Liebe, Glück und Schottland - Nina B. Hope - E-Book

Liebe, Glück und Schottland E-Book

Nina B. Hope

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Beschreibung

Große Gefühle und ein Familiengeheimnis mit Folgen ... Die 45-jährige Allison Leary scheint vom Glück verlassen. Nach der Trennung von ihrem Mann Alex lebt sie mit ihren beiden Kindern im beschaulichen Städtchen Bathgate in Schottland und arbeitet halbtags in einem Job, der sie wenig erfüllt. Der einzige Lichtblick an trüben Tagen sind ihre Liebesromane, mit deren Hilfe sie sich an fremde Orte träumt. Das scheint sich jedoch zu ändern, als sie über ein Datingportal den gutaussehenden Paul kennenlernt. Nach ein paar wunderschönen gemeinsamen Wochen zieht sich Paul jedoch plötzlich zurück. Während Allison noch versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, erhält sie ein geheimnisvolles Paket, dessen Inhalt ihr Leben völlig auf den Kopf stellt …

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Die AutorinNina B. Hope, geboren 1971, ist das Pseudonym einer in der Nähe von Koblenz aufgewachsenen Autorin, Mutter, Ironie-Fachfrau und Problemlösungsexpertin. Nach über 25 Jahren Tätigkeit im Finanzwesen fand Nina, es wäre höchste Zeit, sich der Literatur zuzuwenden und sie verfasst ihren ersten Roman. Schreiben bedeutet für Nina, eine Weile mit ihren Figuren zu leben, zu lieben, zu lachen und zu weinen. Humorvoll und authentisch möchte sie ihre Leserinnen auf eine romantische Reise mitnehmen. Als Inspiration für ihre Geschichten reicht manchmal nur ein einziger, scheinbar unbedeutender Satz. Nina lebt mit ihren Kindern in der Nähe ihrer Heimatstadt und in Spanien.

Das Buch

Große Gefühle und ein Familiengeheimnis mit Folgen ...Die 45-jährige Allison Leary scheint vom Glück verlassen. Nach der Trennung von ihrem Mann Alex lebt sie mit ihren beiden Kindern im beschaulichen Städtchen Bathgate in Schottland und arbeitet halbtags in einem Job, der sie wenig erfüllt. Der einzige Lichtblick an trüben Tagen sind ihre Liebesromane, mit deren Hilfe sie sich an fremde Orte träumt. Das scheint sich jedoch zu ändern, als sie über ein Datingportal den gutaussehenden Paul kennenlernt. Nach ein paar wunderschönen gemeinsamen Wochen zieht sich Paul jedoch plötzlich zurück. Während Allison noch versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, erhält sie ein geheimnisvolles Paket, dessen Inhalt ihr Leben völlig auf den Kopf stellt …

Nina B. Hope

Liebe, Glück und Schottland

Ein Neuanfang für Allison

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juli 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95818-198-4  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Für meine Mutter,

die Schottland liebte, obwohl sie nie dort war.

Prolog

Allison sah sich im Wohnzimmer um. Hier stand lediglich noch eine antike Vitrine, zur Hälfte mit Weingläsern und Cognacschwenkern bestückt. An den Wänden waren die Konturen der Bilder gut sichtbar, die bis vor Kurzem dort gehangen hatten und von einem längst vergangenen Familienglück zeugten. Die Fenster waren ohne Vorhänge ungewohnt nackt, und auf der Fensterbank standen nicht einmal mehr Blumen. Ein einsamer Sessel war mitten im Zimmer platziert und lenkte den Blick auf den überdimensional großen Fernseher und das moderne Soundsystem. An der Decke hing nur noch eine einfache Glühbirne. Die vielen Umzugskartons, die sich in den letzten Wochen an einer Wand gestapelt hatten, waren verschwunden. Der Raum, der viele Jahre Mittelpunkt des Familienlebens gewesen war, der für sie, ihren Mann Alex und die Kinder ein gemütliches Heim dargestellt hatte, wirkte nun trostlos und leer. Allison zog die Strickjacke ein bisschen enger um sich. Obwohl in der Natur der Frühling schon weit vorangeschritten war und warme Sonnenstrahlen durch die Fenster fielen, fröstelte sie.

In der Küche befand sich nur noch das Nötigste, die Wände waren kahl, ein alter Bauernschrank diente behelfsmäßig der Unterbringung von Geschirr, Schüsseln und Töpfen. Allison rieb sich unbewusst eine Stelle an ihrem Oberarm. Die unterste Schublade war leer und stand leicht offen. Dort hatte sie, unter Geschirrhandtüchern und Servietten versteckt, die schmerzstillende Creme aufbewahrt, die ihr der Arzt verschrieben hatte, nachdem sie ihm ihre Blutergüsse gezeigt hatte.

Seit einigen Wochen befand sich Alex nun in einem Sanatorium. Allison hatte ihn dort angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie die Scheidung wolle. Wenn er wieder zurück wäre, seien sie und die Kinder in eine andere Wohnung umgezogen. Damit das alles reibungslos lief, würde sie die meisten Haushaltsgeräte und den größten Teil der Küche mitnehmen.

Alex war mit allem einverstanden.

Das gemeinsame Haus sollte so schnell wie möglich verkauft werden. Keiner von beiden konnte und wollte sich diese Verantwortung leisten. Die Kinder waren aus allen Wolken gefallen, als Allison ihnen mitgeteilt hatte, dass sie alle umziehen würden. Milla, ihre siebenjährige Tochter, war in Tränen ausgebrochen. Sie wollte in der Nähe ihrer geliebten Molly bleiben, der Katze von Mrs. Wilson, die am Ende der Straße wohnte. Jonathan hingegen hatte mit seinen neunzehn Jahren nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass er das alles habe kommen sehen. Aber um den schönen Garten sei es schade.

Beim Anblick der neuen Wohnung hatte es dementsprechend dann auch lange Gesichter gegeben. Bei der ersten Begehung hatte die Wohnung schäbig und verwohnt gewirkt. Aber mit jedem Renovierungsschritt zog ein bisschen mehr Wärme und Gemütlichkeit in die neuen vier Wände, und die Aussicht, dass es im Haus noch ein paar Kinder im Alter ihrer Tochter gab, versöhnte dann auch Allisons kleinen Sonnenschein Milla.

Wehmütig waren sie alle trotzdem. Allisons Kollege aus der Immobilienabteilung der Bank of Scotland hatte innerhalb von drei Wochen ein nettes Ehepaar gefunden, das bereit war, die geforderte Kaufsumme zu zahlen. Wenn Alex aus der Klinik entlassen wurde, konnte er sich selbst eine Wohnung suchen, und der Verkauf über die Bühne gehen.

»Mrs. Leary?«, einer der Möbelpacker trat zu ihr in die Küche und riss sie aus ihren Gedanken. »Wir sind dann soweit.«

Allison nickte. »Fahren Sie schon. Ich komme gleich nach.« Der Mann brummte etwas, ging nach draußen und setzte sich zu seinen Kollegen in den Lkw. Durch das Küchenfenster sah sie, wie sich der Möbeltransporter in Gang setzte.

An der Haustür lag die Post des heutigen Tages, die der Briefträger achtlos dort hingeworfen hatte. Es waren die üblichen Rechnungen und Werbeprospekte. Ein Flyer erregte Allisons Interesse. Ein Reiseveranstalter versprach traumhaft ruhige Finca-Ferien in Spanien, wenn man in den kommenden drei Tagen buchen würde. Das wäre schön, dachte sie, einfach mal weg. Irgendwann, wenn das Geld reicht, miete ich mir ein solches Haus und genieße für einige Wochen die Sonne und das Meer.

