Liebeskummer und Lavendelduft - Carola Käpernick - E-Book

Liebeskummer und Lavendelduft E-Book

Carola Käpernick

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Beschreibung

Als Odile die Tragik ihres Schicksals erfasste, raffte sie gerade die letzten Lavendelzweige dieses Sommers zusammen. Bernard, dem sie ihre Gefühle nie gestanden hatte, stiefelte zielsicher und eilig davon, in seine frisch "getraute" Zweisamkeit mit Jeannine. Ihr alter Schulfreund und treuer Helfer in der Not, hat nun also Jeannine geheiratet. Dieses alberne Huhn, das sogar jetzt noch mit Mitte zwanzig, kicherte wie ein Teenager. Was er nur an ihr fand? Hätte sie sich ihm auch so dämlich lachend an den Hals werfen sollen, damit Bernard merkt, dass Odile ihn, bereits seit dem Le Collège anhimmelte? Aufdringlichkeit und Lautsein entsprachen nicht ihrem Naturell und ehe sie sich auf so ein Niveau herunterließ, blieb sie lieber ungesehen und steckte diesen Seitenhieb des Schicksals ein. Auch wenn sie sich zeitweise ihrem Ziel immer mal wieder sehr nah gefühlt hatte. Ein kurzer Anflug von Wut über sich selbst, wollte Odile veranlassen, den Lavendel einfach hinzuschmeißen. Doch der Lavendel konnte nichts für Odiles Zurückhaltung. Und es genügte vollkommen, dass sie ihr Liebesleben ruinierte. Es tat nicht not, dass Odile ihre Lebensgrundlage mit Füßen trat. Also atmete sie einmal tief durch, strich die Zweige zärtlich glatt und legte sie in den Erntekorb. Es war Zeit, Feierabend zu machen und sich um das Essen zu kümmern. Heute Abend sollte ein Gast anreisen. Ein Gast, der ihr Leben auf den Kopf stellen und ihr Herz erobern wird. Henri ist Reisebuchautor und recherchiert auf Odiles Lavendelfarm zum Thema Work&Travel in der Lebensmitte. Abgesehen von dem Auftrag, findet er auch die räumliche Distanz zu seiner Familie ganz vorteilhaft. Doch eines Tages sitzen Oma Liesel und der demente Opa Werner in Odiles Küche. Die Großmütter verbünden sich, um dem Glück der beiden auf die Sprünge zu helfen.

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Seitenzahl: 190

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Liebeskummer und Lavendelduft

Carola Käpernick

Impressum

Texte: Carola Käpernick

Umschlaggestaltung: Carola Käpernick

Bildquelle Pixabay und eigenes Foto

Verlag: Selbstverlag über Epubli

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Gewidmet

meiner Mutter (*1928 - 2006)

die Liebesromane besonders gern las,

und mir die Freude an Büchern,

vererbt hat.

Odile

Als Odile die Tragik ihres Schicksals erfasste, raffte sie gerade die letzten Lavendelzweige dieses Sommers zusammen. Bernard, dem sie ihre Gefühle nie gestanden hatte, stiefelte zielsicher und eilig davon, in seine frisch »getraute« Zweisamkeit mit Jeannine. Ihr alter Schulfreund und treuer Helfer in der Not, hat nun also Jeannine geheiratet. Im Urlaub und heimlich. Sie war die Erste aus dem Ort, die es erfuhr. Jeannine, dieses alberne Huhn, das sogar jetzt noch mit Mitte zwanzig, kicherte wie ein Teenager. Was er nur an ihr fand? Hätte sie sich ihm auch so dämlich lachend an den Hals werfen sollen, damit Bernard merkt, dass Odile ihn, bereits seit dem Le Collège anhimmelte? Aufdringlichkeit und Lautsein entsprachen nicht ihrem Naturell und ehe sie sich auf so ein Niveau herunterließ, blieb sie lieber ungesehen und steckte diesen Seitenhieb des Schicksals ein. Auch wenn sie sich zeitweise ihrem Ziel immer mal wieder sehr nah gefühlt hatte.

