Liebe war sein Schicksal - Eckart von Naso - E-Book

Liebe war sein Schicksal E-Book

Eckart von Naso

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Beschreibung

Eckart von Naso ist bekannt als Gestalter der Lebensbilder historisch bedeutender Männer und Frauen. Hier ist er den Spuren seines unsterblichen Namensvetters, des Dichters Publius Ovidius Naso, gefolgt. Er, der Liebling der Götter und Frauen, der meistgelesene Poet seiner Zeit, wird in ein Abenteuer der Kaiserenkelin Julia verstrickt und stürzt von einem Tage zum anderen, durch ein Machtwort des Augustus von Rom nach Tomi am Schwarzen Meer verbannt. Weil Liebe sein Schicksal war, wurde Liebe auch sein Verhängnis. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Eckart von Naso

Liebe war sein Schicksal

Roman um Ovid

FISCHER E-Books

Inhalt

II Am andern MorgenII Der Chronist Eckart Naso über den Dichter Ovidius NasoIII «Ich lud eine Stimme zu mir ein …»IV Ein Windhauch treibt Liebende und PoetenV Brief des Dichters Quintus Horatius Flaccus an den Dichter Publius Vergilius MaroVI Berechtigte Zweifel um ein bräunliches MädchenVII «Mein Dichter will die Ehe mit mir»VIII Elegie im hohlen BaumstammIX Aus dem Bericht des Quaestors Marcus RufusX Von der Großartigkeit des Kaisers AugustusXI Ein Poet liest Korrektur seiner LiebesgedichteXII Zwei Sänften schaukeln durch RomXIII Der Dichter steht dem Herrn der Welt gegenüberXIV Eine Frau verstößt gegen die Gesetze der NaturXV «Lass laufen die Ponys …»XVI Ovid reist zu den Göttern GriechenlandsXVII Große Vision über die Entstehung der WeltDie SchöpfungDas goldene ZeitalterDas silberne ZeitalterDas eiserne ZeitalterDie SintflutXVIII «Ich möchte immer bei dir sein, Ovid …»Der verliebte GottXIX Der unbekannte GottXX Entscheidende Neuigkeiten aus RomXXI Tränen am NiketempelIII Meerigel und LaokoonII «Ich kann nicht warten …»III Nebenan im Bad rauschte das WasserIV Fremder Hafen, fremde Traube, fremde FrauV Amo te – Ich liebe DichVI «Denn ich bin krank vor Liebe …»VII Wir gehören zum unsterblichen Reigen der DichtungVIII Erkenntnisse in DampfwolkenIX Funken vom knisternden Haar ApollsX Das fragwürdige in der LiebeXI «Man hört es – Man hört es»XII Die Rache ist klein, doch angenehmXIII Frösche quakenXIV Zwiespältige BetrachtungenXV «… bis der Regen ihn mir zurückgab …»XVI Historisches am RandeXVII Ich reise, ich dichte, ich lebeXVIII Naso interviewt NasoIIII Feuer und Eis treffen aufeinanderII Der schicksalhafte EinfallIII Die Parade wächserner MaskenIV «So lehrte mich Naso –»V Eine GnadenfristVI Der Poet zwischen zwei FeuernVII Um sie her die Nacht hielt den Atem anVIII Mancherlei Wechselfälle des LebensIX Ein Gewitter bricht losX Siriushitze am NemiseeXI Zwiebeln aus Megara werden verbotenXII Liebe im verklingenXIII Seeschlacht in der Hauptstadt der WeltXIV Der Reiz einer bronzenen SchauspielerinIVI Nächtliches SelbstgesprächII In einer Hecke aus Rosmarin …III Protokollierte SchicksaleProtokoll I der Kaiserlichen Geheimen Polizei in Sachen Julia/SilanusKaiserlicher Erlass I in Sachen Julia/silanusProtokoll II der Kaiserlichen Geheimen Polizei in Sachen Julia/SilanusKaiserlicher Erlass Ii in Sachen Julia/OvidiusIV Der Kaiser fährt mit dem Finger die Grenzen abV Eine Figur fällt aus dem Spiel>VI «Ich bin kein Held …»VII Blassgelbe GiftpfeileVIII Eine Kleinigkeit als unverhoffte ZugabeIX In Rom geht jetzt der Frühling umX Geburtstagskuchen und ein Krümchen WeihrauchXI Herrscher ohne GnadeXII Stumm bleibt die Leier vor LeidXIII Wie es ihre Art war, nahm sie seine Hand …Die Zitate sind folgenden Werken entnommen

I

I Am andern Morgen

Als ich sie verließ, begannen eben die Sterne zu bleichen. Wieder einmal war die Welt neu geworden. Wie oft, dachte ich, wird sie sich noch erneuern? Ich bin jung, das Leben liegt vor mir. Ich, Publius Ovidius Naso, warte.

Die Sonne steigt, ein roter Feuerball, über dem Palatin auf, die Vögel, vom Licht geweckt, erproben die Zartheit ihrer Kehlen. In ihrem Lied ist die Melodie der Nacht. Die Sehnsucht, im Rausch empfangen, fliegt mit den Lerchen in die Luft. Ich bin froh.

Das kaiserliche Rom schläft noch. Nur von fern hört man das Räderrollen der Karren, die zum Markte fahren. Ich sehe die Marktstände gern: die Buntheit der Gemüse und Früchte, die Fische in ihren Behältern, die eben geschlachteten Rinder und Krüge voller Wein. Die Esel schreien, die Landleute rufen ihre Waren aus, rings ist Fülle und Licht. Verschnittene kaufen ein, die jungen Sklavinnen haben ihre Augen überall, ihre Hüften sind schmal und bewegen sich im Rhythmus der Schritte.

Heute kümmern mich die Sklavinnen und Märkte nicht. Ich komme aus einer verzauberten Nacht. Cornelia ist sehr schön, sehr jung, und lange Zeit war sie wie ein Rehkitz scheu. Als ich sie in einer Gesellschaft bei der Tante des Maecenas kennen lernte, sprach sie kaum ein Wort. Um so mehr sprach ich selbst. Ich weiß nicht, ob sie mir überhaupt zugehört hat. Sie antwortete auf meine Fragen nicht, sagte dann und wann einiges Unzusammenhängende und sah durch mich hindurch. Als sie ging, verabschiedete sie sich nicht von mir und blickte nicht zurück.

Wie immer hatte ich die Schlinge ausgeworfen, aber nicht Cornelia sondern mich selbst in ihr gefangen. Während der nächsten Wochen setzte ich mich auf des Mädchens Spur. Ich bestach den fetten Türhüter ihrer väterlichen Villa, Bagoas, ohne zu erreichen, daß er mich durch eine Hinterpforte in den Seitenflügel einließ, wo – wie ich erfahren hatte – Cornelia wohnte. Doch gelang es mir, mit Hilfe des Türhüters an Nape heranzukommen.

Nape ist Cornelias Amme gewesen und nimmt unter den Dienerinnen den Rang einer Vertrauten ein. Nape, gleichfalls mit einigen Denaren fügsam gemacht, verriet mir von da an, welche Gesellschaften Cornelia besuchen würde. Eine Augenweide freilich ist Nape nicht mehr, so anziehend sie einmal gewesen sein soll. O Jupiter, warum läßt du die Menschen alt und häßlich werden! Und wenn es schon das Los der Männer ist, daß sie alternd dürr oder massig werden, warum nimmst du den Frauen ihr holdestes Gut: den Körper? Sie leben durch ihn. Der Verlust ihrer Schönheit berührt sie wie der Tod.

In der nächsten Zeit traf ich Cornelia des öfteren in den Gesellschaften der Senatoren und des Adels, ohne daß sich an unseren Beziehungen etwas geändert hätte. Cornelia blieb scheu, aber auch ich verlor an Sicherheit. Ich begann zu lieben, darum hörte ich auf zu werben, die Begierde schwieg. Cornelias bloße Nähe genügte mir.

Da kam der Tag des Pferderennens im Circus. Ich hatte erfahren, daß Cornelia, eine Liebhaberin des schnellen Sportes, nicht fehlen werde und nur von Nape begleitet sei. Während ich mich dem Circus näherte, fielen mir die ersten Verszeilen für eine noch zu schreibende Elegie ein:

Eigentlich sitz ich nicht hier aus Hang zu vornehmen Pferden –

Aber wenn dir eins gefällt, wünsch ich ihm gerne den Sieg –

Nur um zu sprechen mit dir kam ich her, um bei dir zu sitzen,

Sonst erfährst du ja nicht, was du für Liebe erweckst.

Du siehst die Rennen, ich dich; so schauen wir also denn beide,

Was uns erfreut, und für sich weide ein jeder den Blick.

Als ich jetzt den Circus betrat, entdeckte ich Cornelia in einer der ersten Reihen. Sie saß schmal und aufrecht, schon gespannt, obwohl die Rennen noch nicht begonnen hatten, auf ihrem Platz, und neben ihr thronte Nape, breitausladend, schwitzend und prustend, denn die Sonne stach in das Circusoval.