Allison griff nach ihrer Handtasche und dem antiken Silberrahmen mit dem Hochzeitsbild ihrer Eltern. Sie betrachtete es kurz. »Ach Mom«, sagte sie seufzend und fuhr mit dem Finger über das Gesicht ihrer Mutter. »Ich wünschte, du wärst jetzt bei mir.«

Dann schloss sie die Haustür und mit ihr das Kapitel ihrer gut zwanzigjährigen Ehe mit Alex.

1 – Sommer

Ein Jahr später …

»Du musst wieder unter Leute, Allison. Du kannst nicht ewig um deine gescheiterte Ehe trauern.«

»Das tue ich doch gar nicht! Ich habe lediglich keine Lust, meine Abende in lauten und stickigen Pubs zu verbringen.«

»Aber der Traummann wird nicht an deine Tür klopfen.«

»Ach Betty, das weiß ich doch. Aber ich bin noch nicht so weit, mich wieder auf jemand Neuen einzulassen.«

»Wie lange kennen wir uns jetzt? Fünfzehn Jahre?«

»So in dem Dreh«, bestätigte Allison schulterzuckend.

»Ich kenne dich nur als Ehefrau, Mutter und Bankangestellte. Selten habe ich dich ausgelassen feiern sehen, geschweige denn dass du dir mal was Richtiges gegönnt hast. Immer stand deine Familie im Vordergrund. Ich finde, es wird Zeit, dass du einen Neuanfang wagst. Du bist jetzt fünfundvierzig Jahre alt. Soll das schon alles gewesen sein?« Betty, Allisons beste Freundin, zog die Stirn kraus und stemmte die Hände in die Hüften.

»Nein, natürlich nicht. Aber ich brauche noch ein bisschen Zeit, das alles zu verdauen.«

»Ally, ich bitte dich. Du sollst nicht das erstbeste Date heiraten. Spaß haben, mal sehen, was die Männerwelt zu bieten hat, selbst austesten, wie man ankommt. Probiere dich doch einfach mal ein bisschen aus. Nur so. Ohne irgendein Ziel.«

»Vielleicht hast du sogar recht«, gab sich Allison geschlagen.

»Ganz sicher habe ich das.« Betty lachte.

»Aber ich kann Milla abends noch nicht alleine lassen, und Johnny hat nicht immer Lust, auf sie aufzupassen. Er ist selbst viel unterwegs.«

Jonathan, Allisons Sohn war inzwischen zwanzig Jahre alt und machte eine Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten. Er zog, wie es sich für jemanden in seinem Alter gehörte, gerne mit seinen Freunden um die Häuser. Aber Allison konnte ihn immer fragen, ob er auf seine achtjährige Schwester Milla aufpassen würde.

»Verstehe, an seiner Stelle hätte ich auch nicht immer Lust, mich um meine kleine Schwester zu kümmern. Aber Milla wird auch älter. Die Zeit läuft also für dich. Und bis dahin gibt es Dating-Apps!«

»Was gibt es?«

»Dating-Apps. Da meldest du dich mit deinem Facebook-Profil an, wählst die besten Profilbilder, stellst die Kriterien für die Männer ein, die dir gefallen könnten, wie beispielsweise das Alter, legst die maximale Entfernung fest, und schon geht es los.«

»Ist nicht dein Ernst!« Allison sah ihre Freundin entsetzt an.

»Mein voller Ernst, Süße. Warum auch nicht? Sieh dich an. Du bist eine wunderschöne Frau Mitte vierzig, in den besten Jahren, Baby. Du bist klein und zart, sportlich und dynamisch, und du hast ein Herz aus Gold. Außerdem bist du nicht auf den Kopf gefallen. Deine langen dunkelblonden Haare lassen dich viel jünger erscheinen und in deinem gleichmäßigen Gesicht mit den vollen Lippen sucht man vergebens nach Fältchen.«

Allison wurde rot. »Wow! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. So hat das noch nie jemand formuliert. Danke.«

»Dann wird es höchste Zeit! Gern geschehen.« Betty griff nach Allisons Handy, das auf dem Wohnzimmertisch lag, und entsperrte es. »Du solltest dir endlich angewöhnen, dem Ding eine PIN zu verpassen. Jeder kann dein Handy benutzen.«

»Mich nervt es, wenn ich jedes Mal eine PIN eingeben muss. Mir reicht es schon, dass ich mir alle Passwörter im Büro merken soll«, maulte Allison.

»Was hältst du davon, wenn du uns einen tollen Milchkaffee machst und in der Zwischenzeit lade ich dir die App herunter. Dann können wir gleich anfangen und Männer gucken. Ich bin gespannt, was heutzutage alles auf dem Markt ist. Als ich mit Tom zusammenkam, wurden diese Apps gerade modern.«

»Höre ich da ein klitzekleines bisschen Bedauern in deiner Stimme?« Allison war bereits aufgestanden und ging in die Küche.

»Du weißt, Tom ist ein Schatz. Aber die Möglichkeiten, die dir eine solche App bietet, um Leute kennenzulernen, sind ungleich größer als im echten Leben.«

Allison drückte den Knopf auf der Kaffeemaschine und blickte aus dem Fester. Die Sonne schien auf den kleinen Balkon ihrer Vier-Zimmer-Wohnung, die sie für sich und die Kinder angemietet hatte. Sie war in Bathgate, einer Kleinstadt in Schottland, zwischen Edinburgh und Glasgow, geblieben, damit die beiden Kinder ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen mussten. Es reichte schon, dass sie beide Elternteile nicht mehr unter einem Dach hatten, da sollten sie wenigstens nicht auf Freunde und ihre Gewohnheiten verzichten müssen. Allison fand in der Livery Street 24 eine günstige Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Das Backsteinhaus konnte seine Bauzeit Ende der siebziger Jahre zwar nicht verleugnen, punktete aber mit dem Schnitt und der günstigen Lage für sie und die Kinder. Und Allison war es wichtig, dass die Kinder gut untergebracht waren und sich wohlfühlten. Mit viel Liebe und der Hilfe von ihrem Vater hatte sie ein behagliches Heim gestaltet. Sie war stolz auf sich, den Schritt gewagt zu haben. Alex war ein paar Kilometer weiter nach Armadale gezogen. So blieb er wenige Autominuten von den Kindern entfernt.

»Da werden auch eine Menge Spinner unterwegs sein«, nahm Allison das Gespräch wieder auf.

Betty nickte. »Davon gehe ich auch aus. Und nicht alle sagen genau, was sie wollen. Das ist ja das Spannende.«

»Du bist aber ganz schön aus dem Häuschen.« Allison lächelte, reichte Betty eine Tasse mit dampfendem Kaffee und setzte sich mit ihrer eigenen Tasse neben sie auf das Sofa.

»Jetzt lass mal sehen«, forderte sie.

Betty drückte ihr das Handy in die Hand. »Hier kannst du dir alle Kandidaten ansehen. Wenn dir einer gefällt, drückst du auf das grüne Herz, wenn nicht, auf das rote X. Das ist auch schon das ganze Geheimnis.«

»Und wie geht es dann weiter?«

»Wenn der Mann, der von dir ein grünes Herz bekommen hat, dir auch ein grünes Herz gibt, habt ihr ein Match und könnt euch in einem Chat schreiben. Vorher geht das nicht.«

»Und woher weiß ich, wer mir ein grünes Herz gibt?«

»Gar nicht, das läuft alles im Hintergrund ab. Erst wenn beide sich ›matchen‹, kann eine Unterhaltung stattfinden.«

»Ist ja schon heftig, oder? Das heißt, ich beurteile jemanden nur nach dem Äußeren und dann kommt erst die Unterhaltung?«

»Ally, jetzt tu nicht moralischer, als du bist. Das ist in einem Pub oder an der Supermarktkasse auch nicht anders. Wenn dir der Kerl nicht gefällt, würdigst du ihn keines Blickes. Nichts anderes machst du jetzt virtuell. Also bleib locker.«

»Okay. Versuchen kann ich es ja mal«, sagte Allison.

