Liebe nach Projektplan - Hilca Stiehn - E-Book

Liebe nach Projektplan E-Book

Hilca Stiehn

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Beschreibung

Alina ist von der Niederlassung ihrer Firma aus Hannover wieder zurück nach Hamburg gewechselt, weil sie dort als Projektassistenz bei einem sehr wichtigen Projekt mitarbeiten soll. Sie hat schon mit vielen eigenwilligen Projektleitern zusammengearbeitet, aber sowas wie Lukas Eisler, hinter vorgehaltener Hand auch Iceman genannt, ist ihr bis jetzt noch nicht untergekommen. Und dabei sieht er wirklich zum Anbeißen lecker aus! Aber dieser Mann ist im wahrsten Sinne des Wortes eiskalt, kennt nur dienstliche Interessen und haut nebenbei Arbeitsaufträge im Sekundentakt raus. Da muss man es fast schon als Riesenfortschritt werten, dass er ihr nach drei Tagen immerhin das Du anbietet! Nach einem überstundenreichen Arbeitstag sieht er sich dazu gezwungen, Alina zum Essen einzuladen. Ob ihm dabei doch mal ein privates Wörtchen über die Lippen kommt?

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Liebe nach Projektplan

Wieder in HamburgRuhe vor dem SturmEin letztes ruhiges WochenendeKick-OffIcemanArbeitsalltagNoch mehr ÜberstundenSpannende EinblickeKeine VerschnaufpauseFriesenteeNordseeluftBauernhof XXLNoch mehr NordfriesenVon Fetingen, Peseln und Tote TantenZurück zum AlltagMännerspielchenDas Problem Fingernagel!Happy birthday!Scheiß auf Prinzipien!DurststreckeJa, nein, vielleichtEin traumhaftes WochenendeWeitere neue IdeenWieder im BüroAcht Monate späterNachwortImpressum

Wieder in Hamburg

Alina holte ein Teil nach dem anderen aus einem Karton, der als Büroerstausstattung auf ihrem neuen Schreibtisch stand, und entschied, wo sie damit hin wollte. Sie hatte gerade vor einer halben Stunde ihren neuen Arbeitsplatz in der Niederlassung in Hamburg angetreten und hatte sich bis eben mit ihrer Kollegin Tina unterhalten. Diese hatte jetzt aber einen Telefonanruf erhalten und besprach sich angestrengt mit einem Kollegen, während sie gleichzeitig auf ihrem PC etwas raussuchte und konzentriert auf ihren Monitor starrte. 

Ein dicker Zettelklotz, Post-its, ein Locher, Tacker, mehrere leere Blöcke und unterschiedliche Stifte, dazu noch ein Mousepad und zwei leere Ordner befanden sich in dem Karton. Alina räumte die Sachen erstmal in ihren momentan noch leeren Rollcontainer, den Zettelklotz und zwei Kugelschreiber deponierte sie neben dem Telefonapparat, der links neben zwei großen Monitoren auf ihrem Schreibtisch stand. 

Tina hatte ihr mitgeteilt, dass heute im Laufe des Vormittag auch jemand von der IT-Abteilung vorbeikommen wollte und sie ein Laptop inklusive Dockingstation, ein Tablet und ihr Diensthandy erhalten würde. 

Alina hatte schon mal hier in der Niederlassung in Hamburg gearbeitet, hatte aber die letzten drei Jahre in Hannover gearbeitet und gewohnt. Vor drei Wochen hatte sie sich dann ziemlich kurzfristig und spontan dazu entschlossen, wieder zurück nach Hamburg zu wechseln. Sie hatte zwar schon seit längerer Zeit immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, aber nie ernsthaft die internen Stellenanzeigen dazu studiert. Aber dann war ihr Chef auf sie zugekommen und hatte sie zu einem Gespräch in sein Büro gebeten. Ein ziemlich wichtiges und großes Projekt, was hier von Hamburg aus koordiniert wurde, war in den letzten Monaten total aus dem Ruder und in die komplett falsche Richtung gelaufen und es wurden gerade die besten Projektleiter und eine neue Truppe zusammengestellt, die jetzt die Retter in der Not spielen sollten. 

Alina hatte sich in den letzten paar Jahren einen sehr guten Ruf als sehr fähige Projektassistenz erarbeitet und da ihr Chef von ihrem Rückkehrwunsch nach Hamburg wusste, hatte er ihren Namen einfach mal mit in den Topf für die Zusammenstellung der neuen Projekttruppe geworfen. 

Sie hatte zuerst gezögert, weil alles ziemlich Hals über Kopf losgehen musste und sie sich somit sofort um eine neue Wohnung in Hamburg, den Umzug und alles Mögliche kümmern musste. Ihr Chef hatte sie allerdings mit einer monetären Unterstützung und einer Gehaltserhöhung geködert, da sie ja so schnell gar nicht aus ihrem Mietverhältnis in Hannover rauskam und somit sonst eine mindestens dreimonatige Doppelbelastung zu tragen hätte. 

Sie hatte sich eine Nacht Bedenkzeit aus erbeten und am nächsten Tag dann zugesagt. 

Eigentlich hielt sie sowieso schon seit mehreren Monaten nichts mehr in Hannover. Die Stadt war ihr in den drei Jahren nicht ans Herz gewachsen. Sie war damals lediglich dort hingezogen, weil ihr Freund Sven dort lebte und arbeitete und im ersten frischen Liebestaumel erschien das die perfekte Idee. Allerdings hatte sich bereits nach kurzer Zeit des Zusammenlebens ein ziemlich langweiliger Alltag breit gemacht und sie hatte an Sven jede Menge nicht so schöne Seiten kennengelernt. Trotzdem waren sie bis vor einem halben Jahr ein Paar gewesen, aber als seine Eltern anfingen von Hochzeit zu reden, war Alina ziemlich deutlich geworden, dass Sven keinesfalls ihr Mann für ihre weitere Zukunft war und sie hatte ihre Konsequenzen gezogen. 

Im Nachhinein betrachtet hätte sie sich auch schon deutlich früher von ihm trennen können, aber es war wahrscheinlich zum Teil Faulheit gewesen und zum anderen auch das frühzeitige Eingestehen, dass diese Beziehung irgendwie gescheitert war. 

Tina legte den Hörer auf und notierte sich noch kurz was auf einem Block. „So, meine Liebe, komm, jetzt mache ich mit dir erstmal einen Rundgang durch die Büros hier auf dem Gang. Damit du weißt, wo die Toiletten, die Teeküche und wo deine zukünftigen Kollegen sitzen werden.“ Sie stand schwungvoll auf und grinste Alina fröhlich an. 

„Alles klar, dann mal los! Wobei, ein bisschen kenne ich die Örtlichkeiten hier ja noch von früher. Aber da habe ich ja in dem anderen Gebäudeteil gesessen und war nur selten hier.“

Sie verließen das gemeinsame Büro und Tina stellte sie weiteren Kolleginnen und Kollegen vor, die in den Büros nebenan saßen. Die ganzen Namen konnte sich Alina natürlich nicht alle merken, aber ein paar erste freundliche Worte wurden schon mal gewechselt. Allerdings hatte sie mit diesen ganzen Leuten zukünftig eher weniger zu tun, weil sie ja in ihrem Projekt eingesetzt war und diese hier die normalen Mitarbeiter der Personal- und Planungsabteilung waren. Aber in diesem Bürotrakt waren halt die Büro- und Projekträume mit untergebracht. 

