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Wenn das Schicksal unerwartet anklopft ...
Marnie und Patrick – ein Paar wie gemacht füreinander. Doch als plötzlich die achtjährige Fritzie vor der Tür steht und Patricks Welt auf den Kopf stellt, wird aus ihrem Liebesglück ein Chaos aus Zweifeln, Ängsten und Unvorhersehbarem. Während Marnie mit unerschütterlicher Hoffnung ihre kleine, ungewöhnliche Familie zusammenhalten will, droht Patrick unter der Last seiner Vergangenheit zu zerbrechen. Kann die Liebe stärker sein als die Herausforderungen des Lebens?
Ein herzerwärmender Roman über Familie, zweite Chancen und die Magie, das Unperfekte perfekt zu machen.
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Seitenzahl: 582
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Was wäre die Liebe ohne einen Funken Magie?
Bei Marnie MacGraw und Patrick Delaney ist eigentlich alles perfekt, denn sie sind verliebt und auch wenn sie beide nicht perfekt sind – umso perfekter passen sie zusammen.
Doch nach und nach ziehen Wolken am Beziehungshimmel auf. Marnie möchte heiraten und Kinder haben und wirft sich voller Überschwang in ihr gemeinsames Leben. Patrick hingegen kämpft wieder und wieder mit den Dämonen seiner Vergangenheit und verfällt immer mehr ins Grübeln.
Bis es eines Tages an der Tür klingelt und dort die achtjährige, quirlige Fritzie steht – eine Überraschung aus Patricks altem Leben. Niemals hätte er gedacht, dass er eine Tochter haben könnte. Es war doch nur ein One-Night-Stand und jetzt ist er auf einmal Vater?
Marnie stellt sich der neuen Situation. Zwar hatte sie sich ihre eigene Familie anders vorgestellt, aber immerhin sind sie jetzt eine kleine Familie!
Patricks Angst verletzt zu werden wird jedoch größer und größer und er verschließt sich zusehends.
Bald stellt sich heraus: wo sie beide vorher wie Puzzleteile ein perfektes Ganzes ergaben, so wenig passen sie nun zusammen.
Marnie ist verzweifelt. Wie kann sie weiterhin auf die Magie des Universums vertrauen, wenn es ihr nun ihr hart erkämpftes Glück wieder nehmen will?
Über Maddie Dawson
Maddie Dawson wuchs in den Südstaaten auf, in einer Familie von Geschichtenerzählern. Ihre zahlreichen Jobs als Aushilfslehrerin, als Verkäuferin, Schreibkraft für Krankenberichte, Kellnerin, Katzensitterin, Empfangsdame eines Hochzeitseinladungsunternehmens, als Kindermädchen, Erzieherin, EKG-Technikerin und Taco-Bell-Taco-Macherin waren nur deshalb erträglich, weil sie sich bei der Arbeit Geschichten ausgedacht hat. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Guilford, Connecticut und ist eine erfolgreiche Bestseller-Autorin.
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Maddie Dawson
Liebesglück auf Umwegen
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Sabine Neumann
Cover
Inhaltsverzeichnis
Titelinformationen
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Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
Kapitel dreiundzwanzig
Kapitel vierundzwanzig
Kapitel fünfundzwanzig
Kapitel sechsundzwanzig
Kapitel siebenundzwanzig
Kapitel achtundzwanzig
Kapitel neunundzwanzig
Kapitel dreißig
Kapitel einunddreißig
Kapitel zweiunddreißig
Kapitel dreiunddreißig
Kapitel vierunddreißig
Kapitel fünfunddreißig
Kapitel sechsunddreißig
Kapitel siebenunddreißig
Kapitel achtunddreißig
Kapitel neununddreißig
Kapitel vierzig
Kapitel einundvierzig
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Kapitel fünfundvierzig
Danksagung
Impressum
Darf es ein bisschen more sein?
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Kapitel dreiundvierzig
Kapitel vierundvierzig
Kapitel fünfundvierzig
Danksagung
Impressum
Patrick kommt zu spät zu unserer Verabredung zum Abendessen, worüber ich nicht böse bin, denn so habe ich ein paar Minuten für mich, während ich an unserem Lieblingstisch im hinteren Teil vom »LaMont« auf ihn warte. Ich nippe an meinem Merlot und übe in Gedanken, wie ich ihm die große Frage stellen soll.
Patrick und ich sind jetzt seit fast vier Jahren zusammen, und ich kann mit ihm über jeden noch so winzigen Gedanken sprechen, der mir durch den Kopf geht, aber das hier – das hier ist eine der ganz großen Fragen. Eine, die das Leben verändert. Und Patrick hatte schon genügend lebensverändernde Situationen in seinem Leben. Genug für hundert Jahre. Er hätte also ganz sicher nichts dagegen, wenn der aktuelle Ist-Zustand noch ein paar Jahrzehnte anhielte.
Aber … ich schon.
Also nehme ich einen großen Schluck Wein und schließe die Augen. Ich habe heute extra früher im Blumenladen Feierabend gemacht, um üben zu können. Zum Glück sind wir hier in Brooklyn, wo die Leute in der U-Bahn keinerlei Notiz davon genommen haben, dass ich laut vor mich hinredete und dabei wichtige Punkte an den Fingern abzählte.
Und so weit bin ich bisher gekommen: »Patrick«, werde ich sagen, »ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Du bist das Salz in meiner Suppe. Die Creme in meinem Oreo-Keks. Der Zuckerguss auf meiner Torte. Und du bist der Horizont all meiner Sehnsucht.«
Kitschig? Gott, ja, auch wenn der Teil mit dem Horizont und der Sehnsucht auch als poetisch durchgehen könnte, zumindest mit der richtigen Betonung. Wenn ich Glück habe, lacht er. Und wenn er lacht, wird es einfacher sein. Dann werde ich einfach mit der Frage herausplatzen, und dann ist es vorbei. Ja oder Nein.
»Ja oder Nein, Patrick«, werde ich sagen. »Nimm dir alle Zeit, die du brauchst, mein Liebster, aber bitte denk daran, dass ich schon dreiunddreißig bin, und das laute Hämmern, das du hörst – tja, das ist mein Herz.«
Um Himmels willen, reiß dich zusammen, Marnie.
Ich lächle angesichts der Stimme in meinem Kopf. Es ist Blix – na ja, nicht wirklich, denn sie ist schließlich tot, aber genau das hätte sie gesagt, wenn sie jetzt hier wäre. Wenn ich die Augen zusammenkneife, sehe ich sehr deutlich, wie sie mir am Tisch gegenübersitzt, schwebend und fast durchsichtig, mit all ihren bunten Tüchern und Ketten und langen Röcken, mit ihren wild abstehenden Einsteinhaaren, wie sie den Kopf schüttelt und mir zuruft, ich solle endlich aufhören, mich wegen dieser Frage zu stressen.
Entspann dich einfach! Vertrau wenigstens dieses eine Mal dem Universum, okay?
Bei Blix drehte sich immer alles um das Universum, und ehrlich gesagt waren es sie und ihr Universum, die mich hierhergebracht haben. Sie war eine einzigartige Verkupplungskünstlerin, und sie hat immer gesagt, dass sie zwei Dinge sofort wusste, als sie mich kennengelernt hat: dass ich eine geborene Verkupplerin sei und dass Patrick und ich zusammengehören. (Es störte Blix auch nicht, dass ich zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Großneffen verlobt war. Sie und das Universum wussten bereits, dass diese Beziehung eine aussichtslose Sache war.)
Ich selbst bin mir allerdings nicht so sicher gewesen, ob ich ihr glauben sollte. Tatsächlich war ich fassungslos, als ich kurz nach ihrem Tod erfuhr, dass sie mir ihr Haus in Brooklyn vermacht hatte, weil sie anscheinend beschlossen hatte, dass ich, Marnie »Niemand Besonderes« MacGraw, ihre Verkupplungsnachfolgerin werden und ihre aktuellen Projekte erben sollte, genauso wie all die bezaubernden Außenseiter, die sie zu Lebzeiten um sich geschart hatte.
Natürlich hatte ich nicht vor, etwas dermaßen Verrücktes zu tun und in ihr Haus am anderen Ende des Landes zu ziehen. Damals hatten ihr Großneffe und ich uns schon scheiden lassen, und ich wohnte wieder bei meinen Eltern in Florida, mit gebrochenem Herzen und vom Leben überrumpelt. Nachdem ich ein paar Monate lustlos meinen Exfreund aus der Highschool gedatet hatte, habe ich irgendwie aus Versehen zugestimmt, ihn zu heiraten. Ich hatte also keinerlei Pläne, eine Verkupplerin zu werden. Und schon gar nicht in – Brooklyn? Willst du mich veräppeln? Stattdessen kam ich mit der festen Absicht hierher, das Haus zu verkaufen und wieder nach Hause zu fliegen … aber zufälligerweise wohnte dieser Typ namens Patrick in der Souterrainwohnung eben jenes Hauses.