»So ist es. Du kannst nicht verlieren, nur gewinnen. Hier kannst du Männer kennenlernen, die würdest du im normalen Leben niemals treffen.«

»Aha«, antwortete Allison schmunzelnd, »dann schauen wir mal, was das Leben für Überraschungen für mich bereithält.«

***

Zwei Wochen später rief Allison bei Betty an. »Da hast du mir ja vielleicht einen Mist angedreht«, schimpfte sie gleich in den Telefonhörer.

»Was? Was hab ich denn gemacht? Wovon redest du?«

»Von dieser irren Dating-App.«

»Was ist passiert?«, fragte Betty ehrlich besorgt. »Ist dir jemand zu nahegetreten? Geht's dir gut? Rede schon.«

»Jaja, mir geht es gut. Ich hab noch keinen getroffen. Da sind ja vielleicht Typen unterwegs. Echt irre.«

»Mein Gott, ich dachte schon, dir sei was zugestoßen«, erwiderte Betty.

»Mittlerweile hatte ich unzählige Matches. Ich muss allerdings auch zugeben, ich habe das Gießkannen-Prinzip ausprobiert und alles angeklickt, was mir halbwegs gefallen hat. Ein schwerer Fehler. Da schreibt man mit Kerlen, die würde ich tatsächlich im wirklichen Leben nicht treffen wollen.« Ally legte sich die Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf. »Die meisten bekommen schon im Chat keine Konversation hin, die sind am schnellsten ausgeschieden. Einige fragen einem Löcher in den Bauch, da ist von ›Willst du noch mehr Kinder?‹ bis hin zu ›Zahlt dein Exmann dir Unterhalt?‹ als erste Frage alles dabei. Mit einem anderen Mann hatte ich eine wirklich nette Unterhaltung, aber der antwortetet immer mitten in der Nacht. Ich schrieb ihm morgens und er nachts. Bescheuert! Mit zwei Typen habe ich sogar telefoniert.«

»Wow, und? Triffst du dich mit einem?«

Allison lachte laut auf. »Nein, ganz bestimmt nicht. Der eine konnte plötzlich nur noch ›ja‹, ›nein‹ und ›weiß ich nicht‹ sagen, und der Zweite erzählte mir von seiner Mutti. Ich hab dann irgendwann selbst an meiner Wohnungstür geklingelt und gesagt, dass ich Besuch bekomme. Beide haben sich nie wieder gemeldet.«

»Hammer!« Betty giggelte. »Ich kann mir das richtig vorstellen. Du, wie du die Augen verdrehst, weil die Jungs nicht aus den Socken kommen.«

»Wenn das alles ist, was die Männer zu bieten haben, ist das wirklich ein Armutszeugnis. Denken die wirklich, dass sie im Schlaraffenland leben?«

»Manche sind dem Höhlen-Dasein sicher noch nicht entwachsen», echauffierte sich Betty etwas lauter. »Die glauben noch, dass sie eine Frau nur in ihre Höhle schleppen müssen und dann ist für den Rest des Lebens der Drops gelutscht. Dass die Frauen sich längst einen Hinterausgang gegraben haben, kapieren sie erst, wenn es zu spät ist.«

»Ja okay, aber dann sollte man doch meinen, dass sie es beim nächsten Anlauf anders machen.«

»Wie naiv bist du denn?« Allison spürte förmlich, wie ihre beste Freundin ihr gerade durch das Telefon einen Vogel zeigte. »Schau dich doch in unserem Bekanntenkreis um. Kennst du da einen Mann, der sich um seine Partnerschaft bemüht?«

»Ja, kenne ich! Deinen Tom!«, warf sie ein.

»Ja das stimmt. Mit ihm habe ich wirklich den Jackpot gewonnen«, pflichtete Betty ihr sanftmütig bei. »Aber die Single-Männer? Was erzählen die so in Sachen Dates?«

»Ich weiß es nicht. Phil jammert immer, dass die Frauen ab einem gewissen Alter so wählerisch sind.«

»Und zu recht sind wir das! Frauen wie du geben ihre Ehe nicht leichtfertig auf. Sie kämpfen bis zum Umfallen. Und erst, wenn es gar keine Hoffnung mehr gibt, dann packen sie die Koffer. Warum sollten sich Frauen wie du noch einmal damit zufriedengeben, dass sie nicht richtig wahrgenommen werden? Ist es nicht viel schöner, einen Partner an deiner Seite zu wissen, der dich in dem unterstützt, was dich glücklich macht?«

»Ja, das wäre schön.« Allison seufzte ganz leise. Sie hatte wirklich alles gegeben, um ihre Ehe zu retten. Selbst nachdem Alex schon eine andere Frau kennengelernt hatte, drängte sie auf eine Eheberatung und eine Versöhnung. Und für ein paar Monate gelang dieses Kunststück auch, aber dann zerplatzte die Seifenblase, und die Situation wurde für Allison schlimmer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können. Sie schüttelte den Gedanken ab.

»Ally?«

»Oh, entschuldige ich war in Gedanken ganz woanders.«

»Ich wollte wissen, wie es jetzt weitergeht? Hast du die App schon gelöscht?«

»Nein, ich habe noch einen Mann auf der Match-Liste. Der sieht wirklich nett aus. Wenn er sich in den nächsten Tagen meldet und kein Reinfall ist, dann sehen wir weiter. Danach ist dann aber erstmal Schluss. Sag mal«, wechselte sie schnell das Thema, »wie läuft es eigentlich bei dir und Tom?«

Betty hatte vor knapp einem Jahr ganz oldschool in einem Pub einen Mann kennengelernt. Und so, wie sie es beschrieb, schien alles ganz wunderbar einfach zwischen den beiden.

»Es läuft toll«, schwärmte Betty. »Tom ist so ein Schatz, erst gestern hat er vorgeschlagen, dass ich mir etwas Besonderes wünschen soll, was wir zusammen machen können. Egal was. In der letzten Zeit war ich viel mit ihm zusammen auf dem Golfplatz, und er macht sich Sorgen, dass meine Interessen zu kurz kommen. Wenn das so weitergeht, bin ich in wenigen Monaten ein gefragter Caddy«, witzelte sie. »Er lässt dich übrigens grüßen und schlägt vor, dass wir uns an deinem nächsten kinderfreien Wochenende treffen können.«

»Tom verbringt wohl jede freie Minute auf dem Golfplatz, wenn das Wetter stimmt. Aber das ist eine schöne Idee. Ein bisschen Abwechslung kann ich brauchen, und auf einem Golfplatz war ich auch noch nie. Lass uns das gleich festhalten.« Allison war begeistert.

Sie plauderten noch eine Weile bevor Betty sagte: »Ich muss Schluss machen. Ruf mich an, wenn du mich brauchst, zu jeder Tages- und Nachtzeit.«

»Das mach ich, versprochen. Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch Ally«, sagte Betty, »bis bald, bye.«

Es klingelte an der Tür. Allison öffnete einem völlig verschwitzen Kind die Tür. Milla, ihre Tochter, kam aus der Primary School, unweit ihrer Wohnung. Der Schulranzen flog in hohem Bogen in die Ecke des Kinderzimmers, die Sandalen und der Turnbeutel folgten.

»Ich brauche erstmal ein Eis«, rief Milla und stürzte an den Tiefkühlschrank.

»Hey, hallo mein Schatz, wie war es in der Schule? Und wieso bist du so abgekämpft und verschwitzt?« Allison strich ihrer Tochter liebevoll über die braunen, zerzausten Haare. Den Pferdeschwanz, den sie ihr heute Morgen frisiert hatte, war nur noch ansatzweise zu erkennen, und über Millas Nase breiteten sich neben den vorwitzigen Sommersprossen nun auch kleine Schweißperlen aus.