„So, hier hast du schon mal einen deiner richtigen zukünftigen Kollegen. Das ist Nils Koslowski, und Nils, das hier ist eure neue Projektassistenz Alina Kruse.“

„Moin“, begrüßte er sie freundlich und offen lächelnd, stand von seinem Bürostuhl auf, und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. „Freut mich dich kennenzulernen. Ich darf doch du sagen, oder?“

„Ja klar. Hi, freut mich auch. Welchen Bereich wirst du denn machen?“

„Ich werde die Teilprojektleitung für die IT Einführung machen. Grundsätzlich ist der Bereich ja am unkritischsten, weil wir nur auf die endgültige Ausrichtung und das Go warten. Ich hatte bis jetzt noch nichts mit dem Thema zu tun, aber alle vorherigen eingesetzten people sind ja komplett ausgetauscht worden. Der Kollege, der das vorher gemacht hat, war ziemlich jung und hat sich wohl nicht so straight durchsetzen können. Aber ich habe mich schon mal ein bisschen eingelesen und sehe da grundsätzlich keine Probleme von meiner Seite. Wir beide werden auf jeden Fall auch ein bisschen miteinander zu tun haben, aber hauptsächlich bist du bei der Gesamtprojektleitung ausgehangen, stimmt’s?“

Alina schmunzelte. Nils schien ein typischer Projektleiter zu sein, der gerne englische Worte in seine Erzählungen mit einfließen ließ. Wenn man in den Projektsitzungen ständig mit englischen Bezeichnungen oder irgendwelchen Abkürzungen zu tun hatte, war das irgendwann völlig normal, dass man es auch im normalen Sprachgebrauch verwendete. „Ja, genau. Ich bin auf jeden Fall gespannt.“

„Und du bist aus Hannover, hab ich gehört?“ fragte er weiter neugierig nach.

„Ja, wobei ich grundsätzlich vorher schon mal hier in Hamburg gearbeitet habe, aber die letzten drei Jahre jetzt in Hannover gewohnt und auch in der Niederlassung dort gearbeitet habe. War ein bisschen kurzfristig mit dem Wechseln hierher, aber warum nicht.“

„Spannend. Ich finde sowas ja gut, wenn man etwas spontan ist. Vielleicht können wir ja mal zusammen zum Mittag gehen, dann können wir nochmal plaudern. Ich muss jetzt leider zu einem Termin. Dann leb dich hier mal gut ein und man sieht sich die Tage bestimmt.“

„Alles klar. Bis bald Nils. Vielleicht komme ich schon mal bei dir vorbei und lasse mir von dir erzählen, wie die IT so darsteht in Bezug auf unser Projekt.“

„Ja, total gerne. Guck einfach in meinen Kalender, wann ich Zeit habe“, sagte er erfreut und zwinkerte ihr zu.

„Wenn ich denn über einen Rechner verfüge, werde ich das machen.“

Sie verließ mit Tina zusammen das Büro und ging über den Gang in Richtung ihres gemeinsamen Büros. 

„Der ist ja total sympathisch.“

„Das stimmt. Nils ist super entspannt und ein Typ zum Pferde stehlen. Bisschen zu alt für dich oder stehst du auf reifere Männer?“ neckte Tina sie und zwinkerte ihr vergnügt zu.

„Hallo! Ich finde ihn als Kollegen sympathisch. Es ist ja immer schön, wenn man mit netten Leuten zusammen im Projekt arbeitet und nicht nur absolute Stinkstiefel dabei sind. Wie alt ist der? Doch bestimmt Mitte vierzig, oder?“

„Ja, ich glaube das kommt hin. So genau weiß ich das nicht. Aber er ist ja trotzdem ganz schnuckelig. Hier ist übrigens der Postverteiler und der Druckerraum. Wenn du deinen Rechner bekommen hast, dann musst du dir den Drucker einrichten und dich hier noch einmal am Gerät registrieren. Aber das können wir dann zusammen machen, wenn du deinen Computer hast.“

„Ja super, alles klar.“

Sie schlenderten weiter durch die Gänge und kamen dann wieder in ihrem gemeinsamen Büro an. Mit Tina hatte sie schon von Hannover aus immer mal dienstlich was zu tun gehabt und von daher kannten sie sich schon seit einiger Zeit. Sie hatten in den letzten zwei Jahren sogar ziemlich viel zusammen zu tun gehabt und hatten regelmäßig telefoniert, gechattet und Videokonferenzen miteinander gehabt. Als vor zwei Wochen klar gewesen war, dass sie beide sogar zusammen in einem Zimmer sitzen würden, hatten sie sich richtig gefreut.

Die letzten eineinhalb Wochen hatte Alina jetzt frei gehabt und hatte ihren Umzug von Hannover nach Hamburg hinter sich gebracht. Nach ihrer Zusage hatte sie sich direkt in die Wohnungsanzeigen vertieft und eine kleine Zweizimmerwohnung zu einem erschwinglichen Preis gefunden, die sofort verfügbar war, und hatte dort gleich angefragt. Und wie durch Glückes Geschick hatte sie sogar den Zuschlag für die Wohnung erhalten und hatte unbesehen den Mietvertrag unterschrieben. Und als sie vor zwei Wochen das erste Mal die Tür aufgeschlossen und sich ihre neue Bleibe angeschaut hatte, war sie auch grundsätzlich sehr zufrieden gewesen mit ihrer Wahl. 

Eigentlich hätte sie auch gerne mal ein kleines Häuschen mit Garten, aber die Preise hier in Hamburg waren horrend hoch und wirklich gute Angebote waren auch nur rar gesäht. Viele befreundete Paare von ihrem Exfreund Sven und ihr hatten in den letzten zwei Jahren mit dem Gründen einer Familie begonnen und hatten teilweise ältere Häuser gekauft und voll durchrenoviert oder einige hatten sich auch auf das Abenteuer Hausbau eingelassen. 

Ein Häuschen im Grünen konnte sich Alina auch sehr gut für sich vorstellen. So mit einer sonnigen Terrasse und einen kleinen Gartenstück mit vielen Blumen und blühenden Sträuchern dahinter… herrlich! Na ja, aber dieser Traum machte wahrscheinlich nur Sinn mit einem entsprechenden Partner zusammen. Und was wollte sie alleine auch mit einem ganzen Hause?

Sie hatte in ihrer neuen Wohnung die ersten Tage ganz behelfsmäßig auf einer dicken Luftmatratze in einem der Zimmer geschlafen und hatte ihre beiden Zimmer, Flur und Küche einmal neu gestrichen. Erst danach hatte sie ihre Möbel aus Hannover von einem Umzugsunternehmen anliefern lassen und sich die letzten paar Urlaubstage jetzt wohnlich eingerichtet. Ein paar ihrer Möbelstücke hatten nicht mehr so gut gepasst, aber fürs erste reichte es auf jeden Fall. 

Einziger Minuspunkt war, dass der zur Wohnung dazugehörige Parkplatz für ihr Auto zwei Straßen entfernt war und man musste mindestens sieben bis acht Minuten Fußweg in Kauf nehmen. Sie wollte jetzt die ersten Tage erstmal mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren und nebenbei klären, ob es momentan auf dem Firmenparkplatz einen Parkplatz für sie gab. 

Aber wahrscheinlich sah das schlecht aus. Die Stellplätze waren fast ausschließlich vermietet oder für Besucher vorgesehen. Als sie das letzte Mal hier in Hamburg gearbeitet hatte, gab es keinen freien Platz und sie war täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren, was grundsätzlich auch kein Problem darstellte, da genau gegenüber des Firmengebäudes eine Bahnstation war. 

Von ihrer neuen Wohnung bis zur Arbeit war sie von Tür zu Tür heute Morgen ungefähr eine Dreiviertelstunde unterwegs gewesen, was sie wahrscheinlich mit dem eigenen Auto nicht wesentlich schneller hinbekommen würde. Schon gar nicht, wenn sie morgens erstmal zehn Minuten zu ihrem Parkplatz laufen müsste und dann bei ihrer Firma noch aufwendig einen Parkplatz irgendwo in den Seitenstraßen suchen müsste. Wenn es also nicht durch einen absoluten Zufall einen freien Stellplatz auf dem Firmengelände geben würde, würde sie sich einfach eine Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel besorgen.

