Preußische Legende - Eckart von Naso - E-Book

Preußische Legende E-Book

Eckart von Naso

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Beschreibung

Im Preußen Friedrichs des Großen, wo Pflicht und Strenge regierten, verlangte einmal die Leidenschaft ihr Recht. Anna Amalia, die jüngste Schwester des Königs, verlor – ganz gegen die Staatsraison, nach der sie für eine politische Heirat bestimmt war – ihr Herz an den jungen Leutnant der Garde du Corps Friedrich von der Trenck. Beide unterlagen schon bald in diesem von vornherein aussichtslosen Kampf gegen die staatliche Notwendigkeit. Aber nie hörte die Prinzessin auf, Trenck zu lieben, auch als dieser sich später, als Abenteurer verkommend, ihrer Liebe nicht würdig erweisen sollte. Die brandenburgische Havellandschaft, die märkischen Kiefernwälder, Seen und Schlösser bilden den atmosphärischen Hintergrund dieser zarten Liebesgeschichte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 204

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Eckart von Naso

Preußische Legende

Geschichte einer Liebe

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Inhalt

Preußische LegendeWerbungLeidenschaftAbgesang

Preußische Legende

In einem der Säle des Rheinsberger Schlosses hängen zwei Bilder, die offenbar nichts miteinander zu tun haben. Sie hängen dort unter mancherlei Porträts im Rokokostil, und man ist, nach einem flüchtigen Blick, geneigt, an ihnen vorüber zu gehen wie an anderen auch.

Das eine Bild zeigt ein junges schönes Mädchen, das zweite eine alte häßliche Frau. Das Gesicht des Mädchens ist sanft gerundet, von jener zarten, sinnlichen und bezaubernden Frische, wie wir sie in der frühen Blüte des Jahres wiederfinden. Das Gesicht der alten Frau ist einem scharfschnäbligen Geier ähnlich, und wenn man nicht genau zusieht, könnte man meinen, eine Studie des Großen Königs vor sich zu haben, wie ihn die Gewalt von zehn Kriegsjahren für die Unsterblichkeit geprägt hat.

Beide Bilder aber, so unvereinbar sie scheinen, berichten von dem gleichen menschlichen Wesen, der gleichen Frau: Anna Amalia von Preußen, Friedrichs jüngster Schwester, die unvermählt als Äbtissin von Quedlinburg starb. Zwischen beiden der Bogen, der sie verbindet, liegt im Dunkel.

Aus Bruchstücken einer unvollständigen, vielfach lügenhaften Überlieferung habe ich versucht, ein Schicksal zu ergänzen, das im strengen Rahmen der preußischen Geschichte wie eine Legende anmutet. Ich habe an diese Legende nicht gerührt. Sie trägt ihre Wahrheit in sich selbst – auch dort, wo die geschichtliche Wahrheit sich in anderen Formen ausgesprochen haben sollte. Das weiß heute niemand mehr. Anna Amalia hat das Geheimnis der beiden Bilder mit ins Grab genommen. Deshalb mußte sie die Geschichte ihrer Liebe selber erzählen.

E. v.N.

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Ich, Anna Amalia, Prinzessin von Preußen, genannt Amélie, schreibe, daß heute Ostern ist. Zwar weiß ich nicht, welches Datum oder welchen Tag der Woche man zählt. Aber als ich heute am Morgen die Havelwiesen entlang ritt, stieg ein feierliches Licht über ihnen auf. Wege und Äcker waren noch schwarz, ihr schwerer Geruch wollte mich traurig machen, die ersten Zugvögel trieben mit den Wolken zusammen in einem Wind, der von dorther kam, wo nicht mehr Potsdam und Preußen ist – und plötzlich brach die Sonne durch. Es schien mir, als sprengte sie die Erde auf, ich selber aber, von der Lichtflut ergriffen, in einem unbeschreiblichen Glück, stieg, taumelte und begann schon zu fliegen. Deshalb weiß ich, daß heute Ostern ist.