Und … es stellte sich heraus, dass Patrick mein wahres Zuhause ist.
Okay, wenn ich ehrlich bin, war er nicht der Mann, den ich mir ausgesucht hätte. Aber ich habe gelernt, dass die Liebe nicht immer in der Verpackung kommt, die wir vielleicht erwarten. Zum einen ist er ein Einsiedler, während ich immer dabei bin, Pläne zu entwickeln, um nicht alleine sein zu müssen. Aber er ist klug und witzig und vielleicht auch ein winziges bisschen verrückt – auf die gute Art –, und er kann einen Backofen bedienen, und er weiß genau, was er sagen muss, wenn ich nicht mehr weiter weiß oder traurig bin. Er backt die besten Kuchen ganz ohne Rezept, und er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der stundenlang in der Badewanne über das Weltgeschehen philosophieren könnte, und außerdem lässt er mich immer die Creme von seinen Oreos essen. Er hat sich von Anfang an um mich gekümmert und mich zum Lachen gebracht, selbst als ich noch eine jammernde Nervensäge war, die keine Ahnung vom Leben in der Großstadt hatte. Und ich habe mich auf eine Art und Weise in ihn verliebt, wie ich mich noch nie zuvor in jemanden verliebt habe.
Was beweist, dass wir nichts über uns selbst wissen, denn so habe ich mir mein Leben definitiv nicht vorgestellt, als Freundin eines grüblerischen, aber witzigen Künstlers und Besitzerin eines Blumenladens, in dem ich nebenbei Menschen verkupple. Ich dachte immer, mit dreiunddreißig wäre ich mit Blix’ gut aussehendem Großneffen verheiratet und würde neben meinen Eltern wohnen und samstags mit meiner Schwester am Pool abhängen, während unsere Ehemänner den Grill anheizen und unsere Kinder im Buggy Mittagsschlaf halten.
Die wichtigste Frage, die ich mir meiner Vorstellung nach mit dreiunddreißig stellen würde, wäre die, ob es als Beilage Kartoffelsalat oder lieber Maiskolben geben sollte.
Aber wisst ihr was? Blix hatte das mit der Magie voll drauf, und irgendwie hat sie mir dieses Talent übertragen, und in diesem Augenblick höre ich, wie sie mir ins Ohr flüstert: Um Himmels willen, Marnie, hör auf damit. Du wirst alles bekommen, was du dir wünschst. Vertrau einfach auf das Universum.
Während ich so dasitze und in Gedanken meine Rede probe, werde ich plötzlich abgelenkt von der Szene, die sich am Nebentisch abspielt. Ein nett aussehender Hipster in einem karierten Hemd und mit einem Filzhut auf dem Kopf wird auf äußerst unterhaltsame Art von einer in Weiß und Gold gekleideten älteren Dame mit blonden Haaren angeschrien. Zweifellos seine Mutter. Die beiden haben die gleiche Nase. Alle im Restaurant bekommen haarklein mit, was los ist. Eine Mom aus Florida ist nach Brooklyn gekommen und hat jetzt die Schnauze voll von uns. Und ihr ahnungsloser Sohn, der die Zeichen nicht erkannt hat, hat sich unverschämterweise etwas zu essen bestellt, obwohl sie für just diesen Augenblick ihren Abgang plante.
Sie ist stinksauer. »Wenn du glaubst, dass ich durch den verdammten Flughafen renne, nur weil du etwas namens Wachtelei-Slider bestellen musst, auf das wir bestimmt eine geschlagene halbe Stunde warten müssen, hast du dich aber so was von geschnitten!«, meckert sie. »Ich habe die Schnauze voll von deiner Rücksichtslosigkeit. Ich habe mir ein Uber bestellt und gehe jetzt. Du bringst mich nicht zum Flughafen.«
Normalerweise ist es eine Riesenerleichterung, wenn man jemanden nicht zum Flughafen bringen muss. Aber der Typ nimmt die Neuigkeiten mit dem glasigen Blick eines Mannes auf, dessen Mutter schon viel zu lange zu Besuch ist. Er murmelt leise, ihr Flieger gehe doch sowieso erst in vier Stunden und, nur zur Information, Wachtelei-Slider seien im Handumdrehen zubereitet.
Ich schicke ihm gerade in Gedanken ein Du schaffst das, Junge, wir sind alle für dich da hinüber, als plötzlich meine Hand zuckt und das Glas umstößt, aus dem sich Merlot auf die Tischdecke und in meinen Schoß ergießt. Nicht nur ich springe auf, um dem Wein zu entkommen, auch der Typ am Nebentisch erhebt sich mit der Schnelligkeit eines Feuerwehrmannes, der bei einem Einsatz in ein brennendes Gebäude stürmt. Er reicht mir eine Handvoll Servietten.
»Oh, vielen Dank«, sage ich zu ihm. »Das ist wirklich sehr nett.«
»Hier. Vielleicht brauchen Sie noch mehr«, sagt er und holt noch mehr.
»Nein«, schreit seine furchterregende Mutter. »Hört auf damit. Ihr verteilt es nur noch weiter. Moment, ich weiß, was hilft.«
Und in einer einzigen schnellen Bewegung steht sie auf und schüttet mir ihren Weißwein über den Schoß. Als wäre es die normalste Sache der Welt.
Ich keuche und blinzle fassungslos. Die gesamte Vorderseite meines Körpers fühlt sich eiskalt an und ist klitschnass dank jetzt zweier Gläser Wein.
»OH, ZUR HÖLLE, WAS WAR DAS DENN?«, ruft der Typ entsetzt.
»Weißwein entfernt Rotwein«, erklärt seine Mutter. »Glaub mir. Sie wird mir dankbar sein.«
»Mom!«, ruft er. »Du kannst doch nicht einfach einer fremden Person Wein in den Schoß kippen!« Er wendet sich mir zu. »Es tut mir so leid. Wirklich. Bitte, Mom, setz dich hin. Du machst alles nur noch schlimmer.« Er holt noch mehr Servietten. So langsam habe ich Angst, dass er gleich von Tisch zu Tisch gehen und sie den Leuten vom Schoß nehmen wird.
»Oh, hör auf, Graham. Das hilft gegen Flecken«, sagt sie. Ihr Blick ist eindringlich und vielleicht ein klitzekleines bisschen irre. »Weißwein entfernt Rotweinflecken. Das weiß doch jeder.«
Er senkt die Stimme und flüstert mir zu: »Vielleicht gehen Sie lieber zur Toilette, bevor sie anfängt, karaffenweise Pinot Grigio zu bestellen, um Sie darin zu ertränken.«
»Oh, Herrgott noch mal!«, ruft sie lachend. »Mein Sohn! Er stellt mich immer als verrückt hin. Dabei ist er derjenige, der es einfach nicht schafft, pünktlich zum Abendessen zu kommen, obwohl er genau weiß, dass ich einen Flieger kriegen muss. Dank ihm kann ich noch nicht mal meinen Wein austrinken, weil mein Uber gleich kommt. Wie auch immer, Liebes, Ihr Rock sieht schon viel besser aus.«
»Ich gehe schnell mal den Rest auswaschen«, sage ich zu ihr und ducke mich, falls sie vorhaben sollte, mich mit weiteren Flüssigkeiten zu überschütten, die sie irgendwo hier im Restaurant finden könnte. »Aber danke.«
»Nein, nein!«, jammert Graham. »Bitte danken Sie ihr nicht. Wir wollen das nicht auch noch fördern.«
»Warum sollte sie mir nicht danken?«, sagt sie. »Ich habe ihr einen Gefallen getan. Und jetzt gib deiner alten Mutter einen Abschiedskuss, du Tunichtgut. Ich muss los.«
Sie nimmt sein Gesicht in beide Hände und gibt ihm einen lauten, schmatzenden Kuss, bevor sie sich mir zuwendet. »Sind Sie zufälligerweise unverheiratet? Denn mein kleiner Missetäter hier ist so was von zu haben. Unbegreiflich, ich weiß, aber es ist wahr.«
Irgendwie mag ich die beiden. Micah, der Kellner, kommt gerade mit einer frischen weißen Tischdecke und einem neuen Glas Wein für mich herbeigeeilt.
»Wenn Patrick kommt«, sage ich zu ihm, »sagst du ihm bitte, dass ich auf der Toilette bin?«
»Also, sind Sie verheiratet?«, fragt die Mutter.
»Sie ist mit Patrick verheiratet«, sagt Micah, und ich kann es mir nicht verkneifen, ihn zu korrigieren. Patrick und ich seien zwar genau genommen nicht verheiratet, erkläre ich, aber wir führen eine ernste Beziehung und wohnen zusammen und alles.