Als Tina ihr gemeinsames Büro aufgeschlossen hatte, klingelte direkt ihr Telefon und sie hastete an ihren Schreibtisch. Alina ließ sich währenddessen auf ihrem Schreibtischstuhl nieder und holte sich ihre mitgebrachte Mineralwasserflasche aus ihrer Tasche. Ihre Gedanken schweiften zu dem gerade kennengelernten Kollegen Nils Koslowski. Er hatte dunkelblonde, etwas längere Haare, die er lässig zurückgegelt trug, dazu einen Dreitagebart und war von seiner Statur her recht sportlich. Sein Gesicht und seine Unterarme waren gut gebräunt, belustigte Grübchen umspielten seinen Mund und auch um seine Augen waren gutmütige Lachfältchen zu sehen. Und der erste Eindruck von ihm war durchweg positiv und sehr sympathisch. 

Alina beschloss, sobald sie ihren Rechner hatte, gleich mal auf sein Angebot einzugehen und einen Termin mit ihm zu machen.

Es klopfte laut an der offenstehenden Bürotür.

„Moin, Moin. Ich hab hier einen Laptop für meine süße Alina. Bin ich hier richtig?“

Alina schaute in Richtung Tür. „Pöschi!!!“ rief sie freudig und ging auf den Kollegen der IT-Abteilung zu, um ihn freudig in den Arm zu nehmen. „Das ist ja cool, dass genau du meinen Rechner bringst. Wie geht es dir, mein Lieber?“

Alexander Pörschke, einer der Systemadministratoren und Fieldservicetechniker hier aus Hamburg, hatte sie ebenfalls liebevoll in die Arme genommen und ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange gegeben. Dabei strahlte er sie über das ganze Gesicht an. „Sorry, ich konnte nicht widerstehen, als ich deinen Namen in unserem System gesehen habe“, schmunzelte er und schob sie auf Armeslänge von sich weg. „Deine Haare sind kürzer, aber ansonsten bist du immer noch genauso bezaubernd wie damals. Bleibst du jetzt wieder hier in Hamburg oder bist du nur auf Stippvisite hier?“

„Ich bin wieder voll gewechselt. Nächste Woche startet hier ein neues Projekt, wo ich dran mitarbeite. Und `ne Gehaltserhöhung hat es obendrein auch noch gegeben. Und bei dir?“

„Bin mittlerweile von Jessika geschieden, aber arbeitsmäßig ist immer noch alles beim Alten. Aber ich freue mich wirklich, dass du jetzt wieder hier bist. Mit dir kann man wenigstens immer mal ein nettes Wort wechseln. Viele sind hier doch mittlerweile nur noch an sich selber interessiert und ein bisschen verbohrt. Und bei dir? Ist dein Lover mit nach Hamburg gezogen?“

„Nee, hat sich ausgelovert. Wir haben uns schon vor sieben Monaten getrennt. War irgendwie nicht das Richtige. Und in Hannover bleiben wollte ich auf jeden Fall auch nicht, denn irgendwie bin ich die drei Jahre nicht wirklich warm geworden mit der Stadt. Aber das mit dir und Jessika tut mir ja leid. Siehst du denn deine Tochter jetzt noch?“

„Wie das so ist; alle zwei Wochen am Wochenende“, sagte er etwas betrübt. „Aber Jessika und ich hatten ja damals auch schon ganz ordentlich Probleme. Und die waren irgendwann nicht mehr zu überbrücken. Und am letztendlichen Schlussstrich war ich nicht ganz unschuldig: ich habe irgendwann eine kleine Affäre nebenbei angefangen. Na ja. Aber wir haben mittlerweile wieder ein freundschaftliches Verhältnis und treffen Entscheidungen, die Luisa betreffen, alle gemeinsam. So, Schatzi, ich schließe jetzt mal deinen Rechner an und mache die letzten Einstellungen. Und ein Tablet und ein Handy habe ich auch noch für dich. Du bekommst ja gleich das volle Programm.“

Er packte den neuen Laptop aus einem Karton aus und schloss die notwendigen Kabel alle an. Der Rechner fuhr hoch, er meldete sich mit einem Administrator Passwort an und machte ein paar letzte Konfigurationen, während er Alina alles Mögliche nebenbei erzählte. Seine Finger flogen dabei wie selbstverständlich über die Tastatur und machten Einstellungen in den unterschiedlichen Menüs. Er installierte auch gleich den Drucker, legte Standardbrowser und alles andere Wichtige fest, was normalerweise allerdings nicht zur Einrichtung eines neuen Rechners gehörte. 

Aber seit Alina damals mal viel Zeit mit ihm zusammen verbracht hatte, weil sie in einem ihrer ersten Projekte als Assistenz viele Fragen bezüglich unterschiedlicher IT-Ausstattungen zu klären hatte, hatten sie beide ein liebevoll freundschaftliches Verhältnis zueinander. 

Zu der Zeit hatte er ihr auch viel von den Problemen mit seiner Frau erzählt. Und im Gegenzug dazu hatte er viel von ihren ersten Anfängen mit Sven mitbekommen und dann auch von der Idee nach Hannover zu gehen. Die letzte drei Jahre hatten sie natürlich kaum Kontakt gehabt, aber immerhin zu den Geburtstagen mal miteinander telefoniert oder mal eine kurze Mail geschrieben.

„So, Schatzi, das wars. Wenn du sonst noch was brauchst, melde dich einfach bei mir. Du weißt, ich bin stets zu deinen Diensten“, sagte er mit einen Zwinkern zu ihr, als alle ihre neuen Geräte eingerichtet und übergeben waren. 

„Das mach ich doch glatt. Danke Pöschi.“

Nach ein bisschen weiterem Smalltalk verließ er irgendwann das Büro und Alina startete gleich mal alle notwendigen Programme auf ihrem neuen Laptop. 

„Ach, und du hast also geheime Kontakte zur IT-Abteilung?“ fragte Tina, nachdem sie endlich aufgelegt hatte. 

Alina schmunzelte. „Ja, es gibt so ein paar Abteilungen, mit denen man sich immer gut stellen sollte. Und die Jungs von der IT gehören auf jeden Fall dazu.“

„Gut zu wissen“, schmunzelte ihre Kollegin.

Den Rest des Tages verbrachte Alina damit, ihren neuen Rechner einzurichten und mittags nochmal mit Tina zusammen in die Kantine zu gehen. Eigentlich ging Tina nie mittags essen, weil sie nur halbtags von 8.00 bis 13.00 Uhr arbeitete, aber heute machte sie natürlich mal eine Ausnahme, um Alina alles zu zeigen.

Ruhe vor dem Sturm

Am nächsten Morgen wurde Alina wieder zeitig von ihrem Wecker geweckt und machte sich mit Bus und Bahn auf den Weg zur Arbeit. Heute regnete es ein wenig und es war auch für den ganzen Tag keine Wetterbesserung angesagt. 

Angekommen im Büro fragte sie sich gleich mal bis zu den Verantwortlichen vom Hausservice für die Stellplatzvergabe durch. Aber wie sie schon erwartet hatte, hatte sie kein Glück. Die wenigen verfügbaren Parkplätze waren alle vergeben und die Warteliste war ziemlich groß, so dass sie sich gar nicht darauf hatte setzten lassen. Sie kümmerte sich also lieber um die Beantragung einer Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. 

Sie hatte schon ein paar Mails bezüglich des nächste Woche startenden Projektes erhalten und las sich in die vorhandenen Dokus ein. Schnell stellte sie dabei fest, dass hier wirklich schlusig gearbeitet worden war und der Projektleiter anscheinend keine klare Linie verfolgt hatte. Das Projekt war mehrfach aus dem gesetzten Zeitrahmen rausgelaufen, war verlängert und nochmal verlängert worden, und auch das angesetzte Budget war schon weit überschritten. Das Rettungsprojekt würde kein Spaß werden!

