One-Night-Stand mit Potential - Hilca Stiehn - E-Book

One-Night-Stand mit Potential E-Book

Hilca Stiehn

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Beschreibung

Anika hat sich endlich von ihrem langweiligen Freund Daniel getrennt. Jetzt steht sie allerdings vor der Frage, wo sie nach der Trennung wohnen kann. Denn sie hat schon seit längerem keinen festen Job und arbeitet nur auf 450 Euro Basis als Aushilfe in einem Ein-Euro-Laden. Geld für eine Miete ist also rar. Wie von Zauberhand fügt sich aber ein Teil zum anderen und mit neuer Bleibe und einem geerbten Kater will Anika endlich wieder das Leben genießen und natürlich auch ordentlich Party machen. Ein Abend zusammen mit ihrer Freundin in einer Disco startet äußerst vielversprechend, endet allerdings in einem kompletten Filmriss und in einer absoluten Peinlichkeit. Ein Glück, dass der Typ weder ihren Nachnamen, noch ihre Adresse oder Handynummer kennt; denn dem will sie auf keinen Fall nochmal unter die Augen treten! Mit der Renovierung ihres alten Häuschens ist sie in der nächsten Zeit auch gut beschäftigt und wähnt sich knappe drei Wochen in Sicherheit, bis er dann eines Tages grinsend vor ihr steht...

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One-Night-Stand mit Potential

Einzug in ein neues LebenAngekommenPartyalarmDer Morgen danachAlltagAlles zu seiner ZeitVoll danebenGute FreundeHoch die Hände, Wochenende!Bald ist UrlaubSushi mit FolgenUnkonzentriertEndlich Urlaub!Wieder zurückAb auf die Piste!Jede Menge MissverständnisseAlles klar, Herr KommissarPicknick um die WeltKaum zu glaubenStrandspaziergangFamily dayTogetherWieder ein Buch geschafft!Impressum

Einzug in ein neues Leben

Anika

„So meine Süße, das ist der Rest. Ein Umzug mit nur zwei Personen zu bewerkstelligen, ist schon echt skurril!“ lachte Judith und stellte den letzten Wäschekorb voll mit allerlei verschiedenen Sachen im Wohnzimmer auf die Sitzfläche des altmodischen Sessels.

Anika schmunzelte. „Danke, Schwesterherz. Und freu dich doch, dass ich so wenig Sachen habe. Stell dir vor, du hättest noch Möbel schleppen müssen oder massenhaft Kartons mit Geschirr und Büchern und sowas.“

„Dann hättest du aber auf jeden Fall noch eine Handvoll Helfer und einen Transporter besorgen müssen. Wie du in deinem Alter keine eigenen Möbel besitzen kannst, ist mir schon seit Jahren ein Rätsel! Und auch deine anderen Klamotten hatten wir mit gerade mal zwei Autoladungen komplett hierher umgezogen. Wenn ich das meinen Freundinnen erzähle, die denken, ich will sie verarschen. Das glaubt mir keiner!“

„Ihr schleppt alle viel zu viel Ballast mit euch rum. Ich habe bis jetzt nichts vermisst in meinem Leben. Meine Freunde hatten immer komplett ausgestattete Wohnungen und ich bin nur mit meinen Anziehsachen bei ihnen eingezogen. Oder ich habe in einer WG gewohnt, wo die Wohnung ebenfalls komplett möbliert war. Und außerdem stimmt das gar nicht, dass ich keine eigenen Möbel habe: ich habe meinen Relaxsessel und einen Badezimmerschrank und hier oben in meinem alten Zimmer habe ich sogar ein eigenes Bett, einen Schrank, Schreibtisch und Schreibtischstuhl. Und jetzt sag du nochmal, dass ich keine eigenen Möbel besitze!“ sagte Anika herausfordernd und zwinkerte ihrer drei Jahre älteren Schwester verschmitzt zu. 

Sie lachten und ließen sich zusammen auf das alte Sofa ihrer Oma Ellie fallen.

„Ich komme mir trotzdem ein bisschen komisch vor, dass ich jetzt hier in Ellies Haus wohnen werde. Hier, mit ihren Sachen und mit ihren Möbeln. Hier, wo wir beide die letzten Jahre unserer Jugend verbracht haben, bevor wir dann auf eigenen Beinen gestanden haben. Und dann soll ich auch noch ganz alleine hier wohnen! Du weißt, ich habe noch nie alleine gewohnt, sondern immer nur mit jemandem zusammen. Das ist schon ein bisschen komisch für mich.“ Anika sah sich gedankenverloren in dem alten, kleinen Wohnzimmer um und atmete tief durch.

„Der Anlass ist natürlich auch kein schöner, aber es ist für alle Seiten gerade die passende Gelegenheit. Ellie kann nach ihrem Aufenthalt im Krankenhaus und in der Geriatrie unter keinen Umständen wieder zurück in ihr Haus; das hat uns der Arzt mehrfach gesagt und das wissen wir beide auch. Auch wenn es uns schwer fällt, das zu akzeptieren. Aber ein Beckenbruch mit dreiundachtzig ist etwas, wo man sich nicht mehr so leicht von erholt. Und dazu ihre Demenz, die durch die eineinhalb Tage, die sie hier gelegen hat, nochmal einen richtigen Schub bekommen hat... Na ja, aber alleine bist du hier ja nicht. Du hast ja Sammy als Weggefährten.“

Anika nickte betrübt. 

„Also, hab kein schlechtes Gewissen, meine Süße. Ellie findet das auf jeden Fall gut, wenn du hier einziehst und dich um Haus, Garten und ihren versnobten, eigenwilligen Kater kümmerst. Und für dich passt es auch perfekt, weil du erstmal keine Miete und keine laufenden Kosten zu zahlen hast. Und dann renovierst du hier einfach Stück für Stück ein Zimmer nach dem anderen. Die Zimmer oben sind ja grundsätzlich ganz in Ordnung. Ok, müssten vielleicht einmal neu gestrichen werden, aber ansonsten sind die ja noch so, wie wir hier damals ausgezogen sind. Und dein Zimmer, wie du gerade gesagt hast, sogar komplett mit Bett und Schrank und deinen ganzen Sachen, die du damals einfach hiergelassen hast“, schmunzelte sie.

 „Ja, du hast natürlich recht. So bin ich auf jeden Fall die nächste Zeit gut beschäftigt. Aber das Ausräumen von Ellies Sachen müssen wir echt zusammen machen. Was meinst du, was wir da alles zu Tage befördern werden! Ich will ja gar nicht alles wegschmeißen, aber alles behalten geht natürlich auch nicht. Und die ganzen Papiere müssen wir sowieso durchgucken.“

Judith nickte und gab ein abfälliges Geräusch von sich. „Das wäre eigentlich die Aufgabe unseres Erzeugers! Aber der kümmerst sich ja wie immer um nichts!“

„Na ja“, warf Anika besänftigt ein, „das stimmt ja nicht so ganz. Er war immerhin vor zwei Wochen hier, nachdem der Unfall passiert war, und hat sich jetzt auch um einen anschließenden Heimplatz für Ellie und um alles gekümmert. Aber er war schon sehr angetan davon, dass ich hier einziehe und er sich da nicht auch noch drum kümmern muss, da hast du natürlich recht.“

„Er bleibt halt ein Scheißkerl! Egal jetzt. Ich muss los und meine beiden Terroristen aus der Kita abholen. Du hast ja noch ein bisschen was zu tun. Und du hast freie Auswahl, wo du anfangen willst“, lachte Judith und stand auf. 