Meine Schwester Ulrike wandte den Kopf. Sie saß, gerade aufgerichtet, mit ihrer schönen Haltung zu Pferd und sah mich ruhig an. »Du bist so schweigsam, Amélie. Worüber denkst du nach? Es ist ein angenehmer Morgen, nicht zu kühl und nicht zu warm. Der Frühling scheint unterwegs.« Sie sah jetzt, zwischen den spielenden Pferdeohren hindurch, auf das Wasser der Havel, das in unzähligen Silberstreifen aufblitzte und verging.

Das Licht, dachte ich, schmilzt noch das Silber im Wasser hin. Es ist kein Widerstand mehr in der Welt. Dieses furchtbare und berückende Licht reißt uns alle in seinen Abgrund hinein.

Übrigens schien Ulrike von solchen Abgründen nichts zu merken – und auch der Stallmeister Henning nicht. Der ehemalige Korporal im Regiment Garde du Corps hatte uns, als wir klein waren, die Kunst des Reitens gelehrt und begleitete uns jetzt, wann immer wir ausritten, wie eine Mutter ihr Kind. Auf seinem hartmäuligen Braunen, mit knarrendem Sattelzeug, folgte er uns in kleinem Abstande nach, und wir hörten ihn dann und wann mit seinem Pferd reden, dem er freundlich oder ergrimmt zusprach. So ritten wir schweigend, in leichtem Trabe, die Wiesen entlang, und ich begriff eigentlich zum erstenmal, daß es zwei verschiedene Arten von Leben gibt, die sich, wie parallele Linien, niemals begegnen, es sei denn in der Unendlichkeit. Das hatten wir in der Mathematikstunde gelernt, und ich glaubte, es wäre ein Lehrsatz wie andere auch, zum Vergessen bestimmt. Offenbar aber hatte er seine Richtigkeit in der wirklichen Welt. Denn weder Ulrike noch der Stallmeister Henning machten sich Gedanken über das osterliche Licht.

Im Gegenteil hielt Ulrike nach einiger Zeit ihre immer unruhige Rappstute an. »Wir wollen umkehren, wenn es dir recht ist. Es wird wahrhaftig schon heiß, und ich liebe die Sonne nicht. Sie verbrennt nur die Haut und blendet die Augen. Meinst du nicht auch, Amélie?«

»Es mag sein«, erwiderte ich, während wir im kurzen Bogen wendeten, und war froh, daß Ulrike meinem Geheimnis nicht auf die Spur kam, obwohl sie klüger ist als ich und drei Jahre älter dazu. Später aber horchte ich auf und erschrak.

»Zu Ostern«, begann Ulrike, ihr Mund bewegte sich kaum, wenn sie sprach, »stehen uns große Dinge bevor.«

Ich wußte nicht, was sie meinen konnte. Denn die großen Dinge, diese traurigen, schönen, unbegreiflichen Dinge waren ja rings um uns her, sie rissen mich fast entzwei. Doch dann merkte ich bald, daß ich mit der Nutzanwendung meines mathematischen Lehrsatzes recht behalten sollte.

»Zu Ostern«, fuhr Ulrike fort, »trifft eine Gesandtschaft des Kronprinzen Adolf Friedrich von Schweden beim König ein. Ich habe es von einer Hofdame unserer Mutter, der Königin-Witwe, erfahren.«

Es kämen, antwortete ich, viele Gesandtschaften zu Hof, und die Politik kümmere mich nicht sehr.

»Diese vielleicht doch.« Ulrike lächelte, sie sah sich flüchtig nach dem Stallmeister Henning um, der indessen mit seinem Braunen Zwiesprache hielt, und sagte: »Der Herzog von Holstein, der einmal König von Schweden sein wird, will eine von uns Schwestern zur Frau.« Ihr Gesicht war unbewegt und so edel wie immer, als sie schloß: »Ich glaube – dich.«

Die Häuser von Potsdam tauchten auf, und neben der Linde, wo meinem Bruder, dem König, die Bittschriften hinterlegt werden, hob sich das Stadtschloß aus dem Sand des Lustgartens in die blaue Luft des Mittags empor, von fernher durchsichtig wie aus Kristall gebildet, welches ein Merkmal des frühen oder späten Jahres ist.