Cornelia sah mich verwundert an, und zum ersten Mal war die ablehnende Starre aus ihren Zügen verschwunden, als sie mich fragte, seit wann eigentlich die Rennen der Wagenlenker und Pferde meine Anteilnahme erweckt hätten. Nape grinste verstohlen, ich antwortete wahrheitsgemäß, ich wäre nicht wegen der Rennen, sondern Cornelias wegen gekommen, um neben ihr sitzen und mit ihr sprechen zu können. Sie hob ihre schönen, übrigens nachgezeichneten Brauen, schüttelte leicht den Kopf, sagte kein Wort und wendete den Blick wieder der Arena zu, in die grade jetzt die ersten Gespanne einfuhren.

Um es ehrlich zu sagen, beneidete ich die Wagenlenker und den rasenden Galopp ihrer Pferde, weil sie mir das Mädchen entzogen. Und je weiter die Rennen fortschritten, um so mehr schien Cornelia in eine Art Rausch zu verfallen, ihre dunklen Augen waren geweitet, und zu meiner Verwunderung schrie sie mit der Masse der Circusbesucher zugleich auf, wenn ein Wagen den anderen überholte oder wenn einer der Lenker das Unglück hatte, die Wendemarke des Steinmals zu rammen, so daß Wagen und Rosse stürzten. Sie bemerkte auch nicht, daß ihr Nachbar zur Linken, ein junger Stutzer, ihr immer näher rückte, seine Hüfte berührte sie fast. Ich saß hinter ihr, es verdroß mich sehr. Cornelia, völlig vom Rennen gefangen, sah weder rechts noch links und schon gar nicht hinter sich. Als aber das Circusspiel geendet hatte, war sie wieder das scheue und wortkarge Mädchen, wie ich es kannte.

Etwas änderte sich doch. Es konnte jetzt geschehen, daß Cornelia, wenn wir uns auf Gesellschaften begegneten und ich mit ihr sprach, mitten in einer Bewegung anhielt und sich für ein paar Sekunden nicht rührte. Dann weiteten sich ihre Augen wie beim Rennen, ein Funke sprang in ihnen auf und ein nahezu drohender Blick traf mich. Dann losch der Funke aus, ein artiges Mädchen bewegte sich mit gewohnter Leichtigkeit, wie sie es gelernt hatte. Übrigens habe ich sie für mich selber Corinna getauft – auf den Namen der Griechin, der Dichterin aus Pindars Zeit – weil sie in mir dichtet, wenn ich nur an sie denke, jeden Tag, jede Nacht. Vielleicht aber, ich weiß es noch nicht, ist der Name Corinna nicht an ein einziges Wesen gebunden. Corinna ist das Liebende selbst, das Weibliche selbst, das, was die Sehnsucht weckt und der Erfüllung nicht widerstrebt. Jetzt ist es Cornelia. Aber nur für die heimlichsten Stunden bewahre ich den Namen Corinna auf.

So ging das eine Weile hin. Der Sommer stieg an. Wieder einmal waren wir bei der Tante des Maecenas eingeladen, bei der wir uns damals kennen gelernt hatten. Da geschah es. Cornelia bemerkte mich auf der Terrasse, kam auf mich zu, hielt an und sagte, nicht besonders leise und scheinbar teilnahmslos: «Morgen abend an der Gartenpforte unserer Villa. Nape wird dich führen.» In diesem Augenblick ging die Herrin des Hauses an uns vorbei. Sie ist an achtzig Jahre alt, mit dem Kaiserhause verwandt, groß, aufrecht und von wachem, sehr heiterem Geist. «Ihr seid», sagte sie mit ihrer tiefen Stimme zu Cornelia und mir, «eigentlich ein hübsches Paar. Warum habe ich es nicht eher bemerkt? Nehmt eure Zeit wahr!» Sie kniff ein Auge ein. «Ich habe sie wahrgenommen, aber jetzt bin ich in das Greisenalter eingegangen, so wenig ich daran glauben kann.» Lächelnd ging sie weiter.

Cornelia hatte nur mit höflicher und ebenfalls lächelnder Skepsis die Schultern bewegt, ich war errötet. Und so sehr mich die Anrede unserer Gastgeberin freuen wollte, so erschrocken war ich über Cornelias Worte. Ich hatte eine Scheue geliebt und aufgehört ihr nachzustellen. Die Scheue aber, das Kind, die Virgo, umwarb jetzt mich. Das war eine unbegreifliche, verkehrte Welt. Etwas empörte sich in mir und etwas triumphierte. Zugleich enttäuscht und entflammt spürte ich die abseitige Lockung und folgte dem Ruf.

Nape empfing mich am Gartentor und zwinkerte mir vertraulich zu. Ich beachtete sie nicht. Stattdessen achtete ich darauf, mich lautlos zu bewegen. Denn wenn mich auch ihr Vater, der Senator, nicht hören konnte – die Villa ist sehr groß –, so mußte ich trotzdem vorsichtig sein. Bagoas, der Obereunuch, und die ihm unterstellten Wächter hatten ihr Ohr überall.

Plötzlich war ich im Haus. Als Nape mich verließ, hatte sie mich mit ihren dicken Händen in einen Raum gedrückt, dessen Tür sie hinter mir zuzog. Der Raum war dunkel, von leisen Wellen einer mir bekannten Essenz durchzogen. Aber da war noch etwas anderes: der unerklärliche Anhauch des Lebendigen, der mir so sanft entgegenschlug wie Wehen des Südwindes, ehe er zur Ruhe geht.

«Corinna», sagte ich leise, «bist du da?»

«Ich bin da», sagte sie sanft. «Aber ich heiße Cornelia, nicht Corinna.»

«Ich weiß es», sagte ich. «Aber für mich wirst du immer Corinna sein.»

Dann geschah, was zu schildern ich noch nicht fähig bin, weil es anders war als meine Erlebnisse solcher Art. Ich muß Zeit gewinnen, um nachzudenken. Es begann als die zarteste Liebkosung, die ich jemals ausgeteilt oder empfangen habe. Dann aber wuchs es von uns fort. Ich war es nicht mehr, und Cornelia war es nicht. Es war ein drittes, das so hoch über unsere Körper und Köpfe wegflog wie eine Kette wilder Gänse, die kein Pfeilschuß erreicht.

Gibt es etwas, das dieser Nacht folgen kann? Vielleicht werde ich Cornelia nicht wiedersehen, vielleicht will sie mich nicht wiedersehen, wenn sie wieder Cornelia Decia, die Tochter des Senators ist. Ich bin müde. Die Sonne versengt jetzt den Garten. Ich habe mich, kaum daß ich nach Hause gekommen war und ein Bad genommen hatte, in die künstliche Grotte, den Stolz meines Vaters, zurückgezogen. Sie ist kühl und still, ein Wässerchen rieselt an ihrem Felsgestein entlang, als wäre sie echt. Hierhin habe ich mein Bett bringen lassen, hier will ich schlafen. Aber mein Kopf ist voller Musik. Wirklichkeit und Traum verschwimmen. Und kein Öl, keine Salben konnten den Geruch der Nacht vergessen machen, der etwas von Waldsümpfen an sich hatte. Ich atme ihn mit der Luft ein, ich schmecke ihn.

IIDer Chronist Eckart Naso über den Dichter Ovidius Naso

Wir befinden uns im Jahre 23 vor Christus, im kaiserlichen Rom. Die römische Republik fiel, als Caesar an den Iden des März ermordet wurde. Das kaiserliche Rom aber ist den Dichtern hold.

Die Geschichte eines von ihnen zeichnen wir nach, wir versuchen es wenigstens. Es ist die Geschichte des Publius Ovidius Naso, der, ein Jahr nach der Ermordung Caesars geboren, dem Spiel, dem Trieb, der Poesie und der Liebe lebte, bis ihn das Schicksal ereilte.

Ehe wir aber beginnen konnten, ist uns der Poet selber mit einem ersten Kapitel zuvorgekommen. Diese Eigenmächtigkeit fügt sich in unsern Plan. Wir wollen keine langatmige Biographie. Die jeweiligen Personen sollen sich selber einführen. Ich, der Chronist, will die Verbindungen herstellen und erzählen, was die anderen verschweigen.

Der Liebling der Götter, Ovid, ist zwanzig Jahre, als unsere Geschichte anfängt. Er hat uns eben sein Abenteuer mit Cornelia erzählt. Jetzt wird die sechzehnjährige Cornelia ihrer Freundin Lalage das Abenteuer mit Ovid schildern, wie sie es erlebt hat.

III«Ich lud eine Stimme zu mir ein …»

Entsinnst du dich noch des griechischen Rhetors, der unser Lehrer war? Wir haben oft über ihn gelacht, denn er stieß mit der Zunge an und hatte seine Nase durch eine Krankheit verloren. Er war so klug, daß er über sich selbst lachen konnte. Als wir ihn das erste Mal sahen, erschraken wir über so viel Häßlichkeit. Er merkte es und amüsierte sich. «Erschreckt nicht, meine jungen Damen», sagte er. «Ich vereinige in mir ein großes Freundespaar: ich lisple wie Alkibiades und habe nur das Fragment einer Nase wie Sokrates.» Dann sprach er uns das Kapitel über die Liebe aus dem GASTMAHL des Plato. Er konnte es auswendig.

Wir hörten es uns an und begriffen es nicht recht. Wie jung waren wir damals noch – alberne Mädchen, die alles lächerlich fanden. Wir fanden auch das Kapitel von der Liebe lächerlich. Und noch immer verstehe ich die Liebe nicht, obwohl ich sie jetzt verstehen müßte.