Tina stellte sie am Vormittag noch der absoluten Perle der Firma vor: Renate Godoretzki. Eine stark geschminkte, korpulente Dame Mitte fünfzig, mit hennarot gefärbten, hochgesteckten Haaren und einem vorlautem Mundwerk, die sich aber jeder warm hielt, weil Renate einfach alles besorgen oder klären konnte, was man so benötigte. 

Lachend stand sie auf und drückte Alina gleich an ihre wogende Brust, in die aus einer roten Bluse tiefe Einblicke gewährt wurden.

„Na Schätzchen? Du bist ja eine ganz Süße! Bisschen wenig auf den Rippen hast du, aber wahrscheinlich achtest du auch auf deine Linie, oder? Als ich so alt war wie du, hatte ich auch fünfundzwanzig Kilo weniger. Aber mittlerweile esse ich einfach zu gerne. Willst du ein Stück Nusskuchen, Süße? Selbst gebacken natürlich. Wenn du mal Frust hast oder deine Nerven beruhigen musst oder es vielleicht mal nicht zum Mittag geschafft hast: komm zu Renate, die hat immer was für dich in ihrer Schublade!“ Sie zog zwinkernd die mittlere Schublade ihres Rollcontainers auf, welche den Blick auf mehrere Packungen Kekse, Schokolade, Schokoriegel, Gummibärchen, Lakritz, Bonbons und sonstige Süßigkeiten und Naschereien freigab. 

„Oha!“ lachte Alina. „Das hättest du mir besser nicht zeigen sollen! Ich bin eine echte Naschkatze, was sowas angeht. Deshalb habe ich selber nie Süßigkeiten zu Hause, weil, wenn ich sowas zu Hause hätte, würde ich so lange um den Schrank herumschleichen, bis ich zugreifen würde. Ich kann bestimmt das eine oder andere Mal nicht widerstehen.“

„Kein Problem. Mit deiner Figur kannst du dir das doch problemlos erlauben. Also, Stückchen Kuchen?“

„Na klar!“

Renate schnitt ein Stück ihres verführerisch riechenden Napfkuchens ab und legte es für Alina auf einen Teller. Tina bekam natürlich trotz Protest auch ein Stück und für sich selber schnitt sie ebenfalls ein dünnes Scheibchen ab. Sie plauderten eine ganze Weile lustig miteinander und verließen erst nach bestimmt einer halben Stunde Renates Büro. 

„Die ist ja genial“, sagte Alina begeistert auf dem Weg zu ihrem Büro. „Ich hatte bis jetzt nur ein oder zweimal kurz von Hannover aus per Mail mit ihr zu tun.“

„Renate ist der Hammer! Manchmal verschlägt es einem echt die Sprache, weil sie egal bei wem kein Blatt vor den Mund nimmt. Da bekommen sogar die Chefs einen deftigen Spruch ab. Aber so ist sie halt und sie ist ein echtes Urgestein hier im Unternehmen. Jeder kennt sie und jeder liebt und akzeptiert sie. Die kennt alles und jeden und kann jede benötigte Information rausfinden, wenn sie sie nicht gleich selber beantworten kann. Ich kann dir nur raten: halt sie dir warm.“

„Das sollte kein Problem darstellen. Solche Leute liebe ich!“

Zurück im Büro vertiefte sie sich wieder in ihre Listen und SharePoint Seiten. Sie war so vertieft in ihre Arbeit, dass sie gar nicht mitbekam, wie schnell die Zeit verging. Erstaunt schaute sie auf die Uhr, als Tina ihre Sachen zusammen packte und den Rechner ausschaltete.

„Was? Das ist schon ein Uhr? Weißt du was? Ich begleite dich nach unten und werde dann gleich in die Kantine abbiegen.“

Alina sperrte ihren Rechner, stand ebenfalls auf und zog ihre Jacke über. Plaudernd gingen sie zum Fahrstuhl, wo sie auf Nils Koslowski trafen, der dort stand und den Knopf für eine Kabine nach unten gedrückt hatte. 

„Guten Tag die Damen“, sagte er mit einem Lächeln im Gesicht, „wohin des Weges?“

„Feierabend“, antwortete Tina und machte ein freudiges Gesicht.

„Und ich in die Kantine. Mal gucken, ob es dort noch was gibt“, sagte Alina schmunzelnd. 

„Ah, cool. Dann können wir zusammen gehen. Es sei denn, du bist mit jemand anderem verabredet?“

„Sehr gerne. Ich bin nicht verabredet. Ich kenne hier ja noch nicht ganz so viele Kollegen, außer ein paar von früher.“

Sie stiegen zusammen in den Fahrstuhl und fuhren ins Erdgeschoss. Dort verabschiedete Tina sich von ihnen und Alina ging mit Nils zusammen in Richtung Kantine.

Der größte Ansturm war schon durch, aber es standen noch einige Personen an der Essensausgabe vor ihnen, während sie die Aushänge der heutigen Essensauswahl studierten.

Mit ihren beladenen Tabletts suchten sie sich einen netten Fensterplatz und waren im Nu in ein Gespräch vertieft. Erst war ein bisschen Smalltalk angesagt, dann kamen sie auch auf das nächste Woche startende Projekt zu sprechen und Nils gab ihr einen richtig guten Überblick, was in den letzten Monaten alles nicht so gut gelaufen war und weshalb das Projekt so in Schieflage geraten war.

Da er am Nachmittag keine weiteren Termine hatte, begleitete sie ihn auch noch spontan in sein Büro, wo sie ihr Gespräch fortführten. Natürlich hatten sie auch eine ganze Menge private Infos ausgetauscht während der über drei Stunden, die sie zusammen gequatscht hatten. So wusste er jetzt alles über ihren Umzug und wie es zu ihrer spontanen Entscheidung gekommen war hier nach Hamburg zu gehen. 

Als Alina dann um viertel nach vier wieder in ihr Büro kam, beschloss sie für heute Feierabend zu machen. Jetzt nochmal was Neues anfangen, lohnte sich nicht und ab nächsten Mittwoch würde es wahrscheinlich sowieso deutlich stressiger werden. Da konnte man wenigstens die Ruhe vor dem Sturm noch etwas nutzen.

Ein letztes ruhiges Wochenende

Den frühen Feierabend hatte Alina dazu genutzt ihren Kühlschrank mal wieder aufzufüllen und war auch nochmal in einem Möbelhaus vorbeigefahren, um einen weiteren kleinen Schrank fürs Badezimmer zu kaufen. Diesen hatte sie gestern Abend dann gleich zusammengebaut und aufgestellt und war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. 

Sie schloss ihre Bürotür auf und legte Tasche und Jacke ab. Während der Laptop hochfuhr, holte sie sich eine erste Tasse Tee aus der kleinen Teeküche und setzte sich damit an ihren Schreibtisch. Sie hatte gestern noch mehrere Mails erhalten, die sie erstmal kurz überflog. Es gab eine Info, dass ab nächste Woche die Fensterputzer kommen würden und daher alle Fensterbretter freigeräumt werden mussten. Dann noch eine weitere Infomail, die für sie uninteressant war. Und dann hatte sie eine kurze Mail von einem privaten GMX-Mailaccount erhalten. 

„Sehr geehrte Frau Kruse, 

Ich bin erst am Mittwoch zum Kick-Off anwesend. Können Sie bitte veranlassen, dass ich ab diesem Zeitpunkt über eine funktionierende IT-Ausstattung verfüge? 

Vielen Dank.

Mit freundlichem Gruß

Lukas Eisler“

Sie kannte ihn zwar nicht persönlich, aber dieser Herr war ab nächste Woche der Mann, den sie voll und ganz zu unterstützen hatte. 