Ein kurzer Anflug von Wut über sich selbst, wollte Odile veranlassen, den Lavendel einfach hinzuschmeißen. Doch der Lavendel konnte nichts für Odiles Zurückhaltung. Und es genügte vollkommen, dass sie ihr Liebesleben ruinierte. Es tat nicht not, dass Odile ihre Lebensgrundlage mit Füßen trat. Also atmete sie einmal tief durch, strich sie die Zweige zärtlich glatt und legte sie in den Erntekorb. Es war Zeit, Feierabend zu machen und sich um das Essen zu kümmern. Heute Abend sollte ein Gast anreisen.

Odile vermietete zwei Zimmer und drei kleine Appartements an Gäste, die entweder voll bezahlten und Urlaub machten, oder gegen Mithilfe, günstiger hier wohnen konnten. Viele Tätigkeiten konnten Helfer nach kurzer Einarbeitung übernehmen. Das nutze Odile gern. Sie fand dieses Konzept toll und seit sie sich auf der Plattform „La France Agricole“ präsentierte, hatte sie schon viele Anfragen. Die meisten bleiben ein paar Wochen. Heute reiste ein Mann aus Südbaden an, der wollte neun Monate bleiben. Seine wichtigsten Fragen waren: Gibt es WLAN oder gutes Internet. Er hat zwar angegeben, dass er hilft, aber Odile hatte bei derartigen Voranfragen so ihre Bedenken.

Sie rief ihren Hund heran. Madame Lavande, eine amerikanische Cocker Spaniel Hündin, streifte den ganzen Tag mit ihr durch die Felder. Manchmal legte sie sich unter den Anhänger, den Odile an ihrem Fahrrad hatte und schlief, während sich Odile ihrer Arbeit widmete. Dort standen auch immer die Näpfe mit Wasser und etwas Trockenfutter. Lavande wusste, dass sie draußen nichts fressen darf, außer aus ihrem Napf. Damit sie das nicht vergaß, stellte Odile auch immer etwas hin. Aber Lavande war sehr eigen, was ihre Ernährung anging und Trockenfutter war deutlich unter ihrer Würde. Während der Hund heranwedelte und sich freute, dass es nach Hause ging, sammelte Odile alles ein, stellte es in ihren Anhänger und fuhr los. Madame Lavande lief nebenher.

Als der Lavendel versorgt war und Madame ihr Frischfutter gierig verschlang, suchte sich Odile die Zutaten für eine Ratatouille heraus. Das ging schnell und kochte vor sich hin, während sie die letzten Handgriffe im Appartement erledigte. Anreisen waren nie termingerecht zu planen, so dass sie solche Anlässe immer nutzte, um sich mit ihrem Laptop in ihre schöne Landhausküche zu setzen und ihre Fotos zu sortieren. Wenn Odile nicht arbeitete, fotografierte sie. Die Gegend, ihren Lavendel, ihre Produkte. Entsprechend gab es immer Bilder, die bearbeitet werden mussten oder sollten. Außerdem sortierte sie die Fotos auch nach Qualität und benannte die, von hervorragender Qualität eindeutig, so dass sie nicht lange suchen musste, wenn sie ein Bild brauchte. Die digitale Fotografie hatte definitiv auch Nachteile. Die Vielzahl an Bildern ließ wild drauf los knipsen. Das gewöhnte Odile sich gerade wieder etwas ab. Sie wollte vorher schon mehr aufs Motiv achten und die Komposition so in Szene setzen, dass sie keine 300 Dateien hatte, die sie dann nach winzigen Unterschieden absuchen musste, um das Beste auszuwählen. Ein weiterer Nachteil war die automatische Benennung der Bilder. DCIM3689 – wie sollte man denn so ein Bild finden, wenn man es suchte? Kein Mensch merkt sich die Zahlen. Also mussten die Fotos so schnell wie möglich einen Namen bekommen, der ihr auch in zwei Jahren noch etwas sagte. Diese Arbeit war etwas stupide, konnte aber jederzeit unterbrochen werden. Daher widmete sie sich dem jetzt, während Madame Lavande in ihrem Körbchen scharrte, um die richtige Liegeposition zu finden.