Seit dieser Nacht bin ich kein Mädchen mehr. Das beunruhigt mich nicht, obwohl es mir fremd war, daß der körperliche Schmerz so unvermittelt in ein nie gekanntes Lustgefühl übergehen konnte. Etwas anderes beunruhigt mich. Und das grade ist der Grund, daß ich plötzlich an unseren griechischen Lehrer und das GASTMAHL des Plato denken mußte. Erinnerst du dich an die Rede des Aristophanes über die Liebe? Er spricht von dem seltsam verdoppelten Menschenwesen, das den Himmel stürmen wollte. Und diese Rede mußten wir auswendig lernen. Weißt Du sie noch? «Da schnitt Zeus das doppelte Menschenwesen durch, so wie man Früchte zerschneidet, wenn man sie einkochen will. Jetzt waren die Hälften getrennt und sehnten sich nacheinander. Der Schmerz der Trennung zerriß die Zerrissenen. Sie umschlangen sich wieder. Und wenn sie die Hälfte nicht fanden, die ihres Wesens war, umschlangen sie eine fremde Hälfte, den fremden Mann, die fremde Frau.»

Ich habe eine fremde Hälfte umschlungen, Lalage, den fremden Mann. Ich kenne ihn kaum. Und wenn du mich fragst, ob er schön oder häßlich ist, klein oder groß, so weiß ich es nicht. Das beunruhigt mich. Ich habe immer nur eine Stimme gehört, nur die Stimme, auch die Worte nicht. Und es kam vor, daß ich aufhörte mich zu bewegen, weil die Stimme mich festhielt. Das dauerte nur wenige Augenblicke, dann ging es vorüber.

Vorgestern abend aber ergriff mich eine Traurigkeit, als wäre ich allein auf der Welt. Da hörte ich die Stimme hinter mir, miteins schlug die Trauer in Seligkeit um, in ein unerklärliches Verlangen, in eine traumwandlerische Sicherheit des Gefühls. Und ich tat, was sonst nur die Lasterhaften der Straße tun: ich bot mich an, ich lud eine Stimme zu mir ein. Und die Stimme kam. Ja, Lalage, wir umschlangen uns, wie es bei Plato heißt, wir durchdrangen uns, aber sehnten wir uns nacheinander? Wir sehnten uns nach unserer eigenen Sehnsucht, jeder für sich, und blieben uns fremd. Das beunruhigte mich noch mehr, denn ich liebe ihn doch nicht. Oder genügt das wenige schon zur Liebe, wenn es nur überhaupt gefühlt ist?

Ich sitze im Garten und höre der wunderbaren Monotonie des Springbrunnens zu. Er ist so müde wie ich, so wach wie ich. Und das ist kein Widerspruch. Denn in mir regt sich die Phantasie. Wie nie vordem beginnt sie zu arbeiten, schillernd beweglich wie das Farbenspiel im trägen Wasserstrahl.

Ja, es ist richtig, ich kenne ihn kaum. Aber die Phantasie gibt der Stimme den menschlichen Umriß. Vielleicht wollte ich ihn bisher nur nicht sehen, und jetzt beginne ich ihn zu sehen. Wenn ich es genau überlege, und die Phantasie hilft mir dabei, ist er ein noch sehr junger Mann mit einem straffen Körper, einem schmalen Gesicht. Ich weiß deshalb immer noch nicht, wie er aussieht, aber ich denke, klein ist er nicht, und seine Augen haben die Kraft, festzuhalten, wie seine Stimme. Er macht Verse, er will Dichter werden. Und er ist alles zusammen: ernst und lustig und verspielt. Heute nacht, als wir nachher still nebeneinander lagen, ohne uns zu berühren, hat er mir abenteuerliche Dinge erzählt, sie begannen mit der Schöpfung der Welt und endeten mit einem Spaß. Ich mußte lachen. Das hätte ich von einer solchen Nacht am wenigsten erwartet. Er erzählte die Geschichte von einem Faun, der sich bei der Liebesjagd im Fenster geirrt hat und statt des Mädchens den bockfüßigen Vetter überfällt. Ich weiß nicht, wie andere Männer solche Geschichten erzählen. Bei ihm gefiel sie mir.

Ich glaube, er ist ein reizender junger Mann, vielleicht liebe ich ihn doch. Und wenn du aus den heißen Quellen von Bajae nach Rom zurückkommst, lade ich euch zusammen ein. Aber du darfst ihn nicht zuviel ansehen, sonst bleibst du an seinen Augen hängen – und er an dir.

Heute früh, als er so leise gegangen war, daß selbst ich seine Schritte nicht hören konnte, kam eine tiefe Melancholie über mich. Sie galt mir und ihm und der vielgerühmten Liebe. Ich wollte ihn nicht wiedersehen, ich wollte nie einen Mann mehr sehen. Dann schlief ich noch einmal ein. Als ich aufwachte, erschien mir die Nacht wie ein Traum. Aber er quälte mich nicht mehr, er tat mir wohl. Und je weiter die Stunden liefen, um so weniger finde ich mich zurecht. Komm bald zurück, Lalage. Und wenn du mir in meiner Verwirrung nicht helfen kannst, so teile sie, wenn du ihn gesehen hast.

Ach, ich vergaß es dir zu sagen. Es ist ein junger Adliger aus dem Hause, das sich Ovidius Naso nennt. Er ist nicht grade reich, doch auch nicht unbemittelt, da sein Vater das Landgut Sulmo und ein Stadthaus in Rom besitzt.

IVEin Windhauch treibt Liebende und Poeten

Es ist das Los der Liebenden, daß sie sich über ihre Gefühle täuschen. Auch Cornelia und Ovid täuschten sich, als sie der Meinung waren, sie würden sich nicht wiedersehen – oder sie wollten es gar nicht. Ihr Wunsch, fortzusetzen, was der Abend und die Nacht begonnen hatten, wurde unaufhaltsam. Um die Zeit des Nachmittags, als von Ostia her schon die kühlere Seebrise wehte, machte sich der junge Mann auf den Weg seiner Sehnsucht. Da es aber während des Tages keine Verständigung zwischen dem Hause des Gutsherrn von Sulmo und dem sehr viel reicheren des Senators geben konnte, so verließ sich der Poet auf sein Glück, den Zufall und die Türen sprengende Kraft des Gefühls.

Darin freilich irrte er. Denn als er an die Gartenpforte kam, die ihm gestern den Weg ins Abenteuer aufgetan hatte, fand er sie verschlossen, und es schien auch keine Aussicht vorhanden, daß sie sich wiederum öffnen würde.

Hier wurde ein Charakterzug unseres Freundes deutlich: die mangelnde Ungeduld, wenn man ihm schon nicht das volle Lob der Geduld zubilligen wollte. Ovid wartete gern. Er genoß das Vorgefühl wie andere das Gefühl, und so verdoppelten sich, ja verdreifachten sich seine Freuden, je länger sie sich hinauszögerten.

Das Villengrundstück des Senators lag in einem lichten Hain. Die Villa selbst gehörte nicht zu den Palästen, die das reich gewordene Rom wie Pilze aus der Erde wachsen ließ – Paläste, die manchmal den Raum ganzer Stadtviertel einnahmen. Aber auch Cornelias Elternhaus, die Villa des Senators Cornelius Decius, trug dem Luxusbedürfnis des Augusteischen Baustils Rechnung, der den vielfach farbigen Stein liebte. Roter kararischer und violett gefleckter phrygischer Marmor wechselten mit dem schwärzlichen Marmorstein, den der Feldherr und Feinschmecker Lucullus auf der Insel Melos entdeckt und sogleich für Rom in Mode gebracht hatte – wie übrigens die Kirschen auch.

Ovid, von seinem Platz aus, konnte nur die Umrisse des Hauses erkennen: Vorhof und Atrium, Wandelgänge und Zimmer, denen sich, wie er wußte, die Bibliothek und die Bäder anschlossen. Er kannte von diesen Zimmern nur eines, doch schien es ihm kostbarer als der gesamte, sehr reiche Besitz. Und auch den schön gepflegten Garten hatte er in der Dunkelheit und am dämmernden Morgen durchschritten. Jetzt, der Pforte nahe, vor der Mauer, die Hain und Garten trennte, hatte Ovid sich behutsam auf einen Feldstein gesetzt und wartete.

Die Sonne indessen fiel in breiten Lichtbalken durch das Laub der Nußbäume hindurch, Mücken spielten in ihrem Schatten, und die Zikaden sangen. Sonst blieb es still. Ein Lächeln, das klug oder auch nur pfiffig war, glitt um den hübschen, sinnlichen Mund des Zwanzigjährigen. Es konnte nicht besser kommen, dachte er. Ringsum die Natur gab ihm ihre niemals endende Melodie, sie füllte ihn mit ihren Stimmungen an, sie sättigte ihn ganz. Und daß die Harmonie sich vollende, wurde ihm noch die Erwartung geschenkt. Die Erwartung galt einem Mädchen, das schön war und reizvoll war, das er besessen hatte und nach dem er sich ohne Hast sehnte.

