Liebe und Respekt in der Familie - Emerson Eggerichs - E-Book

Liebe und Respekt in der Familie E-Book

Emerson Eggerichs

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Beschreibung

Psychologische Studien haben bestätigt, was die Bibel bereits seit Jahrhunderten sagt: Kinder brauchen die Liebe ihrer Eltern (Titus 2,4) und Eltern sollten den ihnen gebührenden Respekt ihrer Kinder erfahren (2. Mose 20,12). Basierend auf den Aussagen der Bibel zum Thema "Erziehung" gelingt es dem Autor, gesunde Familienstrukturen zu schaffen. Eggerichs beschreibt unter anderem, dass Liebe und Respekt grundlegende Bedürfnisse innerhalb einer Familie sind. Er erklärt, wie Eltern als Team zusammenarbeiten und wie sie entsprechend Gottes Vorstellungen liebevolle Eltern sein können - ungeachtet der jeweiligen Reaktion ihres Kindes. Ein äußerst praktischer Ratgeber, der Familien stark macht.

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Über den Autor

Emerson Eggerichs ist Theologe und promovierter Familientherapeut. Er war lange Jahre Pastor einer großen Gemeinde, bevor er sich ganz auf seine Arbeit als Therapeut konzentrierte. Mit seiner Frau Sarah lebt er in Grand Rapids, Michigan. Gemeinsam leiten sie die Organisation Love and Respect Ministries und sprechen auf vielen Konferenzen. Sein Vorgängerbuch „Liebe & Respekt“ behandelt biblische Prinzipien für eine gelingende Ehe und ist zu diesem Thema ein internationaler Bestseller.

Dieses Buch widme ich mit Liebe und Respekt meiner Familie.

Inhalt

Was Sie vorweg wissen sollten …

Einleitung

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Teil 2

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Teil 3

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Anhang

Was Sie vorweg wissen sollten …

Ich habe mit dem Schreiben dieses Buches gewartet, bis meine Kinder erwachsen waren. Heute sind alle drei Mitte dreißig, und jetzt ist die Zeit für dieses Buch gekommen. Bevor ich mit dem Eigentlichen anfange, möchte ich ein wenig über sie sagen und auch sie selbst zu Wort kommen lassen.

Unsere Kinder

Jonathan diente als Psychologe im Rang eines Leutnants vier Jahre in der amerikanischen Marine. Anschließend baute er den Beratungsdienst von Love and Respect Ministries in Grand Rapids, Michigan, auf. Er wollte Menschen helfen, die aus den unterschiedlichsten Gründen mit dem Leben nicht mehr klarkamen: weil sie ihren Dienst beim Militär beendeten, Eheprobleme oder seelische Konflikte hatten, die ihren Alltag belasteten. Er wurde Psychologe, weil er im Leben von Menschen Gutes bewirken wollte.

David ist sehr begabt in der Produktion von Videos und hat inzwischen seine eigene kleine Filmproduktionsfirma, Motivity Pictures. Er hat uns schon oft geholfen, die Botschaften von Liebe und Respekt auf Video aufzuzeichnen. Auch wenn David zugibt, mehr als seine Geschwister unter unseren Erziehungsmethoden gelitten zu haben, betrachtet er sich doch als meinen größten Fan. Neulich bat er mich, vor einer Gruppe seiner inzwischen verheirateten Freunde über Kindererziehung zu referieren. Er fand, sie verstünden nicht, worum es bei der Erziehung wirklich geht, und meinte zu mir: „Papa, ich bin mir sicher, wenn du dich mit ihnen zusammensetzt und ihnen beibringst, was du weißt, würden sie auf deine Worte hören. Sie müssen einfach erfahren, was du zu sagen hast.“

Joy arbeitet in unserer Organisation Love and Respekt Ministries mit und erreicht mit dieser Arbeit vor allem die Menschen ihrer eigenen Generation. Auf ihrer Website www.loveandrespectnow.com finden sich viele Perlen ihrer Weisheit. Neulich drehten wir zusammen ein Video, das Illumination Project, in dem wir als Vater und Tochter jungen Erwachsenen zwischen 18 bis 35 Jahren zeigten, wie sich Liebe und Respekt in der Beziehung auswirken. Wir hoffen, dass unsere Offenheit, von unseren eigenen Ecken und Kanten zu sprechen, anderen eine Hilfe sein wird.

Von unseren Kindern

Jonathan: „Als Psychologe erfahre ich häufig von Patienten, wie sich Vernachlässigung oder eine schlechte oder gar böswillige Erziehung auswirkt. Das macht mich traurig und wütend zugleich. Meine Patienten drücken aber auch die Hoffnung und den Wunsch aus, es anders zu machen und das Erbe früherer Generationen hinter sich zu lassen. Sie suchen Informationen, praktische Hilfestellungen und Orientierung. Das ist einer der Gründe, warum ich meinen Vater beim Schreiben dieses Buches unterstütze. Andere Gründe sind eher persönlicher Natur.

Wenn ich darüber nachdenke, was gute Eltern ausmacht, denke ich an meine eigenen Eltern. Ob ich voreingenommen bin? Ja. Diese positive Voreingenommenheit entstand dadurch, dass sie sich mit viel Liebe und Energie um uns gekümmert haben. Waren sie die perfekten Eltern? Nein, und ich erinnere mich an Zeiten in meiner Jugend, in denen sie meiner Meinung nach sehr weit von diesem Ziel entfernt waren. Doch ich bin mir sicher, dass meine Voreingenommenheit wie ein guter Wein mit den Jahren reifen wird und dass sich meine Frau und ich bei der Gestaltung unseres Familienlebens an ihren Erfahrungen orientieren werden.

Mein Vater war sich nicht sicher, ob er dieses Buch schreiben sollte, wo er doch selber ganz offensichtlich seine Fehler hat. Darauf habe ich ihm geantwortet: ,Rede keinen Unsinn. Ihr wart wirklich gute Eltern. Ihr habt immer versucht, eure Erziehung an Christus zu orientieren und das zu tun, was am besten war. Ich weiß, dass dieses Buch eine Hilfe für andere sein wird – also schreib es!‘ Ich kann dieses Buch nur empfehlen, denn ich weiß, wie viel Mühe sich unsere Eltern mit der Erziehung gegeben haben. Sie waren immer für uns da, und ich bin überzeugt, dass dieses Buch andere Menschen positiv beeinflussen kann. Es gibt all das wieder, was mein Vater erkannt und gelernt hat. Danke euch beiden.“

David: „Ich glaube, außer der Brustkrebserkrankung meiner Mutter war das Schreiben dieses Buches die größte Herausforderung für meinen Vater. Zwei Jahre arbeitete er an diesem Buch und stellte seine eigenen Erziehungsmethoden auf den Prüfstand. Das hat in ihm viel Schmerz und an manchen Stellen auch Reue hervorgerufen. Er hat sich viel Mühe gemacht, die Probleme, Fehler und Unzulänglichkeiten, die er und meine Mutter bei der Erziehung gemacht haben, bis ins Detail offenzulegen.