Anika boxte sie in die Seite und grinste dazu. „Du schadenfrohe Nudel! Danke für deine Hilfe und grüße meine beiden Lieblingsterroristen und deinen Schatz natürlich auch von mir. Und Sonntag fahre ich zu Ellie ins Krankenhaus und besuche sie. Ich habe mir schon die Busverbindung rausgesucht. Oder falls das Wetter richtig schön ist, fahre ich vielleicht sogar mit dem Rad hin. Ich werde mir jetzt erstmal eine Pizza in den Ofen werfen und dann oben mein altes Jugendzimmer sichten und überlegen, wie ich daraus ein gemütliches Schlafzimmer herrichte.“ 

Die beiden Schwestern umarmten sich zum Abschied und gingen durch den Flur in Richtung Haustür. 

„Tschüß, Süße. Wir telefonieren.“

Judith stieg in ihren SUV von Audi, den sie vor dem Garagentor mit der abblätternden Farbe geparkt hatte, ließ den Motor an und gleichzeitig das Fenster runter, um ihrer kleinen Schwester nochmal zuzuwinken, während sie rückwärts von der Auffahrt runterfuhr und auf der ruhigen Wohnstraße Gas gab. Anika winkte dem Auto nach und ging gedankenverloren wieder rein ins Haus. 

Hier würde sie jetzt erstmal wohnen. Ok, es war bei weitem nicht schön, alles war alt und seit Jahren nicht mehr renoviert worden, aber es war immerhin eine eigene Bleibe und sie musste nicht ihre Freunde alle abklappern, ob sie bei jemandem hätte unterkommen können.

Vor drei Wochen hatte sie endlich einen Schlussstrich unter die Beziehung zu ihrem Freund Daniel gezogen, auch wenn ihm nach wie vor unverständlich war, wie sie auf den Gedanken kam, dass sie eigentlich schon seit einem dreiviertel Jahr überhaupt keine Beziehung mehr gehabt hatten. Daniel war ein echtes Gewohnheitstier und jede Änderung war ihm zuwider. Deshalb natürlich auch die Vorstellung, dass seine Freundin in Zukunft nicht mehr an seiner Seite war. Seiner Meinung nach war alles perfekt, so wie es war, und wenn er erst in zwei Monaten mit seiner Weiterbildung fertig sein würde, würde er auch wieder in Hamburg arbeiten und würde sein Zimmer in Berlin wieder aufgeben. Und dann, so hatte er immer angekündigt, würden sie beide auch endlich nach einer größeren und schöneren Wohnung suchen.

Pah, um so mehr er diese Zukunftspläne geäußert hatte, um so deutlicher war Anika geworden, dass sie sich keinesfalls eine Zukunft mit ihm vorstellen konnte. Daniel war der wohl langweiligste Typ, den man sich so denken konnte. Sie hatte ihn zwar mal ganz interessant gefunden, aber mittlerweile war ihr klar, dass sie vor vier Jahren nur jemanden gesucht hatte, der ein ruhiges und geregeltes Leben führte. Und da war Daniel genau der Richtige für gewesen. Er arbeitete bei einer großen Krankenversicherungsgesellschaft und hatte eine konservativ eingerichtete zweieinhalb Zimmerwohnung in einem Wohnblock aus den siebziger Jahren und sie war schon kurze Zeit nach ihrem Kennenlernen zu ihm gezogen. Das passte ihr zu dem Zeitpunkt auch ganz gut, weil sie den Zuschlag für eine neue Halbtagsstelle als Büroassistenz in Hamburg bekommen hatte und deshalb sowieso ein Umzug von Kiel nach Hamburg anstand. 

Im Nachhinein betrachtet hatte sie schon häufig darüber nachgegrübelt, ob sie Daniel vielleicht sogar nur aus diesem einen Grund heraus interessant gefunden hatte... Aber nein, das würde ihm auch nicht gerecht werden. Sie hatten schon auch Spaß miteinander gehabt und sich auch gut verstanden. Aber die große Liebe war es auf jeden Fall nicht gewesen. Zumindest von ihrer Seite her nicht!

Schon nach kurzer Zeit hatte sich ein ziemlich langweiliger Alltag breit gemacht, den sie einfach auf ihre Weise durchbrochen hatte, indem sie sich regelmäßig mit ihren Freundinnen getroffen hatte und abends auch öfter mal ohne Daniel unterwegs war. Er saß halt lieber zu Hause, schaute geschichtliche Dokumentationen im Fernsehen oder bastelte stundenlang an irgendwelchen Modellflugzeugen oder Modellschiffen herum. Ein ganzes Regal voll mit diesen Modellen hatte auch eine komplette Wand im Schlafzimmer eingenommen. Bei den Gedanken daran schüttelte Anika den Kopf und kniff verabscheuend die Augen zusammen. Wie hatte sie es bloß vier Jahre mit ihm aushalten können? Jeder hatte ihr auf den Kopf zugesagt, dass Daniel eine absolute Schlaftablette vor dem Herren war und hatte sie gefragt, wie sie mit so einem Typen immer noch zusammen sein konnte!? 

Zum Glück war das Thema jetzt erledigt. Sie fühlte sich seitdem wirklich erleichtert, auch wenn ihr die endgültige Trennung zuerst überhaupt nicht leicht gefallen war. Das war allerdings rein aus dem ganz pragmatischen Grund heraus, dass sie nicht gewusst hatte, wo sie hin sollte, sprich wo sie wohnen konnte. Sie hatte nämlich momentan keinen festen Job, sondern nur eine Aushilfstätigkeit auf 450 Euro Basis in einem Ein-Euro-Laden und noch zwei kleine Putzjobs, wo sie ein paar Kröten bar auf die Hand bekam. Das war nichts, wo man sich eine eigene Wohnung, nein, noch nicht mal ein einzelnes Zimmer von leisten konnte. 

Daniel war selbstverständlich sehr betroffen von der Trennung, aber drängte sie nicht, dass sie sofort ausziehen musste. Er war unterhalb der Woche sowieso in Berlin und nur an den Wochenenden zu Hause. Er ließ ihr einfach Zeit und hoffte wahrscheinlich insgeheim, dass sie sich das doch nochmal überlegte und weiter bei ihm blieb. Denn er hing schon sehr an ihr, dass wusste sie. Aber das war keine Option!

Sie hatte schon bei den ersten Freunden und Freundinnen angefragt, ob sie dort für eine gewisse Zeit zur Überbrückung unterkommen könnte, als dann der Unfall von Ellie passiert war. Ellie wohnte mit ihren dreiundachtzig Jahren immer noch alleine in ihrer kleinen Doppelhaushälfte, auch wenn morgens und abends ein Pflegedienst vorbeikam und sie ein wenig unterstützte und darauf achtete, dass sie ihre Medikamente regelmäßig einnahm. Schon seit mindestens einem halben Jahr diskutierten Judith und Anika immer wieder, ob es nicht langsam an der Zeit wäre, Ellie doch in einem Seniorenheim unterzubringen, da sie beide bemerkten, dass ihr geistiger Zustand durch eine voranschreitende Demenz sich immer weiter verschlechterte. Aber sie hatten diesen endgültigen Schritt immer noch gescheut und weiter hinausgezögert. Aber jetzt war Handeln gefordert. 