»Oh, Mom, frag nicht.« Sie schaute ihre Mutter aus ihren großen Augen an. »Heute ist es doch ziemlich warm, und wir haben auf dem Schulhof noch Fangen gespielt. Außerdem bin ich den ganzen Weg nach Hause gerannt.«

Die Temperaturen in Schottland waren auch im Sommer nicht gerade tropisch, aber wenn man es nicht anders kannte, fühlte es sich eben warm an.

»Ach und Mom, ich hab mich heute mit Mia gestritten. Die war total gemein zu mir. Jetzt bin ich nicht mehr mit ihr befreundet«, plapperte Milla weiter, während sie schon an ihrem Eis schleckte. »Aber gleich gehe ich noch zu Rose. Kann ich mit meinem Fahrrad fahren?«

»Von mir aus kein Problem«, antwortete Allison, »Wenn du um sieben Uhr wieder zu Hause bist. Abendessen und duschen stehen noch …«

»Ooooch nööööö«, Milla zog die beiden Worte wie Kaugummi durch ihren Mund, »schon wieder duschen? Ich habe doch erst gestern geduscht.«

Allison schüttelte belustigt den Kopf. Ihre Kinder mussten in einem früheren Leben wasserscheue Kätzchen gewesen sein. Jonathan, ihr Großer, hatte bis zur Pubertät gebraucht, bis er freiwillig öfter als zweimal die Woche etwas mehr als eine Handvoll Wasser an sich heran ließ. Nun mit knapp zwanzig, war das zum Glück kein Thema mehr. Im Gegenteil. Oft musste Allison ihn aus dem kleinen Badezimmer vertreiben, das dann wie nach einem Großangriff der Deo-Industrie roch.

»Ich hoffe, dass deine wasserscheue Art sich irgendwann auswächst«, antwortete sie ihrer Tochter mit einem belustigten Unterton. Milla rollte mit den Augen und wünschte sich wohl insgeheim, dass ihre Mutter die ganze Sache mit der zeitverschwenderischen Duscherei bis zum Abend vergaß.

Nachdem Milla gegangen war, lehnte sich Allison an die offene Balkontür und atmete tief durch. Plötzlich brach eine ungewohnte Einsamkeit über sie herein. Sie fühlte die Last des Alleinseins und der alleinigen Verantwortung für sich und die Kinder. Ihre Augen fingen an zu brennen. Durch ihr Blinzeln hoffte sie noch, die Träne aufhalten zu können, die kurz danach auf ihre Wange tropfte.

***

Am nächsten Morgen verließ Allison nach den Kindern die Wohnung. Sie fuhr ohne große Umwege auf die M8 Richtung Glasgow zur Arbeit. An manchen Tagen hatte es der Berufsverkehr in sich und es war ein einziges Stop-and-Go, kaum dass man sich der Großstadt näherte. Zum Glück musste sie keinen Parkplatz suchen, denn ihr Arbeitgeber, die Bank of Scotland, hatte einen großen Platz angemietet, und vermietete die Stellplätze an die Angestellten weiter.

Allison steuerte ihren blauen Kleinwagen von der Dalmarnock Road durch eine Hofeinfahrt in die nächstbeste Parklücke und stieg aus.

»Hey, guten Morgen!« Lily kam auf sie zu. Sie war Allisons Kollegin und Freundin. Lily hatte die ganze Dramatik der Trennung von Alex hautnah miterlebt, beide Frauen arbeiteten zusammen in einem Büro in der Finanzabteilung der Bank. Das große Gebäude, in das sie nun eintraten, war ein reines Verwaltungsgebäude. Hier wurden keine Kundengeschäfte abgewickelt. In den sieben Etagen saßen neben der Personalverwaltung auch die Abteilung für die Materialbeschaffung, die Haustechniker, die EDV-Abteilung und die Abteilung, die sich um die Buchhaltung und die Finanzen der Bank selbst kümmerte.

»Morgen Lily«, grüßte Allison zurück und sah schon während die beiden auf den Fahrstuhl warteten im Augenwinkel, dass sie von ihrer Kollegin gemustert wurde. »Sag nichts, ich hatte gestern Abend eine Verabredung mit einer Jumbo-Box Taschentücher. Das Make-up kann nichts für meine Augenringe.«

»Ich sehe schon«, sie nickte aufmunternd, »wir machen uns jetzt erst mal eine schöne Tasse Kaffee und später, wenn die Chefs weg sind, erzählst du mir, was los ist.«

Sie fuhren mit dem Aufzug nach oben.

»Lily, es gibt eigentlich nichts zu erzählen. Gestern Abend habe ich mich nur einsam gefühlt. Das ist schon alles. Eigentlich wäre es mir am liebsten, du lenkst mich heute einfach ab«, bat Allison sie eindringlich.

»Okay, wie du willst. Wie viel Ablenkung darf es denn sein?«, fragte Lily, während sie ihr Büro betraten.

»Viel und egal was.« Allison ahnte schon, dass sie sich auf eine Menge Arbeit gefasst machen musste. Oben in ihrem Büro angekommen, eröffnete Lily ihr dann, dass sie beim Buchen der Rechnungen dringend Unterstützung brauchte. Sie würde sonst die Präsentation für ihren Chef nicht schaffen.

»Ist gut, schieb den Stapel komplett zu mir rüber. Ich gehe uns erstmal Kaffee machen, und dann legen wir los.« Ally verschwand in der Büroküche.

Mit Lily zusammen zu arbeiten funktionierte völlig problemlos. Die eine wusste genau, wann und wie die andere Unterstützung brauchte. Da waren nicht viele Worte nötig. Zumindest nicht was die Arbeit anging. Wenn sie privat miteinander telefonierten, war schnell mal eine Stunde rum. Lily und Allison teilten sich das Empfangszimmer, das zwischen den beiden Büros von Mr. Brandon, Lilys Chef, und Mr. McGinley, Allisons Chef, lag.

Mit zwei dampfenden Bechern Milchkaffee kam Allison zurück ins Büro. Der Stapel Rechnungen, den Lily ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte, war beträchtlich. Damit würde sie einige Stunden beschäftigt sein; wenn es gut lief. Aus allen Abteilungen wurden die Rechnungen der unzähligen Lieferanten im Büro der beiden Frauen zusammengetragen, geprüft und überwiesen. Jede Abteilung hatte jeweils ihr vereinbartes Budget für die jährlichen Ausgaben, das es einzuhalten galt. In einem so großen Betrieb war das schon eine Herausforderung.

Lily und Allison arbeiteten am Vormittag nahezu stillschweigend ihre Aufgaben ab. Hin und wieder rief ein Kollege an, um etwas nachzufragen oder um sich zu einem der beiden Herren durchstellen zu lassen.

Lily fluchte leise in sich hinein. »Diese verflixte Tabelle. Mit dem Ding stehe ich echt auf Kriegsfuß. Entweder lassen sich die Zahlen nicht da einfügen, wo sie hinsollen, oder das Layout macht, was es will. Wahrscheinlich bekomme ich von Brandon nachher wieder ordentlich mein Fett weg. Davor graut es mir jetzt schon. So ein Mist«, schimpfte sie leise vor sich hin.

Allison schaute zu ihr rüber.

»Er kann ja nicht deine ganze Arbeit schlechtmachen, wenn es immer nur um diese Präsentation geht.«

»Ally, du weißt doch, was für ein Perfektionist er ist. Ich muss alles, was da drinsteht, verstehen und die Zusammenhänge erkennen. Das betont er immer wieder.«

»Das ist doch absurd! An diesen Tabellen arbeiten doch so viele Spezialisten. Wenn du alle Zusammenhänge verstehen sollst, können wir uns entweder die Kollegen sparen oder du machst gleich seinen Job.«

»Niemals«, empörte sich Lily, »nicht für alles Geld der Welt wollte ich seinen Job haben.«

Chris, ein weiterer Kollege, betrat das Büro. »Na ihr zwei, habt ihr Post für mich oder die Auswertungen, auf die ich warte?« Er stutze. »Habt ihr schlechte Laune? Kennt man gar nicht von euch.«

»Nee, viel zu tun«, kam es wie aus einem Mund von den beiden.