Mein Pferd sprang zur Seite, ich mußte es ins Maul gerissen haben. »Mich – sagst du, Ulrike?«

»Warum nicht?« antwortete sie hochmütig. »Man liebt dich ja sehr. Sogar der König ist dir vor uns Schwestern allen zugetan. Und es scheint mir keine kleine Sache, einmal Königin von Schweden zu werden. Königin«, wiederholte sie und hob den Kopf. Ihre Lippen hatten sich geöffnet, aber es war wohl nur, weil sie die wunderbare Luft um uns her tiefer schmecken wollte. Ich spürte die Luft schon auf meiner Haut.

»Das geht nicht an«, sagte ich. »Wer Königin von Schweden werden will, muß den Glauben wechseln. Und ich glaube doch.« Das Licht brach wieder über mich herein, der Geruch der Erde, die herbe Süßigkeit der märkischen Landschaft. In ihr war alles, was ich bisher gelebt und geglaubt hatte: die strenge Jugend und ein soldatisches Königtum, das Elternhaus von Preußen und sein reformiertes Bekenntnis, auf das der Erste Friedrich Wilhelm, mein Vater, gestorben war. Man durfte ihm nicht untreu werden.

»Das bißchen Glauben«, meinte Ulrike und rieb mit ihrem Reitstock spielerisch über die Stirn des Pferdes hin. Der Rappe spitzte daraufhin die Ohren und drehte den Kopf. »Es ist nicht unsere Schuld, wenn sich die Reformatoren vor endlosen Jahren gestritten haben. Ob Luther oder Calvin, das wäre mir Hekuba, wie unser Bruder Fritz sagt – und er denkt wie ich. Für einen Mann, den ich liebte«, sie überlegte ohne Hast und sagte statt dessen: »Für einen Mann, den die Königskrone erwartet, würde ich es mit dem Propheten der Muselmänner aufnehmen.«

»Du ja, Ulrike.« Es trat ein Schweigen ein. Dann, aus meinen Gedanken heraus, sagte ich: »Nimm es mir ab.«

Jetzt war es Ulrike, die, kurz verhaltend, ihr Pferd an den Zügeln riß, daß es stieg und auf den Hinterhufen tanzte.

»Hoho«, rief der Stallmeister Henning beruhigend und kam näher.

Ulrike blinzelte ihm spöttisch zu. Sie saß mit ihrem hochmütigen Lächeln wie eine Amazone im Sattel und bekam den Rappen ohne Mühe wieder in die Hand. »Siehst du wohl«, sagte sie dabei, und man wußte nicht, ob sie mich, den Stallmeister oder das Pferd meinte. Dann ritten wir im Schritt weiter. Nur die Hufe mahlten leise im Sand der Berliner Straße, auf die wir abgebogen waren. Sonst blieb eine große Stille ringsum, und in ihr war nur die Bläue und das Licht.

Wir hatten uns schon dem Tor genähert, als Ulrike das Gespräch noch einmal aufnahm. »Du sagst, daß ich es dir abnehmen soll, aber es liegt nicht an uns. Das bestimmt unser Bruder, der König, und die große Politik.«

»Du bist klug, Ulrike, und sehr geschickt. Du bist auch schöner als ich.«

Ohne darauf einzugehen, meinte Ulrike nur, ihre Stimme klang erregter als sonst: »Weißt du übrigens, kleine Amélie, daß du im Begriff bist, ein Stück Weltgeschichte zu verschenken? Ich will dich nicht übervorteilen, es könnte dir leid tun.«

Ich schüttelte den Kopf. Das war nicht meine Welt. Meine Welt war klein wie die Mark oder unermeßlich. Schweden mit einer lutherischen Königin war es nicht. Und ganz insgeheim – aber das ahnte ich damals nur – stieg etwas herauf, das mit Luther und Calvin wenig, alles aber mit diesem brennenden Leben zu tun hatte.