Im Hintergrund lief das Radio. Der Verkehrsfunk meldete keine großen Staus in der Gegend. Ihr Gast hatte ca. 800 Kilometer zu fahren. Eigentlich wollte er sich melden, wenn er abschätzen konnte, wann er ankommt. Bisher kam keine Nachricht von ihm. Odile neigte nicht zur Schwarzmalerei und verschwendete keinen Gedanken an Unfälle oder andere Reisewidrigkeiten. Wenn sie Glück hatte, schaffte sie, die Bilder der letzten 4 Wochen durchzusehen. Routinemäßig legte sie ihre Ordner an, in die ihr Dateien einsortiert werden sollten. Aussortiert – für die qualitativ guten, aber nicht herausragenden Bilder. Gute – für die Motive, die sie schön fand und die von sehr guter Qualität waren und Favoriten – für außergewöhnlich gute Bilder. In jedem dieser drei Ordner wurden Unterordner angelegt. Lavendel, Madame (ihr Hund war nach dem Lavendel, eines der meistgeknipsten Motive), Produktfotos, Sonstiges. Dann ging sie in der Vorschau die Fotos durch und entschied, was mit dem jeweils angezeigten Bild passieren sollte. Einige löschte sie sofort. Es hatte keinen Sinn, Fotos zu speichern, die nicht gefielen. Niemand schaute sich später noch digitale Bilder an. Und Odile sowieso nicht. Sie suchte manchmal gezielt einige heraus, wenn sie ihre Webseite pflegte oder der Tourismusverband wegen neuer Motive anfragte.

Nach gut zwei Stunden klappte sie ihr Laptop zu. Alle Dateien waren sortiert und benannt und sie hatte vier Favoriten gefunden. Eine Makroaufnahme von Bienen, die um eine Lavendelblüte herumschwirrten, ein Foto von Madame Lavande, die neugierig auf einen kleinen Hasen starrte. An den Schnappschuss konnte Odile sich noch sehr gut erinnern. Madame war so fasziniert von dem kleinen Tier, dass sie stehen blieb und es staunend betrachtete. Glücklicherweise ist es Odile gelungen, ihrem Hund das Jagen komplett abzutrainieren. Es gab kein Tier, das in Gefahr war, wenn Lavande herumstreifte. Selbst wenn es weglief. Madame jagte nur das quietschende Gummischwein ihrer Reizangel. Zwei Aufnahmen von der Gegend waren auch noch in die besondere Schatzkiste gekommen. Bei einem Ausflug hat sie das Dorf Roussillon in einem so tollen Licht erwischt, dass der ohnehin stark ausgeprägte Rotton ganz zauberhaft in Szene gesetzt wurde. Der Ort wirkte magisch und das Rot strahlte pure Faszination aus. Vermutlich würde niemand glauben, dass das Bild noch nicht nachbearbeitet wurde. Das Vierte im Bunde war ein toller Einblick in eine Gasse in Gordes, die den provenzalischen Lebensstil so lebendig transportierte, dass man beim Anschauen das Gefühl bekommt, in dieser Gasse zu stehen. Sie war zufrieden, mit der Auswahl und mit dem, was sie geschafft hatte. Langsam wurde sie allerdings ungeduldig, was ihren Gast anging. Sie kontrollierte noch mal alle Kontaktwege, auf eine Nachricht. Nichts.

Ein Knurren ließ Odile aufschauen. Doch Madame Lavande schlief ruhig atmend auf ihrem Platz. Das muss wohl ihr Magen gewesen sein. Hunger! Odile hatte inzwischen auch richtig Hunger. Aber sollte sie jetzt wirklich alleine essen? Sie mochte es, ihre Helfer mit einem gemeinsamen Essen zu begrüßen. Es war einfach schöner, sich beim Essen kennenzulernen, als sich einfach nur so am Tisch gegenüber zu sitzen. Gerade entschied sie, sich eine kleine Portion zu nehmen, als Madame Lavande den Kopf hob und lauschte. Auch Odile hörte ein Auto vorfahren. »Na toll, Absprachen sind wohl eher nicht so sein Ding.«, dachte sich Odile und ging hinaus.

Henris Anreise

Ein leuchtend blauer Peugeot kam blubbernd zum Stillstand. Direkt vor ihrer Tür, wo sie eigentlich nur ungern ein Auto zu stehen hatte. Und schon gar nicht eins, das so klang, als wenn es gerade den letzten Tropfen Kraftstoff verbraucht hatte. Hoffentlich ist dieser Start kein Omen, dachte sich Odile. Ein junger Mann, vielleicht Anfang dreißig, stieg aus.