Ich habe mich zwar oft an ihrem Erziehungsstil gerieben, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich die tollsten Eltern der Welt. Wie passt das zusammen?

Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie viele der Fehler entdecken, die Kinder üblicherweise machen, und noch mehr Fehler, die Erwachsene im Umgang mit ihren Kindern machen.

Mein Vater hat dieses Buch nicht geschrieben, um als toller Vater aufzutrumpfen, sondern weil er Beziehungen zwischen Eltern und Kindern verbessern will.“

Joy: „Viele suchen nach der Formel für die perfekte Familie. Umso wichtiger ist es, dass die kommende Elterngeneration – und das sind zu einem guten Teil meine Altersgenossen – von den Erfahrungen und Erkenntnissen meiner Eltern hört. Dieses Buch wird Ihnen nicht nur viel Neues und praktische Tipps vermitteln, Sie werden auch von den Fehlern meiner Eltern erfahren. Und das wird Ihnen hoffentlich die nötige Gelassenheit in Ihrem Bestreben geben, bei Ihren Kindern möglichst wenig falsch zu machen. Vergessen Sie nie, dass es die vollkommene Familie nicht gibt.

In diesem Buch werden Sie viele dringend notwendige Hilfsmittel für Ihren elterlichen Werkzeugkasten finden.“

Und was Sie noch wissen sollten

Wie alle drei Kinder bereits erwähnt haben, schreibe ich sowohl von den Höhen als auch von den Tiefen unserer Erziehungsreise. Wenn ich Ihnen von entmutigenden Erlebnissen berichte, möchte ich Ihnen deutlich machen:

• Es gibt keine vollkommene Familie. Dieser Begriff ist ein Widerspruch in sich. Denn Unreife, mangelnde Verantwortungsbereitschaft und fehlender Glaube garantieren, dass wir unvollkommen bleiben.

• Hoffnung besteht immer, darum sollten Sie niemals aufgeben. Lassen Sie sich von unseren Berichten ermutigen. Das ist eine Art „negative“ Ermutigung, denn Sie können darin das Positive entdecken, das Gott in unserer Familie bewirkt hat.

• Es gibt einen Weg, wie wir unsere Kinder im Sinne Gottes erziehen können, selbst wenn sie manchmal ihre eigenen Wege gehen werden. Wir sollten an der Erziehung, wie sie Gott gefällt, unbedingt festhalten, egal, was geschieht. Wenn Sie das tun, werden Sie in Gottes Augen Gutes bewirken. Dieses Buch ist mein bescheidener Versuch, Ihnen zu erklären, wie eine Erziehung aussieht, die Gott gefällt.

Einleitung

Wie sollen die Grundsätze von Liebe und Respekt bei der Erziehung Ihrer Kinder funktionieren?

Wer von uns kennt das nicht? Da stehen wir in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt, beeilen uns, unsere Einkäufe aufs Band zu legen, und unser Fünfjähriger (der definitiv alt genug ist, um es besser zu wissen) macht eine Riesenszene, nur weil wir ihm den heiß ersehnten Schokoriegel verweigern. Und um noch einen obendrauf zu setzen, wälzt er sich auf dem Boden, strampelt mit den Beinen und brüllt dabei so laut, dass es selbst noch die Verkäuferin in der Metzgereiabteilung am anderen Ende des Ladens hören kann: „Du hast mich überhaupt nicht lieb!“

Verschämt schnappen wir uns unser Kind und flüstern ihm deutlich hörbar ins Ohr: „Junger Mann, sei mal bitte nicht so respektlos! Ich will, dass du jetzt sofort aufstehst und mit diesem Theater aufhörst! Auf der Stelle!“ Das wiederum verstärkt sein Gebrüll nur, und als wir endlich den rettenden Ausgang erreichen, fühlen wir uns völlig bloßgestellt, geschlagen und entmutigt … und das nicht zum ersten Mal.

Was ist denn hier eigentlich los – mal abgesehen von der Tatsache, dass der kleine Kerl nicht seinen Willen bekommen hat? Wie kann eine Situation so plötzlich derart eskalieren?

Etwas Ähnliches spielt sich ab, als Kelly ihren Führerschein hat und sich den elterlichen Wagen ausborgen möchte, von Mutter und Vater aber zu hören bekommt: „Tut mir leid, mein Schatz, heute Abend geht das nicht.“ Sie murrt: „Das gibt’s doch wohl nicht. Ich bin euch doch so was von egal. Ich brauch den Wagen heute Abend! Ihr habt doch gesagt, ich dürfte das Auto mitbenutzen! In dieser Familie hassen mich doch alle!“

Seit es Söhne und Töchter gibt, bringen Kinder ihr Gefühl, ihre Eltern würden sie nicht lieben, sich nicht um sie kümmern oder sie gar hassen, auf solche Weise zum Ausdruck. Unser Nachwuchs scheint mit der Fähigkeit auf die Welt gekommen zu sein, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, sobald er mal nicht bekommt, was er will. Doch sollten wir seine Klage immer als Manipulationsversuch verstehen? Könnte es sein, dass unser Kind sich wirklich ungeliebt fühlt? Manchmal ist das nicht so leicht zu sagen.

Was die Eltern angeht – sie fragen sich natürlich, warum ihr Kind ein Nein nicht als Nein gelten lassen kann. Und in einem solchen Augenblick fühlen sie sich missachtet und respektlos behandelt. Aber warum kommt es immer wieder zu solchen Situationen?

Ich möchte Ihnen eine altersunabhängige Strategie vorstellen, wie Sie Ihre Kinder erziehen können. Damit wir diese Strategie erarbeiten können, müssen wir zwei Grundsätze verstanden haben, die für jedes Alter und jede kindliche Entwicklungsstufe gelten:

1. Kinder brauchen Liebe.

2. Eltern brauchen Respekt.

Die Eltern-Kind-Beziehung baut auf Liebe und Respekt auf – nicht mehr und nicht weniger.

Wenn Eltern frustriert sind, weil ihr Kind nicht hört, sagen sie doch nicht: „Du hast mich nicht lieb!“, sondern Eltern schließen aus diesem Verhalten: „Du hast keinerlei Respekt!“ Eltern wollen sich geachtet fühlen, besonders in Konfliktsituationen. Und wenn ein Kind mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist, wird es nicht jammern: „Du respektierst mich überhaupt nicht!“ Das Kind wird schmollen und sagen: „Du liebst mich nicht!“ Ein Kind braucht das Gefühl, geliebt zu sein, besonders in Konfliktsituationen.