Weil aber ein Zwanzigjähriger bei aller mangelnden Ungeduld sein Blut kräftiger fühlt, wenn vor seinem inneren Blick das Bild der Geliebten erscheint, überlegte er zwischendurch, ob er – ein athletischer junger Mann – nicht die Mauer erklimmen und mit einem Sprung in den Garten, hinter Büschen verborgen, den Weg zum Seitenflügel sich selber erobern sollte. Von diesem Plan nahm seine Eitelkeit Abstand. Er war blütenweiß nach neuester Mode gekleidet, und seine Toga war in so kunstvolle Falten gelegt, daß er die stundenlange Arbeit zweier Sklaven nicht gefährden durfte, außerdem erschien er frisch gesalbt, mit sardischen Ölen betupft. Das Gewaltunternehmen würde den äußeren Menschen um seine Ordnung gebracht haben – und damit den inneren auch. Beide gehörten so eng zusammen wie Zwillinge, die zumindest mit einem ihrer Glieder aneinandergewachsen sind.

Während Ovid solchen Überlegungen nachhing, bewegte sich der Riegel am Gartentor, die Pforte öffnete sich, und Cornelia stand im Rahmen der Tür.

Ovid war aufgesprungen, zugleich beglückt und enttäuscht, daß die Erwartung sich so schnell erfüllt hatte. Dabei stellte er mit der Skepsis seiner zwanzig Jahre und eines überzivilisierten Zeitalters fest, daß die Göttin der Nacht in ein kleines, sechzehnjähriges, immer noch reizvolles Menschenmädchen verwandelt war. In ihrer hellblauen, ärmellosen Tunica und der dunkelblauen Stola wirkte sie jünger und kindlicher.

Das Menschenmädchen schien gleichfalls betroffen. Sie hatte ihrem Liebsten um den Hals fliegen wollen, wenn er, wie sie hoffte, an der Pforte auf sie wartete. Statt dessen stand sie hier und starrte ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Er kam ihr fremder als gestern vor. Zwar der Augen erinnerte sie sich. Im grünlichen Stern schwamm bernsteinfarben ein brauner Schein. Die nächtliche Lampe hatte ihn aufleuchten lassen, wenn das Gesicht des Mannes über ihr war. Die Nase aber war zu lang. Dann fiel ihr der Beiname der Familie – Naso – ein. Er hatte wohl seine Richtigkeit. Die lange, doch schmale Nase mit der adligen Biegung im Profil war ein ovidisches Erbteil.

Cornelia sprach erst jetzt. In ihrer Verlegenheit sagte sie: «Ich habe mir gedacht, daß du hier auf mich warten würdest.»

«Oh», sagte er, «wie klug du bist.» Plötzlich lachte er. «Aber warum so befangen?»

«Es ist heute anders als gestern.»

«Es ist immer anders, und das grade macht den Reiz aus. Findest du nicht?»

Sie nickte. «Vielleicht – ich weiß es noch nicht.»

«Ich weiß es, mein Mädchen.»

Die Sonne sank, doch gab sie noch Licht, Zikaden geigten, fernher kam von Fröschen ein Chor. Der Waldboden strömte den empfangenen Sommer aus und gab ihn als Atem der Erde zurück. Plötzlich war es um die wohlabgewogene Ruhe des jungen Poeten geschehen. Er nahm das Mädchen in die Arme, so glühend, daß der Brand übersprang. Aber Cornelia schüttelte den Kopf, die schwarzen Locken bewegten sich.

«Nicht hier, Ovid. Man kann uns vom Hause aus sehen.» Die Befangenheit in ihrem Gesicht wich dem Ausdruck heiterer List. «Ich weiß etwas, das besser ist. Wir haben Glück. Meine Eltern sind heute überraschend auf ihr Landgut bei Neapolis gereist. Sie haben Bagoas mitgenommen. Jetzt bin ich Herrin im Haus.» Leiser schloß sie: «Du könntest hierbleiben, du könntest bei mir wohnen, Ovid.»

«Du bist sehr gütig, kleine Herrin im Haus. Wenn du es mir erlaubst, werde ich dich gern besuchen – am Tage oder manchmal auch in der Nacht. Wohnen aber werde ich nicht bei dir.»

Die Herrin im Haus wurde wieder zu einem Kind. «Warum? Ich verstehe das nicht. Gehören wir nicht zusammen?»

«Vielleicht gehören wir zusammen, vielleicht. Aber man sieht sich besser, wenn man sich nicht zu nahe sieht. Und mit der Liebe muß man vorsichtig umgehen. Sie verträgt die Gewohnheit nicht.»

Eine Pause entstand, während Cornelia das Gartentor von innen verriegelte. Darauf sagte sie: «Du denkst zu viel. Wenn man fühlt, denkt man nicht.»

«Nur dann, grade dann – wie sollte man sonst mit den Gefühlen fertig werden?»

Sie gingen jetzt langsam die Gartenwege entlang. Der Springbrunnen plätscherte noch. Die Pfauen aber hockten, schon aufgebäumt, zum Schlafe bereit, in den Zweigen der Edelkastanien, die sie für ihre Nachtruhe bevorzugten. In der schnell einfallenden Dämmerung leuchteten die Farben ihres Gefieders auf: milchig weiß oder betörend bunt, wenn das Saphirblau des Halses in das smaragdene Grün des Rückens überging.

«Nape», sagte Cornelia, «hat uns eine Abendmahlzeit bereitet, die dir gefallen wird.» Sie bemerkte sein Erstaunen, errötete und fuhr schnell fort: «Für alle Fälle. Denn es war ja möglich, daß du kommen würdest.»

Er lachte. «Und wenn ich nicht gekommen wäre –?»

«– hätten es Nape und die Mägde gegessen.»

«Du nicht, Cornelia?»

«Ich hätte keinen Hunger gehabt.»

Er sah sie an, liebenswürdig und voller Spott. «Und jetzt?»

«Jetzt habe ich Hunger. Es muß mit der Liebe zusammenhängen.»

Dann traten sie in das Haus ein. Ovid, an die Pracht römischer Villen und Paläste gewöhnt, staunte doch. Der Senator Cornelius Decius mußte über einen ausgezeichneten Geschmack und sehr viel Geld verfügen.

Die Fußböden waren aus Mosaik gefügt, die Wände mit bunter Marmortäfelung ausgelegt. In den gewölbten Nischen der Wandelgänge standen Abgüsse von Götterbildern aus der großen attischen Zeit und bildgeschmückte Vasen aus blauem und weißem Glas. Gemälde mythologischer Themen fanden sich dazwischen. Sie zeigten kriegerische und amouröse Szenen an, wie es die Mode mit sich brachte.

Überraschender aber als die anderen Hallen, Zimmer und Gänge war der Speiseraum. Hier wurde einer der neuesten Modeträume Roms in die Wirklichkeit umgesetzt: der Fußboden bestand aus Spiegelglas, das von unten beleuchtet wurde. So ging man wie auf Licht. Damit nicht genug, waren hier die Wände nicht mit Marmortafeln sondern mit Goldplatten ausgelegt, so daß sich der Widerschein der Lampen metallisch fing. Gold verzierte auch, in starker und kunstvoller Prägung, die Intarsienhölzer der Möbel, goldene Drachen trugen die Tischplatte aus numidischem Marmor, und golden waren die Teller und Schüsseln, die später Nape und die Mägde reichten.

Cornelia, als sie beide in den Speisesaal eintraten, war plötzlich bewegt. Und mit einer kleinen zeremoniellen Verbeugung sagte sie ernsthaft: «Sei mir gegrüßt.» Ovid dankte in gleicher Weise. Darauf nahmen sie schweigend Platz, ohne sich auf den Polstern auszustrecken.

In diesem Augenblick erschien Nape mit drei anderen Mägden, um aufzutragen. Dem Gast zuliebe hatte man auf männliche Bedienung verzichtet, weil man wußte, daß ihm die Eunuchen zuwider waren.

Kaum wurden die Schüsseln herumgereicht, wich die feierliche Stimmung einer beschwingten Laune. «Nape», sagte Cornelia, «ist eine große Kochkünstlerin. Du wirst es merken. Aber mit den Weinen wußten wir nicht Bescheid. Welchen wünschest du?»

«Wenn ich wünschen darf: Falerner – und diese Vorliebe teile ich nun mit Horaz. Sonst freilich», fuhr er fort, ein Schatten lief über die glatte Stirn, «bin ich nicht wert, mich mit ihm im gleichen Atem zu nennen.»

Cornelia horchte auf, sie streifte den Freund mit einem abschätzenden, erstaunlich wachen Blick. Dann aber begann das Mahl sie beide in Anspruch zu nehmen. Sie waren jung und hungrig: nach Leben, nach Liebe und in dieser Stunde nach jenen auserlesenen Gerichten, die Nape ihnen bereitet hatte. Jedes einzelne wurde mit Andacht genossen, ob es die Pasteten aus Krammetsvögeln waren, die Artischockenböden oder die gebackenen Muränen aus den Teichen des Senators. Auch ein gefüllter Truthahn fehlte nicht, dem Nape sein Federkleid wieder angezogen hatte, so daß er auf der Schüssel wie ehedem zwischen seinen Hennen paradierte.

Die jüngste der Mägde goß den Falerner ein. Ovid trank ihn ungemischt, und das Rauschhafte des Daseins, das Dionysische in seiner anmutigen, leisen Form, spann seine Fäden um Jüngling und Mädchen, hob sie auf und machte sie schweben.

Sie sprachen dieses und jenes, aber hinter den alltäglichen Sätzen waren schon die andern Worte zu spüren, die man sich nur im Schweigen sagt.