Wir überquerten jetzt die Brücke. Über uns die Zugvögel trieben noch immer gestaffelt oder in Ketten am Himmel hin, und wenn sie die Havel überflogen, hielt das Wasser ihr Bild für eine Sekunde im Spiegel fest, zitternd und fast verwischt. »Es wird mir nicht leid tun«, sagte ich.

»Nun gut«, meinte Ulrike schon wieder gleichmütig. »Wir wollen nicht mehr davon sprechen und warten, wie es unser Bruder, der König, halten wird.« Damit ritten wir in die steinernen Kolonnaden des Lustgartens ein. Während die Wache ins Gewehr trat, sprang der Stallmeister vom Pferd, um uns beim Absteigen behilflich zu sein.

 

Der Flügel der Prinzessinnen im Potsdamer Stadtschloß ist der Galerie angegliedert, die mein Vater, der verstorbene König, mit den Bildern seiner Generale ausgeschmückt hatte – den Bildern auch jener längsten Grenadiere, die das Gardemaß noch um einen Kopf überschritten. Dort die vier letzten Zimmer, zwei der Lustgartenfront und somit der Garnisonkirche zu gelegen, die beiden anderen über Eck gegen den Platz der Nikolaikirche gerichtet, bewohne ich.

Es war an einem Nachmittag des April 1744, der Tag war stürmisch und trübe, Regenschauer jagten vorbei. Ich las in den Poesien des Herrn Voltaire und war gerade auf einen Vierzeiler gestoßen, den er im Jahr zuvor meiner Schwester und mir gewidmet hatte:

Si Pâris venait sur la terre

Pour juger entre vos beaux yeux,

Il couperait la pomme en deux,

Et ne produirait pas de guerre –

als die Hofdame Agneta von Kannstein erschien, um den Besuch des Oberzeremonienmeisters von Pöllnitz anzumelden. Ich begab mich in den kleinen Empfangssalon, den ich mit meiner Schwester teilte. Eben trat auch Ulrike ein, und der Kammerherr verbeugte sich, indem er mit einer Drehung, deren Geschmeidigkeit seinem schwerfälligen Körper kaum zuzutrauen war, uns beide zugleich begrüßte. Dabei zwinkerte er mit untertäniger Vertraulichkeit, und zwischen den schmalen Schlitzen der Lider erschien sein Auge, als wäre es nackt. Ich liebe diesen Pöllnitz nicht. Er ist fragwürdig und unentbehrlich, wie alle Narren, auf deren Kosten sich der Hof belustigen darf.

Des Königs Majestät, sagte Pöllnitz, lasse die Prinzessinnen zu sich bitten, sogleich und – wenn es verraten werden dürfe – in delikater Mission.

»Nein«, meinte Ulrike kühl, »es darf nicht verraten werden. Wir danken.«

Der Kammerherr, dem in dieser Welt nichts geschehen konnte, man hätte ihm denn mit einer Axt den Schädel spalten müssen, schüttelte sich belustigt und verschwand. Weil er selbst ohne geistiges Gewicht war, nahm er kein Ding wichtig außer der eigenen Person.

