfähig. Eine komplette Versagerin! Ich hatte es einfach nicht drauf! Eine durchschnittliche Illustratorin, die sich und ihre Kinder mit Brotjobs über Wasser hielt und nie nach Zeitplan fertig wurde. Ich sollte mir ein Loch im Garten buddeln und einfach vermodern.

Frau Meyer-Oedens entrücktes Lächeln kam mir in den Sinn. Wir fahren jetzt in den Garten. Es ist immer so wundervoll zu dieser Jahreszeit.

Mit einem Ruck stemmte ich mich hoch, beugte mich weit vom Sofa und angelte mit den Fingern nach der Schokolade auf dem Teppich. Ich stopfte mir den noch übrigen Riegel in den Mund, lehnte mich wieder zurück, legte die müden Beine auf die Rückenlehne und kaute heftig, bis die Süße meinen ganzen Mund erfüllte. In der Ferne hörte ich eine Bohrmaschine dröhnen. Wenigstens hatte Frau Meyer-Oeden nicht die beste Schokolade, dachte ich erschöpft. Die liebe Oeden hatte Diabetes. Ich wurde müde. Meine Augen brannten. Ich brauchte ein bisschen Pause, nur ein kleines bisschen. Ich drehte mich zur Seite und legte den Kopf auf den Arm. Meine Glieder waren schwer. Nur ein wenig die Augen schließen. Ich griff nach den Ohropax auf dem Couchtisch und drückte sie fest in meine Ohren. Ruhe. Ein klein wenig Ruhe …

Ich stand mit geschlossenen Augen. Gras kitzelte unter meinen nackten Füßen. Ich atmete tief ein. Frische Luft prickelte wie Champagner in meiner Lunge. Vögel sangen, Bienen surrten, ein Kuckuck rief, und irgendwo gluckerte leise ein Bach. Warm strömte das Glück durch meine Adern. Ich öffnete die Augen. Ich stand auf einer Waldlichtung, die über und über mit weißen und lila Krokussen bewachsen war. Die Sonne schien durch das lichte Blattwerk der Bäume, und der Wind ließ die Schatten raschelnd auf der Wiese tanzen. Verzaubert lief ich durch das Krokusmeer. Und plötzlich stand ich inmitten einer prachtvollen Blumenwiese. Rot, gelb, blau – herrliche große Blumen, wohin mein Auge blickte. Ich ließ die Hände vorsichtig über die Blüten gleiten. Sie schmiegten sich an mich und fühlten sich an wie Samt. Es duftete betörend nach Flieder, Rosen, Honig, Lavendel und einem Hauch von frischem Spinat. Und da – weiße Blumenkelche ragten mir bis zur Schulter. Ich beugte mich vor und schnupperte. Sie rochen – wie seltsam! – nach weißer Schokolade.

Oh, dachte ich beglückt, kann ich Farben riechen?

Ich blickte an mir herunter: Ich trug ein bodenlanges weißes Gewand aus feinstem Tuch. Staunend betrachtete ich meine gebräunten Handgelenke und wendete meine grazilen Hände vor meinen Augen. Die Fingernägel schimmerten hellrosa. Kleine rosa Muscheln auf goldbrauner Haut. Ich bin schön, dachte ich ergriffen. Wunderschön!

Plötzlich vernahm ich einen Ruf.

»Anna!«

Ich schaute auf. Vor mir im hohen Gras stand ein verwitterter Gartenzaun und dahinter lag ein kleines Holzhaus mit roten Schindeln und einer Veranda. Ich ging vorsichtig näher. Der Garten vor der Laube war prächtig. Rote Rosen und dichte Lavendelbüsche schmückten die Beete. Kraftstrotzender Rhabarber und kernige Salatköpfe prangten im saftigen Gemüsebeet. Tomaten glänzten an dicken Stauden rot in der Sonne. Orangenbäumchen verschönten die Veranda. Azaleen blühten neckisch in tiefem Purpur, und riesige gelbe Sonnenblumen neigten sich im sanften Wind.

Ich entdeckte eine offene Haustür und lachte, als wüsste ich, was mich dahinter erwartete. Im nächsten Moment erschien in der Tür eine Frau in einem weißen Kleid und mit langem Haar. Ich erschrak: Diese Frau war ich! Ich erblickte mein eigenes Antlitz! Die Anna in der Tür lächelte und winkte mit weit ausgestreckten Armen. Ihre Ärmel schwangen wie weiße Segel über dem Meer. Da erschien ein festlich gedeckter Tisch vor ihr, schwer beladen mit Hähnchen, Trauben, Äpfeln, Brot, Sushi, Torten und Eis.

»Endlich bist du da, Anna!«, rief die Frau«, »komm und iss, es ist reichlich da! Nie wieder Fischstäbchen! Und wir können zusammen malen!«

Ich rannte so schnell ich konnte an einem lachenden Gartenzwerg vorbei, und das Letzte, woran ich mich erinnerte, waren ihre warmen Arme um meine Schultern.