Als sie schließlich noch die gezuckerten Früchte erprobt hatten, hielt es den Poeten nicht länger auf seinem Platz, eine so brausende Fröhlichkeit erfüllte ihn bis zum Rand. Ovid sprang auf. «Man müßte», sagte er, «alles zusammen sein: ein Dichter, ein Mime, ein Wagenlenker, ein Tänzer vor allem.» Er lachte und bewegte sich in weitausholenden Tanzschritten, als stelle er sich auf einer Bühne zur Schau. «Die Menschen wissen es nicht, auch du, mein Mädchen, weißt es noch nicht.»

Cornelia sah ihn verwundert und fragend an. Ihre Augen glänzten.

Ovid lachte. «Was das Leben ist, wißt ihr nicht. Ihr seid dieses und das und festgewurzelt und stolz darauf. Aber Äther sein, Luft sein, Wind sein, jedes Wesen umfächeln, jedes Ding umspielen – das ist das Geheimnis, das ihr nicht kennt. Ihr alle seid furchtbar ernsthaft und habt vergessen, wie auch die Götter lachen können. Das Komische, du Schöne, ist wichtiger als die Träne, es trägt uns auf den Flügelschuhen Merkurs über alle Abgründe fort.» Er sprach so viel wie einer, dem der Wein die Zunge beschwingt, und immer zwischendurch lachte er. «Es gab eine Zeit, da sich das Schwere in Anmut gelöst hatte und leicht wie eine Feder geworden schien. Das war die Alexanderzeit, als der strahlend heitere Menander den finsteren Euripides abgelöst hatte, die Zeit der Reiseromane und Tagebücher, der lockeren Liebe und ihrer Briefe. Diese Zeit will ich euch zurückbringen.» Plötzlich brach er ab, wurde ernst, sah sich um und sagte: «Es ist alles sehr kostbar hier, sehr schön, sehr reich. Aber verzeih, daß ich es sage: dein Vater, der Senator, ist sicherlich ein strenger Mann, er hat keinen Humor, und seine Räume haben kein Herz – wie die Zimmer im Seitenflügel des Hauses, deren Bekanntschaft ich einmal gemacht habe, wenn ich mich recht erinnern kann.»

«Du erinnerst dich recht, Ovid, komm.»

Da er in ihr Zimmer eintrat, wo sich der Geruch der Räucherkerzen mit dem Duft ihres Parfüms mischte, gab sie ihm noch einmal, wie vor der Abendmahlzeit, den Gruß: «Sei mir willkommen, mein Gast.» Sie legte ihm den Arm um den Hals und sagte: «Mein Liebster, mein Herr.»

Er wollte grade das leichte Spiel der Zeremonien und der Liebe aufnehmen, als er etwas sah, das ihn festhielt. Auf dem Tisch in Cornelias Zimmer lag aufgeschlagen ein Buch. So sichtbar lag es dort, als sollte es einem Besucher auffallen. Ovid trat näher und las. Es war das Kapitel von der Liebesklage der Dido aus der AENEIS des Vergil.

«Das ist merkwürdig», sagte Ovid und war plötzlich ein anderer. «Wer hat das gelesen?»

«Ich.»

«Seit wann liest du den Vergil?»

«Seit ich dich kenne.»

Ein Schweigen entstand. Dann sagte er: «Laß mir noch Wein bringen. Das ängstigt mich.»

«Hilft Wein?»

«Immer.»

Cornelia schlug den Gong, man brachte den Krug.

«Was ängstigt dich?»

Ovid schien nachzudenken, er trank. «Vergil», sagte er.

Cornelia wollte lachen und lachte nicht. Das Gesicht des Freundes blieb verschlossen. «Warum ängstigt er dich?»

«Weil er unerreichbar ist.»

«Willst du ihn erreichen?»

Statt zu antworten, sagte Ovid: «Was ihm gelungen ist, ist selbst dem Griechen Homer nicht gelungen: ein Dichter gründet ein Kaiserreich, indem er es schreibt.»

«Aber Augustus hat es gegründet, als er Antonius schlug.»

«Antonius war der größere, der kleinere blieb. Und er fand wieder den Größeren, der ihm mit seinen Weltgedichten das Haus in die Wolken gebaut hat – Vergil. Wer aber ist Vergil? Ein Stammler, ein Scheuer, ein Dichter, ein Gott! Maecenas hat ihn entdeckt.»

Cornelia sagte jetzt nichts. Diese männliche Sphäre war ihr fremd.

Ovid sprach weiter, über sie hin, vom Thema seines Lebens enflammt. «Einmal bin ich ihm von ferne begegnet. Er kam aus Süditalien nach Rom zurück und wollte das Forum überschreiten. Er kam nicht weiter. Die Menschen hatten ihn erkannt, sie umringten ihn, umarmten ihn und knieten vor ihm. Straßen und Plätze um das Forum waren von Menschen schwarz.»

Er schwieg und fuhr fort: «Die AENEIS wird unvollendet bleiben. Vergil ist ein kranker Mann. Aber seine Eklogen trägt man sogar im Theater vor. Da ist die Schauspielerin Cytheris, ehedem eine der Geliebten des Antonius. Ihre Vortragskunst lobte man dem Dichter so, daß er seine Verlegenheit überwand und das Theater besuchte. Was aber geschah, als er eintrat? Das Publikum erhob sich von den Plätzen – es ist eine Geste der Ehrfurcht, die man sonst nur dem Kaiser erweist.»

Ovid trank Falernerwein, draußen vor den offenen Fenstern stand silbrig dunkel die Nacht und schickte den schweren Duft der Levkojen ins Zimmer.

Jetzt griff Cornelia ein. Sie wollte auch die fremde, schwer zu begreifende Sphäre des Mannes durchdringen. «Warum», fragte sie, «ängstigt dich Vergil? Bist du neidisch, weil man ihn ehrt?»

Ovid lachte lautlos auf. «Wäre ich ein Tuchhändler, ein Bankier, ein Offizier, ich würde an der Freude des Volkes teilhaben. Ich wäre ein Stück der Menge, die ihren Dichter liebt und verehrt. Aber ich bin selber ein Poet. Darum habe ich die Unschuld des Erlebnisses verloren.»

«Das verstehe ich nicht.»

«Ihr seht es naiv. Ihr denkt: ein großer Dichter, man muß ihn lieben. Weiter denkt ihr nicht. Mich aber erschreckt die ungeheure Wirkung, die ein Mensch haben kann, wenn er schreibt. Vergil schreibt mächtige Handlungen und schreibt sie schön – gewiß. Doch das allein ist es nicht, das nicht.»

Die Nachtluft wehte herein, wieder war der Chor der Frösche zu hören. Eine Pause entstand. Dann sagte Ovid sehr still und gleichsam verwundert über sich selbst: «Die Buchhändler am Markt halten große Stücke auf mich. Sie verkaufen meine Liebesgedichte gern und wünschen jetzt die Ausgabe der AMORES als Buch.» Er überlegte und fuhr fort: «Dieses Buch wird vielleicht besser gehen als die Eklogen oder sogar die AENEIS des Vergil. Es wird bestimmt besser gehen als die Oden des Horaz –»

Cornelia unterbrach ihn. «Auch Horaz ängstigt dich. Ich habe es gemerkt, als du vorhin seinen Namen genannt hast.»

«Ja, Horaz auch. Vergil und er – keiner sonst. Diese beiden haben der lateinischen Poesie ihr ureigenes, herbes Aroma gegeben. Was sie von Homer und Anakreon nahmen, haben sie in die männliche römische Form umgeschmolzen und neu gegossen, unverwechselbar für Jahrhunderte. Aber das alles ist es nicht –»

Ovid hörte auf zu sprechen. Auch Cornelia schwieg. Dann, zögernd, begann er: «Ich will dir etwas sagen, was ich noch niemandem gesagt habe. Daß ich es sagen kann, trinke mir Mut zu.»

Cornelia nippte, er trank. «Ich schreibe», sagte er, «einen leichteren, eleganteren Stil als Vergilius Maro, ich bin begabter und phantasievoller als Horatius Flaccus, das weiß ich. Ich werde mehr gelesen werden als beide. Und beide werden immer größer bleiben als ich. Warum?»

Sie nahm die Frage auf. «Warum, Ovid – glaubst du das?»

«Es ist ein Geheimnis, ich finde es nicht. Es liegt nicht in der schönsten und vollkommensten Form, nicht im höchsten Talent. Es muß eine Sache der großen Seele sein; der Kraft, die der Mensch – nicht der Poet – ausstrahlt; der furchtbaren letzten Ernsthaftigkeit, die nur einsam errungen wird und die später durch das Werk durchbricht. Ich aber» – er sah dem Mädchen mit einem melancholischen Lächeln ins Gesicht, es machte ihn charmanter als jede Heiterkeit – «ich aber bin unernst, leichtsinnig und verspielt, bis auf die wenigen Stunden, in denen ich arbeite. Ich bin zu klein für mein Talent, weil ich mich von jedem Windhauch des Lebens treiben lasse.»

«Der Windhauch hat dich zu mir getrieben.»

«Der Windhauch warst du selbst.»

«Und du gefällst mir, wie du bist.» Sie stellte sich auf die Fußspitzen, erreichte seinen Mund und küßte ihn leicht.

«Ich denke auch», sagte er, «daß wir aufhören zu philosophieren. Meinst du nicht, Cornelia?»