Die gute Nachricht lautet: Wenn ein Kind sich geliebt fühlt, wird es positive Reaktionen zeigen, und wenn Eltern sich geachtet fühlen, werden sie motiviert sein, ihrem Kind liebevolle Zuwendung zu schenken. Wenn also diese Bedürfnisse gestillt sind, kann in einer Familie viel Gutes geschehen.

Aber natürlich passiert auch oft genug das Gegenteil. Ein ungeliebtes Kind zeigt negative Reaktionen und die Eltern empfinden das als respektlos. Eltern, denen keine Achtung entgegengebracht wird, reagieren auf eine negative Weise, sodass sich das Kind nicht geliebt fühlt. Man könnte sagen, dass jedes negative Handeln zu einer ebenso negativen Reaktion führt. Und diese Dynamik fördert den Teufelskreis des Familienwahnsinns: Ohne Liebe reagiert das Kind respektlos, und ohne Respekt reagieren Eltern lieblos.

Hat die Bibel zu diesem Liebesbedürfnis des Kindes und zu dem Bedürfnis nach Respekt der Eltern eine Meinung? Durchaus.

Eltern brauchen und fordern den Respekt, der ihnen gemäß der Bibel zusteht: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ (2. Mose 20,12). Das ist eine von vielen Bibelstellen, in denen Kindern gesagt wird, dass sie ihre Eltern achten und ehren sollen. Und Kinder brauchen und suchen die Liebe und Sensibilität, die ihnen ihre Eltern laut der Bibel entgegenbringen sollen. Lesen Sie doch dazu mal Titus 2,4, Epheser 6,4 und Kolosser 3,2 – das sind nur ein paar Beispiele, in denen von der elterlichen Verantwortung die Rede ist.

Als ich mich intensiv mit der Bibel beschäftigt habe, bin ich auf etwas gestoßen, das vielen Eltern eine große Hilfe sein und ihre Eltern-Kind-Beziehung revolutionieren könnte. Doch theologische Konzepte sind das eine, sie umzusetzen – insbesondere in den täglichen Herausforderungen der Kindererziehung – ist etwas ganz anderes. Alle Eltern wissen, dass ihre Kinder ihnen in ihrer Entwicklung vom Krabbelkind zum Teenager nicht immer respektvoll begegnen werden. Und es ist auch nicht immer einfach, liebevoll zu sein, wenn ein Kind scheinbar keinen Respekt zeigt. Wir stehen ganz klar vor einer Herausforderung: Wie kann man einem Kind im Vorschulalter Liebe schenken, das im Supermarkt vor der Kasse einen Tobsuchtsanfall hat und uns das Gefühl vermittelt, wir müssten uns angesichts dieser Respektlosigkeit in Grund und Boden schämen? Wie sollen Eltern mit einer Jugendlichen umgehen, die sie anschreit: „Ihr seid die unmöglichsten Eltern auf der ganzen Welt!“, und dabei eine Theatralik an den Tag legt, die ihr eine Rolle am Broadway einbringen könnte?

Sarah und ich haben drei Kinder großgezogen und uns unzählige Male an diesem Punkt wiedergefunden. Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie es sich anfühlt, zwar eine Situation gemeistert zu haben, aber zugleich das mulmige Gefühl zu erleben, dass das eigentliche Problem nicht gelöst sein könnte. Wir waren keine perfekten Eltern, wie folgende Geschichte von Sarah zeigt:

Eines Tages sagte unser ältester Sohn, Jonathan, im Gespräch mit mir: „Mama, du wolltest eine perfekte Familie haben, aber du hast sie nicht bekommen!“ Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich hatte das nie behauptet, und doch hatte ich es wohl unausgesprochen kommuniziert. Ich war in einer kaputten Familie groß geworden und war entschlossen, alles besser zu machen. Doch in dem Augenblick erkannte ich, dass ich das Unmögliche hatte erreichen wollen. Als ich später über Jonathans Worte nachdachte, kamen mir die Tränen. Ich hatte Gott oft gebeten, meine Fehler wiedergutzumachen, aber hatte ich im Gegenzug womöglich erwartet, er würde mir perfekte Kinder schenken? Dieses Buch beweist, dass wir keine perfekten Eltern mit perfekten Kindern und keine vollkommene Familie sind – und das soll Sie ermutigen! Sie sind nicht allein!

„Noch bevor der große und schreckliche Tag kommt, an dem ich mein Urteil vollstrecke, sende ich den Propheten Elia zu euch. Er wird Eltern und Kinder wieder miteinander versöhnen, damit ich nicht das ganze Volk vernichten muss, wenn ich komme“

(Maleachi 3,23-24).

Bei der Vorbereitung zu diesem Buch habe ich die gesamte Bibel vom ersten Buch Mose bis zur Offenbarung nach Versen durchforstet, die uns etwas über Kindererziehung zu sagen haben – und es sind sehr viele. Ich werde sie Ihnen weitergeben, verbunden mit vielen persönlichen Beispielen, die zeigen, wo ich aus meinen Fehlern lernen musste und wo Dinge gut gelaufen sind. Meine inzwischen erwachsenen Kinder haben übrigens alles, worüber ich Ihnen berichte, abgesegnet.

Wie nun sieht meine angekündigte Erziehungsstrategie aus?

In diesem Buch wird es um die verwandelnde Kraft von Liebe und Respekt zwischen Eltern und Kindern gehen.

Sie werden lernen, wie Sie …

• Liebe und Respekt als grundlegende Bedürfnisse der Familie erkennen;

• den Teufelskreis des Familienwahnsinns stoppen;

• Ihre Erziehung auf den sechs biblischen Wegweisern einer guten Erziehung aufbauen, die die Entwicklung Ihrer Kinder beflügeln werden;

• Ungehorsam angemessen korrigieren, aber kindisches Verhalten nicht überbewerten;

• selbst reife Menschen sein können, denn Kindererziehung ist nur etwas für Erwachsene;

• als Team zusammenarbeiten, so wie es dem Geschlecht Ihres Kindes entspricht;

• in Gottes Augen liebevolle Eltern sein können, egal, wie Ihr Kind sich verhält.

Kindererziehung ist ein Glaubensabenteuer. Wenn wir unsere Kinder so erziehen, als täten wir dies für Christus, werden wir Gottes Segen erfahren, denn: „Was ein jeder Gutes tut, das wird er vom Herrn empfangen“ (Epheser 6,8; LUT).