»Nichts ist für immer, bis Sie den Ring am Finger haben«, warnt mich die Mutter, und Graham verdreht die Augen, schnappt sich den riesigen Koffer, den sie unter dem Tisch abgestellt hat, und fängt an, sie aus dem Restaurant zu schieben, die Hand auf ihrem Rücken. Sie winkt uns allen zu wie eine Schönheitskönigin bei einer Parade – und während ich zur Toilette hinübergehe, hoffe ich, dass er zurückkommt. Denn soeben ist etwas Bedeutsames passiert. Um den jungen Mann herum formieren sich Funken, und ich weiß, was das heißt: Er wird sich gleich in jemanden verlieben, und ich bin hier, weil das Universum will, dass ich dabei helfe.
Und tatsächlich: Als ich anfange, am Waschbecken der Damentoilette meinen Rock zu schrubben, kommt eine Frau aus einer der Kabinen. Bingo! Ich weiß sofort, dass sie diejenige ist. Um sie herum schimmert die Luft, genau wie es bei ihm der Fall war. Manchmal passiert so etwas beim Verkuppeln. Ich mache das jetzt seit über vier Jahren, und manchmal, wenn ich mit der U-Bahn unterwegs bin oder die Straße entlanggehe, sehe ich zwei Menschen, die noch nicht mal in die Richtung des jeweils anderen gucken, und weiß dennoch plötzlich, dass ich dafür sorgen muss, dass sich ihre Wege kreuzen. Ich bin schon aus Coffee-Shop-Schlangen herausgesprungen, habe Taxifahrer umgeleitet und mich lächerlich gemacht, indem ich quer durch Parks gesprintet und dabei über kleine Hunde und Picknickdecken gesprungen bin – alles nur, um vollkommen fremde Menschen anzusprechen und zu verhindern, dass sie einfach weitergehen und die Liebe verpassen.
Und es funktioniert. Das ist das Erstaunlichste daran: Die schimmernden Funken lügen nicht.
Aber dieses Mal! Oh Mann. Diese Frau ist groß und rothaarig und trotz der Funken, die um sie herumtanzen, wirkt sie geradezu theatralisch traurig. Ich beobachte sie, wie sie sich zum Spiegel hinüberbeugt und seufzt, als wäre ihr Gesicht ein enttäuschender Gebrauchtwagen, den sie eigentlich kaufen wollte. Ich höre auf, an meinem Rock herumzuschrubben, damit ich sehen kann, welche Entscheidung sie trifft. Wird sie dieses Gesicht kaufen oder nicht?
»Wow«, sage ich. »Schauen Sie sich nur meinen Rock an! Nicht zu fassen, oder? Ich habe mich mit Rotwein eingesaut. Wie schlimm sieht es aus? Total schrecklich?«
Sie schaut zu mir herüber. »Sieht für mich okay aus«, sagt sie. Ihre Stimme klingt, als wäre sie den Tränen nahe, was einen kleinen Rückschlag für meine Pläne bedeutet. Ich musste schon öfter dafür sorgen, dass weinende Menschen ihre große Liebe kennenlernen, aber ich will nicht lügen: Es ist deutlich schwieriger.
»Witzige Sache«, sage ich. »Ich bin zwar diejenige, die den Rotwein verschüttet hat, aber dann stand eine Frau vom Nachbartisch auf und hat ihr Glas Weißwein auf den Rotweinfleck gekippt! Sie hat einfach das komplette Glas über mich gegossen, weil Weißwein angeblich Rotweinflecken entfernt.«
»Ja, ich glaube, die Leute werden heutzutage immer verrückter, finden Sie nicht«, sagt sie traurig. »Ich wurde gerade von einem Typen versetzt, der mir im Vorfeld dreißig Nachrichten geschrieben hat, in denen er mir erzählte, ich wäre die Eine für ihn, und dann verabreden wir uns – und jetzt hat er mir geschrieben, er hätte es sich anders überlegt.«
»Was für ein Arschloch«, sage ich.
»Ich habe mir sogar die Beine rasiert für den Kerl«, sagt sie. »Und jetzt schreibt er mir, er kommt nicht?«
»Hören Sie«, sage ich eilig. »Das ist wirklich furchtbar, besonders der Teil mit den rasierten Beinen. Und der mit den Textnachrichten. Dreißig Nachrichten sind zu viel, eigentlich ein echtes Warnsignal. Aber ich muss Ihnen etwas sagen. Jetzt in diesem Augenblick ist ein Mann da draußen im Restaurant, und ich glaube, er wird die Liebe Ihres Lebens sein. Nein, ich weiß, dass er es ist.«
Sie wird kreidebleich. So würde es wohl jedem gehen.
»Ich denke, Sie sollten in Erwägung ziehen, da rauszugehen und ihn kennenzulernen«, sage ich. »Es ist natürlich Ihre Entscheidung, aber es könnte sein, dass Sie es bereuen werden, wenn Sie es nicht tun.«
Sie starrt mich eine volle Minute lang an, als wäre ich Teil der Verrücktenverschwörung. Dann öffnet sie den Wasserhahn und fängt an, sich die Hände zu waschen. »Warum sollte ich glauben, dass Sie wissen, nach wem ich suche, obwohl Sie mich überhaupt nicht kennen?«
»Ich weiß es einfach. Ich bin einfach nur eine Frau auf einer öffentlichen Toilette mit einem Rock voller Wein. Aber glauben Sie nicht daran, dass manchmal Dinge auf sehr mysteriöse Art und Weise passieren? Dass alles irgendwie nur vom Zufall abhängt – ob Sie in einen bestimmten U-Bahn-Wagon steigen, in dem jemand sitzt, den Sie unbedingt kennenlernen müssen, oder ob Sie einen Laden betreten und mit einem Fremden Small Talk halten, den Sie für den Rest Ihres Lebens lieben werden?«
»Das ist mir noch nie passiert«, sagt sie mit einem bitteren Lachen.
»Es passiert Ihnen heute Abend«, sage ich. »Gehen Sie einfach da raus. Er ist sehr nett und trägt einen sehr geschmackvollen Filzhut mit einer kleinen Feder daran. Ich saß am Tisch neben ihm. Tatsächlich war es seine Mutter, die mir den Weißwein in den Schoß gekippt hat, aber sie ist jetzt weg, und er isst dort ganz alleine.«
»Einen Filzhut mit einer Feder?«, fragt sie und lacht wieder.
»Hören Sie auf. Die Feder kann man abnehmen«, sage ich ernst. »Und, ich bin mir bewusst, dass das verrückt klingt, aber ich verkupple öfter Menschen. Ich weiß Dinge aus Intuition. Ich lese Energie. Kennen Sie das Gefühl, wenn Sie spüren, dass jemand Sie über den Raum hinweg anschaut oder so? So in der Art spüre ich, wenn Menschen zusammengehören.«
Sie starrt mich wieder eine gefühlte Ewigkeit an, und dann spüre ich, wie sich ein Schalter in ihr umlegt, als würde sie sich daran erinnern, dass sie wirklich ein kleines bisschen an Intuition und Schicksal glaubt. Das tun die meisten Menschen.
»Okay«, sagte sie seufzend. »Aber ich muss ganz klar sagen, dass das total irre ist.«
Ich gebe ihr ein paar Tipps: Sie solle bei mir bleiben, sich nicht von eventuellen Anzeichen von Unbehaglichkeit einschüchtern lassen. Manchmal brauche das Universum ein wenig Zeit, um die Dinge in Gang zu bringen. Nur die Ruhe. Keine Sorge. Ich stelle mich ihr vor. Sie sagt, sie heiße Winnie.
»Oh Gott«, sagt sie. »Warum mache ich das alles mit?«
Am liebsten würde ich ihr antworten: weil das Universum einiges auf sich genommen hat, um das hier für dich zu arrangieren. Nur zur Erinnerung: Ich musste zu früh im Restaurant ankommen, um diese wichtige Frage zu üben, die so entscheidend ist, dass ich sie Patrick nicht zu Hause stellen will. Dann musste ich den Rotwein umkippen, damit eine Frau, die aus Florida zu Besuch ist und irgendwann mal gehört hat, wie man Rotweinflecken entfernt, aufspringen und ihren Sohn blamieren konnte, indem sie mir ihren Weißwein über den Rock schüttet. Und du musstest dreißig Textnachrichten von einem Mann erdulden, der überhaupt keine wichtige Rolle in deinem Leben spielen wird, sondern nur dazu da war, dich zu exakt diesem Zeitpunkt in exakt dieses Restaurant zu lotsen. Und, wenn wir noch weiter zurückgehen, musste ich dafür nach Brooklyn ziehen, weil mir ein Mann während unserer Flitterwochen den Laufpass gegeben hat, was seine magische, verkuppelnde Großtante Blix so wütend gemacht hat, dass sie mir ihr Haus in Park Slope hinterlassen hat, als sie in jenem Sommer starb, zusammen mit all ihren unerledigten Verkupplungsprojekten. Und dort habe ich Patrick kennengelernt und mich in ihn verliebt. Er wohnte damals im Keller, und ich habe gedacht, er wäre der letzte Mensch auf diesem Planeten, in den ich mich verlieben würde. Auf eine andere Art und Weise hätte ich ihn in einer Million Jahren nicht kennengelernt, weil er nicht gerne das Haus verlässt. Siehst du nicht, wie überwältigend und übernatürlich das alles ist? Und wir sind noch nicht mal bei all den Eizellen und Spermien, die sich seit Anbeginn der Zeit treffen mussten, um die Menschen zu erschaffen, die an diesem kleinen Tanz hier teilnehmen.