Ok, seine Mail war kurz und knapp und ziemlich förmlich, aber es handelte sich bei Herrn Eisler auch um einen externen Kollegen, der von ihrer Firma extra als Projektleiter eingekauft und für den ein ziemlich hoher Stundensatz aufgerufen wurde. Da sie auch für die Abrechnungen der externen Mitarbeiter des Projekts zuständig war, hatte sie Einblicke in diese Bereiche und man konnte teilweise nur mit den Ohren schlackern, was da für Summen bei den Rechnungen am Monatsende zusammen kamen. Und Herr Eisler gehörte eindeutig in die obere Kategorie!

Tatsächlich hatte sie noch nicht wirklich viel über ihn gehört, da ihn hier in Hamburg auch nur wenige Leute kannten. Nur, dass er wohl vorher in Berlin eingesetzt war und jetzt extra für dieses Projekt nach Hamburg abgezogen worden war. Und das hatte er sich wahrscheinlich auch fürstlich bezahlen lassen.

Im Gegensatz zu ihr hatte er allerdings keinen Aufwand für die Wohnungssuche betreiben müssen, denn ihm war eine der drei vorhandenen Projektwohnungen zur Verfügung gestellt worden, die ihre Firma besaß und für genau solche Fälle nutzte. 

Heute Mittag hatte sie sich nochmal mit Nils zusammen zum Essen in der Kantine verabredet. Den würde sie mal fragen, ob er etwas über diesen Herrn Eisler wusste oder ihn vielleicht sogar kannte.

Sie gab Pöschis Namen im Suchfeld von Skype ein und schaute nach, ob er wohl schon am Arbeitsplatz war. Er wurde als verfügbar angezeigt und sie wollte schon auf anrufen klicken, entschied sich dann aber ihm einen Besuch abzustatten. Sie schaute schnell im System einmal nach seiner Raumnummer und machte sich auf den Weg.

In seinem Großraumbüro saßen insgesamt vier Personen hinter mehreren riesigen Monitoren und zwischen allerlei PCs, Kartons mit neuen Geräten und einem riesigen Kabelgewirr hinter jedem Schreibtisch versteckt, die nur kurz aufschauten, als sie an die geöffnete Tür klopfte. 

„So fängt der Tag perfekt an“, sagte Pöschi und stand strahlend auf, um sie zur Begrüßung in den Arm zu nehmen. „Na Süße? Du kommst mich besuchen? Hast du Sehnsucht nach mir?“ witzelte er.

„Immer, das weißt du doch“, zwinkerte sie ihm zu. „Mein zukünftiger Projektleiter hat mich schon mal in seinem Urlaub angewiesen für seine PC-Ausstattung zu sorgen und da dachte ich, ich komme einfach mal direkt vorbei. Habt ihr den auch schon bei euch im System? Lukas Eisler heißt er.“

„Warte, das können wir kurz nachgucken. Ähm, setz dich am besten auf meinen Stuhl und ich hole mir einen anderen.“

„Ich kann mir auch einen von den hier rumstehenden ran ziehen; das ist doch kein Problem.“

„Nee, besser nicht. Die Stühle, die hier rumstehen, haben alle ein Eigenleben. Aber du weißt wie das ist: für die IT-Abteilung sind sie noch gut genug.“ Er holte sich lachend einen ziemlich abgeschabten Schreibtischstuhl aus einer Ecke des Zimmers und zog diesen an seinen Arbeitsplatz ran. Dann tippt er in einem System den Namen Lukas Eisler ein und klickte sich durch ein paar Seiten.

„Jo, haben wir. Der kommt erst nächsten Mittwoch steht hier und soll eigentlich erst danach ausgestattet werden. Aber du willst die Sachen jetzt schon vorher haben oder was?“

„Wenn das geht, wäre das super.“

Er klickte weiter und gab ein paar Dinge ein und guckte irgendwas in seinen Systemen nach. „Ja, sollten wir hinkriegen. Reicht dir Montag? Heute kriege ich das nicht mehr hin.“

„Ja klar, der kommt ja erst Mittwoch. Der hat jetzt noch Urlaub.“

„Dann mache ich das alles fertig und melde mich Montag bei dir, wenn ich die Sachen vorbeibringe. Auch das große Programm wie bei dir?“ fragte er und schaute sie mit einem grinsenden Seitenblick an.

„Ich weiß nicht, mit was er ausgestattet werden soll. Steht das nicht bei dir im System?“

„Er bekommt eigentlich das Gleiche, wie du auch. Mit Smartphone, Tablet und dem großen Laptop. Ich meinte eigentlich eher, ob ich bei ihm auch die Netzlaufwerke schon verbinden, Drucker einrichten und den ganzen Kram machen soll. Sozusagen die Sonderbehandlung, die nur ganz wenige und ganz besondere Kollegen bei mir bekommen.“

„Oh bitte, wenn das geht“, zwinkerte Alina ihm zu. 

„Für dich geht alles“, schmunzelte er und tippte schon wieder auf seiner Tastatur rum. „Der hatte bis vor eineinhalb Wochen ein Profil in der Niederlassung in Berlin. Soll ich ihm das Zurückspielen? Dann hat er seinen Posteingang und sowas alles wieder.“

„Macht bestimmt Sinn. Ich wüsste jetzt nicht, was dagegen sprechen sollte. Ich bin ja auch froh, dass du mir mein altes Profil wieder eingebunden hast.“

Er klickte noch ein paarmal und nickte dann in ihre Richtung. „Alles klar. Wir beide haben Montagvormittag ein Date. Mache ich fertig.“

„Super. Du bist der Beste, Pöschi. Und danach lade ich dich auf einen Kaffee in die Kantine ein, ok?“

„Liebend gerne. Wir haben jetzt unsere morgendliche Runde, wo ich dran teilnehmen muss. Ich muss dich leider abwürgen“, sagte er mit Bedauern in der Stimme.

„Kein Problem. Wir sind ja soweit durch und ich freue mich auf Montag. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag und dann ein entspanntes Wochenende.“

„Danke, dir auch. Ich habe ab heute Nachmittag meine Tochter. Was liegt bei dir an?“ fragte er, während sie gemeinsam zur Tür gingen.

„Ich wollte meinen neuen Balkon saubermachen und wohnlich einrichten. Sprich Blumenkästen bepflanzen und die Balkonmöbel aufstellen. Und vielleicht noch mein Kellerabteil aufräumen. Da steht vom Umzug noch alles kreuz und quer drin.“

„Dann bist du ja gut beschäftigt. So, ich muss rechts rum. Bis Montag dann!“

Alina ging gut gelaunt zurück zu ihrem Büro und schrieb eine Antwortmail an Herrn Eisler, dass seine IT-Ausstattung wunschgemäß zur Verfügung stehen würde und sie veranlasst hatte, sein altes Profil wieder einzubinden. Wenn das nicht von ihm gewollt wäre, solle er sich doch nochmal melden. Sie wünschte ihm ein schönes Wochenende und verabschiedete sich mit einem: „Ich freue mich auf ein persönliches Kennenlernen am Mittwoch.“

Beim Mittagessen zusammen mit Nils nutze sie gleich mal die Chance. „Kennst du den Lukas Eisler eigentlich?“

Nils nickte und kaute zu Ende. „Super professionell, voll fokussiert, extrem hohe Erwartungen. Ich komme sehr gut mit ihm klar, aber viele Leute haben Probleme, weil er sehr viel fordert und erwartet. Ansonsten: Offtopics gibt es bei ihm gar nicht, nur Fokus auf das Projekt. Der schwingt keine langen Reden und will nur Ergebnisse, aber er ist dadurch sehr erfolgreich. Ich habe schon mal ein Projekt mit ihm zusammen gemacht. Von dem kann selbst ich mir noch eine Scheibe abschneiden.“

„Ok, aber sonst hat er keine größeren Macken?“ fragte sie mit einem ironischen Zwinkern. 