»Ongrieh-Olè Ochmuth – das sind sie?«

»Ja. Entschuldigung, dass ich mich nicht gemeldet habe. Mein Akku war leer und ich habe kein Ladekabel fürs Auto. Henri-Ole Hochmuth aus dem schönen Südbaden.«

»Odile Legay. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Möchten Sie schnell ihr Auto hinüber zum Gästehaus fahren? Dann können wir direkt Essen, bevor Sie alles ausladen.«

Henri setzte sich wieder ans Steuer und unerwarteterweise sprang der Peugeot ohne Probleme an. »Ok, dann ist es ja vielleicht doch nicht so chaotisch, wie es schien.« Odile war erleichtert und wies ihm einen guten Standplatz zu. Sie zeigte ihm das Appartement und ließ ihn dann allein. Die Zeit, in der er sich frisch machte, wollte sie nutzen, um den Tisch zu decken und die Ratatouille noch einmal richtig heiß werden zu lassen.

In der Küche schaute Madame Lavande sie erwartungsvoll an. »Wo ist der Gast?«, schien ihr Blick zu fragen. »Geduld Madame, du wirst ihn gleich kennenlernen.« Odile, die mit ihrem Hund alleine wohnte, unterhielt sich oft mit Lavande. Allerdings kam ihr gerade der Gedanke, dass der junge Mann, der soeben eingetroffen war, das vielleicht für etwas sonderbar halten würde und nahm sich vor, etwas darauf zu achten, wie sie sich verhielt. Schnell war alles fertig und der Tisch, an dem sie eben noch die Bilder auf dem Laptop sortiert hatte, sah einladend aus. Am aufgeregten Gehabe ihrer Madame, merkte Odile, dass ihr Gast auf dem Weg war. Es klopfte.

»Kommen Sie herein, Sie müssen müde sein von der Fahrt und hungrig.«

»Eigentlich nicht. Jedenfalls nicht müde. Das ist sicher noch die Aufregung der Fahrt. Was den Hunger angeht, so muss ich sagen, dass dieser Duft hier gerade richtig Appetit macht. Es ist wirklich sehr lieb, dass Sie extra für mich gekocht haben. Dankeschön.« Natürlich hatte Madame Lavande sich inzwischen bemerkbar gemacht und wurde nun ebenfalls begrüßt. »Ja wen haben wir denn hier. Was bist denn du für ein hübsches Tier. Hast du auch einen Namen?« Odile war amüsiert. So wie er mit Madame sprach, musste er auch einen Hund haben.

»Madame Lavande, heißt sie. Sie spricht leider nicht selbst.« Ein erstes gemeinsames Lachen, nahm die Anspannung. Henri knuddelte den Hund richtig durch, so dass dieser ein wohliges Brummen von sich gab. Als er aufstand, sah er sich um. Odile wies mit dem Kopf zur Badtür und hatte den suchenden Blick richtig gedeutet. Ihr Gast wusch sich die Hände und setzte sich mit einem offenen Lächeln an den Tisch.

»Hmmmm Ratatouille. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so etwas leckeres gesehen habe.«

»Warten sie ab, vielleicht schmeckt es ja auch gar nicht.« Scherzte Odile.

»Wie kann etwas, was so köstlich duftet, nicht schmecken? Das geht ja gar nicht.«

Odile füllte die Teller und wünschte einen guten Appetit.

»Bon Appetit!« Erwiderte Henri und schlürfte auch schon seinen ersten Löffel leer. »Ein Gedicht! Und genau das Richtige nach so einer langen Fahrt. Lecker, aber nicht zu schwer. Vielen Dank noch einmal fürs Kochen.«

»Gerne. Lief die Fahrt denn gut?« Odile versuchte ihren Gast, durch ein freundliches Gespräch willkommen zu heißen und ihm die Scheu zu nehmen, aber auch ihre eigene zu überspielen. Denn Ongrieh-Olè Ochmuth sah nicht nur verdammt gut aus. Er war höflich, offen und bei aller Skepsis im Vorfeld, er wirkte zuverlässig und motiviert. Es war Odile eine Freude, dass es ihm schmeckte und er um einen Nachschlag bat.

»Wie sieht denn der übliche Tagesablauf hier aus und wie werden meine Aufgaben genau aussehen?« Henri fragte interessiert und strahlte eine gewisse Vorfreude auf die Arbeit aus.