Vor vier Jahren war Opa Herbert gestorben und Ellie seitdem ganz alleine gewesen. Kurz vor seinem Tod hatte auch der langjährige Hauskater Schmiddel das Zeitliche gesegnet und eigentlich hatte es keine weitere Katze mehr geben sollen. Aber Judith und Anika hatten irgendwann beschlossen, dass Ellie wieder einen tierischen Gefährten brauchte, nachdem Herbert nicht mehr da war. Und so war dann Sammy hier eingezogen. Ein süßes, kleines, schwarzes Katzenbaby mit weißen Schnurrhaaren, weißen Pfoten und weißer Brust und Bauch. Und seit diesem Tag war das Tier nach Strich und Faden von Ellie verwöhnt worden und man hatte das Gefühl, dass er hier das Sagen im Haus hatte und sich alles nach ihm zu richten hatte. 

Anika war gestern schon hier im Haus gewesen und hatte zusammen mit einem Freund ihren Sessel und den kleinen Badezimmerschrank auf einem Anhänger rübergebracht. Auch da war Sammy nicht zu sehen gewesen. Heute hatte sie ihn ebenfalls noch nicht zu Gesicht bekommen, auch wenn er sie und Judith normalerweise kannte und deshalb nicht immer gleich das Weite suchte. Aber bei zuviel Trubel im Haus oder bei Besuchern war er stets wie vom Erdboden verschwunden und kam erst wieder durch seine Katzenklappe rein, wenn wieder Ruhe herrschte. Es war also klar, dass ihm das Reintragen ihrer Klamotten nicht gefallen hatte und er deshalb lieber durch Abwesenheit glänzte. Bestimmt würde er aber im Laufe des Nachmittags oder Abends auftauchen. Mal schauen, ob es ihm gefiel, dass sie jetzt hier anstelle von Ellie wohnte und sein neuer Dosenöffner sein würde...

Nachdem sie ihre Tiefkühlpizza verspeist hatte, machte sie sich auf einen ersten Erkundungsgang durch das Haus. Die kleine Doppelhaushälfte stammte aus dem Anfang der Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts und hatte bestenfalls eine Wohnfläche von achtzig Quadratmetern. Für eine Person war das natürlich üppig, aber über mehrere Jahre hatten sie hier sogar zu viert gewohnt. Anika war dreizehn gewesen, Judith sechzehn, als ihre Mutter bei einem Autounfall gestorben war. Ihr Vater oder auch Erzeuger, wie ihn Judith immer nur nannte, hatte die Familie schon verlassen, als Anika noch nicht mal ein Jahr alt gewesen war. Von einem auf den anderen Tag standen die beiden Schwestern alleine da.

Ellie und Herbert waren eigentlich die Eltern ihres Vaters Frank, aber hatten sich auch nach der Trennung ihrer Eltern immer liebevollst um ihre beiden Enkelinnen gekümmert und auch ihre Mutter unterstützt, wo es nur ging. Ihre anderen Großeltern hatte Anika nur sehr selten in ihrem Leben zu Gesicht bekommen. Sie wohnten irgendwo in Süddeutschland und schickten nur zu Geburtstagen und zu Weihnachten eine Karte mit Geld. Immerhin...

Für Ellie und Herbert war nach dem Unglück sofort klar gewesen, dass sie die beiden Mädchen zu sich nehmen würden, bis sie irgendwann auf eigenen Beinen stehen konnten. Anika und Judith waren zu der Zeit völlig traumatisiert gewesen und ein Umzug zu einem quasi unbekannten Vater oder in eine Pflegefamilie oder ähnliches, hätte die beiden wahrscheinlich total aus dem Gleichgewicht gebracht. Aber so hatten sie wenigstens einen bekannten Ort und sie liebende Menschen gehabt, die ihnen beiden über die schwere Zeit hinweggeholfen hatten. 

Ellie und Herbert schmissen kurzerhand ihr Esszimmer im Erdgeschoss raus, um dort ihr Schlafzimmer reinzuverlegen. Dieser Raum war durch eine große Doppelflügeltür mit dem Wohnzimmer verbunden und bei früheren Geburtstagsfeiern waren immer jede Menge Leute zu Besuch gewesen und die beiden kleinen Räume vollgestellt mit Tischen und Stühlen. Wenn einer mal auf Toilette musste, mussten immer mindestens drei oder vier andere Personen ebenfalls aufstehen, um denjenigen von hinten rauszulassen. Aber es waren einfach schöne und gemütliche Feste gewesen und nie hatte sich jemand beschwert, dass zu wenig Platz gewesen wäre oder ähnliches. Die Flügeltüren waren seitdem geschlossen und der Glasausschnitt der Türen vom Schlafzimmer aus mit einer Gardine zugehängt. 

Im Obergeschoss gab es das eigentliche Schlafzimmer und noch das etwas kleinere Kinderzimmer, in dem ehemals ihr Vater aufgewachsen war. Diese beiden Räume wurden leergeräumt, schnell neu gestrichen und jedes der beiden Mädchen erhielt oben ein eigenes Zimmer. 

Außerdem hatte Herbert einen Teil vom Hauswirtschaftsraum dem kleinen Gästebad hier unten zugeschlagen und dort eine Dusche für sich und Ellie eingebaut. So konnten die beiden Mädels das Badezimmer im Obergeschoss ganz für sich alleine haben und sie beide waren im Erdgeschoss von den jungen Damen unabhängig.

Es hatte wirklich gut geklappt und war im Rückblick betrachtet eine schöne Zeit hier im Haus gewesen. Auch wenn sie beide dann zeitig ausgezogen waren. Judith war mit zwanzig zu ihrem Freund gezogen, Anika sogar schon mit neunzehn gleich nach der Schule und kurz nachdem sie ihre Ausbildung angefangen hatte. 

Ellie und Herbert hatten nach dem Auszug der beiden Mädels beschlossen, trotzdem mit ihrem Schlafzimmer hier im Erdgeschoss zu bleiben. Zum einen wurden sie beide auch nicht jünger und große Feiern waren mittlerweile nur noch selten. Und das Obergeschoss war seit diesem Zeitpunkt quasi ungenutzt.

Am späten Nachmittag klingelte es an der Haustür. Anika hatte gerade die Schreibtischschubladen und die alten Sachen aus der Kommode und aus ihrem Kleiderschrank oben ausgeräumt, um Platz für ihre aktuellen Klamotten zu schaffen.

„Hi Ralf“, begrüßte sie ihren neuen Nachbarn.

„Hallo Anika. Ähm, ich wollte eigentlich nur fragen, ob du jetzt schon umgezogen bist und heute schon hier schläfst oder ob ich Sammy noch weiter füttern soll?“

„Ich bin ab heute deine Nachbarin und das offizielle Kater-Ersatzfrauchen“, lachte sie.

„Perfekt. Willst du den Haustürschlüssel zurückhaben oder soll ich den weiter behalten? Ich hatte von Ellie ja immer einen Schlüssel und du hast auch einen von mir. Ist manchmal gar nicht so schlecht, wenn man irgendwo einen Ersatzschlüssel hat.“

„Oh, ich habe einen Schlüssel von dir? Wusste ich gar nicht. Weißt du welcher das ist?“

„Klar, kann ich dir zeigen. Da hinten in dem kleinen Schlüsselkasten.“

„Komm erstmal rein.“

Sie schauten gemeinsam in den Schlüsselkasten und Ralf wusste eine ganze Menge der Schlüssel zuzuordnen, was Anika schon mal ganz praktisch fand.