»Es ist die schwedische Allianz«, sagte Ulrike doppelsinnig, »nur daß sie sich um ein weniges verspätet hat. Ostern ist schon vorbei.« Seit wir damals über die Havelwiesen geritten waren, hatten wir nicht mehr davon gesprochen. »Sei klug und stelle dich überrascht. Fritz liebt das, du wirst es wissen.«

Wir gingen durch die Galerie, vorüber an der stufenlosen Treppe, die mein Vater während seiner Krankheit hatte einbauen lassen, damit man ihn im Räderstuhl zum Lustgarten fahren konnte. Wie immer, wenn ich zum König gerufen wurde, klopfte mein Herz, und ich bewunderte Ulrike, deren edle Lässigkeit jeder Erschütterung mit Gleichmut standhielt. Sie schien mir bis ins Letzte geformt, während ich, unsicher in mir selbst, zwischen Schwäche und Kraft hin und her geworfen, fürchten mußte, niemals wirklich erwachsen zu sein.

Der gewohnte Weg wurde weit. Wir bogen in die Zedernholzgalerie ein, wo die Fahnen der Garde aufgestellt waren, und von Mollwitz, Czaslau und Chotusitz wehten Grauen und Glorie des Krieges auf uns zu. Wir durchschritten die Paradekammern und den Bronzesaal, den Marmorsaal, der dem Gedächtnis des großen Brandenburgers geweiht ist und traten in das runde, ganz in Gold getauchte Konzertzimmer ein, wo die Flöte des Königs auf das hellgetönte Fortepiano hingelegt war, als habe sie eben erst sein Atem beseelt, während die heiteren Gemälde von Lancret und Pesne die Musen noch zu beflügeln schienen, die dort umgingen.

Vor dem Schreibkabinett des Königs, diesem schmalen, doch lichten Raum aus Silber und tiefblauem Samt mit dem Drachenkopf, in dem die Luftheizung mündet, und der bronzenen französischen Stutzuhr an der Wand, erwartete uns der Adjutant von Bülow. Er öffnete die Tür – das Kabinett war leer. Einen Augenblick sahen wir durch das Seitenfenster uns gegenüber die Bittschriftenlinde im Sturm gebogen, man konnte das Geräusch der kahlen Äste hören und den Wind, der sich hier im Winkel der Fronten verfing.

Der Adjutant ging mit leisem Schritt weiter. Im anstoßenden Raum, der in weiter, kühner Linienführung Bibliothek und Schlafzimmer verbindet und aus beiden ein zweites Arbeitskabinett geschaffen hat – dort vor dem Tisch mit Silberbeschlag saß der König und schrieb. Da er das Haupt geneigt hielt, sah man nur die Stirn, die scharf vorspringende Nase und den schmalen Mund. Es war das Gesicht eines älteren Mannes eher als das eines Zweiunddreißigjährigen. Der Adjutant wagte nicht den König zu stören, der König wiederum blickte nicht auf. So standen wir zu dritt schweigsam und warteten. Draußen vor den Fenstern fuhr der Wind durch die Linde, dann und wann klatschten Regenbäche die Scheiben entlang.

Der König hob den Kopf, bemerkte uns ohne Erstaunen und sagte: »Da sind Sie, Prinzessinnen, liebe Schwestern. Wie ist Ihr Befinden an diesem trüben Tag?« Er stand auf, winkte dem Adjutanten – der Offizier zog sich zurück –, trat auf uns zu und küßte uns die Wangen. »Sie sehen vorzüglich aus, Ulrike, und Sie auch, kleine Amélie.«

Wir dankten ihm und gaben das Kompliment zurück. Wirklich war er, seit er sich vom Schreibtisch erhoben hatte, verwandelt und wie ein junger Gott anzusehen. Trotzdem konnte ich es nicht hindern, daß mich seine Nähe wie immer verwirrte. Auch Ulrike, so sicher sie sich gab, hatte etwas von ihrem lässigen Hochmut eingebüßt. Da mich der Blick des Königs festhielt, anders als sonst, mit einer prüfenden Eindringlichkeit, die mich ängstlich machte, wurde ich unruhig und stammelte: »Was befiehlt die Majestät?«

Der König, so schien es mir, horchte dem Klang meiner Stimme nach. »Seien Sie nicht förmlich, Amélie. Ich spreche nicht als König zu Ihnen, sondern als Ihr Bruder Fritz.«