Nils lachte belustigt vor sich hin. „Es gibt ein paar Spitznamen hinter vorgehaltener Hand für ihn, aber das hast du jetzt nicht von mir, ok? Ganz weit oben ist Iceman; angelehnt an seinen Nachnamen und weil er halt so ein kalter Typ ist, dem kein privates Wort über die Lippen kommt. In die Richtung zielt auch Eisschrank ab. Und es gibt auch Mister Perfect. Aber lass dich besser nicht erwischen, wenn du ihn mal beim Lästern mit einem Kollegen so nennst.“

„Na super, das klingt ja nach einem durch und durch sympathischen Kollegen.“

„Ach, er ist eigentlich wirklich nett. Er zeigt es nur sehr selten. Kennst du Tim Edelmann, den anderen Teilprojektleiter schon?“

„Nur vom Namen her.“

„Ok. Wenn du auf eine kleine Affäre aus bist, bist du bei ihm an der richtigen Stelle. Ich bin mir sicher, dass du voll in sein Beuteschema passt. Aber mach dir lieber deine eigene Meinung. Als Projektleiter ist er in Ordnung. Ich komme gut mit ihm klar, auch wenn er deutlich anders arbeitet als ich. Aber der IT-Bereich ist sowieso immer besonders und hat seine eigenen Gesetze.“

Alina grinste. „Für IT-Probleme habe ich meine Geheimwaffe Alexander Pörschke. Mit dem bin ich ziemlich gut befreundet und der löst mir jedes Problem, wenn ich eins habe.“

„Ach, Alex… das kann ich mir gut vorstellen. Der ist auch voll ok.“

Auch heute machte Alina früh Feierabend und fuhr nachmittags lieber in ein Gartencenter, um sich mit Balkonblumen und Blumenerde einzudecken. 

Am Samstag fuhr sie nach Hannover, um ihre alte Wohnung sauberzumachen und diese dann endgültig zu übergeben. Ein paar letzte Dinge, die noch in der Wohnung und im Abstellraum im Keller verblieben waren, brachte sie Samstagabend in ihrem Auto mit nach Hamburg. Damit war auch das Programm für den Sonntag klar: ihr Kellerabteil aufräumen, die Regale aufbauen und ordentlich einzuräumen. Und die Sachen, die man wirklich nicht mehr benötigte, die aber immer wieder mit umgezogen wurden, endlich mal zu entsorgen. 

Kick-Off

Nach dem Wochenende saß Alina wieder zusammen mit Tina in ihrem Büro und die beiden unterhielten sich gerade über die Erlebnisse der letzten zwei Tage. Tina war etwas besorgt, weil ihre Tochter Nele gestern schon ein bisschen gekränkelt hatte, aber trotzdem heute Morgen in den Kindergarten gegangen war, weil sie unbedingt mit ihrer Freundin spielen wollte. Aber Tina hatte natürlich ein schlechtes Gewissen dabei, weil sie quasi jederzeit den Anruf der Betreuerinnen erwartete, dass sie ihre Tochter bitte abholen solle, weil diese krank war. 

Um viertel nach zehn kam auch tatsächlich der Anruf und Tina musste Hals über Kopf los. Sie packte schnell ihren Laptop zusammen und wollte versuchen sich später nochmal von zu Hause aus einzuloggen. Aber die Frage war ja erstmal, wie krank Nele denn jetzt wirklich war und ob sie nicht zuerst mit ihr zum Kinderarzt musste. Und da Tina alleinerziehend war, musste sie das natürlich alles selber stemmen.

Als sie aus der Tür stürmte, stieß sie fast mit Pöschi zusammen, der die neue IT-Ausstattung für Herrn Eisler vorbeibringen wollte. 

„Hast du deine Kollegin extra vergrault, um mit mir alleine zu sein?“ fragte er mit einem Schmunzeln und lehnte sich an den Türrahmen.

Alina lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und wippte mit verschränkten Armen und süffisantem Grinsen vor und zurück. „Du meinst, jetzt, wo wir beide ungebunden sind, versuchen wir es mal zusammen? Ich glaube allerdings nicht, dass das eine gute Idee ist.“

Er stieß sich lachend vom Türrahmen ab und kam näher. „Das glaube ich auch nicht, aber eine Sünde wärst du schon wert. Ich habe ein bisschen Hardware für deinen zukünftigen Meister dabei. Wo sollen denn die guten Stücke hin?“

Das liebevolle Schäkern miteinander war keinesfalls ernst gemeint, das wussten sie beide. Von daher war es auch kein Problem für beide Seiten.

„Am besten gleich in sein Büro, oder? Mein Schlüssel soll freigeschaltet sein, dass ich sein Büro aufschließen kann. Ich habe es aber noch nicht versucht. Wir testen einfach mal.“

Sie sperrte ihren PC und nahm ihren Büroschlüssel mit. Das Büro von Herrn Eisler war schräg gegenüber auf dem Gang und sie probierte ihren Schlüssel. Tatsächlich ließ sich die Tür damit öffnen.

„Na also, wer sagt es denn. Hereinspaziert in die gute Stube.“

Das Büro war, wie alle anderen auch, nüchtern mit einem großen Schreibtisch mit ergonomischem Drehstuhl, Rollcontainer, Telefon und zwei riesigen Monitoren, einem Aktenschrank und als Extra mit einem kleinen runden Besprechungstisch mit vier Stühlen ausgestattet. Immerhin handelte es sich bei ihm um ein ziemlich großes Einzelzimmer, was sogar noch ein paar Quadratmeter größer als ihr Zweierbüro zusammen mit Tina war.

Pöschi machte sich gleich ans Werk und packte die mitgebrachten, neuen Geräte alle aus. Dabei plauderten sie über ihre Erlebnisse des Wochenendes, wie man das unter Kollegen so machte.

„Kennst du deinen Lukas eigentlich schon?“ fragte er, während er konzentriert alles Mögliche einstellte und eintippte.

„Nee, kenn ich nicht. Und du?“

„Auch nicht. Mein Berliner Kollege sagte nur, dass das ein sehr ruhiger und voll korrekter Typ ist. Es gab ein kleines Problem mit seinem Profil, deshalb hatte ich Freitag nochmal mit einem Kollegen telefoniert. Konnten wir aber alles regeln.“

„Ok. Ich bin auf jeden Fall gespannt. Kennst du Tim Edelmann?“

Pöschi hob beim Tippen die Augenbrauen und verzog das Gesicht. „Ja, leider. Total unangenehmer Typ. Arrogant, überheblich und nur von sich selbst überzeugt. Ist der auch in eurem Projekt mit dabei?“

„Ja, der hat eine Teilprojektleitung. Aber mit dem werde ich nicht so viel zu tun haben. Außer in den Projektsitzungen natürlich.“

„Dann geht es ja. So, Baby, ich glaube, das wars. Dann musst du mir das bitte einmal unterschreiben, dass ich die Sachen hier abgeliefert habe und dann können wir in die Kantine.“

Die Cafeteria in der Kantine war zu dieser Zeit am Vormittag ziemlich gut gefüllt. Mehrere Kollegen gönnten sich plaudernd eine kleine Pause oder hielten sogar kurze Besprechungen direkt dort ab. Alina genoss es, dass sie nochmal ohne Druck ihres Terminkalenders sich die Zeit für eine außerdienstliche Pause nehmen konnte. Das würde sich ab Mittwoch deutlich ändern! Mehrere Termine waren schon in den letzten paar Tagen bei ihr eingetrudelt. Übermorgen um neun Uhr war das Kick-Off Meeting für das Projekt angesagt, der Rest vom Tag und auch Donnerstag und Freitag waren voll geblockt für Festlegung des Vorgehens und Zielsetzung. Das würden lange und ziemlich anstrengende Tage werden!

„Das da drüben ist übrigens Tim Edelmann“, sagte Pöschi plötzlich und nickte in Richtung eines dunkelhaarigen Anzugträgers. 