„Behalte gerne einen Haustürschlüssel von mir. Wie du schon sagst, es ist bestimmt manchmal praktisch und ich bin oft ganz schön schusselig. Ich werde dich wahrscheinlich häufiger mal bemühen, dass du mir deinen Schlüssel geben musst.“

Ralf lachte und zwinkerte ihr zu. „Kein Problem. Auch wenn du sonst bei irgendwas Hilfe brauchst oder dir etwas fehlt, komm einfach rüber.“

„Danke, da komme ich bestimmt drauf zurück.“

„Alles klar. So, ich will jetzt in den Garten und hinten ein Stück graben. Morgen will ich Kartoffeln pflanzen, das Wetter soll ja gut werden.“

„So früh schon? Pflanzt man Kartoffeln nicht erst Mitte April?“

„Wenn es Anfang April gut ist, pflanze ich immer schon Anfang April. Hat meinen Kartoffeln noch nie geschadet. Im Gewächshaus habe ich sogar schon Radieschen und Salat. Ich denke zwei, drei Wochen noch, dann kann ich schon die ersten ernten.“

„Wow! Echt cool. Vielleicht habe ich auch irgendwann mal Lust ein bisschen Ackerbau und Viehzucht hinten zu betreiben, aber vorerst habe ich hier im Haus genug zu tun! Ich muss auf jeden Fall nach und nach alles einmal durchrenovieren. So wie es jetzt ist, fühle ich mich nicht wirklich wohl. Ach, wann gehen eigentlich die Mülleimer? Ich bin ja am Aussortieren und habe bestimmt jede Menge Sachen zu entsorgen.“

„Immer dienstags. Nächste Woche ist Restmüll, die Woche darauf ist die Biotonne dran. Und donnerstags nach der Restmülltonne geht die gelbe Tonne. Eigentlich musst du nur immer nach drüben bei Frau Spiekermann gucken, welche Mülltonne bei ihr direkt vor der Haustüre steht. Dann weißt du welche dran ist, das kannst du eigentlich nicht verpassen“, lacht er.

Sie waren mittlerweile wieder vorne bei der Haustüre angekommen und Anika schaute belustigt auf die besagte Doppelhaushälfte auf der anderen Straßenseite. „Wieso stellt sie denn eigentlich die Mülltonnen immer direkt vor ihre Haustüre?“

„Keine Ahnung. Vielleicht will sie sich so die renitenten Besucher vom Leib halten. Obwohl Besuch bekommt sie sowieso keinen, aber die wenigen, die dort vielleicht mal kommen, haben kaum die Möglichkeit bis zur Türklingel vorzudringen. Mein Mülleimer ist übrigens auch meistens nur halb voll. Also wenn du noch was loswerden willst, stopfe das Montagabend gerne in meine Tonne rein.“

„Super, danke. Dann dir viel Spaß im Garten. Und ich mache mich mal wieder an meine Arbeit. Ciao Ralf!“

Er hob zum Abschied kurz die Hand und verschwand mit einem Zwinkern um die linke Hausecke. 

Ralf war nicht der Nachbar, mit dem sie sich ein Haus teilte, sondern der im Doppelhaus nebenan. Aber ihre beiden Garagen waren genau aneinander gebaut und es gab keinen Zaun und keine Hecke zwischen ihren beiden Grundstücken. Seine Eltern waren damals sehr gut mit Ellie und Herbert befreundet gewesen, aber schon vor bestimmt zehn oder zwölf Jahren ausgezogen und in eine Seniorenwohnanlage gezogen. Von daher kannte Anika Ralf und auch seine Eltern ziemlich gut. Sie hatte damals noch hier nebenan gewohnt als seine Eltern aus- und Ralf mit seiner Frau eingezogen war. Die Ehe war leider mittlerweile geschieden und er schien momentan keine neue Freundin zu haben. Schade eigentlich, denn er war wirklich super nett und immer hilfsbereit. Aber keinesfalls jemand für Anika! Wie sie wusste war er Mitte oder Ende vierzig und war auch ansonsten nicht ihr Typ Mann.

Zum Abend hin hatte sie oben jede Menge Sachen aussortiert und ihre Restmülltonne war schon randvoll. Auf jeden Fall würde sie auf Ralfs Angebot zurückkommen und noch weitere Sachen in seiner Mülltonne entsorgen. Sie hatte den Schreibtisch und den Schreibtischstuhl erstmal ins Zimmer nebenan reingequetscht und eine hässliche Kommode auseinandergenommen, die sie nicht mehr haben wollte, und die Teile gleich in die Garage verfrachtet. Bestimmt müsste sie irgendwann mal Sperrmüll anmelden. Aber da würde wahrscheinlich noch einiges dazukommen!

Dann hatte sie den Kleiderschrank ausgewischt und ihre Klamotten erstmal behelfsmäßig dort reingehängt. Auch das Bett hatte sie frisch bezogen und das Zimmer zu guter Letzt nochmal ausgesaugt. Aber Judith hatte schon recht: sie musste die Zimmer oben auf jeden Fall einmal neu streichen. Sie war immerhin vor zehn Jahren hier ausgezogen und seitdem war dort nichts verändert worden.

Sie beschloss Montagnachmittag nach ihrer Arbeit im Ein-Euro-Laden bei einem Baumarkt vorbeizufahren und sich Wandfarbe, Abklebeband, Abdeckfolie, Pinsel und Rollen zu besorgen. Viel Geld hatte sie zwar nicht auf ihrem Konto, aber sie musste momentan auch nichts für die Miete bezahlen. Deshalb würde sie immer mal wieder das eine oder andere für eine Renovierung investieren können. 

Jetzt stand sie in der Küche an der Arbeitsplatte und schmierte sich ein Brot. Ein Minimum an Lebensmitteln hatte sie gestern schon im Kühlschrank deponiert, als sie ihren Sessel hier ins Haus gebracht hatte, aber morgen früh musste sie auf jeden Fall erstmal einen Großeinkauf machen. Vielleicht sollte ich gleich nach dem Abendbrot nochmal die Küchenschränke und die Vorratskammer durchschauen. Bestimmt hat Ellie einige Sachen, die ich erstmal nicht einkaufen brauch.

Sie biss im Stehen von ihrem Brot ab und vernahm ein leises Klappen. Kurze Zeit später kam Sammy mit hoch erhobenem Schwanz um die Ecke stolziert und setzte sich majestätisch vor seine leeren Näpfe.

„Sammy! Hast du auch Hunger? Warte, ich geh mal nachschauen, was es so für dich gibt.“

Anika biss noch einmal schnell von ihrem Brot ab und ging in die kleine Vorratskammer. Dort stand ein ganzer Karton voll mit kleinen Dosen Katzenfutter und sie wählte die Geschmacksrichtung Leber mit Gemüsestückchen aus. Ob ihr Kater auf sowas stand? Na, sie würde es ja gleich sehen.

Zurück in der Küche spülte sie den Napf erstmal aus, trocknete ihn ab und füllte dann das Fleisch aus der Dose hinein. Es roch so, wie Katzenfutter nun mal roch, aber grundsätzlich schon appetitlich. Sie stellte den Napf vor Sammy hin und wartete ab. Der Kater schaute einmal zum Napf, dann mit einem vorwurfsvollen Blick zu ihr hoch, so als ob er sagen wollte: „Ist das jetzt echt dein Ernst? Hast du nichts Besseres für mich?“ Nach einer Weile hockte er sich aber doch runter und begann langsam zu fressen. 

Anika stieß geräuschvoll die Luft aus, die sie gespannt angehalten hatte. Als ob sie sich vor dem Stubentiger dafür rechtfertigen musste, was er hier zu fressen bekam! Sie lachte leise und schüttelte den Kopf. „Katerchen, du wirst jetzt in Zukunft mit mir Vorlieb nehmen müssen. Ich kann es nicht ändern, aber Ellie kann leider nicht mehr zu dir zurück kommen. Aber ich glaube, wir bekommen das beide hin, oder?“

Der Kater antwortete natürlich nicht, sondern war weiter mit seinem Futter beschäftigt. Anika nahm ihr Brotbrett und setzte sich damit an den kleinen Tisch in der Küche, um ebenfalls ihr restliches Abendbrot zu verspeisen.