Er lud uns ein, Platz zu nehmen, setzte sich selbst, während das Windspiel Biche die zitternde Flanke an den Stiefel des Königs schmiegte, und begann zu sprechen. In der Tat sprach er wie ein Bruder, vertraut, doch ohne Vertraulichkeit. Ein Abstand blieb. Er fragte, und wir antworteten. Da er unsere Befangenheit merkte und uns helfen wollte, erkundigte er sich nach dem, was unser Leben ausmachte, den Hofdamen und den Kammerjunkern vom Dienst, den Studien der schönen Künste, unsern Pferden und Hunden, wobei er einmal den edlen Kopf des Windspiels durch seine Hand gleiten ließ. Dann, fast ohne Übergang, sprach er von seiner Frau, der Königin Elisabeth Christine, die wir insgeheim die Witwe von Preußen nannten, und von unseren Schwestern Schwedt und Bayreuth. Von dem, was wir erwartet hatten, sprach er nicht. Ich sah mit einem halben Blick zu Ulrike hin, auch sie schien verwundert, doch eher neugierig als enttäuscht.

Es mochte eine Viertelstunde vergangen sein, als der König sich erhob. Sein Lächeln verschwand. Das große blaue Auge sank in eine Einsamkeit zurück, in die niemand ihm folgen konnte. Die Worte auch, die er sprach, kamen aus einer Weite, wo der Bruder aufgehört hatte zu sein, und der König, ein fremdes, unberührbares Wesen, Gesetze gab.

Solches sagte er. Der König von Preußen stand in Europa allein. Er hatte eine Schlacht gewonnen, die nichts anderes war als der Beginn einer Epoche von Kriegen, in denen er nicht nur eine eroberte Provinz, sondern einen Staat von fünf Millionen Preußen gegen die Gewalt der europäischen Großmächte zu verteidigen gezwungen sein würde.

Der König sah über uns weg. »Seien Sie versichert, meine Schwestern Prinzessinnen, ich werde ihn verteidigen, mit Messern und Zähnen, bis ich so oder so am Ende bin. Dazu aber brauche ich Bundesgenossen und Geld.«

Er schwieg und ging mit seinen heftigen Schritten die Zimmer entlang, vorbei an den barocken Schränken der Bibliothek, hinter deren Glasscheiben die Klassiker Roms ihr schweigsames Leben führten, unsterbliche Zeugen einer Kraft, die von der Vernunft regiert wird. Dann kehrte er zu uns zurück.

Abermals schien er verändert. Aufgeschlossen jetzt und nahezu heiter in der Überlegenheit eines kunstreichen politischen Schachspiels fuhr er fort – und sprach zu uns, wie er zu einem seiner Minister gesprochen haben würde: »Nachdem sich die Zarin Elisabeth zur Vermählung des Großfürsten Peter mit der Prinzessin Katharina von Zerbst entschlossen hatte, war es nicht mehr schwer, ihre Einwilligung zur Verbindung« – sein Auge faßte uns beide und blieb auf mir ruhen – »zur Verbindung einer meiner Schwestern mit dem neuen Thronfolger von Schweden zu erhalten. Auf diese beiden Heiraten«, sagte er noch, »gründet Preußen seine Sicherheit. Eine preußische Prinzessin, die dem schwedischen Thron so nahesteht, kann gegen ihren Bruder, den König, keine Feindschaft empfinden, und eine Großfürstin von Rußland, die in Preußen aufgewachsen ist und ihr Glück dem König verdankt, kann ihm nicht schaden, ohne undankbar zu sein.«

Es war eine großartige Endgültigkeit in Friedrichs Worten, ich mußte sie bewundern, trotzdem widersetzte ich mich ihr tief von innen her. Es war das erstemal, daß es geschah, ich wußte nicht, woher ich den Mut zu solcher Verwegenheit nahm.