Alina folgte seinem Blick. „Wow, der sieht ja heiß aus. Wie aus einem Männermodemagazin.“

Tim Edelmann bezahlte gerade an der Kasse der Cafeteria einen Schokoriegel und ließ seinen Blick einmal durch die Leute an den kleinen Tischen schweifen. Da er keinen interessanten Gesprächspartner auszumachen schien, nahm er seinen Riegel und ging mit lässigem Schritt in Richtung Ausgang. Dabei holte er sein Handy vor und vertiefte sich darin. 

Er trug einen hellgrauen, perfekt sitzenden Anzug mit einem schwarzen Hemd und schwarzen Schuhen dazu. Seine dunklen Haare waren perfekt frisiert und frisch geschnitten, sein Gesicht mit den ebenfalls dunklen Augen und einem sehr gepflegten, kurz gestutztem Bart war ebenmäßig und männlich markant. Er war mittelgroß und schlank und strahlte, wie Pöschi schon gesagt hatte, irgendwie etwas leicht Arrogantes aus.  

„Ist aber verheiratet, soweit ich weiß“, sagte Pöschi wieder und guckte sie schmunzelnd von der Seite an. „Aber du stehst wohl auf die Herren Anzugträger, gelle?“

„Ich kann doch mal feststellen, dass der gut aussieht, oder? Das heißt ja nicht gleich, dass ich was von ihm will. Du gehörtest ja auch in die Kategorie hübscher Mann. Und außerdem stehe ich sowieso nicht auf Männer mit Bart.“

„Hmm, du findest mich hübsch? Vielleicht wird das ja doch noch was mit uns beiden“, witzelte Pöschi. 

Alina hatte sich gleich einen Salat zum Mittag mit nach oben in ihr Büro genommen und aß diesen, während sie sich durch ein paar Dokumente las. Der Rest vom Montag verlief eher ruhig und auch der Dienstag nahm entspannt seinen Lauf. Tina arbeitete von zu Hause aus, da ihre Tochter mit fast vierzig Fieber im Bett lag, und so hatte sie das Büro ganz für sich alleine. 

Morgen früh war nun der Projektstart und Alina freute sich darauf, dass es jetzt endlich losging. 

***

Mittwochmorgen stand sie extra ein paar Minuten früher auf und verwendete etwas mehr Zeit als normal in ihr Make-up. Zufrieden betrachtete sie sich danach im Spiegel. Ihre Haare waren frisch geföhnt und fielen perfekt gestylt auf die Schultern. Sie hatte heute eine hellgraue Siebenachtel-Jeans mit einer weißen Bluse und einem dunkelblauen Kurzblazer darüber gewählt. Als Schuhe entschied sie sich für farblich zum Blazer passende Pumps mit etwa zehn Zentimeter hohem Absatz. Ihr Spiegelbild gefiel ihr sehr gut. Beim Start des Projektes waren heute auch die hohen Herren vom Vorstand anwesend und da wollte sie natürlich einen guten Eindruck hinterlassen. 

Zwanzig Minuten vor dem großen Meeting machte sie sich zusammen mit Nils auf den Weg in den großen Besprechungsraum im Nebengebäude. Auch Nils war heute in einen dunklen Anzug mit hellblauem Hemd und Krawatte gekleidet. Als sie das Nebengebäude betraten, stand Tim Edelmann in sein Handy vertieft vorm Fahrstuhl und wartete. Er blickte auf, steckte sein Handy weg und lächelte sie beide an.

„Moin Nils. Wen bringst du denn hübsches mit?“

„Hi Tim. Kennt ihr euch noch nicht? Das ist Alina Kruse, die neue Assistenz von Lukas.“

Tim nickte anerkennend und musterte sie lächelnd. „Hi, freut mich dich kennenzulernen“, sagte er offen und duzte sie einfach, während er ihr die Hand zur Begrüßung hinhielt.

Auch er trug heute einen dunklen Anzug und sah, wie Montag in der Cafeteria, perfekt bis ins kleinste Detail aus.

Alina ergriff seine Hand und lächelte ihn ebenfalls an. „Hallo, freut mich auch.“

Der Fahrstuhl hinter ihnen gab ein Pling von sich und die Türen öffneten sich. Zwei Personen stiegen aus und grüßten mit einem Nicken und sie drei stiegen ein. Tim drückte den Knopf für den zwölften Stock, wo der Besprechungsraum war, die Türen schlossen sich und die Kabine setzte sich in Bewegung. Er plauderte während der Fahrt ein paar Worte mit Nils und warf Alina zwischendurch immer wieder einen kurzen Blick zu. Beim Aussteigen ließen die beiden ihr gentlemanlike den Vortritt und sie spürte förmlich die Blicke auf ihrer Rückseite. Aber sie ließ sich nichts anmerken und ging sicher auf ihren hohen Schuhen voran zur offen stehenden Tür des Besprechungsraumes. 

Dort wurden sie begrüßt und bekamen von der Vorstandsassistenz jeweils ein Namensschild ausgehändigt, was sie sich ansteckten. Die Tische waren als große Runde angeordnet und ebenfalls mit Namensschildern und den Positionen der dazugehörigen Personen versehen. 

Nils nahm sie weiter unter seine Fittiche und stellte sie ein paar Kollegen vor, die sie noch nicht kannte. Sie plauderte überall entspannt und entdeckte auch ein paar Kollegen, die sie noch aus ihrer Zeit hier in Hamburg kannte und die ebenfalls im weiteren Kreis des Projektes mit unterstützen würden. 

Kurz vor neun betraten dann zwei der Vorstände plaudernd zusammen mit einem Herren in dunkelblauem Anzug den Raum.

„Das ist Lukas“, raunte Nils ihr gleich ins Ohr. 

Alina schaute in die angegebene Richtung und bei dem Anblick blieb ihr förmlich die Spucke weg. Aus ihren Unterlagen wusste sie, dass Lukas Eisler einunddreißig Jahre alt war. Er war groß, schlank und ziemlich gut gebaut, hatte dunkelblonde Haare, stahlblaue Augen und eine sehr aufrechte und gerade Haltung. Seine Haare waren kurz geschnitten und leicht verwegen zur Seite gestylt. Während er sich mit den beiden Vorständen unterhielt, war sein Gesicht entspannt mit einem ernsten Ton. Er blickte zwar freundlich, aber als Lächeln konnte man das nicht bezeichnen.

Alina räusperte sich. „Das ist also Iceman“, stellte sie leise fest.

Nils schmunzelte und legte ihr die Hand auf den Rücken. „Komm, wir gehen mal rüber.“

Sie steuerten auf die drei zu und Nils übernahm das Vorstellen. Die Vorstände kannte Alina beide und sie nickten ihr wohlwollend zu.

Lukas Eisler musterte sie für ein paar Sekunden schweigend und gab ihr dann seine Hand zur Begrüßung. „Frau Kruse… freut mich.“

„Hallo Herr Eisler. Freut mich ebenfalls.“ Sie lächelte ihn offen an, aber er verzog keine Miene. Dafür wendete er sich gleich wieder dem Vorstand zu und nahm das vorherige Gespräch wieder auf.

Alina wurde von Herrn Bendixen vom Vorstand in einen kurzen Smalltalk über ihr Wechseln von Hannover nach Hamburg verwickelt und wie sehr er sich darüber freute, dass sie diese Anstrengung extra auf sich genommen hatte. Mittlerweile war es schon kurz nach neun und die meisten Leute hatten schon ihre Plätze eingenommen. 

„Frau Kruse? Können wir ganz kurz zu zweit sprechen?“ fragte Lukas Eisler sie, als Herr Bendixen mit seinem Gespräch durch war und ging mit ihr zusammen mit einem Wink seines Kopfes in eine Ecke des Raumes.