Danach machte sie sich daran die Küchenschränke zu inspizieren. Es gab jede Menge Tütensuppen und Puddingpulver, die schon vor mehreren Jahren abgelaufen waren und die sofort aussortiert wurden. Aber die Grundnahrungsmittel waren immerhin vorhanden und brauchten damit erstmal nicht auf ihre Einkaufsliste.

In der Vorratskammer sah es auch nicht besser aus. Einen Großteil der dort befindlichen Dosen und Lebensmittel war schon vor langer Zeit abgelaufen. Sie fand ein paar Flaschen Fanta und Sprite, deren Verfallsdatum schon so weit zurück lag, dass noch nicht mal mehr ein müdes Blubberbläschen erkennbar war, als sie die Flaschen ausgoss. Unmengen von abgelaufenen Dosensuppen, Gurken- und Würstchengläser wanderten erstmal aus den Regalen in eine Ecke auf dem Fußboden. Vier große Pakete Klopapier hatte sie allerdings in unterschiedlichen Regalen gefunden. Das würde sie wahrscheinlich im gesamten nächsten Jahr alleine nicht verbrauchen können! Jetzt kam sie zu einigen Keksdosen. Die ersten drei waren leer und wanderten gleich in eine andere Ecke, wo sie Müll für die gelbe Tonne sammelte. Die nächste Dose war auch zu leicht, als dass sie mit Keksen gefüllt war, aber irgendwas war darin, also öffnete sie den Deckel und blickte erstaunt auf jede Menge Geldscheine. Eine stille Reserve? Der Notgroschen? Sie nahm die Scheine raus und zählte sie kurz durch. Es waren dreihundertzwanzig Euro, eine stolze Summe. Diese Dose stellte sie erstmal nachdenklich in der Küche auf den Küchentisch.

Bei ihrem weiteren Aufräumen fand sie auch noch eine andere Blechdose gefüllt mit Euro- und Zweieuromünzen und an ein paar Stellen zwischen Gläsern und Dosen mal hier und dort ein paar zusammengerollte Geldscheine oder zwischen zwei abgelaufenen Knäckebrotpaketen nochmal drei Fünfzigeuroscheine.

Am Ende ihrer Aufräumaktion stand fast der ganze Fußboden mit abgelaufenen Lebensmitteln voll, außerdem war die gelbe Tonne schon zur Hälfte mit leeren Dosen und sonstigem Müll gefüllt und jede Menge leere Flaschen, Einmach- und Schraubgläser hatte sie auch aus den Regalen aussortiert. Sie wusch sich die Hände, die fast schwarz vom ganzen Staub der so lange nicht mehr gebrauchten Sachen waren, und nahm dann die gefundenen Münzen und Scheine mit ins Wohnzimmer, wo sie sie auf dem Wohnzimmertisch sortierte und danach durchzählte. Wow, sechshundertzweiundfünfzig Euro hatte sie vor sich liegen! Das musste sie morgen erstmal Judith erzählen. 

Angekommen

Anika

Die nächsten Tage hatte Anika weiter auf- und ausgeräumt und zwischenzeitlich glänzten die Regale im Vorratsraum und auch alle Küchenschränke sowie das darin befindliche Geschirr wieder. Das war allerdings eine ganz schön zeitraubende Angelegenheit gewesen, weil es in Ellies Küche keine Spülmaschine gab und sie alles von Hand abwaschen musste. Nach dieser Aktion hatte sie wirklich Spülhände gehabt! 

Auch in den Küchenschränken hatte sie in Tassen und Schüsseln weitere Geldfunde gemacht. Natürlich hatte sie gleich am Samstag ihrer Schwester davon berichtet und wollte eigentlich das Geld zumindest mit ihr teilen. Aber Judith hatte das strikt abgelehnt, da ihr Mann Markus mehr als genug verdiente und sie keinesfalls etwas davon haben wollte. Anika sollte das Geld einfach für die notwendigen Renovierungen nehmen oder das ein oder andere neue Möbelstück davon anschaffen, hatte sie zu ihr gesagt.

Dieser unvorhergesehene Geldsegen war wirklich kaum zu fassen für Anika, aber um so länger sie sich mit dem Gedanken angefreundet hatte, um so mehr freute sie sich darüber und machte schon Pläne, wie sie das Geld am besten einsetzen konnte. Denn bei so viel Geld, war ja durchaus die Anschaffung eines neuen Teppichbodens im Wohnzimmer möglich. Oder vielleicht sogar ein neues Sofa?

Am Mittwochvormittag hatten Anika und Judith zusammen Ellies Kleiderschrank aussortiert, weil sie die vorhandenen Kleidungsstücke sowieso durchschauen mussten und entscheiden mussten, welche Sachen zukünftig bei der nächste Woche startenden Reha in der geriatrischen Abteilung geeignet waren und welche Ellie auch danach mit in ihr neues Zimmer im Seniorenheim nehmen würde. Sie hatten dazu schon eine Liste vom Krankenhaus wie auch vom Heim mit benötigten und geeigneten Anziehsachen erhalten. Auch hier sortierten sie gemeinsam jede Menge Klamotten aus, die teilweise uralt oder schon zerschlissen waren, aber trotzdem immer noch einen Platz im riesigen Kleiderschrank hatten. Immerhin gab es keine Sachen von Opa Herbert mehr, denn diese hatten sie damals schon zusammen mit Ellie gemeinsam aussortiert. 

Judith hatte eine dicke Rolle mit großen blauen Müllsäcken mitgebracht, wo sie gleich die ausgemusterten Kleidungsstücke drin verstauten und die sie im Anschluss in einen Altkleidercontainer bringen wollte. Da Anika kein Auto besaß, hätte sie sonst Sack für Sack einzeln auf ihrem Fahrrad transportieren müssen.

Ihr geliebter gelber Corsa, den sie jahrelang gefahren hatte, war letztes Jahr leider nicht mehr durch den TÜV gekommen und es hatte sich nicht mehr gelohnt noch so viel Geld in das Auto zu stecken, um diesen nochmal fertigzumachen, damit sie ihn zwei weitere Jahre hätte fahren können. Da sie aber auch keine Ersparnisse zu dem Zeitpunkt gehabt hatte, hatte es auch kein neues Auto für sie gegeben. Auch hier hatte ihr Exfreund Daniel davon geredet, dass er ihr ein neues kleines Auto kaufen wollte, wenn er erstmal mit seiner Weiterbildung fertig war. Seitdem war Anika halt nur mit ihrem Fahrrad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, was aber auch kein Problem war. 

Auch im Kleiderschrank zwischen den Pullovern und Stapeln von Bettwäsche und Handtüchern hatten sie beide jede Menge weiteres verstecktes Geld gefunden. Und zwar nochmal deutlich mehr, als Anika schon in der Küche und im Vorratsraum gefunden hatte.

Mehrere altmodische Handtaschen lagen in einem Fach des Schranks und in jeder befand sich auch ein Portemonnaie und darin in den meisten Fällen auch eine ansehnliche Summe Geld. Tatsächlich machte das Aussortieren durch diesen Umstand richtig Spaß, weil man jedes Mal gespannt war, wenn man ein weiteres Kleidungsstück vom Stapel nahm, ob darunter vielleicht wieder ein Geldschein zum Vorschein kam. Auch in Mantel- und Jackentaschen gab es noch mehrere Geldfunde. 