»Wann wir anfangen, hängt immer von den Arbeiten ab, die zu erledigen sind und natürlich auch vom Wetter. Wenn es draußen im Morgentau zu feucht ist, können wir eigentlich auf den Feldern gar nichts machen, außer Setzlinge zu schneiden, was auch in ein paar Tagen auf dem Plan steht. Dann arbeiten wir in den Laboren, den Küchen oder im Lager. Die Blüten müssen von den Stielen entfernt werden. In verschiedenen Bereichen werden Kosmetik oder auch Lebensmittel hergestellt. Streng voneinander getrennt natürlich. Ich habe gedacht, dass Sie morgen erst einmal in Ruhe ankommen und sich umschauen. Um Zehn können wir uns treffen und ich führe Sie einmal durch alle Bereiche, stelle meine Mitarbeiter vor und erkläre die Aufgaben. Mir ist es wichtig, dass die Zeit hier auch mit schönen Erinnerungen verbunden sein wird. Wenn Ihnen eine Arbeit gar nicht zusagt, müssen Sie die auch nicht machen. Es soll hier ein nettes Miteinander sein und keine Sklaverei. Mein Team ist sehr offen und freundlich. Bisher wurde jeder herzlich aufgenommen und manchmal entwickelten sich sogar Freundschaften zwischen einigen Mitarbeitern und Gästen.«

»Das klingt toll. Ich freue mich auf die Führung und bin gespannt, was ich alles hier lernen kann. Dass das Team toll ist, steht außer Frage, bei so einer sympathischen Chefin.«

Odile errötete bei dem Kompliment, freute sich aber aufrichtig. Henri wirkte auch nicht, als wenn er sich einschleimen wollte. Er meinte wohl ernst, was er sagte. Das war wie Balsam auf die Seele, die noch in der Trauerarbeit um die unerwiderten Gefühle zu Bernard feststeckte.

Nach anderthalb Stunden verabschiedeten sich Odile und Henri. Madame Lavande wurde zum Abschied noch einmal kräftig von Henri geflauscht. Dabei sprach er mit ihr, wie Odile es oft tat und Odiles Bedenken, dass er es merkwürdig fände, waren ausgeräumt. Zumindest war sie dann nicht merkwürdiger wie Henri selbst.

Odile und Bernard

Odile blieb mit ihren Gedanken an Bernard allein, setzte sich mit einem Glas Lavendelwein in ihren Lieblingsstuhl und ließ diese unglückselige Liebesgeschichte Revue passieren.

Bernard hat sich aus dem kleinen schüchternen Blondschopf, der er in der Grundschule war, mit der Zeit zu einem echten Mädchenschwarm entwickelt. Das ist natürlich nicht nur Odile aufgefallen. Aber ihr scheinbar ganz besonders. Denn sie trug sich, seit sie 16 war, mit dem Wunsch, mit Bernard zusammen zu kommen. Und sogar davor hat sie schon für ihn geschwärmt. Anfangs nicht so intensiv, aber sie war gern in seiner Clique und mochte es, wie er ihren Namen aussprach. So weich.

Später wollte sie wissen, wie er sich anfühlte, träumte davon, wie sie sich küssen und zusammen sind. Zeitweise hatte sie sogar den Eindruck, dass Bernard diesen Wunsch teilte. Er war so hilfsbereit und lächelte immer, wenn Odile und er zusammentrafen. Natürlich lud sie ihn zu ihrer legendären Geburtstagsfeier ein, die komplett ohne Eltern und Aufpasser gefeiert wurde. Ihr Achtzehnter! Hier wollte sie aufs Ganze gehen. Nun ja – er hat kürzlich Jeannine geheiratet und Odile bis heute nicht ein einziges Mal geküsst. Aufs Ganze zu gehen, ging wohl anders. Heute weiß Odile das auch. Sie dachte, sie imponiere Bernard, wenn sie in ihrem hauchdünnen Kleidchen vor ihm herumtanzte und Crémant aus der Flasche trank. Bis zu dem Moment, als sie sich ihm fontänenartig in den Schritt erbrochen hat, mag das sogar geklappt haben. Dann musste er leider nach Hause und Odile hatte so spontan keine Argumente, ihn aufzuhalten. Im Gegenteil, sie hatte auch keinen Grund, selbst zu bleiben, außer dem, dass die Party bei ihr zu Hause gestiegen war und es keinen Ort gab, wo sie hinkonnte.