Der König bemerkte es, er schien überrascht, einen Augenblick beinahe verletzt, daß wir seinen Worten nicht zustimmten, denn auch Ulrike schwieg, eher freilich abwartend als widerstrebend.

Eine lastende Stille trat ein. Der König nahm seinen Gang wieder auf. Dann blieb er vor mir stehen. »Warum antworten Sie nicht, meine Schwestern?« fragte er, wobei er nur mich ansah. »Ich habe Ihnen einen Plan von Wichtigkeit vertraut, Sie erweisen sich nicht als gute Preußinnen.«

Das Blut schoß mir ins Gesicht. »Die Religion –« wagte ich zu entgegnen, aber er unterbrach mich sogleich, jetzt ohne Schärfe, mit einem Unterton von brüderlicher Zärtlichkeit.

»Sie wissen, meine Schwestern, ich bin nicht fromm und in Dingen des Glaubens duldsam. Trotzdem glaube ich – mögen auch die Vorzeichen der unendlichen Gleichung Gott für mich andere sein als für Sie.« Er sah an uns vorüber zum Fenster hin. Die Pappeln im Lustgarten, die das Bassin mit der Tritonengruppe umgaben, bogen sich im Sturm. »Wenn wir aber«, fuhr Friedrich fort, »über den Tod hinaus dauern, so werden wir, was an uns ewig ist, mit hinübernehmen, in welchen Formen auch der vergängliche Leib gelebt und geglaubt hat.«

Abermals trat ein Schweigen ein. Ich hätte sagen können: es ist nicht der Glaube allein. Etwas hält mich fest, das mit Schweden nichts mehr zu tun hat. Es ist das Unsagbare zwischen Wiesen und Wasser, Wolken und Wind, das hier und sonst nirgends zu Hause ist.

Ich sagte es nicht. Auch der König hätte es nicht verstanden, ich selber verstand es kaum. Ulrike indessen, der das Gespräch schon zu lange zu dauern schien, warf mir einen verstohlenen Blick zu, wobei sie ein Lid einkniff. Ihr Gesicht war gleichmütig wie stets, doch fühlte ich die Wachsamkeit ihrer Haltung. Aber Friedrich zog sie nicht mehr ins Gespräch, er wartete auf meine Antwort. Die Antwort blieb aus. Der Bruder wandte sich ab.

Es war der König, der jetzt die Audienz knapp, kühl, aus einer unnahbaren Ferne beendete. »Wir haben Sie mit unserer Entscheidung als Chef des Hauses Preußen bekanntgemacht. Die Gesandtschaft von Schweden trifft in wenigen-Tagen ein. Leben Sie wohl, meine Damen.« Er klingelte, der Adjutant von Bülow erschien, wir beugten, wie es der Brauch vorschreibt, das Knie und waren entlassen.

Als wir schon durch die Galerie mit den Bildern der Generale zurückgingen, sagte Ulrike – und gebrauchte jenen Beinamen des Sonnengottes, den unser Bruder Heinrich dem König spöttisch gegeben hatte: »Es ist kein Zweifel, Phaëton hat dich auserwählt.«

»Er hat zu uns beiden gesprochen.«

»Weil er klug ist und nicht von einem zwanzigjährigen Mädchen genarrt werden will. Er hält sich zwei Wege offen.«

»Was soll ich tun, Ulrike?«

Wir standen jetzt in dem kleinen Empfangssalon, der uns beiden gehörte. »Gehorchen«, sagte Ulrike nur, aber ihre Stimme bebte.

»Ich kann es nicht, ich habe es dir schon damals gesagt.«

Dann, meinte Ulrike, hätte ich es auch dem Bruder sagen müssen.

»Das ist unmöglich, wenn er als König spricht. Er hat recht, und alles scheint richtig. Aber ich habe auch recht. Das wird er nicht verstehen.«

Ulrike zuckte die Achseln, jede ihrer Bewegungen war gemessen, voller Anmut und Sicherheit. »Und alles wegen des weiland Herrn Calvin«, meinte sie nur.