„Das ist ja echt irre, was wir hier alles finden. Wahrscheinlich hat sie das auch mittlerweile komplett vergessen, wo sie mal das eine oder andere Gelddepot angelegt hat. Nicki, davon kannst du schön das Wohnzimmer renovieren und dir ein paar komplett neue Möbel leisten. Ich freue mich total für dich! Es trifft auf jeden Fall genau die Richtige!“ Judith hatte gerade zwei weitere Fünfzigeuroscheine zwischen den Geschirrhandtüchern gefunden und legte sie auf die Kommode zu den anderen Geldscheinen.

„Als wir Herberts Sachen aussortiert haben, war da aber nix dazwischen. Das muss sie wirklich erst jetzt alles in den letzten paar Jahren hier versteckt haben, seit sie alleine ist. Willst du nicht doch die Hälfte davon haben? Dann kannst du mal schön davon shoppen gehen. Oder kauf Paul und Jonas davon was Schönes“, versuchte Anika nochmal ihre Schwester davon zu überzeugen, dass sie sich das Geld teilen sollten. 

„Nix da, du kannst das Geld eindeutig besser gebrauchen als ich. Ich muss nicht nochmal extra shoppen gehen. Keine Widerrede: du behältst das Geld und verwendest es hier für das Haus. Und jetzt will ich nix weiter davon hören!“

Anika atmete tief durch und nickte dann leicht grinsend. „Ok, ich frage dich auch nicht mehr. Du hast deine Chancen jetzt verwehrt. Wahnsinn, so viel Geld! Ich bin total geplättet.“

„Kommst du denn oben mit deinem Schlafzimmer voran?“

„Das wird wahrscheinlich am Wochenende fertig. Dadurch dass ich ja auch arbeiten muss, habe ich nur mal vormittags oder abends ein paar Stunden Zeit und da schafft man nicht so viel wie an einem kompletten Tag am Wochenende. Aber ich habe gestern den Kleiderschrank und das Bett auseinander genommen und das Zimmer ist jetzt komplett leer. Heute Abend werde ich dann versuchen alles abzukleben und vielleicht kann ich morgen schon anfangen die Decke zu streichen. Allerdings bin ich gerade am überlegen, ob ich bei soviel Geld nicht auch gleich einen neuen Teppich oben reinlegen sollte. Was meinst du?“ fragte Anika ihre Schwester.

„Unbedingt! Wenn du schon alles ausgeräumt hast, dann solltest du das gleich mitmachen. Der Raum ist ja nicht so groß, das kostet also kein Vermögen. Und dir ist es doch egal, ob du noch zwei Tage länger im Zimmer nebenan schläfst, oder?“

„Ja, das stimmt. Ich frag mal Max, ob der mir vielleicht mit dem Teppich hilft. Dann fahre ich heute Nachmittag nach der Arbeit gleich bei einem Möbeldiscounter vorbei und schaue mal, was es da so an Auslegware gib. So langsam fängt diese Sache an richtig Spaß zu machen! Und wenn ich einen neuen Teppich reinlege, brauche ich noch nicht mal beim Streichen den Boden abdecken. Echt perfekt!“

Judith schmunzelte und nahm einen der letzten Stapel Unterhemden aus dem Schrank. „Das freut mich total für dich. Oh, nochmal hundertfünfzig Euro für deine Renovierungskasse“, sagte sie dann und zwinkerte ihr zu. „Siehste, da ist der neue Teppich schon gleich mit finanziert. Gehst du nur mit Jessika am Freitag auf die Piste oder kommen noch mehr Leute mit?“ 

„Sie hatte irgendwas gemurmelt, dass vielleicht noch zwei andere Freundinnen mitkommen, aber das war noch nicht klar. Aber ist ja auch egal. Ich fahre abends zu ihr und wir wollen gemeinsam Spaghetti kochen und uns danach fertig machen. Ich freue mich schon total endlich mal wieder richtig loszugehen ohne einen Hemmschuh am Bein zu haben.“

  „Das hättest du schon viel früher haben können, wenn du Daniel einfach abgeschossen hättest. Die vier Jahre zusammen mit ihm sind echt verschenkte Zeit gewesen. Mit dem richtigen Mann hättest du schon lange eigene kleine, quengelige Gören haben können. Ich will ja schließlich auch irgendwann mal Tante werden.“

Anika schmunzelte und knotete einen weiteren Sack zu. „Dazu müsste ich aber erstmal den richtigen Mann finden und die fallen ja bekanntlich auch nicht einfach so vom Himmel. Aber irgendwann vielleicht, Schwesterherz, irgendwann.“

„Beeile dich mal. Ich will ja nicht mehr ewig warten. Und du wirst übrigens auch nicht jünger. Nächstes Jahr wirst du dreißig, meine Süße!“

„Ich weiß und jetzt nerv nicht, Frau Oberlehrerin!“

 Sie schmunzelten zusammen und warfen sich einen kurzen liebevollen Blick zu. Diese kleinen Kappeleien zwischen Schwestern waren keinesfalls böse gemeint und zeugten nur von ihrem innigen Verhältnis zueinander. 

Draußen im Garten blühte und grünte es auch schon an allen Ecken und Kanten. Aber auch hier musste irgendwann mal richtig Klarschiff gemacht werden. Ellie hatte zwar die letzten paar Jahre einen Herren gehabt, der ab und zu mal im Garten geholfen hatte, aber im letzten Jahr war er dann nur ganz unregelmäßig gekommen und an vielen Stellen sah man das auch. In mehreren Beeten war jede Menge Unkraut zu sehen und vorne im Vorgarten vor dem Haus war auf der Mitte der kleinen Rasenfläche die Zuckerhutfichte eingegangen und gab ein trübseliges Bild ab. Der letzte Sommer war recht schön gewesen, aber leider hatte es viel zu wenig geregnet, so dass es einige Pflanzen nicht geschafft hatten. 

Trotzdem freute es Anika jeden Tag von Neuem, wenn sie die paar Meter aus alten Waschbetonplatten von der Straße zu ihrer Haustüre ging und links und rechts in den Rabatten und in den Beeten vor dem Haus täglich neue Frühlingsblüher ihre Köpfe aus der Erde reckten und eindeutig anzeigten, dass der Winter jetzt vorbei war. Ellies Garten war durch viele Jahre entstanden und unendlich viele Stauden und Blumenzwiebeln waren in den Tiefen des Boden versteckt und zeigten sich jedes Jahr wieder von ihrer schönsten Seite. Sehr viele der Gärten in dieser Wohnstraße waren auf die gleiche Art und Weise angelegt und gaben ein heimeliges Gesamtbild ab.

Die Häuser waren damals alle nach dem gleichen Bauplan gebaut worden, auch wenn mittlerweile deutliche Unterschiede sichtbar waren. Der ein oder andere hatte schon mal einen Anbau gemacht, einige Dächer waren mit neuen Dachpfannen eingedeckt oder die Fassaden gestrichen oder mit anderen Steinen verblendet worden.

Den gesamten Straßenzug lang standen auf beiden Seiten identischen Doppelhäuser mit ihren riesigen Gartenflächen hinter dem Haus, die früher bei vielen als Obst- und Gemüsegarten genutzt worden waren, heute aber in den meisten Fällen nur noch eine Rasenfläche aufwiesen. Auch hinter Anikas Haus zog sich ein sehr langes Gartengrundstück. Am Ende waren einige Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume, im vorderen Teil gleich an die Terrasse anschließend gab es ein großes blühendes Beet. Der Teil dazwischen war mittlerweile auch nur noch Rasen. Bis vor ein paar Jahren hatte Ellie hier ebenfalls noch Beete mit Erdbeeren und Gemüse gehabt.