»Okay, dann verziehe ich mich besser wieder.«

»Hm, Chris, warte mal«, rief Allison ihm hinterher. »Kannst du mal einen Blick auf Lilys Tabellen werfen? Da scheint was nicht zu stimmen. Und so langsam sehe ich kleine Rauchwölkchen über ihrem Kopf.«

»Klar, kein Problem.« Er grinste. Mit wenigen Handgriffen hatte er die Zahlen genau da eingefügt, wo sie hinsollten und Lily nebenbei noch ein paar Tipps gegeben. Die Tür war hinter dem Kollegen gerade ins Schloss gefallen, als Allisons Handy vibrierte. ›Paul schickt Ihnen eine neue Nachricht‹, verkündete die Dating-App.

Hi Allison, wie geht es dir? Ich war übers Wochenende mit meinen Kindern campen, da hatte ich kein Netz. LG Paul

Allisons Herz machte einen kleinen Satz. Paul war ein ausgesprochen attraktiver Mann, zumindest ließen die Bilder das erahnen. Auf einem Foto saß er entspannt am Meer vor malerischer Kulisse und lächelte sympathisch in die Kamera. Sein weißes Shirt unterstrich seinen braunen Teint. Er hatte grau melierte Haare, trug einen Kurzhaarschnitt, war schlank und schien an den richtigen Stellen muskulös zu sein. Auf einem anderen Bild war er mit einem ernsten Gesichtsausdruck zu sehen und die nächsten beiden Aufnahmen zeigten ihn anscheinend bei der Arbeit, denn er trug einen blauen Bauhelm auf dem Kopf.

Hey Paul, schön von dir zu lesen. Mir geht’s gut. Wünsche dir noch einen schönen Tag. LG Allison.

Mal sehen, was das gibt, dachte sie, und widmete sich wieder ihrer Arbeit.

Kurz nach halb eins lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und schaute zu Lily rüber. Die aber kämpfte noch immer mit ihrer Präsentation, was Allison langsam leidtat.

»Lily, machst du heute was mit Albert in der Mittagspause, oder sollen wir eine Runde im Park drehen?«

Albert war seit fünfzehn Jahren Lilys Lebensgefährte, ein Rechtsanwalt, der seine Kanzlei ebenfalls in Glasgow hatte. Die beiden wohnten in Motherwell, einige Kilometer außerhalb der Stadt, in einem kleinen Häuschen am Ortsrand. Sie hatten sich ein hübsches Heim geschaffen, in dem auch Allison immer ein gern gesehener Gast war.

»Albert wollte um dreizehn Uhr hier sein, aber weißt du was? Ich ruf ihn gleich an, und er kann uns von unterwegs Sandwiches besorgen. Dann gehen wir zusammen in den Park. Ein bisschen frische Luft tut ihm, bei seinen verstaubten Akten, auch mal ganz gut.«

***

Lily und Allison wollten die wenigen Meter bis zum Park laufen. Von der Dalmarnock Road bogen sie auf die James Street, die geradewegs zum Park an der Kreuzung zur The Green führte. Bei dem herrlichen Wetter in diesen Tagen wäre es eine Schande gewesen, die Mittagspause drinnen zu verbringen. Die vielen Menschen, die sich um diese Zeit mit oder ohne tierische Begleitung im Park tummelten, sahen das wohl ähnlich. Alle genossen die angenehme Mittagssonne Ende Juli. Albert winkte den beiden Frauen schon von Weitem zu. Er hatte drei Tüten in der Hand, die allesamt gleich aussahen. Lediglich auf einer stand ›scharf‹.

»Die gehört mir.« Allison deutete auf die Verpackung und begrüßte Albert mit einer herzlichen Umarmung.

Albert lachte sie an. »Sieht so aus. Hier, bitteschön, statt Blumen für die Damen.« Er drückte Allison und Lily jeweils eine Sandwichtüte in die Hand.

»Hast du mir jemals Blumen geschenkt?«, mischte sich Lily ein. »Ich kann mich nämlich nicht erinnern.«

»Albert, fünfzehn Jahre und kein Blumenstrauß, du solltest dich schämen«, tadelte Allison ihn, aber ihre Stimme troff vor Ironie.

»Ich habe kein schlechtes Gewissen, wir haben einen wunderschönen Garten, in dem ich in meiner Freizeit schuften muss. Wofür braucht meine Frau dann noch Blumen?« Albert schien sich keiner Schuld bewusst zu sein.

»Also wirklich, das ist die schlechteste Ausrede, die ich seit Langem von dir gehört habe. Das Einzige, was ich dir anrechne, ist, dass du immer mal wieder Lilys Schuhtick finanzierst.«

»Ja, das stimmt. Erst letzte Woche hat er mir diese lustigen blauen Pumps mit den weißen Punkten und der roten Schleife gekauft.« Lily wischte sich die Remoulade aus den Mundwinkeln und grinste Albert ausgelassen an.

»Wann müsst ihr den nächsten Schrank für deine Schuhe kaufen?«, wollte Allison wissen.

Ihre Freundin hatte schon mehrere große Kleiderschränke gekauft, die allesamt ausschließlich dazu dienten, die Vielzahl an außergewöhnlichem Schuhwerk zu verstauen. Lily liebte Pumps, besonders die mit einem schwindelerregend hohen Absatz. Sehr zu Alberts Freude, denn er liebte Lily in Pumps – mit genau diesen schwindelerregend hohen Absätzen.

»Allison ist seit einiger Zeit auf so einer Dating-App unterwegs. Habe ich dir schon davon erzählt?« Lily wandte sich an ihren Freund.

»Was? Dieser neumodische Kram? Wo sich Kids mit viel älteren Männern verabreden und dann Tage später völlig traumatisiert wieder nach Hause kommen, wenn überhaupt?«

»Jetzt übertreib mal nicht, Albert. Ja, ich habe auch davon gehört, und das ist wirklich schlimm, aber aus diesem Alter bin ich raus, denke ich.«

»Kann schon sein. Aber dass Kerle den Frauen das Blaue vom Himmel erzählen und selbst die intelligentesten Frauen darauf reinfallen, das gab es immer schon und das wird es immer geben.«

»Mein Mann, der Pessimist!«, mischte sich Lily ein.

»Nein, nein. Ist schon gut. Albert hat sicherlich recht. Ein bisschen Vorsicht ist nie verkehrt.«

»So und nicht anders hatte ich das auch gemeint.« Er nickte zufrieden. »Pass einfach ein bisschen auf dich auf, ja? Es gibt genug Blödmänner da draußen, die eine tolle Frau nicht zu schätzen wissen.«

»Verstanden. Mache ich.«

Lily erzählte Albert noch von ihrem nervenaufreibenden Kampf mit der Präsentation am Vormittag, und Albert brachte die beiden Frauen mit einer Anekdote über seine kleptomanische Klientin zum Lachen, die in einem unbeobachteten Moment versucht hatte, einige Akten in ihrer Handtasche verschwinden zu lassen. Die Mittagspause war schneller vorbei, als den Dreien lieb war. Lily und Allison verabschiedeten sich von Albert und gingen zurück. Lily musste zurück an den Schreibtisch, und Allison ging zu ihrem Wagen. Sie arbeitet immer nur bis mittags. Obwohl sie bei Mr. McGinley um die Möglichkeit gebeten hatte, mehr Arbeitszeit zu bekommen, konnte dieser ihr keine Hoffnung machen.