„Freut mich Sie kennenzulernen. Vielen Dank auch für die IT-Ausstattung, das war wirklich perfekt organisiert von Ihnen. Da wir uns beide nicht kennen, wollte ich eine kurze Abstimmung vorab. Ich möchte bitte, dass Sie während des Termins mitschreiben. Ich weiß, es gibt jemanden, der ein Protokoll vom heutigen Kick-Off fertigt, aber das ist mir zu oberflächlich. Außerdem brauche ich die Infos direkt nach diesem Termin und nicht erst nächste Woche. Stichpunkte reichen natürlich. Das wars erstmal oder haben Sie noch Fragen?“ Er schaute sie ernst an und eine ganz leichte Falte bildete sich auf der Stirn über seiner Nase, weil er die linke Augenbraue leicht runzelte.

„Nein, alles in Ordnung. Mach ich gerne.“

Er nickte einmal und ging in Richtung seines Platzes. Viele Worte verschwendete er anscheinend nicht. Alina atmete einmal tief ein und aus und ging ihm hinterher. Dabei hatte sie sein frisch-herbes Aftershave in der Nase, was ihr sehr gut gefiel. Aber um viel über den ersten Eindruck von ihrem neuen Projektleiter nachzudenken, blieb ihr kaum Zeit.

Sie setzte sich auf den Stuhl neben ihm und stellte ihr Tablet auf. Dann öffnete sie schon mal ein neues Dokument und speicherte es an geeigneter Stelle auf dem SharePoint ab. Danach lehnte sie sich leicht zurück und wartete ab. 

Nils warf ihr einen warmen Blick zu und zwinkerte lächelnd. Sie lächelte zurück. Tim Edelmann saß entspannt und mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht zurückgelehnt auf seinem Stuhl und beobachtete sie durchgehend.

Das Meeting begann mit einer Begrüßung und einer Rede vom Vorstand, der betonte, wie wichtig dieses Projekt für das Unternehmen war und wieviel Geld dafür schon verwendet worden war, ohne dass es zu einem Abschluss gekommen war. Danach wurden mehrere Folien durchgehechtet mit den Infos zum Projektauftrag, zu den teilnehmenden Personen der Lenkungsgruppe, den angesetzten Treffen und Abstimmungen. Natürlich wurden auch die unterschiedlichen Teilprojekte und die daran mitarbeitenden Personen vorgestellt. Alina protokollierte alles brav mit, was kein Problem für sie war. Da sie voll eingespannt war, war ihr auch irgendwann Tim Edelmann egal.

Lukas Eisler neben ihr tippte ebenfalls fast durchgehend auf der Tastatur seines Tablets rum und blickte nur immer kurz auf, wenn die gezeigte Folie auf der Leinwand wechselte oder er direkt angesprochen wurde. Wie sie aus dem Augenwinkel mitbekam, schrieb er teilweise Mails, chattete nebenbei mit jemandem via Skype und war auf unterschiedlichen Seiten auf dem SharePoint unterwegs.

Nachdem der Vorstand mit seiner Rede durch war, war Herr Eisler gefragt und gab die wichtigsten Projektziele bekannt und wie er sich das Vorgehen in einem ungefähren zeitlichen Rahmen vorstellte. Auch das protokollierte Alina weiter mit. 

Nach eineinhalb Stunden war das Kick-Off beendet und ähnlich wie zu Beginn, traten die anwesenden Mitarbeiter zu einem kurzen Smalltalk zusammen. Die Stimmung war gut und energiegeladen, jeder ging natürlich mit frischer Kraft an dieses neue Projekt ran und mancher schien sich sogar gebauchpinselt zu fühlen, dass er hier bei dieser wichtigen Sache mitarbeiten durfte. 

Der Vorstand verabschiedete sich wohlwollend und mit guten Wünschen zum Gelingen des Projektes und betonte nochmal, was für große Erwartungen sie auf Herrn Eisler und das gerade gestartete Rettungsprojekt legten. So langsam zerstreuten sich auch die nur im weiteren Umfeld tätigen Mitarbeiter und nur das Kernteam blieb zurück. 

Herr Eisler erhob die Stimme: „Ich würde vorschlagen, wir machen jetzt noch zehn Minuten Pause und treffen uns danach hier wieder zum ersten Arbeitsmeeting. Der Raum ist den ganzen Tag geblockt, soviel ich weiß. Nachmittags können wir dann sehen, in welcher Zusammensetzung wir weitermachen.“

Es gab zustimmendes Gemurmel und er verließ den Raum. Alina las noch einmal kurz ihr Protokoll durch und speicherte das Dokument ab. Dann schickte sie Herrn Eisler den Link zu und ging ebenfalls nochmal schnell in Richtung der Toilettenräume.

Puh, fünf Minuten Pause… 

Nachdem sie ihre Hände gewaschen hatte, ging sie wieder zurück in den großen Besprechungsraum, wo gerade die Fenster geschlossen wurden und ein paar Leute die Tische und Stühle zu einem kleineren Kreis zusammengeschoben hatten. Auch Herr Eisler saß schon wieder an seinem Tisch und tippte konzentriert auf seinem Tablet. Sie setzte sich wieder neben ihn und entsperrte ihr Gerät. 

„Danke für den Link zum Protokoll“, sagte er ohne von seinem Tippen aufzusehen.

„Gerne. Ich hoffe, das war das, was Sie sich vorgestellt haben? Sonst sagen Sie gerne was, dann kann ich das problemlos ändern.“

Er schüttelte nur den Kopf und tippte weiter. Sein Jackett hatte er mittlerweile ausgezogen und über seine Stuhllehne gehängt. Dann blickte er auf, weil der letzte gerade die Tür schloss und in Richtung seines Platzes ging.

„Ok, dann begrüße ich alle zum jetzt startenden Arbeitsmeeting. Mein Vorschlag wäre, dass wir in dieser Zusammensetzung bis zum Mittag machen. Richtungsweise halb eins oder eins. Kommt drauf an, wie schnell wir durchkommen mit den ersten Plänen. Heute Nachmittag werden schon erste Arbeitsaufträge feststehen und nur noch das Kernteam wird weiter zusammensitzen. Alle, die jetzt hier sitzen, sind ja extra für dieses Projekt freigestellt. Ich weiß, nicht jeder zu hundert Prozent, aber mindestens fünfzig Prozent. Ich erwarte, dass sich jeder voll einbringt, denn Sie haben es alle im Kick-Off gehört, der Vorstand erwartet vom Team einen Erfolg und nicht ein weiteres Scheitern, wie die letzten drei Versuche. Wer schon mal was von mir gehört hat, weiß, dass ich geholt werde, wenn nur noch verbrannte Erde hinterlassen wurde. Und ich habe nicht vor zu scheitern! Unsere Zeitschiene ist sehr knapp bemessen, das heißt, jeder muss am gleichen Strang ziehen. Einen Kuschelkurs können wir uns nicht leisten.“

Es war so ruhig in dem großen Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Jedem war mittlerweile klar geworden, auf was er oder sie sich hier eingelassen hatte und schaute ernst zu Herrn Eisler, der ruhig und nicht wirklich laut gerade einen Fakt nach dem anderen raushaute.

„Ich unterschreibe jeden Überstundenantrag und möchte alle bitten, von unnötigen Urlauben in den nächsten Monaten abzusehen. Ich weiß, dass uns der Sommer bevorsteht, aber wochenlang die Aussage es ist ja Urlaubszeit können wir uns nicht leisten. Wer es nicht verhindern kann in den Urlaub zu gehen, benennt bitte einen hundertprozentigen Vertreter, der während seiner Abwesenheit mitarbeitet.“

Alina schluckte. Der meinte es ja echt ernst!

Er war mit seinen ersten Ausführungen fertig und ging nahtlos in den Projektauftrag über. Alina schrieb wieder stichpunktartig mit. Nebenbei hatte sie noch ein Tool für die Erstellung eines Projektplans geöffnet und eine App für Notizen, wo sie sich aufschrieb, was sie noch zu erledigen oder nachzufragen hatte.