Diese Aktion vor Publikum, der halbe Jahrgang des Lycée war eingeladen und einige haben das malheureuse Drama hautnah erlebt, ließ Odile noch heute die Schamesröte ins Gesicht steigen. Wie peinlich ist das denn? Statt einem Liebesgeständnis ein »Ich find Dich zum Kotzen.«. Anfangs tuschelten die Mitschüler natürlich. Später haben sie sich mit Sicherheit nur deshalb zurückgehalten, weil sie hofften, öfter hier feiern zu dürfen. Denn Odile hatte das Haus ziemlich oft für sich alleine. Odile ging Bernard dann allerdings eine ganze Zeit lang aus dem Weg. Er bemühte sich, über dieses peinliche Erlebnis hinweg zu gehen. Irgendwann war ein zwangloser Umgang miteinander dann auch wieder möglich. Aber diese verschenkte Zeit, hat vielleicht auch die allerletzte oder einzige Chance auf ein Zusammenkommen gekostet.

Nach dem Lycée haben sich beide aus den Augen verloren. Er studierte in Lyon Maschinenbau. Wollte etwas weiter weg, von zu Hause, weil er schon damals wusste, dass er den Landmaschinenbetrieb seines Vaters einmal übernehmen würde, auch wenn er sich selbst nicht im ölverschmierten Blaumann herumlaufen sah. Und Odile war mit dem Duft von Lavendel aufgewachsen. Für sie lag es immer auf der Hand, dass sie Naturwissenschaften in Aix-en-Provence studierte, und sich im weitesten Sinne der Landwirtschaft widmete.

Als beide wieder zurückgekehrt waren, in ihr provenzalisches Heimatdorf, mussten sie sich ihrem arbeitsreichen Erbe stellen. Bernard hatte das Weingut übernommen und auch wenn er es von einem Winzer leiten ließ, verbrachte er viel Zeit mit der Arbeit dort. Zudem betrieb er seine Schlosserei und tüftelte an Maschinen, die seine Weingewinnung optimieren und erleichtern sollten. Jeannine machte die Büroarbeit, seit sie die Wirtschaftsschule beendet hatte. Studieren wollte sie nicht und Bernard wusste, dass weder ein Studienabschluss noch eine Bürolehre die Arbeitsqualität von Jeannine beeinflussen würde. Sie war gut, mit oder ohne Diplom. Und sie war bald unentbehrlich. Für das Gut und für Bernard.

Odile hingegen löste die Großmutter auf der Lavendelfarm ab. Alle Arbeiten direkt am Feld, konnte die Oma nicht mehr übernehmen. Sie half nur noch bei der leichteren Arbeit, die im Sitzen auf dem Hof gemacht werden konnte oder gab ihre Geheimnisse preis, damit die Produkte ihre Qualität nicht verloren. Die Lavendelfarm hatte einen Ruf, weit über die Provence hinaus. Die Blüten wurden frisch oder getrocknet in verschiedene Länder exportiert. Und die hauseigenen Zubereitungen von der Seife bis zum Tee wurden von Touristen und Einheimischen gerne gekauft. Selbst die neuen kreativen Versuche, die Odile in den letzten zwei Jahren an den Start gebracht hatten, wurden angenommen und gut gekauft.

Ihre Hoffnung auf ein Leben mit Bernard hatte Odile nie aufgegeben. Dabei hätte das doch langfristig wohl bedeutet, dass einer von beiden, seinen Familienbetrieb hätte abgegeben müssen. Das Problem gab es bei Jeannine nicht. Sie hatte drei ältere Geschwister und stand nicht in der Verantwortung des kleinen Bauernhofes, den ihre Eltern hatten. Nun war sie mit Bernard in Urlaub gefahren und heimlich hatten sie dort geheiratet. Heimlich!

Ihr eigenes Seufzen riss Odile aus ihren Gedanken und sie widmete sich Madame Lavande, die mal wieder eine ausgiebige Fellpflege nötig hatte. So toll sie aussah mit ihren Löckchen, für ein freies Hundeleben mit Streiftouren durch Wald und Flur, war die Rasse nicht gemacht. Stundenlang entknotete Odile das Fell, zupfte Disteln und Gräser heraus und kämmte vorsichtig das Fell aus. Madame lag indessen und genoss diese Zuwendung schnarchend.