Sie senkte den Kopf, er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Es war Corinnas Gesicht. Ovid löschte vier von den fünf Lichtern aus.

V Brief des Dichters Quintus Horatius Flaccus an den Dichter Publius Vergilius Maro

Mein Publius, ich bin bekümmert, von Maecenas zu hören, daß dein Gesundheitszustand nicht der beste ist. Nimm die Ärzte, die Maecenas dir empfohlen hat und laß es dir an nichts fehlen. Denn du, mein Freund, bist kostbarer als alle Schätze, die Rom in Krieg und Frieden gewonnen hat. Du selber bist Rom, du bist sein Baumeister im Geist, und es wird, bis ich zu den acherontischen Schatten eingehe, meine Ehre bleiben, daß ich dein bescheidener Handlanger sein durfte. Uns beide aber, mein Publius, deren Freundschaft begann, als wir jungen Leute in Athen studierten, wird man nennen, wenn man das Augusteische, das goldene Zeitalter nennen wird. Du schlugst mit deiner Menschheitsdichtung, die zugleich die Staatsdichtung Roms bleiben wird, den Marmor, auf dem es ruht. Ich bevölkerte die Welt der Verordnungen und Gesetze mit unheldischen Amoretten und nahm ihr die Strenge. So schmückten wir das junge Imperium aus und gaben ihm den Schein von Gold.

Hier laß uns einen Augenblick nachdenken. Immer schüttle ich den Kopf, wenn ich auf meinem Gütchen, den Geschäften und der Geschäftigkeit fern, das goldene Zeitalter preisen höre. Ach, lieber Publius, ich preise es selbst, wie du es gepriesen hast. Der Kaiser freut sich darüber, und Maecenas, unser Freund, hat mir dafür das Gütchen geschenkt, und die Menschen, die uns lesen, glauben der aurea aetas vielleicht.

Aber wir haben zwei Augen, zu sehen. Das eine sieht den Schein, das andere die Wirklichkeit. Zusammen sehen sie das gefärbte Sein, die Illusion. Trennen wir das eine vom anderen.

Der Schein bezwingt. Dem gefährlich zwielichtigen und ausschweifenden Diktator ist der ehrbare, ordnungsliebende und sittenstrenge Kaiser gefolgt, dessen Ehegesetze die Moral des römischen Volkes veredeln. Rom selbst ist zur Weltstadt geworden, wie keine noch gewesen, solange die Erde steht. Seine Militärmacht ist unangreifbar, eine weise, nicht tyrannische Politik sammelt auch die fernen und fremden Völker brüderlich unter dem Szepter des Imperiums. Die Künste blühen einer Gesellschaft zu, deren höchst verfeinerte Lebensform die vergangenen großen Kulturepochen von Babylon und Ninive, Memphis und Theben, Mykenä und Athen erreicht oder selbst überflügelt hat, die Ratio der Lateiner, bis auf den heutigen Tag, hält die Fäden in der Hand.

So bietet sich uns der Schein. Wie aber sieht die Wirklichkeit wirklich aus? Ich schicke dir diesen Brief durch meinen treuesten und verschwiegensten Freigelassenen, Metellus, so daß er nicht in unberufene Hände fallen kann. Du, mein Freund, wenn du ihn für dich allein gelesen hast, wirst ihn dem Feuer übergeben. Aber es drängt mir das Herz ab, einmal ehrlich zu sagen, wie ich unser goldenes Zeitalter sehe, wenn ich das täuschende Auge schließe und mich auf den unbeirrbaren Blick der Wahrheit verlasse.

Der große Caesar ist tot, ermordet von den Mittelmäßigen, die das Genie nicht fassen konnten. Er war das Genie der Genies, keiner wird nach ihm kommen, der ihm gleicht.

Der nach ihm kam, wie Caesar es wünschte, Augustus, ist ein braver Mann, ein guter Hausvater auch für das Weltreich. Den Caesar divus erreicht er nie, und der Herr des Imperiums wird der eigenen Familie nicht Herr. Seine Ehegesetze sind ihr Spott. Die Frauen betrügen ihn und tanzen ihm auf der Nase herum. Noch hat er es nicht gemerkt oder will es nicht merken. Wie alle Gutgesinnten glaubt er das Gute sehr lange Zeit. Er glaubt auch an die Unüberwindlichkeit der römischen Militärmacht. Aber sie bröckelt schon, zu viele fremde Völker zersetzen sie. Die Fremden und ihre Kulte zersetzen auch Rom. Die Hauptstadt der Welt ist ein übles Völkergemisch und gleicht moralisch einer Kloake. Die Aristokratinnen bis zum Kaiserhof aufwärts schleichen sich nachts verkleidet in die Matrosenbordelle und geben sich wahllos hin. Am Tage aber huldigen sie dem anmutigen Lebensstil, wie ihn die Alexanderzeit aus der ungeheuren Flut des attischen Geistes ins Sprühende destilliert hat.

Überall noch wirst du die tiefste Ehrfurcht vor deinem Werk spüren können. Aber die AENEIS ist schon das Selbstverständlich-Große, das man als bekannt voraussetzen darf, wenn man zur modernen und modernsten Form der Literatur vordringen will. Nicht Größe mehr, Fascination ist Trumpf, mit welchen Mitteln immer man sie erzielt. Manchmal ist es noch der Ernst, häufiger der Spott, die Ironie und das Ballspiel überhaupt mit Göttern und Menschen, Gefühlen und Reizen.

Ich, mein Vergil, so sehr ich im Gegensatz zu dir der leichteren Muse diente, dem Wein und der Liebe und der allmächtigen Natur in ihren Jahreszeiten und Landschaften – ich komme mir, um es ehrlich zu sagen, mit meinen zweiundvierzig Jahren schon wie angegraut vor, wenn ich lese, was die Zwanzigjährigen schreiben. Es ist kein Neid, kaum eine Verwunderung, daß sich hier ein Stil vom Wesen her geändert hat. Manchmal denke ich zwar, meine Form, das Leben zu sehen und es zu schreiben, war fester im Boden verwurzelt, und den Worten haftete der zugleich herbe und süße Geruch von Waldbeeren oder Falernerweinen an. Aber dann macht mich die Kühnheit der Jungen lachen, ihr freches Geradezu, ihre Respektlosigkeit vor den überkommenen Werten. Indem sie zu kämpfen scheinen, spielen sie vielleicht nur, man weiß es noch nicht genau. Zwei von den jungen Leuten sind mir aufgefallen, sie heißen Properz und Tibull. Der dritte aber, Ovid, ist der Begabteste von allen. Corinna heißt seine Muse, von der man in Rom zu sprechen beginnt.

Leb wohl, mein Publius. Äskulap mit den heiligen Schlangen heile dich. Und Venus, des Aeneas Mutter, lasse ihren Sternenschein über dir leuchten.

VIBerechtigte Zweifel um ein bräunliches Mädchen

Staunen ergreift den Chronisten, wenn er im Buch der Welt und ihrer Reiche blättert. Dann befindet er sich im pulsierenden Mittelpunkt der Erde. Es gibt keine Vergangenheit. Die Flutwelle Zeit spült an ihm vorbei, ununterbrochen spült sie Menschen, Völker und Reiche vorbei, und in einem ungeheuren Kreislauf kehren die Dinge zu ihrem Ursprung zurück. Jahrtausende sind ein Tag und eine Nachtwache. Wo man eben noch Ägypten, Assyrien, Babylon schrieb, schreibt man heute Rom. Namen wechseln, der Mensch bleibt. Er ist immer derselbe von Anbeginn. Er ißt und trinkt und zeugt und schläft. Er führt Kriege und richtet Reiche auf. Dann stirbt er, und die Reiche zerfallen. Auf dem Platz, wo sie standen, errichtet der nächste das nächste Reich, und im Umlauf der Epochen gleichen sich Menschenschicksale und Völkerschicksale wie ein Ei dem andern. Es ist eine brennende Gegenwart vom ersten bis zum letzten Tag des Daseins. Aber immer noch zerteilt man die große Einheit Leben in Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, da doch die Gegenwart des ersten Erschaffenen so unmittelbar wie die Gegenwart der mit uns und nach uns Geborenen in unserem Blute umgeht.

Unwillen aber ergreift den Chronisten, daß er gegen solch großes Gesicht gezwungen wird, die alltägliche Geschichte von Liebenden zu erzählen, da sich auch alle Liebesgeschichten der Welt gleichen wie ein Ei dem andern. Sie sind eine Mischung aus den unteren und oberen Kräften der Menschheit, und ihr billiger Erfolg besteht darin, daß jedermann sich im Liebhaber oder seinem Mädchen spiegeln kann, während er sich den Weltmächten von Völkern, Reichen und Gründern von Reichen weniger verbunden fühlt.

Hier aber kommt man um die Liebe nicht herum. Denn es gehört zum Wesen des Mannes Ovid, daß er für die Liebe – und seltsam zu sagen – von der Liebe leben sollte. Die Liebe, die das kaiserliche Rom ihm entgegenbrachte, dankt er der Liebe. Den Weltruhm über zweitausend Jahre Geschichte dankt er gleichfalls der Liebe.

Weil wir nun doch wieder bei der «gliederlösenden bösen Liebe» angelangt sind, wollen wir auch von ihren Kehrseiten sprechen, die zugleich tragisch und komisch sind.