Ich blinzelte. Meine Wangen waren feucht. Der Mund war trocken. Ich fuhr mir vorsichtig mit der Zunge über die Lippen. Wie lange hatte ich geschlafen? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Ich zog die Ohropax heraus. Es war still. Die Handwerker hatten offenbar Feierabend. Auch von den Jungs war nichts zu hören. Sie waren bestimmt bei ihrem Freund Milan nebenan.

Ich wischte mir langsam über das Gesicht und drehte mich auf den Rücken. Es rauschte in meinen Ohren. Mein Herz schlug kräftig.

Was für ein merkwürdiger Traum.

Mir war nach Weinen zumute. Ein Garten. Das Paradies. Frische Luft und pures Glück. Dieses Gefühl, als würde dieser Garten nur auf mich warten. Ich rang um einen klaren Kopf und drehte mich wieder auf die Seite. Mein Blick fiel auf die Armbanduhr. Ich fuhr hoch. Vier Uhr. Ich musste mich beeilen. Ich hatte noch einen Termin.

3

Der Wink mit dem Zaunpfahl

Sie glitt sanft unter meine Haare, griff behutsam meinen Kopf und führte ihn nach hinten.

Hmmmm …

Ihre Hände rochen gut, zart nach Orangen. Ich schloss die Augen und genoss ihre geschickten Bewegungen. Ich ließ mich vorsichtig sinken. Das Porzellan des Beckens kühlte meinen Nacken. Dicht neben meinen Ohren rauschte es. Im nächsten Moment ergoss sich warmes Wasser über mein Haar.

Aaah …

»Ist es so recht, Frau Baumgarten?«, fragte Sonja, meine begnadete Frisörin, und knetete kraftvoll meine Kopfhaut.

»Ja.«

Ich klang heiser. Ich räusperte mich. Ich spürte das Shampoo auf meine Kopfhaut rinnen. Sonja massierte. Ich seufzte wohlig.

»Sie wissen gar nicht, wie gut das tut. Einmal nichts zu tun und sich die Haare waschen zu lassen­.«

Sonja walkte eifrig.

»Sie waren ja auch schon länger nicht zum Schneiden. Es lohnt sich. Ihr Haar ist ein bisschen dünn an den Spitzen.«

Sie klang freundlich. Nicht vorwurfsvoll, wie dieser andere Frisör, dieser Lackaffe mit dem rosa Irokesenhaarschnitt und den tausend goldenen Fingerringen, die immer an der Schere geklappert hatten. Das sieht ja aus wie KRAUT UND RÜBEN!

Ich linste zur Seite. Der kleine Salon Engel war so herrlich verschroben. Pinke Plüschsessel und lila Frisörstühle, dunkellila Wände, weißer Stuck an der Decke und üppige goldene Rahmen um die großen Frisörspiegel. Vor jedem dieser Barockspiegel stand eine Glasschale mit rosa schimmernden Plastikperlen, und darauf lag ein nacktes properes Seifenengelchen und schaute versonnen gen Himmel, den Kopf in die Hand gestützt. Es roch nach Shampoo, Haarspray und Vanillearoma. Ich lächelte und drückte mich behaglich in den Frisörstuhl. Das Wasser plätscherte. Das Salonradio dudelte. Die Kundinnen plauschten über Klatsch und Tratsch. Es war eine andere Welt.

Lautstark wurde ein Föhn angeworfen. Der Salon war gut besucht. Ich blickte an die Decke. Ein Barockengelchen im Stuck lächelte freundlich auf mich herab. Ich sprach lauter wegen des Lärms. »Endlich mal nichts tun müssen …«

Ich rutschte mit den Pobacken auf dem Stuhl hin und her. Meine Füße hingen in der Luft, der Sitz war zu hoch gedreht.

»Haben Sie viel Stress?«

Sonjas Stimme klang mitfühlend durch das Gebläse des Föhns. Ich zögerte, kniff die Augen zusammen:

»Was heißt viel … Wir haben die Handwerker im Haus.«

Ich verstummte. Ich wollte eigentlich nicht über mein Leben reden. Das hier war mein halbjährlicher Wellnesstermin.

Sonja strich kräftig über mein Haar. Ich hörte sie hinter mir entspannt atmen. Wasser strömte, dann ergriffen Hände mein Haar unter dem Nacken, legten es nach oben und ein warmes Handtuch wurde mir um den Kopf geschlungen. Reflexartig hielt ich es mit einer Hand an den Kopf gepresst. Ein paar Tropfen Nass liefen mir aus den Haaren über das Gesicht.

»So, Frau Baumgarten, wenn Sie mir bitte folgen wollen.«

Sonja stand jetzt lächelnd vor mir. Sie sah so unschuldig aus in ihrem rosa Frisörkittel und den lila Gesundheitsschuhen. Sie hatte diese kleine rührende Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen. Ihre blond gefärbten Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden und passten gut zu dem anmutig geschwungenen Lidstrich. Sie guckte sanft. Wie ein liebes Kind. Oder ein kleines Mäuschen. Ich würde sie als weißes Mäuschen im lila Kittel zeichnen.