»Sie machen das, weil es großartig sein wird«, sage ich, und zusammen verlassen wir die Toilette.
Im Restaurant hat sich alles verändert, als wäre die Luft irgendwie weicher und elastischer geworden. Gäste unterhalten sich angeregt und trinken Cocktails. Patrick ist inzwischen gekommen und sitzt an unserem Tisch. Als er mich sieht, lächelt er und zwinkert mir ironisch zu, wie er es immer tut und womit er mein Herz zum Rasen bringt. Am Nebentisch sitzt Graham jetzt alleine, scrollt auf seinem Handy herum und stochert nebenbei in einem gigantischen Salat und den Wachteleiern herum. Ich kneife die Augen zusammen und sehe, dass um ihn herum noch immer die Funken von vorhin tanzen. Ich schaue Patrick an und hebe einen Finger: Das hier wird vielleicht eine Weile dauern. Er nickt. »Sie haben mir gar nicht gesagt, wie er heißt«, flüstert Winnie.
»Ich habe gehört, wie seine Mutter ihn Graham genannt hat.«
»Seine mit Wein um sich werfende Mutter?«
»Genau die.«
»Also Ihnen zufolge sitze ich dann irgendwann möglicherweise mit einer durchgeknallten Schwiegermutter da? Vielleicht will ich das überhaupt nicht.« Aber sie lächelt. Sie ist jetzt voll dabei.
»Das Positive daran: Sie weiß, wie man Flecken rausbekommt. Und sie lebt in Florida, was sehr weit weg ist.«
»O mein Gott, o mein Gott. Was mache ich hier nur?«
»Cool bleiben. Die Show beginnt.« Auf dem Weg zum Tisch fange ich Micah ab, berühre ihn am Ellbogen und drehe mich zu ihm, um vertraulich mit ihm zu sprechen. Ich habe einen Plan. »Hör zu, Micah. Du musst mir einen Gefallen tun. Kannst du Patrick und mich bitte an einen anderen Tisch setzen? Und die Dame hier stattdessen an unseren?«
Er schüttelt den Kopf. Sagt, er habe eine ganze Liste voller Leute, die auf einen Tisch warten. Sie müsse ihren Namen auch auf die Liste setzen lassen, er könne keine Ausnahme machen, bla, bla, bla.
»Sehen Sie?«, sagt Winnie. »Das wird nicht funktionieren. Danke, aber ich werde jetzt gehen.«
»Sie bleiben, wo Sie sind«, sage ich zu ihr. Ich versuche, Micah zu überreden, aber er lässt sich nicht umstimmen.
Da kommt Patrick herüber. Er legt mir einen Arm um die Schulter, beugt sich zu mir herüber und flüstert hörbar für alle: »Was ist das hier für eine wichtige Konferenz? Planen wir eine Auswechslung? Oder soll die Regierung gestürzt werden?«
»Marnie benimmt sich gerade ein bisschen unmöglich und würde gerne das komplette Restaurant umräumen.«
»Sie ist ziemlich unmöglich«, pflichtet Patrick ihm bei. »Aber vielleicht musst du wirklich umräumen und wurdest nur noch nicht vom Universum darüber informiert.«
»Hören Sie«, sagt Winnie. »Ich gehe jetzt. Sie sind alle sehr nett und sehr seltsam, aber heute ist einfach nicht mein Abend.«
»Bleiben Sie hier«, knurre ich.
Jetzt steht auch Graham auf und kommt zu uns herüber. »Ähm, vielleicht bin ich paranoid, aber geht es hier zufällig um mich? Und um das Fehlverhalten meiner Mutter vorhin?«
»Ihrer Mutter?«, fragt Patrick. »Wer sind Sie?«
Graham und Winnie drehen sich jetzt beide zu Patrick um, und ich sehe, wie sie sofort wieder den Blick abwenden, als sie merken, dass sein Gesicht nicht so aussieht, wie sie es erwartet haben. Deshalb ist Patrick so introvertiert. Vor acht Jahren oder so ist er in einen schlimmen Brand geraten und hat jetzt von mehreren Hauttransplantationen Narben im Gesicht. Und sein rechtes Auge ist vielleicht ein klitzekleines bisschen schief. Ich muss mir immer wieder von Neuem klarmachen, wie es für ihn sein muss, tagtäglich damit zu leben, bei jeder neuen Begegnung – die Leute gucken und schrecken dann zurück. Sie wissen nicht, wie sie auf die Narben reagieren sollen, auf die gespannte, zu glatte Haut rund um das rechte Auge, auf den Kiefer, der nicht mehr ganz symmetrisch ist. Es tut ihnen leid, das weiß ich. Sie wollen ihm nichts Böses, aber sie fallen aus allen Wolken. Sie wenden den Blick ab. Immer, wenn das passiert, tut Patrick mir leid, und ich will ihm jedes Mal sagen, dass sie es nicht so meinen, dass sie trotzdem auch sein Leuchten sehen können. Dass er wunderschön ist. Strahlend.
Der Augenblick ist schnell vorbei. Graham hat sich gefangen. »Oh, tut mir leid. Ich bin Graham Spalding. Und meine Mutter hat Ihrer Frau vorhin eine Ladung Wein über den Schoß gekippt.«
Patrick erklärt ihm nicht, dass ich nicht seine Frau bin. Stattdessen stellt er sich selbst vor und sieht dann mich an. »Du hast Wein abgekriegt?«
»Er ist so gut wie raus. Winnie hat mir beim Saubermachen geholfen.«
Winnie studiert Graham Spalding eingehend. »Und wo ist Ihre mit Wein um sich werfende Mutter jetzt?«
»In einem Uber auf dem Weg zum Flughafen. Gott sei Dank«, sagt er.
Das Universum hält den Atem an … eins … zwei … drei …
»Da es keinen freien Tisch mehr gibt«, sagt Graham, »möchten Sie sich vielleicht zu mir setzen?«
… uuuuund es atmet aus. Wir kehren alle zu unseren Plätzen zurück. Ich spüre förmlich, wie Blix mir von dort drüben, wo die funkelnde Lichterkette hinter der Bar hängt, zulächelt.
Jetzt musst du ihn fragen. Du musst die Sache in Gang bringen, Mädchen.
Ich schlucke, bin plötzlich nervös.
Patrick sieht mich an und lächelt. »Auf den James Bond des Verkuppelns!«, sagt er und hebt sein Glas. »Du hast wieder einmal deine besten taktischen Manöver unter Beweis gestellt! Dieses Mal war es wirklich episch, was die Spannung angeht. Das gibt volle zehn Punkte von mir.«
»Du bist zu großzügig. Ich hatte schon Angst, Winnie müsste bei uns sitzen, bis Graham merkt, wie sehr er sie braucht. Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde.«
Er verdreht die Augen. »Klar«, sagt er. »Aber tu mir den Gefallen und sag mir, ob du vor dem Dessert noch irgendjemanden verkuppeln und dafür an einem anderen Tisch sitzen musst, okay? Oder ob M dich in die Zentrale zitiert und du ganz schnell wegmusst.«
Ich halte mir mein Armband ans Ohr und lege den Kopf schief, als würde ich eine Nachricht abhören. »Alles okay fürs Erste. Alle Beziehungen hier drin scheinen vorläufig intakt zu sein.«
Er beugt sich vor und flüstert: »Gute Arbeit. Sieht so aus, als würden sie sich gut verstehen. Auftrag ausgeführt!«
»Psst. Sieh nicht hin. Es ist noch zu früh, um das zu beurteilen.«
»Nicht in diesem Fall. Er macht ihr Komplimente zu ihren Schuhen. Der ist weg vom Fenster.«
»Patrick! Wir sprechen doch bei Verliebten nicht von ›weg vom Fenster‹.«
Er lächelt mich an und greift nach meiner Hand. »Unsinn. Wir sind doch alle weg vom Fenster hier. Weg vom Fenster und glücklich dabei.«
Unser Lieblingskellner André kommt herüber. Patrick bestellt den Tintenfisch mit Zitronen-Aioli, und ich schließe mich ihm an. Dann schweigen wir, und er guckt mich erwartungsvoll an, also trinke ich vier große Schlucke Wein, weil es an der Zeit ist, endlich damit rauszurücken. Patrick lächelt, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, und wartet. Mein Herz klopft irrwitzig laut. Ich bin mir sicher, jeder hier im Restaurant kann es hören.
»Okay, MacGraw, raus damit«, sagt er. »Ich kann die Spannung nicht mehr ertragen.«
»Ich kann nicht. Wir müssen erst mal eine Weile Small Talk halten. Was hast du heute gemacht?« Ich verschränke die Hände in meinem Schoß.