Vielleicht geht es Ihnen wie vielen Eltern, mit denen ich mich unterhalten habe: Sie fühlen sich auf verlorenem Posten und möchten manchmal einfach das Handtuch werfen. Dieses Buch habe ich geschrieben, damit Sie die Kraft bekommen durchzuhalten. Wenn Ihre Kinder noch klein sind, haben Sie noch fast den ganzen Weg vor sich. Wenn Ihre Kinder bereits Teenager sind, haben Sie trotzdem noch genug Zeit, Ihre Beziehung zu verbessern. Und wenn Ihre Kinder bereits erwachsen sind, bleiben Ihre gewonnenen Einsichten zeitlos gültig, denn Eltern bleiben immer Eltern!

Die Grundsätze von Liebe und Respekt funktionieren – auch in der Familie. Geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen zu zeigen, warum … und wie sie wirken.

Teil 1

Der Teufelskreis des Familienwahnsinns

Ich habe in der Bibel interessante Einsichten gefunden, die für mich als Vater relevant sind. Auf der einen Seite gibt es da das Gebot an die Kinder, Vater und Mutter zu ehren. Auf der anderen Seite gibt es kein Gebot, dass Kinder ihre Eltern lieben sollten.

In gleicher Weise wurde Eltern nicht geboten, ihre Kinder zu ehren, sondern sie zu lieben (vgl. Titus 2,4). Das für Liebe gebrauchte Wort an dieser Stelle lautet phileo, womit die freundschaftliche Liebe gemeint ist. Hingegen gibt es kein Gebot an Eltern, das von ihnen die Agape-Liebe gegenüber den Kindern fordert – das heißt die bedingungslose göttliche Liebe.

Ich schloss daraus, dass Gott den Eltern seine Agape-Liebe um der Kinder willen ins Herz gelegt hat.1 Dennoch kommt es vor, dass frustrierte oder wütende Eltern dem Kind gegenüber unfreundlich erscheinen (vgl. Titus 2,4) und das Kind sich dadurch ungeliebt fühlt, obwohl seine Eltern diese natürliche Agape-Liebe für ihr Kind empfinden. Dann reagiert das Kind in einer negativen Weise, die den Eltern respektlos erscheint.

Und da ist er – der Teufelskreis des Familienwahnsinns! Ein Kind fühlt sich ungeliebt und verhält sich vermeintlich respektlos; Eltern fühlen sich nicht geachtet und handeln scheinbar lieblos. Schon dreht sich der Kreis. Und er dreht sich und dreht sich … manchmal den lieben langen Tag. Außer jemand unternimmt etwas, um ihn zu stoppen.

In den folgenden drei Kapiteln werden wir unsere Antennen dafür schärfen, was den Teufelskreis in Bewegung setzt. Wichtiger ist aber noch, dass wir über Strategien nachdenken werden, wie man Situationen entschärfen kann, bevor dieser Wahnsinn erst so richtig ins Rollen kommt.

1 Der Apostel Paulus bezeichnet Menschen, die an Gott glauben, als „geliebte Kinder! (vgl. 1. Korinther 4,14; Epheser 5,1; 1. Johannes 3,2). Das griechische Wort für „geliebt“ lautet agapetos. Gott liebt seine Kinder und schenkt ihnen seine Zuneigung. Doch diese Metapher von den „geliebten Kindern“ bezieht sich nicht nur auf Menschen, die zu Gottes Volk gehören. Sie entspringt der Tatsache, dass Eltern ihren Kindern gegenüber eine bedingungslose Liebe (agape) empfinden. Kinder erfahren die Zuwendung ihrer Eltern. Sie sind geliebt. Diese Liebe muss sich das Kind nicht verdienen. Geliebt zu sein (agapetos) ist ein Geburtsrecht. Eine solche Liebe können wir beobachten, wenn eine Mutter ihren Säugling stillt, ein Bild, auf das sich Paulus in 1. Thessalonicher 2,7-8 bezieht. Kinder brauchen diese Liebe, und Gott hat Eltern so geschaffen, dass sie diese Liebe schenken können.

Kapitel 1

Wenn unsere Kinder immer täten, was man von ihnen verlangt, wären wir alle großartige Eltern!

Es war ein heißer Sommertag im Jahr 1986. Wir befanden uns auf der Rückfahrt von einem erholsamen und angenehmen Urlaub. Die Stimmung war heiter; wir alle sonnten uns im Glanz der gemeinsam verbrachten Tage – bis nur noch dreihundert Kilometer vor uns lagen. Es geschah ziemlich unvermittelt. Jonathan, zehn Jahre alt, David, acht, und Joy, vier, kriegten sich plötzlich wegen Kleinigkeiten in die Wolle. Obwohl wir sie baten, damit aufzuhören, ging das Wortgeplänkel weiter, bis wir einen Rastplatz für unser Mittagessen ansteuerten. Wir hatten gehofft, der Schlagabtausch wäre nun vorüber, doch das war ganz offensichtlich nicht der Fall. Jonathan meckerte weiter an Joy herum, und David grummelte beide an. Als die Lautstärke ihr Maximum erreichte und die Spannung unerträglich wurde, hatte Sarah es satt. Sie stand von unserem Picknicktisch auf und erklärte: „Ich kündige!“ Dann ging sie einfach weg und setzte sich allein an einen der leeren Tische. Eilig sammelte ich meine Kinderschar ein und schickte sie zur Toilette.

Sarah saß an einem der Picknicktische und beobachtete eine Gruppe von Motorradfahrern, die angehalten hatte, um etwas Schatten und ein paar kühle Getränke zu genießen. Sie schaute den tätowierten Typen in ihren Springerstiefeln und ärmellosen Jeanswesten zu, wie sie wieder auf ihre Maschinen stiegen, die Motoren aufheulen ließen und davonfuhren. In dem Augenblick kam ihr ein Gedanke: Wie wäre es wohl, einfach dem Sonnenuntergang entgegenzufahren und all den Ärger mit den Kindern hinter mir zu lassen? Sie wollte ihre Familie nicht wirklich verlassen, aber sie war in ihrer Mutterrolle so entmutigt, dass ihr dieser absurde Gedanke kam – und er machte ihr Angst.