Anfangs pflegen Liebende für die Ewigkeit zu schwören, sie lassen Haus und Hof, Heimat, Eltern und Freunde im Stich, um der geliebten Gestalt teilhaftig zu werden. Denn in ihr sammelt sich – so meinen sie – alle Schönheit, alle Seligkeit, alle Lust. Sie suchen das Bindende, mag es die Ehe oder nur eine Liebschaft sein.

Männer aber, die eine Ehe anstreben – freilich muß es die Ehe mit einer jungfräulichen Braut sein –, können bekanntlich nur bis zur ersten Nacht denken, die ihnen den Besitz des Mädchens schenkt. Frauen wiederum denken weniger an den Mann als an den Aufstieg zur Eheherrin, an die Befreiung vom Elternhaus. Haben beide ihr Ziel erreicht, ist eine erste Lust gestillt. Wohl ihnen, wenn die Leidenschaft dauert und die Liebe nicht an der Gewohnheit abstirbt, wenn die Unruhe des Blutes sich sänftigt und Treue wird. Seltsam aber, daß die allzu heiß und stürmisch Liebenden so oft die Treulosen sind, weil sie sich mit der gleichen Plötzlichkeit trennen können, mit der sie sich ehedem schnell und kopflos ergeben haben. Dann reißen sie ihr Gefühl mit der Wurzel aus und begreifen weder sich noch den einstmals Geliebten und die Stunden der Vereinigung. Zornige Fremdheit tritt an die Stelle des Vertrautseins.

Was nun Ovid und Cornelia betrifft, so müssen wir davon unterrichtet werden, daß auch Cornelia – wie Ovids schnell wieder geschiedene Kinderehe, die sein Vater vor Jahren gestiftet hatte – nur eine Station seines Schicksals ist. Aber auf dieser Station entdeckt er sich als Dichter und den Traum Corinna als Ziel. Wie einen Mantel aus Brokat legt er den Corinnatraum um Cornelias Schultern, bereit freilich, ihn auch um die Schultern anderer Frauen zu legen, wenn sie der Vision des Unerfüllbaren, Unstillbaren der Liebe näher kommen sollten als die Senatorentochter Roms. Noch aber ist er ihr so tief und eifersüchtig verbunden, daß er sie für immer an sich binden will, weil er sich ihrer nicht mehr sicher fühlt.

Cornelia hat eine merkwürdige, schnelle Verwandlung an sich erlebt. Das scheue junge Mädchen aus gutem Haus ist plötzlich seiner weiblichen Machtmittel bewußt geworden und setzt sie ein. Wenige Monate einer Liebesschule, die den mannigfachen Formen der Leidenschaft diente, haben aus dem Rehkitz ein Löwenjunges gemacht, das den Geruch des Blutes wittert.

 

Nape ließ Ovid in Cornelias Zimmer eintreten. Aber das Zimmer war leer. Cornelia, sagte die Amme, werde jetzt eben nach dem Bade massiert. Einen Augenblick sah sie den Poeten forschend und wortlos an.

«Was gibt es?» fragte Ovid gutgelaunt.

«Du bist sehr sicher, Herr. Sei es nicht zu sehr.»

Ein Schatten lief über das unbekümmerte Knabengesicht und verlor sich wieder. «So sicher bin ich nicht, Nape. Cornelia, du weißt es, hat Gefallen an der Liebe gefunden, und es gibt viele junge Männer in Rom – zu viele gibt es.»

Nape sah jetzt wie eine der alten Sibyllen aus, die alle Geheimnisse kennen. «Paß gut auf, Ovid, daß du Cornelia nicht verlierst. Sie ist nicht mehr wie früher.» Dann ging sie.

Ein paar Sekunden dachte er der Warnung nach, dann tat er sie ab. Wie immer, wenn er in Cornelias Zimmer allein auf sie wartete, überwältigte ihn ein Gefühl, das aus Rührung und Begierde gemischt war. Es drang auf ihn ein wie das Aroma der zu starken Parfüms, die Cornelia liebte.

Ein Schritt näherte sich, Ovid sah zur Tür. Aber die jetzt eintrat, war Cornelia nicht. Nur von der Tunica wie von einer Haut umschlossen, mit nackten Schultern und Armen, die Brust voll und spitz zulaufend, glitt dieses bräunliche Wesen auf ihn zu, wobei sie ihn lächelnd musterte. «Die Herrin Cornelia», sagte sie, ihre Stimme war im Gegensatz zu ihrer zarten Gestalt brüchig und tief, «bittet dich, nicht ungeduldig zu werden.»

Ovid, sogleich gefangen, erwiderte: «Ich werde bestimmt nicht ungeduldig werden, wenn sie mir Botinnen schickt wie dich.»

Der schwarze Stern ihres Auges ruhte auf ihm, weiterhin lächelnd, als amüsiere sie sich über ihn. Es störte ihn nicht. «Wer bist du?» fragte er. «Ich glaubte, Cornelias Hofstaat zu kennen. Denn ich bin öfters hier –»

Der lachende Zug in ihrem Gesicht verstärkte sich. Er war zugleich reizend und unverschämt. «Ich weiß es. Natürlich weiß ich es. Sklavinnen müssen doch die Klientel ihrer Herrschaft kennen.»

«Sind hier», sagte Ovid und spielte auf ihre Tunica intima an, die sie als einziges Kleidungsstück trug, «sind hier alle Leichtgeschürzten so frech?»

Jetzt lachte sie wirklich. «Alle nicht – nur die Anhängerinnen des Ovid.»

Seine Verwunderung war ehrlich. «Du kennst mich, und ich kenne dich nicht. Wer, beim Zeus, bist du?»

Leicht und lustig trumpfte sie den Namen hin: «Cypassis.»

«Ach», rief er erstaunt, «du bist Cypassis, die Zofe der Zofen? Cornelia hat mir von dir erzählt. Wenn ich einmal ein Gedicht auf dich machen sollte, würde es mit den Versen beginnen» – und ohne zu überlegen improvisierte er heiter:

«Die du zu richten das Haar in tausend Manieren geschickt bist –

Göttinnen wären allein     wert deiner göttlichen Kunst …»

«Wie schön», sagte sie, «aber du wirst nie ein Gedicht auf mich machen.»

«Das kann man nicht wissen, Cypassis, manches geschieht eher, als man glaubt.»

«Und manches geschieht nie.»

Ein paar Augenblicke sahen sie sich voller Spannung an, ein Flämmchen loderte auf. «Es wird geschehen, Cypassis, ich weiß es. Warum aber», fragte er jetzt leichthin, «habe ich dich nie gesehen?»

Spott kehrte in ihr hübsches Gesicht zurück, das überhaupt zum Lachen gemacht schien. «Die Herrin wollte es nicht.»

«Wahrscheinlich», sagte er langsam, «hat sie recht gehabt. Oder wie denkst du darüber, Cypassis?»

Einen Atemzug lang wurde ihr Blick so schmal, als zerginge er. Dann war sie wieder die lächelnde Zofe in Cornelias Dienst.

«Laß dir die Zeit nicht lang werden, Herr. Mein Auftrag ist erfüllt.»

Sie ging mit ihrem Katzenschritt – biegsam, aufreizend und bewußt, wie sie gekommen war.

Unsern Dichter ließ sie in mancherlei Zweifeln zurück. Er stellte dem Gott Eros eine nie zu beantwortende Frage und wunderte sich, daß er keine Antwort erhielt.

Ich liebe, sagte er sich, das Mädchen Cornelia, ich liebe sie wirklich, soweit ein Sterblicher das Dasein und den Zustand der Liebe bestimmen kann. Nicht nur ihr Körper beglückt mich. Es ist das Besondere ihres Wesens, der Gleichklang unseres Gefühls, die Gemeinsamkeit unserer geistigen Welt – mit einem Wort: ich liebe den Menschen, der noch dazu eine Frau ist und den schwer zu begreifenden Zauber der Frauen ausstrahlt.

Da kommt diese Zofe Cypassis, ein Kammerkätzchen aus den Lustspielen des Plautus und Terenz. Ich liebe sie nicht. Ich kenne weder das Besondere ihres Wesens, das so besonders nicht sein wird, noch reizt es mich, in ihr den Menschen zu entdecken. Außerdem ist sie als Sklavin von Gesetzes wegen kein Mensch, obwohl ich grade in diesem Punkt durchaus anderer Meinung bin als die Gesetzgebung der sogenannten zivilisierten Welt. Die Menschheit ist nicht in Freie und Unfreie, in Herren und Sklaven zu scheiden.

Nun aber tritt das offene und doch niemals zu enträtselnde Geheimnis der Liebeserfüllung in die Diskussion ein. Wenn ich mit Cypassis schlafe – und einmal wird es geschehen – gibt sie mir das gleiche Vergnügen wie die geistig Geliebte oder die Ehefrau. Ich umarme diese nicht anders als sie. Also ist die Umarmung selber das Mysterium. Es erfüllt sich unabhängig vom Individuum – und ist nur den Graden, nicht dem Wesen nach wandelbar.

Als Ovid bei dieser bedenklichen, nicht nur für spätere christliche Jahrhunderte höchst unmoralischen Überlegung angelangt war – denn er gab der anmutigen Wollust den Vorzug vor Charakterfestigkeit und Treue –, trat Cornelia ein. Indem er sich selbst belauerte, fühlte er, wie sein Herz einen schnelleren Schlag tat und sein Gefühl zu sprechen begann – anders als bei der Zofe, die nur seine Sinne gereizt hatte. Daraufhin empfand er seine vorigen Überlegungen als überspitzt, vielleicht sogar im Grundsatz als falsch, und atmete, wie von Schuld befreit, auf.