Er seufzt. »Okay. Was habe ich heute gemacht? Warte mal. Ich war im Studio und habe auf dieselbe leere Leinwand gestarrt, die ich schon die ganze Woche anstarre. Und, ach ja, deine Mutter hat angerufen.«
»Meine Mutter?« Das macht mich glücklich. Meine Mutter und Patrick lieben es beide zu backen, und sie tauschen ständig Rezepte aus.
Aber dann sehe ich, dass er die Stirn runzelt. »Ja«, sagt er. »Ich will dich nicht beunruhigen oder so, aber sie hat etwas ziemlich Seltsames gesagt. Sie wollte mit dir darüber reden, glaube ich, aber wahrscheinlich hat sie dich nicht erreicht …«
»Nein, als sie angerufen hat, war da gerade ein alter Mann im Laden, der seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter hatte – stell dir das mal vor –, und dann hat er erfahren, dass sie letzte Woche ein Baby bekommen hat, und er wollte ihr Blumen schicken und ihr außerdem sagen, wie leid es ihm tut, dass er ihr ganzes Leben lang kaum für sie da war. Wir haben eine Stunde lang an dem Brief gearbeitet, den er ihr schreiben wollte. Als wir fertig waren, hat jeder im Laden geweint.«
»Es geht doch nichts über einen Tag, an dem alle im Laden in Tränen ausbrechen.«
»Oh, hör auf. Du weißt doch, was ich meine. Es war die beste Art von Tränen überhaupt. Alle haben den alten Kerl umarmt und ihm Tipps gegeben, was er sagen soll. Es war so schön zu sehen, wie ihm alle geholfen haben.« Ich nehme einen Schluck Wein. »Aber was war denn jetzt mit meiner Mutter? War es furchtbar von mir, nicht ans Telefon zu gehen, als sie anrief?«
»Nein, wahrscheinlich ist alles okay. Sie sagt, dein Vater kommt einfach nicht von der Couch runter. Sie will reisen und Dinge unternehmen, und er sagt, er wäre zu müde für all das. Sie klang ein bisschen traurig, das ist alles.«
Ich bin mir sicher, dass es keine große Sache ist. Meine Eltern sind seit vierzig Jahren verheiratet, praktisch seit ihrer Teenagerzeit, und wohnen am Stadtrand von Jacksonville (tatsächlich sind sie beide in Florida geboren und nicht zugezogen). Er spielt gern Golf, und sie geht gerne schwimmen, und sie beenden gegenseitig die Sätze des anderen und streiten auf die nervige Art und Weise, wie Leute streiten, die aus ihren unterschiedlichen Ansichten schon vor langer Zeit ein – wie sie finden – unterhaltsames Straßentheater gemacht haben, an dem sich das Publikum erfreuen kann. Das Publikum, das meist aus meiner großen Schwester Natalie und mir besteht. Meinen Eltern geht es gut. Ihre Ehe ist ein leuchtendes Beispiel für alle ihre Freunde. Sie sind eine Institution.
»Erzähl mir, was du heute noch gemacht hast. Bist du mit Bedford spazieren gewesen?«
»O Gott. Es war grauenhaft.« Er lacht. »Wir sind in den Park gegangen, und Bedford hat mich zum Spielplatz rübergezogen, wo er einem Jungen den Turnschuh geklaut hat und damit abgehauen ist. Als ich den Schuh zurückgebracht habe, hat das Kind beim Anblick meines Gesichts wie am Spieß geschrien. Und dann hat sich die Mutter total aufgeregt und ihren Sohn angeschrien, was furchtbar war, denn er hat jedes Recht der Welt, vor meinem grauenvollen Aussehen Angst zu haben. Und dann hat Bedford die Gelegenheit genutzt und den Schuh von ihrem Baby aus der Wickeltasche geklaut. Er ist wieder damit stiften gegangen, und die Mutter und ich sind beide hinter ihm her, aber dann wollte der Junge hochgehoben werden, und ich habe keine Ahnung, wie es dazu kam, aber plötzlich hat die Mutter mir einfach ihr Baby gegeben und den älteren Jungen auf den Arm genommen und ist mit ihm los, um den Schuh zu holen!« Er schüttelt den Kopf. »Kannst du dir das vorstellen. Sie gibt mir einfach ihr Baby, und du kennst mich – ich habe keine Ahnung von Babys, und ich wusste überhaupt nicht, wie ich es halten soll, und dann hat es ungefähr zehn Sekunden lang völlig entsetzt mein Gesicht angestarrt und dann einen markerschütternden Schrei ausgestoßen und angefangen zu heulen, als würde die Welt gleich untergehen, und da kam die Mutter zurückgerannt ohne den Babyschuh, den Bedford geklaut hatte. Wahrscheinlich hat sie gemerkt, was für eine irre Idee es war, einfach einem seltsamen Typen ihren wertvollsten Besitz anzuvertrauen. Also musste ich los, den Babyschuh suchen, und als ich ihn schließlich zurückgebracht habe, haben bei meinem Anblick wieder alle losgeheult. Meine neueste Erkenntnis ist also, dass Hunde und Babys einfach nur die Hölle sind.«
Mir wird schwer ums Herz. Ich stelle mein Weinglas ab.
»Ähm, also … was ist gerade passiert?«, fragt er. »Was habe ich gesagt? Erzähl.«
Ich habe keine Wahl, ich muss jetzt damit herausrücken, auch wenn es mir plötzlich die Kehle zuschnürt und mein Herz wie verrückt hämmert. »Patrick«, sage ich. »Ich – ich will ein Baby. Ich muss ein Baby haben.«
Er starrt mich an. »Moment. Das wolltest du mich also fragen?«
»Ja. Hör mir zu. Ich möchte ein Baby mit dir haben, Patrick. Du wärst so ein phantastischer Vater, und unser Leben wäre so erfüllt und wundervoll, und ich kann mir nicht vorstellen, kein Baby mit dir zu haben, und ich bin jetzt dreiunddreißig und wünsche mir das so sehr. So sehr.«
Ich ignoriere die Tatsache, dass sein Blick trüb geworden ist und er seine Serviette abgelegt hat.
Er lacht ein dumpfes Lachen, vor dem ich mich am liebsten versteckt hätte. »Wie kommst du auf diese groteske Idee, dass ich ein phantastischer Vater wäre? Du solltest die Frau im Park heute fragen, wie phantastisch ich mit Kindern bin. Marnie, Liebling, ich bin völlig untauglich, wenn es um Kids geht. Mehr als untauglich.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt«, sage ich. »Dieses eine Baby war doch kein Referendum über dich.«
»Nein. Es stimmt«, sagt er. »Es stimmt definitiv. Du liebst mich und deshalb siehst du über eine Million Dinge an mir hinweg, die total kaputt sind. Aber sieh mich an, Marnie. Im Ernst. Sieh mein Gesicht an, mein Gesicht und meine Arme, und versuch mir zu sagen, ich sei ein Mensch, der ein Vater sein sollte. Ich bin kein Vatermaterial. Und die Sache ist: Du weißt das genau. Deshalb bist du auch so nervös.«
»Ich weiß das Gegenteil.« Ich greife nach seiner Hand, was ihn ein klitzekleines bisschen zusammenzucken lässt. Seine Hände sind vernarbt, und sie tun ihm noch immer weh, denn als damals das Feuer ausbrach, rannte er mit ausgestreckten Armen darauf zu und versuchte, seine damalige Freundin zu retten. Einen besseren Menschen als ihn gibt es nicht. »Patrick, bitte. Es ist mir so wichtig. Es bedeutet mir alles. All den Zauber, all die Möglichkeiten des Lebens – wir haben all das vor uns. Ich brauche ein Kind. Ich will, dass wir Eltern werden. Ich will das mit dir erleben. Du wirst ein wundervoller Vater sein. Du hast so viel zu geben. Du wirst schon sehen. Das ist das Leben. Das sind wir – das bist du, der wieder zum Leben erwacht. Der das Gute sieht –«
Er unterbricht mich. »Aber ich bin glücklich, Marnie«, sagt er ruhig. »Ich mag unser Leben genau so, wie es ist. Ich brauche keine andere Bestätigung. Ich habe schon alles, was gut ist.«
Ich beuge mich vor, als könnte ich ihn überzeugen, indem ich ihm näher komme. »Aber das wird uns noch so viel glücklicher machen! Denk mal drüber nach. Wir können diesen nächsten großen Schritt machen. Ich weiß es. Ich weiß es einfach.«
Er schweigt eine ganze Weile. »Ich weiß nicht, was ich dir noch sagen soll. Ich kann es nicht.«
»Ich habe dich noch nie in die Irre geführt, oder? Wir werden das zusammen schaffen. Es wird wundervoll. Vertrau mir.«
Er nimmt meine Hand und küsst sie. Küsst jeden Knöchel, während er mir in die Augen sieht. Mein Herz ist wie ein kleiner Vogel in meiner Brust. Es glaubt – es hofft –, dass sich gleich etwas verändern wird, so wie vorhin. Dass das Universum zum richtigen Zeitpunkt auftaucht und Licht in eine Situation bringt, in eine ausweglose Situation. Ich kann ihn nicht überzeugen, aber irgendetwas anderes kann es.