Die Lavendelfarm

Pünktlich erwartete Henri Odile auf dem Hof. Er freute sich sehr auf die Führung durch die Produktionsräume und war gespannt, auf die festen Mitarbeiter, mit denen er zu tun haben würde. Odile hatte vom ersten Augenblick an, sein Interesse geweckt. Nicht nur als Mensch. Auch als Frau. Das kannte er gar nicht mehr. Nach seiner gescheiterten Ehe, war er der Romantik und der Zweisamkeit aus dem Weg gegangen. Wenn es sich ergab, wurden körperliche Bedürfnisse befriedigt, aber binden wollte sich Henri eigentlich nicht noch einmal in seinem Leben. Die Liebe für immer, gab es wahrscheinlich nur in irgendwelchen Schmonzetten und Hollywoodfilmen. Allerdings hatte er an Odile gestern bereits mehr Interesse gezeigt, als an allen Frauen mit denen er in den letzten drei Jahren zusammentraf. Und statt sich mit Antworten zufrieden zu geben, wurde sein Interesse immer größer. Nun ja. Er hatte neun Monate Zeit und musste nicht alles in zwei Tagen erfahren. Aber er hoffte sehr auf viele gemütliche Abende wie den gestrigen und überlegte, ob er Odile anbieten sollte, heute Abend für sie beide zu kochen.

»Entschuldigung Ongrieh-Olè, ich bin aufgehalten worden. Ein Winzer aus dem Elsass rief an und wollte verschiedene Dinge über Lavendel wissen. Es scheint so, als wenn der Aperol Spritz eine lila Konkurrenz bekommt, den Lavendel Spritz. Aber das interessiert Sie wahrscheinlich alles gar nicht.«

»Oh doch Odile. Ich bin wirklich beeindruckt, was man alles aus Lavendel herstellen kann und schon ganz gespannt, auf das, was ich gleich zu sehen bekommen werde.«

Odile konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Das aufrichtige Interesse ihres Gastes freute sie sehr. Außerdem erschien er Odile heute noch attraktiver als gestern. Komisch, dass sie für solche Wahrnehmungen offen war, bei ihrem Kummer über ihre einseitige Liebe zu Bernard, der nun für immer unerreichbar bleiben würde. Sie wies Henri den Weg über das Grundstück. Beginnen wollte sie im Lager, dort zeigte sich am ehesten, wenn einer ihrer Helfer ein Problem mit der mächtigen Lavendelduftwolke hätte, die dort über allem hing. Von leichten Beklemmungen bis zu gravierenden Atembeschwerden hatte sie alles schon erlebt. Allerdings wäre es fatal, wenn Henri nur draußen einzusetzen war, denn die Saison ging dem Ende entgegen und es gab draußen nicht mehr ganz so viel zu tun. Doch Henri überraschte mit einer erstaunlichen Freude an dem ausgeprägten Lavendelduft. Tief einatmend, rief er freudig aus: »Es riecht wie bei meiner Oma im Kleiderschrank. Überall hatte sie Säckchen mit Lavendelblüten. Ich habe das schon als Kind geliebt.« Nicht, dass Henri auf weitere Sympathiepunkte bei Odile angewiesen war, aber sein Konto wuchs stetig und gerade wurden ihm unermesslich viele Pluspunkte gut geschrieben.

»Das freut mich. Dann ist die Entscheidung für den Lavendel gar nicht unbedacht getroffen worden?«

»Nein. Ich habe mich bewusst entschieden. Natürlich hätte ich auch zu einem Weinbauern gehen können. Aber dazu muss ich nicht in die Provence reisen. Die haben wir in Südbaden auch oder im nahen Elsass. Nein, ich habe mich für Lavendel entschieden, weil ich hier noch viel zu wenig drüber weiß. Die Arten, die es gibt und der Anbau, von der Saat bis zur Ernte. Das interessiert mich wirklich. Auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstversorgung und der Nachhaltigkeit. Ich möchte viel lieber Produkte kaufen, auf denen ausgewiesen ist, dass Lavendel oder andere gute Zutaten aus der Natur enthalten sind und nicht solche, wo drauf steht, was alles nicht drin ist.«

Odile lachte und zählte auf: »Das Shampoo ohne Erdöl, ohne Silikone, ohne Mikroplastik, ohne Alkohole und und und.« Henri lachte mit und nickte zustimmend. Diese Einstellung beeindruckte Odile und sie war gespannt, was Henri ihr noch alles an positiven Überraschungen bieten würde.