Ihr Nachbar Ralf baute nach wie vor in einem Teil des Gartens sein eigenes Gemüse an und er hatte die Fläche schon ordentlich gegraben und mit Beeten und kleinen Wegen dazwischen angelegt. Aber dafür hatte Anika momentan keinen Kopf. 

Drei Doppelhäuser weiter gegenüber auf der rechten Seite waren im letzten Herbst gleich vier Doppelhaushälften abgerissen worden und eine große Baufirma war gerade dabei, auf das riesige freigewordene Grundstück zwei große Stadtvillen draufzubauen, wie das Bauschild an der Straße anpries. Das bedeutete, dass dort zwei große, eckige Mehrfamilienhäuser draufgesetzt wurden, die so gar nicht zum Rest der kleinen Häuschen in dieser Straße passten. Aber die Grundstücke gegenüber waren sogar noch um zweihundert Quadratmeter pro Haus größer als auf Anikas Seite und durch den Abriss hatte sich bestimmt eine freie Fläche von viertausend Quadratmetern ergeben. Drei Stockwerke hoch wurden die neuen Bauten und insgesamt würden dort zweiunddreißig Wohnungen entstehen. Unglaublich! Vorher hatten dort vier Parteien gewohnt, nach Fertigstellung sollten es achtmal so viele sein! Wer genehmigte so einen Bauwahnsinn, hatte sich Anika gefragt.

Morgens um sieben ging es auf der Großbaustelle schräg gegenüber los und die ganzen Handwerker und Arbeiter parkten tagsüber die ganze Straße mit ihren Fahrzeugen zu. Auch der Lärm und Dreck war ganz ordentlich und mehrere Anwohner beschwerten sich regelmäßig beim Bauleiter über alles mögliche. Zugeparkte Auffahrten waren da noch das Geringste, was Anlass zur Beschwerde gab.

So langsam hatte sie sich etwas eingewöhnt in ihrer neuen Bleibe. Und sogar das Alleinsein war gar nicht so schlimm. Im Endeffekt war sie das ja auch vorher schon gewohnt gewesen, wenn Daniel von montags bis freitags immer in Berlin gewesen war. Aber trotzdem war sie eher ein geselliger Mensch und liebte es, jemanden um sich zu haben. Aber immerhin war da ja jetzt ihr eigenwilliges Katerchen, den sie umsorgen musste.

Sammy schien sich mittlerweile auch ein bisschen damit angefreundet zu haben, dass sie jetzt sein neues Frauchen war und beäugte sie nicht mehr ganz so von oben herab. Allerdings hielt er sich immer noch ein bisschen auf Distanz, wahrscheinlich weil ihm nach wie vor viel zu viel Trubel im Haus war. Überall standen aussortierte Sachen rum und ständig war sie irgendwo am rumrumoren.

Partyalarm

Anika

Freitagabend machte sich Anika auf den Weg zu ihrer Freundin Jessika. In einer Tasche hatte sie ein kurzes, schwarzes Kleid, Highheels, Schminksachen und alles, was man sonst so für einen Partyabend in einem Tanzschuppen benötigte. 

Die beiden hatten sich freudig begrüßt und waren seitdem ohne Unterbrechung am quasseln. Anika hatte natürlich viel von ihrem Umzug und ihrem neuen Haus zu berichten. Nebenbei standen sie in der Küche und kochten eine leckere Sauce für ihre Spaghetti, die sie gleich verspeisen wollten.

Nach dem Essen lagen sie gemeinsam auf dem Sofa und quatschten weiter.

„Ich muss dich unbedingt besuchen kommen und mir deine neue Bleibe anschauen!“

„Oh, warte lieber noch ein paar Wochen, sonst gehst du gleich rückwärts wieder raus. So richtig schön ist es momentan noch nicht. Aber ich bin guter Hoffnung, dass sich das mit der Zeit ändert. Morgen werde ich bestimmt nicht so wirklich dazu kommen mein Schlafzimmer oben fertigzustreichen, aber am Sonntag auf jeden Fall. Und Montag habe ich frei und kaufe dann nachmittags zusammen mit Max den neuen Teppich. Den muss ich dann nur noch dort reinlegen und dann kann ich Bett und Schrank wieder aufbauen und das erste Zimmer wäre dann fertig. Ich habe mir auch schon neue Gardinen und einen kleinen Nachtschrank gegönnt. Ach ja, und ein großes Bild, was ich dann über das Bett hängen will. Und neue Bettwäsche hat es auch gegeben. Ich sage dir, dass ist total genial, wenn man mal einkaufen kann, ohne ständig auf das Geld zu schauen. Wobei die Sachen jetzt alle echt günstig waren, aber trotzdem nicht billig aussehen. Danach werde ich gleich das zweite Zimmer oben streichen und da dann ein kleines Arbeits- und Gästezimmer draus machen. Damit du jederzeit Mal bei mir übernachten kannst. Der alte Schrank und eine Kommode von Ellie fliegen raus und nur das Schlafsofa, der Schreibtisch und eine Kommode bleiben drin. Da ist der Teppich auch noch ok, das kann so bleiben. Dann nur noch den Flur streichen und dann ist das Obergeschoss soweit fertig. Das Wohnzimmer wird dann ein richtiger Brocken. Da muss ich gucken, ob mir nicht jemand bei helfen kann, denn alleine werde ich da sonst nie mit fertig.“

„Das hört sich voll spannend an. Ich habe zwar was Renovieren angeht zwei linke Hände, aber ich finde das voll schön, wenn man Räumen ein neues Leben einhaucht. Ich kann gerne für das leibliche Wohl sorgen, wenn du vielleicht an einem Wochenende ein paar Helfer zusammen hast. Apropos leibliches Wohl: ich sorge jetzt für uns beide hier! Wir müssen ja langsam mal auf Touren kommen!“

Damit stand  Jessika zwinkernd auf und ging in die Küche. Anika hörte nach kurzer Zeit das Ploppen eines Korkens und ihre Freundin kam mit einer geöffneten Sektflasche wieder ins Wohnzimmer. Aus dem Schrank nahm sie noch zwei langstielige Sektgläser und schenkte ein. 

„Stößchen!“ flötete sie mit einem übertriebenen Singsang und strahlte über das ganze Gesicht. 

„Auf einen coolen Abend!“

Sie tranken beide einen großen Schluck und grinsten sich gegenseitig an. 

„Und? Nimmst du heute endlich mal einen guten Kerl mit nach Hause?“ fragte Jessika mit einem anzüglichen Grinsen. 

„Ganz ruhig mit den jungen Pferden“, beschwichtigte Anika. „Ich will einfach nur gucken, was da heute so unterwegs ist. Und selbst wenn, würde ich keinesfalls jemanden mit zu mir nehmen. Bei mir sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa! Und eigentlich steht mir der Sinn auch nicht nach so einer einmaligen Sache. Heute Abend will ich vor allen Dingen eins: mit dir zusammen Spaß haben und tanzen. Das reicht mir schon. Die Männerwelt ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal.“

„Also wenn ich heute auf einen schnuckeligen Typen treffe, kann ich nicht dafür garantieren, dass wir beide zusammen nach Hause fahren“, machte Jessika schmunzelnd eine Andeutung. 