Ich antwortete leidenschaftlich, weil mich ihre Gleichgültigkeit kränkte: »Nicht nur wegen dieses Calvin, das weißt du auch.«

Sie hob verwundert die Brauen, die als zarte, vollkommen gleichmäßige Halbmonde das Auge umrandeten. »Nein, das weiß ich nicht.« Sie schien nachzudenken und schloß: »Ach so, das ist wie mit dem Fischer und seiner Frau. Du willst Kaiserin werden?«

Miteins schlug die Stimmung um, ich mußte lachen, auch Ulrike lachte. »Nein«, rief ich, »bestimmt will ich nicht Kaiserin werden, soviel ich sonst auch vom Leben will. Nur soll man mich nicht zwingen.«

»Zwang«, sagte Ulrike, »bleibt uns Geschwistern nicht erspart, solange Fritz König ist. Aber wir werden es ja sehen.« Damit trennten wir uns.

 

In den nächsten Tagen, man schrieb jetzt Anfang Mai, war ich uneins mit mir selber. Ich blieb in meinen Zimmern, weinte viel, wurde häßlich, wäre gern getröstet worden, wagte aber nicht, mich aufzuschließen, da es keine Worte gab für das, was mich bewegte. Es war eine Sehnsucht ohne Sinn und Ziel.

Ich hätte mich in den Äckern vergraben, auf den wieder besonnten Wiesen tanzen mögen, bis ich umfallen würde. Ich wollte im Wasser vergehen, mich in Luft auflösen, aber es hätte das Wasser der Havel sein müssen, die flimmernde Luft über dem märkischen Sand. Ich war wie toll und besessen vom Mai, ich liebte jede Hauswand in den Straßen der Potsdamer Residenz, jeden Strauch, der im Winkel blühte, gelb, rot, flammend und violett. Die Skulpturen über dem Marstall waren ein Stück von mir, die springenden Brunnen im Bassin des Lustgartens, die tiefvertrauten Melodien des Glockenspiels, das sich im Turm der Garnisonkirche sichtbar wie ein lebendiges Gliederwerk bewegte. Ich liebte den Trommelschlag der Wachen, die kupfernen Mützen der Grenadiere. Und je größer die Gefahr wurde, daß ein Machtwort des Königs mich aus dem geliebten Boden der Kindheit herausriß, mich einem unbekannten Mann in einem fremden Lande zu geben, um so tiefer verfiel ich dem, woraus ich gezeugt und geworden war.

Ich ersann Listen, die Pläne des Königs zu durchkreuzen. Es waren kindliche Listen, ich verwarf sie wieder. Ich wollte mich meiner Mutter, der Königinwitwe, anvertrauen, aber die Mutter hielt sich in Dingen der Politik achtsam zurück, seit ihr Sohn König war. Ich wollte dem König selber mein Herz öffnen. Aber er durfte – das sah ich wohl, ich war seine Schwester – sein Herz nicht sprechen lassen, wenn das Wohl des Staates in Frage stand. Schließlich wollte ich wenigstens Sicherheit haben, ob mein Schicksal entschieden sei. Da der König uns, seit jenem kurzen Empfang, nicht mehr zu sich gerufen hatte, beauftragte ich die Hofdame Kannstein, Erkundigungen anzustellen, wie die Sache der schwedischen Brautwerbung stünde.

Es verging eine Zeit, ich hätte lesen können und las nicht, ich hätte ausreiten können und ritt nicht aus, als die Hofdame zurückkam. Merkwürdig schien es, daß ich mir eigentlich niemals die Mühe genommen hatte, Agneta Kannstein anzusehen. Sie war da, das genügte, sie gehörte zu meinem Leben, mehr brauchte es nicht. Aber diese Maitage zwischen Besessenheit und Besorgnis mußten mir einen neuen sehenden Blick gegeben haben.