Nachdem ich mit den Kindern zurückgekommen war und sie in unseren Van gebracht hatte, ging ich zu Sarah hinüber und sie erzählte mir, wie sie sich gerade fühlte. Im Grunde hatte sie die Nase gestrichen voll. Eine gefühlte Ewigkeit lang schwiegen wir (vermutlich dauerte es ungefähr eine Minute) und starrten in die Ferne. Es war an der Zeit, dass der Mann in der Familie die Initiative ergriff. Ich hätte die Situation gern mit etwas Humor entschärft und irgendetwas gesagt wie: „Wehe, du haust allein ab! Wenn, dann gehen wir beide!“ Aber der Ausdruck in Sarahs Gesicht gebot mir, von diesem Impuls abzulassen. Es herrschte angespanntes Schweigen, während wir zum Wagen zurückgingen. Ich konnte erkennen, wie tief ihr Schmerz saß. Mit hängenden Schultern und Tränen in den Augen sagte sie: „Es hat einfach keinen Sinn. Ich komme mir wie eine einzige Versagerin vor.“

Ich versuchte, sie zu trösten, aber meine Worte erreichten sie nicht. In diesem Moment war sie einfach völlig am Ende. Und ehrlich gesagt, mir ging es genauso.

Als wir neulich über diese Begebenheit sprachen, gestand mir Sarah: „Ich habe jahrelang keiner meiner Freundinnen von dieser Geschichte erzählt. Ich fühlte mich so schuldig, weil dieses Gefühl, einfach aufgeben zu wollen, derart intensiv gewesen war.“

Ich bin mir sicher, Sie können diese Episode aus dem Teufelskreis unseres Familienwahnsinns nachfühlen. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine junge Mutter, die einen unserer Workshops besucht hatte. Anschließend kam sie auf mich zu und erzählte mir, dass dieser Tag mit ihren drei Kindern wirklich ziemlich verrückt begonnen hatte. Es war so weit gekommen, dass sie schließlich zu ihrem neunjährigen Sohn, der am schlimmsten mitgemischt hatte, sagte: „Möchtest du einmal bei Jesus sein?“ Noch bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie fort: „Ich verspreche dir, wenn du nicht auf der Stelle aufhörst, wirst du ihn noch heute treffen!“

Kinder halten sich nicht immer an den Grundsatz: „Erfreue deine Eltern!“

(Sprüche 23,25).

Natürlich hatte diese Frau nichts Grauenvolles im Sinn. Sie war einfach mit ihrem Latein am Ende und wollte eine klare Botschaft an ihre Kinder senden. In diesem Moment reagierte sie ähnlich wie Sarah, als diese sich für einen Sekundenbruchteil vorstellen konnte, auf eine der Harleys zu steigen und ihre Familie hinter sich zu lassen. Jeder von uns kennt dieses Gefühl. Wenn die Kinder doch nur täten, was man ihnen sagt, wäre alles so viel einfacher. Doch wir Eltern wissen, dass das Leben so nicht funktioniert. Immer wieder versuchen wir zu begreifen, was da gerade geschieht, wenn eines unserer Kinder Theater macht. Und egal, was wir tun, es scheint die Situation nur noch weiter anzuheizen.

Was also können Sie in einem solchen Moment tun? Zunächst sollten Sie Mut haben, sich einzugestehen, dass der Teufelskreis des Familienwahnsinns gerade ins Rollen kommt – egal, ob es sich nun um eine kleine oder große Auseinandersetzung handelt; egal, ob es eine geballte Explosion oder stundenlanges Quengeln ist.

Schauen Sie sich dazu die Skizze auf Seite 19 an: Ohne Ihre Liebe (oder ohne das, was das Kind gerade als Ausdruck der Liebe erwartet) reagiert Ihr Kind auf eine negative Weise. Wenn Ihr Kind dann nicht tut, was Sie sagen, oder sich irgendwie danebenbenimmt, fühlen Sie sich nicht respektiert. Doch ohne den nötigen Respekt könnten Sie (und werden Sie oft) in einer negativen Weise reagieren, die Ihrem Kind noch mehr das Gefühl vermittelt, nicht geliebt zu sein. Dann spannt Ihr Kind den Bogen natürlich noch einen Tick weiter und provoziert Sie – es jammert, bummelt herum und lässt Sie auf jede erdenkliche Art spüren, dass es sich ungeliebt fühlt. Und schon geht der Wahnsinn in die nächste Runde.

Was unsere Rückfahrt aus dem Urlaub angeht, die schließlich so ungut endete: Ich glaube nicht, dass die Kinder sich ungeliebt fühlten, sondern sie waren einfach schon zu lange in einem Auto eingepfercht gewesen. Sie hatten die typischen Geschwisterstreitigkeiten: Jonathan wollte sein Buch lesen. Joy wollte, dass Jonathan etwas mit ihr spielte, statt zu lesen, und Jonathan wurde sauer auf Joy, weil sie ihn nicht in Ruhe ließ. David war wütend, weil er versucht hatte, ein Bild zu malen, und Joy ihn am Ellenbogen gestoßen hatte. Nun war sein schönes Bild verunstaltet.

Das eigentliche Problem war, dass alle drei nicht auf unsere wiederholten Bemühungen reagierten, die Streitereien zu stoppen. Sarah und ich fühlten uns überhaupt nicht respektiert, und wir waren unsicher, wie wir mit dieser Situation umgehen sollten. Wenn Kinder nicht auf ihre Eltern hören, fühlen sich Eltern irgendwann nicht mehr respektiert.

Seit diesem Ereignis haben wir dazugelernt und stellen uns drei Fragen, wenn der Familienwahnsinn Fahrt aufnimmt:

1. Fühlt mein Kind sich gerade ungeliebt?

2. Fühle ich mich gerade nicht respektiert?

3. Wie kann ich mein Kind trotzdem so erziehen, wie es Gott gefällt?

In diesem und den nächsten beiden Kapiteln über den Teufelskreis des Familienwahnsinns werden wir uns den ersten beiden Fragen zuwenden. Die alles entscheidende dritte Frage werden wir im zweiten und dritten Teil des Buches betrachten. Fragen wir also zunächst genauer nach, wann und warum sich ein Kind ungeliebt fühlen könnte. Und wann und warum fühlen Sie sich – als liebevolle Eltern – nicht respektiert?

Im Blick auf die erste Frage – „Fühlt mein Kind sich gerade ungeliebt?“ – möchte ich eins betonen: Es muss nicht immer so sein, dass ein Kind sich ungeliebt fühlt, wenn es sich auf eine negative Weise verhält. Es kann gut sein, dass es aus kindlicher Unverantwortlichkeit, Egoismus oder auch aus offenem Ungehorsam heraus handelt. Ihr Kind ist unglücklich, es kann seinen Willen nicht durchsetzen, und nun lässt es Sie das spüren. Es gibt aber auch Situationen, in denen Ihr Kind – zumindest aus seiner Sicht – genau in diesem Augenblick Ihre Liebe und Aufmerksamkeit braucht. Vielleicht erbittet es diese Liebe auf eine kindliche, unbeholfene Art, aber es will diese Liebe. Sie sind schließlich seine wichtigste Quelle der Liebe. Ihr Kind braucht Ihre Liebe und sucht sie ständig – auf die eine oder die andere Weise.

Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen. Als Joy knapp fünf Jahre alt war, wurde sie eines Tages weinerlich und sagte, sie fühle sich krank. Sie wollte, dass ich mich mit ihr zusammen aufs Sofa legte. Ich hatte allerdings einige Predigten vorzubereiten und eigentlich keine Lust, Joys Wunsch zu erfüllen. Aber schließlich schob ich meine Unlust beiseite und beschloss, ihr zumindest für ein paar Minuten zu geben, was sie wollte. So lagen wir da und Joy sagte: „Ich will mit dir kuscheln.“ Daraufhin antwortete ich: „Darum geht es also. Du brauchtest wohl ein bisschen Schmusezeit.“ Ihre Antwort werde ich nie vergessen: „Klar doch, und das solltest du auch wissen.“ Ich umarmte Joy herzlich und im Nu war sie wieder gesund. Nur wenige Minuten später zog sie glücklich davon und spielte.

An diesem Tag lernte ich etwas, was mir in der Erziehung meiner Kinder noch oft helfen sollte. Ich begriff, wie wichtig diese erste Frage ist: Fühlt mein Kind sich gerade ungeliebt? In jenen frühen Jahren wuchs langsam noch eine weitere Frage in mir heran: Fühle ich mich gerade nicht respektiert? Oft fühlte ich mich nicht respektiert, war mir aber unsicher, ob ich solche Gefühle haben dürfte, wo ich doch der reife Erwachsene sein sollte. Ich fragte mich, ob ich nicht nur egoistisch und überempfindlich war. Vielleicht benahmen sich meine Kinder einfach nur wie Kinder, und ich war zu selbstbezogen und feinfühlig.

Wenn unsere Kinder sich mehr als unpassend verhalten und daraufhin der Teufelskreis des Familienwahnsinns zu seiner ersten Drehung ansetzt, sollten wir versuchen, nicht reflexartig zu denken: Mein Kind respektiert mich nicht. Aber Kinder sollen ihren Eltern gehorchen. Ich muss hier wohl etwas unternehmen! Eltern wissen instinktiv, dass ihre Kinder sie achten sollten. Die meisten Eltern kennen zudem das fünfte Gebot: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ (2. Mose 20,12). Der Apostel Paulus lässt dieses Gebot Gottes anklingen, wenn er im Epheserbrief schreibt: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern! … ,Ehre deinen Vater und deine Mutter!‘“ (6,1-2).

Mit diesen Bibelversen im Nacken können wir uns in unserer elterlichen Autorität durchaus genötigt fühlen, unsere Kinder zum Gehorsam zu zwingen. Wir reagieren dann zu streng oder gar frustriert oder wütend. So kann es kommen, dass Eltern den Familienwahnsinn ins Rollen bringen, nur weil sie auf Kinder, die eben Kinder sind, überreagieren. Unsere Unnachgiebigkeit und unsere negative Haltung werden von den Kindern als lieblos wahrgenommen, woraufhin sie sich ungerecht behandelt fühlen. Und schon sind wir in den Teufelskreis eingestiegen.

Wenn Sie sich in einer bestimmten Situation eingestanden haben, dass Sie sich gerade nicht respektiert fühlen, können Sie sich die Frage stellen: „Ist mein Gefühl, nicht respektiert zu werden, in dieser Situation berechtigt?“ Das ist eine entscheidende Frage, die Sie nicht vorschnell beantworten sollten. Eltern sollten sich davor hüten, an einem Kind Anstoß zu nehmen, das ihnen gar nicht absichtlich respektlos begegnet. Mangelndes Verantwortungsbewusstsein ist etwas anderes als Respektlosigkeit. Ich gebe zu, dass unverantwortliches Handeln durchaus respektlos erscheinen kann. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sagen Ihrem Kind, es soll auf seinen Becher Milch achtgeben. Doch irgendwie stößt es ihn mit seinem kleinen Ellenbogen um. Das ist der kritische Augenblick. Sie fühlen sich vielleicht nicht ernst genommen, nicht respektiert. Warum konnte Ihr Kind nicht besser aufpassen? Aber das ist genau der Augenblick, in dem das alte Sprichwort helfen kann, dass es sich nicht lohnt, über bereits vergossene Milch zu lamentieren. Ja, Ihr Kind hat gekleckert, aber so sind Kinder nun mal. Manchmal handeln sie unverantwortlich, ja, aber das sollten Sie nicht mit Respektlosigkeit verwechseln.

„Aber Sie wissen gar nicht, wie oft ich jeden Tag eines dieser Missgeschicke aufwische.“ Doch, das weiß ich. Sarah und ich haben drei Kinder großgezogen, und alle drei hatten eine Vorliebe dafür, ihre Milch zu verschütten. Haben wir immer vorbildlich reagiert? Nein. Sarah erinnert sich sehr gut daran, wie oft sie gebetet hat: „Herr, hilf mir, nicht vorschnell zu reagieren, sondern die Beziehung zu meinem Kind im Blick zu behalten.“

Es gibt Augenblicke, da reagieren Eltern aus Ungeduld, Frustration oder einfach aus Erschöpfung heraus. Dann reicht ein einziger Becher Milch, dass wir ausflippen. In einem solchen Moment fühlen wir uns vielleicht noch nicht einmal respektlos behandelt. Trotzdem reagieren wir übertrieben scharf. Eine Sache sollte uns an dieser Stelle bewusst sein: Für unser Kind spielt es keine Rolle, ob wir uns nun respektlos behandelt fühlen oder es einfach leid sind, wieder eine Pfütze Milch aufzuwischen – unsere unfreundliche Reaktion fühlt sich für unser Kind auf jeden Fall lieblos an. Und damit haben wir den Teufelskreis ins Rollen gebracht.

In solchen Momenten ist es gut, wenn Eltern dieses schlichte Gebet auf den Lippen haben: „Herr, hilf mir, nicht vorschnell zu reagieren, sondern die Beziehung zu meinem Kind im Blick zu behalten.“ Unsere erste Reaktion spiegelt unsere fehlerhafte Natur wider; aber wenn wir Gott um Hilfe bitten, wird unser Herz zur Ruhe kommen. Wir sollten als Eltern Empathie zeigen – und zwar eine solche Empathie, wie sie der Psalmist beschreibt, als er Gottes Erbarmen mit dem Erbarmen vergleicht, das ein Vater seinen Kindern gegenüber empfindet (vgl. Psalm 103,13). Gott ist unser Vorbild für Empathie.