„Oho!! Hört, hört. Kein Problem, Baby. Ich komme zur Not auch alleine nach Hause. Wo gehen wir eigentlich gleich hin?“

„Ins Blue Dolphin. Ich war da noch nie, aber der Schuppen soll ziemlich gut sein. Nette Musik, gutes Publikum und auch angemessene Getränkepreise. Bine wollte da heute Abend auch hin, aber die ist zusammen mit einem Typen da, den ich nicht kenne.“

„Ok, kenne ich nicht den Laden. Aber ich kenne ja sowieso nicht so viele hier.“

„Sag mal, trinkst du eigentlich auch was?“ Jessikas Glas war bereits leer und sie schenkte sich nach. Anika hatte gerade erst zwei Schlucke genommen, bekam aber auch ihr Glas wieder bis oben hin vollgeschenkt. 

„Mit dir konnte ich noch nie mithalten und bei deinem Tempo heute schon gar nicht. Ich wollte zu mindestens noch mitbekommen, wie der Laden so ist, und nicht schon bevor wir losfahren ausfallen!“ lachte Anika. 

Auch beim Anziehen und gemeinsamen Schminken und Fertigmachen hatten sie noch ein weiteres Glas Sekt getrunken und Anika merkte erste, leise Anzeichen des Alkohols in ihrem Kopf.

Jetzt saßen sie aufgebrezelt zusammen im Taxi und fuhren gemeinsam zu der Disco. Jessika hatte die Sektflasche natürlich mitgenommen und dem Taxifahrer versichert, dass kein Schluck davon auf seinen Polstern landen würde. Andernfalls würde sie natürlich selber diesen Schaden beheben und sich ausgiebig bei ihm dafür entschuldigen, hatte sie ihm verführerisch zwinkernd versprochen. Anika hatte sich tatsächlich ein bisschen für ihre Freundin fremdgeschämt, aber war trotzdem mit eingestiegen und hatte die Aktion einfach unkommentiert gelassen.  

„Halt mal die Flasche, ich muss nochmal meinen Lippenstift nachziehen.“ Jessika reichte ihr die Flasche und nahm einen kleinen Spiegel und ihren knallroten Lippenstift aus ihrer Handtasche. „Nicht nur halten, Schatzi, auch ein Schluck trinken“, sagte sie dann zwinkernd und presste ein paarmal die Lippen aufeinander, um  die Farbe gleichmäßig zu verteilen. 

Anika nahm schmunzelnd einen Schluck und gab ihr danach die Flasche zurück. Auch Jessika nahm einen weiteren großen Schluck und warf ihr dann lachend einen Luftkuss mit ihrem roten Mund zu.

Das Taxi hielt, Jessika bezahlte und sie stellten sich in der Schlange vor der Disco an, aus der schon dröhnende Bässe zu vernehmen waren.

„Wo hast du denn die Flasche gelassen?“ fiel Anika irgendwann auf.

„Upps, die habe ich wohl im Taxi gelassen. War sowieso fast leer, also kein Problem.“ Jessika lachte verschmitzt und wühlte in ihrer Handtasche rum. Dann förderte sie zwei kleine Fläschchen Vodka Feige zu Tage und reichte eins an ihre Freundin weiter. „Auf uns, meine Süße!“

 Anika schüttelte grinsend den Kopf, aber schraubte artig ihr Fläschchen auf und trank den süffigen Likör. Die beiden leeren Flaschen verschwanden wieder in Jessikas Handtasche und wurden gegen zwei weitere volle ausgetauscht. 

„Und auf einem Bein kann man nicht stehen. Deshalb runter damit!“ befahl Jessika wieder und stieß erneut mit Anika an. 

„Ey, Jessi, ich wollte noch was haben vom Abend“, beschwerte sich Anika lachend und trank auch den zweiten Likör kichernd aus. 

„So langsam wirst du ein bisschen lockerer und das kann nur von Vorteil für den weiteren Verlauf des Abends sein“, lachte Jessika wieder. 

Sie zahlten ihren Eintritt, gaben an der Garderobe ihre Jacken ab und drängelten sich in den schon gut gefüllten Tanztempel rein. Bisschen gucken links und rechts, schon mal ein erstes Abchecken, was alles so anwesend war und wo sich ein zweiter Blick lohnte.

Sie ließen sich an der Bar ihren Begrüßungssekt geben, der im Eintritt mit enthalten war, und gingen damit auf eine kleine Empore, von wo aus man einen guten Überblick über die Tanzfläche und den Bereich vor der großen Bar hatte. Jessika hatte schon gleich mehrere interessante Typen für sich ausgemacht und lachend diskutierten sie darüber, welcher wohl der aussichtsreichste Kandidat wäre. Danach ging es kichernd und gackernd auf die Tanzfläche, wo Jessika direkt in einen heißen Augenflirt mit ihrem auserwählten Typen einstieg. Anika lachte befreit und gab ihrer Freundin ein Zeichen, dass sie sich um sie nicht weiter zu kümmern brauchte.

Die Musik war super und sie tanzte alleine weiter und wollte einfach den Abend genießen. Auch sie kam auf der Tanzfläche mit einem ersten Herren in Kontakt und sie tanzten schmunzelnd ein bisschen umeinander herum. Auch merkte Anika, dass sie von mehreren um die Tanzfläche herumstehenden Männern begutachtet wurde und der ein oder andere anscheinend nicht abgeneigt war, sie näher kennenzulernen. Aber das war ihr erstmal egal. Sie hatte vom Tanzen jetzt tierischen Durst und ihr war heiß, so dass sie sich auf den Weg in Richtung Bar machte. Sie wollte sich dort erstmal eine Cola light gegen den Durst holen und vielleicht später nochmal einen Cocktail trinken. 

Vor der Bar war natürlich ordentlich Gedränge und sie hielt Ausschau, wo wohl das Ende einer Schlange war. Direkt neben ihr hatte ein dunkelhaariger Typ gerade sein Getränk bezahlt und wollte sich damit vermutlich auf den Weg zurück zu seinen Freunden begeben, als er rabiat von einem anderen Herren angerempelt wurde und eine beachtliche Menge aus seinem Glas auf Anikas Kleid schwappte und ihren rechten Oberschenkel nass machte. Na super!

„Pass doch auf, du Trootel! Hast du ka`Augn im Koopf?“ wurde der Geschädigte auch noch von dem Anrempler rüde angemacht. Dieser sprach mit einem deutlichen Wiener Akzent und betonte daher die Wörter Trottel und Kopf so, als ob sie mit einem doppelten o ausgesprochen wurden. Das hörte sich zwar ziemlich niedlich an, aber eigentlich hätte er sich ja wohl für sein Verhalten entschuldigen müssen, denn eindeutig hatte er nicht aufgepasst und war dem anderen voll in die Quere gekommen, wodurch dann Anika die unfreiwillige Dusche abbekommen hatte. 

„Spinnst du oder was? Anstatt hier rumzupöbeln wäre eine Entschuldigung angemessen. Und wenn nicht bei mir dann wenigstens bei der Dame, die gerade jede Menge abbekommen hat durch deine Unachtsamkeit.“ Der Angerempelte war deutlich verärgert und schüttelte seine nasse Hand. 

„Pass halt beim nächsten Mal besser auf!“ war nur die pampige Antwort des Wieners und er ließ sie beide kopfschüttelnd stehen.

„Sorry erstmal. War echt nicht meine Schuld.“

Anika war zwar nicht begeistert über ihr nasses Bein, aber zum Glück war ihr Kleid ja schwarz und man sah den Fleck nicht. „Ach, ist nicht so schlimm. Du konntest ja echt nichts dafür“, wehrte sie ab.

Der Barkeeper hatte die Situation mitbekommen und gab einen kurzen Pfiff ab. „Hey, Oliver!“

Ihr Gegenüber sah in seine Richtung und nahm das saubere Geschirrhandtuch, was er ihm mit einem Wink in Anikas Richtung hinhielt.