«Wie schön du bist», sagte er.

Sie flog ihm nicht mehr wie in den frühen Tagen der Liebe entgegen. Stattdessen blieb sie in der Tür stehen und sah ihn aufmerksam an, als entdeckte sie etwas Neues in seinem Gesicht. Er wurde unruhig und lenkte ab. «Dank, daß du mir Cypassis geschickt hast.»

«Ich habe niemanden geschickt.»

«Aber sie kam in deinem Auftrag.»

Jetzt, mit dem Anflug eines Lächelns, sagte sie ruhig: «Sie wird in ihrem eigenen Auftrag gekommen sein. Sie ist sehr neugierig und wollte einmal mit dir sprechen.»

Das Thema Cypassis schien ihm jetzt nicht mehr angenehm. Er schob es beiseite. «Laß sie neugierig sein, Cornelia. Ich habe eine Freude für dich. Du hast mir eines meiner hübschesten Gedichte geschenkt – neulich, als du überraschend zur Mittagszeit bei mir warst.»

Ein Rot flog über Cornelias Wangen und verflüchtigte sich wieder. «Das ist kein guter Stoff.»

«Es ist ein sehr guter Stoff, der beste, den es gibt.» Und wie plaudernd begann er sein Gedicht.

Heiß wars, eben vom Tag die mittlere Stunde verstrichen,

Und ich streckte bequem     mitten aufs Lager mich hin.

Leicht nur geöffnet das Fenster, der andere Flügel verschlossen,

Wars ein Licht, wie des Walds     dämmernder Schatten es birgt,

Oder wie abends der Schein nachfolgt der entschwundenen Sonne,

Oder wenn morgens die Nacht     weicht und noch säumet der Tag.

Solche Beleuchtung, sie ist für geschämige Mädchen das Rechte,

Leiht der schüchternen Furcht     Schleier und deckenden Schutz.

Sieh, und Corinna erscheint! Im losen Gewand ohne Gürtel,

Offen ergießt sich das Haar     über den schimmernden Hals:

So trat einst ins Gemach Semiramis ein, die berühmte,

Meldet die Sage, so tats     Laïs, der mancher erlag.

Wollte das Kleid ihr entwinden; war leicht auch und spärlich die Hülle,

Kämpfte sie doch um den Schutz,     den das Gewand ihr noch bot,

Kämpfte indessen wie eine, der nichts am Siege gelegen;

Unschwer ward sie besiegt,     weil sie sich selber verriet.

Stand nun mir vor den Augen, gefallen war alle Verhüllung.

Auf und ab ohne Fehl     strahlte und Makel der Leib.

Was für Schultern, wie schön zu schaun und zu fassen die Arme!

Brüste, wie fest! Ihre Form     fordert die pressende Hand.

Nach der gemeißelten Brust wie blank dann der Leib und wie eben!

Edel die Hüfte und voll!     Schenkel, von Jugend gestrafft!

Aber was zähl ich es her? Ich sah, und ich sah nur Vollkommnes!

Dichter zog ich und dicht     an mich die nackte Gestalt.

Über das Weitere schweig ich. Wir sanken ermattet in Ruhe.

Wollt, es gediehe mir oft     also die Mitte des Tags!

Als er geendet hatte, traf sie der erwartungsvolle, lobheischende Blick, der allen Poeten seit tausend Jahren eigen ist, wenn sie eines ihrer Werke gesprochen oder verlesen haben.

Das Lob verzögerte sich, Cornelia sah nachdenklich vor sich hin, als horche sie noch dem Klang der Verse nach – dem Klang auch der Stimme, die sie von neuem betörte. Dann blickte sie auf. «Ja, Ovid, die Elegie ist hübsch, aber glaubst du nicht, daß die Leute allmählich merken werden, wer die Corinna deiner Gedichte ist?»

«Wissen sie, wer die Delia Tibulls ist oder die Cynthia des Properz? Sie werden auch an der Corinna des Ovid rätseln. Denn du, mein Mädchen, bist es nicht allein. Dein Geheimnis ist in den Namen eingewebt, das Geheimnis der Frau, das Geheimnis von hundert Frauen, die alle jetzt in dir vereinigt sind: Corinna.» Plötzlich dachte er an Napes Warnung und wurde ernst. «Etwas ist anders an dir.»

Es war, als zöge sie einen Schleier über ihr Gesicht. «Das macht die Frisur. Cypassis hat die Locken durch den griechischen Knoten ersetzt.»

«Ja, dein Haar ist schwarz und glänzend, man sieht es erst jetzt genau. Aber der Knoten allein macht es nicht.»

Ihr dunkler Blick ruhte auf ihm, es war der Blick eines Kindes nicht mehr. Ovid erschrak. «Deine Augen haben die Unschuld verloren.» Unvermittelt fuhr er fort: «Ich werde dich heiraten, Cornelia.»

«Nein, das ist nicht wahr.»

«Es ist wahr.»

Ein Schweigen entstand, dann sagte sie: «Schade.»

«Du freust dich nicht?»

«Bisher waren wir Zwei und die Liebe. Die wenigen Mitwisser blieben wie Gräser und Bäume verschwiegen. Wenn wir heiraten, zerstören wir unser Geheimnis.»

«Du wirst es dir überlegen.»

Es verging eine Zeit, sie schwiegen beide. Auf einmal mit überraschender Sachlichkeit sagte sie: «Vielleicht will ich dich heiraten, Ovid, obwohl deine erste Ehe geschieden wurde, bevor das Festlaub der Hochzeit verwelkt war. So erzählt man sich.»

«Es war eine Kinderehe. Mein Vater hat uns verheiratet.»

Sie überlegte wieder. «Ich bin sehr verwöhnt. Wie hast du dir unsere Zukunft gedacht?»

«Ich dichte», sagte er verwundert.

«Kann man vom Dichten leben? Der große Horaz – so hast du gesagt – wäre einer der Ärmsten geblieben, hätte ihm nicht Maecenas das Gütchen geschenkt.»

«Ich bin nicht Horaz – leider – und bin nicht arm. Ich werde es auch später nicht sein. Jetzt, mit zwanzig Jahren, veröffentliche ich mein erstes Buch, die AMORES. Es wird mir Geld bringen und mich berühmt machen.»

«Ruhm grünt nicht nur, er gilbt auch, wie die Blätter im Herbst. Man kann sich auf den Ruhm nicht verlassen.»

«Warum bist du so ängstlich?»

«Ach Ovid, weil ich dich wirklich sehr liebe. Weil ich will, daß wir glücklich werden.»

VII«Mein Dichter will die Ehe mit mir»

Ich muß dir wieder schreiben, Lalage: Es ist eine Veränderung mit mir vorgegangen. Ovid hat es mir auch gesagt. Ich liebe ihn noch, ich liebe die Stimme noch. Aber er hat mich unsicher gemacht. Indem er mir mißtraute, hat er meine Neugierde geweckt. Ich sehe jetzt, wenn ich durch die Straßen der Stadt gehe, daß es noch andere junge Männer gibt als ihn und daß er recht hatte, mißtrauisch zu sein. Oder umgekehrt, weil er es war, wurde ich, wie ich bin – und jetzt erst hätte er ein Recht zum Mißtrauen gehabt. Das ist eine seltsame Verflechtung von Ursache und Wirkung.

Viel schlimmer bleibt, daß ich ihm selber auf die Spur gekommen bin. Lalage, weine mit mir oder lache mit mir (weil ich es so ernst nicht nehmen kann): er hat mich – aller Wahrscheinlichkeit nach – mit meiner Zofe Cypassis betrogen. Ich sah es ihr an, gestanden hat sie es nicht, doch bin ich plötzlich hellsichtig geworden für Dinge, die ich früher nicht bemerkt hätte. Auch Ovid war verlegen und wich meinem Blick aus.

Komischerweise konnte ich ihm nicht zürnen. Wenn ich mich also nicht täusche und er mich wirklich betrogen hat, so bin ich hochmütig genug zu glauben, daß eine Sklavin mir nichts nehmen kann, mag sie noch so hübsch sein mit ihrem aufreizenden Lärvchen, ihrer Wespentaille und dem frechen Busen, den sie besonders kunstvoll hochschnürt.

Während ich aber die Worte niederschreibe, ängstigen sie mich schon. Sie scheinen mir die Hybris der alten Tragödie vor der Katastrophe zu spiegeln. Ach, liebe Lalage, ich will doch nicht hochmütig sein. Immerhin bin ich eine Anfängerin im Zaubergarten der Liebe, den Cypassis länger als ich durchwandert haben dürfte. Auch soll man sich in den Männern nicht täuschen. Indem ich den einen – Ovid – kenne, kenne ich bereits eine ganze Menge von ihnen. Denn mein Dichter ist so vielseitig und wandelbar, daß man ein Dutzend aus ihm machen könnte. Und von diesem Dutzend Männer habe ich leider die Überzeugung gewonnen, daß für sie so ziemlich alle Frauen gleich sind – wohlverstanden in einer ganz bestimmten, durchaus eindeutigen Situation.