Ich hielt die Hand ans Handtuch, rutschte etwas benommen vom Stuhl, bis meine Füße den Boden berührten. Ich folgte Sonja und setzte mich auf den mir zugewiesenen Platz, drapierte den pinken Frisörumhang um mich und schaute im Spiegel zu Sonja. Sie zeigte auf die Zeitschriften an der Wand.

»Möchten Sie vielleicht einen Kaffee und etwas zu lesen? Wir haben ein paar schöne Magazine da.«

»Ja, gerne, beides. Geben Sie mir einfach irgendeine Zeitschrift.«

Schon war Sonja weg und kam im nächsten Moment mit dampfendem Kaffee und einem Magazin wieder. Sie stellte die Tasse samt Gebäck neben das Seifenengelchen und legte mir das große Hochglanzheft auf den Schoß.

»Wie besprochen, gerade schneiden, sechs Zentimeter, selber föhnen?«

Sonja schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Ja, genau.«

Ich sah auf das Heft. GARTENGLÜCK stand in grünen Lettern darauf. Mir stockte der Atem: Eine große Laube war auf dem Titelfoto abgebildet, inmitten von Lavendel und roten Rosen. Sie sah fast aus wie die Laube in meinem Traum.

»Eine Gartenzeitschrift. So etwas haben Sie jetzt auch?«

Sonja nickte.

»Ja, die Leute sind ganz wild darauf. Ist ja auch schön. Die Natur, die Ruhe, die Entspannung, das Biogemüse …«

Sonja nahm Kamm und Schere und machte sich ans Werk. Ich versuchte, nicht zu wackeln, und schielte aufs Cover.

Zurück zur Natur – Idylle im Schrebergarten.

»Haben Sie einen Garten?« Sonjas Frage drang gedämpft zu mir. Ein Rasierer surrte.

»Nein, leider nicht.«

Ich bemühte mich, laut genug zu sprechen.

»Wir haben nur einen winzigen Balkon im Dachgeschoss.«

Ich war selbst überrascht, wie wehmütig ich klang.

»Und Sie?«

»Nein. Aber meine Eltern haben einen. Einen Kleingarten. Das ist wirklich schön, vor allem am Wochenende.«

Was war denn bloß heute los? Ich hatte mein Leben lang nie etwas über Kleingärten gehört, und jetzt ploppten sie im Minutentakt auf. Das konnte doch kein Zufall sein! Ich schaute auf das nackte Seifenengelchen.

»Warum suchen Sie sich keinen Garten?«

Sonja schnitt gekonnt die Haare am Ohr.

»Das ist gar nicht teuer. Und für Ihre Jungs wäre es auch prima.«

Ich spürte ein leises Flattern im Magen. Als würde ein Vögelchen sein Gefieder spreizen.

»Sind diese Gärten nicht furchtbar schwer zu bekommen?«

»Ach, i wo. Die alten Leutchen sterben ja langsam weg. Da wird immer mal wieder einer frei.«

»In so einem Gartenverein gibt es sicherlich viele Vorschriften. Kleingärtner sind pingelig, oder?«

»Nee.«

Sonja schüttelte energisch den Kopf.

»Nee, nee. Das ist gar nicht mehr so. Da gibt es solche und solche. Da müssen Sie einfach mal gucken. Es gibt doch so viele junge Familien, die heute in die Natur wollen.«

Hastig schlug ich das GARTENGLÜCK auf. Wo war der Artikel über Kleingärten? Da – Glück im Schrebergarten. Es waren wunderschöne Fotos. Eine Frau im weißen Kleid und mit einem großen Strohhut lachte mit einer Harke in der Hand neben prächtigen roten Tomatenstauden. Auf einem anderen stand eine alte Blechgießkanne dekorativ im hohen Gras. Ich überflog den Text.

Die neue Lust am Kleingarten … sich selbst verwirklichen … günstige Alternative … ein neues Lebensgefühl … Oase … Seele baumeln lassen … in Harmonie mit der Natur … zauberhaftes Blütenmeer … gesundes Gemüse … Arbeit mit den Händen … zur Ruhe kommen … Entspannung …

Ich schluckte. Das war all das, wonach ich mich sehnte. Wie in meinem Traum. Konnte es denn sein? So nah und nicht mal teuer? Ich sah Sonja im Spiegel an.

»Meinen Sie, dass so ein Kleingarten viel Arbeit macht?«

»Na, es ist schon Arbeit. Aber wenn man Freude daran hat …«

Mein Herz klopfte. Frau Meyer-Oeden, mein Traum, die Zeitschrift, Sonjas Frage. Und das alles an einem Tag. Das wollte mir doch etwas sagen. War das etwa ein Wink mit dem Zaunpfahl?

»Glauben Sie wirklich, ich würde in einen Kleingartenverein passen?«

»Nö, glaube ich nicht!«, dröhnte da eine tiefe männliche Stimme.

Ich zuckte zusammen und stierte in den Spiegel. Hinter Sonjas Spiegelbild erkannte ich dunkle Augen hinter einer schwarzen Brille und eine große Hand, die mir lapidar zuwinkte. Darunter eine ansehnliche Nase und zwei Mundwinkel, die amüsiert nach oben gezogen waren.