Falls Sie den Film Hook gesehen haben, erinnern Sie sich vielleicht an die Szene, in der Peter Banning (gespielt von Robin Williams) mit seinem Sohn Jack in einem Flugzeug sitzt und ärgerlich wird, weil Jack jeden in seiner Nähe mit seinem Gequatsche nervt. Schließlich sagt Peter: „Was zum … ist los mit dir? Wann hörst du endlich auf, dich so kindisch zu benehmen?“

Jack antwortet: „Aber ich bin doch ein Kind.“

Worauf sein Vater ihn anblafft: „Dann werde doch endlich mal erwachsen!“

Die Szene soll lustig sein, doch eigentlich ist Peter Banning in diesem Augenblick kein guter Vater. Mein Vater war dem von Robin Williams gespielten Vater sehr ähnlich, und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man ein Kind so lange durch liebloses Verhalten provozieren und enttäuschen kann, bis man es schließlich völlig entmutigt.

Ein solcher Moment steht mir noch lebhaft vor Augen. Ich war noch nicht ganz drei Jahre alt, als ich mit ansehen musste, wie mein Vater versuchte, meine Mutter zu erwürgen. Ich rannte auf ihn zu und hämmerte mit meinen kleinen Fäusten auf ihn ein. Er schlug mir auf den Kopf, und ich sank zu Boden und weinte. Dann ließ er von meiner Mutter ab. Es waren Erlebnisse wie diese, die mich bereits als kleines Kind daran zweifeln ließen, dass mein Vater mich liebte.

Mein Vater begegnete mir auch weiterhin auf eine Art, die sich für mich lieblos anfühlte, und ich verhielt mich oft respektlos. Ich verstand nicht wirklich, was in unserer Familie geschah, aber im Grunde wollte ich meinem Vater klarmachen, dass ich seine bestätigende Liebe brauchte. Bekommen habe ich sie selten. In meiner Kindheit blieb ich oft mit dem verstörenden Gefühl zurück, mein Vater lehne mich ab.

Als kleiner Junge hatte ich immer den Eindruck, ich könne nichts richtig machen. Ich versuchte, meinem Vater bei Arbeiten rund ums Haus zu helfen, aber es gelang mir nicht, es so zu machen, wie er es haben wollte, und das störte ihn ungemein. Ich höre heute noch seine Stimme: „Du bist ein Taugenichts! Wenn etwas fertig werden soll, muss ich es selbst machen!“

Da wundert es kaum, dass ich ins Bett nässte, bis ich elf Jahre alt war. Wenn meine Mutter nicht gewesen wäre, hätte ich mein Herz ganz für meinen Vater verschlossen. Bei ihr machte ich meinem Schmerz, meiner Frustration und Wut mehr als einmal Luft. Dann erinnerte sie mich stets daran: „Dein Vater weiß nicht, wie man ein guter Vater sein kann, weil er erst drei Monate alt war, als sein Papa starb. Er ist ohne einen Vater aufgewachsen. Deshalb weiß er einfach nicht, wie man das macht.“

Irgendwie half mir diese Antwort durch meine Kindheit, doch in meinen Jugendjahren erkannte meine Mutter, dass das Zusammenleben mit meinem Vater meine Entwicklung zum jungen Mann behindern würde. Sie setzte sich dafür ein, dass ich eine Militärakademie besuchen konnte. Mein Vater hatte nichts dagegen (vermutlich, weil er ahnte, dass er mit mir als Teenager ziemlich viele Auseinandersetzungen haben würde), und so besuchte ich im Alter von 14 bis 18 Jahren die Militärakademie. Mit 16 Jahren lud ich Jesus als meinen Herrn und Erlöser in mein Leben ein und vertraute ab jetzt ihm. Zu dieser Zeit erkannte ich auch, dass alles „zu meinem Besten diente“ (vgl. Römer 8,28; LUT).

Aufgrund meiner eigenen Verletzungen kann ich verstehen, was ein Kind, das sich ungeliebt fühlt, empfindet und braucht. Meine Mutter war eine sehr liebevolle Person, was mich als Kind durchgetragen hat. Aber durch den lieblosen Umgang meines Vaters mit mir kann ich mit Kindern mitfühlen, die sich missverstanden und ungeliebt fühlen und selbst nie die Absicht hatten, ihren Eltern gegenüber respektlos zu sein.

„Doch wenn du die anderen so gut belehren kannst, weshalb nimmst du selbst keine Lehre an?“

(Römer 2,21).

Leider habe ich diese Empathie als Vater nicht immer gezeigt. Dabei muss ich an jenen Tag zurückdenken, an dem ich als Pastor für die Andachten auf einem christlichen Ferienlager in den Sommerferien zuständig war. Es war kurz vor der Abendandacht, als mein zehnjähriger Sohn David sich danebenbenahm, weil er etwas von mir wollte und ich gerade keine Zeit hatte. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich bei mir dachte: Dieser Junge widersetzt sich mir absichtlich. Er verweigert mir den Respekt, um es mir heimzuzahlen – nur weil er seinen Willen nicht bekommen hat.

Ich ging mit David zu unserem Auto, weil ich hoffte, dort in Ruhe mit ihm reden zu können. David saß auf der Rückbank, ich vorne. Ich versuchte, mit ihm zu reden, erntete jedoch nur eisernes Schweigen. Dadurch fühlte ich mich erst recht um den mir zustehenden Respekt gebracht. Schließlich blaffte ich ihn ärgerlich an, was in David wiederum das Gefühl bestärkte, unfair und lieblos behandelt zu werden. Er starrte aus dem Fenster und zeigte keinerlei Reue. Es herrschte absolutes Schweigen. Wir befanden uns in einer echten Pattsituation. Da ich in wenigen Minuten meine Andacht halten sollte, nahm ich David mit zu dem Treffen und predigte, so gut ich konnte. Innerlich aber fühlte ich mich wie ein Heuchler, weil ich unfähig war, meinen Sohn zu erziehen. Faszinierend an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass David sich überhaupt nicht mehr daran erinnert und auch keineswegs das Gefühl hat, sie hätte ihm irgendwie geschadet. Erinnerungen, die in uns Eltern bis heute Schuldgefühle hervorrufen, scheinen unsere Kinder manchmal gar nicht mehr zu berühren. Andererseits erinnern sie sich häufig an Situationen, in denen sie sich unfair behandelt und verletzt gefühlt haben und die uns gar nicht mehr im Gedächtnis sind. Willkommen in der schönen Welt der Kindererziehung!