Allison winkte Lily zum Abschied. »Bis morgen. Und lass dich nicht so viel ärgern«, rief sie ihr noch zu.

»Ja, bis morgen«, sagte Lily. »Und ruh dich etwas aus, du hast heute wirklich furchtbar ausgesehen.«

»Immer wieder reizend, deine Komplimente.« Allison warf Lily eine Kusshand zu und anschließend noch einen kurzen Blick auf ihr Handy. Dann startete sie den Motor und fuhr zurück nach Bathgate.

Sie machte einen Abstecher zum Supermarkt in der Easton Road, um den heimischen Kühlschrank zu füllen, bevor Milla nachmittags aus der Schule und Jonathan abends von seiner Arbeit nach Hause kam.

Johnny machte eine Ausbildung zum Kaufmann in Livingston bei einem Autoteile-Zulieferer. In einem Jahr würde er fertig sein und dann wollte er studieren. Universitäten gab es genug in der Gegend. So konnte er zu Hause wohnen bleiben und würde sich die Kosten für eine eigene Wohnung sparen, auch wenn er sehr gerne auf eigenen Füßen stehen wollte. Aber das Leben war teuer und letztlich war ihm die Unabhängigkeit mit einem eigenen Auto lieber, als Miete zu bezahlen.

»Du wirst dir aber einen Job für die Semesterferien suchen müssen. Alles kann ich dir nicht bezahlen. Kost und Logis hast du hier frei, für alles andere musst du selbst aufkommen«, hatte Allison ihm gesagt. Bis dahin war noch ein Jahr Zeit. Er würde sich schon was überlegen, da war sie sich sicher.

An der Supermarktkasse hatte sich eine lange Schlange gebildet. Es war Mittagszeit. Viele Kunden hatten nur eine Kleinigkeit in der Hand oder im Einkaufswagen. Der Kassiervorgang dauerte länger als das Einscannen eines vollgepackten Kassenbandes. Und wenn nun liebenswürdige ältere Herrschaften auch noch jeden einzelnen Penny in den unendlichen Tiefen ihrer Geldbörse suchten, konnte es eben noch länger dauern. Allison atmete tief durch und kramte ihr Handy aus der Handtasche.

›Paul hat Ihnen eine Nachricht geschickt‹, verkündete das Smartphone.

Hey, wie wäre es, wenn wir von dieser Dating-Plattform hier auf die normalen Handynachrichten wechseln? Deine Nachrichten laufen bei mir immer mit einer großen Zeitverzögerung auf. Ich würde dir aber unheimlich gerne sofort antworten. Ich hoffe, das ist jetzt nicht zu aufdringlich. LG Paul

Allison lächelte vor sich hin und vergaß dabei völlig, ihren Einkaufswagen weiter Richtung Kasse zu schieben. Die Lücke, die sich zwischen ihr und dem Kunden vor ihr auftat, war schon erheblich. Der Kunde hinter ihr räusperte sich lautstark. »Uups«, sagte sie überrascht und schloss nach vorne auf. Um Paul zu antworten hatte sie keine Zeit mehr, das wollte sie später erledigen.

Zuhause angekommen parkte sie ihren Wagen in der Garage im Hinterhof, packte ihre Einkäufe, ging in ihre Wohnung und verstaute alles im Kühlschrank und im Vorratsregal. Dann machte sie sich eine Tasse Kaffee, nahm ihr Handy und setzte sich auf das alte Sofa, das auf dem kleinen Balkon einen würdigen Altersruhesitz gefunden hatte. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und es war angenehm warm. Ein herrlicher Sommertag. Allison öffnete die App und las noch einmal Pauls Nachricht. Eigentlich war sie ja nicht so schnell im Herausgeben ihrer Telefonnummer. Aber Paul war ihr auf unerklärliche Weise viel zu sympathisch. Da wollte sie sich nicht mit solchen Kleinigkeiten aufhalten.

Hallo Paul, ja das können wir machen. Mir ist auch schon aufgefallen, dass die Nachrichten verzögert eintreffen und dass mein Handy spontan selbst entscheidet, ob es einen Ton abgeben möchte oder nicht. Meine Nummer ist …

Sie gab ihre Handynummer ein und drückte auf >senden<.

Na, dann schauen wir mal, was passiert, dachte sie, während sie genießerisch an ihrem Kaffee nippte und sich entspannt zurücklehnte. Prompt erhielt sie eine Nachricht per WhatsApp:

Hallo Allison! Vielen Dank für dein Vertrauen. Lieben Gruß, Paul Guthrie

Hey Paul … kein Problem. Sorry, wenn ich so aufdringlich nachfrage: Finde ich dich auch bei Facebook?

Du, das ist kein Problem. Irgendwie will man ja wissen, mit wem man es zu tun hat. Ja, Facebook habe ich. Soll ich dir ne Anfrage schicken? … Ah du warst schneller … Auf den Bildern in groß siehst du ja noch hübscher aus.

Dankeschön

Allison lief rot an. Zu lange hatte sie keine Komplimente mehr von einem Mann bekommen. Trotzdem war sie misstrauisch.

Hast du schon Feierabend?, wollte Paul wissen.

Ja, ich arbeite nur bis mittags.

Bis mittags? Hast du Kinder?

Ja, meine Tochter ist acht, und mein Sohn ist zwanzig. Und du?

Ich habe zwei Töchter, Sandra ist vierzehn und Christin drei. Das ist ja schön. Ich mag Kinder.

Allison griff nach ihrer Kaffeetasse. Mit jeder weiteren Nachricht schmolz ihre Skepsis dahin wie Schnee in der warmen Juli-Sonne.

Was machst du denn beruflich?

Ich arbeite in Glasgow bei einer Bank in der Finanzabteilung.

Oh, okay, macht dir die Arbeit Spaß?

Die Tür flog auf und fiel anschließend krachend ins Schloss. Milla kam mal wieder aus der Schule.

»Hey Mom.«

»Hallo mein Schatz«, Allison küsste ihre Tochter zur Begrüßung und umarmte sie. Bald waren Sommerferien und Allison hatte sich zwei Wochen frei genommen. Auch wenn sie nicht in den Urlaub fuhren, wollten sie beide ein paar freie Tage zusammen genießen.

Paul, entschuldige, ich kann jetzt nicht mehr. Milla ist gerade nach Hause gekommen, melde mich später.

Kein Problem. Bis später. Ich freue mich.

Milla hatte großen Hunger, und so machte Allison ihr ein verfrühtes Abendessen und hörte zu, was in der Schule heute los gewesen war. Irgendein Lehrer war wieder doof gewesen, irgendjemand hatte irgendjemand anderen gemein behandelt. Es gab Streitereien, blöde Hausaufgaben und ein Mittagessen. »Das war voll eklig«, befand Milla.

»Dann war ja alles wie immer.« Allison lachte gut gelaunt. »Und was hast du gleich noch vor?«

»Die anderen aus dem Haus spielen im Hof Fußball. Da gehe ich gleich mal hin.«

Nach dem kleinen Plausch war Milla dann auch bis zur Bettgehzeit draußen verschwunden.

Allison erledigte ihre Hausarbeit und machte es sich später am Abend mit einem Buch gemütlich. Sie liebte Liebesromane. Die Stunden oder auch manchmal Tage, die sie durch diese Bücher in der Welt der großen Gefühle verbrachte, waren ein Genuss für sie. Und selbst wenn es mal kein Happy End gab, so war das Mitfiebern und Mitfühlen mit den Heldinnen und Helden mehr als nur ein Zeitvertreib für sie.

Guten Morgen, Allison. Ich hoffe, du hast gut geschlafen.

Liebe Grüße und einen entspannten Tag.

Sie saß am nächsten Vormittag bereits im Büro an ihrem Schreibtisch, als seine Nachricht bei ihr einging.