Und dann verändern sich die Moleküle tatsächlich, und plötzlich stehen Graham und Winnie vor uns, tauchen wie glückselige Wackeldackel an unserem Tisch auf. Sie wollen aufbrechen und sind so glücklich und wollen sich bei uns dafür bedanken, dass wir sie einander vorgestellt haben – und oh, irgendwie hätten sie das Gefühl, dass an unserem Tisch auch gerade etwas Besonderes passiert! Was denn wohl?
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir jetzt schon darüber reden sollten«, sagt Patrick leise, »aber es könnte sein, dass wir darüber nachdenken, für die Präsidentschaft zu kandidieren. Oder das Basketballteam der Knicks zu kaufen. Entweder das eine oder das andere.«
Winnies Lippen formen ein O, und Graham lacht und zieht sie an sich. »Mit anderen Worten, Win, es geht uns nichts an.«
Win. Er nennt sie jetzt schon Win. Na also. Sie werden sich morgen verloben, nächsten Dienstag heiraten, und übernächste Woche haben sie ein Haus gekauft und sie ist schwanger. Mit Zwillingen.
Ich schicke ihnen einige Liebesstrahlen hinüber, die um den Tisch herumzuschwirren scheinen, und sie beugt sich zu mir herüber, umarmt mich und flüstert: »Danke. Das werde ich niemals vergessen.« Und ich sage ihr, dass ich einen Blumenladen habe, das Best Buds, und wenn sie irgendwann mal Lust habe, solle sie vorbeikommen und mir erzählen, was aus all dem wurde. Nachdem sie weg sind, bitten wir André, unsere Gerichte einzupacken, denn nach Essen ist uns nicht mehr zumute.
Der Abend ist heiß und schwül, fast wie im Dschungel, und wir beschließen, ohne dass wir überhaupt darüber reden müssen, nach Hause zu laufen. Es ist, als wüssten wir, dass all diese intensiven Gefühle nicht in unser Haus passen. Wir müssen einige davon abarbeiten, bevor wir dort ankommen. Er nimmt meine Hand, aber sein Rücken ist starr, und er hält den Blick stur geradeaus gerichtet, und ich bin mir nicht sicher, ob die Tatsache, dass er meine Hand hält, bedeutet, dass er es sich anders überlegen und der Vater meines Kindes sein wird oder ob er mich damit trösten will, bevor er mir ein für alle Mal und endgültig verkündet, dass er mir nicht geben kann, was ich will.
Tief im Inneren weiß ich, dass ich mit welcher Version auch immer werde leben müssen. Und genau das hasse ich so am Leben. Dass man genau weiß, was einen glücklich machen würde und was man braucht, aber dass man es trotzdem vielleicht nicht bekommt. Damit komme ich überhaupt nicht klar. Blix hingegen war Expertin auf diesem Gebiet: Sie war der Meinung, man müsse immer weiter auf das hinarbeiten, was man will, und offen für Überraschungen sein – denn vielleicht, nur vielleicht, hat man eigentlich keine Ahnung und es wartet etwas viel Besseres auf einen, das man nie auf dem Schirm gehabt hätte.
Trotzdem würde ich gerne das Universum darüber in Kenntnis setzen, dass ich nicht bereit bin, die Vorstellung, ein Baby zu bekommen, aufzugeben.
Als wir in unser Haus in Park Slope kommen, geht er nach oben und lässt sich ein Bad ein, und später, während ich mir die Zähne putze, kommt er herein, zieht sich aus und steigt in die Wanne.
»Warte«, sage ich. »Ich will auch mit rein.«
»Unbedingt.« Er gießt einen traumhaft duftenden Badezusatz hinein. Lavendel, glaube ich.
Ich platziere kleine Teelichter rund um die Wanne, mache das große Licht aus und setze mich zu ihm ins Wasser – es ist eine riesige uralte Wanne mit Klauenfüßen, in die wir beide reinpassen. Dann lehne ich mich gegen seine starke Brust. Meine Haare schwimmen zu einem Fächer ausgebreitet um meine Schultern herum. Das mag ich an Patrick – selbst, wenn es zwischen uns schwierig wird, will er keine schlechte Stimmung, sondern sucht nach einer Möglichkeit, wie alles wieder gut wird. Sein Herz schlägt unter mir, und das Geräusch allein ist so schön und beruhigend.
Wir reden nicht, aber nach einer Weile seift er mich ein, und seine Berührung ist seidig und bestimmt. Er neigt den Kopf und küsst mich auf die Schulter, und ich lache, weil er den Mund voller Schaum hat. Ich drehe mich um und mache daraus einen Bart für ihn, und dann küsse ich ihn auf die Lippen, wodurch ich auch Schaum in den Mund bekomme.
Danach machen wir uns auf den Weg ins Bett, schläfrig und wieder ganz ruhig. Er zieht mich an sich, und wir lieben uns sehr sanft und vorsichtig – als würden wir etwas wiedergutmachen wollen, von dem wir uns vielleicht nicht erholen können. Er ist so liebevoll und süß, so warm und vertraut.
Am kritischen Punkt holt er ein Kondom, wie üblich. Ich gebe zu, dass sich in mir ein winziges Fünkchen Hoffnung breitgemacht hatte, dass er es vielleicht nicht tun würde, aber nein. Ich schließe die Augen und versuche, nicht enttäuscht zu sein. Es ist okay.
Als wir fertig sind, und er sich zurückzieht, guckt er mich plötzlich mit entsetztem Gesichtsausdruck an. »Es ist kaputt«, sagt er mit großen Augen.
»Was ist kaputt?«
»Das Kondom. Es ist komplett gerissen.«
Ich stütze mich auf einen Ellbogen. »Machst du Witze? Es ist kaputt?«
»O mein Gott. Warst du das? Ist da deine Marnie-Magie am Werk?«
»Glaubst du, ich habe Macht über Latex?«
»Marnie«, sagt er. »Ich glaube, du hast Macht über alles. Ich habe bisher noch nichts gesehen, was du nicht auf irgendeine Weise kontrollieren kannst.«
Er lässt sich auf das Kissen sinken. Zu meiner Erleichterung lacht er plötzlich, auch wenn es kein vollkommen fröhliches Lachen ist. »Du bist wirklich ein kleines Biest«, sagt er. »Und, o mein Gott, wenn wir deswegen jetzt ein Baby kriegen …«
Ich schlage ihm leicht auf den Arm. »Wenn wir deswegen ein Baby kriegen, bedeutet das nur, dass da draußen ein Baby darauf gewartet hat, dass wir uns entscheiden, seine Eltern zu werden, und dann hat es wohl einen Weg gefunden, das geschehen zu lassen, und es wird dieses wundervolle, zauberhafte Baby sein, das zu uns kommen sollte.«
»Marnie.«
»Was?«
»Könntest du … einfach aufhören? Bitte.«
Nachdem er eingeschlafen ist, liege ich noch eine ganze Weile mucksmäuschenstill da, und ich muss zugeben: Ich betrachte den Vollmond durch die gewellte Fensterscheibe und stelle mir vor, wie all die kleinen Spermien auf meine hoffnungsfrohe, geduldige kleine Eizelle zuschwimmen, die zweifellos hoch- und runterhüpft und sie anfeuert. »Du hast es geschafft!«, ruft sie. »Du bist durchgekommen! Beeil dich! Wir haben so viel zu tun! Ich fange direkt an und zeichne die Entwürfe für ein paar Arme und Beine und einen Herzschlag. Aber zuerst – Einnistung, los geht’s!«
Das Universum hat so viele Tricks auf Lager.
Und dann strecke ich die Hand in Richtung Decke aus. Es könnte sein, dass sich ganz dort oben in der Ecke gerade ein winziges bisschen Nebel bildet. Ist das Blix, die auf uns herunterlächelt? Blix, die von Anfang an wusste, dass wir füreinander bestimmt sind.
Sie hatte ein Mantra, das sie mir geborgt hat. Ich sage es mir wieder und wieder vor:
Liebe, was auch immer passiert.
Um neun Uhr morgens tigert Patrick, der schon seit halb fünf wach ist, durch das Wohnzimmer und ist kurz vorm Hyperventilieren. Gerade ist die Haustür hinter Marnie ins Schloss gefallen, die sich fröhlich singend und mit wehendem Rock auf den Weg zur Arbeit macht. Zuvor hat sie sich in der Küche zu ihm heruntergebeugt und ihm das Haar zerzaust, bevor sie ihn erst auf die kaffeegetränkten Lippen, dann auf die Nase und schließlich auf die Ohrläppchen küsste. Das komplette Glücksprogramm.