Wenn ich heute an die Situation von damals zurückdenke, wird mir eines bewusst: Mir kam überhaupt nicht in den Sinn, dass David sich womöglich ungeliebt gefühlt haben könnte. Vielleicht wollte er einfach ein wenig Zeit mit mir verbringen und fühlte sich übersehen. Ob ich den Konflikt wohl hätte vermeiden können, wenn ich der Situation mit dieser Einstellung begegnet wäre? Das ist schwer zu sagen. David konnte sehr stur sein, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte – ganz besonders in jenem Alter. Doch eines ist sicher: Mein Wutausbruch und mein Vorwurf, er habe keinen Respekt vor mir, haben ihm definitiv nicht geholfen, sich wieder für mich zu öffnen.

Es gibt viele andere Situationen, in denen Sarah und ich unsere Kinder zu Unrecht beschuldigten, respektlos zu sein. Als wir im Rückblick über diese Vorkommnisse sprachen, meinte Sarah: „Mir wird bewusst, dass ich mir nicht die Zeit genommen habe, innezuhalten und herauszufinden, was eigentlich gerade los war. Ich erinnere mich daran, dass wir häufig einfach auf die Vorkommnisse reagierten, ohne nachzudenken. Wir haben leider nicht erst die Situation zu Ende gedacht und dann darauf reagiert. Wir nahmen uns nicht diese paar Minuten, die es gebraucht hätte, damit wir unsere Gedanken sammeln und unsere Emotionen herunterfahren konnten.“

Dem stimme ich zu. Ich muss gestehen, unsere Abfolge lautete häufig: Los! Fertig! Auf die Plätze! Manchmal waren wir zu angespannt. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal sagte: „Wir sollten mit diesen Situationen so umgehen, wie meine Mutter es getan hat. Sie blieb stets ruhig und dachte nach, bevor sie redete oder handelte.“

An jenem Abend im Ferienlager hätte ich David viel besser „entschlüsseln“ können, aber das wusste ich damals noch nicht. Ich musste erst durch viele Irrtümer lernen, dass Kindererziehung nur etwas für Erwachsene ist. Wir als Eltern müssen die Situation „entschlüsseln“ und dann entsprechend auf unser Kind zugehen. Dieses „Entschlüsseln“ ist die eigentliche Kunst. Deshalb werden wir uns im nächsten Kapitel genauer anschauen, wie das funktioniert.

Kapitel 2

Wie man den Teufelskreis des Familienwahnsinns stoppt.

Teil 1 Situationen entschlüsseln

Als mein Sohn David Mitte zwanzig war, engagierte er sich als Schiedsrichter in der Baseballjugend. Eines Tages kam der Vater eines Spielers betrunken zum Spiel seines Sohnes. Ausgerechnet an dem Tag verlor der achtjährige Sohn eine seiner Kontaktlinsen beim Spiel und suchte sofort danach. Der Vater torkelte auf das Feld und machte seinen Sohn lautstark zur Schnecke, weil er die Linse verloren hatte.

David ordnete eine Auszeit an und half zusammen mit anderen, die Kontaktlinse zu suchen, während der Vater seinem Jungen weiterhin Drohungen und Schimpfwörter an den Kopf warf. Schließlich schlug er seinem Sohn sogar mit der Faust ins Gesicht. Der Junge fiel zu Boden. Noch bevor irgendjemand reagieren und den Vater zur Rede stellen konnte, torkelte dieser geistesabwesend vom Feld.

Der Junge lag erst völlig konsterniert am Boden, dann setzte er sich auf und kämpfte gegen seine Tränen an. David eilte zu ihm und legte den Arm um ihn. Mit ruhiger Stimme sagte er zu dem Jungen: „Mach dir keine Sorgen. Du hast die Linse ja nicht mit Absicht verloren. Wir werden sie finden. Alles wird gut.“ In dem Augenblick brach der Junge in Tränen aus.

Als David mir davon erzählte, brach es mir das Herz, und noch heute muss ich weinen, wenn ich anderen von dieser Begebenheit erzähle. Der kleine Junge weinte genau in dem Augenblick, als David sein Herz berührte. Sein Innerstes antwortete auf die Liebe.

Erinnern Sie sich noch daran, wie es war, als Sie acht Jahre alt waren? Der Junge war in dem Augenblick völlig durcheinander. Als er seine Kontaktlinse verlor, hatte er das Gefühl, etwas Böses getan zu haben. Er wusste zwar, dass er es nicht mit Absicht getan hatte, aber in seinem Alter fehlte ihm noch das Verständnis für die Motive, die einen Menschen zu etwas bewegen können. Da sein Vater so wütend geworden war, musste er einfach etwas falsch gemacht haben. Wie andere diese Situation sahen, konnte er nicht wissen. Er empfand es einfach so wie sein Vater. Was für eine Verunsicherung muss dieses Kind in dem Moment empfunden haben!

Wer einem Kind den Lebensmut nimmt, verletzt seine Seele

Was hat diese traurige Geschichte mit unserem Thema zu tun, dass Eltern ihre Kinder „entschlüsseln“ sollen, damit sie nicht in den Teufelskreis des Familienwahnsinns einsteigen? Dieser betrunkene Vater war ohne Zweifel nicht in der Lage, irgendetwas oder irgendjemanden angemessen zu „lesen“. Trotzdem möchte ich an diesem Beispiel zeigen, wie sehr Kinder auf unsere Liebe angewiesen sind. Wir sollten uns zu jeder Zeit bemühen, sie und die Situation zu verstehen, selbst wenn gerade etwas geschieht, was uns respektlos erscheint. Unsere erste Frage sollte stets lauten: „Was geschieht hier gerade? Worum geht es hier?“ Vordergründig ging es in dem Beispiel um die verlorene Kontaktlinse. Doch als der Vater seinen Sohn beschimpfte und ihn schließlich zu Boden schlug, wurde das eigentliche Thema deutlich. Der Junge gewann durch die Reaktion seines Vaters das erdrückende Gefühl: „Mein Papa liebt mich nicht.“

Aus Schuldgefühlen und Angst wegen der verlorenen Kontaktlinse wurde plötzlich ein viel tiefer gehendes Gefühl: Die Seele des Jungen wurde durch das Geschrei des Vaters verletzt, sein Herz krümmte sich unter dem körperlichen Schlag. Gott hatte diesen Jungen dazu geschaffen, geliebt zu werden. Doch niemand liebte ihn – so empfand er es zumindest. Er hätte geachtet und wertgeschätzt werden sollen. Darum versuchte er, seine Tränen zurückzuhalten. Denn seine Tränen könnten alles noch schlimmer machen. Vielleicht würden sich dann alle gegen ihn wenden. Er fühlte sich schrecklich allein und verängstigt. Er brauchte Trost.