Guten Morgen Paul. Schon fleißig? Wünsche dir auch einen schönen Tag

Ich mache mich jetzt gleich auf den Weg. Wollen wir später mal telefonieren?

Ja gerne. Am späten Nachmittag vielleicht? Dann bin ich zu Hause. Ruf mich einfach an. Bis dann.

Lily schaute skeptisch zu Allison hinüber. »Gibt’s was Neues? Du grinst so komisch.«

»Er heißt Paul«, gestand sie. »Ich habe ihn vor einigen Tagen auf diesem Dating-Portal gefunden. Er scheint ganz nett zu sein. Heute Nachmittag wollen wir telefonieren.«

Lily zog die Augenbrauen nach oben. »Aha«, machte sie misstrauisch. »Gibt es Fotos von deinem neuen Helden?« Das letzte Wort sprach sie sarkastisch aus. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie von dem neumodischen Kram nichts hielt. »Man muss nicht jeden Quatsch aus dem Internet mitmachen«, pflegte sie zu sagen. Damit hatte sie sicherlich nicht ganz unrecht. Nun aber beugte sie sich doch neugierig über ihren Schreibtisch, um auf Allisons Handy zu spähen.

»Und, was denkst du?«, fragte Ally, als sie das Smartphone so drehte, dass Lily Pauls Bild sehen konnte.

»Ja«, gab sie zu, »sieht ganz nett aus.« Sie ließ sich wieder auf ihren Bürostuhl fallen. »Dann bin ich ja mal gespannt«, meinte sie noch, bevor sie sich ihrer Arbeit widmete.

»Ich auch!« Allison konnte Lilys Misstrauen verstehen. Schließlich war ihr auch nicht wirklich wohl dabei, einen wildfremden Mann irgendwo zu treffen. Wenn, sollte es an einem öffentlichen Ort sein und bis dahin wollte sie auch nicht zu viel von sich preisgeben. Ein Stalker hätte ihr gerade noch gefehlt.

Am Nachmittag zu Hause angekommen, war Allison zu nervös, um sich ein Mittagessen zu machen. Deshalb beschloss sie, Paul direkt eine Nachricht zu schicken, wann er denn Zeit habe zu telefonieren. Kaum fünf Minuten später klingelte das Handy.

»Hey, da bin ich«, meldet er sich gut gelaunt. Seine Stimme war tief und sehr männlich, jedes Wort vibrierte in Ally vom Ohr bis zum kleinen Zeh.

Sie ließ sich nichts anmerken und antwortete mit fester Stimme: »Hi, das ist ja schön, dass das so schnell geklappt hat. Kannst du dich ein paar Minuten von deiner Arbeit losreißen?«

»Ja, das ist kein Problem. Ich bin ja quasi der Chef hier. Soll mal einer meckern, wenn ich mit einer hübschen Frau telefoniere.«

Allison gluckste fröhlich. »Wie jetzt? Chef oder quasi Chef, wo ist da der Unterschied? Und von was?«

Paul erzählte ihr, dass er zusammen mit einem Freund vor einigen Jahren eine Baufirma gegründet hatte. In den letzten Jahren war der Betrieb stetig gewachsen, was nicht nur viel Arbeit, sondern auch eine Menge Verantwortung bedeutete, ganz besonders der stetig wachsenden Mitarbeiterzahl gegenüber. Paul war für die Zeichnungen und die Umsetzungen vor Ort zuständig, sein Kompagnon Lewis für neue Aufträge, das Personal und die Abwicklung hinterher.

»Und wo sind eure Baustellen? In der näheren Umgebung oder auch außerhalb?«, fragte Allison neugierig.

»Oh, wir sind in ganz Großbritannien unterwegs, etwas seltener auch in Frankreich.«

»Wow, das hört sich toll an. Wie machst du das mit deinen Kindern, wenn du so viel unterwegs bist?«

»Ich nehme mir Zeit wann immer es irgendwie geht. Sie kennen es aber auch nicht anders. Ich war immer viel unterwegs. Früher manchmal monatelang. Wenn ich die Kleine sehen wollte, dann musste meine Frau mir hinterher reisen. Damals war die Große noch klein.«

»Okay, verstehe. Hat die viele Arbeit eure Ehe kaputt gemacht?« Allison hatte nicht über die Frage nachgedacht. Die Vertrautheit, die sie spürte war sehr angenehm. Paul ging es wohl ähnlich. Er zögerte keine Sekunde mit der Antwort.

»Das mag auch eine Rolle gespielt haben. Janice, also meine Ex-Frau, hat immer wieder mit Depressionen zu tun. Und wenn man auch noch so viel unterwegs ist wie ich, führt das zwangsweise zu Problemen. Wie war das bei dir? Warum ist deine Ehe in die Brüche gegangen?«, wollte er wissen.

»Ja, du hast es im Grunde genommen gerade selbst erzählt.« Allison fasste in kurzen Zügen ihre Erfahrungen mit Depressionen beim Partner zusammen und dass sie irgendwann an dem Punkt angekommen war, wo es nur noch darum ging, sich die alles entscheidende Frage zu stellen: »Gehe ich das gemeinsame Leben weiter oder möchte ich von vorne anfangen und wähle ein anderes?«, schloss sie ihre Ausführungen.

»Genau so habe ich das auch empfunden«, pflichtete Paul ihr bei. »Wobei Janice und ich zuerst noch geglaubt haben, dass wir noch einmal die Kurve kriegen, wenn ich ausziehe, also nur eine räumliche Distanz schaffe.« Er machte eine kurze Pause. »Aber … das ist ja ein Ding. Wir finden uns durch Zufall auf so einer Internetseite, und dann gibt es da solche Parallelen? Es ist fast unglaublich.«

»Ich glaube nicht an Zufälle. Das habe ich noch nie«, warf Allison zaghaft ein.

»Ja, du hast recht. Alles ist wahrscheinlich irgendwie vorherbestimmt.«

»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ich glaube das sprengt jetzt den Rahmen. Immerhin telefonieren wir gerade zum ersten Mal.«

»Echt? Ja stimmt. Es kommt mir gar nicht so vor.« Paul lachte und dieses tiefe, sympathische Lachen machte Allison auf angenehme Weise nervös. Sie spürte nach langer Zeit wieder einen kleinen Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch erwachen. »Ich muss auch tatsächlich noch etwas arbeiten. Es hat mich echt gefreut, mit dir zu telefonieren. Das können wir gerne bald wieder machen.«

»Ja, sehr gerne. Mich hat es auch gefreut. Dann mal noch viel Spaß beim Arbeiten«, wünschte sie ihm mit einem ironischen Unterton in der Stimme. »Ich setze mich jetzt gemütlich in die Sonne und trinke eine Tasse Kaffee.«

»Na toll, mach mir noch die Nase lang«, stichelte Paul zurück und konnte dabei ein Lachen nicht unterdrücken. »Es sei dir gegönnt«, lenkte er ein. »Ich hole mir jetzt auch eine Tasse Kaffee … in der Büroküche. Allerdings würde ich viel lieber bei dir in der Sonne sitzen.«

»Das machen wir dann ein anderes Mal. Geh arbeiten! Bye Paul«, lachte Ally ins Telefon und Paul sagte ebenfalls fröhlich lachend »bye«.

***

Die folgenden Tage schickten sich die beiden immer mal wieder Nachrichten und verabredeten sich nachmittags zu einem längeren Telefonat.

»Hi Allison. Da bin ich.«

»Hi, na heute scheint es in deinem Job nicht wirklich reibungslos zu laufen?« Bereits morgens hatte er Allison in einigen Nachrichten davon berichtet, wie an diesem Tag alles aus dem Ruder lief.

»Ach hör auf, heute ist es zum Weglaufen. So ein Durcheinander hatte ich schon lange nicht mehr.«

»Woran liegt’s?«, wollte sie ehrlich interessiert wissen.