Wahrscheinlich sollte er lieber mal nach einer Papiertüte suchen, in die er hineinatmen kann, bevor er hier gleich umkippt.
Hat er sie heute Nacht geschwängert? Ja, oder? Bei seinem Glück auf jeden Fall. Er sollte dem Kondomhersteller einen Brief schreiben. Sie sollten sich schämen, so ein dämliches, fadenscheiniges Latexprodukt herzustellen. Wo bleibt der Stolz auf Ihre Arbeit? Sind Ihnen die Menschen total egal, denen nicht erlaubt sein sollte, sich fortzupflanzen?
Stattdessen setzt er sich einfach an den Tisch, den Kopf in die Hände gestützt. Patrick, denkt er. Du bist der weltgrößte Idiot. Sie will ein Baby, und Junge, du weißt ganz genau, dass sie die ganze Welt in MAGIE hüllen wird, bis sie es bekommt.
O Gott, er ist so was von dem Untergang geweiht. Er liebt sie so sehr, aber er ist absolut kein Vatermaterial. War es noch nie und wird es niemals sein. Er hat noch nie im Leben ein Baby gesehen und gedacht: Wow, ich wünschte, ich hätte dieses Kind gezeugt! Wie komme ich bloß an einen von diesen zahnlosen Sabberschmatzern heran? Wie gerne würde ich ausprobieren, ob ich die nächsten achtzehn Jahre mit vier Stunden Schlaf pro Nacht auskomme.
Aber er war schon öfter dabei, wie Marnie irgendwo draußen mit kleinen Babys herumgeschäkert und gegurrt hat, und er bekommt natürlich mit, wie sie von denen schwärmt, die in ihren Laden kommen. Einmal hat er verblüfft ihrer detaillierten Beschreibung eines Babys zugehört, das sich eine Banane ins eigene Ohr schmierte. Dabei hat sie so sehr gelacht, dass sie kaum die Geschichte fertig erzählen konnte. Was also hat er sich vorgemacht? Hat er wirklich geglaubt, dieses Thema würde nie aufkommen? Dass sie ihn nie über den Tisch hinweg mit ihren großen Augen ansehen und ihn mit bebender Stimme anflehen würde, ihr ein Baby zu machen? Dass er nie mit der unbequemen Antwort »Nein« herausrücken müsste?
Und dann reißt in derselben Nacht das Kondom?
Er sieht zu Bedford und Roy hinüber, ihrem Hund und seinem Kater, die sich gemeinsam für ihr allmorgendliches Nickerchen auf dem Teppich zusammengerollt haben. Zwischen ihnen hat sich eine ungewöhnliche Freundschaft entwickelt, nachdem Patrick aus seiner Kellerwohnung in die oberen Etagen zu Marnie gezogen war. Sie haben sogar ihren eigenen Instagram-Account, auf dem sie ihr zwischenartliches Kuscheln zeigen, @BedfordlovesRoy. Aber so niedlich sie auch sind – als Babyersatz taugen sie anscheinend nicht.
»Jungs«, sagt er zu ihnen, »ich würde euch gerne glauben, dass ihr alles gegeben habt, aber ich fürchte, ihr seid nicht mal ansatzweise rangekommen.« Roy macht sich natürlich gar nicht erst die Mühe zu antworten, aber Bedford wedelt mit dem Schwanz. »Nein. Spar dir das Wedeln. Keiner von uns hat genug dafür getan, sie davon abzuhalten, ein Kind zu wollen. Keiner von uns.«
Er reibt sich das Gesicht. Er muss sich zusammenreißen. Duschen, den Kaffee durch Wasser ersetzen, anfangen zu arbeiten. Vielleicht lenkt ihn die Arbeit von der ganzen Situation ab – falls er überhaupt etwas zustande kriegt, natürlich. Eigentlich hatte er vor, aus sich einen Maler zu machen, nachdem der Brand damals seiner Karriere als Bildhauer ein Ende bereitet hatte. Zumindest war das der Plan. Bisher hat er noch nicht viel geschafft. Die Wahrheit ist: Er ist ein beschissener Maler.
Letztes Jahr haben Marnie und er sogar eine der Wohnungen im Haus in ein Studio für ihn verwandelt, nachdem er beschlossen hatte, nun mental stabil genug zu sein, um wieder Kunst zu machen. Wegen seiner verletzten Hände keine Skulpturen, aber er sollte es hinkriegen zu malen. Tatsächlich hat Marnie die Entscheidung für ihn getroffen. Sie hat dafür gesorgt, dass die Mieter, die dort wohnten, auszogen – sie brauchten sowieso etwas Eigenes, sagte sie –, und dann haben sie zu zweit die Zimmer leer geräumt, die Wände gestrichen und Regale für seine Materialien aufgebaut. Künstlertische. Staffeleien. Lampen. Einen Futon. Es wurde sein eigenes Reich mit dem perfekten Licht, das durch die nach Norden ausgerichteten Fenster fällt.
Anders, ganz anders, als das Studio davor.
Dasjenige, das abbrannte.
Seine Gedanken beschäftigen sich kurz mit Anneliese, wie immer, wenn er an irgendetwas denkt, das mit jenem Tag zu tun hat. Er sieht sie vor sich, wie sie zu ihm hochschaut, das Licht auf ihrem Gesicht, und ihn verschmitzt anlächelt.
Heute schreit sie nicht wie sonst, wenn ihr Gesicht vor seinem geistigen Auge auftaucht.
Er überlegt kurz, ob er und Anneliese jemals über Kinder geredet hattnn. Er kann sich nicht erinnern. Aber sie waren auch noch jung gewesen, also war ihnen das Thema wahrscheinlich einfach noch nicht in den Sinn gekommen. Vielleicht wäre es das früher oder später. Und vielleicht hätte er damals tatsächlich ein Vater sein können, wenn sie das gewollt hätte.
Aber jetzt. Nein. Es gibt eine Million hieb- und stichfester Gründe, warum er kein Kind haben will, Gründe, denen jeder zustimmen würde, der auch nur einen Funken Verstand im Leibe trägt.
Nummer eins: Er sieht gruselig aus. Kinder erschrecken sich vor ihm. Eines seiner Augen sieht aus, als wäre es schief eingebaut worden, und darüber hinaus ist seine Gesichtshaut gespannt und glänzend, das Ergebnis der dreizehn Operationen, die er über sich hatte ergehen lassen müssen. Sein Mund ist schief, sein Kiefer nicht mehr symmetrisch.
Nummer zwei: Selbst wenn das Baby sich irgendwann an sein seltsames Aussehen gewöhnt haben sollte (was vermutlich möglich ist, schließlich können sich Menschen an alles gewöhnen), müsste er ständig mit ihm in die Öffentlichkeit, zuerst mit dem Kinderwagen, denn er ist sich ziemlich sicher, dass es irgendein Gesetz gibt, das von Eltern verlangt, ihre Babys von Zeit zu Zeit zu lüften, und später müsste er sich auf Spielplätze schleppen und jeden verdammten Tag solche Szenen ertragen wie die gestern im Park, als er sowohl ein Kleinkind als auch ein Baby mit seiner sonderbaren Erscheinung fertiggemacht hatte.
Nummer drei – und das ist wahrscheinlich das Schlimmste von allem: die wohlmeinende Öffentlichkeit. Gott, wie er es hasst, als Beispiel für die Lektion »Warum es wichtig ist, höflich zu Unnormalen zu sein« herangezogen zu werden. (Oder was ist heutzutage die politisch korrekte Bezeichnung dafür? Atypisch? Wahrscheinlich. Atypisch.) Er kann sich die wohlmeinende Lehrerin seines Kindes schon bildlich vorstellen, wie sie in einem süßen Singsang zu ihrer Klasse voller Monster sagt: »Kinder, Mr. Delaney kann nichts dafür, dass er potthässlich und so atypisch ist. Aber wir, die Schönen und Unversehrten, müssen höflich zu ihm sein, weil er immer noch ein Mensch ist. Wir müssen tolerant sein und so tun, als wäre er wie wir.«
Nein, nein, nein, nein und NEIN.
Marnie kapiert das alles natürlich nicht. Sie findet ihn strahlend. Sagt, dass ihn niemand so sehe, wie er sich selbst sieht. Dass er nicht mal wisse, wie er wirklich aussieht, dass er wunderschön sei, was natürlich totaler Blödsinn ist, eine Lüge, die sie erzählt, weil sie ihn liebt – eine Tatsache, die er in tausend Jahren nicht verstehen wird. Wie es passieren konnte, dass sie sich in ihn verliebt hat. Anscheinend hatten Blix’ Kuppeleien etwas damit zu tun. Marnie glaubt, dass Blix, die ihm die Souterrainwohnung vermietet hat, lange bevor sie überhaupt wusste, dass Marnie existiert, irgendwie die Liebesgeschichte zwischen ihnen arrangiert habe. Er ist sich nicht sicher, ob er irgendetwas davon wirklich glauben soll. Aber egal. Spielt jetzt keine Rolle mehr. Er liebt sie. Und fühlt sich als Teil eines Paares endlich wieder wohl.
Seltsamerweise haben sie gar nicht so viel gemeinsam. Zum einen trägt sie ungefähr zehnmal so viele Emotionen in sich wie er – sie weint und lacht und seufzt und lächelt und gähnt und meckert und springt für eine spontane Tanzeinlage von der Couch auf – und jeder dieser Gefühlsausbrüche überrascht ihn, wenn er angerollt kommt, jedes Mal aufs Neue. Wer hat so viel Energie für so viele Gefühle?
Tatsache ist, dass er, wenn er mit Marnie zusammen ist, Annelieses Schreie aus seinem Kopf verbannen kann. Jedenfalls zum Großteil. Er schafft es sogar, fast daran zu glauben, was landläufig so gesagt wird: dass jeder irgendeine tragische Geschichte mit sich herumträgt und dass man diese tragische Geschichte nehmen und tief unten im Komposthaufen seines Herzens vergraben soll, bis sie irgendwann Früchte trägt und dafür sorgt, dass etwas Neues entstehen kann. Darüber hinaus weiß Patrick, dass er wieder im Leben angekommen ist und dass zuerst Blix und dann Marnie ihn ein gutes Stück des Weges getragen haben.
Aber die Sache ist: Er ist jetzt so weit im Leben gekommen, wie es ihm möglich ist. Mehr geht nicht. Diese Baby-Sache – nein, nein. Nein. Definitiv nicht.
Denn er weiß, was Marnie nicht zu verstehen scheint – dass er tief im Inneren noch immer kaputt ist. Seine Freundin ist vor seinen Augen gestorben, und damals wie heute weiß er genau, dass es seine Schuld war.
Er durchlebt all das jeden Tag aufs Neue – das Geräusch der Explosion, Anneliese, die sofort komplett in Flammen stand. Und er erinnert sich daran, wie er sie anstarrte, während sein Gehirn versuchte, all das irgendwie zusammenzusetzen, und daran, wie er in Zeitlupe auf sie zu rannte, die Arme ausstreckte, um sie aufzufangen. Ihre Schreie – er konnte sie eher schreien sehen als hören – und ihre langen schwarzen Haare, die eine einzige Stichflamme waren. Er erinnert sich daran, wie er merkte, dass er selbst in Flammen stand, auch wenn er in dem Moment überhaupt nichts spürte, und dann fiel er, und ihm wurde schwarz vor Augen, und die Schwärze ersetzte den orangefarben leuchtenden Feuerball, der sich in seine Netzhaut gebrannt hatte.
Niemand hat das jemals zu ihm gesagt – weder die Feuerwehr noch die Ärzte noch die Therapeuten, die versuchten, ihm zu helfen –, aber Patrick weiß genau, dass er es hätte verhindern müssen, dass er einfach nicht aufgepasst hatte, als er es hätte tun müssen. Warum war ihm der Gasgeruch nicht aufgefallen? Warum war nicht er an diesem Tag aufgestanden, um Kaffee zu machen, anstatt Anneliese? Warum hatte nicht er den Funken ausgelöst, der zur Explosion geführt hatte? Meistens hatte tatsächlich er morgens Kaffee gekocht, während sie ihre Staffelei aufstellte, aber an diesem Tag, an dem es wirklich wichtig gewesen wäre, wo war er da gewesen? Auf der anderen Seite des Raumes, mit irgendeiner dämlichen Sache beschäftigt, an die er sich nicht mehr erinnert, für eine Skulptur, die nie fertiggestellt werden würde.
Also muss er mit Annelieses Schreien leben. Sie sind der Preis, den er für seine Taten bezahlen muss.
Und was noch schlimmer ist: Er hätte ihre Eltern anrufen müssen – Grace und Kerwin Cunningham gehören zu den nettesten Menschen, die er je kannte, und er war dabei, als ihre Tochter starb. Und doch war er nicht dazu in der Lage gewesen, ihnen gegenüberzutreten. Als Anneliese beerdigt wurde, lag er im Koma. Später hatte er einen Brief von Grace erhalten, einige wenige Sätze, die ausdrückten, wie todunglücklich und am Boden zerstört sie war. Sie schrieb darin nicht explizit, dass es seine Schuld gewesen sei, aber er ist sich bis heute sicher, dass sie es denkt.
Das Ganze ist jetzt acht Jahre her, und noch immer tut er weiterhin jeden Tag das Falsche, indem er sich versteckt. Ihre Handynummer steht auf einem Zettel in dem Karton, mit dem er ein paarmal umgezogen ist. Ein- oder zweimal hat er tatsächlich die ersten paar Zahlen ins Telefon eingegeben und dann wieder aufgelegt.
Und jetzt ist da diese Frau in seinem Leben, die Funken sieht und für die jede Geschichte eine Liebesgeschichte ist. Er muss sehr, sehr vorsichtig sein und darf nicht noch einmal sein gesamtes Herz aufs Spiel setzen. Er liebt sie, aber er muss etwas zurückhalten. Er könnte auch sie verlieren.
Sein Handy piepst, und er nimmt es in die Hand, um auf das Display zu schauen.
Eine Textnachricht von Marnie.
OMG! Ich habe 15 Babys gesehen, seit ich das Haus verlassen habe. FÜNFZEHN ENTZÜCKENDE KLEINE MINI-MENSCHLEIN!
Er ist sich ziemlich sicher, dass das keine übertrieben hohe Zahl ist, nicht für Brooklyn an einem Sommertag. Anstatt zu antworten, seufzt er und googelt: »Wie oft reißen Kondome?«
Google antwortet unverzüglich, dass Umfragen zufolge zwischen ein und vierzig Prozent aller Männer schon einmal einen Kondomunfall erlebt haben.
Sehr hilfreiche Statistik, Google. Das kannst du dir auch sparen.
Er gibt ein: »Kann man schwanger werden, wenn das Kondom reißt?«
Google sagt: Natürlich. Wie blöd bist du, bitte? Lebst du hinterm Mond?
Okay, natürlich ist das nicht die wortwörtliche Antwort von Google, aber Patrick kann sich bildlich vorstellen, wie es angesichts dieser dämlichen Frage in sich hinein kichert.
Bedford kommt mit einem von Patricks Turnschuhen herüber und lässt ihn ihm in den Schoß fallen. Zeit für einen Spaziergang.
Als sie das Haus verlassen, sagt Patrick zu dem Hund: »Ab heute gilt eine neue Regel. Wir gehen nicht in den Park und auch nicht in die Nähe von Kindern.«
Sein Handy piepst. Marnie.
Ach so, Patrick, nur zur Info, ich glaube, wir erleben gerade eine INVASION VON SÄUGLINGEN. Irgendwo muss es einen Laden geben, der sie an die Leute verteilt. #KinderSindToll #Babyalarm #SogarZwillinge
Er bleibt an einer Straßenlaterne stehen und schreibt: Pass auf dich auf. Anscheinend bist du in eine Szene von »Die Nacht der lebenden Toten« mit Babys anstatt Zombies hineingeraten. Lauf lieber so schnell du kannst. So viel steht fest: Sie ESSEN dein Gehirn.
»Ehrlich gesagt«, sagt er zu Bedford, der zustimmend mit dem Schwanz wedelt, »haben sie ihr Gehirn schon gegessen.«
Kennt ihr dieses Phänomen? Ihr habt euch gerade ein neues Auto gekauft, und plötzlich seht ihr überall nur noch exakt dieses Fahrzeugmodell auf der Straße?
Genau so geht es mir heute mit Babys.
Auf dem Weg zur Arbeit begegnen sie mir überall. Sie liegen in Kinderwagen, werden in Tüchern und auf Hüften getragen, und einige von ihnen sitzen bei ihren Vätern auf den Schultern und benutzen deren Köpfe als behelfsmäßige Bongotrommeln. Oh, ich sehe Patrick deutlich vor mir mit so einem Baby auf den Schultern. Beide lächeln auf mich herunter, das Baby mit einem zahnlosen Grinsen, während es nach Daddys Ohren grabscht, und Patrick lacht.
Ich muss ihm noch eine Nachricht schreiben.
Das muss ein Zeichen sein. All diese Babys. Ich habe soeben Nummer 16 gesehen. Das süßeste bisher!
Das beweist, dass das Universum anscheinend auf meiner Seite ist, was das Kinderkriegen betrifft. Zuerst hat es ein vollkommen intaktes Kondom zerstört, und jetzt sorgt es dafür, dass ich all diesen zuckersüßen Babys und ihren Eltern begegne.
Sobald ich das Best Buds betrete, schaut Kat, meine Geschäftspartnerin, von der Theke hoch, wo sie gerade die toten Stiele an den Blumen von gestern abschneidet. Sie ruft: »Oh mein Gott! Schau dich nur an! Er hat angebissen, oder? Du strahlst ja richtig! Ich wette, du bist schon schwanger!«