»Der Kunde hat mir die komplett falschen Maße durchgegeben. Das gibt der Rohbau überhaupt nicht her. Jetzt kann ich alles nochmal neu zeichnen und den Endtermin nicht einhalten.«

»Oh, ist dann eine Strafe für euch fällig?«

»Nicht in diesem Fall. Das hat der Kunde sich selbst zu zuschreiben und zum Glück kann ich das alles auch mit dem Mailverkehr belegen. Aber lass uns von etwas anderem reden …« Er legte eine kurze Pause ein. »Sag, sollen wir uns bald mal treffen?«

Allison lächelte. Oh ja – – unbedingt! Sie war entsetzlich neugierig. Seit Tagen fragte sie sich: Wie er denn wohl aussehen würde? Wie war seine Mimik, seine Gestik, sah er wirklich so gut aus wie auf den Fotos? Mit all dem, wie sie Paul in den letzten Tagen über die Telefonate und die Kurznachrichten kennengelernt hatte, loderte in Allison ohnehin bereits ein kleines Feuer.

»Was hast du dir denn vorgestellt?«, zwang sie sich ihre Gedanken zu unterbrechen und schob sich eine widerspenstige blonde Strähne hinters Ohr.

»Also ich habe mal nachgesehen und dachte ich komme irgendwie zu dir nach Bathgate, ich brauche ungefähr fünfundvierzig Minuten. Wir können uns ja in einem Café treffen?«

»Das klingt gut. Und wann?«, sie ging kurz die Termine der Woche in ihrem Kopf durch.

»Sag du. Ich kann es mir in den nächsten Tagen einteilen.«

»Okay, dann nehme ich den Donnerstag. Da ist Milla ausnahmsweise unter der Woche bei ihrem Vater.«

»Das klingt gut. Also Donnerstag. Und wo?«

»In der Hopetoun Street gibt es ein Café beziehungsweise eine Cocktailbar namens Yolo. Die haben ab mittags geöffnet. Ich würde vorschlagen so um fünfzehn Uhr?«

»Ja, das passt. Dann sehen wir uns ja schon übermorgen! Ich freue mich wirklich sehr«, sagte Paul gut gelaunt. Allison hatte den Eindruck, dass Paul, ebenso wie sie, dem Treffen entgegenfieberte.

»Ich freue mich auch«, antwortete sie etwas verhaltener. Sie wollte sich die Euphorie nicht zu sehr anmerken lassen.

»Leider muss ich jetzt ein bisschen weiterarbeiten, damit ich am Donnerstag nicht zu spät zu meinem Date komme.«

»Du hast ein Date? Sag bloß?« Allison zog ihn belustigt auf. »Wie hast du denn auf einmal eine Frau aus dem Ärmel gezaubert?«

Paul lachte kehlig und ging auf ihren Scherz ein: »Du, ich habe mich vor kurzem auf so einer Dating-App angemeldet. Da habe ich sie kennengelernt. Wir haben schon oft miteinander telefoniert. Sie scheint ganz nett zu sein. Jetzt will sie sich mit mir treffen. Man mag es kaum glauben.«

»So was aber auch. Hat sie dich etwa gefragt, ob ihr euch treffen könnt? So ein Luder!«

»Nein, nein, das mit dem Date war meine Idee. Ich dachte ich könnte es riskieren, ohne gleich überfallen zu werden.«

Allison lachte amüsiert auf. »Na, von der Frau musst du mir dann erzählen … wenn du das Date überlebst.«

»Ja, wenn«, Paul lachte aus vollem Hals. »Aber ich bin da ganz guter Dinge.«

»Na dann. Machs gut Paul und träum’ nicht so viel von deinem Date. Sonst gibt das heute nichts mehr mit deinen Zeichnungen«, mahnte Ally übertrieben tadelnd.

»Ich bemühe mich, bye Allison, es war wieder schön mit dir zu sprechen.«

»Das fand ich auch. Bye.«

Allison lächelte, während sie in Gedanken schon ihrer Zeit voraus war. Am Donnerstag also würde sie Paul endlich treffen. Ach du lieber Himmel, das ist ja schon übermorgen, dachte sie. In ihrem Kopf begannen sich die kleinen Rädchen der Perfektionistin zu drehen. Maniküre, Pediküre, Haare waschen und überhaupt, was sollte sie anziehen? In Lichtgeschwindigkeit ging sie die ganze Garderobe in ihrem Kleiderschrank durch, obwohl sie ganz genau wusste, dass sie sich innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden noch gefühlte hundertfünfzig Mal umentscheiden würde. Sie zuckte mit den Schultern und drehte die Musik auf. Heute war ein absolut guter Tag!

***

Donnerstags, kurz nach Mittag machte Allison Feierabend und hatte es diesmal besonders eilig aus Glasgow rauszukommen. Sie hatte sich morgens nur mit großer Mühe auf ihre Arbeit konzentrieren können. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu Pauls Fotos ab. Wenn der Mann nur halb so gut aussieht wie auf den Bildern, dann bin ich verloren, hatte sie so leise vor sich hin geseufzt, dass Lily es nicht hatte hören können. Nun sah sie zu, dass sie zügig über die M8 nach Hause kam. Ein bisschen Aufhübschen hatte schließlich noch keinem ersten Date geschadet. Zu Hause angekommen, sprang sie schnell unter die Dusche und genoss den entspannenden Strahl des heißen Wassers. Anschließend cremte sie sich sorgfältig ein und trocknete sich die dunkelblonden langen Haare. Ein leichtes Tages-Make-up, Perlenohrringe, eine hellblaue Jeans, ein weißes T-Shirt mit einem großzügigen Sternenaufdruck und dunkelblaue Flipflops, die ihre knallrot lackierten Fußnägel in Szene setzten, rundeten das Gesamterscheinungsbild ab. Allison trat vor den Spiegel und war sichtlich zufrieden mit sich.

Dann wollen wir mal, sagte sie ermutigend zu sich selbst und atmete noch einmal tief durch, bevor

sie die Wohnung verließ.

Sie hatte Paul natürlich nicht erzählt, dass sie nur ein paar Meter zu Fuß bis zu ihrem Treffpunkt hatte. Soviel wollte sie nicht von sich Preis geben. Immerhin konnte er sich ja noch als Spinner entpuppen.

Allison ging die Livery Street hinunter, an der

St. Mary’s Kirche vorbei und hatte einige Meter weiter die Ecke zur Hopetoun Street erreicht. Ihr Handy signalisierte ihr den Eingang einer Kurznachricht.

Hey, ich bin gleich da!, schrieb er.

Allison überquerte die Hopetoun Street und hatte wenige Meter später den Eingang des Yolo fast erreicht, als sie hinter sich die vertraute Stimme aus den Telefonaten hörte.

»Wohin denn so eilig, schöne Frau?«

Allison wirbelte herum und stand direkt vor ihm. Zwei strahlende graue Augen sahen sie neugierig an. Ein Lächeln – nein – das Lächeln von den Fotos, umspielte seine Lippen und wurde zu einem freudigen, leicht nervösen Lachen.

»Hallo Paul.«

Sie umarmten sich. Es war, als würden sie sich schon ewig kennen. Seine langen Arme umfassten Allison, seine breiten Schultern hielten sie für einen kurzen Moment geborgen. Sie atmete zum ersten Mal seinen Duft ein. Herb und würzig. In ihrem Bauch fing es an zu kribbeln.

»Was machst du hier?«, fragte Allison, als sie sich widerstrebend aus der Umarmung löste. Sie zwinkerte Paul verschwörerisch zu. »Ich dachte, du hättest ein Date mit einer schönen Unbekannten.«

Paul grinste und spielte mit. »Die«, winkte er lässig ab, »die ist nicht gekommen.«